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Der Seelenwanderer

Published by kl.klingler1989, 2017-03-04 06:01:35

Description: Leseprobe

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Peter ClarkDER SEELENWANDERERund das Vermächtnis des Planeten Tiboo Roman

LESEPROBE Das ESOC-GeheimlaborEine fremdartige Scheibe, nicht viel größer als ein griechischerDiskus, schwebte schwerelos über dem frisch poliertenMarmorboden. Eine fremde Spezies, genannt die Tiboo, hatte vordem Untergang ihres Planeten unzählige dieser Scheiben in alleRichtungen des Weltalls geschickt. Eine davon landete auf derErde, auf dem Kontinent Australien. Nun kümmerte sich dieintellektuelle Elite des 21. Jahrhunderts um die Entschlüsselungihrer Geheimnisse. Die Engländer reagierten am schnellsten unddank der guten Beziehungen zu ihrer ehemaligen Kolonie brachtensie die Scheibe sofort nach Cambridge. Die Amerikaner und dieDeutschen mussten sich hintanstellen und auf die Großzügigkeitder ehemaligen Weltmacht hoffen. Immerhin war ihnen derengrößte Sorge, dass die Scheibe in die Hände von Terroristen fallenkönnte, genommen worden.Wie die Miniaturfigur einer Satellitenschüssel drehte sich dieScheibe der Tiboo langsam um die eigene Achse, während ausihrem Inneren eine Art Plasma strömte. Die bläuliche Substanzerfüllte den ganzen Saal und reichte bis in den letzten Winkel. Indieses Plasma projizierte die Scheibe in dünnen Lichterketten dasWissen der Tiboo, um was sich wiederum das Interesse dergesamten Menschheit drehte.Es war eine für die Erde völlig neuartige Konsistenz, der manbislang noch keinen Namen gegeben hatte. „An diese Materie,oder Plasma, wie es die meisten mittlerweile nennen, werde ichmich wohl nie gewöhnen können. Man kann es nicht greifen, aberdennoch spüre ich es überall auf meiner Haut.“ sagte Eva zu einem 2

Mann mit Hornbrille und weißem Arbeitskittel, „Selbst nachvielen Stunden ist es immer noch ein befremdliches Gefühl, sichdarin zu bewegen. Es ist schwer zu beschreiben, aber ich würdesagen, es fühlt sich an wie... wie...“ doch Eva wollte keingeeigneter Vergleich einfallen.„So wie kalter Wasserdampf vielleicht?“ warf Robert ein.„Ja, Robert. Genau! Wie kalter Wasserdampf.“ wiederholte Evakopfnickend. „Nur dass es natürlich nicht feucht ist.“ dabei warfsie ihre Haare nach hinten und sah Robert mit ihren blauen Augen,die in dem phosphoreszierenden Licht fremdartig leuchteten,direkt an. „Mein Gott, Eva!“ spielte Robert den Erschrockenen.„In diesem Licht siehst du ja aus wie ein Alien!“Für einen Augenblick schauten sie sich regungslos an, dannverdrehte Eva ihre Augen, verzog ihre Mundwinkel und beganntieftönig zu grunzen. Dann hielten sie es nicht mehr aus undprusteten gleichzeitig los, wie zwei junge Teenager. Als sie sichwieder beruhigt hatten, sagte Eva, während sie sich müde eineTräne aus dem Augenwinkel wischte: „Ach Robert, mit dir kannman nach 24 Stunden Arbeit noch herumalbern.“„Erst recht nach 24 Stunden! Aber im ernst: Ich bin mit den Tiboovollkommen derselben Meinung, Lachen istüberlebenswichtig.“ Antwortete Robert, der seit Jahren Evasschwuler Assistent war und zurzeit genauso wenig interessiert aneiner Beziehung wie Eva selbst.Mit Notizblöcken unterm Arm machten sie sich auf den Weg zumnächsten Hologramm, die überall im Saal verteilt waren. DieScheibe projizierte sie, ähnlich wie ein Projektor, an mehrerenStellen in den Raum. Die Hologramme zeigten verschiedenedreidimensionale Zeichnungen, mathematische Gleichungen,wissenschaftliche Schriften und sich bewegende Animationen vonchemischen Elementen. Robert und Eva passierte mehrereWissenschaftler, die Tag und Nacht an der Entschlüsselungarbeiteten. Jeder Wissenschaftler, dem sie begegneten, grüßte sierespektvoll. Nicht weil sie Eva oder Robert so gern mochten,sondern weil Eva ihr Boss war. Niemand wollte es sich mit ihr 3

verscherzen. Ihre Autorität war beinahe spürbar, genau wie dasPlasma, das sie umgab.Eva war eine große, dünne Frau mit stahlblauen Augen und langenblonden Haaren, die fast ihren ganzen Rücken bedeckten. Dasbläuliche Schimmern der Scheibe wurde von ihrer hellen Hautbesonders stark reflektiert und betonte dadurch ihre feingliedrigeGestalt. Sie trug eine grüne oder gelbe Bluse, (das konnte manwegen des blauen Lichts im Raum nicht genau erkennen) die ihreflache Brust bedeckte und fast bis zum Hals zugeknöpft war.Sie leitete die Forschungsarbeiten und hatte damit auch diePersonalverantwortung. Folglich hatte sie die Befugnis,Wissenschaftler, die keine Ergebnisse lieferten oder nicht schnellgenug arbeiteten, durch andere zu ersetzen. Die Liste anBewerbern war lang, denn jeder wollte an der Entschlüsselung desGrals der Weisheit, wie die Scheibe in den Medien genannt wurde,mitwirken. Die Tatsache, aus einem beinahe endlosen Pool anBewerbern schöpfen zu können, verlieh ihr eine Macht, die nurdurch ihre Intelligenz übertroffen wurde. Letztes Jahr war sie imAlter von gerade mal 38 Jahren für ihren zweiten Nobelpreisnominiert worden, was vor ihr nur drei Männern und einer Fraugelungen war, allerdings in deutlich höherem Alter. Von ihrerherrischen Art fühlten sich ihre männlichen Kollegen ofteingeschüchtert. Andere beschrieben sie als kalt und emotionslos.Von Robert hatte sie gehört, dass manche sie, hinter vorgehaltenerHand, die Eiskönigin nannten. Obwohl sie sehr attraktiv war, hattees bisher noch niemand gewagt, sie auf ihr Privatlebenanzusprechen, geschweige denn sie auf einen Kaffee oder einAbendessen einzuladen.„Guten Morgen, die Herren. Wie gehen die Untersuchungenvoran?“ fragte Eva freundlich, aber bestimmt eine Forscher-Gruppe. Es dauerte nicht lange bis ein eifriger Professor ausHarvard das Wort ergriff. Angestrengt versuchte er, ihr seineInterpretation einer chemischen Formel zu erklären, welche dieElemente Au für Gold und Arg für Silber enthielt. Obwohl sie ihnnicht unterbrach und aufmerksam zuhörte, waren ihr schon einigeFehler in seinen Berechnungen aufgefallen. Eva blickte auf ihr 4

Notizbuch, schüttelte beinahe unmerklich den Kopf und seufzteleise. Die erfahreneren Professoren um sie herum schauten sichvielsagend an, denn diese Geste konnte nur eines bedeuten.Spätestens morgen früh würde ihr Kollege aus Harvard ein Kuvertbekommen, das ein Dankesschreiben für seine bisherigen Dienstesowie ein First Class Flugticket zurück in die Vereinigten Staatenenthielt. Selbstverständlich fiel es Eva nicht leicht, einen Forscher,der so viel Herzblut in seine Arbeit gelegt hatte, nach Haus zuschicken, doch genau das war ihr Job. Es war ein absolutesPrivileg, an der Entschlüsselung der Scheibe mitzuwirken und daes nur Platz für die fünfzig fähigsten Forscher der Welt gab, konntesie auch nur die absolut Besten behalten.Eva machte sich gerade eine Notiz, nickte dem Harvard Professorfreundlich zu und bedankte sich höflich für seine Arbeit und seineAusführungen. Der arme Kerl lächelte und strahlte vor Glück. Erhatte keine Ahnung, dass er schon in wenigen Stunden in einemFlugzeug über dem Atlantik sitzen würde.„Entschuldigen sie mich bitte, meine Herren. Bleib du ruhig hierRobert.“ sagte Eva und machte sich auf den Weg zur nächstenGruppe.Sie schaute auf ihre Uhr. Seit 30 Stunden hatte sie nicht geschlafenund ihre letzte Mahlzeit lag auch schon viel zu lange zurück. Langewürden sich ihr Hunger und ihre Müdigkeit nicht mehr ignorierenlassen. Doch bevor sie sich ein wenig ausruhen und ein Frühstückbestellen konnte, wollte sie der Gruppe der Atomphysiker nocheinen Besuch abstatten. Sie holte tief Luft und durchsah ihreNotizen vom letzten Treffen. Danach drehte sie sich nach links undging zielstrebig auf eine Traube von Atomphysikern zu, die sichum den Bauplan einer komplexen Maschine versammelten. Es wareines der wichtigsten Projekte der gesamten Station. Aufgeregtwaren sie in eine Diskussion vertieft, wurden allerdings stetigleiser, als sie Eva wahrnahmen.„Guten Morgen meine Damen und Herren. Bitte lassen sie sichnicht stören. Ich möchte mir einen Überblick über die bisherigenFortschritte machen. Fahren Sie fort.“, sagte Eva mit einemfreundlichen Lächeln auf den Lippen und nickte dem jungen Mann 5

aufmunternd zu, der zuvor aufgeregt und überschwänglichgesprochen hatte. Sofort setzte er da an, wo er bei Evas Anblickaufgehört hatte. Hin und wieder zeigte er auf die eine oder andereZahlenkombination im Hologramm, zwischen welchen er eineVerbindung vermutete. Eva fiel auf, dass seine Wangen leichtgerötet waren und seine intelligenten dunklen Augen vorAufregung glänzten, während sie von einem Zuhörer zum nächstensprangen. Er konnte nicht viel älter als Mitte 30 sein und war somitzusammen mit Eva einer der Jüngeren im Raum. Seine lockigenHaare fielen ihm ständig ins Gesicht und er musste sie immerwieder nach hinten streichen. Eva empfand ihn als vorbildlich imVergleich zu manch älteren Kollegen, die oft einen trägenEindruck auf sie machten. Plötzlich kreuzten sich ihre Blicke unddie Physiker starrten sie fragend an. Anscheinend hatte der jungePhysiker ihr eine Frage gestellt, die sie nicht gehört hatte.Ärgerlich ob ihres unprofessionellen Verhaltens räusperte sich Evaund rief: „Aber ja doch! Sie machen eindeutig Fortschritte.Machen Sie weiter.“ Sie nickte dem jungen Mann zu und forderteihn mit hochgezogenen Augenbrauen auf, seine Erklärungenfortzusetzen. Ein wenig irritiert von dem spontanen Lob oder derseltsamen Antwort, die so gar nichts mit der Frage zu tun gehabthatte, wandte er sich erneut seinen Kollegen zu. Sie konnte ihmerneut nicht lange folgen, denn ein heftiger Magenkrampf ließ sieleise aufstöhnen. Sie kniff die Augen zusammen und versuchtesich zu entspannen. Endlich ließ der Schmerz nach. Genug fürheute. Tief in Gedanken versunken und das Kinn leicht auf dierechte Faust gestützt, musterte sie die Projektion in der bläulichwabernden Masse vor sich. Wenn die Entschlüsselung endlichgelänge, stand vor ihnen die Lösung zur Energieknappheit undUmweltverschmutzung: die Kernfusion. Eine chemischeReaktion, bei welcher zwei Wasserstoffatome unterEnergiefreisetzung zu Helium miteinander verschmelzen. Es wäredas Gegenstück zur Spaltung der Atomkerne. KontrollierteKernfusion bedeutet dagegen die unbegrenzte Versorgung dergesamten Menschheit mit sauberer Energie. EinMenschheitstraum, an dessen Verwirklichung seit einem 6

Jahrhundert gearbeitet wurde. Man weiß, dass sie dieEnergiequelle aller Sterne ist, in dessen Kern der Druck großgenug ist, damit sich zwei gegenseitig abstoßende Atomkernezusammenschmelzen. Dieser Druck ist auf Erden nichtnachahmbar. Die alternative Lösung: Hitze. Die Atomkernemüssen derart beschleunigt werden, dass sie aufeinanderprallenund fusionieren. Doch genau daran scheitert die Wissenschaft. Dieunvorstellbaren Temperaturen von über 100 Millionen Gradmüssen durch ein Hochspannungs-Magnetfeld isoliert und stabilgehalten werden. Bisher für die Menschheit ein unmöglichesUnterfangen. Die Tiboo hatten dieses Problem scheinbar gelöstund Eva hoffte, dass sie das Geheimnis bald lüften würden. SeitWoche wurden verschiedene Experten dieser bedeutsamenProjektion zugeteilt, doch niemandem war es bis jetzt gelungen,den Bauplan des Kernfusionsreaktor vollständig zu verstehen. Evawar skeptisch, dass heute ein anderer Tag sein würde und sie hatteRecht. Bei dem plötzlichen Einwand einer Kollegin, stutzte derjunge Professor, durchblickte hastig seine Notizen und schlug sichdann mit der flachen Hand vor die Stirn. „Verdammt noch mal!“,rief er laut, „Du hast Recht! Das innere Magnetfeld ist zu schwach,um die Ionen stabil zu halten und exotherme* Energie zuerzeugen.“ Enttäuscht warf er seine Notizen auf den Boden. „Wirhaben gar nichts! Der Reaktor schmilzt uns jedes Mal davon.Scheiß Atome, scheiß Physik, scheiß Tag! Ich hau mich jetzt aufsOhr.“ Damit verließ er mürrisch den Raum.Eigentlich konnte Eva derartige Gefühlsausbrüche den Forschernnicht durchgehen lassen, doch der junge Physiker war ihrsympathisch. Außerdem schien sich niemand über seineKraftausdrücke aufzuregen. Achselzuckend nahmen dieAtomphysiker ihre Aufgabe wieder auf und begannen damit, einenneuen Lösungsansatz zu entwickeln. Und damit war auch für Evadas Thema erledigt.* Chemische Reaktion bei der Energie, z.B. in Form von Wärme an die Umgebung abgegeben wird 7

Plötzlich ertönte eine Frauenstimme:: „Knusprige, leckere Bagles,frisch gepresster Orangensaft, Kaffee und Tee!“ Bei diesen Wortenmeldete sich Evas Hunger zurück und sie lief auf die Frau zu, dieeinen kleinen Essenswagen vor sich herschob. Ursprünglichdurften in diesem hochsensiblen Arbeitsbereich keine Speisenoder Getränke konsumiert werden, aber schon nach drei Tagen warein japanischer Historiker völlig dehydriert zusammengebrochen.Seitdem wurden in regelmäßigen Abständen kleine Mahlzeitenund Getränke zur Verfügung gestellt.„Guten Morgen Mrs. Hutchinson.“, sagte Eva ein wenig außerAtem, da sie sich beeilt hatte, denn alle stürzten sich fürgewöhnlich wie die Geier auf die arme Mrs Hutchinson.„Gut, dass Sie endlich da sind. Ich bekomme zwei BecherOrangensaft, dazu einen Bagle mit Frischkäse und TomatenMozzarella, sowie eine Tasse schwarzen Kaffee ohne Milch undmit einem Stück Zucker.“„Wie immer also.“ Sagte Frau Hutchinson lächelnd. Während dieVerkäuferin Evas Bestellung aufnahm, bildete sich eine langeSchlange, die ungeduldig nach vorne drängelte.„Nur mit der Ruhe. Ich habe genug für alle da.“ rief Mrs.Hutchinson.Kaum hatte sich Eva ihr Frühstück geschnappt, versteckte sievorsorglich den Bagle in ihrer Tasche als wäre ein Rudel vonHyänen hinter ihr her. Sie setzte sich etwas abseits an einen weißenTisch und begann gierig ihr Essen hinunterzuschlingen.Während sie den Rest ihres Kaffees austrank, bemerkte sie, wieihre Lebensgeister beinahe schlagartig zurückgekehrten. Trotzdembeschloss sie erst am nächsten Tag ihre Forschungsarbeitfortzusetzen. Nachdem sie den letzten Bissen ihres Baglesheruntergeschlungen hatte, stand sie auf, warf ihre Tasche mit demNotizblock um die Schulter und marschierte Richtung Ausgang.Nachdem sie alle Sicherheitsvorkehrungen durchgangen war undsich abgemeldet hatte, erreichte sie den Parkplatz und suchte in derMorgensonne nach ihrem weißen Bentley. Sie war gerade dabei,die Kabel ihrer Kopfhörer zu entwirren, um sich das Best of Albumvon R. Kelly anzuhören, als sie jemand von hinten an die rechte 8

Schulter tippte. „Entschuldigen Sie gnädige Frau.“ Überraschtdrehte sich Eva um. Gnädige Frau? Sie blickte in das Gesichteines Mannes etwa in ihrem Alter, der einen Stadtplan in der Handhielt. „Mein Name ist Ron Wall.“Der intensive Geruch seines Aftershaves schlug ihr ins Gesicht,wodurch ihr nicht auffiel, dass sein Atem leicht nach Whiskeyroch. Er schien ebenfalls die Nacht zum Tage gemacht zu haben,denn der dunkle Schatten eines 24-stündigen Bartwuchses wardeutlich zu erkennen.„Guten Tag, gnädiger Herr.“ antwortete Eva spöttelnd und schautefragend zu ihm auf, was selten vorkam, da sie selbst fast 1,80Meter groß war. Vielleicht blickte sie deshalb so aufmerksam inseine grauen Augen, die von einer großen, männlichen Nasegetrennt wurden und forschend in die ihren sahen. Sein markantes,unrasiertes Gesicht war nicht besonders schön, doch es weckte einungeahntes Interesse in ihr.Ron hatte belustigt das Mienenspiel und den Ausdruck in EvasAugen beobachtet. Eigentlich konnte Ron Stereotypen nichtausstehen, doch dummerweise hing sein Lebensunterhalt davonab. Es ist doch immer wieder das Gleiche. Dachte Ron, der soforterkannt hatte, dass Eva die Nacht durchgearbeitet hatte. Frauen,die ihren Job an oberste Stelle setzten, stießen Männer von sich,wie lästige Stechmücken. Innerlich dürsten sie jedoch nach Liebeund Zuneigung. Während er den Kopf leicht hin und her bewegte,fasste er den spontanen Entschluss, sich auf eine mühselige abermöglicherweise äußerst lohnenswerte Herausforderungeinzulassen und die fremde Frau auf ein Date einzuladen.Verlegen griff sich Ron an die Stirn. „Entschuldigen Sie, aber ichhabe jetzt ganz vergessen, was ich sagen wollte.“Eva wollte sich schon wegdrehen. „Zur U-Bahn geht es in dieRichtung.“„Warten Sie bitte. Einen Moment. Normalerweise mache ich soetwas eigentlich nicht,“ log Ron „Vielleicht habe ich zu weniggeschlafen, aber ich spüre eine gewisse Spannung zwischen unsund ich würde sie gerne etwas näher kennenlernen. Ich essemorgen Abend im Pelikan und würde mich über Ihre reizende 9

Begleitung freuen.“ Das Pelikan war das nobelste und teuersteRestaurant weit und breit, dennoch war sich Ron sicher, dass sieversuchen würde, ihn abzuwimmeln und sich deshalb eine Lügefür ihn ausdachte.Eva war total überrumpelt von der Frage. Seit Monaten hatte sieniemand mehr ausgeführt. Obwohl ihr das Interesse des fremdenMannes mit den interessanten Augen schmeichelte, fühlte sie sichunbehaglich. Sie hatte keine Lust auf einen Flirt. Und was nochschlimmer war, sie fühlte sich in ihren geheimen Gedankenertappt, was sie schutzlos und nackt erscheinen ließ. Mach dichnicht lächerlich, Eva. Er kennt dich doch überhaupt nicht.„Wie war noch gleich Ihr Name? Mr. Wall? Richtig?“„Genau, aber sagen Sie einfach Ron zu mir.“„Mr. Wall.“, betonte Eva seinen Nachnamen scharf. „Sie sindbestimmt ein interessanter Mann und es hat Sie ohne Zweifel eineMenge Mut gekostet, mich hier Mitten auf einem Parkplatzanzusprechen und Sie können stolz auf sich sein, denn über zweiDrittel der Männer hätte sich das niemals getraut. Nehmen Sie esmir also nicht übel, wenn ich Ihnen jetzt Folgendes sage: Ich habeseit 30 Stunden kein Auge zugetan, bin hundemüde undkeineswegs in der Stimmung, mit einem unrasierten Kerl wieIhnen überhaupt auch nur ein Eis essen zu gehen. Erst recht nichtmit jemandem, den ich noch nie zuvor gesehen habe “ echauffiertesich Eva mehr als sie wollte. Man kannst du fies sein! Ihre Stimmewar laut geworden und ein vorbeigehender Wissenschaftler drehtesich verwundert zu ihnen um. Mach jetzt bloß keine Szene.ermahnte sich Eva. Verabschiede dich höflich und fahr nachHause, bevor du wirklich noch zur Eiskönigin wirst.Eva holte tief Luft. Für sie gab es nur eine Möglichkeit, diesen Kerlloszuwerden ohne seine Gefühle zu verletzen.„Nehmen Sie es nicht persönlich. Ich bin seit Jahren glücklichverheiratet und mein Ehemann wartet auf mich. Wenn sie michjetzt also bitte entschuldigen würden.“ Sagte Eva in einem leiserenTon, schwang ihre Tasche wieder um die Schultern und drehte sichum die eigene Achse. Da war sie endlich! Die erste Lüge! jauchzte 10

Ron innerlich und freute sich auf das, was als nächstes kommenwürde.Amüsiert applaudierte er Eva und sagte „EinwandfreieVorstellung. Vielleicht ein wenig zu bissig, aber trotzdem ganzoben in meinen persönlich Top Ten. Absolut glaubwürdig. MeinenRespekt. Damit hätten sie wahrscheinlich den charmantestenFrauenflüsterer aller Zeiten, James Bond und Casanovahöchstpersönlich, vergrault, aber ich bin leider nur ein einfacherSingle, genau wie Sie.“Eva hielt inne, drehte sich um und meinte entnervt „Wie bitte!? Ichbin glücklich verheiratet. Was erlauben Sie sich?“, doch innerlichdachte sie verzweifelt, Wer zum Teufel war dieser Kerl?„Sie sind nicht verheiratet. Außerdem weiß ich, dass siemindestens einmal die Woche Tennis spielen und zu meinemBedauern Vegetarierin sind. Dass Sie ein Workaholic sind, liegtauf der Hand.“Eva gab sich unbeeindruckt und streckte ihm zur Antwort nur ihrelinke Hand mit dem Ehering entgegen, als würde sie dieselbe Gestemit dem Mittelfinger machen. Inständig hoffte sie, dass dieserBluff sie endgültig aus der Affäre ziehen würde, doch Ron begannschon wieder zu grinsen.„Wie schon gesagt, Sie sind nicht verheiratet. Dieser„Ehering“ wird mich bestimmt nicht vom Gegenteil überzeugen.Den habe ich übrigens schon bemerkt, bevor ich sie begrüßt habe.“Sie standen sich jetzt wieder direkt gegenüber. „Wer zur Hölle sindSie überhaupt? Ein verdammter Stalker? Woher wissen Sie dennall diese Sachen über mich?“„Ah, jetzt stellen Sie die richtige Frage. Dass Sie Tennis spielen,konnte ich an der leicht verstärkten Muskulatur an Ihrem rechtenArm erkennen, wie sie nur für Tennisspieler üblich ist. Ihre reineHaut und dünnes Haar kennzeichnet Sie als einen langjährigenPflanzenfresser aus. Ein kleiner Proteinmangel, schätze ich.Vielleicht sollten Sie mehr Reis essen, oder sich mal ein schönesSteak gönnen.“Während Ron ihre weiteren Gewohnheiten offenbarte, die sonstniemand kannte, dämmerte ihr langsam, wen sie vor sich hatte. 11

Ron war einer der Identitätsjäger, die die Persönlichkeit ihnenunbekannter Personen erraten konnten und von ihrer Firma füreine besondere Mission angeheuert wurde. Nachdem er fertig war,nickte sie anerkennend.„Nicht schlecht.“ Nun wollte sie aber wissen, wie gut er wirklichwar.„Aber woher wussten Sie, dass ich nicht verheiratet bin?“„Ich konnte es...“ Ron machte eine kurze Pause, als würde er nachden richtigen Worten suchen, bis er mit den Schultern zuckte undsagte, „Naja irgendwie konnte ich es fühlen.“„Sie konnten es fühlen?!“, wiederholte Eva, „Wie kann man soetwas denn bitte fühlen?!“ und zeichnete bei der Betonung auf dasWort „fühlen“, jeweils zwei Ausführungszeichen in die Luft.„Lassen Sie mich versuchen, es zu erklären. Oft sind esKleinigkeiten. Zum Beispiel fiel mir auf, dass sich ihre Pupillenbei meinem Anblick minimal vergrößerten. Außerdem konnte ichan ihrer Brust erkennen, dass sie schneller atmeten. Ihr Puls warleicht angestiegen, was mich auf einen Adrenalinausstoß schließenließ. Als nächstes sah ich mir Ihre Kleidung an. Mir fiel auf, dassSie mit Ihrer bis zum Hals zugeknöpften Bluse, ihrem langenschwarzen Rock und ihrem sehr dezent geschminkten Gesichtversuchen, möglichst unauffällig und passiv zu wirken.Möglicherweise um das Werben männlicher Kollegen bereits imKeim zu ersticken? Schließlich sind sie eine attraktive Frau.Natürlich ist mir dabei auch ihr Ehering aufgefallen, der mirallerdings in diesem Zusammenhang eher wie ein weitererSchutzschild vorkam. Als sie mich erblickten, streckten Sie IhrRückgrat durch, um sich nur einen Augenblick später mit derrechten Hand durchs Haar zu streichen. Unterbewusst wollten Sieauf mich einen positiven Eindruck machen. Allein die extremenGegensätze zwischen Ihrer Kleidung und Ihrer Körperspracheverrieten mir, dass sie mir und der Welt etwas vortäuschen undwahrscheinlich sich selbst auch.“ Ron wandte kurz den Blick abund betrachtete den Boden vor seinen Füßen, bevor er seineErklärungen fortsetzte: „Natürlich können ein erhöhter Puls undvergrößerte Pupillen Signale für alle möglichen emotionalen 12

Gefühlsausbrüche sein. Trotzdem kann man vomGesichtsausdruck einer Person lesen, wie er oder sie sich geradefühlt und mit ein bisschen Übung sogar sehen was sie denken,obwohl man die Person gerade zum ersten Mal getroffen hat.“ Evaschien nicht ganz überzeugt von Rons Erklärung zu sein underwiderte misstrauisch: „Sie können also sehen was ich denke? Siesind ein Gedankenleser!“, Eva lachte leicht gekünstelt undschüttelte dabei ungläubig den Kopf, doch Ron ließ sich davonnicht beeindrucken und fuhr fort: „Derjenige, der andere kennt, istweise, derjenige, der sich selbst kennt, ist erleuchtet. Wer anderebeherrscht, ist vielleicht mächtig…„Aber wer sich selbst beherrscht, ist noch vielmächtiger.“ Vollendete Eva Rons Zitat des chinesischenPhilosophen Dao. Beeindruckt von Evas Kenntnissen über diechinesische Literatur nickte Ron ihr nachdenklich zu, so als wäreer sich nun doch nicht mehr so sicher, ob er Eva tatsächlichdurchschaute. Sie war ihm nach wie vor ein Rätsel, was seinInteresse an ihr nur noch vergrößerte. Irgendetwas habe ichübersehen.„Sie wollen mir also erzählen, dass sie durch intensiveBeobachtungen der Gesichtszüge eines Menschen und derenReaktionen auf ihre provokativen Fragen wissen, was derjenigegerade denkt und vielleicht sogar plant oder zu verbergenversucht?“ fragte Eva in die entstandene Stille.Ron lächelte, nickte langsam und kratzte selbstzufrieden seinenBart. „Ohne arrogant klingen zu wollen, gehören dazu natürlichnoch andere Talente, wie eine ausgeprägte Menschenkenntnis, dieich mir über Jahre hinweg erst aneignen musste, sowie weitereanalytische und intellektuelle Fähigkeiten.“ trug Ron weiter dickauf „Oft ist es unheimlich schwer, die gewünschten Informationenunbemerkt von der Zielperson herauszubekommen. Außerdemhandelt es sich oft um Geheimnisse, die die Person unter keinenUmständen preisgeben möchte.“„Hab ich’s mir doch gedacht!“ rief Eva und lachte laut, „Ich bineinem meiner eigenen Identitätsjäger auf den Leim gegangen.“„Identitätsjäger?“, fragte Ron verwirrt. 13

„Sie sind doch zu einem Job-Interview hier, nicht wahr? BeiESOC-Laboratories, Extraterrestrial Spiritual Observation &Control Laboratories? “Als Ron verstand, wen er vor sich hatte, rutschte sein Herz einwenig in die Hose. Nein, das kann nicht wahr sein... Habe ichgerade meinen zukünftigen Boss angebaggert? Ihm wurde heißund er zupfte sich unruhig am Kragen, als er fragte, „Sie sind nichtzufällig Prof. Dr. Spring?“„100 Punkte! Namen können Sie auch erraten? Sie haben heute jaeinen richtigen Lauf!“ sagte Eva und grinste breit. Sie hatte nunrichtig Spaß, Ron’s Überheblichkeit wie ein Kartenhaus einstürzenzu lassen. „Und weil Sie mir soeben eindrucksvoll bewiesenhaben, dass aus uns zwei nie ein Paar werden kann, haben sich ihreChancen auf den Job weiter verbessert. Jetzt muss ich aberwirklich los. Morgen um Punkt 11:00 auf dem Parkplatz? Ich freumich.“ worauf Ron nur verdattert nickte. Dann stieg Eva in ihrenweißen Bentley und ließ Ron sprachlos zurück.Wenn Sie wissen wollen wie es mit Ron und Eva weitergehtund wer der Seelenwanderer ist, dann können Sie das Buchonline bei uns bestellen. 14


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