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URBAN LEBEN - PROJEKTE. ENTWICKLUNG. INNOVATIONEN

Published by INVENTIO Projectpartner GmbH, 2019-05-31 05:30:10

Description: Wie wollen bzw. wie werden die Menschen in Zukunft wohnen? Welche Anforderungen an die Entwicklung von Wohnimmobilien ergeben sich daraus? Wird sich der Druck auf die Metropolen weiter verstärken? Sind Hochhäuser oder gar das Wohnen auf dem Wasser Lösungsansätze für die Wohnungsmisere? Muss steigende Nachfrage mit sinkender architektonischer Qualität einhergehen? Wie verändert die Idee vom Smart Home die Bau- und die Immobilienbranche? Und welche Einflüsse haben all diese Themen auf die Arbeitsweise und das Berufsbild von Immobilienvertrieben und Projektentwicklern in der heutigen Zeit? Wenn man wie wir Wohnungsbauprojekte bis zur Vermarktungsreife mitentwickelt und verkauft, sammelt man viele Eindrücke, stellt sich Fragen, entwickelt Ideen und beobachtet Missstände. So ist die Idee entstanden, einige besonders virulent erscheinende Themen aus dem Bereich des Wohnungsbaus genauer unter die Lupe zu nehmen und mit ausgewiesenen Fachleuten zu diskutieren.

Keywords: inventio,berlin,münchen,projektentwicklung,projectpartner,innovation,immobilien,architektur

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URBAN LEBEN PROJEK TE . ENT WICKLUNGEN . INNOVATIONEN



URBAN LEBEN PROJEK TE . ENT WICKLUNGEN . INNOVATIONEN Herausgegeben von Tilo Hellinger INVENTIO Projectpartner GmbH Mit Fotografien von Harf Zimmermann Gespräche mit László Ambrus Ulrike Brand Peter Cachola Schmal Oliver Collignon Tilo Hellinger Sebastian Höft Stefan Höglmaier Jens C. Laub Ulf D. Laub Kai-Uwe Ludwig Jürgen Mayer H. Elisabeth Merk Matthias Ottmann Ingo Pott Renate Preßlein-Lehle Bert Rürup Redaktion Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen







11 VORWORT 17 MEHR MUT ZU QUALITÄT UND INNOVATION Tilo Hellinger IMMOBILIENZ YKLEN 23 10 JAHRE IMMOBILIENBOOM – UND NUN? Ein Gespräch über die Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt seit der Finanzkrise mit Prof. Dr. Bert Rürup, Handelsblatt Research Institute QUARTIERSENT WICKLUNG 26 PROJEKT: NYMPHENBURGER HÖFE, MÜNCHEN 3 5 DAS MÜNCHNER DILEMMA Ein Gespräch über Qualität in der Bauträger-Architektur und die Herausforderungen bei der Entwicklung neuer Quartiere mit Dr. Ulf D. Laub und Dr. Jens C. Laub, Optima-Aegidius-Firmengruppe ARCHITEK TONISCHE QUALITÄT 40 PROJEKT: JOHANNIS 3, BERLIN 47 „WENN ES BEIGE IST, FUNKTIONIERT ES MEISTENS GUT.“ Ein Gespräch über Wohnungsbau im Spannungsfeld von Architekt, Bauträger und I­mmobilienmarketing mit Peter Cachola Schmal (Deutsches Architekturmuseum), Jürgen Mayer H. (Architekt, Berlin) und Stefan Höglmaier (Euroboden) 52 PROJEKT: OE, BERLIN

URBANE DÖRFER 59 NEUE ENSEMBLES Ein Gespräch über Nachverdichtung in der Vorstadt und die Vorteile der Mischnutzung mit Prof. Dr. Matthias Ottmann, TU München 62 PROJEKT: INBAL ANCE, MÜNCHEN 66 PROJEK T: WILL N° 16, MÜNCHEN W O H N T Ü R M E 79 MÜNCHEN BLEIBT MODERAT Ein Gespräch über die Wohnungsmisere in der bayerischen Landeshauptstadt und die Zukunft des Hochhauses mit Prof. Dr. Elisabeth Merk, Stadtbaurätin von München 83 „ES LOHNT SICH, DEM PROJEKTENTWICKLER AUCH EINMAL ZU VERTRAUEN.“ Ein Gespräch über den IN-Tower und die Zukunft des Wohnturms mit Kai-Uwe Ludwig, 6B47 Germany 86 PROJEKT: IN-TOWER, INGOLSTADT 93 „DAS IST DER MASSSTAB, DER IN UNSERE STADT PASST.“ Ein Gespräch über die Renaissance der Wohntürme mit Stadtbaurätin Renate Preßlein-Lehle und Ulrike Brand, Referat für Stadtentwicklung Ingolstadt WOHNEN AM WASSER 96 PROJEKT: HUMBOLDT-INSEL , BERLIN 105 WATERWORLD Tilo Hellinger 108 PROJEK T: STADTL ANDFLUSS, BERLIN

VON DER FABRIK ZUM WOHNLOF T 115 LICHT INS DUNKEL DER FABRIKETAGE Ein Gespräch mit dem Architekten Oliver Collignon über Transformation und die Frage, was schöne Räume auszeichnet 118 PROJEK T: SPREELOF TS, BERLIN 1 27 „DAS NEUE MACHT MÖGLICH, DASS DAS ALTE AM LEBEN BLEIBT.“ Ein Gespräch über den Mythos Berlin und den Wandel der Stadt am Beispiel der Opernlofts mit dem Architekten Ingo Pott 130 PROJEK T: OPERNLOF TS, BERLIN INTERIOR DESIGN 1 42 DREI KUBEN IN EINEM LOFT Der Architekt László Ambrus über sein Konzept für das Inventio-Loft ZUKUNF T DES WOHNENS 151 SMART HOME – ZUKUNF TSTECHNOLOGIE ODER RISIKO? Tilo Hellinger WANDEL DER BR ANCHE 157 IMMOBILIENMARKETING NACH DEM DIGITAL TURN Ein Gespräch mit Tilo Hellinger (Inventio) und Sebastian Höft (Property Company) 162 PROJEKTÜBERSICHT



VORWORT Wie wollen bzw. wie werden die Menschen in Zukunft wohnen? Welche Anforderungen an die Entwicklung von Wohnimmobilien ergeben sich daraus? Wird sich der Druck auf die Metropolen weiter verstärken? Sind Hochhäuser oder gar das Wohnen auf dem Wasser Lö- sungsansätze für die Wohnungsmisere? Muss steigende Nachfrage mit sinkender architek- tonischer Qualität einhergehen? Wie verändert die Idee vom Smart Home die Bau- und die Immobilienbranche? Und welche Einflüsse haben all diese Themen auf die Arbeitsweise und das Berufsbild von Immobilienvertrieben und Projektentwicklern in der heutigen Zeit? Mit diesen Fragen bin ich als Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Inventio Tag für Tag konfrontiert. Wenn man wie wir Wohnungsbauprojekte bis zur Vermarktungsreife mitentwickelt und verkauft, sammelt man viele Eindrücke, stellt sich Fragen, entwickelt Ideen und beobachtet Missstände. So ist die Idee entstanden, einige mir besonders virulent erscheinende Themen aus dem Bereich des Wohnungsbaus genauer unter die Lupe zu neh- men und mit ausgewiesenen Fachleuten zu diskutieren. Äquivalent zu diesen Gesprächsthe- men werden 10 Projekte gezeigt, an denen wir als Immobiliendienstleister seit Gründung der Inventio vor 10 Jahren mitgewirkt haben. Für ein solches Unterfangen haben wir uns im Redaktionsteam nicht nur intensiv Gedanken über die Schwerpunktsetzung der Themen und die Auswahl der Projekte gemacht, sondern auch über dafür prädestinierte Gesprächspartner. Es freut mich sehr, dass es gelungen ist, so namhafte Persönlichkeiten für das Buch zu gewinnen. Dabei war es mir besonders wichtig, Vertreter verschiedener Professionen – aus der Bauträger- und Projektentwickler-Branche, der Architektenschaft, den kommunalen Bauverwaltungen und nicht zuletzt der Wissen- schaft – zu versammeln. Sie alle blicken aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema Wohnungsbau und führen in Form dieses Buches einen gemeinsamen, kritischen Diskurs, an dem es in der Wohnungsbau- und Immobilienbranche noch allzu oft fehlt. Im Lauf der Zeit haben sich meine Wege mit vielen Menschen gekreuzt, einige davon haben bleibenden Einfluss auf meine Entwicklung gehabt. Anfang der 1990er-Jahre besuchte ich als Student die Vorlesungen von Professor Dr. Bert Rürup, der damals Gastprofessor an der Technischen Hochschule Leipzig war, sozusagen als „Aufbau-Ost“-Maßnahme im Rahmen einer Partnerschaft mit der Technischen Universität Darmstadt. Diese Vorlesungen waren Erweckungserlebnisse. Es waren nicht die üblichen theoretischen, oft recht uninspirier- ten Vorträge von Dozenten, die bereits vor 1990 gelehrt und die Hochschulwelt noch nie verlassen hatten. Als Student hörte ich hier lebendige Beispiele aus der realen Wirtschaft, erläutert von einem Mann, der zu den fünf Wirtschaftsweisen gehörte. Insofern schließt sich der Kreis rund 25 Jahre später, da es uns gelungen ist, Bert Rürup, heute Präsident des Handelsblatt Research Institute, für ein Gespräch zum spannenden Thema der Zyklen im Im- mobilienmarkt zu gewinnen. 11

Alle Gesprächspartner in diesem Buch haben mich auf dem beruflichen Weg der letzten Jah- re begleitet und durch konstruktiven Austausch inspiriert. Ohne sie hätte dieses Buch nicht entstehen können, daher möchte ich mich an dieser Stelle – in der Reihenfolge der Inter- views bzw. Beiträge – bei ihnen allen sehr herzlich bedanken: Prof. Dr. Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institute Dr. Jens C. Laub und Dr. Ulf D. Laub, Vorstände der Optima-Aegidius Firmengruppe Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums Stefan Höglmaier, Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der Euroboden GmbH Jürgen Mayer H., Architekt Prof. Dr. Matthias Ottmann, Honorarprofessor an der TU München Prof. Dr. Elisabeth Merk, Stadtbaurätin von München Kai-Uwe Ludwig, Vorsitzender der Geschäftsführung der 6B47 Germany GmbH Renate Preßlein-Lehle, Stadtbaurätin von Ingolstadt, und Ulrike Brand, Referat für Stadtentwicklung der Stadt Ingolstadt Oliver Collignon, Architekt Ingo Pott, Architekt László Ambrus, Architekt Raphael Tkacz, Connected Comfort Sebastian Höft, Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der Property Company GmbH Die Gespräche führten Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen, denen ich an dieser Stelle für ihre journalistische Unterstützung und Geduld ganz besonders danken möchte. Begleitet wird das Buch visuell im Wesentlichen mit Aufnahmen von Harf Zimmermann, der als einer der letzten Fotografen auf ganz traditionelle, schon fast altmodisch analoge, dafür aber umso brillantere Art und Weise mit seiner Großbildkamera die ausgewählten Projekte festgehalten und dokumentiert hat. Dafür danke ich ihm sehr herzlich. Das Layout wurde von Marc Naroska und seinem Team aus dem Amerika Haus in Berlin über- nommen. Marc hat nicht nur sein hervorragendes Gespür für Gestaltung und Material ein- gebracht, sondern war auch immer das pragmatische und verbindende Element im Kreis der Künstler und Kreativen. Ihm möchte ich für das Layout und die Unterstützung bei der Reali- sierung meiner Idee ganz herzlich danken. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen, Betrachten und Diskutieren und freue mich über jede Form von Feedback oder Anregungen. Tilo Hellinger, Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der Inventio Projectpartner GmbH 12 VORWORT



Erdarbeiten für das neue ­Projekt „Livingstone“. Bis Ende 2020 ­entstehen 41 Wohneinheiten in der Kopenhagener Straße, ­Berlin-Prenzlauer Berg. 14





MEHR MUT ZU QUALITÄT UND INNOVATION Tilo Hellinger Wir leben in Zeiten, in denen das Thema Wohnen in der Stadt große politische Brisanz be- sitzt. Kaum ein anderes Thema hat heute in Deutschland mehr sozialen Sprengstoff. Es ist mir deshalb ein Anliegen, nicht nur zu feiern, was die Inventio als Service Developer und Vermarkter bei hochwertigen Wohnungsbauprojekten geleistet hat. Ich möchte mit diesem Buch einen Beitrag zum Diskurs leisten, wie die Lage substantiell verbessert werden könnte und wo die Ursachen für die derzeitige Situation zu suchen sind, in der ein beispielloser Im- mobilienboom und eine massive Immobilienkrise Hand in Hand zu gehen scheinen. Die Immobilienbranche ist, wie alle Bereiche unseres Lebens, den demographischen Ent- wicklungen, der Digitalisierung und der zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitswelt un- terworfen. Zu diesen Entwicklungen gehört auch das enorme Wachstum der Einwohner- zahlen in den sogenannten A- und B-Städten, ein Ergebnis von Wanderungsbewegungen in die Metropolregionen. Daraus resultiert der zunehmende Mangel an Wohnraum, insbe- sondere an bezahlbarem Wohnraum. Die Muster gleichen sich dabei an vielen Standorten, persönlich beurteilen kann ich sie jedoch besonders gut in München und Berlin, weil wir als Inventio in diesen Märkten seit vielen Jahren tätig sind. Wenn die Verantwortlichen in der Bundes- aber auch in der Landespolitik sowohl in Mün- chen als auch in Berlin heute einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum beklagen, wird oft die Privatwirtschaft für diese Situation verantwortlich gemacht. Dabei fällt unter den Tisch, dass Politik und öffentliche Verwaltung durch Fehleinschätzungen künftiger Entwicklun- gen dazu beigetragen haben, dass es zu diesem Engpass kommen konnte. Gerade in Berlin wurden unter dem Druck knapper Kassen die Grundstücke und Immobilienbestände, die sich in städtischem und staatlichem Besitz befanden, lange Zeit meistbietend versteigert. Dabei ging es ausschließlich um die Maximierung der Kaufpreise für die Öffentliche Hand und ihre Institutionen, wie z. B. den Liegenschaftsfonds. Jetzt stellt man überrascht fest, dass auf den teuer verkauften Grundstücken im Wesentli- chen hochpreisige Eigentums- und keine günstigen Mietwohnungen entstanden sind. Während die Stadt München zumindest durch das sogenannte „München Modell“ bereits seit Jahrzehnten dafür gesorgt hat, dass bei der Baurechtsschaffung über das Instrument der Sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN) eine Sozialquote von bis zu 40 % und damit die „Münchner Mischung“ realisiert wird, haben die Verantwortlichen in Berlin die entsprechen- de Notwendigkeit viel zu spät erkannt und erst 2014 mit dem Berliner Modell der koope- rativen Baulandentwicklung in Angriff genommen. Dafür wird in Berlin nun versucht, der Privatwirtschaft die Lösung des Wohnungsnotstandes zu übertragen. Während die Projekt- entwickler hier bis vor kurzem den Launen und Bedürfnissen einzelner Bezirksbürgermeister ausgeliefert waren, die oft erst nach Grundstückskauf und weitestgehend ohne verbindli- che Rechtsgrundlage verschiedene Auflagen an die Erteilung des Baurechts knüpften, trägt das Vorgehen der Behörden in der Hauptstadt inzwischen Züge von sozialistischen Enteig- nungsverfahren. Vorkaufsrechte werden nicht mehr nur ausgeübt, um städtische Behörden unterzubringen oder bezahlbaren Wohnraum zu errichten, sondern auch um das Kapital einer verschuldeten Stadt gewinnbringend zu investieren. In einer Zeit, in der Schulen, Kin- dergärten, bezahlbarer Wohnraum und Lehrer fehlen, um nur einige Beispiele zu nennen, ist dies der falsche Ansatz. Zudem agieren die einzelnen Bezirke höchst unterschiedlich – je nach politischer Mehrheit. Immer mehr Firmen und Investoren wenden sich vor diesem Hintergrund wieder von Berlin ab, weil die Rahmenbedingungen schwer zu kalkulieren und teilweise regelrecht investorenfeindlich sind. 17

Neben der Ausübung von Vorkaufsrechten, langen Bearbeitungszeiten auf den Bauämtern oder der Willkür von Gestaltungskolloquien wird die Mietpreisbremse auf der Grundlage künstlich niedrig gehaltener Vergleichsmieten ständig weiter verschärft. Allein mit Regulierung und Eingriffen in die freie Wirtschaft wird man das Wohnungspro- blem bzw. das zu geringe Angebot an bezahlbaren Wohnungen jedoch nicht lösen. Dies kann nur über eine Erhöhung des Angebotes erfolgen. Die Städte müssen vermehrt Wohnbauland ausweisen. Und die städtischen Wohnungsbaugesellschaften müssen auf den noch vorhandenen städtischen Grundstücken selbst wieder Wohnungen bauen – nur damit können sie Stückzahl und Angebotspreise der realisierten Wohnungen beeinflussen. Die Privatwirtschaft wird das Wohnungsproblem allein nicht lösen können, auch wenn Fir- men wie Zalando inzwischen wieder anfangen, eigene Werkswohnungen zu planen, weil sie ohne bezahlbaren Wohnraum Probleme haben, qualifizierte Fachkräfte zu finden. Bei den aktuellen Baukosten liegen die Gestehungskosten einer Wohnung bei etwa 8 bis 10 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, selbst wenn man das Grundstück umsonst b­ ekäme. Da dies bekanntlich in der Regel nicht der Fall ist, steigen die Selbstkostenpreise schnell auf 12  Euro pro Quadratmeter und mehr. Günstigere Mietwohnungen sind also nur mit Hilfe ­subventionierter Grundstückspreise oder Baukosten zu realisieren. Ein weiteres gravierendes und immer noch unterschätztes Problem ist der Fachkräfteman- gel. Er wird weiter zunehmen, weil durch neue staatliche Wohnungsbauförderprogramme weitere Baukapazitäten absorbiert werden. Hinzu kommt, dass Berufsbild und gesellschaft- liche Stellung der Bauhandwerksberufe für viele nicht mehr attraktiv sind. Berufe wie Mau- rer, Dachdecker, Klempner oder Elektriker sind mit harter Arbeit verbunden, oft bei Wind und Wetter und dafür zu schlecht entlohnt. Zudem werden Sie durch die zunehmende Digita- lisierung des Wohnumfeldes mit Smart-Home-Konzepten technisch immer anspruchsvol- ler. Um wieder mehr Jugendliche für die Lehrberufe des Handwerks zu gewinnen, müssten sowohl die Reputation als auch die Bezahlung verbessert werden. Dies sind Aufgaben, die staatliche Institutionen, Innungen, die Handwerkskammer und die Bauwirtschaft gemein- sam angehen müssten. Es wird Zeit benötigen, hier einen Wandel herbeizuführen. Die Baupreise werden auf absehbare Zeit weiter steigen, weil die Kapazitäten der Bauindus­ trie ausgeschöpft sind und die Normen ständig weiter zunehmen. Die fortlaufende Ver- schärfung z. B. der Energieeinsparverordnung (EnEV) mit dem Ziel, am Ende jede Bauge- nehmigung für neu zu errichtende Wohngebäude in die Nähe des Passivhaus-Standards zu rücken, ist gut gemeint, aber auf Dauer wirtschaftlich nicht durchzuhalten. Es ist gut, dass Deutschland hier eine Vorreiterrolle einnimmt. Aber wir werden das Weltklima nicht allein retten können. Den Preis zahlen am Ende die Wohnungskäufer und -mieter, weil steigende Gestehungskosten in aller Regel auf Mieten und Kaufpreise umgelegt werden. Neben den ökologisch zumindest sinnvollen Ansätzen, die der EnEV zugrunde liegen, werden Normen und Baukosten allerdings oft auch durch die Lobbyarbeit der Industrie bzw. einzelner Her- steller, z. B. von Dämmstoffen, getrieben. Neben einer Anpassung der ständig zunehmenden Baunormen an das Mach- und Finanzier- bare gibt es weitere vielversprechende Wege, um auf die permanenten Baukostensteige- rungen und veränderten Wohnbedürfnisse zu reagieren: BIM – Building Information Modeling Mit Hilfe des BIM, zu Deutsch Bauwerksdatenmodellierung, wird eine Methode der opti- mierten und softwarebasierten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden und Bauwerken implementiert. Dabei werden alle relevanten Daten eines Baus digital mo- delliert, kombiniert und erfasst. Das Bauwerk wird somit als virtuelles Modell auch geome- trisch visualisiert. Dadurch ist es möglich, eine bislang ungekannte Budgetgenauigkeit und Planungssicherheit zu erreichen, welche die zusätzlichen Kosten dieses Verfahrens mehr als kompensiert. 18 EINLEITUNG

Vorfertigung Eine industriell vorgefertigte Bauweise kann speziell bei einem hohen Standardisierungs- grad der Bauvorhaben eine weitere Antwort auf Baukostensteigerungen und lange Bauzei- ten sein. Damit besitzen Bauträger und Wohnungsbaugesellschaften u. a. die Möglichkeit, fertige Module direkt an die Baustelle zu liefern und vor Ort aufzubauen. Oft begegnet man solchen Modellen mit Misstrauen, aber die neuesten Systeme haben mit den industriell ge- fertigten Plattenbauten der 1970er-Jahre nichts mehr gemein. Sie verfügen über geringste Maßtoleranzen und reduzieren die Anfälligkeiten und Kosten einer herkömmlichen Baustelle beispielsweise durch die reduzierte Abhängigkeit von der Witterung. Stellplatzschlüssel Am teuersten ist das Bauen in der Tiefe. Daher stellt jeder Tiefgaragen-Stellplatz, der nicht gebaut werden muss, eine erhebliche Entlastung des Budgets dar. München ist einer der wenigen Standorte, an dem für jede geschaffene Wohnung nach wie vor ein Stellplatz, in der Regel in einer Tiefgarage, zur Verfügung gestellt werden muss. Das ist enorm aufwen- dig und nicht mehr zeitgemäß. In Berlin gibt es diese Verpflichtung beispielsweise nicht. Wir begleiten viele Projekte außerhalb Münchens, bei denen wir nur noch für jede zweite Woh- nung einen Stellplatz vorsehen. Der Zeitgeist hat sich verändert: Die Menschen nutzen den öffentlichen Nahverkehr, Carsharing-Angebote, das Fahrrad oder andere Fortbewegungs- möglichkeiten – auch, weil das Auto nicht mehr als Statussymbol gilt und ein wachsender Teil der Bevölkerung bereit ist, seinen Beitrag zur Schonung unserer Umwelt zu leisten. Nachhaltigkeit Wir müssen mit Ressourcen bewusster und nachhaltiger umgehen. Man kann es sich kaum vorstellen, aber Sand als Grundstoff von Beton wird knapp. Die Bauindustrie steht also vor der Herausforderung, Alternativen zu entwickeln – wie es beispielsweise mit den Experimen- ten im Holzbau derzeit geschieht. Im Zusammenhang der Nachhaltigkeitsdebatte muss auch über den Dämmwahnsinn nachgedacht werden, der u. a. auf die Lobbyarbeit der Baustoffin- dustrie zurückzuführen ist. Es kann auf Dauer keine Lösung sein, Gebäude mit Dämmstoffen wie Mineralwolle oder Polystyrolschaum zu verkleiden und dabei die enormen Probleme der späteren Entsorgung dieser Dämmstoffe unberücksichtigt zu lassen. Als Alternativen kön- nen hier neben Blähton Materialien wie Holzfaser, Zellulose oder Lehm eingesetzt werden, die ökologisch abbaubar, aber gegenwärtig noch nicht massentauglich und in einem wirt- schaftlich vertretbaren Rahmen einsetzbar sind. Laut dem Institut Bauen und Umwelt (IBU) sind Bauen und Wohnen für etwa 50 Prozent der weltweiten Ressourceneinsätze sowie ei- nen Großteil des Energiebedarfs und der CO2-Emissionen verantwortlich. Vor diesem Hin- tergrund haben international anerkannte Zertifizierungssysteme für nachhaltiges Bauen bereits Ende der 1990er-Jahre Einzug gehalten und sich im Bereich der gewerblichen und öf- fentlichen Bauten inzwischen auch etabliert bzw. durchgesetzt. Neben den amerikanischen LEED-Zertifizierungen (LEED = Leadership in Energy and Environmental Design) hat die Deut- sche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) gemeinsam mit dem Bundesbauministeri- um 2009 eine Zertifizierung nach deutschen Normen und Standards entwickelt und etabliert. Die Vorteile der Gebäudezertifizierung liegen auf der Hand: Alle Bewertungssysteme bieten Bauherren vor dem Hintergrund steigender Anforderungen seitens Politik, Nutzern und In- vestoren den Vorteil, die Nachhaltigkeit ihres Gebäudes vergleichbar nach außen darstellen zu können und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Die Zertifizierungssysteme werden fortwährend weiterentwickelt und an neue Anforderungen angepasst. Ein Beispiel ist die Version 2015 der DGNB: Die neu im DGNB-System eingeführte Kategorie „Mobilität“ berücksichtigt zum Beispiel, ob ein Gebäude über Ladestationen für Elektroautos oder -räder verfügt und ob sich in der Nachbarschaft Car- oder Bike-Sharing-Stationen befinden. Die- se im gewerblichen und öffentlichen Bausektor bereits bewährten Zertifizierungssysteme könnte man im Wohnungsbausektor stärker in den Fokus rücken und adaptieren und somit neue Standards definieren, die Anreize zum nachhaltigen Bauen schaffen. 19

Digitalisierung Das Leben wird mobiler und vernetzter, die Art und Nutzung von Räumen verändert sich da- durch. Neue Lösungen müssen gefunden werden, die neue Herausforderungen mit sich brin- gen. Smart Living wird immer wichtiger. Während die Gebäudeautomation (Überwachungs-, Steuer-, Regel- und Optimierungseinrichtungen von Gebäuden) im Bürobereich bereits seit einiger Zeit Einzug gehalten hat, weil Be- und Entlüftung, Klimatisierung, Verschattung mit- tels Sonnen- und Windwächtern etc. Merkmale attraktiver Arbeitsplätze wiederspiegeln, befindet sich der Wohnungsbau in diesen Bereichen noch in den Kinderschuhen. Smart-Home-Systeme sind im Wohnungsbau oft noch individuellen, kleineren Architek- tenprojekten vorbehalten und kommen im Geschosswohnungsbau eher selten zum Ein- satz. Das Ziel muss darin bestehen, dass die Gebäudeautomation im Wohnungsbau nicht nur als Kostentreiber betrachtet wird. Sie sollte vielmehr als Chance gesehen werden, auch im standardisierten Wohnungsbau Systeme zu integrieren, die z.B. eine Überwachung und Wartung der haustechnischen Anlagen vereinfachen und eines Tages dezentralisieren, weil die Systeme über Server- oder Cloudlösungen aus der Ferne gepflegt werden können. Noch sind die Smart-Home-Systeme allerdings oft fehleranfällig und nicht intuitiv genug. Wohntürme In vielen Metropolen wird bereits seit geraumer Zeit in die Höhe gebaut, um der steigenden Nachfrage nach urbanem Wohnraum bei immer weiter steigender Verdichtung zu begeg- nen. Wo kein Platz mehr für das Wachstum der Stadt in die Fläche zur Verfügung steht, kann der Bau von Wohntürmen kein Tabu mehr sein. Im innerstädtischen Kontext haben sie den Vorteil, dass sie zur Belebung eines Viertels beitragen. Architektonische Qualität In vielen Großstädten zeichnen sich Neubauten durch architektonische Beliebigkeit und Fantasielosigkeit aus. Gerade in München stellt dies ein großes Problem dar. Zwar macht die Stadt München durchaus gestalterische Vorgaben, doch wird deren Umsetzung nicht aus- reichend kontrolliert oder gar sanktioniert. Ein Beispiel dafür sind die Nymphenburger Höfe in München, deren vom Initiator des Gesamtareals, der Optima-Aegidius-Firmengruppe, er- richtete Wohngebäude wir koordiniert und vermarktet haben. In diesem westlichen Teil des Ensembles wurden die kommunalen Gestaltungsvorgaben eingehalten und umgesetzt. Die andere Hälfte wurde von einem anderen Bauträger realisiert. Dieser verzichtete entgegen der Vorgaben darauf, die hochwertige Fassadenmaterialität und Gestaltung zu gewährleis- ten. Ein solch verantwortungsloses Handeln darf, anders als hier geschehen, nicht ohne Konsequenzen bleiben. Wenn Städte wie München Einfluss auf Qualität und Gestaltung nehmen wollen, sollten sie sich die Vergabepraktiken von Grundstücken in Hamburg zum Vorbild nehmen. Dort erfolg- ten diese in der Hafencity nicht an den Meistbietenden, sondern über sogenannte Anhandga- be-Verfahren auf der Grundlage klar definierter Grundstückspreise an den Bieter, der sich mit dem besten Gestaltungs- und Nutzungskonzept bewarb. Nach Zuschlag bekam der Gewinner 10 bis 12 Monate Zeit, um das Baurecht und die Finanzierung zu klären und die Realisierung seines Wettbewerbskonzeptes sicherzustellen. Doch kann der Mangel an architektonischer Qualität nicht allein den Kommunen angelastet werden. Auch die Bauträger tragen natür- lich Verantwortung für den modernen Städtebau. In München beispielsweise sehen einige Bauträger aufgrund der hohen Nachfrage nach Wohnraum offenbar keine Notwendigkeit, mit innovativen Konzepten zu punkten. Die These, dass ästhetischer Anspruch ein Vorhaben teurer mache, ist oft eine bloße Schutzbehauptung. Dies zeigen erfolgreich wirtschaften- de Vorreiter eines avancierten Bauens wie die Optima-Aegidius-Firmengruppe, Euroboden, 6B47 Germany oder brixx projektentwicklung, mit denen wir regelmäßig zusammenarbeiten. Viele Bauträger betonen immer wieder, es gehe darum, möglichst schnell den Bedarf nach Wohnraum zu erfüllen, und deswegen bleibe keine Zeit und kein Budget für die Entstehung 20 EINLEITUNG

des Besonderen. Auch wenn diese Argumente für sich nachvollziehbar sein mögen, prägen Wohnungsbauvorhaben doch erheblich das Stadtbild. Ich würde mir deshalb oft mehr Ver- antwortungsbewusstsein wünschen – schließlich werden die Bauten von heute vermutlich die nächsten 100 Jahre weitestgehend unverändert existieren. Die dramatisch gescheiterten Projekte der Werkbundsiedlungen in München 2008 und Berlin 2018 zeigen zudem, dass architektonische Megaprojekte, die für die jeweiligen Städte ein ech- tes Statement im Wohnungs- und Städtebau bedeuten, nur mit einem klaren Commitment der Politik und Stadtplanung möglich sind. Der 100. Geburtstag des Werkbundes im Jahr 2007 sollte mit der Planung einer Werkbundsiedlung in München gefeiert werden, die dann am Veto des Stadtrats scheiterte. Als verantwortlicher Geschäftsführer eines am Verfahren beteilig- ten Bauträgers musste ich zu jener Zeit erfahren, dass es auf Ebene der politischen Entschei- dungsträger und besonders des damaligen Oberbürgermeisters Christian Ude (SPD) an einer Vision für die architektonische bzw. städtebauliche Entwicklung der Stadt fehlte. Dies ist umso dramatischer, als die Werkbundsiedlung auf einem städtischen Grundstück hätte entstehen können und die Unterstützung der Stadtbaurätin Elisabeth Merk hatte. In Berlin wiederum ha- ben sich jüngst ganz offensichtlich alle Beteiligten miteinander überworfen. Anlass für das Engagement des Werkbunds für eine Berliner Werkbundsiedlung war laut dem Architekten Paul Kahlfeldt, „für Qualität zu sorgen, bevor wieder alles nur mit stupiden Wärmedämmkis- ten vollgewürfelt wird, weil Wohnungen gebraucht werden“. Diese einerseits nachvollziehba- re, anderseits durchaus abgehobene Sicht eines renommierten Architekten zeigt in einem Satz das ganze Dilemma, in dem die Branche steckt. Der Spagat zwischen Gestaltungsanspruch, Schaffung bezahlbarer Wohnungen und wirtschaftlichen Interessen bzw. Notwendigkeiten ist kaum zu lösen. Der Architekt Arno Brandlhuber gab zum Ende des Projekts zu Protokoll: „Sofern der Werkbund immer noch für modellhafte Vorhaben steht, hat er das hier eigentlich vorbildlich gemacht: Das Scheitern der Sache zeigt immerhin genau, wo die Kräfte liegen.“ Die Eigentumsrechte an Grund und Boden seien stärker als alle sozialen und baukünstlerischen Ziele. Das Scheitern hat am Ende, ähnlich wie im Münchner Beispiel viel mit bürokratischen Hindernissen zu tun. Kahlfeldt sieht hier die Legislative generell mehr in der Pflicht, auf eine Verschlankung der Bürokratie hinzuwirken, die das Bauen in Deutschland lähmt. Ein Schritt in die richtige Richtung ist vor diesem Hintergrund die Initiative „Berlin 2070“ des Architekten- und Ingenieur-Vereins Berlin (AIV). Hier wird unter Einbeziehung aller am Raumordnungsverfahren Beteiligten aus Politik und Planung eine Vision für das Berlin der Zukunft entwickelt. Aus Anlass der Hundertjahrfeier der Schaffung von Groß-Berlin durch zahlreiche Eingemeindungen im Jahr 1920 hat der traditionsreiche AIV, der bereits damals an der Planung Groß-Berlins beteiligt war, beschlossen, in Abstimmung mit dem Berliner Senat für Stadtentwicklung und dem Brandenburger Ministerium für Infrastruktur und Lan- desplanung einen Wettbewerb auszuloben, in dem die Fragestellungen der Entwicklung der nächsten 50 Jahre behandelt werden. So soll beispielsweise geklärt werden, wie das zunehmende Verkehrsaufkommen zu bewäl- tigen ist, wo Gewerbeansiedlungen stattfinden können, wo (Wohn-)Hochhäuser gebaut werden können, welche Bereiche Grün- und Erholungsflächen vorbehalten sein sollen und wie die Themen Wohnen und Arbeiten in der Stadt zukunftsfähig miteinander vereinbar sind. So kann visionäre Planung und aktive Stadtgestaltung aussehen. Städtebau und architektonische Qualität müssen viel stärker ins Bewusstsein aller Beteilig- ten rücken. Ich würde mir wünschen, dass mehr Marktteilnehmer einen Sinn für die Ästhetik des Gebauten entwickeln. Am Ende des Tages tragen die Projekte zum urbanen Gesamtbild der Städte bei und dokumentieren damit die Haltung unserer Generation. Inventio möchte als Dienstleister bei exklusiven und individuellen Wohnungsbauprojekten in den Großräu- men von Berlin und München einen Beitrag zu einer besseren Architektur, zu mehr Mut und Innovationsfreude im Wohnungsbau leisten – mit Projekten, die sich in ihrer Umgebung um- weltbewusst und nachhaltig integrieren, mit einer Architektur, die für sich selbst spricht. 21



IMMOBILIENZYKLEN 10 JAHRE IMMOBILIENBOOM – UND NUN? Ein Gespräch über die Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt seit der Finanzkrise mit Prof. Dr. Bert Rürup, Handelsblatt Research Institute „Bauherren in spe scheinen in H von G: Herr Professor Rürup, blicken wir H von G: Aber wurden nicht in erster Linie der Tat die klaren Verlierer des zunächst einmal zurück. Vor 10 Jahren, die Verkäufer von Immobilien begünstigt? Immobilienbooms zu sein.“ 2008, erschütterte ein gewaltiges Beben Für den potentiellen Käufer von Eigenhei- die Weltwirtschaft: die Finanzkrise, be- men begann doch in jener Zeit eine fatale kanntlich ausgelöst durch die US-ameri- Preisentwicklung. kanische Immobilienblase. Nur ein Jahr BR: Bauherren, vor allem solche, die es wer- später, 2009, setzte sich ein Boom auf dem den wollen, scheinen in der Tat die klaren deutschen Immobilienmarkt in Gang, der bis Verlierer des Immobilienbooms zu sein, zu- heute anhält. Wie bewerten Sie die damali- mindest auf den ersten Blick. Sie müssen für gen Ereignisse aus heutiger Sicht? ihre Wunschimmobilie heute deutlich höhe- Bert Rürup: Die Megakrise wurde in ihrem re Preise zahlen als noch vor einigen Jahren. Ausmaß nicht erwartet, zunächst hat man Das gilt sowohl für Bestandsimmobilien als sie auch unterschätzt. Als Reaktion wur- auch für Neubauten. Laut Bundesbank leg- den finanzpolitische Maßnahmen ergriffen, ten seit dem Jahr 2010 die Preise für Woh- einschließlich der – im Ernstfall kaum zu nimmobilien in Deutschland im Schnitt um erfüllenden – Garantie für die Spareinlagen 45,8 Prozent zu. seitens der deutschen Bundesregierung. Das hat die deutsche Ökonomie ohne jeden H von G: Ist es nicht eigenartig, dass die Anle- Zweifel stabilisiert. Trotz des Rückgangs ger in Deutschland ihr Geld in genau jene As- der gesamtwirtschaftlichen Produktion im setklasse steckten, nämlich Immobilien, die Winterhalbjahr 2008/09 kam es, auch dank in Amerika die Finanzkrise verursacht hatte? einer klugen Arbeitsmarktpolitik, kaum zu BR: Die Finanzierung von Immobilienkäu- Entlassungen. fen in Deutschland ist nur begrenzt mit den Finanzierungsbedingungen und dem H von G: Welche Rolle spielte die Geldpoli- Finanzierungsverhalten in den USA zu ver- tik der Europäischen Zentralbank am Beginn gleichen. Während jenseits des Atlantiks des laufenden Jahrzehnts für den dann fol- eher kurzfristig finanziert wird und ge- genden Immobilienboom? stiegene Preise der erworbenen Immobilie BR: Die Maßnahmen der Bundesregierung nicht selten zu Konsumzwecken verwendet wurden durch die Geldpolitik unterstützt. werden, ist in Deutschland die Finanzierung Die EZB stellte letztlich unbegrenzt Liqui- langfristig angelegt. dität zur Verfügung – zu so niedrigen Zinsen wie man sie bis dahin nicht gekannt und für H von G: Kommen wir zur Gegenwart: Ist möglich gehalten hatte. der aktuelle Boom nur eine Aufholreaktion zu den internationalen bzw. europäischen H von G: Wer waren die Nutznießer dieser Märkten, also etwa zu Großbritannien, nationalen und übernationalen Politik? Frankreich oder Spanien? Oder handelt es BR: Nicht nur der Immobilienmarkt hat er- sich tatsächlich um eine Übertreibung – heblich profitiert – sondern auch andere oder gar um eine Blase? Anlageklassen wie zum Beispiel Aktien. Klu- BR: Vor Beginn der aktuellen Preissteigerun- ge Geldanlageentscheidungen setzen nun gen auf dem deutschen Immobilienmarkt einmal ein Denken in Alternativen in Bezug war die Preisentwicklung viele Jahre lang auf Rendite und Risiko voraus. ausgesprochen flach – im Gegensatz zur Entwicklung in vielen anderen Ländern. Auch heute sind Wohnimmobilien in Deutschland 23

im internationalen Vergleich noch keines- jüngeren Vergangenheit einige Instrumente „Überhitzungstendenzen wegs überteuert. Die Deutsche Bundesbank verabschiedet, um einer solchen Gefahr ent- sehe ich nur vereinzelt. warnt zwar vor Überhitzungstendenzen gegenzuwirken – sofern sie zu einem gesamt- Ich rechne nicht damit, und sieht Überbewertungen von bis zu 35 wirtschaftlichen Problem werden sollte. dass die Preise einbrechen.“ Prozent. Das dürfte aber nur für einige Seg- mente in den besonders gefragten sieben H von G: Der letztjährige Handelsblatt-Jah- Top-Städten gelten, also in München, Stutt- reskongress trug den Titel „Wende 2019“. gart, Frankfurt am Main, Köln, Düsseldorf, Dort stellten Sie Ihre Studie des Handels- Berlin und Hamburg. Ob sich dort eine Bla- blatt Research Institutes zum Immobilien- se bildet, weiß aber selbst die Bundesbank boom der letzten Jahre vor. Rechnen Sie nicht, beziehungsweise erst dann, wenn tatsächlich mit einer Wende, d.h. mit einem diese Blase platzen würde und die Preise ein- Ende des aktuellen Immobilienbooms? brechen. Damit rechne ich aber nicht. BR: Die Beantwortung dieser Frage gleicht einem Blick in die vielzitierte Glaskugel. Mo- H von G: Noch einmal grundsätzlicher ge- mentan gibt es zwar vereinzelte Anzeichen, fragt: Es wird immer wieder diskutiert, von dass die bisherige Preisdynamik nachlässt. welchen Faktoren Immobilienzyklen an sich Solange die ökonomischen Rahmenbedin- getrieben werden. Was ist wichtiger: Be- gungen sich nicht wesentlich verschlech- völkerungswachstum, urbane Anziehungs- tern und die Finanzierungskonditionen wei- kraft der Großstädte und Zuwanderung? terhin so günstig bleiben, ist nicht mit einem Oder fehlende Investitionsalternativen am Ende des Zyklus´ zu rechnen. Und selbst Kapitalmarkt? dann wird es vermutlich „nur“ zu einer Sta- BR: Zumeist ist es ein Zusammenwirken all bilisierung auf hohem Niveau kommen, mit dieser Gründe. Der Urbanisierungstrend, – regional unterschiedlichen – moderaten die Zuwanderung und die vergleichswei- Preisrückgängen. se günstigen Finanzierungsbedingungen führen zu einem Anstieg der Nachfrage. H von G: Welche Probleme sehen Sie der- Die mangelnden Investitionsalternativen zeit für die Immobilienbranche, nach 10 lassen die Renditechancen am Immobilien- Jahren Boom, dem, wie Sie sagten, „längs- markt ebenfalls attraktiv erscheinen. ten Aufschwung seit dem deutschen Wie- deraufbau“? H von G: Lassen Sie uns auch über die Rolle BR: Die Baubranche arbeitet am Limit ih- der Banken sprechen: Haben die Geldinsti- rer Möglichkeiten. Die Kapazitäten wurden tute wirklich etwas aus der Lehman-Pleite sehr stark ausgeweitet. Da aber die Fach- gelernt? kräfte fehlen, konnte dieser Sektor nicht BR: Die Mehrzahl der deutschen Institute mehr so schnell wachsen wie zum Beispiel musste dies zum Glück nicht im selben Maß in den 1990er-Jahren. Die gegenwärtigen wie die amerikanischen. Die Kreditvergabe Folgen sind Preissteigerungen und deut- im Immobiliensektor ist in unserem Land lich längere Fristen bei der Realisierung ge- – zumindest bis heute – kein Problem. Die planter Projekte. diesbezüglichen Standards, insbesondere in Bezug auf Eigenkapitalanforderungen, ha- H von G: Zur Zukunft: Werden die Preise für ben sich in den letzten Jahren nicht wesent- Wohnimmobilien weiter steigen? Oder sol- lich geändert. Die Zinsbindungsdauer – und len Kaufinteressenten hoffen und abwar- damit die Planbarkeit – hat sich sogar erhöht. ten, dass der Boom endet, weil dann die Preise sinken? H von G: Inwieweit können Banken die Immo- BR: Diese Frage kann niemand seriös beant- bilienzyklen über die Kreditvergabe steuern? worten. Ich persönlich erwarte – aus den BR: Ich sehe das nicht als Aufgabe der Ban- eben genannten Gründen – aber keine sig- ken an. Problematisch würde es erst, wenn nifikanten und schon gar keine flächende- die Kreditvergabestandards signifikant sin- ckenden Preisrückgänge. ken und das Volumen dieser Kredite stärker ansteigen würde. Die Politik hat aber in der 24 IMMOBILIENZ YKLEN

H von G: Die sogenannten Megacities sind BR: Gutgemeinte, aber falsche Förderin- weltweit Anziehungspunkte für die jünge- strumente wie das neue Baukindergeld ren Generationen. Was meinen Sie – geht helfen wenig. Eher sollte die Politik versu- damit der Trend, aufs Land oder an den Rand chen, den Anstieg der Baukosten zu dämp- der Städte zu ziehen, seinem Ende entge- fen, indem zum Beispiel die Bauordnungen gen? Gibt es eine Bewegung zurück in die vereinheitlicht werden oder bei den ener- großen Metropolen? getischen Vorschriften mit Zielvorgaben BR: Diese Einschätzung teile ich nicht ganz. gearbeitet wird, statt die konkret zu ver- Studien belegen, dass vor allem die 18 bis bauenden Materialien vorzuschreiben. Die 30-jährigen in die Städte ziehen, für die über größte Herausforderung mit der aller- 30-jährigen geht es, häufig nach der Fami- dings auch nachhaltigsten Wirkung ist die liengründung, wieder zurück aufs Land oder Ausweisung von neuem Bauland, welches in die Peripherie von Großstädten. bislang von den Kommunen sehr oft noch meistbietend versteigert wird. Das sollten H von G: Jüngere Menschen sind zunehmend die Gemeinden anders lösen. Denn steigen- nicht mehr in der Lage – auch aufgrund der de Grundstückspreise waren und sind der besprochenen Regulierungsmaßnahmen größte Preistreiber. – mit ihrem Gehalt den Kauf einer Immo- bilie zu finanzieren. Allein mit dem eigenen H von G: Vielen Dank für das Gespräch. Verdienst können sie nicht mehr genug an- „Steigende G­ rundstückspreise sparen, um die von den Banken geforderte waren und sind der größte Eigenkapitalquote aufzubringen. Werden in Preistreiber.“ Zukunft also nur noch reiche Erben Woh- nungen und Häuser erwerben können? BR: Bei der aktuellen Preisentwicklung muss man dies, wenn auch etwas überspitzt, leider mit „Ja“ beantworten. Die jüngeren Jahr- gänge dürften in Bezug auf Immobilienbesitz zu einer verlorenen Generation werden. H von G: Wie kann die Politik hier gegen- steuern? Was kann getan werden, damit jüngere Kaufinteressenten ohne ererbtes Vermögen nicht zunehmend an der hohen Eigenkapitalquote scheitern? 25





Büroturm an der Nymphenburger Straße Vorherige Doppelseite: Piazza der Nymphenburger Höfe QUARTIERSENTWICKLUNG NYMPHENBURGER HÖFE MÜNCHEN Innerstädtischer Wohnungs- und Bürobau im großen Maßstab ist Adresse Nymphenburger Straße 10–12 / Sandstraße 6 | München-Maxvorstadt in München nur möglich, wenn Unternehmen ihre Produktions­ Bauherr Nymphenburger Höfe Grundstücksgesellschaft mbH & Co. KG standorte in der Stadt aufgeben und ihre Flächen frei werden. Wo Initiator Optima-Aegidius-Firmengruppe einst Bier gebraut wurde, konnten so um 2010 die Nymphenburger Architekten Steidle Architekten (Masterplan), Maier Neuberger Architekten, Höfe als neues innerstädtisches Quartier entwickelt werden. Mit Henchion Reuter Architekten einer Bruttogeschossfläche von 70.000 m² untergliedern sie sich Grundstück 6.330 m² in Büros, Ladenflächen und Wohnungen. Um in der verkehrsreichen Wohnfläche 8.640 m² Umgebung eine Oase der Ruhe zu schaffen, wurde dem Ensemb- Einheiten 110 le mit dem als „Piazza“ und Ort der Begegnung konzipierten, lang- Fertigstellung 2012 gestreckten Innenhof mit Brunnen und Gingkobäumen ein inneres Leistungsspektrum INVENTIO Projektkoordination inkl. Vermarktung Zentrum gegeben. Die Optima-Aegidius-Firmengruppe als Bauherr (Marktanalyse, Produktdefinition, Marketing, Vertrieb, Sonderwunsch­ der besonders hochwertig ausgeführten westlichen Hofseite be- management, Bemusterung) auftragte die damals neu gegründete Inventio, für deren Konfigu- ration den Markt zu analysieren. Auf dieser Basis übernahm Inventio die Projektkoordination und vermarktete 110 Wohneinheiten auf der damals größten Baustelle Münchens. 28 QUARTIER SENT WICKLUNG

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Fassadenabwicklung der Wohnhäuser auf der Westseite des Innenhofes, entworfen von den Büros ­Steidle A­ rchitekten, Maier Neuberger ­Architekten und Henchion + Reuter Folgende Doppelseite: Luftbild der Nymphenburger Höfe, im dreieckigen Block in der Bildmitte gelegen 30 QUARTIER SENT WICKLUNG

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QUARTIERSENTWICKLUNG DAS MÜNCHNER DILEMMA Ein Gespräch über Qualität in der Bauträger-Architektur und die Herausforderungen bei der Entwicklung neuer Quartiere mit Dr. Ulf D. Laub und Dr. Jens C. Laub, Optima-Aegidius-Firmengruppe „W ir hatten als einzige H von G: Wir treffen uns hier in den Rede. Kinder spielen hier wohl eher selten, den Mut, das gesamte Nymphenburger Höfen – einem gemischten und das Wasserbecken ist abgelassen. Wo Gelände zu übernehmen.“ Ensemble mit Wohnungen, Büros, Arztpra- sehen Sie die Gründe, dass das, was sich auf xen und Läden, das die Optima-Aegidius-Fir- dem Papier so schön anhört, in der Praxis mengruppe vor rund 10 Jahren gebaut hat. kaum funktioniert? Die Nymphenburger Höfe sind ein Beispiel JL: Da sehe ich die Verantwortung stark bei für eine der größten innerstädtische Quar- der Grünplanung. Hätten wir es selbst ent- tiersentwicklungen Münchens. Wie wurde scheiden können, wären wir mit dem Hof aus einem sehr großen, dreiecksförmigen ganz anders umgegangen. Realgrün hat sich Grundstück in der Maxvorstadt, auf dem Lö- wahnsinnig versteift auf eine aus unserer wenbräu früher Bier in Flaschen und Fässer Sicht sehr brachiale, steinerne Hofsituation. gefüllt hat, das heutige gemischte Wohn- Man hätte es freundlicher gestalten kön- und Büroquartier? nen, humaner. JL: Die damaligen Eigentümer hatten in den 1990er-Jahren beschlossen, das Areal zur H von G: Wie sind Sie dann nach Abschluss Neubebauung freizugeben, nachdem die des Masterplans zu dem noch unbebauten Produktion aus der Stadt heraus verlagert Grundstück gekommen? Da war der Master- worden war. Doch vergingen erst einmal 15 plan ja bereits beschlossene Sache. Jahre, um hier einen Masterplan für die Be- UL: Die Eigentümer hatten sich entschie- bauung festzuschreiben. den, nicht selbst als Bauherr tätig werden UL: Ein für innerstädtische Projekte dieser und verkaufen zu wollen. Unser Vorteil ge- Größe durchaus üblicher Zeitraum. genüber den Mitbewerbern war, dass wir als einzige den Mut hatten, das gesamte H von G: Für die Entwicklung dieses Master- Gelände zu übernehmen. Andere Bauträger plans wurde ein Wettbewerb ausgeschrie- wollten das Areal gemeinsam kaufen und ben, den das Münchner Büro Steidle Archi- aufteilen. Das erwies sich als sehr kompli- tekten 2003 gewonnen hat – das war Jahre, ziert, und so haben sich die Eigentümer für bevor Sie das Areal gekauft haben. Wie se- uns entschieden. hen Sie rückblickend diesen Masterplan, der das Dreieck durch eine mittlere Achse struk- H von G: Sie haben dann beim Bau mit dem turiert? Bürotrakt an der Nymphenburger Straße UL: Die Grundidee ist, dass man von der begonnen, der schon fertig war, als für die Nymphenburger Straße aus eine ins Innere Wohnungen gerade einmal die Baugruben gelegte, italienisch anmutende „Piazza“ be- ausgehoben wurden. Warum? tritt. Die Architekten orientierten sich dabei JL: Weil wir die Bürogebäude schon an die an den Uffizien von Florenz mit ihrem lang- Generali-Versicherungen verkauft hatten. gestreckten Innenhof. Dadurch hatten wir überhaupt erst das Ka- pital für den Wohnungsbau. H von G: Den Wettbewerb für den Master- plan haben Steidle Architekten gemeinsam H von G: Die Wohnbauten wurden von un- mit den Landschaftsarchitekten Realgrün terschiedlichen Architekten geplant … gewonnen, die dann auch für die Gestal- JL: Richtig, das war eine vernünftige Vorga- tung des Innenhofs verantwortlich waren. be der Stadt. So haben wir Maier Neuberger Auf deren Webseite ist von „Kinderspiel“ und Henchion + Reuter aus Berlin mit ins und „angenehmem, südlichen Flair“ die Boot geholt. 35

H von G: Dennoch fällt auf, dass der west- sie beispielsweise in Berlin existiert. Berlin „In München wird zu viel liche Riegel sehr viel mehr Qualität hat hat einen ganz anderen architektonischen langweilige Schuhschachtel­ als der östliche. Die Bauwelt schrieb dazu Anspruch, und man verdient dort trotzdem architektur errichtet.“ 2012: „Eine Seite der neuen Bebauung ist Geld, obwohl die Kaufpreise um 20–30% sorgfältig detailliert, die andere ist, vor al- niedriger sind. lem in Anbetracht der Preise, die hier für die Eigentumswohnungen verlangt werden, H von G: Wenn Sie nun trotzdem auf der sorglos hingerotzt.” Wie kommt es zu die- Westseite der Nymphenburger Höfe schöne ser Diskrepanz? Details wie bronzene Türen verbaut haben, UL: Wir haben noch vor Baubeginn den ist das dann bloße Liebhaberei? östlichen Teil des Areals an einen anderen JL: Ja, andere lachen uns vermutlich aus, Münchner Bauträger verkauft. 400 Woh- weil wir einen hohen Trading-Up-Prozess nungen alleine zu bauen, war uns ein zu vollzogen haben in der Qualitätsgestaltung, hohes Risiko – immerhin war es damals die ohne damit höhere Preise zu erzielen. Man größte innerstädtische Baumaßnahme in konnte ja seine minderwertige Architektur München. Wir hätten zu viel Eigenkapital auf der anderen Seite des Hofes zum selben gebraucht. Da kommt man zwangsläufig Preis verkaufen. Also ja, wenn sie so wollen, auf den Gedanken, die Risiken zu verteilen. ist es Liebhaberei. Wir haben aber auch eine JL: Aber in der Folge hat sich dieser Bauträ- städtebauliche und kulturelle Verpflichtung ger über alle Vorgaben der Stadt hinwegge- in einer der schönsten Städte der Welt. Wir setzt. Es ist aus unserer Sicht sehr ärgerlich, sind auch so sehr erfolgreich und arbeiten dass man hier jede städtebauliche Qualität sehr profitabel. zugunsten des Profits über Bord geworfen hat. Die Preise waren dieselben wie bei uns, H von G: Wer wohnt heute in den Eigentums- aber im architektonischen Anspruch völlig wohnungen der Nymphenburger Höfe? banal, auch bewusst banal. Man hat die Ar- UL: Unternehmensberater oder Leute aus chitekten an die Leine gelegt und den eige- dem High-Tech-Bereich, die hier im erwei- nen Bauträgerstiefel durchgezogen – Woh- terten Umfeld arbeiten. nungsmassenproduktion eben. UL: Das zeigt sich auch an vielen Details. H von G: Wie sieht es mit der Lebensrealität Deshalb ist dem Artikel aus der Bauwelt in diesem neuen Ensemble aus? Sind Woh- nichts hinzuzufügen. Von den Fassaden nen und Arbeiten, wie es heute oft gefor- über die Jalousien in die Eingangsbereiche dert wird, hier näher zusammengerückt? und Treppenhäuser bis zu den Wohnungen JL: In der Theorie ist eine räumliche Nähe selbst sehen wir hier eine Aldisierung des zwischen Arbeit und Wohnen sicherlich opti- Wohnens zu Feinkost-Käfer-Preisen. Ein Bei- mal. Wer aber heute in den Nymphenburger spiel: An den Balkonen gab es nur die Kabel Höfen arbeitet, kann sich im Regelfall das für die Beleuchtung. Jeder Käufer hat sich Wohnen hier nicht leisten. Die vermieteten im Baumarkt dann seine eigene Lampe be- Eigentumswohnungen, die wir für die Käufer sorgt – dementsprechend sieht es jetzt aus. verwalten, liegen preislich zwischen 17 und 25 Euro netto kalt den Quadratmeter. Bei H von G: Hat der geringe architektonische solchen Preisen wohnen die hier in den Büros Anspruch nicht auch etwas mit der Marktsi- Beschäftigten in der Regel in der Peripherie. tuation zu tun? UL: Das sehen wir auch in unserem eige- UL: Sicher, da man so schwer eine Wohnung nen Büro hier in den Nymphenburger Hö- findet, können sich bestimmte Bauträger fen. Unsere Mitarbeiter wohnen teilweise auch ihre beliebige Architektur leisten. in Augsburg oder in Markt Schwaben, wo JL: Ja, das sehe ich als ein zentrales Prob- die Mieten bei 14 Euro liegen. Dementspre- lem: In München wird zu viel standardisierte chend lang sind sie täglich unterwegs. Die und wahnsinnig langweilige Schuhschach- Idee, dass Menschen am selben Ort wohnen telarchitektur errichtet. Das ist ein großes und arbeiten, ist aus meiner Sicht eine Illu- Dilemma. Wir haben hier nicht die archi- sion, übrigens auch in Berlin, wo wir eben- tektonische Vielfalt im Wohnungsbau, wie falls viel entwickeln. 36 QUARTIER SENT WICKLUNG

H von G: Ist das die Zukunft: Gutverdiener gebaut werden, dann gäbe es auch wieder wohnen in den Innenstädten, und alle an- billigere Wohnungen. Der Markt regelt alles. deren pendeln täglich dorthin, und somit UL: Wobei man sagen muss, dass sich, dank findet das gesellschaftliche Leben an weni- der Münchner Regularien, die sozialen Mili- gen großstädtischen Standorten statt, und eus hier in der Stadt durchaus noch vermi- zwar auf engstem Raum? schen. Dieses funktionierende Modell wird JL: Die Attraktivität innerstädtischer Ar- seit dem Stadtratsbeschluss von 1994 als beitsplätze ist einfach sehr hoch, nicht „Münchner Mischung“ bezeichnet. Damals zuletzt wegen des Images. Firmen, die haben sich Stadt und Bauträger darauf geei- dezentral angesiedelt sind, haben Rec- nigt, dass bei jedem Neubau eine „sozialge- ruiting-Probleme. „Ich arbeite in der rechte Bodennutzung“ einzuhalten ist. Nymphenburger Straße“ klingt einfach JL: Wenn Sie, wie hier in den Nymphenbur- besser als „Ich arbeite in Aschheim“. Beim ger Höfen, 400 Wohnungen bauen dürfen, Wohnen ist es nicht anders: Das günsti- müssen Sie rund 100 subventionierte Woh- gere Wohnen ist nur deswegen dezentral nungen bauen. Und so leben hier neben angesiedelt, weil in den Innenstadtberei- Käufern, die für ihr Penthouse 13.000 Euro chen das Wohnraumangebot komplett vom den Quadratmeter gezahlt haben, direkt Markt absorbiert wird. Sicher gibt es auch hinter uns städtische Beamte, Pflegekräfte viele Menschen, die gar nicht in der Stadt und Migranten mit einer Miete von 10 Euro wohnen möchten, aber der Druck ist den- den Quadratmeter, in demselben Quartier. noch gewaltig. Mit diesem Ansatz ist München schon im- UL: Das System funktioniert ja auf seine mer Vorreiter gewesen. Das ist die Basis Weise trotzdem: In München lässt sich alles für die gemischt genutzten Wohnquartie- vermieten, auch wenn die Miete an die Drei- re, wie sie in München entstehen. Wohl- ßig-Euro-Grenze heranrückt. standsghettos werden so auf eine intelli- gente Art vermieden. H von G: Wenn der innerstädtische Arbeits­ platz so gefragt ist, warum gibt es dann in den H von G: Dennoch hat München ein großes Innenstädten überhaupt noch ­Wohnungen? Problem mit dem Wachstum, das ange- JL: Weil sie sonst tote Städte haben wie in sichts des stetigen Zuzugs nötig wäre. Wie Amerika, das will ja zu Recht keiner. Eine oft passiert es eigentlich in einer Stadt wie Bürostadt wie Houston ist ab sechs Uhr München noch, dass wie hier eine große In- abends verwaist. Da sind alle in den Sub- dustriefläche für Wohnbebauung frei wird? urbs in ihren Villen oder Häusern. Genau UL: Schon relativ oft. Vergleichbare Fälle das macht ja München aus, dass es leben- waren das Rodenstock-, das Arri- und das dig ist. Auch in den USA gibt es dazu ja nicht Pfanni-Gelände – alles alteingesessene, umsonst eine aktive Gegenentwicklung. weiterhin existierende mittelständische Das sehen wir in Detroit, wo wir ebenfalls Unternehmen, die ihren Standort aus der aktiv sind. Hier steppt mittlerweile auch im Stadt herausverlagert haben. Wir haben alten Downtowndistrict der Bär, weil die gerade das Gelände der HAWE-Hydraulik jungen Leute nicht mehr in den Retorten- gekauft und in die New Eastside Factory städten der Suburbs leben wollen. Solche Lofts umgewandelt. Eine solche Nachver- Entwicklungen müssen Stadtplaner heute dichtung ist ja auch die einzige Chance für im Auge haben. München, das sonst keine Möglichkeiten hat, sich zu entwickeln. H von G: Aber wenn es sich kein normal ver- JL: Dennoch stehen wir hier vor dem Di- dienender Mensch mehr leisten kann, in ei- lemma, dass es bald keine verfügbaren ner Innenstadt zu wohnen, ist sie auch nicht Flächen mehr geben wird. Die Umlandge- mehr lebendig. meinden lassen keinerlei Zuwachs zu. Mün- JL: Nun ja, was heißt nicht lebendig? Bewoh- chen muss also dringend Orte innerhalb der ner sind ja da, es gibt ja genug Menschen, die Stadt finden, an denen es höher und dichter es sich leisten können. Wenn es zu teuer werden kann. wäre und dann leer stünde, würde es nicht 37

H von G: Wartet man also darauf, dass auch der Politik entstanden, nicht wegen der Po- „Darum geht es immer noch die letzten in der Stadt produzieren- litik. Wenn ich höre, dass die Leute in Berlin in München: auf einer den Unternehmen hinausziehen? klagen, dass der Prenzlauer Berg so eine sehr begrenzten Fläche JL: Nein, das ist keine Lösung. Ein Betrieb, hohe Anziehungskraft hat und die Mieten miteinander klarzukommen.“ der München verlässt, geht auch als Gewer- steigen, oder dass es vor ihrer Haustür zu besteuerzahler verloren. Die Stadt muss laut ist, habe ich immerhin noch die Option, also permanent den Spagat schaffen zwi- mir woanders in der Stadt eine Wohnung schen dem Halten von Gewerbesteuerzah- für 10 Euro den Quadratmeter zu suchen. In lern und dem Bau neuen Wohnraums. München können Sie nicht umziehen. Berlin UL: Eine Stadt kann nicht alles für das Woh- ist die Stadt mit der höchsten theoretischen nen vorhalten. Sie muss darauf achten, dass Wachstumsdynamik. Wenn die Politik das sie die Mischung hält, von der sie lebt. Da- erst einmal umsetzt, kann sich München rum geht es immer in München: auf einer warm anziehen. Hier ist zwar das Wachs- sehr begrenzten Fläche miteinander klarzu- tum da, aber wir können es baulich nur noch kommen und alle Themen korrespondierend schwer umsetzen. Berlin hat nur „Schein- zu bedienen. wachstum“, aber könnte vieles absorbieren, was München nicht mehr stemmt. H von G: Wie sehen Sie demgegenüber die Situation in Berlin? H von G: Vielen Dank für das Gespräch. JL: Vollkommen anders – dort gibt es schier unendliche Flächenressourcen. Aber Berlin steht sich politisch ständig selbst im Weg. Der Erfolg Berlins ist aus meiner Sicht trotz 38 QUARTIER SENT WICKLUNG



ARCHITEKTONISCHE QUALITÄT JOHANNIS 3 BERLIN In einer architektonisch und städtebaulich unterentwickelten Ge- Adresse Johannisstrasse 3 | Berlin-Mitte gend direkt vis á vis vom traditionsreichen Tacheles-Areal sticht Bauherr Euroboden GmbH das Projekt in seiner Qualität heraus. Jürgen Mayer H.`s originelle Architekten Jürgen Mayer H. und Partner Neuinterpretation des Berliner Stadthauses ging aus einem Wett- Grundstück 1.025 m² bewerb hervor, an dem u.a. auch Kuehn Malvezzi und Max Dudler be- Wohn-/ Gewerbefläche 3.200 m² teiligt waren. Wie ein Kleid hat Jürgen Mayer H. eine geschwungene Einheiten 26 Form aus vertikalen Aluminiumlamellen über das Haus geworfen Fertigstellung 2012 und es damit in eine Skulptur verwandelt. Die Lamellen aus com- Leistungsspektrum INVENTIO Vermarktung putergenerierten Formen sorgen gleichzeitig für einen angeneh- men Filter: Sie schützen vor Einblicken und direkter Mittagssonne, lassen aber ein Maximum an Tageslicht ins Innere. Die Wohnungen orientieren sich in Süd-West-Ausrichtung zum begrünten Hof, groß- zügige Übergänge zu den Balkonen und Terrassen schaffen intensi- ve Verbindungen zwischen innen und außen. Der Entwurf spielt auf mehreren Ebenen mit dem Thema „Landschaft“: Dies betrifft die Gestaltung der Fassade, den terrassierten Garten und das Spiel mit differenzierten Ebenen in den Wohnungen, das spannende Raum- folgen und innere Wohnlandschaften erzeugt. Fassade mit Metalllamellen nach Entwurf von Jürgen Mayer H. an der Johannisstraße, Berlin-Mitte 40 ARCHITEK TONISCHE QUALITÄT



Wohnraum und Bad in der Johannis- straße mit Blick auf das Baustellen­ gelände am Tacheles nächste Seiten: Johannisstraße, Patio zwischen Vorderhaus und ­S­eitenflügel und Fassadendetail 42 ARCHITEK TONISCHE QUALITÄT

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ARCHITEKTONISCHE QUALITÄT „WENN ES BEIGE IST, FUNKTIONIERT ES MEISTENS GUT.“ Ein Gespräch über Wohnungsbau im Spannungsfeld von Architekt, Bauträger und I­mmobilienmarketing mit Peter Cachola Schmal (Deutsches Architekturmuseum), Jürgen Mayer H. (Architekt, Berlin) und Stefan Höglmaier (Euroboden) „Ein guter Wohnungsbau H von G: Kann man definieren, was guten PCS: Mit den flexiblen Wandsystemen ist es steht auch nach 10, 20, 30 Wohnungsbau ausmacht? Welche Kriterien in der Tat so eine Sache. Es gibt diese schö- oder 40 Jahren noch da gibt es da? ne Geschichte von Mies van der Rohe, der und ­leistet seine Arbeit, Stefan Höglmaier: Ich fange mal an: Wie für seine Wohnhochhäuser in Chicago ein er ist weder ­runtergewohnt wirkt ein Gebäude im Stadtraum? Wie bin- wahnsinnig flexibles Wandsystem erfun- noch materiell ermüdet.“ det es sich in die Umgebung ein? Oder, wenn den hat. Nun ist dieses aber kein einziges Mal es das nicht tut, steht da eine bewusste Ent- verändert worden. scheidung dahinter? Gibt es überhaupt eine Ich möchte noch ein weiteres Qualitätskri- übergeordnete Idee, warum die Architek- terium ergänzen, und zwar die bauliche und tur an dieser Stelle so steht wie sie dann da handwerkliche Güte: Ein guter Wohnungs- steht? Und dann natürlich: Wie funktioniert bau steht auch nach 10, 20, 30 oder 40 Jahren ein Gebäude im Alltag? Wie durchdacht sind noch da und leistet seine Arbeit, er ist weder die Grundrisse, wie sind die Blickbeziehun- runtergewohnt noch materiell ermüdet. gen? Wie intelligent sind die Fenster ange- Jürgen Mayer H.: Ich würde gute Wohn- ordnet, wie gut die Räume belichtet, wie an- architektur mit folgenden Kategorien be- genehm die Raumhöhen? Sicher spielt auch schreiben wollen: Zuerst der Kontext. Wie eine hochwertige Ausstattung eine Rolle, verhält sich ein Neubau zum öffentlichen aber meiner Meinung nach wird das Thema Raum? Belebt er den Straßenraum und die im Immobiliengeschäft überstrapaziert. Nachbarschaft? Ein guter Wohnungsbau Peter Cachola Schmal: Ich würde noch ein muss für mich etwas Neues an einen Ort ganz wesentliches Kriterium ergänzen wol- bringen, also einen Impuls für die Leben- len: Guter Wohnungsbau muss flexibel sein. digkeit der Umgebung bedeuten. Und dann Nehmen wir mal die Räume, in denen wir hier die Flexibilität, in Bezug auf zukünftige gerade sitzen: Eine Altbauwohnung in der Veränderungen. Flexibilität muss nicht un- Nähe vom Savignyplatz in Berlin. Nun dient bedingt heißen, dass man überhaupt bau- sie heute aber nicht mehr als Wohnung, lich eingreift: Wir realisieren gerade einen sondern als Büro von Jürgen Mayer H. Die- Wohnungsbau in der Pappelallee in Ber- se Räume waren eine gute Wohnung, heute lin-Prenzlauer Berg. Dort gibt es ein vielfäl- geben sie aber auch ein gutes Büro ab. Und in tiges Angebot von der Mikro- bis zur Fünf- der Zukunft kann hier wieder etwas anderes zimmerwohnung in einem Hausabschnitt sein – die Struktur ist tauglich für alles Mög- oder sogar auf einer Etage. Das heißt, wenn liche, sicher auch für Zwecke, von denen wir sich die Lebensrealitäten zweier Parteien heute noch gar nichts wissen. Ich finde es verändern, werden sie im selben Haus um- wichtig, dass eine Wohnung nicht zu präzise ziehen und tauschen können – ohne großen auf eine ganz bestimmte Klientel ausgerich- baulichen Aufwand. tet ist. Nichtflexibilität ist ein wesentlicher Grund, wenn Leute ausziehen müssen. H von G: Nun ist es ja so, dass in den Städ- SH: Das kann ich nur unterstreichen. Trotz- ten ein großer Teil der neuen Wohnungen dem möchte ich mit einem Missverständnis von Bauträgern und Projektentwicklern aufräumen: Flexibilität wird oft so inter- geschaffen wird. Wie prägt das den Woh- pretiert, dass die Struktur eines Gebäudes nungsbau? beliebig veränderbar sein soll. Grundrisse SH: Das Bauträgermodell bringt schon be- müssen aber nicht beliebig veränderbar sein, stimmte Charakteristika mit sich. Es wird für sondern vielmehr so durchdacht und damit einen Nutzer geplant und entschieden, den belastbar, dass sie nutzungsflexibel sind. man noch nicht kennt. Das geht schon beim 47

Beauftragen der Architekten los, also dem te in Berlin beispielsweise sind von ambiti- „Ich wundere mich immer wieder, kreativen Part, und zieht sich dann durch die onierten Architekten gebaut worden? Ein wie anspruchslos die Mieter und ganze Planungsphase durch. Leider führt Projekt wie der „Sapphire“ von Daniel Libes- Käufer in Deutschland sind.“ das oft zu sehr standardisierten Ergebnis- kind an der Chausseestraße bleibt doch die sen. Das ist etwas ganz anderes, wenn wir Ausnahme. Mit der Masse des Gebauten hat den Bauherrn eines Einfamilienhauses neh- das wenig zu tun, oder? men, der sehr bewusst mit seinem Architek- SH: Ich erschrecke eher, wie häufig nam- ten Entscheidungen für jedes Detail getrof- hafte Architekten an schlechten Projekten fen hat. Da kommt er in der Summe zu einem beteiligt sind. Mit deren Namen dann auch ganz anderen Ergebnis und zu einer höheren geworben wird. Da hat sich eine bestimmte Identifikation. Vorgehensweise etabliert: Bauherren wis- PCS: Naja, ich würde mal kess behaupten, sen, dass es aufwendig ist, anspruchsvolle dass die erfolgreichsten Wohnungen, die Architektur zu produzieren, es macht die wir in der westlichen Welt kennen, alle- ganze Geschichte definitiv teurer, teurer, samt von Bauträgern errichtet wurden: Das teurer. Namhafte Architekten werden also sind die Altbauwohnungen aus der Zeit um nur mit dem Entwurf beauftragt, nicht mit 1900. Die Architekten hatten damals kaum den folgenden Leistungsphasen. Das führt Mitspracherecht – eigentlich das totale In- dann dazu, dass gute Architektennamen mit vestorenmodell. Ein Bauträger, der in der Projekten verbunden sind, die bei Weitem Gründerzeit an den neuen Stadtvierteln nicht das Niveau besitzen, das man mit ih- mitbaute, hatte z.B. ein Grundstück, auf das nen verbindet. Aber Sie haben schon recht, 15 Achsen passten. Dann hat er zum Archi- vieles wird auch einfach von Dienstleistern tekten gesagt: „Hier kommen drei Achsen gebaut, die alles machen, was der Bauträger hin, das Treppenhaus rechts, das nächste möchte, und es irgendwie so hinbiegen, dass Haus kriegt fünf Achsen, das Treppenhaus Bauzeit, Kosten und Gestaltung im Rahmen kommt nach hinten“ und so weiter. Und die bleiben. Und das funktioniert, weil die Käu- ganze Innenausstattung kam von der Stan- fer zu unkritisch sind und auf die falschen ge. Dass sich so etwas als die erfolgreichste Kriterien achten. Verwirklichung von Wohnungsbau etabliert JMH: Ich denke, dass bei vielen Investoren hat, ist schon kurios. und auch Käufern Sicherheit eine zentrale Rolle spielt – ich kaufe etwas, was ich schon H von G: Wie viel Einfluss hat denn der Ar- kenne, weil ich es schon irgendwo anders chitekt heute auf Bauträgerarchitektur? gesehen habe. Wenn es beige ist, funktio- JMH: Das meiste, was in diesem Bereich ge- niert es meistens gut. Noch mal etwas zu baut wird, würde ich, auch wenn vielleicht den hohen Kosten, von denen Stefan Högl- Architektennamen dahinterstehen, nicht maier gerade gesprochen hat: Die Bauindus- unbedingt als Architektur bezeichnen. Für trie ist unglaublich erfolgreich darin, durch mich ist das Bauen, mit wenig kreativem En- Lobbyarbeit überzogene Standards durch- gagement. Ich wundere mich immer wieder, zusetzen, die der Gestaltung kaum noch wie anspruchslos die Mieter und Käufer in Freiraum lassen. Das treibt die Baukosten Deutschland offenbar sind. Blickt man nach enorm in die Höhe. Frankreich, Dänemark oder Holland, reibt SH: Trotzdem kostet das Bauen und Planen man sich die Augen, wie viel höher das Ni- einfach eine ganze Ecke weniger, wenn ich veau und wie viel größer die Neugier auf in- mir den guten Architekten spare. Nicht nur dividuelle zeitgenössische Architektur dort von der Planungsseite, sondern auch von ist. Ich habe noch nicht richtig herausbe- den Baukosten. Es ist natürlich eine andere kommen, warum wir in Deutschland so eine Nummer, wenn der Generalunternehmer geringe Gestaltungserwartung haben und nicht an eine Detailplanung gebunden ist, damit unsere Städte kaputtmachen. sondern ein Geländer nach eigenem Gusto so gestalten kann, dass es den Vorschrif- H von G: Liegt das auch daran, dass Bauträ- ten entspricht und es wurscht ist, wie es ger zu selten gute Architekten beauftragen? aussieht. Das ist so eklatant viel günstiger, Wie viele der großen Wohnungsbauprojek- dass es sich natürlich im Quadratmeterpreis 48 ARCHITEK TONISCHE QUALITÄT

bemerkbar macht. Und der Bauträger muss wir auch kein Problem mit Gentrifizierung. den Käufern diese höheren Kosten ja ver- Das ist ja eine sehr zynische Haltung der Be- mitteln. Aber die schauen immer nur auf die hörden. Lage und die Ausstattung. Den Unterschied SH: So wird aber tatsächlich argumentiert: zwischen dem Nichtarchitektenhaus und Setzt man Leuchtturm-Architekturen in dem Architektenhaus sehen sie nicht. Sie ein Stadtviertel, bestünde die Gefahr, dass vergleichen nur Renderings, die alle ähnlich auf Kommune und Investor mit dem Finger aussehen, und die Ausstattung – bodentie- gezeigt wird. Die Behörden haben Angst fe Fenster, Parkett, Designfliesen – und die vor öffentlicher Erregung. Nullachtfünf- ist auch gleich. Und dann kostet das eine zehn-Häuser sind hingegen schnell verges- wegen einem Architektennamen, den man sen. So wurde mir das schon auf höchster vielleicht irgendwann mal gehört hat oder kommunaler Ebene vermittelt. auch nicht, 10 Prozent mehr. Das ist erst JMH: Das ist interessant, wenngleich ich in einmal eine Riesenhürde, weil der durch- verschiedenen Städten andere Erfahrun- schnittliche Käufer schwer einschätzen gen gemacht habe: Nach meinem Wissen kann, ob das Haus oder die Wohnung auch ist der Auftrag einer Behörde weniger die 10 Prozent oder vielleicht sogar 20 Prozent Gestaltung, sondern die Einhaltung der mehr wert ist. Im Zweifel geht er doch lie- Regeln. Trotzdem führen wir interessierte ber auf Nummer sicher und kauft das etwas und spannende Gespräche bei unseren vor- günstigere Produkt. geschlagenen Projekten. Das Interesse am JMH: Aber Stefan, was machst Du jetzt an- Entwurf und an der Konzeption der Gestal- ders als die anderen? Du hast mit Euroboden tung ist groß, auch wenn es nicht unbedingt ja ein erfolgreiches Modell entwickelt. War- ausschlaggebend für die Genehmigungsfä- um wird es dann nicht von anderen kopiert higkeit des Projektes ist. Die Ausnahme sind und alle bauen so interessante und gestal- natürlich städtebaulich wichtige Bauvorha- terisch anspruchsvolle Häuser wie Ihr? ben oder Gebiete mit Gestaltungssatzung, SH: Wir verdienen unser Geld nicht über die wo dann manchmal auch ein Wettbewerb schönen Häuser, sondern über die Projekt- von Seiten der Stadt gefordert wird. entwicklung, über die Baurechtschaffung. PCS: Die Aufgabe der Behörden liegt ja Mit der Umsetzung verdienen wir kein Geld. auch woanders. Sie müssen darauf achten, PCS: Moment mal, Sie verdienen Ihr Geld mit dass die soziale Mischung in einem Quar- der Schaffung des Baurechts? Nützen Ihnen tier erhalten bleibt. Das heißt, dass sie zum die guten Entwürfe nicht bei Verhandlun- Beispiel die Bauträger zwingen müssen, ei- gen mit den Kommunen? Die müssten doch nen bestimmten Prozentsatz an sozialen an einem Bau von Jürgen Mayer H. mehr In- Wohnungen und Mittelstandsförderung zu teresse haben als an einer Standardlösung. schaffen. In München gibt es das sogenann- SH: Ja, so stellt man sich das vor. Manch- te „München Modell“, in Frankfurt haben mal ist es auch so. Aber oft sagen mir Leute wir jetzt etwas Ähnliches, bei jeder neuen vom Baudezernat: „Ehrlich gesagt hätten Wohnanlage sind 20 Prozent sozialer Woh- wir es lieber, wenn Sie so eine Nullachtfünf- nungsbau und 20 Prozent Mittelstandsför- zehn-Bude planen würden wie die Konkur- derung Pflicht. So können Kommunen eine renz. Die können wir schnell durchwinken, Gegend doch viel besser beeinflussen. und da haben wir nicht so viel Angriffsflä- che, was da wieder für ein tolles – und da- H von G: Welche Rolle spielt innovative, mit teures – Haus entsteht.“ Da ist Euro- spannende Architektur, die sich, wie wir boden dann in der Öffentlichkeit der ganz gesehen haben, ja schon im hochpreisigen böse Gentrifizierer. Man scheint zu denken: Segment schwertut, im Bereich der Wohn- Je schlechter wir die Stadt machen, umso architektur für die breite Masse oder gar weniger attraktiv ist sie und umso geringer im sozialen Wohnungsbau? Die Wohnungs- wird die Nachfrage. baugesellschaft Berlin-Mitte GmbH (WBM) PCS: Das heißt also, bauen Sie bitte etwas plant derzeit mit dem bekannten Architek- Mittelmäßiges, dann wird die Gegend nicht turbüro Barkow Leibinger ein Ultraleicht- so toll. Und wenn sie nicht so toll ist, haben beton-Hochhaus in Berlin-Friedrichshain. 49

Wie oft kommt es zu einer solchen Zusam- H von G: Wir haben jetzt davon gesprochen, „Günstige Wohnungen gehen menarbeit mit dem Ziel, bezahlbaren und welchen Einfluss auf den Wohnungsbau und nur über günstige Grundstücke. zugleich architektonisch anspruchsvollen die architektonische Qualität Bauträger und Die Baukosten spielen eine Wohnraum zu schaffen? Kommunen haben. Welche Rolle spielen in u­ ntergeordnete Rolle.“ PCS: Die WBM bemüht sich generell um ar- diesem Kontext die Makler – oder das Immo- chitektonische Qualität … das ist ja auch bilienmarketing? ein guter Ansatz. Oft werden auch die Bau- PCS: Wir haben gerade in Frankfurt einen gruppen gepriesen. Aber sie tragen in sich interessanten Fall: der Grand Tower, ein immer noch das Risiko der Spekulation: In Wohnturm im Europaviertel, der 2019 fertig- Berlin etwa haben sie vom Senat vor Jahren gestellt wird. Die Wohnungen sind zu 40 bis günstiges Bauland bekommen und konnten 50 Prozent an ausländische Investoren ver- Wohnungen für 2.000 Euro pro Quadrat- kauft worden. Jetzt besteht die Angst, dass meter realisieren. Jetzt verkauft mancher das Haus eine riesige leerstehende Immobilie Schlaumeier sie für 6.000 Euro. Am besten sein wird, welche die Stadt Frankfurt und ihre sind Genossenschaften, der Grund und Bo- Stadtplanung, aber auch den Ruf der Hoch- den bleibt in Erbpacht. Die Mitglieder kom- häuser und das Image des Europaviertels men und gehen, aber die Genossenschaft schwer schädigt. Wie ich hörte, war es der bleibt. Spekulation ist ausgeschlossen. In Makler, der dem Bauherrn gesagt hat: „Pass einem solchen Kontext kann man sich auf auf, wir gehen direkt in den chinesischen Wohnen für alle konzentrieren – mit guten Markt, wir haben die Verbindungen, und da Architekten. Es könnte ein neues und inte- brauchen wir diese und jene Art von Woh- ressantes Experiment sein, wenn Bauträger nungsgröße, so kannst Du viel höhere Qua- mit Genossenschaften etwas planen. Das dratmeterpreise herausholen.“ Jetzt reden fände ich einen Weg, um bezahlbaren Woh- wir von 15 oder 20.000 Euro pro Quadratme- nungsbau in die Stadt zu kriegen, der nicht ter. Sicher hat der Bauherr sich da nicht groß spekulativ ist. gewehrt, am Ende haben beide mehr daran SH: Ich glaube, dass die Wohnungsfrage verdient, das war ja der Sinn der Sache … eine politische Frage ist. Alle sind darauf SH: Das kann man aber auch anders sehen. angewiesen, dass sie günstige Grundstücke Der Vertrieb sollte schon ein gehöriges bekommen. Der Erwerb von Grund und Bo- Wort mitzureden haben. Ich rede von Ver- den macht heutzutage den Löwenanteil der trieb, weil der Makler mit bestehenden, der Gesamtkosten aus. Günstige Wohnungen Vertrieb mit projektierten Immobilien ar- gehen nur über günstige Grundstücke. Die beitet. Wenn jemand 50 oder 100 Millionen Baukosten spielen eine untergeordnete Rol- in ein Projekt investiert, dann sollte er sich le. Das ist die Aufgabe der Politik: Wie kann die Meinung des Vertriebs anhören, was man günstige Grundstücke in der Stadt zur das beste Produkt am Markt wäre und wel- Verfügung stellen? che Preise für die Wohnungen aufgerufen PCS: Die Städte müssen die zulässige Dich- werden können. Natürlich hofft jeder Bau- te neu definieren. Selbst dann, wenn eine träger, dass der Vertrieb einen hohen Preis Stadt wie Berlin alle ihre Grundstücke ver- nennt, damit am Ende Geld verdient wird. kauft hat, kann sie trotzdem über das Pla- Nicht mehr Geld, sondern überhaupt Geld. nungsrecht massiv Einfluss nehmen. Sie Es ist ja nicht so, dass mit allen Projekten kann mehr Dichte und mehr Höhe zulas- Geld verdient wird. sen, sie kann Grundstückseignern verbie- ten, diese liegenzulassen, sie kann die Ge- H von G: Ist der Vertrieb für diese Rückmel- nehmigungsverfahren verkürzen. Das ist dung, was der Markt überhaupt verlangt, alles möglich. Städte, wie Barcelona oder nicht für alle anderen Beteiligten an einem Amsterdam packen das heute entschlossen Bau sehr wichtig? Architekten müssen doch an. Dort fängt man wieder an zu steuern beim Entwurf berücksichtigen, was die Käu- und ist sich bewusst, wieviel Macht man fer gerade suchen. Oder woher weiß man besitzt. In Berlin hingegen tut sich der Se- das als Architekt? nat sehr schwer. Die Stadt München agiert JMH: Nehmen wir einmal das Wohnhaus Jo- da wesentlich besser. hannisstraße 3 in Berlin-Mitte, das wir 2008 50 ARCHITEK TONISCHE QUALITÄT


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