deutsch Juli 2014 02/14 NordkoreaSpezial 1
V Vowrwo ort Nordkorea ist ein heikles Thema. Immer noch IMPRESSUM weiß man zu wenig darüber, alle Informationen, Website: www.k-magazin.com die man bekommen kann, sind aus zweiter Hand, E-Mail: [email protected] es sei denn, man wagt selbst die Reise. In den vergangenen Jahren sind wir oft, eher zufällig, an Redaktion/Editorial Sta : das Thema geraten. Wir haben Bücher darüber Esther Klung, Andrea Maag, Saskia Gerner, gelesen, Filme gesehen und mit Menschen gesprochen, die in Nordkorea waren oder sich für Franziska Meyer, Isabella Filla nordkoreanische Flüchtlinge einsetzen. Unsere Sonderausgabe hat eine Fülle dieser Begegnungen und Berichte zusammengetragen, doch auch wir werden kein vollständiges Bild dieses fremden Landes entwerfen können. Social Media Die Demokratische Volksrepublik Korea ist Twi er: twitter.com/kslnetwork eine kommunistische Diktatur, zumindest das Facebook: facebook.com/ColorsOf Korea ist Fakt. Das Land ist so sehr abgeriegelt, dass die YouTube: youtube.com/user/ColorsOf Korea gemeine Bevölkerung wohl nur ahnen kann, wie Tumblr: colorsofkorea.tumblr.com die Welt hinter den Grenzen aussieht. Der Staat Instagram: instagram.com/kslnetwork fordert Gehorsam, wer dies verweigert, landet mit Kind und Kegel in einem der angeblich nicht Layout: Isabella Filla existierenden Arbeitslager. Cover Foto: Jauke Huijer2
Wie leben die Menschen in so einem Land? vergessen mag, ist, dass man keiner GeschichteWovon träumen sie, worauf hoffen sie, welche gegenüber sitzt, sondern einem Menschen.Gedanken kreisen in ihrem Kopf? Auf diese Einem jungen Mann, der isst, redet, zuweilenund ähnliche Fragen versuchen wir, durch auf sein Handy blickt und mitunter sogar lächelt.Augenzeugenberichte Antworten zu finden. Genau dies versuchen die hier gesammelten Den endgültigen Entschluss, diese Ausgabe Artikel zu vermitteln: Es sind nicht nur bloßezusammen zu stellen, trafen wir, nachdem es uns Fakten, sondern Menschen, die hinter jedervor einigen Wochen möglich war, bei einem Treffen Geschichte stehen. Ein Land definiert sich übermit einem Flüchtling aus Nordkorea dabei zu sein. seine Geschichte, über die politische Führung undDas Gespräch, auch wenn wir an diesem nur passiv das Bild nach außen, doch es definiert sich auchbeteiligtwaren,hatinvielenMomentenbeeindruckt. über die Menschen, die in ihm leben und dieseMan kann versuchen, sich vorab vorzustellen, wie Menschen kennen wir kaum, wodurch uns auchso eine Begegnung läuft, wie der Mensch auf einen nur ein unvollständiges Bild Nordkoreas möglichwirkt und wie sehr das ihm widerfahrene Schicksal sein wird, bis das Land sich mehr gegen außensich in seinem Ausdruck abzeichnen wird. Es öffnen wird.ist schwer zu sagen, ob die vorausgegangenenErwartungen erfüllt wurden. Man sitzt einemMenschen gegenüber, der aus einer ganz anderenWelt kommt, mit einer fremden Mentalität in einemtotalitären Staat aufgewachsen ist. Was man vorab 3
GrußwortLiebe Leser , Foto: © Hannes Caspar was verbindet uns überhaupt mit Nordkorea? In denNachrichten und Zeitungen hören und lesen wir immer wiedervom absurden Verhalten des Diktators Kim Jong Un. Oder von derNot der Menschen, von Hunger und sogar Hinrichtungen. Aberwie sieht es überhaupt in Nordkorea aus? Wie leben die Menschendort? Als ich begonnen habe, mich mit diesen Fragen zu beschäftigen,ließ mich dieses Thema nicht wieder los. Ich konnte mir nur nachund nach ein Bild davon machen, wie der Alltag der Menschendort aussieht. Denn Informationen aus Nordkorea kann mannur auf sehr abenteuerlichen Wegen bekommen. Was ich erfuhr,berührte mich zutiefst. Vielleicht kennen einige von Euch ja schondie Geschichte von Shin Dong-hyuk, die unter dem Titel „Camp14“ verfilmt wurde. Er wurde in einem Arbeitslager geboren, mit 23Jahren gelang ihm schließlich die Flucht, erst aus dem Arbeitslager,dann aus dem Land. Solche Schicksale sind leider, seit Jahrzehnten,kein Einzelfall. Neben meinem Beruf als Schauspielerin engagiere ich michjetzt dafür, dass möglichst viele Menschen von der Situation derMenschen in Nordkorea erfahren. Denn, egal was ihr vielleichtgelesen oder gehört habt, es ist nicht unmöglich, den Nordkoreanernzu helfen. Seit ich das Team von K-Colors of Korea kennengelernt habeund erfahren habe, wie viele von Euch sich für Korea interessieren,bin ich zuversichtlich, dass auch aus Deutschland immer mehrHilfe für die Menschen aus Nordkorea kommen wird. Man solltenicht vergessen, dass die Geschichte Koreas und Deutschlandsviele Gemeinsamkeiten hat! Mein besonderer Dank geht an das Team von K-Colors ofKorea. Dafür, dass sie eine Ausgabe diesem Thema widmen undunseren Verein bei unserer Arbeit unterstützen. Ich wünsche Euch eine spannende Lektüre der aktuellenAusgabe, Eure Yvonne Yung Hee Bormann (Saram e.V. – Für Menschen in Nordkorea)4
Inhaltsangabe SPEZIAL 06.. Saram Für Menschen in Nordkorea 10...Camp 14 Shin Dong-Hyuks Schilderungen aus einem nordko- reanischen Arbeitslager 12...Nordkorea – ein Land, das in der Ver- gangenheit lebt Interview mit Jauke Huijer, die mit ihrem Sohn nach Nordkorea reiste 20...Wo die Geschichte noch Gegenwart ist... Ein Ausflug in das Grenzgebiet zwischen Nord- und Südkorea LITERATUR 24... Pjöngjang Beeindruckende Graphik Novel von Guy Delisle 26... Im Dienst des Dikators von Ingrid Steiner-Gashi und Dardan Gashi 27... Architekturführer Pjöngjang von Philipp Meuser 28... Nichts zu neiden? Barbara Demick über ihr Buch “Die Kinogänger von Chongjin” 30... Kim und Struppi Von Atomraketen und regenbogenfarbenen Wasser- rutschen 34... Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Pulitzer-Preis 2013 36... Nordkorea Einblicke in ein rätselhaftes Land 5
Saram Für Menschen in Nordkorea Interview von Esther Klung; Bilder von Saram e.V. einerseits realistische, gut recherchierte Informationen in die Öffentlichkeit zu bringen und andererseits die„Saram“ heißt „Mensch“ – das Team des neugegründeten Situation der Menschen in Nordkorea wie auch derVereins „Saram“, der seinen Sitz in Berlin hat, engagiert Flüchtlinge nach Möglichkeiten zu verbessern.sich für die Menschen in Nordkorea. Dabei liegt ihr K: Ist jemand von euch bereits in Nordkorea gewesen?Hauptaugenmerk darauf, der breiten Öffentlichkeit Saram: Sagen wir mal so: Von den Mitgliedern vonInformationen aus diesem verschlossenen und für Saram war noch niemand in Nordkorea. Allerdingsviele mysteriösen Land zukommen zu lassen. Einmal stehen wir im Austausch mit mehreren Personen,im Monat werden daher die „Notizen zu Nordkorea“ die schon dort waren. Zudem ist im letzten Jahrveröffentlicht. Darüber hinaus setzt der Verein auf ein Netzwerk aus Organisationen entstanden, dieZusammenarbeit, bereits jetzt hat er sich mit diversen ihre Informationsmöglichkeiten und Kontakteinternationalen Organisationen zusammengeschlossen, zusammengelegt haben. Eine weitere gute Methode,die sich ebenfalls für die Menschenrechte in Nordkorea um zu realistischen Einschätzungen und Informationenengagieren, berichten und helfen. In unserem Interview zu kommen, sind die Informationen, die man von dengeben uns Yvonne Young Hee Bormann und Nicolai Flüchtlingen bekommen kann. Die beiden am meistenSprekels einen Einblick in ihre Arbeit. schockierenden Dinge sind einerseits die Tatsache,K: Ihr habt Saram erst vor kurzem gegründet – erzählt dass ein großer Teil der Bevölkerung an die absurdenuns von der Entstehungsgeschichte. Propaganda-Lügen des Regimes dogmatisch glaubt.Saram: Die Idee ist eigentlich schon vor zwei Jahren Zum anderen haben wir Gelegenheit gehabt, mitentstanden. Damals hatten zwei aus dem heutigen Team Überlebenden der Konzentrationslager in Nordkoreaeher zufällig Informationen zur Menschenrechtslage zu sprechen. Um die grausamen Details zu verdauen, diein Nordkorea bekommen. In den deutschen Medien wir in diesen Gesprächen erfahren haben, brauchten wirwar das damals noch kein Thema. Kurz danach kam anschließend ein paar Tage.dann auch noch „Camp 14“ ins Kino. In diesem Film K: Welche Ziele verfolgt ihr und was tut ihr konkret umberichtet Shin Dong-hyuk von seinem Leben in einem diese zu erreichen?nordkoreanischen Konzentrationslager, in dem er Saram: Wir verfolgen vorrangig drei Ziele:geboren wurde und erst mit über 20 Jahren fliehen Erstens: Bewusstsein schaffen! Die Welt schaut schonkonnte. Die Erlebnisse, die Shin beschreibt, lassen viel zu lange einfach nur dabei zu, wie die Bevölkerungwohl niemanden kalt. Direkt danach fassten wir den Nordkoreas unter der menschenverachtenden Juche-Entschluss, wenigstens einen Versuch zu machen, Ideologie leidet. Das liegt zum größten Teil daran, dassirgendetwas zu unternehmen – was wir überhaupt tun nur sehr wenige überhaupt eine Ahnung haben, was inkönnten, war uns damals noch völlig unklar. Also haben diesem Land vor sich geht. Glücklicherweise ändertwir zuerst einmal ein Team aus Leuten zusammengestellt, sich das langsam. Sehr langsam. Um diesen Prozessdie nützliche Erfahrungen einbringen könnten. Unsere zu beschleunigen ist es sehr wichtig, dass man anersten Schritte waren danach Informationsbeschaffung zuverlässige Informationen kommt und diese dann derüber die Menschenrechtslage in Nordkorea und die Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Wir wollen einenVernetzung mit anderen Organisationen, Bloggern und Teil dazu beitragen, dass sich Menschen endlich überAktivisten. die tragische Situation dort empören und aktiv werden.Plötzlich berichteten die Medien dann Anfang 2013 Zweitens: Wem die Flucht aus Nordkorea gelingt, istregelmäßig über Nordkorea, allerdings, vorsichtig meist noch lange nicht in Sicherheit. Und wer ausbauen,gesagt, nicht immer professionelloderrealistisch. Daaber das Interesse an Nordkorea immer größer wurde,hielten wir es dann für sinnvoll, als Organisation6
ein sicheres Drittland erreicht hat, erlebt meistens zu diesem Thema! In unserem Team sind z.B. auchgroße Schwierigkeiten, sich in eine so ungewohnte einige Mitarbeiter des Humanistischen PressedienstesGesellschaft zu integrieren bzw. sich eine Existenz undder humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung.aufzubauen. Wir möchten die Flüchtlinge in diesen Nachdem wir unser Projekt dort vorgestellt hatten,Situationen unterstützen. Momentan planen wir hierzu erhielten wir auch von diesen beiden Organisationeneine Kampagne mit einer NGO aus Südkorea. Unterstützung. So veröffentlicht der HumanistischeUnd Drittens: Im Moment entsteht gerade eine Pressedienst regelmäßig unsere „Notizen zu„Europäische Allianz für Menschenrechte in Nordkorea“, Nordkorea“. Die Organisationen, mit denen wir inbisher sind neben unserer Organisation schon Gruppen Südkorea Kontakt aufgenommen haben, begrüßen dasaus England, Norwegen und den Niederlanden Engagement, das in Teilen Europas gerade entsteht.dabei. Den Dachverband für dieses Bündnis bildet Auch die Medien waren sehr schnell daran interessiert,die EAHRNK (European Alliance for Human Rights mit uns ins Gespräch zu kommen, was natürlich unserenin North Korea). Wir wollen dieses Netzwerk weiter Plänen, über die Situation in Nordkorea aufzuklären,ausbauen, was uns wiederum dabei helfen wird, die schon sehr zugute kam. Dabei darf man ja nichtersten beiden Ziele effizienter umzusetzen. vergessen, dass wir erst nächste Woche unsere offizielleK: Wie war das Feedback bisher? Eröffnungsveranstaltung haben. All dies hat uns sehrSaram: Kurz gesagt: Erstaunlich! Die Szene der motiviert und lässt uns zuversichtlich in die Zukunft vonLeute, die sich bereits aktiv mit dem Thema der sowohl Saram als auch der Europäischen Allianz schauen.Menschenrechte in Nordkorea beschäftigten, war K: Gab es negative Punkte, negatives Feedback, oderunglaublich hilfsbereit und begrüßte unsere Pläne. Sie sogar Schwierigkeiten und Probleme?haben uns dabei geholfen, weitere Kontakte zu knüpfen Saram: Nicht wirklich. Natürlich sind wir auch mitund Informationsquellen aufzutun. Besonders möchte merkwürdigen Menschen in Kontakt gekommen, dieich hier den Nordkorea-Info-Blog erwähnen; zweifellos versuchten, das Unrechtsregime Nordkoreas öffentlicheine der zuverlässigsten deutschen Informationsquellen schönzureden, aber solche Begegnungen waren doch erfreulich selten. 7
8
K: Gab es negative Punkte, negatives Feedback, oder Halbinsel vorliegt. Andererseits wäre es auchsogar Schwierigkeiten und Probleme? nichtverkehrt,ausdenFehlernwieauchdenerfolgreichenSaram: Nicht wirklich. Natürlich sind wir auch mit Aspekten der deutschen Wiedervereinigung zu lernen,merkwürdigen Menschen in Kontakt gekommen, die damit man Fehler nicht wiederholt. Ein Mitgliedversuchten, das Unrechtsregime Nordkoreas öffentlich unseres Teams ist aus Südkorea nach Deutschlandschönzureden, aber solche Begegnungen waren doch gezogen, um genau das zu tun. Wir persönlich finden daserfreulich selten. bewundernswert.Eine Schwierigkeit gibt es allerdings schon, vor der Die meisten Koreaner, mit denen wir darüberstehen aber alle, die in diesem Bereich aktiv sind. Und das gesprochen haben, wünschen sich eine baldige und vorsind die komplexen, politischen Rahmenbedingungen, allem gewaltfreie Wiedervereinigung. Das kann manin denen sich das Drama der Bevölkerung Nordkoreas doch auf jeden Fall unterstützen!abspielt. Es gibt z.B. Aktivisten, die nordkoreanische Die Probleme einer Wiedervereinigung sind aberFlüchtlinge aus China schmuggeln. Werden die deutlich größer, als sie es in Deutschland waren.Flüchtlinge in China von den Behörden aufgegriffen, Nordkorea ist eines der ärmsten Länder der Welt,werden sie wieder nach Nordkorea abgeschoben; Südkorea eine der erfolgreichsten Wirtschaftsmächte.dort droht ihnen (und ihren ganzen Familien!) dann Zwischen der Bevölkerung der BRD und der DDRFolter, Arbeits- oder Konzentrationslager oder die war immerhin Kontakt (Briefe, Telefonate undsofortige Hinrichtung. Diese Rettungsmissionen sind eingeschränkte Besuche) möglich, zwischen Nord- undnatürlich in China illegal, die Flüchtlinge und die Südkorea ist dies nicht der Fall. Offiziell befinden sichFluchthelfer begeben sich also in sehr große Gefahr. beide Länder ja auch immer noch im Krieg. Und dieseK: Wie steht ihr zum Thema Wiedervereinigung, Probleme sind nur die Spitze des Eisbergs.erstrebenswert oder sehr ihr es eher kritisch? Welche Wir haben aber die Hoffnung, dass die internationaleProbleme würden eurer Meinung nach bei der Staatengemeinschaft bei einer Wiedervereinigung demWiedervereinigung besonders auftreten? koreanischen Volk hilfreich zur Seite stehen wird. DieSaram: Das ist eine so umfangreiche Frage, dafür Krise auf der koreanischen Halbinsel dauert jetzt schonbräuchten wir eigentlich ein weiteres Interview. Man über 60 Jahre, irgendwann muss das einfach ein Endesollte keinesfalls der Bevölkerung Koreas erzählen, was finden. Und in der Geschichte finden wir viele Beispieledas Beste für sie sei. Aber nach Möglichkeiten Hilfe dafür, dass so etwas manchmal schneller gehen kann, alsanzubieten, kann nicht verkehrt sein. Deutschland hat man für möglich gehalten hätte.die Wiedervereinigung gemeistert, allerdings war eseine völlig andere Situation, als sie auf der koreanischen 9
Camp 14 Shin Dong-Hyuks Schilderungen aus einem nordkoreanischen ArbeitslagerS Text von Esther Klung, Fotos von Camp 14 hin Dong-Hyuks Eltern treffen sich in dem nordkoreanischen Internierungslager Kaechon. Der Vater bekommt die Mutter für gute Arbeitzugeteilt. Eigentlich sind zwischenmenschlicheBeziehungen verboten. Familien, die ins Lager kommen,werden getrennt und dürfen sich nie wiedersehen.Freundschaften, Liebe und Mitgefühl sind Fremdworte.Schon die ganz kleinen Kinder werden zu harter,körperlicher Arbeit gezwungen. Mit 35 anderen Kindernbesucht Dong-Hyuk die Schule im Lager. Dort wird erZeuge, wie ein Mädchen solange von dem Lehrer aufden Kopf geschlagen wird, bis sie an ihren Verletzungenstirbt. Die Strafe für fünf gestohlene Weizenkörner. Fürden Jungen ist dies normal. Schläge, Stacheldrahtzaun,Hunger, öffentliche Hinrichtungen, all dies ist Alltag fürDong-Hyuk. Mit 14 wird er sieben Monate gefoltert.Sein Körper ist seitdem deformiert und von Narbenübersät. Über die Wasserfolter, bei der die Gefangenenbeinahe ertrinken, kann er heute, mehr als 15 Jahrespäter, noch nicht sprechen. Über die Feuerfolter, beider sein Rücken schwerste Verbrennungen davontrug,spricht er. Er überlebt seine Verletzungen nur dank derPflege eines Mitgefangenen. Zum ersten Mal begegnetdem Jungen menschliche Zuwendung. Als er aus derHaft entlassen wird, trifft er seinen Vater wieder, unddie beiden müssen mitansehen wie Dong-Hyuks Bruderund seine Mutter hingerichtet werden. Der Vater weint.Der Junge denkt, sie haben es verdient. Denn sie habeneinen Fluchtversuch geplant. Wenige Jahre später wagtDong-Hyuk selbst die Flucht. Er sucht nicht die Freiheit,sondern will sich ein einziges Mal satt essen können. 10
Shin Dong-Hyuk lebt jetzt in Seoul, doch er reist im in Seoul sieht er jeden Tag in den Nachrichten, wie sichAuftrag von LINK, einer Menschenrechtsorganisation, Menschen umbringen. Im Internierungslager habe sichum die ganze Welt um über seine Geschichte zu nie jemand umgebracht. Warum hängen die Menschensprechen. Das Filmteam, um den deutschen Regisseur in einer für uns so unmenschlichen Umgebung mehr anMarc Wiese, trifft einen gebrochenen Mann. Einen ihrem Leben als die Menschen, die in vermeintlicherMann, der seinen Tag damit verbringt, in der Stille Freiheit leben?seines Zimmers sitzend, seine Gedanken zu verjagen. Antworten findet man in der abendfüllendenEinen Mann, der in Freiheit lebt, das Lager jedoch in Dokumentation „Camp 14“ nicht. Sie ist inseinem Kopf mit sich trägt. Einen Mann, der sagt, dass Spielfilmformat gedreht. Animierte Szenen zeigener zurück in das Internierungslager möchte. Er vermisst Dong-Hyuks Erinnerungen an das Leben im Camp.die dortige Unschuld und die Reinheit des Herzens. Außerdem fließen private Videoaufnahmen eines Als Zuschauer kann man dies nicht verstehen. ehemaligen Aufsehers ein. Dieser, sowie ein weiterer,Man kann es nur versuchen. Shin Dong-Hyuk ist in eine ehemaliger, hochrangiger Aufseher, kommen ebenfallsWelt geboren, in der es klare Regeln für das Überleben zu Wort. Sie erzählen von Folter und Vergewaltigung.gibt. Es gibt jemanden, der ihm 24 Stunden am Tag Ihre Gesichter dabei emotionslos. Auch für sie warsagt, was richtig und was falsch ist, was er zu tun hat und alles, was sie taten, Alltag. Sie sagen, das Leben eineswas zu lassen. Er muss keine großen Entscheidungen Menschen war weniger Wert als ein Wurm und am Endetreffen, muss sich nicht die Fragen nach Moral stellen. sollten die Gefangenen sowieso getötet werden.Was er sieht und gelernt hat, wonach alle anderen „Camp 14“ ist keine leichte Kost. Jedoch einLeben, erschien ihm immer richtig. Der Welt draußen wichtiger Film und eine einzigartige Dokumentation, dieist er nicht gewachsen. Das Konzept von Geld und Einblick gibt in eine Welt, die von der nordkoreanischenSelbstverwirklichung ist ihm fremd. Er ist nicht in der Regierung so strikt verleugnet wird.Lage Verbindungen zu Menschen aufzubauen. Er sagt, 11
NordkVoerregaa–negiennLhaenitd,ldeabts in der Interview mit Jauke Huijer, die mit ihrem Sohn nach Nordkorea reisteZ Text von Andrea Maag; Fotos von Jauke Huijer der nordkoreanischen Botschaft hier in der Schweiz usammen mit einer holländischen Reisegruppe hat angerufen und sich nach Jepp erkundigt, weil hat im Frühling dieses Jahres die in der Schweiz Jepp nicht den gleichen Nachnamen hat wie ich. Ich wohnhafte Holländerin Jauke Huijer mit ihrem habe mir eigentlich nichts weiter dazu gedacht, aberSohn Jepp eine zehntägige Reise nach Nordkorea als Jepp am gleichen Tag von der Schule nach Hauseunternommen. Was sie während dieser ungewöhnlichen kam, sagte er, dass offenbar auch jemand die SchuleReise erlebt hat und welchen Eindruck Nordkorea bei angerufen und sich dort nach ihm erkundigt habe.ihr hinterlassen hat, erzählt sie K im Interview. Das Merkwürdige an der Sache ist, dass wir abgesehenK: Guten Tag Frau Hujier. Nordkorea ist ein sehr von diesen Telefongesprächen sonst nie etwas mit derungewöhnliches Reiseziel – wie ist die Idee, in dieses nordkoreanischen Botschaft in der Schweiz zu tunLand zu fahren, entstanden? hatten. Alles andere lief über Peking.Jauke Hujier: Ich habe schon Ende der 80er Jahre K: Wie lief die Ankunft in Nordkorea ab?gedacht, dass ich einmal in dieses Land fahren will. JH: Natürlich wurden wir zunächst einmal kontrolliert.Damals habe ich mir auch einen Reiseführer gekauft, Am Flughafen haben unsere beiden nordkoreanischenaber irgendwann geriet diese Idee in den Hintergrund. Reiseführer auf uns gewartet, ein Mann und eine Frau.Aber als ich letztes Jahr zwei zusätzliche Ferienwochen Diese beiden sind während den zehn Tagen immerbekommen habe, dachte ich mir, dass ich mit dieser Zeit mit uns herumgereist. Als wir in Pjöngjang im Hoteletwas Besonderes machen will – und dann kam mir ankamen, wurde uns als erstes der Pass weggenommen.diese Sache mit Nordkorea wieder in den Sinn. Den haben wir erst am Ende der Reise wiederIch bin generell jemand, der gerne Systeme entdeckt, bekommen.jemand, der die Gründe für das erforscht, was in einem K : Wie verlief die Kommunikation mit den Reiseführern?Land vor sich geht, auch wenn man natürlich nie alles JH: Wir haben uns mit ihnen auf Englisch verständigt,sehen kann, weil viele Dinge versteckt und geheim die beiden haben perfekt Englisch gesprochen. Diegehalten werden. Ich wollte diese Reise auch gemeinsam beiden waren zumindest im Bus auch bis zu einemmit meinem Sohn machen, bevor er älter wird, und gewissen Grad auch in der Reisegruppe integriert,ihm die Möglichkeit geben, einmal wirklich besondere und vor allem Jepp hat sich oft mit dem männlichenFerien zu machen. Ein anderer Grund jetzt zu gehen war Reiseführer unterhalten und ihm Fragen gestellt, dieauch, dass ich davon überzeugt bin, dass irgendwann wir als Erwachsene uns nicht getraut haben zu stellen.in nächster Zeit dieses nordkoreanische System Aber abends im Hotel oder im Restaurant sind diezusammenbrechen wird. Also habe ich mir gesagt, wenn nordkoreanischen Reiseführer immer alleine für sichich das noch sehen will, muss ich jetzt gehen. gesessen, nie bei uns am Tisch.K: Was musste alles erledigt werden, bevor die Reise Jedes Mal, wenn wir irgendwo etwas besucht haben,losgehen konnte? gab es auch noch lokale Reiseführer, die uns dortJH: Wir mussten eine Menge Formulare ausfüllen, herumgeführt haben. Diese haben aber in der Regel nurunter anderem für das Visum. Allerdings kann man Koreanisch gesprochen und unsere beiden Reiseführernicht direkt von hier aus ein Visum für Nordkorea haben übersetzt.beantragen, dass muss von China aus gemacht werden. K: Wie ist die Reise abgelaufen?Unser holländischer Reiseführer musste als wir schon JH: Wir waren mit einem Bus unterwegs, mit demin Peking waren auf die nordkoreanische Botschaft wir zu den verschiedenen Reisezielen gefahrengehen und dort unser Gruppenvisum ausstellen sind. Es lief allerdings nicht alles so, wie es imlassen. Wir wussten also bis wir in Peking waren nicht, Programm stand – auch unser holländischerob wir überhaupt nach Nordkorea einreisen dürfen. Reiseleiter hat nur über einen Teil von dem, wasEtwa drei Wochen, bevor wir abgeflogen sind, hatmorgens plötzlich das Telefon geklingelt. Jemand von12
13
14
wir gemacht haben, Bescheid gewusst. Wir haben K: Ist die Reisegruppe auch direkt in Kontakt mitschlussendlich zwar mehr oder weniger alles gesehen, Propaganda gekommen?was im Programm stand, allerdings in einer ganz JH: Nein, eigentlich nicht. Nur einmal, als wir auf demanderen Reihenfolge. Was nicht im Programm stand, Land waren um eine Agrarschule zu besuchen. Es wurdewar das Mausoleum von Kim Ilsung, und da war bis uns ein Gewächshaus gezeigt, das wir zwar von innenzum Schluss nicht sicher, ob wir wirklich hingehen nicht sehen durften, aber von aussen hat man gesehen,dürfen. Wir hatten den Eindruck, dass die Reiseführer dass das hochmodern war. Dort haben sie immer wiedererst abschätzen wollten, wie unsere Gruppe so ist, und sehr stolz erzählt, dass in dem Gewächshause allesob wir Respekt vor der einheimischen Kultur haben, über Computer läuft – Bewässerung, Temperatur undbevor sie entscheiden wollten, ob wir das Mausoleum so weiter. Unsere koreanische Reiseführerin meintebesuchen dürfen. auch, dass sie vor uns einmal eine Reisegruppe hatten,Nach unserer Ankunft in Pjöngjang haben wir zuerst die die hätte noch nie etwas so modernes gesehen. WirBronzestatue von Kim Ilsung besucht. Es ist Tradition, sind aber natürlich nicht aus allen Wolken gefallen,dass die Leute dort Blumen hinlegen, was auch alle bei uns gibt es so etwas ja schon lange, aber da hatMitglieder unserer Gruppe gemacht haben. Das schien man dann gemerkt, dass eigentlich Bewunderung undunsere Reiseführer doch sehr positiv überrascht zu Anerkennung erwartet wurde. Am Ende haben wirhaben, weil normalerweise legt eine Reisegruppe dann ein Gästebuch gekriegt, wo wir dann einen Eintrageigentlich nur einen Blumenstrauss für alle hin. hätten machen sollen. Da hast du dann wirklich gemerkt,Kim Ilsung wird wirklich überall vergöttert, überall. Und dass sie etwas von uns erwartet haben, dass sie eigentlichdas ist alles nicht gespielt, er ist wie eine Art Gott für die hören wollten, wie fantastisch und wie gut das alles ist.Nordkoreaner. Man merkt dies schon an der Art, wie Das war aber wirklich das einzige Mal. Vieles von dem,über ihn gesprochen wird – niemand würde sagen „he was wir gesehen haben, war auch sehr überraschend.died“. Stattdessen sagen alle immer „he passed away“, Wir waren einmal in einer Schule für begabte Kinder,was viel sanfter und respektvoller klingt. aber da dann alle Kinder gleichzeitig Klavier spielen zuWir haben in diesen zehn Tagen sehr viel gesehen, aber sehen, das ist ziemlich seltsam. Da fragt man sich dann,vieles natürlich auch nicht. Was uns besonders aufgefallen wie das möglich ist, diese Disziplin, wie die in die Köpfeist, dass zwar überall von Kim Jongil gesprochen wird, der Leute gedrillt wird.aber dass man ihn nirgendwo sieht. Auch im Fernsehen Wir haben aber wirklich nie etwas über Politik gehört,wurden nur alte Bilder und alte Aufnahmen gezeigt, und Fragen in diese Richtung wurden auch nichtaber nie etwas Aktuelles. Deshalb haben wir vermutet, beantwortet. In der Agrarhochschule hat man uns einendass Kim Jongil wohl schon so todkrank sein muss, dass Raum gezeigt, wo die Bilder von lauter Professorenman ihn im Fernsehen nicht mehr zeigen kann. hingen, aber nur zwei davon waren Frauen. Jepp hatK: Man hört immer, dass in Nordkorea Propaganda gefragt, weshalb das so ist, aber darauf hat er keineallgegenwärtig sei. Ist das wirklich so? Antwort erhalten – wahrscheinlich war das schon zu vielJH: Propaganda gab es überall. Interessant war, dass Kim gefragt.Jongil immer an zweiter Stelle stand. Auf den Bildern K: Aber sonst sind Fragen in der Regel beantwortetwurde immer Kim Ilsung ganz gross gezeigt, und worden?daneben stand Kim Jongil, aber immer kleiner. Ab und JH: Ja, die Reiseführer haben sich auch sehr Mühezu, aber nur ganz selten, hat man Kim Ilsungs Frau auf gegeben, dass sie ihm richtige Antworten gegeben haben.den Bildern gesehen. Es gab überall Statuen, allerdings Also eigentlich sind Fragen immer gut beantwortetnur von Kim Ilsung, nie von Kim Jongil. Bei vielen worden.Gebäuden waren Sprüche auf die Wände geschrieben Aber einmal, da waren wir in einem Viehbetriebworden, und in jedem Dorf gab es irgendwo ein Mosaik, mitten auf dem Land, allerdings haben wir da nichtdas meistens in etwa gleich aussah. Jedes Mal war darauf die Tiere gesehen, die wir eigentlich erwartet hatten.Kim Ilsung abgebildet, der auf dem Land steht, wo Korn Wir waren etwa in einer Anlage, wo Joghurt auswächst, bei schönstem Wetter, mit ausgestrecktem Arm. Ziegenmilch gemacht wird, aber wir haben auf der 15
ganzen Anlage nicht eine Ziege und nicht einen Liter Feldern arbeiten sie alle von Hand, nur ab und an siehtMilch gesehen. Plötzlich kam da jemand und hat uns man einen Ochsen, zweimal haben wir von weitem auchZiegenmilchjoghurt zum Probieren angeboten. Jemand einen Traktor gesehen, aber die waren unglaublich alt.hat dann gefragt, wo die Ziegen und die Milch sind, Öffentliche Verkehrsmittel gibt es auf dem Land nicht,und die Antwort war dann, dass die Ziegen im Moment nur in der Stadt. Man sieht oft Geleise, aber wir habennicht so viel Milch geben, deshalb sei es gerade sehr nur einmal eine Lokomotive ohne Waggons gesehen,ruhig in der Anlage. Natürlich hat man da dann das sonst nichts, und das war in der Hauptstadt. Auf demGefühl, dass das nicht stimmen kann, und wir haben Land haben wir nie einen Zug gesehen. Man sieht kaumuns gedacht, dass diese Joghurts wohl extra für uns aus alte Leute, und Behinderte, etwa im Rollstuhl, sieht mander Hauptstadt in die Anlage gebracht worden sind. überhaupt nicht. Dafür sieht man überall Soldaten, aberAuf dem Deckel der Joghurts war nämlich das Logo der auch sie arbeiten auf den Feldern.Heilsarmee zu sehen. Auch auf einer der Maschinen war Überall auf dem Land gibt es Checkpoints, man kanndieses Logo drauf und wir haben dann erfahren, dass das also nicht einfach so von A nach B gehen, sondern manGeschenke von der australischen Heilsarmee waren. Es muss ständig anhalten. Wir selber sind nie aus dem Bushat mich sehr erstaunt, dass das erlaubt war, dass diese gestiegen, sondern die Reiseführer haben das immerMaschinen nicht versteckt oder weggeholt wurden. geregelt. Man wird also ständig kontrolliert, aber nichtK: Hat man sonst westliche Einflüsse im Land gesehen? nur wir als Touristen, sondern auch die Einheimischen.JH: In der Hauptstadt habe ich einmal jemanden mit K: Welches Erlebnis hat den grössten EindruckInlineskates gesehen. Man hat auch überall einfach Äpfel hinterlassen?kaufen können, in Restaurants und so. Aber sonst haben JH: Das Mausoleum von Kim Ilsung. Man bekommtwir nicht gross westliche Einflüsse gesehen. Die Leute dort einen Kassettenrekorder mit Kopfhörern, auf demtragen auch alle die gleichen Kleider, nicht wie bei uns. Texte zum Mausoleum eingespielt sind. Das erste, wasAn einem Abend waren wir im 1.-Mai-Stadion gewesen, man sieht ist ein Bild an der Wand, auf dem die trauerndeda hat es eine riesige Show gegeben. Im Voraus konnte Bevölkerung abgebildet ist. Auf der Kassette wird dannman Karten kaufen, und die billigsten für Touristen sehr dramatisch geredet, „Das ganze Land weinte Taghaben 80 Euro gekostet. Jepp und ich sind dann und Nacht“, und das geht immer so weiter, „alle Bauernzwischen Nordkoreanern gesessen, und jemand hat uns weinten Tag und Nacht“, und am Ende kommt man aufgefragt wo wir herkommen. Als wir gesagt haben, dass ein Bild, auf dem Ausländer abgebildet sind, und aufwir aus Holland sind, hat er nicht gewusst, was das ist. der Kassette heisst es, „Die ganze Welt weinte Tag undDas war das erste und einzige Mal, dass wir von fremden Nacht“.Nordkoreanern angesprochen worden sind, die Leute Danach kommt man in eine riesige Halle, ein bisschenwaren sonst wirklich sehr zurückhaltend. kleiner als ein Fussballfeld, alles aus Marmor undDieses 1.-Mai-Stadium ist riesig, mit etwa 150‘000 mit farbigem Licht beleuchtet. Man hört eine ArtSitzplätzen, aber nur ein Drittel davon war voll. Wir Trauermusik. Am Ende der Halle steht Kim Ilsung inhatten eigentlich erwartet, dass die Leute dann doch mit Marmor. Das hat einem dann wirklich beeindruckt, mitBegeisterung bei der Show dabei sein würden, aber man der Musik und allem, dass man dann plötzlich das Gefühlhat gemerkt, die Leute haben einfach geklatscht, wenn gehabt hat, ja, das ist traurig. Danach kommt man in diegeklatscht werden musste. Es war alles sehr strukturiert. Halle, wo er aufgebahrt ist, und das ist wirklich traurig.Die Leute waren schon mit Freude dabei, aber sehr Als wir herausgekommen sind, sagte Jepp zu mir, „Du,zurückhaltend für unser Empfinden. ich musste fast weinen.“ Das hat mich sehr berührt.K: Was hat man vom nordkoreanischen Alltagsleben K: Gab es negative Erlebnisse oder etwas, das Ihnengesehen? Angst gemacht hat?JH: Wenn man über Land fährt, sieht man hunderte JH: Nein, überhaupt nicht. Man bekommt gar keineund tausende von Leuten unterwegs, alle laufend. Chance dazu, weil das alles im Voraus so geplant. Es gabMan sieht sehr wenige Fahrräder, die Leute laufen von keinen Moment, in dem ich mich unsicher gefühlt hätte.A nach B und tragen immer etwas bei sich. Auf den Es wird nichts gestohlen und man wird nicht betrogen.16
17
18
Der Bus war zwar alt, aber in gutem Zustand. Verkehr in dieser Viehzucht waren, wo wir kein Vieh gesehenhat es nur in der Stadt etwas mehr, aber auch da fühlt haben, das war irgendwo mitten auf dem Land, da gabman sich sicher. es nicht einmal Strassen. Da haben wir uns gedacht,K: Welche Tipps würden Sie jemandem mit auf den wie kann es sein dass mitten im Nirgendwo ein solcherWeg geben, der ebenfalls nach Nordkorea reisen will? Betrieb steht, wo man das Futter für die Tiere hinschaffenJH: Wenn man in dem Land weit kommen will, muss und die Produkte dann wieder wegbringen muss – werman Respekt zeigen. Man sollte es vermeiden, politische kommt auf so eine Idee? Uns wurde dann erklärt, dassFragen zu stellen, das kann ziemlich heikel sein. Man Kim Ilsung da vor 30 Jahren auf dem Hügel gestandensollte unbedingt schöne Kleider mitnehmen, denn wenn ist, und dann hat man beschlossen, dort diesen Betriebman zum Beispiel das Mausoleum besuchen will, muss hinzustellen. Niemand scheint sich zu fragen, ob esman bestens angezogen sein. Geschenke mitzunehmen logisch ist, das zu machen, mitten im Nirgendwo.schadet ganz sicher auch nicht, aber damit muss man Ich habe den Eindruck, dass dieses System zu Beginnauch vorsichtig sein. So etwas wie Schokolade kommt gar nicht so schlecht war, aber irgendwann – vielleichtaber gut an. Am Ende der Reise wird auch erwartet, dass nach dem Mauerfall in Berlin, als nach und nach alleman den Reisführern und dem Busfahrer Trinkgeld gibt. Verbündeten verloren gingen – ist es schief gelaufen,Sehr erfreut sind die Leute, wenn man ein paar weniger und nun ist das Land total verarmt. Es wird nurWörter Koreanisch kann. Damit findet man sehr schnell überall auf das zurückgeblickt, was einmal gewesenZugang zu den Leuten, weil sie sich freuen, wenn man ist – Veranstaltungen mit anderen kommunistischennur schon „Hallo“ und „Danke“ auf Koreanisch sagen Ländern vor 30 Jahren zum Beispiel. Es wird in derkann. Vergangenheit gelebt, und was ausserhalb des LandesEine solche Reise ist durchaus auch für Kinder geeignet, vorgeht, kommt überhaupt nicht zum Tragen.aber natürlich muss man die Kinder auch darauf Ich würde aber auf jeden Fall wieder hingehen. Vorvorbereiten. Für unsere Reisegruppe war es eine enorme allem den Norden des Landes würde ich gerne sehen,Bereicherung, dass Jepp mit dabei war, weil er wie schon weil wir ja hauptsächlich im Süden unterwegs waren.erwähnt auch Fragen gestellt hat, die wir Erwachsenen Ich war schon in vielen Ländern, aber Nordkorea waruns nicht getraut hätten zu stellen. eine Erfahrung für sich – aber nicht im negativen Sinne.K: Nachdem Sie wieder zu Hause sind, was ist Ihr Das lässt sich wirklich nicht mit irgendetwas anderemEindruck von diesem Land? vergleichen, was ich schon gesehen habe, nicht einmalJH: Die Leute da sind eigentlich zufrieden, ich kann mit China vor 25 Jahren. Diese Abgeschlossenheitwirklich nicht sagen, dass sie unglücklich sind. Die Leute gegenüber Aussen habe ich wirklich noch nirgendwosind wirklich mit Herz und Seele davon überzeugt, erlebt. Von einem westlichen Standpunkt aus ist esdass was in Nordkorea gemacht wird eigentlich gut ist. schwer, dieses Land zu verstehen, aber die ErfahrungWas mich sehr erstaunt hat ist, dass die Leute nicht war es wert.selbstständig denken können. Als wir zum Beispiel K: Vielen Dank für dieses Interview, Frau Huijer! 19
nWocohdGieegGeenswchaircthitste... Ein Ausflug in das Grenzgebiet zwischen Nord- und SüdkoreaI Text von Laura Kuhlig; Fotos von Laura Kuhlig wurden. Auch ein Film zum gleichen Thema und ein ch bin mir sicher, dass alle Leser/innen sich bewusst wissenschaftlicher Vortrag zum umweltbewussten sind, dass die Grenze zwischen Nord- und Südkorea Leben wurden uns geboten, obwohl ich mir nicht bis heute die am strengsten bewachte Grenze der Welt ganz sicher bin, wo der Zusammenhang zwischen demist und jegliche Versuche, sie unerlaubt zu überschreiten, Vortrag und der DMZ lag.kläglich scheitern würden. Dementsprechend war ichäußerst gespannt, was mich auf unserem Ausflug in Am nächsten Morgen machten wir uns danndie Demilitarisierte Zone (DMZ) erwarten würde. auf den Weg zum vierten Tunnel (4th InfiltrationMeine Universität in Chuncheon hatte den Trip für die Tunnel), der 1990 entdeckt und später für TouristenStudenten des Stipendienprogramms organisiert, dem zugängig gemacht wurde. Nordkoreaner hatten denauch ich angehöre. Ende November war es zwar schon Tunnel gegraben, um auf diese Weise ihre südlichenrecht kalt, aber trotzdem freuten sich die meisten von Nachbarn anzugreifen, erreichten ihr Ziel allerdingsuns auf die zweitägige gemeinsame Erfahrung. nie. Abgesehen von dem etwas großzügigeren Tunnel, der später von südkoreanischer Seite angelegt wurde, Zwei Busse der Universität brachten uns zum um Besuchern den Zugang zu ermöglichen, war„Korea DMZ Peace-Life Valley Education and Training der Originaldurchgang wirklich bedrückend eng,Center“, wo wir unsere Unterkünfte bezogen und dann feucht und natürlich schlecht belüftet. Schon nachmit dem durchgeplanten Programm begannen. Als einigen Minuten bekam ich Kopfschmerzen wegenerstes besuchten wir das Museum, wo wir über die der schlechten Luft und auch sonst war mir eher flauEntstehung des Grenzstreifens und die Entwicklung im Magen. Ich kann mir nur vorstellen, wie es für diedes Ökosystems in dem selbigen, in dem nun seltene Männer gewesen sein muss, die wochenlang dort unterTier- und Pflanzenarten zu Hause sind, informiert20
ihres Führers zu folgen. Weiter gab es dort nicht viel zu Aufgabe die Überreste der Verborgenen zu bergen.sehen, außer ein paar ehemaligen Armeetransportmitteln Heute erinnert außer einem Denkmal nichtsund einer kleinen Ausstellungshalle. und einer kleinenAusstellungshalle. mehr an das ehemalige Blutvergießen, im Gegenteil: Der Ort wirkt so unberührt und idyllisch, dass es Der nächste Halt war das Eulji Observatorium, schwer fällt sich dort Grauen irgendeiner Art überhauptwo man uns Ferngläser zur Verfügung stellte, um vorzustellen. Die friedliche Atmosphäre und dieeinen Blick ins abgeschottete Nachbarland zu werfen. klare Luft bildeten einen enormen Kontrast zu denAllerdings spielte das Wetter an diesem Tag nicht mit und Geschichten, die uns dort erzählt wurden.die versprochenen nordkoreanischen Soldaten warenauch mit größter Anstrengung nicht auszumachen. Durch diese Erfahrung wurde mir deutlich wieAlles, was wir zu sehen bekamen, waren Berge und nah Leben und Tod doch beieinander liegen und wieNebel, von denen wir nicht mal Fotos machen durften. schnell die Natur in der Lage ist, aus dem furchtbarsten Kriegsschauplatz eine Art Paradies werden zu lassen. Zu Der letzte Stopp unseres Ausflugs war der hoffen bleibt nur, dass diese Verwandlung nicht nochDutayeon Teich, der sich in einem Gebiet befindet, einmal nötig sein wird.in dem früher viele Kämpfe zwischen Süd und Nordstattgefunden haben. Noch heute sollen in dieser Gegendunentdeckte Soldaten liegen, die in den Schlachtengefallen sind. Aber aufgrund von Landminen, die dortvermutet werden, erweist es sich als eine schwierige 21
22
LITERATUR 23
Pjöngjang Beeindruckende Graphik Novel von Guy DelisleI Text von Esther Klung, Foto vom Verlag Überall werden Ruhm und Leistungen des Führers, m Auftrag einer französischen Trickfilmproduktion Kim Jong-Il, gepriesen. Delisle muss sich natürlich wurde Guy Delisle 2001 nach Nordkorea geschickt die wichtigsten Monumente ansehen, am seltsamsten um einheimische Zeichner anzuleiten. In einem erscheint einem dabei das „Museum der Freundschaft“,Land, in dem Filme einzig Propagandazwecken in denen Geschenke internationaler Gäste für dasdienen, bezahlen westliche Firmen für die Gestaltung Staatsoberhaupt ausgestellt werden. Gezeigt werdenihres Vorabendprogramms. Da China vielen zu teuer neben Flachbildschirmen, ausgestopften Tieren undgeworden ist, werden die Studios nach Nordkorea Aschenbechern auch russische Autos. Die Straße, aufverlegt. Studios sind dort kleine Büros, in denen per der Delisle und sein ständiger Begleiter, DolmetscherHand jedes Bild einzeln gezeichnet wird und das, und Aufpasser, das Museum erreichen, wurde nur zuwenn es sein muss, immer und immer wieder. Die eben diesem Zweck erbaut und bleibt bis auf das Auto,Arbeiter sind dankbar, ihren Dörfern zu entkommen in dem sie sitzen, leer.und ihren Familien ein etwas besseres Leben bieten zu Überhaupt ist Pjöngjang die Stadt der Leere.können. Doch was ist besser in einem diktatorischen Autos gibt es kaum, Menschen spärlich. Sie schweigen,Niemandsland wie Nordkorea? dürfen nicht mit den Ausländern reden. Es gibt keine DerAufenthaltdeskanadischenComiczeichners Orte, an denen man sich treffen kann, um Spaß zu haben.endete nach zwei Monaten mit nachhaltigen Eindrücken, Das Hotel, in dem die internationalen Gäste wohnen,die er in seiner 176 Seiten starken Graphik-Novel mit befindet sich auf einer Insel und es ist untersagt diesegrau tristen, aber durchweg eindringlichen Bildern ohne Begleitung zu verlassen. Delisle tut es trotzdem,verarbeitet. Der Comic selbst schließt mit einem Bild doch begreift schnell, dass er mit solchen Alleingängenvon einem Papierflieger, den Delisle aus dem Fenster vor allem dem Mann schadet, der angewiesen ist, ihn zuwirft, in der Hoffnung, dass er den Fluss erreicht. „Los. bewachen. Drei Restaurants gibt es in dem Hotel, mitDu schaffst es“ sind die letzten Worte, die man liest, winziger Speisekarte und nur dann wirklich frischenbevor man das Buch zuklappt. Man kann die Szene Speisen, wenn wichtige, ausländische Delegationenstehen lassen ohne sie zu bewerten, doch gleichzeitig erwartet werden. Es gibt ein Kaufhaus ohne Licht undbietet sie genug für Interpretation. ohne funktionierende Rolltreppen, einen einzigen Ort, Pjöngjang, wie wir es durch die Augen des an dem man Eiscreme kaufen kann und eine PartyzoneZeichners sehen, ist leer, präzise, monumental. Die für Ausländer, die sich im Gebäude der NGOs befindet.Bauten sollen beeindrucken und einschüchtern.24
Man könnte seitenweise fortfahren über dieDinge zu schreiben, die es in Nordkorea nicht gibtund über die erschreckenden Einblicke, die sich einemauftun. Vieles hat man bereits gewusst, wenn mansich mit diesem Land beschäftigt hat, doch plötzlichsieht man sich der düsteren Erkenntnis viel direktergegenüber, plötzlich ist sie anschaulich und lebensnah. Guy Delisles Graphik Novel kann keinvollständiges Bild dieses mysteriösen Landes liefern. Erkann nur wiedergeben, was er selbst erfahren hat. SeineBerichte sind kritisch gefärbt, schwanken zwischenIronie und geschockter Überraschung. Obwohl Delislees versucht, bekommt er nicht die Antworten, dieer sucht, Gespräche mit den Einheimischen gibt eskaum und wenn er mit den Männern spricht, die ihntagtäglich umgeben, stößt er auf eingebläute Floskelnoder Schweigen. Delisle reagiert mit vorsichtigerRebellion. Er leiht seinem Übersetzer „1984“ vonGeorge Orwell, er bestellt Cola, schießt Fotos, die nichtdas perfekt inszenierte Nordkorea zeigen und er entlässtPapierflieger in die Freiheit. 25
Im Dienst des Dikators von Ingrid Steiner-Gashi und Dardan GashiF Text von Esther Klung, Foto vom Verlag Die biografische Erzählung von Kim lässt viele Fragen ür 20 Jahre war Kim Jong Ryul Einkäufer im offen und erklärt an keiner Stelle wirklich, warum der Dienst des Diktators. Mithilfe, überwiegend Mann, der immer staatstreu gedient hat, das Land österreichischer Geschäftsleute, beschaffte er verlässt und seine Familie ihrem Schicksal überlässt. Esder Diktatorenfamilie Nordkoreas alles, was diese sich erklärt nicht, warum er nach 15 Jahren sein Schweigenwünschten. Luxusautos, edle Speisen, Abhöranlagen, bricht. Er sagt, er wolle vor seinem Tod seinen Namensogar Waffen fanden ihren Weg in das isolierte Land. Als hinterlassen. In die Gedanken- und Gefühlswelt desangesehenes Parteimitglied konnte Kim seiner Familie Kim steigt man nicht ein. Seine Geschichte wirktein privilegiertes Leben ermöglichen, als einer der mechanisch aneinandergereiht. Vielleicht, so kann manwenigen Nordkoreaner lernte er außerdem auf seinen annehmen, hat er in einem Land wie Nordkorea nichtReisen etwas von der westlichen Welt kennen. Mit lernen können, seine Gedanken und Gefühle offen58 Jahren weiß Kim, dass es mit den Reisen und den auszudrücken, dann jedoch hätten die beiden AutorenFreiheiten vorbei sein wird, sobald er in den Ruhestand dies für ihn übernehmen müssen, sie hätten dem Lesereintritt und so kehrt er 1994 nicht wieder nach Korea diesen Mann durch ihre Augen sehen lassen müssen,zurück, sondern setzt sich in Bratislava ab. Seine Flucht damit er die einzigartige Lebensgeschichte, die sicherlichist jedoch keine spontane, penibel hat er sie über einen dahinter steckt, versteht und Anteil nehmen kann.langen Zeitraum geplant. Kim weiß, dass seiner Familie So ist das Buch zwar eine nicht uninteressante,das Arbeitslager droht, wenn man herausfindet, dass aber enttäuschend oberflächliche Lektüre, die nichter geflohen ist und so inszeniert er alles so, dass die dazu beitragen wird, dass Leser das Leben in Nordkoreanordkoreanische Führung vermuten muss, er sei einem besser verstehen, und die leider ebenso wenig Kim JongRaubmord zum Opfer gefallen. Ryuls Namen unvergessen machen wird. Fünf Jahre lebt Kim, der in seiner Studienzeitin der DDR Deutsch gelernt hat, in einer kleinenWohnung in Linz. Später zieht er in einen kleineren Ort,in dem er weitere 10 Jahre zurückgezogen und illegaluntertaucht. Sein Führerschein, den er mit Hilfe einesGeschäftsfreundes bereits Jahre zuvor in Wien machte,dient ihm dabei als Ausweis. Sein Leben finanziert ersich mit Erspartem. Eines Tages beschließt er sein Schweigenzu brechen, auch auf die Gefahr hin, seine Familiein Nordkorea damit der Bestrafung des Regimesauszuliefern. Auf 200 Seiten erzählen Ingrid Steiner-Gashiund ihr Mann Dardan Gashi die Lebensgeschichtevon Kim Jong Ryul. Was jedoch ein spannendes,aufrüttelndes und informatives Buch hätte werdenkönnen, entpuppt sich als eher enttäuschendes Werk. Die persönliche Geschichte wird immer wiederunterbrochen, um Hintergrundwissen einzubauen.Dies ist natürlich für all die Leser, die sich kaum mitder nordkoreanischen Diktatur auskennen, wichtig,allerdings wiederholen sich die Informationen, sind zulanggezogen, zu oberflächlich und manchmal auch zuzwanghaft eingebaut, um wirkliches Grundlagenwissenzu vermitteln. Eine lange Passage über die Atompolitikdes Regimes will zudem so gar nicht in das Buch passen. 26
Architekturführer Pjöngjang von Philipp MeuserD Text von Philipp Meuser, Foto vom Verlag Eigentlich sollte jeder sich diesen ie Fotos muten seltsam an. Der Betrachter Architekturführer zu legen. Die Fotos aus den fühlt sich einerseits zurückversetzt in den verschiedenen Jahrzehnten sprechen für sich selbst, sie ehemaligen Ostblock und der Gedanke an erzählen von einem Leben, das die wenigsten von unsalte Spionagefilme, in denen die Kommunisten der sich vorstellen können und sie erzählen eine Geschichte,weltbedrohende Feind war, flackert in einem auf. die in keiner Rezension hinreichend zusammengefasstAndererseits wirken die Bauten, die Kim Jong Il errichten werden kann. Wer sich nur etwas für Nordkorea oderließ teilweise wie die Kulissen für einen Science Fiction Architektur interessiert, sollte zumindest einen Blick inFilm. die zwei Bände werfen. Kennzeichnend für Pjöngjang sind klare, geradeLinien, funktionale Wohnbauten und überdimensionaleVersammlungs- und Kulturbauten. Allgegenwärtig istdie Verehrung Kim Jong Ils und seines Sohnes, der ihmnachfolgen wird. Eine Stadt inszeniert sich, doch manfragt sich für wen., denn, was in den Bildern fehlt, sindMenschen und Autos, es fehlt das bunte Treiben, daseine jede Stadt lebendig macht. Wundervolle Museen,Kaufhäuser und prunkvolle Bahnhöfe sind beinahemenschenleer. Und so ist die photographische Reisedurch Pjöngjang eine einsame, aber eindrucksvolle. Es fällt einem schwer den Architekturführernach dem ersten Durchblättern wieder aus der Hand zulegen. Mehr als einmal wird man, schwankend zwischenneugieriger Faszination und traurigem Mitgefühl fürdie Menschen, die in dieser verschlossenen Welt lebenmüssen, seinen Blick über die Fotos schweifen lassen. Der erste Band dieses zweiteiligenFührers entstand unter den wachsamen Augen derNordkoreaner und so sieht der Leser, was er sehensoll. Von dem beigefügten zweiten Band wusstendie nordkoreanischen Behörden beim Erscheinendes Architekturführers nichts. In den Begleittextenfindet man Hintergrundinformationen zu NordkoreasEntwicklung, zur Architektur, zu Propaganda undFührerkult, außerdem den Originaltext „Überdie Baukunst“ von Kim Jong Il samt erklärendemKommentar.die in keiner Rezension hinreichendzusammengefasst werden kann. Wer sich nur etwasfür Nordkorea oder Architektur interessiert, solltezumindest einen Blick in die zwei Bände werfen. Wer sich den Architekturführer kauft, wirdwissen, dass er keinen Reiseführer in der Hand hält,mit dem er sich auf Erkundungstour durch Pjöngjangbegeben kann. Zur Sicherheit wird am Ende noch einmalvon der Mitnahme abgeraten. Wahrscheinlich zeigt derArchitekturführer von Philipp Meuser mehr als man beieiner bewachten Reise durch Nordkorea je sehen wird. 27
Nichts zu neiden?Barbara Demick über ihr Buch “Die Kinogänger von Chongjin”D Text von Esther Klung, Foto vom Verlag wirklich? Ich wollte ein Buch schreiben, das übermittelt, ie amerikanische Journalistin Barbara Demick was in den Köpfen hinter den Masken vorgeht, um zu leitet das Los Angeles Times Büro in Beijing. verstehen, was es wirklich bedeutet Nordkoreaner zu In den 1990er Jahren arbeitete sie an einer sein.Reihe über das Leben in Sarajevo im Spiegel des K: Berichten Sie uns über die ersten Recherchen.Bosnienkrieges. Die Serie, zu der John Costello die Fotos BD: Als ich 2001 nach Südkorea zog, versuchte ich sobeisteuerte, wurde mit mehreren internationalen Preisen viele Nordkoreaner wie möglich zu interviewen, umausgezeichnet. Bis 2001 war Demick im Nahen Osten ein breit gefächertes Portrait über das Leben in diesemstationiert, danach ging sie nach Korea, wo ihre Idee Land anzulegen. Nach mehr als 100 Interviews begannfür ihr Buch “Die Kinogänger von Chongjin” entstand. ich mir die Geschichten der sechs im Buch portraitiertenFür dieses, in diesem Jahr ebenfalls mit einem Preis Menschen genauer anzusehen.ausgezeichnete Buch, interviewte sie nordkoreanische K: Welche autobiographische Geschichte, die Sie in denFlüchtlinge in Südkorea. Interviews gehört haben, hat Sie am meisten berührt? Mit K-Colors Of Korea sprach sie über ihre BD: Ich denke, ich war am meisten von Mrs. Song, derRecherchen zu “Die Kinogänger von Chongjin” und Fabrikarbeiterin, berührt. Obwohl sie und ich nichtsihre Gedanken zu Nordkorea. gemeinsam haben, fühlte ich mit ihrem täglichen Kampf Eine Neuauflage des Buches ist unter dem Titel Nahrung zum Überleben zu beschaffen. Bei jedem“Im Land des Flüsterns - Geschichten aus dem Alltag in Schritt, als sie ihre Kleidung, ihr Geschirr, ihr HausNordkorea” Ende 2013 im Knaur Verlag erschienen. verkaufte, fragte ich mich, was ich in ihrer SituationK: Zu allererst möchten wir Ihnen zum Samuel Johnson tun würde - wäre ich geschäftstüchtig genug um nichtPreis für nichtfiktionale Literatur gratulieren. Was zu verhungern? Ich bin selbst Mutter eines Sohnes undbedeutet es Ihnen, dass “Die Kinogänger von Chongjin” so brach es mir das Herz, als sie mir erzählte, dass siemit diesem Preis ausgezeichnet worden ist? wählen musste, zwischen Nahrung oder Medizin fürBD: Ich habe mich selbst niemals als literarischen ihren Sohn.Schreiber gesehen, nur als Reporter, deswegen war K: Gab es Geschichten, die Sie lieber nichtes wirklich eine Überraschung einen Literaturpreis niedergeschrieben haben?zu gewinnen. Was höchst erfreulich ist, ist die BD: Jeder Nordkoreaner, den ich traf, hatte eineAufmerksamkeit, die der Preis auf die Lage der fesselnde Geschichte. Vor einigen Jahren interviewteNordkoreaner gelenkt hat. ich sehr ausführlich eine Familie, die ein Boot aufK: Wie kam Ihnen die Idee zu “Die Kinogänger von dem Gelben Meer gestohlen hatte, um damit nachChongjin? Südkorea überzusetzen. Es war eine der erstaunlichstenBD: Die Idee kam mir bald nachdem ich 2001 begonnen Geschichten, die ich je gehört habe. Ich begann über siehatte über Nordkorea zu recherchieren. Die Fotos und zu schreiben, als mich einer von ihnen anrief und unterdas Filmmaterial über dieses Land, die ich zu sehen Tränen bat, die Geschichte nicht zu veröffentlichen. Erbekam, waren voller Menschen mit ausdruckslosen fürchtete, es wäre für die nordkoreanische Regierung zuGesichtern, die sich im Gleichschritt bewegten und einfach die Identität der Familie festzustellen (wenigeim Sprechchor die Führung priesen. Ich sah mir diese Menschen fliehen per Boot) und die Verwandten zuBilder an und fragte mich: Was denken diese Menschen28
Hause zu bestrafen. Natürlich habe ich die Geschichteverworfen.K: Unteranderem erzählen Sie die Geschichte von Jung-san und Mi-ran. Ihre Liebe hat keine Chance mehr,nachdem sie Nordkorea verlassen haben. Können Siesagen warum?BD: Es gibt so viele Gründe, warum ihre Liebe inSüdkorea keine Chance hatte. Ich hatte den Eindruck(und ich denke, sie würden mir zustimmen), dass dieständige Erreichbarkeit durch Emails, Anrufe undSMS viel der Romantik nahmen, die ihr Umwerben imDunkeln genährt hatte.K: Sie haben geschrieben, dass südkoreanischeFernsehserien (Dramen) ihren Weg nach Nordkoreagefunden haben. Denken Sie diese Dramen werdenetwas daran ändern, wie Nordkoreaner ihr Land sehen?BD: Ja. Nordkoreaner müssen nur einen flüchtigen Blickauf die Kulissen der Serien werfen, um die Küchen mitihren Mikrowellen, Kühlschränken und Reiskochernzu sehen. Es sind diese Beiläufigkeiten, die denNordkoreanern deutlich machen, dass es doch etwasgibt, was sie ihren Nachbarn neiden können.K: Denken Sie persönlich, dass es in den nächsten Jahreneine Wiedervereinigung der beiden Koreas geben wird?BD: Bisher ist Nordkorea nicht zusammengebrochen,weil es niemand möchte. Ich denke, viele Südkoreanerhaben Angst vor der Wiedervereinigung. Die Chinesenwollen im Moment nicht, dass Korea wiedervereintwird. Ich bin mir nicht sicher, ob irgendjemand es will- abgesehen von den Nordkoreanern. Das System wirdaufrecht erhalten, weil niemand eine bessere Idee hat,was man mit Nordkorea tun soll.K: Vielen Dank für das Interview. 29
Kim und Struppi Von Atomraketen und regenbogenfarbenen WasserrutschenT Text von Andrea Maag , Fotos von Verlag Wer schon andere Reiseberichte über V-Autor Christian Eisert, geboren 1976 in Nordkorea gehört oder gelesen hat, der wird in Eiserts Ostberlin, beginnt seinen Reisebericht über Bericht kaum neue Sehenswürdigkeiten entdecken, seine Ferien in Nordkorea mit einer Erinnerung was aber kein Wunder ist, wenn man bedenkt, wieaus seiner Kindheit: Vor dem Bildungsminister von streng kontrolliert Touristen in Nordkorea sind.Nordkorea und der stellvertretenden Bildungsministerin Stets begleitet von ihren Reiseführern gibt es für dieder DDR soll Eisert in der Schule die Koordinaten beiden Reisenden kaum Gelegenheiten, einmal vomvon Pjöngjang auf der Karte ausfindig machen, doch ausgetretenen Touristenpfad abzuweichen, und wenn siealles, woran er sich erinnern kann, ist eine ominöse es tun, werden sie schnell wieder zur Ordnung gerufen.regenbogenfarbene Wasserrutsche, die er am Vortag Kritischen Fragen der beiden Reisenden weichen diein einem Film über Nordkorea gesehen hat. Die Reiseleiter geschickt aus oder ignorieren sie schlicht.Faszination, die diese Rutsche auf ihn ausübt, ist es Eisert bereichert die nordkoreanische Darstellung derdenn auch, die ihn 25 Jahre später auf eine Reise nach Dinge jedoch mit seiner eigenen Recherche und liefertNordkorea schickt, zusammen mit der befreundeten zu jeder Sehenswürdigkeit, aber auch zur GeschichteFotojournalistin Thanh Hoang. Nord- und Südkoreas, interessante Fakten. Westlichen Journalisten ist die Einreise nach Bei alledem merkt man immer, dass Eisert alsNordkorea verboten, weshalb Eisert und Hoang sich Autor Gags für Fernsehshows schreibt und als Comedy-als Theaterlehrer respektive Dolmetscherin ausgeben Coach unter wegs ist. Der Bericht ist durchgehend geprägtund, im Falle von Hoang, unter anderem Namen von Humor, der sich aus den teils absurden Situationenreisen – was sich als nicht ganz einfach herausstellt, ergibt, in der Eisert und seine Begleiterin landen, oderdenn schon bei der Ankunft am Flughafen Pjöngjang- aus der steigenden Anspannung zwischen den beiden,Sunan laufen die beiden Gefahr sich zu verraten. je länger die Reise dauert. Genau dies ist jedoch derMan ahnt: Es wird nicht das letzte Mal bleiben. In schwächste Punkt dieses Buchs: Zwar lockert EisertBegleitung ihrer beiden Reisebegleiter, Herrn Chung mit dem Einbringen der vielen kleineren und grösserenund Herrn Rym, machen sich die beiden auf, das von Kabbeleien zwischen sich selbst und Hoang den Berichtder Korean International Tourism Company strikt auf, doch dadurch verschwimmen auch die Grenzenvorgegebene Programm abzuarbeiten. Da geht es vorbei zwischen Sachbuch und Roman. Ob sich die einzelnenan einem Triumphbogen und skurrilen Bauruinen in Dialoge wirklich so zugetragen haben, sei dahingestellt,Pjöngjang, in die Myohyang-Berge zur Ausstellung doch sicher ist, dass sie mit fortschreitendem Verlaufder Internationalen Freundschaft, in ein traditionelles des Buches vom Wesentlichen ablenken. Wenn inbuddhistisches Kloster mit Betonsäulen, in ein Wiener einem kurzen, zwar gut recherchierten Abschnitt überKaffehaus, in die eingezäunte Altstadt von Kaesong oder die Hungersnöte in Nordkorea berichtet wird, nurin die entmilitarisierte Zone. Die Liste liesse sich beliebig um von einer mehreren Seiten langen Beschreibungfortsetzen mit einer Reihe teils bizarrer, teils unfreiwillig der Differenzen zwischen Eisert und Hoang gefolgtkomischen Sehenswürdigkeiten und Ereignissen.30
zu werden, so fragt man sich, ob man wirklich einensachlichen Reisebericht in den Händen hält. Wenn man darüber hinwegzusehen vermag, ist„Kim & Struppi“ kurzweilige Unterhaltung, die einenEinblick in ein Land ermöglicht, von dem man sonst nurin negativen Medienberichten hört. Es bleibt jedoch beidem Einblick – letztendlich vermag Eiserts Reiseberichtnämlich nur, an der Oberfläche eines faszinierendenund verwirrenden Landes zu kratzen, beginnt erdoch die Reise schon mit einem sehr oberflächlichenZiel. Herauszufinden ob er es denn schafft, dieregenbogenfarbene Wasserrutsche zu finden, sei jedemLeser selbst überlassen. Für einen tiefgründigen undumfassenderen Einblick in Nordkorea ist es aber aufjeden Fall empfehlenswert, sich zusätzlich mit andererLiteratur einzudecken. 31
K: Als Sie die Reise nach Nordkorea planten, war Ihnen da von Anfang an klar, dass Sie ein Buch darüber schreiben würden? Eisert: Es ist nicht ratsam, eine Reise zu machen mit dem festen Vorhaben, ein Buch darüber zu schreiben. Oder gar ein Buchkonzept vorher fertig zu haben. Das führt nur dazu, dass man versucht auf der Reise sein Konzept zu erfüllen und nicht mehr offen ist für unvorhergesehene Erlebnisse. Mir war sicher klar, dass man aus der Reise etwas machen kann, aber was und wie es wird, darüber habe ich erst hinterher nachgedacht. K: Darf man von Ihnen weitere literarische Werke zum Thema (Nord-)Korea erwarten? Eisert: Ich weiß jetzt natürlich sehr viel über das Land. Mehr als ich im Buch beschrieben habe. Und manche Erlebnisse sind noch nicht erzählt. Was daraus wird, kann ich noch nicht sagen. Nach so einer intensiven Zeit der Auseinandersetzung mit einem Thema brauche ich erst einmal etwas Abstand. K: Wie haben Sie die Menschen in Nordkorea wahrgenommen? Eisert: Man muss unterscheiden zwischen Menschen, mit denen wir offiziell zu tun hatten und denen, denen wir zufällig begegneten. Unsere Reiseleiter (und gleichzeitig Aufpasser) waren sehr freundlich. Manchmal lenkten sie ab oder beantworteten unsere Fragen nicht. Wenn wir versuchten, mit Museumsbediensteten ein längeres Gespräch anzufangen, gingen unsere Reiseleiter gleich dazwischen. Die Bevölkerung auf der Straße versuchte uns meist zu ignorieren. Schließlich ist unerlaubter Kontakt mit Ausländern immer noch gefährlich für Nordkoreaner. Aber hin und wieder gab es winzige unkontrollierte Momente: ein scheues, echtes Lächeln oder gemeinsames Lachen beim Tanzen. Und einmal gab es eine ernsthafte Auseinandersetzung, als meine Begleiterin Thanh mit dem Sicherheitschef des Hotels aneinander geriet. K: Wie wird sich Ihrer Meinung nach Nordkorea in Zukunft entwickeln? Eisert: Ich glaube, ein plötzlicher Zusammenbruch des jetzigen Systems wäre das Schlimmste, was der Bevölkerung passieren kann. Die Tausende von Gefangenen in den Todeslagern sind sicher froh, wenn sie raus kommen – es gibt wohl keine grausameren Lager auf der Welt als diese – aber es gibt eben noch 24,8 Millionen andere Nordkoreaner, von denen die Mehrheit noch nie ein anderes Gesellschaftssystem kennen gelernt hat. Wenn die mit Kapitalismus überrollt würden, gäbe das große Probleme. Für Südkorea wäre es zudem eine ökonomische Katastrophe, wenn sie den32
Norden wirtschaftlich stützen müssten. Da hatten wir leben. Besonders auf dem Land fiel auf, wie marodein Deutschland ganz andere Voraussetzungen und Nordkorea infrastrukturell ist. Wenn ich Nordkoreadennoch ging ja viel schief und belastet die Menschen farblich beschreiben müsste, würde ich sagen:besonders im Osten bis heute. Nordkorea bräuchte schlammbraun mit wenigen bunten Tupfen.einen langsamen Übergang. Ich bin aber skeptisch, K: Finden Sie es manchmal schwierig eine humoristischedass es langsam geht. Irgendwann gibt es einen Form zu benutzen um über Nordkorea zu berichten –Zusammenbruch, der die ganze Region destabilisieren oder anders gefragt: darf man über Nordkorea lachen?wird. Eisert: In „Kim und Struppi“ mache ich mich nicht überK: Haben Sie Tipps für andere Reisende, die Nordkorea Nordkorea lustig. Das würde dem Land, dem Systembesuchen wollen? und den Menschen nicht gerecht. Der Humor entstehtEisert: Auf jeden Fall sollte man als Nordkorea-Tourist vielmehr aus den Auseinandersetzungen zwischen unsniemand sein, der sagt: Was ich tue, ist richtig und was beiden Reisenden und unseren Reaktionen auf diemir andere sagen, mache ich nicht. Wenn man keine ungewohnten Umstände. Außerdem nenne ich Regeln,Erfahrung mit diktatorischen Systemen hat, wenn man Vorschriften und Anordnungen, die in Nordkorea geltennie gelernt hat, sich rund um die Uhr zu kontrollieren oder gebe Gespräche mit unseren Reiseleitern wieder.und zu verhalten, wird man an seine Grenzen stoßen. Inwieweit das komisch ist, überlasse ich dem Leser zuDann fällt es schwer zu verstehen, dass das System meist entscheiden. „Kim und Struppi“ ist das erste Nordkorea-stärker ist. Das kann emotional eine große Belastung Buch, das es in die „Spiegel“-Bestsellerliste - sogar aufwerden. Platz 2 - geschafft hat. Ich glaube, der Grund dafürK: Was war für Sie das prägendste Erlebnis in Nordkorea? liegt genau in meinem ungewöhnlichen Ansatz - demEisert: Am symbolträchtigsten und beeindruckendsten heiteren Erzählen ohne die dunklen Seiten des Landeswar sicher der Tanz zur Melodie des deutschen zu verschweigen. In die vordergründige UnterhaltungSchlagers „Tränen lügen nicht“ an der Grenze zu habe ich sorgfältig recherchierte historische Fakten undSüdkorea - mitten in der entmilitarisierten Zone. Das gesellschaftliche Hintergründe eingeflochten. Bisherwar ein Gänsehautmoment. Berührend war aber auch verband die Mehrheit das Land immer mit Folter,der Abend diesem merkwürdigen mit Stacheldraht Todeslagern und dem brutalen Kim-Regime. Das sorgtumzäunten Wellnesshotel . Als einer unserer Reiseleiter zwar kurz für Aufmerksamkeit, schreckt aber die meistenvor der Karaoke-Maschine das Lied „Can you feel the Leute davon ab, sich näher mit dem Land beschäftigen.love tonight“ von Elton John sang. Unvergesslich sind die Dadurch dass ich vordergründig heiter erzähle, wirdlangen, leeren Autobahnen, auf beiden Seiten gesäumt diese Hemmschwelle abgebaut und Interesse geweckt.von braunen, schlammigen Feldern, in denen Menschen Und für Nordkorea sollten sich doch möglichst vielebis zu den Knien im Schlamm steckten und mit Hacke interessieren.und bloßen Händen den Boden bearbeiteten. Undholprige Landstraßen auf denen tausende Menschen inbunten Gummistiefeln entlang trotteten.K: Haben Sie auf der Reise persönlich negativeErfahrungen gemacht?Eisert: Da ich von Anfang an mit dem Schlimmstengerechnet habe, konnte es fast nicht zu negativenErfahrungen kommen. Anstrengend war sicherlich, dassThanh und ich so gut wie keine Möglichkeit hatten, auchmal für uns allein zu sein. Was besonders schwierig war,weil wir beide Individualisten sind.K: Was ist Ihr Gesamteindruck von Nordkorea?Eisert: Während der Reise wirkte das Land bisweilensehr kulissenhaft. Wie eine riesige Theaterinszenierung.Und doch verbargen sich hintern den Masken undFassaden echte Menschen, die lieben, die lachen, die 33
Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Pulitzer-Preis 2013E Text von Esther Klung, Foto vom Verlag Nordkoreaner wird er vom politischen System geformt igentlich ist Jun Do gar keine Waise, der und benutzt. Jedoch gelingt es ihm, die Schwächen des Originaltitel impliziert dies auch nicht. Jun Systems irgendwann für sich zu nutzen und so seine Dos Vater arbeitet in einem Waisenhaus, die eigenen Regeln zu erstellen.Mutter ist fort, durch einen bürokratischen Fehler wirdder Junge zum Leben eines Waisenjungen verdammt. Adam Johnson hat einen Roman geschaffen, inWaisen sind in Nordkorea unbeliebt, wenig sind sie dem es um die Suche nach der eigenen Identität geht, inwert und so kann jeder, der ihnen zu Essen geben einem Land, in dem die Menschen ihrer persönlichenkann, sie ausleihen und für sich arbeiten lassen. Die Entfaltung beraubt werden. Die Geschichte schwanktmeisten Waisenjungen werden früher oder später vom zwischen aberwitziger Erzählung und trauriger Realität.Militär eingezogen, so auch Jun Do, der bereits mit 14 Manchmal will man über die Absurdität einzelnerals Tunnelsoldat ausgebildet wird. Fortan findet sein Situationen lachen. In anderen Momenten bleibt einemLeben in den engen, dunklen Stollen unter der DMZ das Lachen im Halse stecken, wenn Johnson einen(Demilitarized Zone) statt. Acht Jahre später wird Jun zwingt, sich der Brutalität dieses Regimes zu stellen.Do, der mittlerweile ein junger Mann geworden ist, von Auf 700 Seiten trifft man auf Folter, Gehirnwäsche,einem Soldaten auf ein Schiff gebracht. Die Mission der Hungersnöte und die private Hölle abgestumpfterBesatzung ist es, japanische Zivilisten zu entführen. Menschen. Der Autor verschont seine Leser nicht. Deutlich und detailreich sind die Beschreibungen und Doch hier beginnt Jun Dos Reise erst. Sein oft ist das, was nur angedeutet wurde, im Nachhallverworrener, zuweilen bizarrer Weg führt ihn in die schlimmer, als alles, was ausgeschrieben wurde.USA. Dort spielt er eine ihm vom Staat auferlegte Rolleund wird gleichzeitig durch eine Verwechslung für 2013 wurde „Das geraubte Leben des Waisenjemand anderen gehalten. Kaum zurück aus Amerika, Jun Do“ zu Recht mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet.landet Jun Do in einem Arbeitslager, in dem er erneut Adam Johnson ist der waghalsige Spagat zwischeneine andere Identität annimmt. Jun Do, der Name kann spannender, poetischer Unterhaltungsliteratur undals Anlehnung an John Doe gelesen werden. So fragt kluger, detailliert recherchierter, Augen öffnenderman sich bis zum Ende, wer ist dieser Jun Do eigentlich? politischer Bildung gelungen.Nicht einmal der „Geliebte Führer“ scheint es zu wissen,als er ihn trifft. Der Roman ist eine unbedingte Leseempfehlung für alle, die sich nur ein bisschen für diese Welt Damit wird Jun Do zu einem bemerkenswerten interessieren.Charakter. Er ist ungreifbar und faszinierend. Wie alle34
35
Nordkorea Einblicke in ein rätselhaftes Land W Text von Esther Klung, Foto vom Verlag enn bereits die Einleitung zu beeindrucken vermag, weil sie Fülle aus Informationen und Denkanstößen vorweisen kann und dabei auch noch unterhaltsam ist, dann ahnt man, dass man ein Buch in den Händen hält, das nur schwer wird vergessen können. Der Herausgeber Christoph Moeskes kommt ganz ohne Klischees aus, wenn er einige Fakten zu Nordkorea zusammenträgt, diese verbindet und über das Offensichtliche hinausdenkt. Dabei hat er Abstand, bewertet nicht, und schafft es doch, angenehm neutral zu wirken. Für „Nordkorea“ hat er 18 Geschichten aus diesem Land zusammengetragen, die Berichte stammen von Journalisten, Touristen und humanitären Helfern. Die letzten Sätze der Einführung zeigen, was das Anliegen des Herausgebers ist: „In diesem Land leben Menschen“, schreibt Moeskes und fährt fort: „Es verdient Respekt, wie die meisten von ihnen ihr Leben seit über 60 Jahren unter äußerst schwierigen Bedingungen meistern.“ Viele Bücher über Nordkorea versuchen reißerisch zu sein oder bemitleidend, sie wirken von oben herab und verfehlen damit komplett das Ziel das Bewusstsein der Menschen zu schärfen. Unterteilt ist „Nordkorea“ in acht Abschnitte. Es beginnt mit Besuchen in Pjöngjang und der Provinz, gewährt Einblicke in die politische Inszenierung des Landes, zeigt die Arbeit der36
Welthungerhilfe und Benediktiner und endet sicher, dass die Ausländer nur sehen, was sie sehenmit wirtschaftlichen Veränderungen und dem sollen, sondern kontrollieren sich auch gegenseitig,vorsichtigen Austausch mit dem Ausland. Die um ein Fehlverhalten sofort melden zu können.Mitte des Buches zeichnet eine Bildreportage aus. Dies ist jedoch nur eine von vielen spannenden und Die „Einblicke in ein rätselhaftes Land“ sind informativen Reisen. „Nordkorea – Einblicke in einReisegeschichten, geschrieben von Menschen, die rätselhaftes Land“ sollte von jedem gelesen werden,Menschen treffen. Hier geht es nicht um Kritik und einmal, zweimal, mehrmals. Jeder Abschnitt birgt Neues,Politik, es geht um eine Annäherung, um ein Verstehen. jede Seite regt einen neuen Gedanken an. Es ist nicht dasJeder Reisebericht ist für sich allein genommen bereits erste Buch über Nordkorea, das ich gelesen habe, doch esein Erlebnis, zusammen ergeben sie ein Puzzle, das ist eines der wenigen, das mir im Gedächtnis bleiben wird.Nordkorea, seine Menschen und Ideologie abzubilden Es erschüttert, stimmt nachdenklich, es informiert undversucht. Die Erlebnisse stammen aus den letzten belustigt und dabei bleibt es den Menschen gegenüber15 Jahren und so zeigen sie auch, wie das Land sich immer respektvoll, ist nie verächtlich oder belächelnd.verändert hat und lassen erahnen, in welche Richtunges sich vielleicht noch verändern wird. Besonders Beim Lesen beschlich mich ein seltsames Gefühl,beeindruckend ist dabei der Bericht von Britta-Susann eines, das ich Nordkorea gegenüber nie empfundenLübke, deren Eltern zwischen 1956 und 1957 in habe: Dieses Land möchte man kennenlernen, manNordkorealebtenundarbeiteten.Siehalfen„sozialistische will es mit eigenen Augen sehen. Nicht nur, weilBruderhilfen“ und halfen die Stadt Hamhung, die im es kein vergleichbares Land auf dieser Welt gibt,Koreakrieg zerstört worden war, wieder aufzubauen. sondern vor allem auch, weil es ein Land ist vollerLübkes Vater hat das Land nie wieder losgelassen, nicht gelebter Träume, ein Land voller Menschen,damals durften er und seine Frau sich noch frei bewegen, die, wenn sie offen reden dürften, noch so viel mehrdurften mit Menschen sprechen und Freundschaften zu erzählen hätten, als sie in diesem Buch bereits tun.schließen. All dies ist heute in Nordkorea nicht mehrmöglich, jeder Ausländer wird von mindestens zweiFührern begleitet. Gegenseitig stellen diese nicht nur 37
Search
Read the Text Version
- 1 - 37
Pages: