Important Announcement
PubHTML5 Scheduled Server Maintenance on (GMT) Sunday, June 26th, 2:00 am - 8:00 am.
PubHTML5 site will be inoperative during the times indicated!

Home Explore 7612412424034

7612412424034

Published by pubhtml5, 2018-02-14 08:56:09

Description: 7612412424034

Search

Read the Text Version

FRÜHKINDLICHE KIEFERORTHOPÄDISCHE THERAPIE MITTELS SCHNULLER Filippi C1); Verna C 2) 1) Schulzahnklinik Basel, Schweiz 2) Universitätskliniken für Zahnmedizin, Klinik für Kieferorthopädie und Kinderzahnmedizin, Universität Basel, SchweizEinleitungDie Funktion der Zunge wird durch die Verwendung von Schnullern negativ beeinflusst. Ein neues Produkt unterscheidet sich in seiner Morphologievon anderen Schnullern und nimmt damit Einfluss auf die Zungenfunktion. Er soll auch den Kreuzbiss verhindern oder korrigieren.Das Ziel der Case-Series ist die Beurteilung des Einflusses, den der Schnuller auf die Zungenfehlfunktion und den offenen Biss hat. Ebenfallswurde der Einfluss auf die transversale Entwicklung beurteilt. 3 4 10 Monate Monate Monate4,6 Jahre altes Mädchen. Der Curaprox™ Schnuller wurde für 17 Monate mit derselben Intensität wie mit dem abgegebenen konventionellenSchnuller benutzt. à Korrektur des offenen Bisses und Verbesserung der transversalen Probleme. Intensives Schnullern Intensives Schnullern Offener Biss Offener BissTendenz zum Kreuzbiss Tendenz zum Kreuzbiss Schmaler Oberkiefer Schmaler Oberkiefer Persistierender 2,6 Jahre alter Junge. Der Curaprox™ Schnuller wurde für 2,5 Milchflaschenkonsum Monate mit derselben Intensität wie mit dem abgegebenen konventionellen Schnuller benutzt. à Korrektur des offenen Zungenstoss Bisses und Verbesserung der transversalen Probleme. Offener Biss Linguale Inklination OK III-V 4 5 Monate Monate4,2 Jahre altes Mädchen. Der Curaprox™ Schnuller wurde für 9 Monate nachts eingesetzt und gleichzeitig der Milchflaschenkonsum beendet.à Korrektur des Schluckmusters, des offenen Bisses und Verbesserung der transversalen Verhältnisse.ErgebnisseDie Kinder haben ihren neuen Schnuller akzeptiert und mit denselben Gewohnheiten wie früher benutzt. Die Patienten mit Zungenstoss hatten eineneue Zungenposition gefunden. Alle offenen Bisse waren geschlossen. Die transversalen Probleme wurden in allen Fällen verbessert.DiskussionDie Einflüsse sind auf den Gebrauch des Curaprox™-Schnullers und nicht auf das Verzichten eines Schnullers zurückzuführen. Wir könnenausschliessen, dass die Kieferkorrekturen durch andere Einflüsse stattgefunden haben. Die transversalen Verhältnisse können auf Grund der neuenZungenstellung oder der geänderten Druckverteilung des Teiles, das auf den Gaumen wirkt, verändert worden sein. Ein Teilerfolg bei dertransversalen Korrektur könnte durch die Länge des Schnullers bedingt sein, der nur bis zu den ersten Milchmolaren reicht.Schlussfolgerungen1. Die Morphologie des Curaprox™-Schnullers erlaubt die Korrektur des offenen Bisses2. Es gibt einen positiven Einfluss auf die transversalen VerhältnisseWie auch immer – um aus diesen Beobachtungen evidenzbasierte Aussagen machen zu können, bedarf es randomisierter, klinisch kontrollierterStudien mit Kontrollgruppen in verschiedenen Alterskategorien. Gleichzeitig sind biomechanische Studien zu den dreidimensionalen Effekten desDruckes durch den Schnuller auf den Gaumen notwendig.



TEXTE FRANÇAIS VOIR PAGE 965 PRAXIS UND FORTBILDUNG 959Cornelia Filippi1 Frühkindliche kieferorthopädischeAndreas Filippi2 Therapie mittels Schnuller?Carlalberta Verna31 Schulzahnklinik Basel, Öffentliche Zahnkliniken Basel-Stadt2 Klinik für Zahnärztliche Chirurgie, -Radiologie, Mund- und Kieferheilkunde, Universitätskliniken für Zahn- medizin, Universität Basel3 Klinik für Kieferorthopädie und Kinderzahnheilkunde, Universitätskliniken für Zahn- medizin, Universität BaselKORRESPONDENZDr. Cornelia FilippiSchulzahnklinik Basel,Öffentliche ZahnklinikenBasel-StadtSt. Alban-Vorstadt 124010 BaselE-Mail:[email protected] Eine Fallserie SCHLÜSSELWÖRTER Bild oben: Ausgeprägter offener Biss und persistierendes Offener Biss, Kreuzbiss, Schlucken, Schnuller, infantiles Schluckmuster während des Schluckens Korrekturen ZUSAMMENFASSUNG Über eine Beobachtungszeit von drei Monaten, Zahnfehlstellungen (frontal offener Biss, seitlicher neun Monaten und zwei Jahren zeigte sich, dass Kreuzbiss) oder Funktionsstörungen bei kleinen frontal offene Bisse geschlossen und seitliche Kindern (persistierendes infantiles Schluckmus- Kreuzbisse überstellt werden können. Auch die ter) sind nichts Seltenes. Oft werden diese durch Umstellung der Zungenfunktion vom persistie- Habits, wie Daumenlutschen oder die Baby Bottle renden infantilen Schluckmuster zum adulten (Schoppenflasche) induziert oder verstärkt. Schluckmuster konnte beobachtet werden. Ziel der vorliegenden Fallserie ist, die Effekte eines Die ersten Ergebnisse sind viel versprechend; die neuartigen Schnullers auf die Entwicklung offener Methode ist einfach und möglicherweise kosten- Bisse, Kreuzbisse und Zungendysfunktionen zu sparend. Die bisher geringe Fallzahl belegt noch zeigen. Anhand von drei ausgewählten Fällen nicht die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Aus einer Fallserie wird die Frühbehandlung solcher diesem Grund müssen die Beobachtungen an- Diagnosen im zweiten bis fünften Lebensjahr hand einer Folgestudie an einer grösseren Popu- beschrieben. lation verifiziert werden. SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 9 P2015959-964_T2-1_filippi_d.indd 959 03.09.15 13:02

960 PRAXIS UND FORTBILDUNGEinleitung nach unten. Es ist ein negativer Druck (Unterdruck) notwendig, um die Flüssigkeit in den Mund zu ziehen. Gleichzeitig wird dieSaugen kann bereits im Mutterleib beobachtet werden. Zwi- Wange eingezogen. Diese ist jedoch nicht abgestützt, wenn sichschen der 15. und 18. Schwangerschaftswoche wird es erstmals die Zunge am Zungenboden anstatt am Gaumen befindet. Dernachweisbar (Miller et al. 2003). Ab der 34. Schwangerschafts- Zahnbogen wird beeinflusst durch diese nach innen gerichtetewoche ist die Fähigkeit, saugen zu können, fertig ausgebildet Kraft (zentripedaler Druck). Das Breitenwachstum (transver-(Hack et al. 1985). Bei Neugeborenen kann der Saugreflex durch sales Wachstum) wird verhindert bzw. in die GegenrichtungStimulation der Lippen oder der Zunge herbeigeführt werden. beeinflusst. Diese Einschränkung des Wachstums kann dieDies wird genutzt, um Babys während des Fütterns zum Wei- Ursache für die Entstehung des seitlichen Kreuzbisses sein.tersaugen anzuregen (Fucile et al. 2002). Eine mechano-senso- Zusätzlich begünstigt die runde Form des Saugers die Entwick-rische Stimulation, z.B. durch Gabe eines Schnullers, löst diesen lung eines offenen Bisses. Der Zungenstoss hält den offenen BissReflex über den N. trigeminus aus (Barlow & Estep 2006). Durch offen, da die Frontzähne verdrängt werden; Lispeln wird be-Wiederholung werden die Bewegungsmuster gebahnt. günstigt. Dabei geht es beim Saugen nicht nur um die Nahrungsauf- Zusätzlich wurden seitlicher Kreuzbiss, Rückverlagerungnahme. Es dient der Beruhigung, in den Schlaf zu finden oder des Unterkiefers und Verlagerung der Zunge mit Schluck- undMüdigkeit und Langeweile zu überwinden (Largo 2001). Benutzt Sprachstörungen beobachtet (Correa-Faria et al. 2014).werden Schoppenflaschen, Daumen, Finger, Windeln, Bett-bezüge oder andere Gegenstände. In der Schweiz benutzen Da grundsätzlich alle Kinder in den ersten Lebensjahren80 Prozent der ein- bis zweijährigen Kinder einen Beruhigungs- lutschen, stellt sich die Frage nach dem am besten geeignetensauger, knapp 20 Prozent saugen an anderen Gegenständen. «Lutschobjekt». Dieses sollte das Saugbedürfnis befriedigen,Im dritten und vierten Lebensjahr lutscht immer noch mehr als ohne dabei das Kieferwachstum und die Zahngesundheit ein-die Hälfte aller Kinder, mit fünf Jahren noch 35 Prozent und mit zuschränken, zu gefährden, zu behindern oder zu zerstörensieben Jahren noch 5 Prozent (Largo 2001). (Largo 2001). Idealerweise sollte nach dem Durchbruch aller Milchzähne und somit etwa im Alter von zweieinhalb Jahren Dass der Gebrauch von Schnullern zu Zahn- und Kiefer- das Saugen beendet werden. Die Nebenwirkungen vonfehlstellungen führen kann, ist bekannt und belegt (Hensel Schnullern hängen neben der Intensität der Benutzung auch& Splieth 1998, Stahl et al. 2007, Correa-Faria et al. 2014, Sousa von der Morphologie des Saugers ab. Einzelne Sauger auf demet al. 2014). Die Folgen sind teilweise aufwendige und kostenin- Markt mit modifizierter Morphologie begrenzen z.B. die Ent-tensive kieferorthopädische Behandlungen. Diese Fehlentwick- wicklung eines offenen Bisses (Dentistar, Fa. Novatex, Pat-lungen des Kiefers haben durch veränderte myofunktionelle tensen, Deutschland). Der neuartige Schnuller CuraproxAbläufe auch Einfluss auf die Sprachentwicklung. Im Sprach- (Fa. Curaden, Dietikon, Schweiz) verspricht eine andereheilpädagogischen Förderzentrum Rostock liess sich bei Patien- Druckverteilung auf den Oberkiefer als alle bisher verfügbarenten mit Anomalien in der Sprachentwicklung nur bei 7 Prozent Modelle. Die flache Form des Saugers imitiert die natürlicheeine reguläre Gebissentwicklung feststellen (Voss 2007). flache Form der Mundhöhle beim Saugen, was die Entwick- lung offener Bisse verhindern könnte (Abb. 1). Die weiche Während der Brustfütterung müssen die Babys die Brustwarze zentrale Halbkugel des Schnullers wird von der Zunge desder Mutter durch eine anteriore Bewegung des Unterkiefers sta- Babys beim Saugen komprimiert und erzeugt dadurch einebilisieren, um effizient Milch aufnehmen zu können. Dieses Be- transversale Kraft, welche die Entwicklung schmaler Ober-wegungsmuster fördert die kindliche Mund-, Zungen- und kiefer und Kreuzbisse verhindern könnte (Abb. 2 und 3). DasKiefermuskulatur. In der Folge verbessert sich die Sprachent- Lippenschild steht vom Unterkiefer ab. Dies soll der Lippen-wicklung im Vergleich zu Kindern, die mit der Baby Bottle muskulatur den nötigen Freiraum geben, damit der Unter-(Schoppenflasche) ernährt wurden (Dee et al. 2007). Hingegen kiefer nicht durch den Druck des Lippenschildes in eineführt vergleichbares Trinken aus einer Baby Bottle (Schoppen- retrograde Position geschoben wird.flasche) bei häufigem Gebrauch zum persistierenden infantilenSchluckmuster (Zungenstoss), da die Zunge die Menge der frei- In den nachfolgend ausgewählten Fällen wurde davon ausge-gegebenen Flüssigkeit steuern muss. Die Konsistenz der künst- gangen, dass eine Wirksamkeit der Druckverteilung nicht nurlichen Brustwarze und deren runde Form drücken die ZungeAbb. 1 Schnuller im Vergleich: jeweils grösste Grösse von links nach rechts, Beispiel einer üblichen Morphologie MAM (Fa. BAMED AG, Wollerau, Schweiz),modifizierter Morphologie Dentistar (Fa. Novatex, Pattensen, Deutschland), neuartige Morphologie Curaprox (Fa. Curaden, Dietikon, Schweiz)SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 9 P2015959-964_T2-1_filippi_d.indd 960 03.09.15 13:02

PRAXIS UND FORTBILDUNG 961präventiv, sondern auch therapeutisch wirksam sein könnte. schiedlich. Mindestens jedoch in der Nacht oder zum Einschla-Anhand von drei Fallberichten werden die therapeutischen fen wurde der Schnuller verwendet.Möglichkeiten dargestellt. FallberichteMaterial und Methode Fall 1Zu Beginn wurde eine Befragung durchgeführt und festge-stellt, ob Baby Bottle (Schoppenflasche), Schnuller (Nuggi) Eine kariesaktive Patientin stellte sich im Alter von vier Jah-oder andere Lutschobjekte noch in Gebrauch waren. Der ren und zwei Monaten mit offenem Biss in der Schulzahnkli-Testschnuller der Grösse 2 hat eine dreieckige Form und nik Basel vor. Sie benutzte noch immer die Baby Bottle (in dergeht an der Dreiecksspitze in einen Schaft über, der an seiner Nacht, aber auch zum Trösten), zeigte sehr viel Plaque, undschmalsten Stelle 20 mm breit ist. Das Mundstück hingegen der Schnuller (Nuggi) war ihr vor Kurzem abgewöhnt wor-misst an der breitesten Stelle 25 mm. An der längsten Stelle den. Morphologisch und funktionell zeigte sie einen aus-von der Verankerung am Schild bis zum dorsalsten Punkt misst geprägten offenen Biss von 7 mm mit Mundatmung (dieer 23 mm, die geringste Distanz befindet sich in der Sauger- Milchmolaren hatten okklusalen Kontakt, Zahn 75 fehlte)mitte nach dorsal und beträgt 21 mm. In der Saugermitte befin- und ein persistierendes infantiles Schluckmuster (Zungen-det sich jeweils nach lingual und palatinal eine halbkugelför- stoss) während des Schluckens (Abb. 4). Therapeutisch wurdemige Erhebung mit einem Durchmesser von 10 mm. Die Flügel nicht nur das Zähneputzen intensiviert, sondern auch diesind 4 mm dick, die beiden Halbkugeln haben insgesamt mit Baby Bottle in der Nacht gegen den Curaprox-Schnullerdem Luftkissen eine Höhe von 10 mm. Die seitlichen Flügel (Curaden, Dietikon, Schweiz, Grösse 2) ausgetauscht (Abb. 5).haben an den Rändern Aussparungen, die sich bei einem Eine weitere funktionelle Therapie erfolgte nicht. Im Recallschmalen Oberkiefer an die Zahnreihen anlegen können. Die zeigte sich nach sechs Wochen eine Reduktion des offenenVoraussetzung für die Wirksamkeit des neuartigen Schnullers Bisses auf 5 mm (Abb. 6), nach fünf Monaten auf 2 mmbedingt, dass keine anderen Objekte benutzt werden. Die Ver- (Abb. 7) und nach neun Monaten war der Überbiss regulärwendung von Schoppenflaschen wurde durch das Trinken aus und die Mundhygiene hatte sich deutlich verbessert (Abb. 8).Bechern oder Flaschen mit einer Mindestöffnung von 15 mm Auch das Schluckmuster hat sich vom viszeralen zum adulten(z.B. Öffnung Mineralwasserflasche) ersetzt. Zum Lutschen Schlucken verändert (Abb. 9). Die Akzeptanz gegenüber dembzw. Saugen diente ausschliesslich der abgegebene neuartige neuen Schnuller bei Eltern und Kind war während der ge-Testschnuller. Die Dauer des Gebrauchs war individuell unter- samten Behandlungszeit gegeben. Die Umstellung von der Baby Bottle auf den Schnuller erfolgte problemlos. Das Abge-Abb. 2 Schnuller am Modell: passive Lage des neuartigen Schnullers im Mund Abb. 4 Ausgangssituation Fall 1 vor Behandlungsbeginn (frontale Ansicht)Abb. 3 Schnuller am Modell: Der Druck der Zunge auf die Halbkugel in der Abb. 5 Fall 1: Curaprox-Schnuller Grösse 2 vor Behandlungsbeginn in situMitte des Schnullers übt eine transversale Kraft auf den Oberkiefer aus. SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 9 P2015959-964_T2-1_filippi_d.indd 961 03.09.15 13:02

962 PRAXIS UND FORTBILDUNGAbb. 6 Fall 1: Reduktion des offenen Bisses sechs Wochen nach Behand- Abb. 8 Fall 1: Nach neun Monaten zeigte sich ein regulärer Überbiss (frontalelungsbeginn auf 5 mm (Foto der Ausgangssituation wurde nicht angefertigt). Ansicht), und ein transversales Wachstum …Die Zähne 53 und 63 sind nach bukkal gekippt, die Kippung und transversaleDimension ändert sich im Verlauf (siehe Abb. 7, Abb. 8).Abb. 7 Der offene Biss hat sich nach fünf Monaten auf 2 mm verkleinert. Abb. 9 … und beim Schlucken geht die Zungenspitze deutlich zur PapillaEine transversale Vergrösserung und Aufrichtung der Zahne 53 und 63 ist zu incisiva. Das Schluckmuster hat sich vom viszeralen zum adulten Schluckenbeobachten. verändert. In diesem Moment des Schluckens befindet sich die Okklusion nicht in maximalem Seitenzahnkontakt.wöhnen des Schnullers nach der Behandlungszeit von neun Milchfrontzähne; der Kopf- bzw. Kreuzbiss im Bereich derMonaten stellte kein Problem dar. Milcheckzähne war korrigiert (Abb. 12). Auch hier war die Akzeptanz gegenüber dem neuen Schnuller während derFall 2 gesamten Behandlungszeit gegeben. Das Abgewöhnen des Schnullers nach der Behandlungszeit stellte nach AngabenEin Mädchen stellte sich im Alter von vier Jahren und sechs der Eltern, die inzwischen mit der Familie in die Türkei um-Monaten zum zweiten Mal in der Schulzahnklinik Basel vor. gezogen waren, kein Problem dar.Die Patientin wurde etwa ein Jahr zuvor das erste Mal gesehen.Die Empfehlung, den Schnuller (Nuggi) abzugewöhnen, konnte Fall 3damals nicht umgesetzt werden. Das Mädchen benutzte denSchnuller stets zum Einschlafen. Ein Jahr später nun stellte der Eine Mutter stellte ihren Sohn im Alter von zwei Jahren und fünfVater sie erneut vor. Ihm war die Zahnstellung aufgefallen, über Monaten erstmals in der Schulzahnklinik in Basel vor. Ihr wardie er nun beraten werden wollte. Morphologisch und funktio- die veränderte Zahnstellung aufgefallen. Morphologisch undnell zeigte die Patientin einen offenen Biss mit Kopfbiss der funktionell zeigten sich ein frontal offener Biss sowie ein Kopf-Zähne 53 und 83, einen Kreuzbiss der Zähne 63 und 73, jedoch biss der ersten Milchmolaren (Abb. 13). Die zweiten Milchmola-kein persistierendes infantiles Schluckmuster (Zungenstoss) ren befanden sich im Durchbruch. Ein Trinken aus der Baby(Abb. 10). Eine Baby Bottle wurde nicht mehr benutzt. Thera- Bottle (Schoppenflasche) fand nicht mehr statt, ein Schnullerpeutisch wurde der Schnuller der Patientin gegen den Cura- (Nuggi) wurde mehr oder weniger den ganzen Tag und in derprox-Schnuller (Grösse 1), der nun zum Einschlafen benutzt Nacht benutzt. Therapeutisch wurde der Schnuller des Patien-werden sollte, ausgetauscht. Nach einem Monat wurde er gegen ten gegen den Curaprox-Schnuller Grösse 2 ausgetauscht. Nacheinen Curaprox-Schnuller der Grösse 2 ersetzt. Bereits nach dreimonatiger Therapie hatte sich der Biss geschlossen, diedreimonatiger Behandlungsdauer zeigten sich eine deutliche zweiten Milchmolaren waren durchgebrochen (Abb. 14). AufReduktion des offenen Bisses sowie die Korrektur des Kopf- dem Abschlussbild ist zu erkennen, dass der Patient leicht pro-bzw. Kreuzbisses der Milcheckzähne (Abb. 11). Nach insgesamt trudiert. Die Okklusion ist daher noch nicht abschliessend zuzweijähriger Therapiedauer zeigt sich ein normaler Overbite der beurteilen. Es scheint jedoch, dass sich die ersten MilchmolarenSWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 9 P2015959-964_T2-1_filippi_d.indd 962 03.09.15 13:02

PRAXIS UND FORTBILDUNG 963Abb. 10 Ausgangssituation Fall 2 vor Behandlungsbeginn im Alter von vier Abb. 13 Ausgangssituation Fall 3 vor Behandlungsbeginn im Alter von zweiJahren und sechs Monaten (frontale Ansicht): offener Biss mit Kopfbiss der Jahren und fünf Monaten (frontale Ansicht): frontal offener Biss sowie Kopf-Zähne 53 und 83 und Kreuzbiss der Zähne 63 und 73 biss der 1. MilchmolarenAbb. 11 Fall 2: Reduktion des offenen Bisses drei Monate nach Behandlungs- Abb. 14 Fall 3 nach dreimonatiger Therapie: geschlossener Biss, diebeginn sowie Korrektur von Kopf- bzw. Kreuzbiss der Milcheckzähne 2. Milchmolaren sind durchgebrochenAbb. 12 Fall 2: normaler Overbite der Milchfrontzähne bei begonnenem gendermassen: Bei Betrachtung des Sauganteiles aus der Pers-Zahnwechsel nach insgesamt zweijähriger Benutzung (Bild der Eltern, die in pektive von innen an einem Modell erkennt man, dass durchdie Türkei umgezogen sind). Druck von unten die Seitenflügel des Saugers am Gaumendach entlanggleiten. Vermutlich erfolgt die Druckverteilung nicht aufin regulärem Überbiss befinden. Die Abgabe des Schnullers die palatinale Sutur. Vielmehr findet wohl eine flächenhaftenach Ende der Behandlung stellte kein Problem dar. Kraftverteilung statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde das bio- mechanische Verhalten von Schnullern nur an Schnullern mitDiskussion flachen und runden Formen untersucht. Die Schnuller mit fla- cher Morphologie neigen dazu, die Kräfte gleichmässiger amIn den drei präsentierten Fällen wurde die regulierende Wir- Gaumen zu verteilen und vor allen Dingen eine geringere Belas-kungsweise des Curaprox-Schnullers dargestellt. Allen Kindern tung an dem vorderen Alveolarkamm darzustellen (Levrini etwar gemeinsam, dass die Kieferfehlstellung durch ein Saughabit al. 2007). Allerdings gibt es bis heute noch keine Untersuchungentstanden ist. Im Gegensatz zu allen bisher in der Literatur eines flachen Schnullers, dessen Querabmessung durch diebeschriebenen Beruhigungssaugern unterscheidet sich dieser Zunge aktiviert wird, wie im Fall des Curaprox-Schnullers.durch seine möglicherweise andere Druckverteilung auf den Diese Impulse, die direkt das Breitenwachstum des OberkiefersOberkiefer. Vermutlich funktioniert die Druckübertragung fol- beeinflussen können, können in allen drei beschriebenen Fällen den offenen Biss, im Fall 2 und 3 zusätzlich den Kopfbiss und im Fall 2 den beginnenden Kreuzbiss korrigiert haben. Selbst wenn die Zunge nur mit der Spitze auf die Verdickung drückt, findet eine Druckverteilung auf den Oberkiefer statt. Die Zunge wird durch den kugelförmigen Teil in der Mitte des vorderen Zungendrittels nach unten gedrückt. Dadurch biegt sich der Zungenrand nach oben. Auch die Zungenspitze folgt dieser Bewegungsrichtung nach palatinal. Dies lenkt die Zunge aus dem viszeralen Schluckmuster in das adulte Schluckmuster (siehe Fall 1). Die Lippen müssen den Schaft festhalten. Damit werden die Lippe und die Zunge trainiert. Die erlernten Bewe- gungsmuster bleiben auch nach Absetzen von Trainingsgeräten erhalten. Dies führt dazu, dass auch ohne weiteren Schnuller- SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 9 P2015959-964_T2-1_filippi_d.indd 963 03.09.15 13:02

964 PRAXIS UND FORTBILDUNGgebrauch der Lippen- und Zungendruck korrigierend auf die ren Kontrolle der Zungen- und Lippenfunktion würde sichZahnstellung einwirkt. auch die Einführung eines solchen Trainings bei Mundatmern anbieten, bei denen man eine höhere Karies- und Gingivi- Bisher hat sich erst eine einzige Studie mit der kieferortho- tisprävalenz findet (Nascimento Filho et al. 2004, Voss 2007).pädischen Wirkungsweise von Schnullern beschäftigt. Unter- Sollte sich die Beobachtung der Korrektur des Schluckmusterssucht wurde der Dentistar-Beruhigungssauger (Fa. Novatex, in einer grösseren Fallzahl reproduzieren lassen, ergäbe sichPattensen, Deutschland), welcher einer Gruppe von Babys eine völlig neue Therapiemöglichkeit, die en passant stattfindet.nach der Geburt gegeben wurde. Nach einer Behandlung übereinen Zeitraum von 16 Monaten zeigte sich in 5 Prozent der SchlussfolgerungFälle ein offener Biss, bei einem herkömmlichen Schnuller(NUK, Fa. Mapa, Zeven, Deutschland) in 38 Prozent der Fälle Die ersten Ergebnisse durch den Einsatz des neuen Schnullersund bei alleiniger Brustfütterung ohne Schnuller in keinem sind ermutigend. Um eine evidenzbasierte Empfehlung erar-einzigen Fall (0 Prozent) (Zuralski 2013). Daten über den Ein- beiten zu können, bedarf es jedoch weiterer Untersuchungen,fluss auf transversale Fehlentwicklungen des Oberkiefers wur- welche nicht nur die therapeutischen und biomechanischenden nicht erhoben. Effekte, sondern auch die Akzeptanz bei den Kindern unter- suchen müssen. Möglicherweise korrigieren sich offene Bisse auch von allei-ne. Wie eine Untersuchung bei 3041 Kindern zeigt, ist dies je- Abstractdoch seltener der Fall als erwartet. Während im Milchgebiss bei11,4 Prozent der Kinder ein offener Biss diagnostiziert wird, Filippi C, Filippi A, VernaC: Orthodontic therapy in the early child-sind es bei Nachuntersuchungen im frühen Wechselgebiss im- hood using pacifier? A case series. (in German). SWISS DENTALmer noch 9,5 Prozent. Somit fand nur vergleichsweise selten JOURNAL SSO 125: 959–964 (2015)eine Autokorrektur des offenen Bisses statt (Salbach et al.2012). Damit dies gelingt, sollten jedoch Baby Bottles (Schop- Dental malocclusions (open bite and lateral cross-bite) orpenflasche), Trinklerngefässe oder Aufsätze wie bei Sportler- functional disturbances (persistent infantile swallowing) inflaschen nicht mehr benutzt werden. Der Zungenstoss bleibt young children do not occur rarely. They are often induced orbei Benutzung dieser Trinkgefässöffnungen erhalten und wirkt reinforced by oral habits, such as thumb sucking or bottle feed-der Umstellung des Schluckmusters entgegen. Daher sollten ing.die Lippen beim Schlucken geschlossen werden können; diesist nur bei Trinkgefässen mit entsprechend grosser Öffnung The aim of this case series is to show the effect of a new typemöglich. of pacifier on the development of open bite, cross-bite or tongue dysfunction. Three cases selected from the case series Die Akzeptanz durch die Eltern und durch die Kinder war in are reported to describe the effect of early treatment throughden von uns beschriebenen Fällen vorhanden. Der gewünschte the pacifier on the above-mentioned malocclusions in the 2ndErfolg stellte sich meist nach Monaten und spätestens nach zwei and 5th years of age.Jahren ein. Danach erfolgte das Weglassen des Schnullers pro-blemlos. The longitudinal observation after 3, 9 and 24 months of use has shown that the open bite and the posterior cross-bite can Ob dieser Schnuller auch zur Prävention offener Bisse oder be reduced. A shift from an infantile swallowing pattern to aseitlicher Kreuzbisse eingesetzt werden könnte, kann heute mature one has also been observed.nicht beantwortet werden. Auch bei Kindern mit Downsyn-drom wäre eine Korrektur des Zungenstosses und bei Kindern The results are promising: the method is simple and possiblymit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten eine bessere transversale cost-reducing. However, the limited number of cases presentedEntwicklung des Oberkiefers wünschenswert. Bei einer besse- does not support the reproducibility of the results. For this rea- son the reported observations have to be verified by a longitudi- nal study in a larger population.LiteraturBarlow S M, Estep M: Central pattern generation Miller J L, Sonies B C, Macedonia C: Emergence of Sousa R V, Ribeiro G L, Firmino R T, Martins C C, and the motor infrastructure for suck, respira- oropharyngeal, laryngeal and swallowing activ- Granville-Garcia A F, Paiva S M: Prevalence and tion and speech. J Com Dis 39: 366–380 (2006) ity in the developing fetal upper aerodigestive associated factors for the development of ante- tract: an ultrasound evaluation. Early Hum rior open bite and posterior crossbite in the pri-Correa-Faria P, Ramos-Jorge M L, Martins-Ju- Dev 71: 61–87 (2003) mary dentition. Braz Dent J 25: 336–34 (2014) nior P A, Vieira-Andrade R G, Marques L S: Mal- occlusion in preschool children: prevalence and Nascimento Filho E, Mayer M P A, Pontes P, Pigna- Stahl F, Grabowski R, Gaebel M, Kundt G: Zusam- determinant factors. Eur Arch Paediatr Dent 15: tari A C C, Weckx L L M: Caries prevalence, levels menhang von Okklusionsbefunden und orofa- 89–96 (2014) of mutans Streptococci, and gingival and plaque zialem myofunktionellen Status im Milch- und indices in 3.0- to 5.0-year-old mouth breathing frühen Wechselgebiss Teil II: Häufigkeit vonDee D L, Li R, Lee L C, Grummer-Strawn L M: Associ- children. Caries Res 38: 572–575 (2004) orofazialen Dysfunktionen. In: Fortschritte der ations between breastfeeding practices and Kieferorthopädie Vol. 68: 74–90 (2007) young children’s language and motor skill devel- Largo R: Babyjahre. Piper Verlag München: opment. Pediatrics: 119 Suppl 1: S92–98 (2007) 462–463 (2001) Voss E: Zahngesundheit, Gebissentwicklung und myofunktioneller Status bei Kindern einesFucile S, Gisel E G, Lau C: Oral stimulation acceler- Levrini L, Merlo P, Paracchini L: Different geomet- Spracheilpädagogischen Förderzentrums. Med ates the transition from tube to oral feeding in ric patterns of pacifiers compared on the basis Diss Universität Rostock (2007) preterm infants. J Pediatr 141: 230–236 (2002) of finite element analysis. Eur J Paediatr Dent Dec 8(4): 173–8 (2007) Zuralski H E: Klinische Studie zur Bewertung derHack M, Estabrook M M, Robertson S S: Develop- kieferorthopädischen Bedeutung eines neuarti- ment of sucking rhythm in preterm infants. Salbach A, Grabowski R, Stahl de Castillon F: gen Schnullers bei 27 Monate alten Kindern. Early Hum Dev 11: 133–240 (1985) Der Einfluss orofazialer Dysfunktionen auf die Med Diss Universität Düsseldorf (2013) Gebissentwicklung im Milch- und frühenHensel E, Splieth C: Gesundheitszustand, Mor- Wechselgebiss. Quintessenz 63: 1427–1437 phologie und Funktion der 1. Dentition. Dtsch (2012) Zahnärztl Z 53: 398–402 (1998)SWISS DENTAL JOURNAL SSO VOL 125 9 P2015959-964_T2-1_filippi_d.indd 964 03.09.15 13:02


Like this book? You can publish your book online for free in a few minutes!
Create your own flipbook