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2017_2_franziskaner

Published by regula, 2017-10-03 13:20:53

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sommer 2017 magazin für franziskanische kultur und lebensartEuropa – mon amour Demokratie, Frieden und Achtung der Menschenwürdewww.franziskaner.de Weitere Themen: Die Katholiken und der Rechtspopulismus +++ Franziskanische Familie: Erster Orden +++ Südsudan – Gefangen in der Logik des Krieges

Franziskanische SüdsudanFamilie Seit 2011 unabhängig,Vor 500 Jahren spalte- reich an Rohstoffen undte sich der franziskani- doch arm und zerstört.sche Männerorden. Wie geht das zusam-Anlass für uns, den men? Und vor allem:Ersten Orden (Minori- Was kann man tun fürten, Franziskaner und die Menschen, die vonKapuziner) genauer Krieg und Hungersnotanzuschauen. bedroht sind? Seite 24–27 Seite 30–32 Sommer 2017 35 Bruder Germanicus © oben: meinhardt • don bosco mission bonn • melinda nagy - stock.adobe.com • © unten picture alliance/ap photo 36 Franziskanerklöster in DeutschlandZeitschrift der Deutschen Franziskaner Wir gedenken des am 16. Juni verstorbenen Helmut Kohl4 Kultur mit einem Bild, das ihn mit dem damaligen französischen Anregungen und mehr Präsidenten François Mitterand im Jahr 1984 zeigt. Es ruft ihn als Kanzler der Einheit und Wegbereiter der Europäi-6 Europa und Rechtspopulismus schen Union in ­Eri­nnerung. »Die deutsche Einheit und die • Europa, mon amour europäische ­Einigung sind zwei Seiten ein und derselben • Die Rettung des Christlichen im Abendland? Medaille«, sagte er einmal. • Interview mit Andreas Püttmann17 Spiritualität Geistlicher Wegbegleiter21 Theologischer Impuls Kleines theologisches Wörterbuch: Geschichte22 Franziskanisch leben Vivere – Leben in franziskanischer Inspiration24 Franziskanische Familie • Franziskaner zwischen Einheit und Vielfalt • Kapuziner – Minoriten – Franziskaner28 Berufungsgeschichten Peter Amendt OFM29 Nachrichten30 Aktuelles Südsudan – Gefangen in der Logik des Krieges33 Auszug aus dem Kursprogramm34 Impressum und BuchverlosungDie Zeitschrift »Franziskaner«… erscheint viermal im Jahr … wird klimaneutral auf Recyclingpapier gedruckt … liegt in allen franziskanischen Häusern aus… können Sie sich kostenlos nach Hause liefern lassen: … wird zu großen Teilen über Spenden finanziert:Provinzialat der Deutschen Franziskanerp­ rovinz Spenden zur Finanzierung dieser Zeitschrift erbitten wirFrau Ingeborg Röckenwagner unter Angabe des Verwendungszweckes »Spende Zeitschrift«Sankt-Anna-Straße 19, 80538 München auf das Konto der Deutschen [email protected] IBAN DE40 5109 1700 0080 8888 80Tel.: 0 89 2 11 26-150, Fax: 0 89 2 11 26-111 BIC VRBUDE51 bei der Bank für Orden und Mission

Europa, mon amourWenn man den Angstmachernglaubt, steht Europa kurz vordem Abgrund und »die Politik«ist an allem schuld. Dabeileben wir in der Luxusecke derWelt. Es ist an der Zeit, sich fürEuropa, für Demokratie, Frie-den und die Achtung der Men-schenwürde starkzumachen. Seite 6–16© oben: alotofpeople – fotolia.com/bearbeitung: meinhardt europa braucht ideen, keine angstmache 1957 legten Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Nieder­ lande in den Römischen Verträgen den Grundstein für die Europäische Union. Gut zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der Europa in ein einziges Schlachtfeld und einen riesigen Friedhof verwandelt hatte, war das ein mutiger Schritt. 60 Jahre danach kommt dennoch keine Feierstimmung auf. Europa wackelt. Solidarität bröckelt. Neue nationale Gräben tun sich auf. In Europa werden wieder Zäune gebaut. England steigt aus, andere Länder könnten folgen. »Es kommen Franzosen, es eilen Spanier herbei, Deutsche und Engländer schließen sich an.« Diese Worte beziehen sich nicht auf die EU. Sie stammen vom Anfang des 13. Jahrhunderts und beschreiben das Wachsen der franziskanischen Bruderschaft. Diese war durchaus eine europäische Bewegung. Ihre Anhänger, aus verschiedenen Kulturen und ohne einheitliche Sprache, hatten eine verbindende Idee, »sie wollten im Kleid und nach der Regel unseres Ordens leben« (1 C 27). Jedes gemeinsame Projekt braucht eine gemeinsame Idee. Auch Europa. Die Baumeister der EU, Robert Schumann, Konrad Adenauer, Alcide De Gasperi, waren überzeugte Christen. Europa hat tief christliche Wurzeln. Aber zu seiner Geschichte gehören auch die römische und griechische Antike, Juden und Mus­ lime, die Aufklärung und die Religionskritik. Europa war immer schon »multikulturell«. Diese Mischung hat einen einzigartigen Wertekanon geschaffen: Respekt vor der Würde der menschlichen Person, Solida­ rität, Recht, Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie. Die aktuelle Europa-Müdigkeit lässt leicht vergessen: Die europäische Idee hat diesem von Kriegen zer­ rissenen Kontinent die seit Jahrhunderten längste Friedensperiode gebracht. Europa ist kein Faktum. Europa ist eine Aufgabe. Das war nach dem Krieg so und das ist heute wieder so. Das europäische Haus ist entstanden, weil Menschen und Staaten bereit waren, sich füreinander zu öffnen. Auf diesem Funda­ ment steht auch ein künftiges Europa. Es wächst nicht aus Angst. Populismus spielt mit der Angst, kennt nur eigene Interessen und grenzt sich ab. Das aber sind Haltungen, die der biblischen Botschaft zutiefst widersprechen. Europa lebt von der Basis, von Menschen, die die europäische Idee aktiv mittragen, nicht nur bei einer Wahl, sondern auch im Gespräch am Stammtisch und in der Verwandtschaft. Dazu möchte die vorlie­ gende Ausgabe unserer Zeitschrift FRANZISKANER einladen. Cornelius Bohl OFM (Provinzialminister) editorial 3

BRUDER THOMAS EMPFIEHLT»Einen Besuch im jüdischen Museum in Berlin« zwei Linien, der schwarzen des © picture-alliance/akg-images /florian profitlich Holocausts und der goldenen Gehen Sie Stufe für Stufe den Weg nach oben. eines verklärten Blicks auf die Ab und zu queren Gänge der Erinnerung an Vergangenheit. Im jüdischen dunkle Zeiten der Geschichte. Am Ende der Museum Berlin gelingt der Blick langen Treppe öffnet sich der Blick in die auf die lange und reiche jüdische reiche Geschichte jüdischen Lebens in Tradition, ohne durch die kurzen Deutschland. Auch wenn ich einiges dunklen Jahre verstellt zu werden wusste, manches ahnte, beim Besuch des und ohne diese zu überspielen. jüdischen Museums in Berlin wurde mir deutlich, wie verkürzt unser Blick auf das Jüdisches Museum Berlin, deutsche Judentum häufig ist. »Between the Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin, lines« nennt Daniel Libeskind seinen www.jmberlin.de, Eintritt: 8 Euro, architektonisch sehr interessanten ermäßigt 3 Euro, Familien: 14 Euro Museumsbau. Für mich beschreibt er (2 E, 4 K). die schwierige Wanderung zwischen Bruder Thomas Abrell OFM (52) arbeitet als Referent in der franziskanischen Bildungsstätte Haus Ohrbeck bei OsnabrückAngebote für junge Erwachsene – www.projekt.sandamiano.de Berufen zum Menschsein – Berufen zum Christsein – Berufen zum Gehen in den Fußspuren Jesu Weitere Informationen 33www.projekt.sandamiano.de Assisi – praktisch und direkt Pilgern auf den Spuren des heiligen Franziskus 2. bis 9. SeptemberMit Bruder René und Bruder Pascal eine Woche Assisi 10. bis 23. Juli in franziskanischer Perspektive erleben. Auf der Via Francescana zu Fuß unterwegs von Spoleto über Assisi nach Rom. In dieser Zeit bilden wir eine kleine geistliche Gemeinschaft in einem Wohnhaus mitten in Wir wandern durch die faszinierende Landschaft Assisi. Ganz praktisch werden wir in dieser Mittelitaliens. Gemeinsam feiern wir Eucharistie, Woche unser Leben und Beten miteinander lesen die Bibel und erfahren viel vom Leben desgestalten und uns als Gruppe selbst versorgen. heiligen Franziskus, der mit seinen Gefährten oft durch diese Landschaft gezogen ist. Nebenbei wird es unsere Aufgabe sein, dieKapelle Santo Stefano zusammen mit dem dort Orientierungsbaukasten: Finde deine Berufung angrenzenden Garten zu betreuen. Ein Angebot junger Ordensleute für dich. Hüttenwoche in der Natur  20. bis 22. Oktober 2017: Mein/-e Lebensarchitekt/-in – am Fuß der Benediktenwand Mit Gott rechnen 6. bis 12. August  26. bis 28. Januar 2018: Meine Lebenswerkzeuge – Eine Hüttenwoche im Hochmoor nahe des Kennenlernen, was hilft Klosters Benediktbeuern (Oberbayern).  13. bis 15. April 2018: Meine Lebensbaustellen – Als Gruppe wollen wir einfach leben und der Entschieden leben Natur und Gott ganz nahekommen. Geplant SURFTIPP Frische franziskanische Impulse zu kirchlichen sind angepasste Wandertouren durch die Gebirgslandschaften oder um den Themen im Jahreskreis bietet die neue Website forumfranziskus.com. Theologie-Studenten aus Münster haben mit dem Kapuziner Thomas Walchensee, Badetage, Führungen durch das Schied die Internetsite eingerichtet, um ihre Begeisterung für den Kloster Benediktbeuern, Erkundung des Glauben zu teilen. Ihnen liegt besonders die Botschaft von Papst Franziskus und seine Berufung auf den heiligen Franziskus von Assisi Moorlehrpfades etc. – aber vor allem viel Zeit am Herzen. Die Site bietet jeden Monat einen Impuls in bewusst für Dich. franziskanischer Färbung zu christl­ichen Themen und lädt zur Kommentierung ein. > > forumfranziskus.com4 kultur

Bruder Rangel kocht Vorschau: Heilig-Land-Fahrt Ostern 2018 Küstensalat Israel/Palästina 2018 Wie die Elemente Erde, Wasser und Luft an der Küste aufeinander- 26. März 2018 – 3. April 2018 (von Montag in der Karwoche treffen, vereinen sich in diesem sommerfrischen Salat Rote Bete, bis Osterdienstag) Lachs und Apfel in einer Komposition. Die Herbheit der Erde trifft auf die Frische der See und die süße Frucht des Baumes. Der Salat passt Jerusalem, Bethlehem, Nazareth, Berg Tabor, Heiligtümer gut zu Gegrilltem: Dadurch kommt dann auch noch das Feuer als am See Gennesaret und anderes. viertes klassisches Element hinzu. Ein Lobgesang an die Schöpfung. Ein Angebot des Kommissariats des Heiligen Landes für alle Interessierten! Zutaten (für 4 Personen)  500 g Kartoffeln Infos und Anmeldung:  150 g vorgekochte Rote Bete  1 Teelöffel Zitronensaft Kommissariat des ­Heiligen Landes,  200 g in Öl eingelegter Lachs Werner Mertens OFM, Tel.: 0 29 22 9 82-131,  1 Apfel  1 Esslöffel Bouillon Mail: [email protected]  1 Zwiebel (Klare-Brühe-Pulver)  ½ Kopf Eisbergsalat > > www.heilig-land.de  300 g Gartenbohnen  2 Esslöffel Mayonnaise Studienreise nach Bosnien-Herzegowina (z. B. Stangenbohnen)  Salz, Pfeffer 18. bis 24. September 2017© bild oben: marie-armelle beaulieu/cts Reisegruppe der letzten Studienreise nach Istanbul im Zubereitung September 2016 Kartoffeln kochen (ca. 40 Minuten), schälen, abkühlen lassen. Die In Kooperation mit Bruder Jürgen Neitzert OFM lädt die Bohnenkerne aus der Hülse lösen, garkochen und abkühlen lassen. »franziskanische Initiative 1219. Religions- und Kulturdialog Die vorgekochten Rote Bete schälen (wegen der intensiven Farbe u. U. e. V.« zu einer interreligiösen Studienreise ein. Der Balkan Handschuhe tragen) und zerkleinern. Lachs zusammen mit dem Öl hat durch die Jahrhunderte eine wechselvolle interreli­ in eine große Schüssel geben. Zitrone, Bouillonpulver, Mayon­naise, giöse Geschichte durchlebt. Römer, Slawen, Osmanen, Kartoffeln und Rote Bete hinzugeben und kräftig zerstampfen. Österreicher und viele andere haben eine Pluralität ent­ Zwiebeln schälen und sehr fein zerhacken. Eisbergsalat in feine stehen lassen, die mal friedlich, mal konfliktreich war: Streifen schneiden. Apfel schälen, entkernen und fein zerkleinern. Muslime, orthodoxe und römisch-katholische Christen Alles der Schüssel hinzugeben und behutsam vermengen. Mit Salz sowie Juden lebten und leben bis heute in dieser Region und Pfeffer abschmecken. zusammen. Im Rahmen unserer Reise, die uns nach Sarajevo, Mostar und Srebrenica führen wird, werden wir Guten Appetit! uns mit der Frage auseinandersetzen, wie das friedliche Zusammenleben der Religionen gelingen kann. Dazu bruder rangel ­geerman ofm (43) besuchen wir Gedenkorte und Gotteshäuser und kommen wurde auf Aruba (Niederländische Antillen) mit Menschen unterschiedlicher Religion zusammen. geboren und lebt in Megen in den Niederlanden. Von Beruf ist er Krankenpfleger. Er bekocht die Brüder Leistungen: Reiseleitung, Ü/F in einfachen Hotels, und die Gäste des Klosters und engagiert sich Fahrtkosten, Eintrittspreise. Kosten: ca. 800 Euro. Informationen: Tel.: 0 30 51 05 77 73 oder unter: in der Jugendarbeit. > > www.1219.eu/studienreise2017/

Stefan Federbusch OFM Ich bin in einem Europa groß geworden, das durch Schüleraustausch, Städtepartner­ schaften und andere Formen der Begegnungen Verständnis füreinander wachsen lässt und Freundschaften pflegt, das mit dem Schengen-Abkommen seine nationalen Grenzen öffnete und mit einer gemeinsamen Währung das Bezahlen in vielen Ländern erleichterte. Dieses Europa schätze ich.Doch dieses Lebensgefühl »Europa« wortung für nicht geglückte politische gestellten Politikern regiert, wie das © bild oben: picture alliance/andreas arnold/dpa, porträt: kerstin meinhardtteilen aktuell viele nicht mehr. Mir ist Entscheidungen auf »Brüssel« geschoben, bereits in einigen osteuropäischen Län­natürlich bewusst, dass die Europäische ohne zu erwähnen, dass hierfür wesent­ dern wie Polen und Ungarn der Fall ist?Union in ihrer jetzigen Konstruktion lich die nationalen Regierungen verant­ Mit Emmanuel Macron wurde letztlichDemokratiedefizite aufweist und durch wortlich waren. Mit den Lorbeeren für ein europafreundlicher Politiker gewählt.Überreglementierungen zum Sünden­ positive Entwicklungen schmückten sich »Europa atmet auf!«, so der Tenor derbock geworden ist. So wird »Europa« die nationalen Regierungen dagegen meisten Kommentare. Vorerst jedenfalls.häufig mit schwerfälliger Bürokratie und gerne. »Glauben Sie mir, wir werden mit Euro­Fremdbestimmung gleichgesetzt. Viel­ Europa, quo vadis? Diese Frage stellt pa keinen Erfolg haben mit ausschließ­leicht ist Europa nicht mehr unumstritten, sich mir nach dem Brexit genannten lich juristischer Expertise oder wirtschaft­weil seine positiven Errungenschaften Austritt der Briten aus der Europäischen lichem Know-how (...) Wenn es uns inwie Frieden und (Reise-)Freiheit zu selbst­ Union. Europa, bleibst du bestehen? Die den kommenden zehn Jahren nicht ge­verständlich geworden sind. Und weil Vorstellung, dass Europa auseinander­ lingt, Europa eine Seele zu geben, es mites die verantwortlichen Politiker und fallen könnte, beschäftigte mich wie einer Spiritualität und einer tieferenauch wir Bürger versäumt haben, die viele andere im Vorfeld der Präsident­ Bedeutung zu versehen, dann wird dasVision von Europa weiterzuentwickeln schaftswahl in Frankreich. Würde ein Spiel zu Ende sein.« Diese Mahnungund das gemeinsame Haus zukunftsfähig weiteres Land von nationalistisch ein­ vom damaligen Kommissionspräsidentenzu gestalten. Zu oft wurde die Verant­6 europa

Immer wieder sonntags: Jeden 1. Sonntag im Monat treffen sich um 14 Uhr Menschen unter dem Motto »Pulse of Europe«. Sie wollen einen Beitrag für ein vereintes, demokratisches Europa leisten. Jacques Delors – ausgesprochen 1992, Auf die Problematik der unterschiedli­ Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. als der Vertrag von Maastricht an einem chen Geschwindigkeiten bei der äußeren Die offene, freie und plurale Gesellschaft Referendum in Dänemark zu scheitern und inneren Entwicklung hat der wird von manchen Teilen der Bevölke­ drohte – hat nichts von ihrer Dringlich­ CDU-Europapolitiker Karl Lamers ver­ rung nicht mehr alsWert an sich gesehen. keit verloren. Im Gegenteil: Die Frage wiesen: »Krisen sind der natürliche Ent­ Dem Modell des »Multikulti« wird das nach der Zukunft Europas stellt sich wicklungsmodus von solchen politi­ Modell der »Nation« gegenübergestellt, drängender denn je. schen Großprojekten, wie es die Euro­ jeweils mit links- wie rechtsextremen päische Union ja zweifelsfrei ist. Denn Ausbuchtungen. In Europa lebten bis was verbindet uns? dabei geht es einerseits um die Neuor­ 2014 weniger als sieben Prozent »Nicht- ganisation der politischen Macht, um EU-Bürger« und selbst durch die Zuwan­ Was hält die Europäische Union zusam­ eine überstaatliche. Aber es geht gleich­ derung von Flüchtlingen in den Jahren men? Die viel beschworene Grundierung zeitig auch um das, was mit dem Nati­ danach ist ihr Anteil nur geringfügig als christliches Abendland ist es schon onalstaat bislang verbunden war, näm­ angestiegen. Dennoch gelingt es, bei lange nicht mehr. In der EU-Verfassung lich die Nation, ein Gefühl der Selbst­ einigen die Angst vor »Überfremdung« ist anstelle des Gottes-Bezugs in der achtung, der Selbstvergewisserung, der zu schüren. Während die einen Vielfalt Präambel nur noch vom »kulturellen, Identität. Und solche Identitäten ändern als Bereicherung erleben, stellt sie für religiösen und humanistischen Erbe sich weniger schnell, als dieWirklichkeit andere eine Bedrohung dar. Auf die Europas« die Rede. In den 1957 geschlos­ sich ändert.« damit verbundenen Herausforderungen senen Verträgen der EuropäischenWirt­ Die Frage nach der Identität gilt gleicher­ reagieren sie mit einfachen Antwort­ schaftsgemeinschaft, der Vorläuferin maßen für Deutschland, wo die Debatte mustern. Konstruierte Gegensätze wie der Europäischen Gemeinschaft, wurde um unsere Leitkultur wieder aufgebro­ »Die da oben und wir hier unten« sowie die Wirtschaft als Mittel und Zweck der chen ist. Wer sind wir als »Volk«, was »Wir und die anderen« reichen jedoch politischen Einigung und als Instrument macht uns aus als »Nation«? In einem nicht aus, unsere Welt zu begreifen, ge­ säkularen Staat, in dem das Christentum schweige denn sie zu gestalten. Durch von Frieden und Freiheit benannt. Diese immer mehr an Bedeutung verliert und populistische Parolen zunehmend eine rein wirtschaftliche Zielsetzung reicht die Zahl der Menschen mit anderer Re­ »Misstrauensgesellschaft« zu schaffen, heute nicht mehr aus. Der konservative ligionszugehörigkeit zunimmt, stellt vertieft die Gräben und führt in die Spal­ spanische Europaabgeordnete Esteban sich automatisch die Frage nach dem tung innerhalb der Gesellschaft und González Pons stellt fest: »Wir können zwischen den Völkern. einen gemeinsamen Markt haben, aber© casa rosada (argentina presidency of the nation) wenn wir keine gemeinsamen Träume Papst Franziskus haben, haben wir nichts.« Ähnlich sieht es auch der Bonner Staatsrechtler und »Die Wirklichkeit der Demokratien lebendig zu erhal- ehemalige Bundesverfassungsrichter ten, ist eine Herausforderung dieses geschichtlichen Udo Di Fabio. Europa habe mit dem Momentes (…) Das ist eine Herausforderung, die Ihnen Einigungsprozess seine philosophischen die Geschichte heute stellt. (...) und religiösenWurzeln zu stark vernach­ lässigt. Es sei nicht zu unterschätzen, Liebe Europaabgeordnete, die Stunde ist gekommen, gemeinsam das »wie bedeutend kulturelleWurzeln und Europa aufzubauen, das sich nicht um die Wirtschaft dreht, sondern eine Sinnsuche jenseits reiner Zweck­ um die Heiligkeit der menschlichen Person, der unveräußerlichen rationalität sind«. Auf einem Symposion Werte; das Europa, das mutig seine Vergangenheit umfasst und ver- zum Thema »Europa – christlich?« be­ trauensvoll in die Zukunft blickt, um in Fülle und voll Hoffnung seine tonte er, dass eine »nostalgisch rückwärts­ Gegenwart zu leben. Es ist der Moment gekommen, den Gedanken gewandte Konstruktion eines christ­ eines verängstigten und in sich selbst verkrümmten Europas fallen lichen Europa als verbindliche Leitkultur zu lassen, um ein Europa zu erwecken und zu fördern, das ein Prota- kein Kompass einer offenen Welt« sei. gonist ist und Träger von Wissenschaft, Kunst, Musik, menschlichen Dennoch gäben die Geschichte und die Werten und auch Träger des Glaubens ist. Das Europa, das den Idee Europas festen Halt und Orientie­ Himmel betrachtet und Ideale verfolgt; das Europa, das auf den Men- rung. schen schaut, ihn verteidigt und schützt; das Europa, das auf sicherem, festem Boden voranschreitet, ein kostbarer Bezugspunkt für die ge- samte Menschheit!« (Auszug aus der Ansprache vom 25. November 2014 in Straßburg) europa 7

was brauchen wir und was sen, mag insbesondere bei den Älteren Laut Hirnforschung sind sowohl Ent­ © bilder-erzbistum-köln.denicht? auch daran liegen, dass die Kirchen lange scheidungen wie Erinnerungen stark an Zeit autoritäre Staats- und Gesellschafts­ Emotionen gebunden. Unser Gehirn istPolitisch und gesellschaftlich traditio­ vorstellungen vertreten und den Gläubi­ durch die Evolution darauf ausgerichtet,nelleWerte und konservative Positionen gen ein einfaches Gut/Böse-Denken aus der Vergangenheit eine gewünschtezu vertreten, ist völlig legitim. Problema­ vermittelt haben. Zukunft zu gestalten. Dazu werden dietisch wird es jedoch immer dann, wenn Während Rechtspopulisten gern den als erinnerungswert geglaubten Wahr­sich wertkonservative Grund­haltungen Begriff des »Volkes« als Gegenbegriff nehmungen an entscheidungsrelevantemit rechtspopulistischen Tendenzen zum politischen Establishment ins Spiel Emotionen gekoppelt wie etwa gut, böse,und rechtenWeltbildern verbinden. Für bringen als Bekundung einer vermeint­ lustig, gefährlich, wichtig. Darin liegtviele Christen hat beispielsweise der lichen Mehrheit, die Minderheiten vehe­ einerseits die Gefahr der VerführbarkeitSchutz der Familie eine hohe Bedeu­ ment ausgrenzt, sollten Christen mit beispielsweise für populistische Parolen,tung. Gefährlich wird es dann, wenn dem Begriff »Volk Gottes« gerade die andererseits die Chance, Menschen mitsich dies zum »Anti-Genderwahn« und universaleWeite der einen Menschheits­ wirklich guten Ideen und Projekten zuzur »Homophobie« ausweitet. Ähnliches familie ins Spiel bringen. Europa braucht begeistern. Auf die zunehmenden rechts­gilt für den Umgang mit Andersgläubi­ eine Seele, wie Jacques Delors zu Recht extremen Tendenzen reagieren immergen, wenn der Schutz der Christen und angemahnt hat. Es braucht Spiritualität, mehr Menschen mit kreativen Aktionender christlichen Lebenskultur zum Anti­ und wer wäre da kompetent, wenn nicht zugunsten Europas.Wieder Begeisterungislamismus (Islamophobie) oder Anti­ die Kirchen. für Europa zu wecken, versucht etwa diejudaismus wird. Allgemein gesprochen: Bewegung »Pulse of Europe«, die regel­Alarm­ ierend wird es immer dann, wenn wie können wir europa mäßig in zahlreichen Städten Menschendie eigene Identität durch Feindbilder wieder beseelen? versammelt, um für ein vereintes Europaund Ausgrenzung abgesichert werden zu werben. Europa braucht neue Perspek­soll. Wie geht es weiter mit Europa? Einem tiven, es braucht Visionen. Es brauchtWie reagieren die Kirchen auf diese Ent­ Europa, das seine Bedeutung und welt­ neben dem großen Ganzen eines geein­wicklung? Wie zahlreiche Beispiele zei­ weite Verantwortung derzeit in nationa­ ten Europas Teilnahme und Teilhabe,gen, wenden sie sich mit großer Klarheit listischen Egoismen zu verlieren droht. Mitentscheidungs- und Gestaltungs­gegen den (Rechts-)Populismus. Doch Einem Europa, das sich durch die Ent­ möglichkeiten vor Ort, um den Begriffwas bedeutet es aus christlicher Sicht, wicklungen in den USA vor die Aufgabe »Europa« wieder mit emotional positivenwenn laut einer Umfrage der Tageszei­ gestellt sieht, seine Rolle ganz neu zu Erfahrungen zu besetzen. Das zuneh­tung »La Croix« 46 Prozent der gelegent­ definieren. Wird es wieder ein Europa mend als formale Verwaltungseinheitlich praktizierenden und etwa ein Drit­ der offenen Grenzen werden? Ein Europa empfundene Europa wieder zu »be­tel der regelmäßig praktizierenden Ka­ bunter Vielfalt, ein Europa der Regionen? seelen« und als attraktiven Lebensraumtholiken bei der französischen Präsi­ Ein Europa, das sich nicht durch das Ein­ zu gestalten, ist die große Herausforde­dentschaftswahl für Marine Le Pen und stimmigkeitsprinzip permanent selbst rung der kommenden Jahre. nden Front National gestimmt haben? blockiert? Ein Europa der unterschied­Dass sich so viele Christen von ab- und lichen Geschwindigkeiten? Ein Europa stefan federbusch ofm (49)ausgrenzenden Parolen ansprechen las­ mit mehr Transparenz? ist Redaktionsleiter der Zeitschrift »Franziskaner« und Leiter des Exerzitienhauses in Hofheim Rainer Maria Kardinal Woelki»Die Kirche lehnt die politische Programmatik des Rechtspopulismus ab, bestimmten rechtspopulis-tischen Positionen und Kampagnen widerspricht sie entschieden und ächtet sie. Die Kirche lehntauch die Frontstellung gegenüber den gesellschaftlichen Unterschichten im Rechtspopulismus ab.Sie tritt ein für die Inklusion und für die gesellschaftliche Teilhabe aller gesellschaftlichen Schichten (…)Die Kirche lehnt die Frontstellung gegenüber vermeintlich ›Fremden‹ im Rechtspopulismus ab.Stattdessen tritt sie für die ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt ein. Christen unterscheiden nichtnach Herkunft, Kultur und Religion, sondern erkennen in jedem Menschen das Abbild Gottes. (…)Die Kirche ächtet rechtspopulistische Positionen und Kampagnen, die gegen die Menschenwürde verstoßen oder gegen die Ge-währleistung von Menschenrechten gerichtet sind. (…)Gegen die Menschenwürde verstoßen Positionen und Kampagnen (…) wenn sie einzelne gesellschaftliche Gruppen pauschaldiskriminieren. Dies ist der Fall bei der Pegida-Kampagne gegen eine vermeintliche ›Islamisierung‹ des Abendlands oder auchbei der ausgrenzenden Position der AfD, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre.« (aus »AFD, Pegida und Co.«, Herder Verlag 2017)8 europa

Die Rettung des Christlichen im Abendland? Demokratie und Menschenwürde statt Rechtspopulismus Ein Aufatmen ging am Abend des 7. Mai 2017 durch Europa: »Gerettet!« sozialdemokratischen Parteien Europas nicht mehr als Marine Le Pen vom Front National hatte den Kampf um die Präsident­ Anwalt der »kleinen Leute« wahrgenommen und kon­ schaft in Frankreich verloren. Wenngleich unklar war, für welche Politik servative Parteien treten als Modernisierer auf. Durch der Sieger – der parteilose frühere Wirtschaftsminister und Investment­ die Bewegung der großen Parteien zur Mitte der Parteien­ banker Emmanuel Macron – stand: Allein, dass er einen europafreund­ landschaft entstanden an den Rändern Freiräume, die lichen Kurs versprach, war Grund genug für ein Gefühl der Erleichterung. neu besetzt wurden. In Südeuropa traten auch links­ Denn Marine Le Pens Konzept für Frankreich hieß: raus aus der EU, dem populistische Parteien auf den Plan, im Rest Europas Euro und der Nato. Die rechtspopulistischen Parteien anderer europäi­ sind es vornehmlich rechtspopulistische Parteien, scher Staaten teilen ihre Vorstellungen, gleichzeitig haben sie sich der denen politische Bedeutung zukommt. In Polen stellt Rettung des christlichen Abendlandes verschrieben, was dann meist die ultrarechte Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) heißt: Muslime raus! Europaweit sind solche Gruppierungen seit einigen sogar die Regierungschefin, in Ungarn die Fidesz – Jahren auf dem Vormarsch. KDNP den Ministerpräsidenten, und in Österreich verlor der Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ nur woher kommen die rechtspopulistischen knapp die Präsidentschaftswahlen. Auch in allen an­ bewegungen? deren Nachbarländern Deutschlands sind Parteien mit rechtspopulistischer Ausrichtung in den Parlamenten Noch vor wenigen Jahren galten diese Gruppen bis auf wenige Ausnah­ vertreten. men als unbedeutende Randerscheinungen des Parteienspektrums.Wie Das Auftreten solcher Gruppierungen machen Forscher kam es »quasi über Nacht« zu einem solchen Bedeutungszuwachs? Man­ vor allem in Zeiten des Umbruchs aus. Ändern sich che Beobachter vermuten, es sei eine Folge der Zuwanderung von Schutz­ Lebens- und Arbeitsverhältnisse sehr schnell, fällt es suchenden aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten, in Afghanistan oder großen Teilen der Bevölkerung schwer, sich zu orien­ Afrika. Nach allen Untersuchungen bewegen sich aber schon seit Mitte tieren. Die Zukunft erscheint unsicher, ja bedrohlich. der Neunzigerjahre wachsende Teile der Bevölkerungen in verschiedenen Alles, was sicher geglaubt war, Normen undWerte der Ländern Europas politisch nach rechts. Parteienforscher halten rechts­ Elterngeneration – darunter auch die traditionellen populistische Parteien daher nicht für eine kurzlebige Erscheinung. Sie Familienbilder – sind infrage gestellt. Die Zunahme erklären ihren anhaltenden Wahlerfolg unter anderem damit, dass die an Freiheitsgraden wird nicht als Entwicklungschance, alten Volksparteien ihre Funktion als Interessenvertretungsorgan zwi­ sondern als Überforderung erlebt, und die große schen Staat und Gesellschaft eingebüßt haben und sich viele Menschen nicht mehr von ihnen vertreten fühlen. So werden beispielsweise die©dpa rechtspopulismus 9

Menschenleere Produktionsstraße. Welchen Platz hat der hergehende Zukunftsangst verstärken bei vielen den Wunsch nach »der © bild oben links: istock.com – phonlamaiphoto/bild rechts: picture alliance/zumbapress.com Mensch in den Zukunftsszenarien der Wirtschaft 4.0? Die Digi- guten alten Zeit«, nach Überschaubarkeit und einfachen Lösungen. Mo­ dernisierungsverlierer und verunsicherte Menschen, die real oder vermeint­ talisierung verändert die Arbeitswelt massiv. Viele Menschen lich die Verlierer von morgen sind machen daher einen großen Anteil anverlieren die Orientierung in einer Phase rapider Umbrüche und der Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien aus.reagieren mit Angst. Dieses Gefühl macht anfällig für die simp- len Schwarz-Weiß-Vorstellungen rechtspopulistischer Parteien. wie »ticken« die rechtspopulisten? Unübersichtlichkeit wirkt ängstigend. Statusverlust Ursprünglich war »Populist« eine herabsetzende Fremdzuschreibung. Ge­ droht und politische Entfremdungsgefühle entste­ meint war eine Haltung, die den wechselnden Stimmungen der Bevölkerung hen. Hinzu kommt, dass die Lebenswirklichkeiten nachläuft und der es nicht um die Sache an sich geht, sondern um die Zu­ zwischen städtischen Zentren und ländlichen Ge­ stimmung der Massen mit dem Ziel einer öffentlichkeitswirksamen Selbst­ bieten noch stärker als früher auseinanderfallen. inszenierung. In den letzten Jahren wird die Bezeichnung vermehrt auch Die Aufmerksamkeit von Politik und Medien kon­ als positive Selbstbezeichnung gebraucht. »Populistisch und stolz darauf!«, zentriert sich aber in der Regel auf die Zentren. so Marine Le Pen, der es gelungen ist, den rechtsextremen Hintergrund des Front National zu kaschieren und ihre Partei als einen Verein von Bieder­ Gegenwärtig haben wir es mit Anpassungsproble­ männern darzustellen, die das Abendland retten wollen. Ihr italienischer men an die digitalisierte Produktions- und Arbeits­ Kollege Matteo Salvini von der Lega Nord meint, dass es wohl nicht falsch weise der Zukunft – Wirtschaft 4.0 genannt – zu sei, auf der Seite des Volkes zu stehen und dafür zu sorgen, dass die Mei­ tun. Hier fürchten besonders Ältere, den damit nung des Volkes Politik werde: »Sono un Populista!« – Ich bin Populist! – verbundenen Anforderungen nicht mehr gewach­ steht auf seinen T-Shirts. sen zu sein sowie jüngere nicht Hochqualifizierte, Wer verstehen will, wie Rechtspopulisten denken, kann dies beim US-Präsi­ durch die rasante Automatisierung und den Ein­ denten Donald Trump in Reinkultur studieren. Bei aller Unterschiedlichkeit satz von Robotern als Arbeitskräfte überflüssig zu eint populistischeWeltbilder, dass sie die Gesellschaft als zwei voneinander werden. Wir leben zudem in einer Welt, die unter getrennte – in sich einheitliche – Gruppen begreifen. Auf der einen Seite den Auswirkungen des Klimawandels und zahl­ steht »das reine Volk«, auf der anderen eine korrupte, unmoralische Elite, reichen gewaltsam ausgetragenen Krisen und die an der Macht klebt und im Kern verdorben ist. Die reale Vielfältigkeit Kriegen leidet. Große Wanderungsbewegungen der Bevölkerung, ihre zum Teil weit auseinanderfallenden Lebenswelten von Schutzsuchenden nach Europa führen unter und -stile, ihre unterschiedlichenWerte und Einstellungen werden ignoriert. anderem zu massiven Besitzstandswahrungspro­ blemen, insbesondere bei denen, die Migranten Rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch als Konkurrenten um Arbeit und Wohnung emp­ finden. Es ist die Angst vor dem sozialen Abstieg, Europäische Parlamente mit rechtspopulistisch zugeordneten Parteien gepaart mit dem Gefühl, machtlos und von den Im Parlament vertreten An der Regierung beteiligt Stellt Regierungschef etablierten Parteien und Politikern nicht vertreten zu sein, die anfällig macht für populistische Bot­ Eine Übersicht über die rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien in Europa schaften. Das Gefühl, diesen Entwicklungen schein­ bietet eine interaktive Karte auf der Website der Bundeszentrale für politische Bil- bar hilflos ausgeliefert zu sein, und eine damit ein­ dung: http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/10 rechtspopulismus

einfache antworten auf komplexe probleme Amnesty International setzte Anfang Juni in Hannover ein Zeichen für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender undDie populistische Wirklichkeitsdeutung erfolgt nach einem stets gleichen intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI). Rechtspopulisten ängstigtMuster: Das einheitliche Volk ist Grundlage der politischen Gemeinschaft, die »bunter« werdende Gesellschaft. Sie meinen, in einer Welt desaber einige Akteure missachten die Souveränität dieser Volksgemeinschaft. Umbruchs sollten wenigstens die traditionellen Familienbilder er-Der von den Populisten ausgemachte Missstand wird lautstark und mit halten bleiben.emotionsgeladenen Bildern angeprangert. Bei der Erfüllung des Ziels, dembevormundeten Volk wieder zu seinem Recht zu verhelfen, ist nahezu jedes was ist so gefährlich amMittel recht, offensichtliche Lügen – alternative Fakten genannt – einge­ rechtspopulismus?schlossen. Die Bedrohung der Souveränität des Volkes geht nach populis­tischer Weltsicht von ganz unterschiedlichen »Eliten« aus: Mal ist es das Rechtspopulisten nehmen Stimmungen des Volkesinternationale Finanzkapital, dann wieder sind es technokratische Steue­ auf und bringen sie zu Gehör, so Matteo Salvinirungseliten der EU-Bürokratie oder die sogenannten»Systemparteien«. von der italienischen Lega Nord.Was soll verkehrtVertreter rechtspopulistischer Ideen führen gerne auch die political correct­ daran sein in Zeiten, in denen sich zunehmendness einfordernde Bildungselite, Befürworter des »Genderwahns«, »Flücht­ mehr Menschen nicht mehr von den Volksparteienlingsfreunde, die Islamisten ins Land holen« oder ganz allgemein »die linken vertreten fühlen?Meinungsmacher« als Schuldige an der vermeintlichen Misere an. In ver­schwörungstheoretischer Sichtweise werden diese als Verräter am eigentli­ Das Problem ist, dass sie nicht Stimmungen auf­chen Volkswillen gebrandmarkt. nehmen, sondern dass sie Stimmungen machen! Sie schüren Ängste, sie polarisieren und sie hetzenzwischen opfermythos und hass auf alles fremde gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen. Die Angst der Europäer vor »dem Fremden« ist die Angst, dieSich selbst sehen Populisten als »Anwälte«, als »Retter des Volkes«, die von Rechtspopulisten am stärksten bedienen und ver­ihren Gegnern »aufs Übelste« verunglimpft werden. Insofern wird man stärken. Zwar haben nicht die Flüchtlinge zu denkaum einen Rechtspopulisten erleben, der sich nicht zugleich als Opfer rechtsextremen Einstellungen geführt, die Forschersieht, mit dem »schlimmer als jemals mit anderen« umgesprungen wird. In schon länger bei Umfragen bemerkten. Sie habendiesem Opfermythos sind fassungslos machende Bezüge beliebt, bei denen aber der diffusen Angst vor dem Morgen, der Angstdie Gegner der Rechtspopulisten zu Nazischergen und sie selbst zu Verfolg­ vor sozialem Abstieg und Statusverlust ein konkre­ten »wie die Juden unter Hitler« werden. Infame Vergleiche, vor allem, wenn tes Gesicht gegeben. Die politischen Fehler bei derbedacht wird, dass Rechtspopulisten nicht nur das »einheimische Volk« in Steuerung der Zuwanderung und bei der Integra­Stellung gegen die »herrschende Elite« bringen, sondern auch gegen alle, tion wiederum haben die bereits vorhandenen Ab­die gemäß ihrem Weltbild nicht zum reinen Volk gehören. Es geht gegen neigungen gegen »die Fremden« verstärkt. Studienalles Fremde, so zum Beispiel gegen »die Ausländer«, aber auch gegen Be­ wie die Leipziger »Mitte«-Studie zeigen, wie weitvölkerungsteile mit anderer sexueller Orientierung, anderer sexueller Iden­ es rechtsextremes Gedankengut bereits in die Mittetität oder mit anderen politischen Überzeugungen. der Gesellschaft geschafft hat. Auch die Bereitschaft zur Gewaltanwendung ist gestiegen. Antieuropäi­verbale ausfälle zwecks grösster medialer sche, demokratieverachtende oder rassistische Be­aufmerksamkeitObwohl sich Rechtspopulisten in Parteien organisieren, lehnen sie den Auf­trag des Grundgesetzes an die Parteien ab, den politischenWillen des Volkeszu bündeln und zu bilden. Jede Instanz zwischen Volk und Macht birgtnach ihrer Auffassung das Risiko, den wahren Volkswillen zu verfälschen.Populisten fordern eine Willensbekundung des Volkes durch eine direkteDemokratie. Um den »Volkswillen« unmittelbar zum Ausdruck zu bringen,setzen Populisten gerne auf charismatische Führungspersönlichkeiten, dieals Sprachrohre des Volkes gelten. Die Führer der populistischen Bewegungensind häufig Außenseiter. Sie kommen zum Beispiel als Quereinsteiger, etwaals Unternehmer oder Professoren, in die Politik, wodurch sie sich vomverhassten politischen Establishment absetzen können. Individueller Reich­tum ist dabei kein Hindernis oder gar ein Hinweis darauf, Teil der Elite zusein, sondern gilt als Gewähr dafür, nicht käuflich zu sein. Die populisti­schen Wortführer nehmen dann für sich in Anspruch, im Wissen um dasWollen des Volkes zu sein und mit der Stimme des Volkes oder mit dem»gesunden Menschenverstand« zu sprechen. Die Sprache, derer sie sichbedienen, ist simpel, prägnant, bildhaft und emotionsgeladen. Skandaleund Grenzüberschreitung sind gewollt, um für möglichst große medialeAufmerksamkeit zu sorgen. rechtspopulismus 11

kenntnisse werden zwar nicht von der Mehrheit der Bundesbürger geteilt, aber und Historikerin Britta Baas in der Zeitschrift Pu­ © bild oben: picture alliance/lino mirgeler/dpa, bild rechts: www.kottiundco.netsie werden »normaler«. Eine klare Abgrenzung von rechtspopulistischen zu blik-Forum (12/2016). Sie meint, dass eine Kon­rechtsextremen Haltungen ist schwer zu ziehen. Rechtspopulisten sind Tür­ frontation mit dem Angstauslöser helfen könne,öffner für Rechtsextreme. Nicht zuletzt die personelle Überschneidung beider die Angst zu bewältigen. Im Konkreten heißt diesKreise macht dies deutlich. zum Beispiel durch Begegnungen mit Flüchtlingen. »Entängstigung durch Begegnung« nennt es auchChristen in der AfD? Bettina Warken, Anette Schultner (AfD), Liane Bednarz und der österreichische Theologe Paul Zulehner in sei­der evangelische Bischof Markus Dröge beim Evangelischen Kirchentag 2017. »Ich nem Buch »Entängstigt euch! Die Flüchtlinge undkann mich als Christ nicht in einer Partei engagieren, die Ängste dramatisiert, das christliche Abendland«. Er meint, dass dieMisstrauen sät und Ausgrenzung predigt«, so der Theologe Dröge. Es finde sich Christen nicht das christliche Abendland rettenkein christliches Menschenbild im Programm der AfD: »Die Partei missbraucht müssten, sondern das Christliche im Abendland.Christen als Feigenblatt.« Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki unter­ stützt diese Position, wenn er rechtspopulistischeSeit die AfD in Deutschland in die Parlamente eingezogen ist, werden Positionen und Kampagnen, die gegen die Men­fremdenf­eindliche Äußerungen offener als zuvor geäußert. »Das wird man schenwürde verstoßen, ächtet. Als Beispiel hierfürja wohl mal sagen dürfen …« Rechtspopulistische Parteien nutzen geschickt benennt er die Pegida-Kampagne gegen eine ver­die Tatsache, dass die Angst vor dem Fremden in unserer Gesellschaft stetig meintliche »Islamisierung« des Abendlands oderwächst. Wenn der Teil des Gehirns, in dem Angst entsteht, das Kommando »ausgrenzende Positionen der AfD, dass der Islamübernimmt, hat es die Vernunft schwer: Angst hat ihren Ort in einem ent­ nicht zu Deutschland gehöre«.wicklungsgeschichtlich sehr alten Teil unseres Gehirns, der sich nur schwerdurch die jüngeren, intelligenteren Teile steuern lässt. Und es sind nicht nur was tun gegen denZuwanderer aus anderen Ländern, die durch ihr Anderssein Angst machen. rechtspopulismus?Hinzu kommt die real fassbare Angst vor dem Terror islamistischer Gruppenund Einzeltäter – wie jüngst in Manchester und London. Obwohl die Wahr­ Auch wenn es so scheint, als sei mit Argumentenscheinlichkeit, in Europa zum Opfer eines Anschlags zu werden, statistisch schlecht gegen rechtspopulistische Haltungen an­gesehen gering ist, ist die gefühlte Gefahr immens. Und Angst spielt in den zukommen, ist es wichtig, mutig und deutlich eineeuropäischen Gesellschaften schon allein dadurch eine zunehmende Rolle, klare Aussage dagegenzustellen. Statt Pseudoneutra­weil diese Gesellschaften einen hohen Altersdurchschnitt haben. Ältere lität ein eindeutiges Bekenntnis zu denWerten, fürMenschen haben offenbar größere Schwierigkeiten als jüngere, die aus der die Europa steht, und zur Demokratie!Steinzeit geerbte Angststeuerung in den Griff zu bekommen. Eine Untersu­ Richtig ist, dass die Zunahme des Rechtspopulismuschung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der auf Probleme aufmerksam macht, die es anzugehenBundeswehr hat im vergangenen Jahr dieses Phänomen auf der Grundlage gilt: Es gibt Demokratie- und Beteiligungsdefizite.deutscher Verhältnisse bestätigt. »Demnach fühlen sich die Wählerinnen Es gibt Probleme bei der Steuerung des Zuzugs undund Wähler der AfD – einer Partei, die kollektive Ängste geschickt aufgreift bei der Integration von Zuflucht suchenden Men­und sie in eine Politik des Alarmismus und des Beschwörens nationaler schen. Es ist richtig, dass die Politik der vergangenenIdentität umsetzt – im Vergleich zu denen anderer Parteien am unsichersten. Jahrzehnte die Menschen derWillkür eines aus demAls größte Bedrohungen nehmen sie religiösen Fundamentalismus und die Ruder gelaufenen globalisierten Finanz- und Wirt­Zuwanderung wahr. Die Befragung zeigt auch: AfD-Wähler sind im Schnitt schaftssystems überlassen hat. Es fehlt ein überzeu­älter als die anderer Parteien. Und die über 65-Jährigen unter ihnen haben gendes Konzept, wie ein nachhaltiges, umwelt- unddeutlich mehr Angst als der Durchschnitt ihrer Altersgruppe«, so die Theologin menschenfreundlichesWirtschaftssystem aussehen kann, in dem alle, die arbeiten wollen, dies zu ver­ nünftigen Löhnen tun können. Es gibt offensichtlich auch die Notwendigkeit, zu prüfen, ob die Abgabe nationaler Zuständigkeiten zur Regelung von euro­ päischen Belangen immer im Sinne der Menschen gewesen ist oder ob sie primär privatwirtschaftlichen Interessen diente. Darüber hinaus wäre eine konse­ quente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips weg­ weisend. Keine EU-Kommission muss Wasch­ beckengrößen in Toiletten regeln! Wo Regelungs­ bedarf besteht, sollte dieser auf der untersten Ebene vor Ort von den Betroffenen geklärt werden. Die Tatsache, dass Rechtspopulisten tatsächlich den Finger in manche Wunde legen, darf für Politiker12 rechtspopulismus

Zehn Regeln für Demokratie-Retterund Parteien nicht heißen, dass sie sich selbst rechts­ Liebe deine Stadt.populistisch gebärden, um Wählerstimmen zu be­ Mache dir die Welt zum Dorf.kommen. Überall dort, wo dies in der Vergangenheit Bleibe gelassen im Umgang mit Demokratie-Verächtern.versucht wurde, war die Folge nur, dass rechtsex­ Fürchte dich nicht vor rechten Schein-Riesen.treme, menschenverachtende Forderungen hoffähigwurden. Die richtige Schlussfolgerung für die Par­ Verliere nicht den Kontakt zu Menschen,teien wäre, dass sie sich in ihrer Organisationsform die nicht deiner Meinung sind.verändern. Sie müssen sich wieder zu den Bürgern Packe Probleme nicht in Watte.öffnen und ihre gesellschaftliche Meinungsbildungs-und Bündelungsfunktion wahrnehmen, statt von Verabschiede dich von der Attitüde, eigentlichoben gesteuerte Mitglieder- und Funktionärsparteien gegen diese Gesellschaft zu sein.zu Sein, deren Hauptziel der Machterhalt ist. Darü­ Warte nicht auf den großen Wurf.ber hinaus sollte erwogen werden, direktdemokra­tische Beteiligungsverfahren einzubauen, denn eine Wehre dich, wenn von »den« Politikern die Rede ist.solche Forderung muss nicht den Rechtspopulisten Verbinde Gelassenheit mit Leidenschaft.überlassen werden. Ganz offensichtlich fehlt es anBeteiligungsmöglichkeiten im demokratischen Pro­zess, wenn sich bedeutsame Teile der Bevölkerungnicht mehr vertreten fühlen.Wer nach den Gründen für die Politikverdrossenheit Tipps aus dem Buch »Zehn Regeln für Demokratie-Retter« (KiWi-sucht, kommt an der Erkenntnis nicht vorbei, dass Taschenbuch, ISBN: 978-3-462-05071-4) von Jürgen Wiebicke, um diedas Interesse an politischen Fragen stark vom Ein­kommen und somit vom sozialen Status abhängig Ratlosigkeit angesichts des zunehmenden Rechtspopulismus zuist. DieWahlbeteiligung liegt in reichen Viertel regel­ überwinden. Er zeigt, dass es auf jeden Einzelnen ankommt bei der so dringend nötigen Neubelebung der Demokratie.mäßig um 20 Prozent höher als in Sozialbausied­ lichen und kirchlichen Arbeitervereinen vermittelt wurde, heute in breitenlungen. Gerade diejenigen, die ein Interesse daranhaben müssten, dass sich etwas ändert, gehen nicht Teilen der Bevölkerung fehlt. Da tut sich ein wichtiges Arbeitsfeld fürzur Wahl. Dahinter steht auch die Einschätzung, die Erwachsenenbildung auf, die gefordert ist, Konzepte jenseits desdass, egal wer die Wahl gewinnt, die Situation für Ausschreibens von Kursangeboten zu entwickeln, im Sinne einer »auf­die sozial Benachteiligten immer dieselbe bleibt. suchenden Bildungsarbeit« damit andere, als die ohnehin gut versorgtenWenn Gewerkschaften in diesem Zusammenhang bildungsbürgerlichen Kreise erreicht werden.einen Job hätten, dann den des Empowerments, derHilfe zur Selbstorganisation der Abgehängten. Zu guter Letzt: Auch wenn das christliche Abendland eigentlich ein Kampfbegriff ist, um unchristliche Ziele durchzusetzen, sollte dasAuffällig bei der gesamten Debatte um die Zunahme »Christliche im Abendland« gerettet werden. Hier sind die Kirchen ge­rechtspopulistischen Gedankengutes ist, dass die fragt. Wie das geht, zeigt sich bereits im Engagement vieler christlicherwirtschaftliche und politische Grundbildung, die Gemeinden für die Flüchtlinge, im Kampf gegen Rechtspopulismus undin der Vergangenheit zum Beispiel in gewerkschaft­ für eine menschenfreundliche Gesellschaft. Für die Mehrzahl der Chris­ ten sind Demokratie, Achtung der Menschen­ würde, Rechtsstaatlichkeit, freiheitliches DenkenKeine Alternative zur Zuflucht zu Extremen oder Resignation? Von wegen! und Handeln, Toleranz und Respekt eine selbst­Am Berliner Kottbusser Tor, der als einer der sozial schwächsten Stadtteile in Deutsch- verständliche Grundlage ihres Gemeinwesens.land gilt, hat eine Nachbarschaftsinitiative gezeigt, dass es durch Selbstorganisation Sie sollten jenen rechts­konservativen Christen,der »Abgehängten« möglich ist, die Parteien unter Druck zu setzen. die versuchen, die Kirchen auf einen rechtspo­ pulistischen Kurs zu bringen, oder ihnen alter­ nativ einen politischen Maulkorb verpassen wollen, eine deutliche Absage erteilen: Christen­ tum geht nicht mit Ausgrenzung einher, denn Christen sehen in jedem Menschen das Ebenb­ ild Gottes, der die wunderbare Vielfalt aller seiner Geschöpfe liebt. n kerstin meinhardt (55) ist Mitglied der Redaktion des Franziskaners. Die Diplom-Soziologin lebt in Idstein im Taunus. rechtspopulismus 13

Radikalisierungstendenzen am rechten Rand der Kirche Sind Christen weniger anfällig für rechtspopulistische Bewegungen und Parteien als Nichtchristen? Was sind eigentlich Rechtskatholiken, welche Bedeutung haben sie für rechtspopulistische Parteien wie die AfD? Über diese Fragen sprachen wir mit Dr. Andreas Püttmann. Der katholische Politikwissenschaftler und Publizist aus Bonn beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema. Er versteht sich selber als konservativen Katholiken, der aber eine klare Trennungslinie zu rechtskatholischen und autoritären Positionen zieht und vehement für Demokratie, Menschenrechte und die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes streitet.Herr Püttmann, was haben wir unter »Rechtskatholizismus« zu etwa 300.000 kirchennahen und ca. 2,5 Millionen kir­verstehen? chenfernen Katholiken zu tun. Zu knapp 3 MillionenEine eindeutige Definition ist sicherlich schwierig, aber es gibt Katholiken kommt eine ähnliche Anzahl evangelischerKriterien. Zunächst einmal bezogen auf Parteien und Organisa­ Christen, die zumindest ansprechbar sind durch dentionen: Rechtskatholik ist der, der mit rechtskonservativen oder Rechtspopulismus.rechtsradikalen Organisationen, Parteien und Verbänden sympa­thisiert, zusammenarbeitet oder hier sogar Mitglied ist. Was sind die Themen, die Christen für ein rechts­ populistisches Politikangebot ansprechbar machen?Ein anderes Kriterium zielt auf das ideologische Webmuster. Das erste, sicherlich wichtigste, ist der WiderstandTypisch für den Rechtskatholizismus ist eine Tendenz zu autori­ gegen den sogenannten »Genderwahn«. Dieser Themen­tären Modellen von Staat und Gesellschaft statt zur gewalten­ bereich ist mit einer zum Teil apokalyptischen Vor­teiligen, liberalen, rechtsstaatlichen Demokratie. Und zu diesem stellung von der Auflösung der Familie und der Ge­ideologischen Moment gehört auch das nationale, im Sinne von schlechterordnung verbunden bis hin zu Verschwö­nationalistisch. rungstheorien.Wobei hier der Begriff der »Homolobby« eine entscheidende Rolle spielt. Bei der Genderwahn-­Das dritte Kriterium hängt mit dem vorherigen zusammen: Im Idee geht es darüber hinaus um das Verhältnis derMittelpunkt des politischen Denkens von Rechtskatholiken steht Geschlechter; also wie ist die Aufgaben- und Rollen­nicht das freie Individuum mit seiner Personenwürde, sondern verteilung zwischen Mann und Frau in der Partner­die Ordnung. Das geht bis zu ständestaatlichen Vorstellungen schaft, mit dem Spezialthema der Kinderbetreuungund beinhaltet manchmal sogar ausdrückliche Kritik an der »fal­ und der Berufstätigkeit der Frau. Dann gibt es denschen Idee von Gleichheit«. Bereich der sogenannten »political correctness«. Doch die Hauptstoßrichtung richtet sich nach meiner Beob­Wie groß ist der Anteil der Katholiken mit reaktionären und achtung gegen Homosexuelle, die als die eigentlicherechtspopulistischen Überzeugungen? Gefahr für Ehe und Familie angesehen werden.Dies kann man am ehesten anhand des ersten genannten Krite­riums, der Nähe zu bestimmten rechtsextremen oder rechtskonser­ Woher kommt diese irrationale Angst vor Gleichbe­vativen Gruppierungen bestimmen. Bei NPD oder auch den rechtigung? Es wird ja niemand etwas weggenommen.Republikanern ist der Anteil der Katholiken und auch der Christen Ich denke, die Sichtbarkeit ist der Punkt. Nach deminsgesamt immer deutlich unterdurchschnittlich gewesen. Bei Motto: Wir sind nicht homophob, wir möchten nurder AfD hingegen, also beim Rechtspopulismus, sieht es schon nichts davon in der Öffentlichkeit sehen, wir wollenetwas anders aus. Laut einer Allensbach-Umfrage vom Sommer nichts davon in der Schule hören. Was jemand in sei­2016, sozusagen zur Blütezeit der AfD, als diese bundesweit bei nen vierWänden macht, ist seine Sache. Heterosexuali­etwa 14–15 Prozent lag, haben sich 8 Prozent der kirchennahen tät darf sich in der Öffentlichkeit zeigen, Homosexuali­Katholiken und 12 Prozent der kirchenfernen Katholiken als tät nicht, damit die natürliche Ordnung unbeschadetpotenz­ ielle Wähler der AFD bekannt. Damit hätten wir es mit bleibt.14 rechtspopulismus

Was sind die zentralen Anknüpfungspunkte für Rechtskatholiken also das Denken in einer von Gott gesetzten Ordnung an das Politikangebot der AfD? im Gegensatz zu den von Menschen gemachten Nor­ Dieses Ordnungs- und Autoritätsfokussierte verbindet sicherlich men, was zu einer gewissen Antiliberalität führen kann. die nichtkirchliche mit der kirchlichen Rechten, wenn auch die Motive oder Begründungen unterschiedlich sind. Für die einen Welche Vorteile bringen die Rechtskatholiken der AfD? ist es die Schöpfungsordnung, für die anderen ist es die Volks­ Ich sehe hier vier Dimensionen: Erstens erschließen gesundheit oder der »gesunde Volkskörper«. Hier gibt es die sie der AfD eine hoch motivierte, gut vernetzte und größte Schnittmenge. spendenbereite Anhängerschaft. Zweitens legitimiert man den Anspruch der Rechts­ Das Zweite ist die Islam-Angst, wenngleich nach einer Allens­ populisten, Verteidiger des Abendlandes zu sein, da bach-Umfrage die Gottesdienstbesucher – sowohl regelmäßige sie sagen können, wir haben ja auch Christen bei uns. als auch gelegentliche – weniger Vorbehalte gegen Muslime als Drittens wirkt die Mitarbeit von Christen für die Rechts­ Nachbarn haben als kirchenferne Katholiken. Die Katholiken populisten wie eine Art moralische Unbedenklich­ haben sogar insgesamt nochmal etwas weniger Vorbehalte gegen keitserklärung, sie vermittelt den Eindruck einer ge­ Muslime als Protestanten und erst recht weniger als Konfessions­ diegenen, braven Bürgerlichkeit. lose. Aber es gibt auch in der katholischen Kirche eine kleine, Das Vierte ist, dass die Rechtskatholiken und auch aber lautstarke Gruppe, die die sogenannte Islamisierung des Rechtsp­ rotestanten die AfD in ihrer Kirchen- und Abendlandes als große Gefahr ansieht, auch als Gefahr für das Bischofskritik bestätigen. Sie sind sozusagen die Kron­ Christentum. Doch dieses Thema scheint bei Rechtskatholiken zeugen für die Hetze gegen diese sogenannten »ver­ gegenüber dem Genderwahn-Thema eher zweitrangig. Allerdings rotteten Funktionsträger und Staatsbeamten«. gibt es unter Katholiken wie in der Gesellschaft insgesamt eine Mehrheit, die Bedenken und Vorbehalte gegenüber dem Islam Wie finden rechtskatholische Aufhetzer ihr Publikum? hat. Zweifel bestehen gegenüber der Integrationswilligkeit, ge­ Wie organisieren sie ihre Anhänger? genüber dem Bekenntnis zum Vorrang des Grundgesetzes ge­ Das ist extrem schwer nachzuvollziehen, weil es sich genüber religiös begründeten Rechts- und Gesellschaftsvorstel­ hier um informelle Netzwerke handelt, die einfach lungen, und es gibt sicher auch ein Unbehagen, sich in manchen durch eine Vielzahl persönlicher Kontakte entstehen. Stadtteilen von Großstädten nicht mehr heimisch zu fühlen. Was man aber sagen kann, ist, dass der »Internet­ Insoweit gelingt einer rechtspopulistischen Partei wie der AfD katholizismus« eine Schlüsselrolle spielt. Ein beson­ beim Thema Islam durchaus eine gewisse Anschlussfähigkeit an derer Kristallisationspunkt ist dabei das österreichische große Gruppen in Kirche und Gesellschaft. Internetportal »Kath.net«, aber auch einige Blogger. Hier spiegelt sich das gesamtgesellschaftliche Phäno­ Grundsätzlich muss man meines Erachtens feststellen, dass eine men, dass das Internet im Grunde neben allen Seg­ gewisse Nähe zu autoritären Ordnungen durchaus in den katho­ nungen und Vorteilen, die es bringt, doch auch eine lischen »Genen« liegt. Dies zeigt auch ein Blick auf den Faschis­ große Radikalisierungsmaschine ist, in der man die mus in katholischen Gesellschaften im letzten Jahrhundert, bei­ Selbstbestätigung findet, die man sucht. Hier kann spielsweise in Spanien, Portugal oder auch in lateinamerikani­ schen Ländern. Es ist die straffe Hierarchie, in der man gewohnt ist, kirchlicherseits zu leben, und das ausgeprägte »Ordodenken«, Konservative Christen und andere Gruppierungen demonstrierten zuletzt am 25. Juni 2017 in der Innenstadt von Wiesbaden unter dem Motto »Demo für alle« gegen den neuen Lehrplan zur Sexualkunde an hessischen Schulen© boris roessler/dpa rechtspopulismus 15

Widerspruch vermieden werden, und auch sachliche Einreden pologie nähersteht als alle anderen Gesellschaftssysteme. und Korrekturen finden kaum statt, weil der Zusammenhalt der Hier müsste die Kirche noch etwas deutlicher werden. Gruppe, der Korpsgeist, immer wichtiger ist. Wichtig wäre zudem die Verstärkung der politischen Bil­ Neben der Funktion des Internets als zentralem Kommunikations­ dungsarbeit in den zahlreichen kirchlichen Bildungsein­ kanal gibt es auch bestimmte Gruppierungen, die Kongresse richtungen. Hier besteht ein großer Bedarf, wenn man abhalten, die als große Heerschau dienen, wo man sich dann sich die Untersuchungen zur Politikverdrossenheit an­ auch Face-to-Face sieht und Verabredungen trifft. schaut oder zur Haltung gegenüber unserem repräsenta­ Dann gibt es das Forum Deutscher Katholiken, in dem man eine tiven System, zur Gewaltenteilung. Häufung von Rechtskatholiken erleben kann, neben anderen, die Was sind die schönsten Früchte des Christentums, gleich­ einfach nur traditionell fromm und konservativ sind; aber doch sam seine DNA? »Empathie, Demut und Gelassenheit«. auch einige, die durch eine gewisse Nähe zu Rechtspopulisten, Was sind die hervorstechendsten Eigenschaften des zu Putin oder zur AfD aufgefallen sind. Rechtspopulismus? »Empathielosigkeit, rabiater, indivi­ Was wäre nötig, um dem Rechtspopulismus und dem mit ihm dueller oder kollektiver Egoismus und Sozialdarwinismus, verbündeten Rechtskatholizismus in Deutschland erfolgreich Hybris und Daueraufgeregtheit«. Man kann den Rechts­ entgegentreten zu können? populismus beschreiben als nahezu vollständige Leugnung Wichtig wäre aus meiner Sicht, die Sozialethik nicht als ein im eines christlichen Selbstverständnisses oder einer christ­ Grunde unbedeutendes theologisches Nebenfach zu begreifen. lichen Tugendethik. Jesus ist zwar nicht für ein politisches Programm angetreten, aber Dies deutlich herauszuarbeiten, wäre aus meiner Sicht es ist selbstverständlich, dass die christliche Lehre politische Aufgabe kirchlicher Bildungsarbeit. Konsequenzen hat. Wenn ich sage, »was ihr dem geringsten mei­ ner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan«, dann muss ich Sollten Kirche und Christen mit der AfD sprechen? mich natürlich auch in meinem Tun um die Bestandsvoraus­ Man sollte kein Podium für die AfD bieten. Das heißt, setzungen eines humanen politischen Systems sorgen. Die Kirche einerseits Dialogbereitschaft zu zeigen, wenn etwa AfD- hat hierfür ja mit ihren Sozialprinzipien »Personalität, Solidarität, Parlam­ entarier beim katholischen Büro anklopfen und Subsidiarität, Gemeinwohl, Nachhaltigkeit« auch ein Instrumen­ sprechen wollen, dann soll man mit ihnen sprechen. Genau tarium. Ich meine, das gehört zum Tafelsilber der Theologie und wie jeder Katholik und jeder Protestant mit Freunden, im ist keine Nebenspielwiese, die man vernachlässigen kann. Bekanntenkreis, in der Verwandtschaft sein Zeugnis geben Die sozialethischen Kriterien für das politische Handeln müssen muss und nicht nur sein Glaubenszeugnis, sondern auch klar herausgearbeitet werden. Dass man für Flüchtlingshilfe und sein ethisches Zeugnis. Also keine Dialogverweigerung! gegen Antisemitismus und gegen Rassismus ist, ist selbstver­ Aber man muss einer solchen Partei nicht neue Räume ständlich. Aber was man speziell nacharbeiten muss, ist etwas, für die Verbreitung ihrer »Wahrheiten« eröffnen in der was ich in aller Vorsicht »Theologie der Demokratie« nennen Hoffnung, man werde sie schon entzaubern. Die Vorstel­ würde: dass ein politisches System aus katholischer Sicht sich lung, man müsse sie nur einmal öffentlich beim Katholiken­ nicht vor allem dadurch legitimiert, was es an katholischen Ge­ tag reden lassen und dann seien sie demaskiert, ist völlig setzen hervorbringt. Sondern dass die Demokratie – selbst wenn naiv und unterschätzt massiv das demagogische Potenzial sie gelegentlich unchristliche Gesetze hervorbringt – als korrektur­ dieser Leute. fähiges System, das den Menschen und seine Würde in den Mit­ Ich halte es zudem für wichtig, dass konservative Katholiken telpunkt stellt, einen Eigenwert hat, der der christlichen Anthro­ und Protestanten im kirchlichen Mainstream nicht an den Rand gedrängt werden. Ich habe das früher auch selbst Der im vergangenen Monat veröffentlichte erfahren, als eher konservativer Vertreter. Es wurde nach Essayband unseres Interviewpartners setzt dem Motto verfahren: »Wer einmal beim Forum Deutscher Katholiken gesprochen hat, ist verstrahlt und taugt nicht sich mit den Versuchungen einer mehr als Referent.« Solche Ausgrenzungsmechanismen schrumpfenden katholischen Kirche gegenüber Konservativen treiben diese Leute, die eigent­ lich gar nicht rechtskonservativ oder rechtsradikal werden auseinander und bricht eine müssten, in die Hände der politischer Rattenfänger. n Lanze für die Ökumene. Andreas Püttmann interview und bearbeitung: thomas meinhardt (60) Der Redakteur des Franziskaner ist Wie katholisch ist Deutschland … … und was hat es davon? Diplom-Soziologe und lebt in Idstein im Taunus Das vollständige Interview mit Dr. Andreas Püttmann Bonifatius, 16,90 €, ISBN 978-3-89710-712-0 33www.zeitschrift.franziskaner.de16 rechtspopulismus

geistlicher wegbegleiter – sommer 2017 im glauben reifen geistlicher wegbegleiter Im Glauben reifen©kerstin meinhardt In einem Glaubensgespräch be­ wird unser Glaube spannend und ständig wächst. Damit er wächst, schäftigten wir uns mit dem Apos­ lebendig.« Wir kamen zur Überzeu­ braucht er Pflege. Wie eine Pflanze, tolischen Glaubensbekenntnis. Ein gung: Es ist gut, dass wir die Texte, die sich entwickelt, braucht unser Text aus dem fünften Jahrhundert die uns durch die Kirche überliefert Glaube Licht, Nahrung, Ruhe, Auf­ nach Christus, der Sonntag für worden sind, bewahren und beten. merksamkeit, Liebe. Sonntag in den christlichen Kirchen Sie regen uns an, Fragen zu stellen, gebetet wird. »Wäre es nicht besser, den Glauben neu zu bedenken und Wir laden Sie ein, einmal Ihr persön­ das Glaubensbekenntnis in heutiger ihn auch in die heutige Sprache zu liches Wachsen und Reifen im Sprache zu formulieren? Die Frage übersetzen. Glauben zu meditieren. Lassen Sie nach Gott stellt sich heute doch ruhig und ehrlich auch die Fragen ganz anders als vor 1.500 Jahren.« Nicht nur im Lauf der langen Mensch­ und Zweifel zu. Und staunen Sie, Eine andere nickte: »Durch die mo­ heitsgeschichte wandelt sich das was aus dieser »Pflanze« geworden derne Wissenschaft wissen wir zum Glaubensverständnis, auch im Lauf ist und noch werden kann. Beispiel, dass sich die Welt allmäh­ eines jeden Menschenlebens – von lich und stufenweise entwickelt hat einem nicht hinterfragten Kinder­ Wir wünschen Ihnen einen frucht­ und nicht fix und fertig von Gott glauben zum Aufbegehren in der baren geistlichen Weg und eine er­ geschaffen wurde.« Andere meinten: Jugendzeit hin zu einem erwachse­ füllte Sommerzeit!   »Nein, einen solchen Basistext wie nen Verständnis des Glaubens. das Glaubensbekenntnis kann man Unser Glaube ist keine Schatzkiste Ricarda Moufang und nicht einfach verändern. Wenn wir mit katalogisiertem Inhalt, sondern Helmut Schlegel uns an manchen Auss­ agen reiben, ein lebendiger Organismus, der Ricarda Moufang (56) ist Referentin im Zentrum für christliche Meditation und Spiritualität des Bistums Limburg. Helmut Schlegel OFM (74) ist Leiter des Zentrums für christliche Meditation und Spiritualität des Bistums Limburg in Frankfurt. 17

geistlicher wegbegleiter – sommer 2017 – juli im glauben reifen © bilder links und rechts: günter harmelingMeine Geschichte gespräch mit der bibel mit Gott »Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin der ›Ich-bin- meditation da‹. Und er fuhr fort:So sollst du zu den Israeliten sagen: Du Der ›Ich-bin-da‹ hat mich zu euch gesandt.Weiter sprach Gott zu Mose: So sag zu den Israeliten: Jahwe, der Gott mein roter Faden eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Von der Nabelschnur Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer und so wird man mich nennen in allen bis zum Grablot Generationen.« (Ex 3,14 f.) seidener Faden in Todesangst Mehr als ein Name ist, was Gott dem Mose offenbart. Seemannsgarn im Zweifel »Ich bin da« ist der Ausdruck zeitloser Gegenwart: Im festes Tau im Seelensturm Hier und Jetzt ist Gott, in jedem Augenblick meines Drahtseil auf Messers Schneide Daseins,ob ich mir dessen bewusst bin oder nicht.Leben ist immer Sein vor Gott. Ein Ja zum Leben ist Gebet. Unsichtbares Netz vom Ich zum Wir zum Du »Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen. Gott ist die Liebe, und wer in zeitloser Halt der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.« in haltloser (1 Joh 4,16) Zeit Die Sinne, der Verstand, die Worte – sie alle erreichen fünf anregungen für den alltag Gott nicht, weil er immer der ganz Andere ist. Er wohnt •• Ich atme das Wort »Gott« ein und aus und in unzugänglichem Licht. Das ist die Not des Glaubens. Doch es gibt einen sicheren Weg zu Gott – die Liebe. spüre,wie ich durchströmt werde von Leben, Wo immer Menschen über das Ego hinaus denken, wo Licht, Liebe. sie uneigennützig handeln, wo sie vergeben, wo das •• Die Geschichte meiner Gottesbeziehung kleine Wort »Du« ihr Herz bewegt – da sind sie bei Gott ist kein künstlicher Kanal,sondern ein leben­ und in Gott. diger Fluss. Oder: Welche anderen Bilder stellen sich bei mir ein? impuls •• Ich suche Orte auf,die mir von Gott erzählen. •• Ich denke an Menschen, deren Leben für Jeder Mensch geht einen eigenen Weg mit Gott. Man­ mich Gott bezeugt. che erfahren Gottes Nähe schon früh und intuitiv, in •• Im Gebet bitte ich Gott, mir seine Version der Natur, im Spiel, im Staunen. Andere »erlernen« Gott der Geschichte mit mir zu erzählen. durch ihre Eltern, Großeltern, Pfarrer, Lehrerinnen oder Freunde. Meine Beziehung zu Gott wandelt sich im 18 Laufe der Zeit, ebenso verändert sich mein Bild von Gott. Eine andere Erfahrung ist Gottes Abwesenheit und sein Nicht-Eingreifen, was häufig Glaubens­krisen auslöst und tiefe Zweifel weckt. Menschen erleben aber auch die ganz persönliche Berufung und die mystische Einheit mit Gott: •• V ielleicht ist Gott mein Freund und Ratgeber oder mein intimster Gesprächspartner? •• V ielleicht ist er ein Richter, vor dem ich mich fürchte. Oder Gott ist für mich die Liebe? •• Vielleicht ist Gott für mich mehr als Person, mehr als Mann oder Frau, mehr als Schöpfer? •• Welchen Weg bin ich mit Gott gegangen? Welchen Weg ging Gott mit mir?

geistlicher wegbegleiter – sommer 2017 – august im glauben reifengespräch mit der bibel fünf anregungen für den alltag»Kommt zu ihm, dem lebendigen Stein, der von den •• Woran denke ich, wenn ich das Wort Kirche höre?Menschen verworfen, aber von Gott auserwählt und Welche Gefühle kommen mir?geehrt worden ist. Lasst euch als lebendige Steine zueinem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen •• Kenne ich Menschen, die für mich glaubwürdigPriesters­ chaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer Kirche verkörpern?darzubringen, die Gott gefallen.« (1 Petr 2,4f.) •• Ich meditiere die biblischen Bilder von der Kirche:»Er (Christus) ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist Schiff auf dem Meer – Gottesvolk auf dem Weg –die Kirche. Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Zelt – Fels – Gebäude mit dem Eckstein Christus –Toten; so hat er in allem den Vorrang.« (Kol 1,18) Leib Christi.Der Eckstein hat neben der gestalterischen auch eine •• Wenn ich mich als »lebendigen Stein« im Bauwerkstabilisierende Funktion: Er gibt Halt in verschiedene Kirche verstehe, wo sehe ich meinen Platz?Richtungen. Die Steine sind in der Vorstellung der Bibelnicht materiell und tot, sondern lebendig und beweg­ •• Wenn ich mich als wachsendes, aber auch ver­lich. Dies gibt dem »Gebäude Kirche« eine besondere letzbares Glied im Organismus Kirche verstehe,Dynamik. Und doch ist es gut,dass im Neuen Testament was empfinde ich dabei?das Bild vom Organismus jenes vom Bauwerk »über­holt«. Kirche ist mehr als Architektur, sie ist Beziehung.Weil Christus das Haupt des Leibes Kirche ist, muss dieentscheidende Frage der Kirche immer die Frage nachJesus sein.impuls meditationMeine Beziehung zur Kirche ist so vielgestaltig wie die FELS auf dünnem EisKirche selbst. Es gibt die Gemeinde, in der ich aufwuchs. getragen von HoffnungEs gibt die Gemeinde(n), wo ich Gottesdienst feiere. Es gibt von Sehnsuchtdie sozialen und politischen Kircheninitiativen. Es gibt die von Not.Institution,mit Bischöfen und Papst,Dogmen und Kirchen­recht. Es gibt Kirchenräume, in denen das Heilige spürbar Eingeritzt in die Felswändeist. Es gibt die Weltkirche. verwittert und trotzig das ewige WortKirche ist ein weites Feld: das alte Versprechen:•• V ielleicht ist die Kirche für mich das einzig Sichere in Wir werden einer unberechenbaren Welt, ein Ort der verlässlichen übers Wasser gehen. Menschen und stabilen Strukturen?•• Vielleicht komme ich mit den vielen Reformen, mit den Hand Großpfarreien und mit dem schmerzhaften Schrumpfen in Hand. der Gemeinden nicht zurecht?•• V ielleicht gehen mir die Veränderungen aber auch viel Meine Geschichte zu langsam voran und ich kritisiere das starre Festhalten mit der Kirche an Dogmen und »unmodernen« Lebensvorschriften?•• V ielleicht wurde ich durch die Kirche verletzt und sie ist 19 mir fremd geworden?•• Vielleicht sind Kirchenräume meine spirituellen Rück­ zugsorte?Welchen Weg bin ich mit der Kirche gegangen?

geistlicher wegbegleiter – sommer 2017 – september im glauben reifen meditation Meine Geschichte mit dem Glauben Ich vertraue auf eine Liebe die jeden Menschen sucht ich vertraue auf eine Kraft die jedes Herz umwirbt ich vertraue auf dich Menschensohn und auf die Gemeinschaft der deinen auf die Heilung die uns zugesprochen ist im JETZT das niemals aufhört impuls gespräch mit der bibel © günter harmeling Begonnen hat meine Glaubensgeschichte – so »Amen, das sage ich euch:Wenn euer Glaube auch nur so groß ist sagt es jedenfalls die Bibel – vor meiner Zeit. wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von Sie sagt, dass mein Glaube tiefer geht als mein hier nach dort! und er wird wegrücken.Nichts wird euch unmöglich Bewusstsein.Sie sagt,dass Glaube eine Partner­ sein.« (Mt 17,20) schaft ist, in der ich »seit Ewigkeit geliebt« bin. Wenn das stimmt, dann ist meine Glaubens­ Eines der bekanntesten Gleichnisse der Bibel: Der Glaube als Senf­ geschichte zuerst »Seine« Geschichte. Glaube korn. So klein, dass es unter den Fingernägeln verschwindet. Und ist Gnade, Geschenk, gratis. Wenn »Credo« doch wohnt in ihm eine große Kraft.Ist es nicht oft unsere Not,dass bedeutet, das Herz zu verschenken (cor dare), wir nicht an die Kraft des Glaubens glauben? Dass wir selbst unse­ dann ist mein Ja-Wort Antwort auf das schon ren Glauben kleinreden? Dabei ist er gerade dasWunder.Die kleins­ immer gegebene Ja-Wort Gottes: ten Schritte im Glauben – ein Senfkorn Vertrauen, ein kleiner Spalt Wagnis, ein Schimmer an Hoffnung – verändern die Welt. •• M eine Glaubensgeschichte ist kein massiver Block, sondern eine Geschichte, da ist etwas fünf anregungen für den alltag »geschichtet«. •• W as glaube ich? – Wem glaube ich? Ich mache mir bewusst, •• D a lagern verschiedene Schichten überein­ dass die Frage nach dem »Du« die entscheidende Glaubens­ ander. Es gibt Sedimente aus guten und frage ist. harmonischen Zeiten. Und es gibt poröse Schichten, die aus Zeiten stammen, da alles •• Ich meditiere meinen Glauben angesichts eines blühenden zusammenzubrechen drohte. Baumes, eines Kindergesichtes, eines Kunstwerks, eines Grab­ steins, eines Christusbildes. •• In jedem Fall ist diese Geschichte lebendig. Mein Glaube ist ein Beziehungsgeschehen. •• Ich zeichne meine Glaubensgeschichte in der Form eines Flusses nach. An welche markanten Stellen erinnere ich mich? •• D eswegen stehen wohl die Glaubensinhalte nicht an erster Stelle. Glaube ist zuerst eine •• W as wäre in meinem Handeln und in meinen Begegnungen Beziehung – ein wortloses Band von Herz anders, wenn ich nicht glaubte? Warum? zu Herz. •• Ich meditiere das »Du-Gebet«,das Franz von Assisi geschrieben hat (Gotteslob Nr. 7,2) und formuliere selbst ein Du-Gebet.20

kleines theologisches wörterbuch Religiöser Fundamentalismus ist brand­gefährlich. Sein Wie also erlebt sich der Glaubende in der Geschichte? Gottesbild bestimmt auch die Sicht von Geschichte: Mir selbst scheint wichtig: So ein Gott greift unmittelbar ein, schafft Sieger und Christsein geht nur in Geschichte, nicht neben Verlierer, macht die einen stark und lässt andere untergehen. ihr. Gott hat sich geschichtlich offenbart. Er ist in »Im Namen Gottes« geschehen in der Geschichte unvorstell­ Jesus in die Geschichte eingetreten. Jesus sendet bare Grausamkeiten. in die Geschichte. Das Reich Gottes beginnt schon in der Geschichte, Sollte man Gott nicht besser ganz aus der Geschichte heraus­ aber es ist nie mit einer konkreten geschichtlichen halten? Nun können gerade wir Christen das nicht: Die Hei­ Situation zu identifizieren. »Die Geschichte ist lige Schrift erzählt durchgehend von Menschen, die in ihrer nicht das Letzte, um was es geht. Aber es geht um Geschichte auch eine Geschichte zwischen Gott und sich das Letzte nur in der Geschichte« erfahren. Gott ist nicht über oder hinter der Geschichte. Die (Alfred Delp SJ). Geschichte ist Raum Gottes. In Jesus wird er selbst ein Stück Geschichte ist auf weite Strecken grausam und Geschichte. Im Glauben an die Wiederkunft Christi steckt unverständlich. Aber es gibt in der Geschichte die Überzeugung, dass die Geschichte auf ihn zuläuft und auch die Erfahrung von Versöhnung, Solidarität, in ihm ein gutes Ende findet. Einsatz für Gerechtigkeit. Dabei können wir etwas vom Reich Gottes ahnen. Diese Konzeption von »Heilsgeschichte« will Grundf­ragen Wir können Geschichte nicht »machen«, haben beantworten, die sich auch in völlig säkularer Form stellen: aber Verantwortung in ihr. Geschichte ist Kann man Geschichte verstehen? Gibt es einen Sinn in der Ge­ immer offen, appelliert an unsere Freiheit, for­ schichte? Hat Geschichte ein Ziel? Konkret: Verläuft Geschichte dert Entscheidungen. Politik und Weltgestal­ in einer aufsteigenden Linie, so dass, durch alle Katast­rophen tung gehören untrennbar zur christlichen hindurch, letztlich alles immer besser wird? Davon haben die Berufung. Marxisten geträumt oder die Fortschrittsuto­pisten der Siebziger­ Als Gott in Jesus Mensch wird, schreibt er keine jahre. Oder steuert alles auf die große Katastrophe zu? Dafür Siegerg­ eschichte. Sein Leben ist die Geschichte gibt es realistische Szenarien. Oder wabert die Geschichte im eines Verlierers. Christen haben daher einen Kreis vor sich hin? Nach Karl Popper hat die Geschichte keinen besonderen Blick für die Opfer der Geschichte. Sinn, aber der Mensch kann ihr einen Sinn verleihen. Friedrich Der Glaube selbst ist geschichtlich. Er hat sich Nietzsche hat der Kirche im Lauf der Geschichte immer weiter entf­ altet vorgeworfen, die Ge­ und kulturell wie sprachlich wechselnde Aus­ schichte Israels wie die drucks­formen angenommen. Auch mein Lebens­ weg ist eine lebendige Geschichte mit Gott. n GeschichteMenschheitsgeschichte zur Vorgeschichte des Christentums gefälscht Menschheitsgeschichte; cornelius bohl ofm (55) zu haben. Gottes Geschichte mit den Menschen ist Provinzialminister der Deutschen Franziskanerprovinz© okalinichenko – fotolia.com theologischer impuls 21

VivereLeben in franziskanischer InspirationFranz von Assisi und die franziskanische Spiritualität haben für viele Menschen etwasBegeisterndes. Seit Anbeginn der Bruderschaft des heiligen Franziskus machten sich daherimmer wieder Männer und Frauen auf den franziskanischen Weg der Nachfolge Christi.Die, die dies nicht in einer klösterlichen Gemeinschaft tun wollten, aber gleichw­ ohl denAnschluss an eine Gruppe suchten, traten sogenannten »Laienbewegungen« bei.Auch heute existieren eine Vielzahl solcher Weggemeinschaften, oftmals fühlen siesich einer Ordensniederlassung besonders verbunden.Hiltrud Bibo aus Kiedrich im Rheingau teilt die Begeisterung Die Gelegenheit bot sich, als die Franziskaner Hermannvieler Menschen für den heiligen Franziskus und hat das An­ Schalück, Helmut Schlegel, Johannes Küppers und Martinsteckende der franziskanischen Spiritualität in vielen Begeg­ Lütticke vor zwei Jahren mit der Idee einer neuen franziska­nungen mit Franziskanern immer wieder erfahren. Spätestens nischen Bewegung an die Öffentlichkeit traten. »Wir fanden,ihre Teilnahme an Studienreisen der Missionszentrale der es war an der Zeit, endlich das Verhältnis von Laien und Ordens­Franziskaner nach Indien und Assisi und das intensive Erleben leuten neu auszurichten. Es braucht einen Aufbruch aus derdes gemeinsamen Unterwegsseins mit einer Gruppe gleich­ Abgeschlossenheit des Ordenslebens«, so meint Hermanngesinnter Männer und Frauen ließen in ihr einen Wunsch Schalück, der ehemalige Generalminister der Franziskaner.reifen: »Das Franziskanische« soll nicht nur in punktuellen »Vivere«, so nennt sich der neue Impuls für ein franziskani­Begegnungen aufscheinen oder bei gemeinsamen Reisen sches Miteinander. Es ist ein Angebot an Menschen wie Hiltrudspürbar sein, sondern in den Alltag ausstrahlen … Bibo, die auf der Suche nach einer Verortung im »Franziska­ nischen« sind. »Was das Franziskanische genau Im Juni 2015 lud die Deutsche Franziskanerprovinz erstmals ist? Das ist schwer zu fassen!«, zu zwei Begegnungstreffen unter dem Titel »Vivere« ein. Seit­ lacht die sympathische 56-jäh­ dem gab es eine Reihe an bundesweiten und regionalen Ver­ rige Chemieingenieurin. »Ei­ anstaltungen. Ziemlich bald nach dem ersten Treffen im Haus gentlich bin ich beruflich und Ohrbeck fand sich eine erste Regionalgruppe im Rheinland, durch ehrenamtliches Engage­ und auf dem Hülfensberg trifft sich im dortigen Kloster regel­ ment voll ausgelastet, und ich mäßig eine Regionalgruppe, die von Johannes Küppers unter­ will auch noch Zeit für meine stützt wird. Weitere Gruppen existieren mittlerweile in Ohr­ Enkel­tochter haben, aber da gibt beck und in Fulda. es etwas, dem ich auf den Grund Hiltrud Bibo ist seit den ersten Treffen der Vivere-Bewegung gehen möchte! Für Einzelne ist dabei. Mit Ulrich Rau von der Regionalgruppe Rheinland und es meist schwierig, im Alltag Pater Hermann hatte sie das Konzept für ein Vivere-Wochen­ Veränderungen anzustoßen. ende im Franziskanerkloster Großkrotzenburg entwickelt, Daher bin ich auf der Suche nach das Ende April mit 16 Teilnehmerinnen und Teilnehmern einer Gruppe von gleichgesinn­ stattfand. Im Nachgang traf sich bereits eine mögliche Regional­ ten Menschen, mit denen ich gruppe Rhein-Main. Ob Hiltrud Bibo dort die erhoffte franzis­ mich austauschen kann, die kanische Weggemeinschaft findet und ob es in der Vivere- mich bestärken oder die mir Bewe­gung eventuell sogar zu gemeinschaftlichen Lebens­ auch mal kritisch den Spiegel projekten kommt, bleibt abzuwarten. vorhalten. Ich hoffe, so eineWeg­ gemeinschaft zu finden. « Hiltrud Bibo beim Vivere-Wochenende in Großkrotzenburg22 franziskanisch leben

Im vergangenen Jahr wurde beim überregionalen Jahrestreffen von Vivere Vivere-Wochenende in Großkrotzenburgdas Leitbild der neuen Bewegung und deren Strukturen diskutiert. »Das mit Hermann Schalück OFMwar schwierig, ja geradezu konfliktträchtig«, erinnert sich Pater Hermann.Aber gemeinsam einen guten Weg zu finden, Konflikte zu bewältigen, isteine wichtige Erfahrung. In diesem Jahr wird vom 30. Juni bis zum 2. Juliim Franziskanerkloster in Rheda-Wiedenbrück der Schwerpunkt des Bundes­treffens auf der Vertiefung der franziskanischen Spiritualität, dem Wahr­nehmen der Schöpfung und dem Zusammenwachsen der Gemeinschaftliegen.In der franziskanischenWelt gab es immer wieder Aufbrüche. Manches zartePflänzchen machte in seiner Wachstumsphase eine Reihe an Anpassungendurch. Nicht alle blühten und trugen Früchte. Die älteste heute noch existie­rende Laienbewegung in der katholischen Kirche ist der Ordo FranciscanusSaecularis (OFS), früher Franziskanische Gemeinschaft genannt. Seine An­fänge reichen bis ins 13. Jahrhundert zurück. Heute gehören weltweit meh­rere hunderttausend Christen beiderlei Geschlechts, aller Altersstufen undBerufe sowie in den verschiedensten Lebensverhältnissen zum OFS, da­runter auch Priester und Bischöfe. Auch der OFS ist in Regionalgruppenorganisiert. Hätte Hiltrud Bibo nicht auch im OFS eine franziskanische Heimatfinden können? »Vielleicht, aber mich hatte die Idee gepackt etwas Neueszu entwickeln und dabei über die Grenzen des ›katholischen Milieus‹ hinaus­zugehen«, meint die Rheingauerin. »Vivere ist sehr offen und weltzugewandt,das zeigt auch unser Leitbild, bei uns muss man – strenggenommen – nichtmal Christ sein. Aber wir sehen uns nicht als Konkurrenz, wir hoffen aufeinen guten, partnerschaftlichen Kontakt mit der gesamten franziskanischenFamilie.«Vivere, die junge franziskanische Bewegung, versteht sich als Bereicherung,als Teil eines franziskanischen Netzwerks. Bei den Treffen von Vivere sindfolglich auch immer wieder Mitglieder anderer franziskanischer Weg­gemeinschaften oder des OFS dabei. Inwieweit sich auch Brüder und Schwes­tern verstärkt in diese Aufbruchbewegung einbringen, wird sich zeigen.Damit es wirklich zu einem neuen Miteinander, zu einer Neubestimmungdes Verhältnisses von Laien und Ordensleuten kommt, wäre dies sichernötig. n kerstin meinhardtInformationen zu franziskanischen Weggemeinschaften, Taukreisen, Vivere, demOFS und anderen Gruppen 3 3 franziskaner.net/mitmachen/franziskanisch-leben»Vivere« bedeutet Leben (aus dem Leitbild von Vivere 3 3 www.vivere-leben.de)Leben als Geschenk und Aufgabe war die Vision von Franziskus und Klara von Assisi.Unter Vivere verstehen wir die Bewegung, in der wir gemeinsam nach einem Weg suchen, das Evangelium in franzis­kanischer Spiritualität zu leben – zunächst in unserem jeweiligen persönl­ichen Alltag, aber auch mit der Perspektive,Gemeinschaftsleben zu wagen. Unser Glaube ist unsere gemeinsame Kraftquelle.Wir wollen in geschwisterlichem Einklang mit und in Verantwortung für die Schöpfung leben. Wir suchen den Dialog mitallen Menschen und allen Religionen. Wir setzen uns mit den drängenden Fragen des Glaubens und der Religionen, derGesellschaft und einer globalisierten Welt auseinander. Wir wenden uns den Armen und Ausgegrenzten liebevoll zu,teilen mit ihnen und setzen uns aktiv für Frieden und Gerechtigkeit auf dieser Welt ein.Vivere heißt alle Menschen – gleich welcher Herkunft, Religion, Weltanschauung oder Prägung – willkommen, die sich mituns auf diesen Weg machen wollen. Wir treffen uns sowohl in Regionalgruppen als auch zu überregionalen Veranstal­tungen. Auch zwischen den Treffen halten wir Kontakt untereinander (zum Beispiel in einem Internetforum) und bleibenin Gedanken und im Gebet miteinander verbunden. franziskanisch leben 23

Franziskanische FamilieFranziskaner zwischen Einheit und VielfaltMenschen, die ein Tau-Kreuz um den Hals tragen, kann man unschwer als »Ich habe das Meine getan, was euer ist, mögefranziskanisch inspiriert erkennen. Das gilt auch für die Kuttenträger mit der euch Christus lehren!« Mit diesen Worten ent­weißen Kordel. Aber nur der »Eingeweihte« wird auch gleich an Farbe und ließ der sterbende Franziskus seine Brüder inForm des Ordenskleides erkennen, ob es sich dabei um Franziskaner, Konven­ eine selbstverantwortete offene Zukunft. Zwartualen (bzw. »Minoriten«) oder Kapuziner handelt. So lauten die eher volks­ wusste sich die junge Gemeinschaft an die ge­tümlichen Bezeichnungen der drei Männerorden, die aus der Gemeinschaft meinsame Regel und das inspirierende Beispielder Minderbrüder um Franziskus von Assisi hervorgegangen und heute in des Gründers gebunden; die konkrete zukünf­Deutschland mit je einer Ordensprovinz vertreten sind. Ein Blick in die Ge­ tige Gestalt jedoch galt es immer wieder neuschichte zeigt, dass das Erscheinungsbild des Minderbrüderordens in der zu finden im Hinhören auf das Gotteswort undVergangenheit noch viel unübersichtlicher war. Aber wie kam es überhaupt auf die religiösen und sozialen Anliegen derzu dieser Vielfalt? Macht sie heute noch Sinn? jeweiligen Zeit. Der Bewegung standen unend­ lich viele Gestaltungsformen offen, was freilich, historisch gesehen, zu einer Profilunschärfe führte. Wofür stehen die Franziskaner eigent­ lich? Das ließ und lässt sich leichter bei den reinen Priesterorden sagen oder auch bei den­ jenigen neuzeitlichen Gründungen, die man »funktionale Orden« nennen könnte, da sie ein bestimmtes Aufgabengebiet als Gründungs­ zweck und Identitätsmerkmal aufweisen. 1517: die erste spaltung Vielen Spaltungen und Neugründungen inner­ halb des franziskanischen Männerordens lagen denn auch keine konkreten sozial-pastoralen Orientierungen zugrunde, sondern die Intuition, etwa den Armutsgedanken oder die kontem­ plative (zurückgezogene) Lebensweise der Anfangszeit wieder neu zu beleben. Die Reform­ gruppen nutzten dazu die verfügbaren Charis­ men in den eigenen Reihen und machten sich die hilfreiche Unterstützung durch kirchliche und weltlicheWürdenträger dienstbar. Guada­ lupenser, Amadeiten und Clarener benannten sich nach ihrem Ideengeber, die Colettaner gar nach Colette von Corbie (1381–1447), der französischen Klarissenreformerin. Nominell blieben alle Gruppierungen der Minderbrüder unter dem Dach des einen Franziskanerordens geeint, bis Papst Leo X. im Jahr 1517 alle reform­ willigen Brüder im sogenannten Orden der Minderbrüder von der regulären Observanz (kurz »Observanten« – als Ausdruck der strik­ ten Befolgung der Armutsforderungen der24 franziskanische familie

Die franziskanische Familie wird häufig als Baum mit Erster Ordenzahlreichen Ästen und unzähligen alten und neuenTrieben beschrieben. Selbst Eingeweihte überblicken denBaum in seiner Gesamtheit nicht immer. Aus Anlass derersten »Verzweigung« eines der Hauptstämme desfranziskanischen Baumes vor 500 Jahren – 1517 spaltetesich der franziskanische Männerorden – starten wir miteinem Beitrag über den sogenannten Ersten Orden eineReihe zur Geschichte der franziskanischen Familie.­Ordensr­ egel) zusammenfasste. Daneben be­ wiedervereinigung und/oderstand der nun separate Orden der Franziskaner-­ franziskanische ökumene?Konventualen, die sich mehr auf ein Gemein­schaftsleben in Großkonventen verlegt hatten Nach den Einbrüchen des 19. Jahrhunderts – die meisten Orden hatten nichtund aufgrund päpstlicher Privilegien Eigentum nur numerisch unter den diversen Säkularisierungswellen gelitten – wurdeerwerben durften. der Observantenorden neu aufgestellt. Papst Leo XIII. sah in einem geeinten Orden größere Chancen für eine tiefgreifende Erneuerung. So vereinigte erein franziskanischer 1897 alle der Observanz zugehörigen Zweige zum Minderbrüderorden, derenflickenteppich Mitglieder sich heute – in Abhebung von den Konventualen und Kapuzinern – weithin einfach Franziskaner nennen. Heutzutage mag es so aussehen, als seiDoch diese Zäsur war nicht mehr als eine his­ die Maßnahme Leos XIII. halbherzig gewesen, da sich die Frage weiterhintorische Momentaufnahme, da die nächsten stellt: Ist es nicht an der Zeit, dass sich alle historischen männlichen franzis­Reformer sozusagen bereits in den Startlöchern kanischen Erstordenszweige zusammenschließen, um ein für alle Mal einenknieten. Die Kapuziner, welche sich zunächst Schlussstrich unter die oft hässlichen und banalen Rivalitäten der Vergangen­»Minderbrüder vom eremitischen Leben« heit zu ziehen? Was Franziskaner, Konventualen und Kapuziner heute von­nannten, breiteten sich seit 1574 von Italien einander trennt, ist in der Tat relativ unerheblich und drückt sich vor allemherkommend über die Alpen aus und erlang­ durch unterschiedliche gruppenspezifische Verhaltensformen und Gebräucheten 1619 die völlige Eigenständigkeit als nun­ aus. Diese Orden auf weltweiter Ebene zusammenzuführen, käme jedochmehr dritter Minderbrüderorden. Ihr ursprüng­ einem administrativen Herkulesakt gleich, der die Kräfte der Brüder für min­lich zurückgezogenes Leben wich jedoch bald destens ein oder zwei Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde. Dabei rückeneiner umfangreichen Predigttätigkeit. In Italien, die franzis­kanischen Männerorden bereits heute mehr zusammen. Gemeinsa­Spanien und Frankreich bildeten sich etwa zeit­ me Projekte mit den je anderen Ordenszweigen, aber auch mit Franziskaner­gleich die Reformgruppen der Reformaten, innen und Klarissen führen zu einer gelebten »franziskanischen Ökumene«,Alkantariner und Rekollekten innerhalb des die überraschende Synergien schafft; wie beispielsweise bei dem in der welt­Observantenordens aus. Auch hierzulande weiten franzisk­ anischen Familie angewandten Lern- und Reflexionsprogrammspiegelten sich diese Prozesse. Nach den Ein­ zum franziskanisch-missionarischen Charisma. Zudem werden die jungen Ordens­schnitten von Reformation und Dreißigjähri­ mitglieder dazu angeleitet, über den nationalen Tellerrand zu schauen undgem Krieg wiedererstarkt, nahm sich die franzis­ sich auf die internationale Vernetzung der franziskanischen Bewegung einzu­kanische Präsenz in den (ungefähren) Grenzen lassen. Moment­an schicken die deutschen Franziskaner ihre Novizen nachdes heutigen Deutschlands wie ein Flicken­ Killarney/Irland, die Kapuziner nach Salzburg und die Konventualen nach Assisi.teppich aus. Die Konventualen waren mit zwei,die Kapuziner mit vier Provinzen vertreten. Im späten 17. Jahrhundert erklärte der niederländische Minderbruder MathiasAufseiten der Observanten nahmen vier Pro­ Croonenborch das Fehlen eines einheitlichen franziskanischen Exerzitienent­vinzen die Rekollektenreform an. Die bayeri­ wurfes mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Vorlieben in Sachen geistlichesche sowie die nach Südwestdeutschland hin­ Übungen, genauso wie die einen ja den spanischen, andere den Rheinwein be­ein­ragende vorderösterreichische Provinz da­ vorzugen würden. Eine strikt reglementierte Uniformität wargegen schlossen sich auf Druck der Landesher­ nochniedieStärkeder franziskanischen Bewegung. Vielleichtren den Reformaten an und unterhielten enge braucht es diese auch gar nicht, solange der »franzisk­ anischeBeziehungen nach Italien. Im Grunde genommen Wein« – in allen seinen farblichen und geschmacklichenversuchten Rekollekten wie Reformaten, dem Nuancen – nach der Freiheit des Evangeliums und der Le­franziskanischen Armuts- und Bußgedanken bensfreude des »kleinen Armen aus Assisi« schmeckt. neine neue Gestalt zu geben, wobei sich die Re­kollekten – wie im Namen (»die Gesammelten«) benedikt mertens ofm (54)angedeutet – auch als Spezialisten des inneren Der Theologe ist Schriftleiter der wissenschaftlichen Zeit-Gebetes profilierten. schrift »Archivum Franciscanum Historicum« und lebt im Franziskanerk­ onvent San Isidoro in Rom franziskanische familie 25

Kapuziner – Franziskaner – Minoriten Der jeweilige Stallgeruch und die leeren StälleWorin bestehen sie denn eigentlich: die befindet sich jeweils ein junger Mann in der ersten Orientierungsphase,Unterschiede zwischen den drei franzis­ dem Postulat; jeweils vier jüngere Franziskaner und Kapuziner befindenkanischen Männerorden? Einige Antwor­ sich derzeit im sogenannten Juniorat, das heißt, sie haben sich zeitlich,ten lassen sich sicher in der Geschichte aber noch nicht auf Dauer an den Orden gebunden. Das Durchschnittsalterfinden. Aber worin bestehen die Unter­ beträgt bei den Franziskanern 74, bei den Kapuzinern gut 66 und bei denschiede 500 Jahre nach der ersten Teilung Minoriten knapp 65 Jahre.des Ordens heute noch? Und wie sieht dieSituation im Jahr 2017 in Deutschland aus? die minderbrüder der deutschen provinzen © bild oben: kapuzinerprovinz österreich-südtirol/sarah schuller-kanzianUm dieser Realität auf die Spur zu kommen,habe ich ein wenig Recherche betrieben davon 8 Brüder davon 16 Brüderund die drei Provinzialminister Cornelius im Ausland im AuslandBohl OFM (Franziskaner), Bernhardin M.Seither OFMConv (Minorit) und Marinus 122 288Parzinger OFMCap (Kapuziner) um Infor­ Kapuziner Franziskanerma­tionen und Stellungnahmen gebeten. 44die zahlen sind durchaus Minoritenernüchternd davon 3 BrüderIn den jeweiligen Deutschen Ordensprovinzen im Auslandleben derzeit 288 Franziskaner in 35 Konventensowie vier zugeordneten Filialen, 44 Minoritenin 5 Konventen und 122 Kapuziner in 12 Kon­venten. Novizen gibt es aktuell in keiner der dreiOrdensprovinzen, bei Minoriten und Kapuzinern26 franziskanische familie

und jenseits der zahlen? Können wir uns angesichts der drastisch sinkenden Zahlen in allen drei Ordenszweigen einer nochLiest man die Antworten der Provinzialminister, scheint es von gezielteren verbindlichen Zusammenarbeit ver­der Lebensweise her keine definierbaren Unterschiede zu schließen?geben. Auf die Frage nach den jeweiligen Schwerpunktaufgabensind die Antworten ebenfalls kaum zu unterscheiden. Alle Alle drei Ordenszweige machen sich Gedanken überdrei Ordenszweige sind tätig in Bildungsarbeit, Wallfahrts-, ihre Grundausbildung in Postulat, Noviziat undExerzitien- und Pfarrseelsorge; alle drei haben soziale Projekte Juniorat. Die Franziskaner planen ein europäischesund betreiben Beichtpastoral, Gottesdienstaushilfen und Noviziat in Irland. Die nordwesteuropäische Kapu­Schwestern­seelsorge. Die drei unterscheiden sich durch das zinerkonferenz hat ähnliche Über­legungen für eineine oder andere Projekt wie Citypastoral oder Gemeinschaften, Noviziat in Irland. Treffen sich dann in Zukunftdie mit Laien und Menschen mit Behinderung zusammen­ deutsche Franziskaner- und deutsche Kapuziner­leben. Aber wirklich markante Unterschiede sind kaum aus­ novizen in zwei getrennten Noviziaten in Irland?zumachen.Alle drei Provinzialminister sprechen von der Schwierigkeit, Die Diözesankirchen erweitern allerorts ihre pasto­»lebensfähige Konvente« zu besetzen, und alle mühen sich, ralen geografischen Räume und schaffen Megapfar­für die hohe Anzahl der älteren und pflegebedürftigen Brü­ reien und Megastrukturen. Wollen auch die dreider adäquate Aufgaben und Orte zu finden, an denen diese Zweige des Ersten Ordens einfach nur ihre geografi­Brüder leben oder betreut werden können. Alle drei haben schen Grenzen ausweiten? Sprich: In Zukunft gibt esein mulmiges Gefühl mit Blick auf den fehlenden Nach­ eine Europ­ äische Franziskanerprovinz, eine Europä­wuchs. Der strukturelle Umbau der Provinz – zum Beispiel ische Mino­ritenprovinz und eine Europäischedie Auflösung von Häusern – sowie die finanzielle Vorsorge Kapuzinerp­ rovinz? Ist das wirklich zukunftsfähig?für die kommenden Jahrzehnte beschäftigen die Provinz­leitungen aller drei Ordenszweige in gleicher Weise. Erfreu­ Natürlich wäre das Zusammengehen der drei Ordens­lich ist, dass alle drei dennoch den Mut haben, nach vorne zweige – systemisch und juristisch gesehen – einzu schauen und Neues zu wagen. Aber wie lange wird die »Gewaltakt«. Aber haben Kirche und Orden nichtKraft dazu noch reichen? Und: Worin unterscheiden sie sich schon ganz andere »Gewalt­akte« hinbekommen?denn nun wirklich – die drei Zweige des Ersten Ordens desheiligen Franzisk­ us in Deutschland? Bei dieser Frage ver­ Was spricht eigentlich gegen folgendes Zahlenspiel:weisen die drei Ordensleiter (unisono!) auf den jeweiligen 1517 Trennung des Ordens in Konventualen und»Stallgeruch«. Worin dieser aber besteht, vermag keiner sogenau zu formulieren. ObservantenUnd wie sehen die Provinzialminister die Zukunft des Ersten 1527 KapuzinerreformOrdens in Deutschland? In einem sind sich alle drei einig: 1897 Leoninische UnionAuf alle Fälle braucht es eine stärkere Zusammenarbeit zwi­ 2017 G edenken an die erste Trennung des Ordensschen den verschiedenen Zweigen. Anknüpfungspunkt könn­ 2027 Wiedervereinigung des Ersten Ordensten eine gemeinsame Grundausbildung in Postulat, Noviziat Manchmal entwickeln sich die Dinge deutlich schnellerund Juniorat sein, auch wenn ungewiss ist, wie die obersten als gedacht. So schlossen die drei Generalminister beiOrdensleitungen in Rom dann dazu stehen werden. Und ob einem Treffen Ende Mai eine künftige Vereinigung nichtan eine Vereinigung der drei Ordenszweige zu denken sei, aus. Sie ermutigten vielmehr dazu, Initiative zu ergreifen,beantwortet einer der drei mit dem Satz: »Persönlich kann neue Formen der Gemeinschaft und der Brüderlichkeitich mir ein Zusammengehen der drei Ordenszweige gut vor­ zu »testen«. Vielleicht fangen wir einfach mal damit an,stellen, mit Blick auf die drei weltweiten Orden halte ich es uns alle wieder »Minderbrüder« zu nennen. Oder – soll­augenblicklich aber noch für sehr unrealistisch.« te dieser Begriff vielleicht doch zu sehr in der mittelalter­ lichen Ständeo­ rdnung verhaftet sein – wie wär’s, wennso weit, so gut, aber ... wir uns ab sofort alle nur noch »Franzis­kaner« nennen? Eine gemeinsame Zeitschrift unterAls Kapuziner kann ich mich – aus ordensinterner nüchterner diesem Titel hätten wir dann jaSicht – allen diesen Einschätzungen und Zukunftsoptionen schon. nanschließen. Auch die Rede vom »Stallgeruch« könnte ich mitkeinem anderen Wort ersetzen. Dennoch beschleichen mich christophorusein paar Fragen: goedereis ofmcap (52)Was nützt der Stallgeruch, wenn am Ende kein Rind ist Kirchenrektor in Frankfurt Liebfrauen und Stellvertreter des mehr im Stall steht (Hab 3,17)? Povinzials der Deutschen Kapuzinerprovinz franziskanische familie 27

Seine Vision: teilen ziskanerwer fran n»Wir wollten die Welt verändern – den fdoch die Welt hat uns verändert.« ranziskaner seiBruder Peter belädt seinen kleinen PKW mit einigen verändern – doch die Welt hatLaib Brot und süßen Stückchen, die er von einer uns verändert«, erinnert sichBäcke­reifiliale kurz vor Ladenschluss gespendet be­ Bruder Peter. Die Veränderungenkommt. Die Lebensmittel sind für den Nachtbus be­ waren auch im Orden massiv spürbar.stimmt, mit dem er in einer Stunde seine Tour durch Peter begann seinen Weg kritisch zu hinterfragen und ihm wurdedie Düsseldorfer Altstadt fahren wird, um obdachlo­ klar: »Franziskaner will ich sein, aber zu einer ›Karriere‹ als Priestersen Menschen das Nötigste für die Nacht anzubieten. fehlt mir die Berufung.«»Ich fühle mich hier am richtigen Platz. Es ist wahr­scheinlich die franziskanischste Zeit meines Lebens. Mit abgeschlossenem Theologiestudium, aber ohne den klassischenDen Menschen zu helfen, nah bei ihren Nöten zu Weg Richtung Priesteramt, kehrte Peter an den Rhein zurück. Er zogsein, genau das ist es, was ich immer wollte«, freut nach Essen in eine Franziskaner-Kommunität in einer Obdachlosen­sich Bruder Peter, der vor Kurzem seinen 70. Ge­ siedlung. Das Zimmer verrammelt, die Fensterscheibe eingeschmis­burtstag feiern durfte. sen, ein einfaches Bett auf dem Boden. Größer konnte der KontrastPeter Amendt stammt aus Bonn und ist durch sein zum monastisch geprägten Klosterleben in München nicht sein.katholisches Elternhaus schon als Kind in ein kirch­ Doch Peter war froh, denn er wollte als Franziskaner das Leben der Armen teilen. Sein Studium der Sozialwissenschaften, das er bereitslich geprägtes Milieu hineingewachsen. Er war Mess­ in München parallel begonnen hatte, konnte er in Bochum abschlie­diener und besuchte ein Ordensinternat der Redemp­ ßen und anschließend noch promovieren. Die Mischung von Theo­toristen. Von den Franziskanern erfuhr Peter zum ers­ logie und Soziologie faszinierte ihn, und so arbeitete er als wissen­ten Mal kurz vor dem Abitur, als er im heimischen schaftlicher Assistent an der Universität. Hätte seine OrdensleitungGarten saß und mit halbem Ohr ein Gespräch seinerMutter mit einer Bekannten verfolgte. Diese erzählte damals nicht sein Organisationstalent erkannt und ihn mit neuen Aufgaben betraut, so hätteüber den Gartenzaun hinweg – und mit viel Begeis­ er sich auch eine wissenschaftlicheterung – von ihrem Neffen, der bei den Franziska­ Laufbahn gut vorstellen können.nern eingetreten sei. »Das hat irgendwie ein Licht Aber nach einer kurzen Epi­in meinem Kopf entzündet. Keine feste Idee, sode als Präfekt im Orden­aber es hatte irgendwie den Geschmack von sinternat in VossenackFreiheit«, erinnert sich Peter an sein erstes »Be­ wurde Bruder Peterrufungserlebnis«. Sekre­tär der Interfran­Nach seinem Schulabschluss hat er sich ziskanischen Arbeits­dann tatsächlich bei den Franziskanern be­ gemeinschaft (INFAG)worben. Der Weg im Orden war damals klar und Sekretär der da­vorgezeichnet: Wer mit Abitur kam, ging maligen Kölner Fran­ ziskanerprovinz. Seinnach dem Noviziat in das sogenannte Kleri­ Interesse an sozialerkat, um Theologie zu studieren und Priester zu Gerechtigkeit und seinwerden. So kam Bruder Peter Mitte der 1960er Bedürfnis, den Men­Jahre zum Studium nach München. Es war dieZeit eines großen gesellschaftlichen Umbruchs,die Zeit von Arbeiter- und Studentenprotesten, dieZeit des Zweiten Vatikanums. »Wir wollten die Welt Bruder Peter Amendt28 berufungsgeschichten

franziskaner aktuell weitere informationen 33 www.franziskaner.netschen zu helfen, führten ihn einige Frischer Wind in der Redaktion Jahre später auch zur Missionszent­rale der Franziskaner (MZF) in Hofheim am Taunus • Drei neue Mitglieder werden die Redaktion dieser ZeitschriftBonn. Dort war er, neben seiner Auf­ verstärken (v. l.): Johannes Roth OFM (35) aus Ohrbeck, Andreas Brands OFM (50) ausgabe als Provinz­sekretär, 24 Jahre Berlin und Pascal Sommerstorfer OFM (42) aus Fulda. Wir freuen uns auf die Zu­lang als Projektkoordi­nator für sammen­arbeit mit den Brüdern.Hilfsprojekte in Lateinamerika und Wo Licht ist, ist auch Schatten:Wir verabschieden die langjährigen Redakteure MichaelAfrika tätig. Blasek OFM und Thomas Abrell OFM und danken den beiden Franziskanern für ihre Mit­ arbeit.Wir sind sehr froh, dass sie uns durch ihre Beiträge (»Bruder Thomas empfiehlt«Für Bruder Peter war es eine erfüllte und durch die Karikaturen von Michael Blasek) weiterhin verbunden bleiben.Zeit, doch es gab auch immer wie­der Projekte, die strukturell nicht in Franziskaner, Kapuziner und Minoriten auf dem Weg zurdie Förderung der MZF passten. Ordensvereinigung?»Dahinter standen oft Nöte vonMenschen, die mir sehr nahegin­ Hofheim am Taunus • Vom 12. bis 14. Juni 2017 trafen sich 70 Mitglieder der drei franzis­gen«, erinnert sich Peter Amendt. kanischen Männerorden (Franziskaner, Kapuziner und Minoriten) im Exerzitienhaus2005 schließlich setzte er seinen der Franziskaner in Hofheim bei Frankfurt. Anlass des Treffens war die vor 500 JahrenWunsch, diesen Menschen unbüro­ verfügte Teilung des »Ersten Ordens« und das Reformationsgedenken. Unter denkratisch, abseits des großen Missi­ Teilnehmern des dreitägigen Treffens waren die Provinzialminister der Leitungs­onshilfswerks der Franziskaner zu gremien der drei Männerorden, die zum sogenannten »Ersten Orden« des heiligenhelfen, in die Tat um. Er gründete Franziskus gehören.sein eigenes kleines Hilfswerk Das Treffen war das erste gemeinsame »Mattenkapitel« der Minderbrüder in Deutsch-»vision teilen« in Düsseldorf. Der land. Mattenkapitel sind Zusammenkünfte der Ordensmitglieder, die bereits von FranzOrden stellte ihn dafür frei. von Assisi eingeführt wurden. Sie dienen der gemeinsamen Beratung über die Zukunft der Gemeinschaften.Wenn Bruder Peter heute mit dem Die drei Provinzialminister von Deutschland, Cornelius Bohl OFM (Franziskaner),Nachtbus die Obdachlosen in Bernhardin M. Seither OFMConv (Minoriten) sowie Marinus Parzinger OFMCap (Kapu­Düsseld­ orf zu später Stunde be­ ziner) halten eine künftige Wiedervereinigung der Minderbrüder für möglich. Siesucht und dem einen mit einem haben gemeinsam mit den versammelten Brüdern konkrete Schritte für die kommen­Brot, einem anderen mit einer war­ den Jahre vereinbart, um die Zusammenarbeit zu intensivieren und das Zusammen-men Decke durch die Nacht hilft, wachsen zu fördern. Ein ausführlicher Bericht folgt in der nächsten Ausgabe.dann ist das nur eines von vielenseiner Hilfsprojekte für Menschen Papst Franziskus fordert: »Schluss mit dem Waffenhandel«am Rand der Gesellschaft. Dennseine Vision ist das Miteinander­ Rom • Mit unmissverständlichen Worten und eindringlichen Bildern klagt Papstteilen – hier in Düsseldorf und in Franzis­kus in seiner Videobotschaft im Juni dieses Jahres die Staaten an, die mit orga­der ganzen Welt. n nisiertem Waffenhandel dazu beitragen, Kriege zu unterstützen. Drastische Worte findet der Papst für die Regierungen und ihre nationalen Führer, die den Waffen­handel natanael ganter ofm (45) im großen Stil betreiben und ihr Tun heuchlerisch mit Friedensmotiven verkleiden. ist Öffentlichkeitsreferent der »Es ist ein absurder Widerspruch, wenn man vom Frieden spricht und Friedensver- Deutschen Franziskanerprovinz und handlungen führt, gleichzeitig aber den Waffenhandel fördert oder zulässt!« Papst Franziskus fordert die nationalen Führer auf, diesem Treiben endgültig ein Ende lebt in München zu setzen. Auch die Franziskaner in Deutschland engagieren sich gegen den Waffen- handel und fordern von der Bundesregierung, endlich die Rüstungsexporte aus Deutschland, vor allem außerhalb der NATO, zu beenden. Sie sind eine der Träger­ organisationen der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!« nachrichten 29

SüdsudanGefangen in der LogikZwei Wochen lang war Silja Engelbert, Mitarbeiterin der Gewalt in die Nachbarländer Uganda, Kenia und Äthiopien geflüchtetDon Bosco Mission, im Südsudan. Das ostafrikanische sind, wird auf 1,8 Millionen geschätzt. Nach Angaben von UNICEFLand leidet unter einem seit Jahren andauernden Bürger­ sind rund zwei Millionen Kinder aus ihrer Heimat vertrieben, etwakrieg und einer akuten Hungersnot. Im Don-Bosco-Zen­ die Hälfte davon innerhalb des Landes. Mitte Mai forderten die Ver­trum in der Hauptstadt Juba befindet sich eines von vielen einten Nationen 1,4 Milliarden Dollar Hilfsgelder bis Jahresende,Flüchtlingslagern des Landes. Nach ihrer Rückkehr war um die Flüchtlinge in den Nachbarländern versorgen zu können.die erfahrene Projektreferentin erschüttert: »Ich selber Wie in vielen Regionen Ostafrikas trifft die extreme Dürre auch diehabe noch nie so vieleWaffen in einem Land gesehen. Die Menschen im Südsudan sehr hart. Anfang Mai waren nach UN-An­Militärs sind meist angetrunken, die Soldaten zu einem gaben 100.000 Menschen im Südsudan unmittelbar vom Hungertodgroßen Teil Jugendliche unter 20 Jahren.« bedroht, rund sechs Millionen Südsudanesen werden in diesem JahrRückblick: Im Jahr 2011 wurde der Südsudan als 54. Staat auf Nothilfe angewiesen sein. Die Trockenheit ist dabei nicht einmalAfrikas unabhängig. Das Land verfügt über reiche Boden­ der ausschlaggebende Faktor:Während Zehntausende hungern, gebeschätze, vor allem über Erdöl und Gold. Anders als viele die Regierung mindestens die Hälfte ihrer Einnahmen für Waffenandere Länder des Kontinents besitzt der Südsudan zudem aus, kritisierte derWeltsicherheitsrat vor einigenWochen. Die Hungers­genügend fruchtbares Ackerland. Gerade darin liegt je­ not ist demnach vor allem auch das Resultat des Krieges und derdoch die Tragik der gegenwärtigen Situation: Das Land Waffenkäufe. Ein UN-Waffenembargo scheiterte zuletzt Ende 2016könnte die Kornkammer für die gesamte Region sein, am Veto Russlands.doch der jüngste Staat derWelt ist sechs Jahre nach seinemhoffnungsvollen Aufbruch auch einer der ärmsten. Eine wer verdient am sterben im südsudan?Dürre und vor allem der seit Ende 2013 wütende Bürger­krieg haben die Landwirtschaft weitgehend zum Erliegen In der südsudanesischen Hauptstadt Juba kämpft der Franziskanergebracht. Federico Gandolfi auf der lokalen Ebene gegen Ursachen und FolgenIm Krieg stehen sich die Regierung unter Salva Kiir vom des Bürgerkrieges an. Er und seine Mitbrüder bieten JugendlichenStamm der Dinka und Rebellen unter dem ehemaligen Workshops für Friedensbildung, Versöhnung und Traumabewältigung.Vizepräsidenten Riek Machar vom Stamm der Nuer un­versöhnlich gegenüber. Auf beiden Seiten kämpfen Vete­ Federico Gandolfi OFM besucht Freunderanen aus dem Unabhängigkeitskrieg; auch in der Regie­rung und den Ministerien haben vor allem ehemaligeWarlords das Sagen. Sie nutzen den Staat als Selbstbedie­nungsladen und bereichern sich ohne Rücksicht auf dieBevölkerung. Die Kämpfe toben längst nicht mehr nur imNorden, wo sich vor allem die Ölquellen befinden, sondernhaben weite Teile des Landes erfasst.die grösste flüchtlingskrise afrikasRund 100 Volksstämme leben im Südsudan, und es ge­lingt den Warlords zunehmend, sie gegeneinander aus­zuspielen. Inzwischen spielt sich hier die größte Flücht­lingskrise Afrikas ab: Die Zahl der Menschen, die vor der30 aktuelles

des Krieges libyen ägypten saudi- arabien tschad sudan jemen äthiopien zentral­ südsudan afrreikpaunbilsickhe somalia demokratische uganda kenia republik kongo tansania Mehr als 25 Millionen Menschen sind derzeit in Afrika vom Hungertod bedroht. Besonders betroffen sind der Nordosten Nigerias, Südsudan, Somalia, Äthiopien und Kenia. Allein im Südsudan leiden mehr als fünf Millionen Menschen an extremem Hunger. Besonders schlimm ist die Situation für Kinder, schwangere und stillende Frauen sowie für alte Menschen. »Das Öl ist vielleicht die einzige Einnahmequelle für den mit. Bruder Hans arbeitet seit 2014 im Südsudan und kennt das Land, Südsudan, aber das Öl ist nicht das Problem. Es ist die seine Menschen und die Probleme wie kaum ein anderer. »Es ist vor Frage, was die Regierung mit dem Geld macht«, betont allem der Export von Öl in die asiatische Welt, der die Waffenkäufe Bruder Federico. »Und wenn die Regierung Waffen kauft, und den Krieg ermöglicht«, so Bruder Hans. »Nicht zu unterschätzen dann muss es andere Regierungen geben, die Waffen ver­ ist in diesem Zusammenhang auch der Goldabbau im Südosten des kaufen. Wo liegt hier die Verantwortung?« Landes.«© bild oben: paul jeffrey Don-Bosco-Expertin Silja Engelbert sieht das ähnlich: die regierung hängt am öl-tropf »Auch andere Länder profitieren vom südsudanesischen Öl, sie unterstützen die eine oder andere Seite mitWaffen Der Preissturz auf dem Rohölmarkt und die Zerstörungen von Pump­ und sind daran interessiert, dass der Krieg weitergeht – so anlagen durch den Krieg haben die Regierung jedoch in finanzielle makaber das klingt. So können die Ressourcen des Landes Schwierigkeiten gebracht. Die Inflation stieg zwischenzeitlich auf leichter ausgebeutet werden«, sagt sie. Fachleute gehen 800 Prozent, Beamte und Soldaten konnten nicht mehr bezahlt wer­ davon aus, dass auch Waffenlieferungen mit Option auf den. »Weil die Einnahmen aus dem Ölexport nicht mehr so reichlich zukünftige Bezahlung von Staaten wie Israel, Ägypten, fließen, sucht die Regierung nach allen Möglichkeiten, Einnahmen der Ukraine und anderen den Krieg am Laufen halten. in US-Dollar zu erhalten«, sagt Hans Eigner. Dabei scheint den Macht­ Im Oktober 2016 wurde nahe der Hauptstadt Juba das habern jedes Mittel recht zu sein: Unmittelbar nachdem Ende März Zentrum zur Förderung des Friedens und zur Behandlung erstmals offiziell von einer drohenden Hungerkatastrophe die Rede von Traumata eingeweiht. Am Bau des »Good Shepherd war, kündigte Präsident Salva Kiir an, die Gebühren für die Arbeits­ Peace Center« beteiligten sich alle 46 im Südsudan vertre­ erlaubnis ausländischer Hilfsorganisationen drastisch zu erhöhen. tenen Ordensgemeinschaften. Für die Comboni-Missionare Die weltweite Empörung zwang den Präsidenten, Anfang Mai eine wirkte der Deutsche Hans Eigner MCCJ bei der Errichtung gemäßigtere Erhöhung in Aussicht zu stellen. Nichtregierungsorgani­ sationen sollen demnach jährlich »nur« 3.500 US-Dollar statt wie bisher 600 zahlen. aktuelles 31

Hans Eigner hat dafür neben der Finanznot des Staates angst und misstrauen lähmen das land © bild unten: paul jeffrey eine weitere Erklärung: »Viele der zahlreichen Nichtregie­ rungsorganisationen im Land helfen den regierungs­ Kirchen und Ordensgemeinschaften müssen zwar keine Ge­ kritischen und regierungsfeindlichen Gruppen, also den bühren zahlen, werden in ihrer caritativen und sozialen Arbeit ›Falschen‹. So ist es aus der Sicht der Regierung nur logisch, aber trotzdem behindert.Weil die sogenannten Rebellen spiri­ die Gebühren für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tuelle und pastorale Tätigkeiten dulden, verdächtigt die Regie­ internationaler Hilfswerke zu erhöhen.« Noch hat Präsi­ rung kirchliche Einrichtungen immer wieder der Kooperation dent Kiir die Ankündigung nicht umgesetzt. Sollte es dazu mit den Aufständischen. Auch Federico spürt die allgegen­ kommen, würden sich vor allem kleine Organisationen wärtige Atmosphäre von Angst und Misstrauen, die das Land die Gebühren kaum mehr leisten können. Leidtragend lähmt: »Natürlich verurteilen wir die Grausamkeiten, die hier wäre einmal mehr die hungernde Bevölkerung. verübt werden. Aber wenn wir die Handlungen von den Men­ schen trennen, also die Sünde vom Sünder, wird das in diesem Bischof Paride Taban (vorne) mit Mitgliedern des von ihm im Jahr Umfeld nicht unbedingt verstanden«, so der Franziskaner. 2004 gegründeten Friedensdorfes »Holy Trinity Peace Village Kuron« »Wir müssen extrem vorsichtig sein, denn sogar während un­ bei der Feldarbeit. Das Friedensdorf soll nach den Vorstellungen des serer Gottesdienste sind Leute da, die sich Notizen darüber Bischofs ein Modell für das Zusammenleben der verschiedenen Eth- machen, was wir über die Regierung sagen.« nien im Südsudan sein. Hoffnung keimte auf, als Präsident Kiir am 14. Dezember 33 www.kuronvillage.net 2016 einen »Nationalen Dialog« ankündigte. Er sollte auf lokaler Ebene beginnen und in einer großen Versöhnungs­32 aktuelles konferenz münden. Tatsächlich glauben viele Experten im Südsudan, dass nur ein Nationaler Dialog unter neutraler Leitung einen Friedensprozess in Gang bringen könnte. »Wenn es keinen Nationalen Dialog gibt, dann bleibt leider nur der Krieg, um die Vormachtstellung der vor allem vom Stamm der Dinka geführten Regierung einzuschränken. Das wäre die schlechteste Lösung«, sagt beispielsweise Hans Eigner. Doch mangelndes Vertrauen mache inzwischen jeden Dialog fast unmöglich. Die Regierung tut indes wenig, um Vertrauen aufzubauen: Offenbar um den Anschein von Inklusion zu erwecken, wur­ den einige namhafte Persönlichkeiten des Landes in das Ko­ mitee für den Nationalen Dialog berufen – ohne vorher gefragt worden zu sein. Viele, wie auch Friedensbischof Paride Taban, lehnten dies ab. Sie misstrauen der Clique einstigerWarlords (Kriegsherren) in der Regierung. Außerdem dürften sie an der Neutralität des Gremiums gezweifelt haben, nachdem sich Salva Kiir als »Patron« des Nationalen Dialogs installiert hatte. Dass der Präsident die umstrittene Stellung unlängst wieder aufgegeben hat, dürfte nur wenig helfen. Wie es mit dem Nationalen Dialog weitergehen soll, weiß derzeit nie­ mand. ein funken hoffnung bleibt Obwohl es in Juba seit Anfang des Jahres keine größeren Kampf­ handlungen mehr gegeben hat, ist auch die Hauptstadt vom Krieg schwer gezeichnet. Dort hat Bruder Federico die Hoff­ nung auf Frieden nicht aufgegeben. »Es gibt so viele gute Men­ schen hier in Südsudan, so dass Gottes Werk für uns alle sehr klar zu erkennen ist. Auch wenn der Krieg sehr vieles zerstört hat, so hat er doch den Glauben und die Hoffnung, dass es eines Tages Frieden geben wird, nicht zerstören können.« n andré madaus (46) war lange Jahre Redakteur der Zeitschrift Franziskaner. Heute lebt er als freiberuflicher Journalist in Ingelheim.

Auszug aus dem Kursangebot unserer Bildungshäuser Weitere Angebote unserer Bildungs- und Exerzitienh­ äuser erhalten Sie bei den genannten Adressen. Auch Konvente unserer Pro­ vinz und einzelne Brüder bieten Kurse und Fahrten an. Informationen dazu finden Sie auf unserer Website www.franziskaner.deexerzitienhaus – franziskanisches zentrum für stille und begegnungKreuzweg 23, 65719 Hofheim, Tel.: 0 61 92  99 04-0, Fax: -39, E-Mail: [email protected], www.exerzitienhaus-hofheim.de 7. 8.-   Malexerzitien Meditatives Malen, Schweigezeiten, Jutta Schlier, Exerzitienbegleiterin11. 8. 2017 Einübung in die Meditation (Atem) 7. 8.-   Atem im Fluss – Meditatives Bogenschießen, Austausch, Otto Bammel, Theologe, Gestaltseelsorger;11. 8. 2017 Zazen und Bogenschießen durchgängiges Schweigen Dr. Alexander Ullrich, Psychotherapeut 11. 8.-   Yoga-Wochenende Yoga-Übungen für Körper und Geist, Katja Bergmann13. 8. 2017 spirituelle Impulse 25. 8.-   Vom inneren Kind zum Aufstellungs- und Biografiearbeit, Dr. Isolde Macho, Theologin, Meditationsbegleiterin27. 8. 2017 selbstbewussten Erwachsenen Achtsamkeitsübungen 4. 9.-   Einzelexerzitien Impulse zur Bibel- und Lebensbetrachtung, Norbert Lammers, Franziskaner, Exerzitienbegleiter;10. 9. 2017 Begleitungsgespräche, durchgängiges Dorothee Laufenberg, Steyler Missionsschwester, Schweigen Klinikseelsorgerin, geistliche Begleiterin 8. 9.-   Leben aus der Kraft der Ursymbole: Textliche Impulse, Meditation, Zeiten der Stefan Federbusch, Franziskaner, Erwachsenenbildner10. 9. 2017 WEG – Meditationswochenende Stille, Austausch in der Gruppe, kreatives Tun 22. 9.-   Klassische Musikmeditation Die Kunst des Hörens. Sie brauchen Herz, Wolfgang Zeitler, Psychotherapeut, Musiktherapeut24. 9. 2017 Fasten und Unterwegssein Verstand und Ihre Hände. 25. 9.-  Entspannung und Meditation, Fasten- und Elisabeth Müller, Fastenleiterin30. 9. 2017 Ernährungsberatung, Wanderungen 9. 10.-  Qi-Gong-Woche Die Qi-Gong-Praxis der 18 Bewegungen Hans Martin Lorentzen, Qi-Gong- und Tai-Chi-Lehrer13. 10. 2017 Herz-Qi-Gong steht im Vordergrund Hans Martin Lorentzen, Qi-Gong- und Tai-Chi-Lehrer Glaubenswochenende Bewegungen, Austausch, kurze Vorträge Patrick Tavanti, Theatertherapeut 13. 10.-  und Abendmeditation15. 10. 2017 »Werdet wie die Kinder!« – Aber wie geht das eigentlich als Erwachsener? 13. 10.- 15. 10. 2017 16. 10.-  Spiritualität und Psychosynthese Übungen aus Psychosynthese, Meditation, Peter van Gool, Jesuit, Therapeut20. 10. 2017 Gespräch und Austausch, Liturgiehaus ohrbeck – katholische bildungsstätteAm Boberg 10, 49124 Georgsmarienhütte, Tel.: 0 54 01 33 6-0, Fax: -66, E-Mail: [email protected], www.haus-ohrbeck.de 23. 7.-  Internationale Jüdisch-Christliche Das Buch der Sprichwörter Rabbiner Prof. Dr. Jonathan Magonet; 30. 7. 2017 Bibelwoche Dr. Uta Zwingenberger, Theologin, und Team Wanderwoche 2017 Halbtages- und Tageswanderungen im Maria Feimann, Supervisorin (DGSv) 14. 8.-  Teutoburger Wald 18. 8. 2017 Übergänge im Leben gestalten Zwischen »nicht mehr« und »noch nicht« Rainer Fincke und Ulla Peffermann-Fincke, Ennea­ gramm-Trainer; Aadel Maximilian Anuth, Theologe 18. 8.-  Fußläufig? Feldenkrais-Methode und Musik Romy Bronner, Feldenkrais-Pädagogin; 20. 8. 2017 Thomas Abrell, Franziskaner, Theologe Grundkurs Bibliolog Zweiteilige Fortbildung, Teil 1 Andrea Schwarz, Bibliolog-Trainerin; 15. 9.-  Dr. Uta Zwingenberger, Theologin 17. 9. 2017 Du fehlst: Meine Trauer. Wochenende für trauernde junge Christoph Aperdannier, Referent Junge Erwachsene; Meine Erinnerungen. Erwachsene von 18 bis 30 Jahren Aadel Maximilian Anuth, Theologe 21. 9.-  entscheiden! Wochenende für junge Erwachsene zur Jan Aleff, Pastoraler Mitarbeiter; 23. 9. 2017 Ents­ cheidungsfindung Aadel Maximilian Anuth, Theologe Jiddische und hebräische Lieder Lieder-Workshop mit Chasan Chasan Daniel Kempin, Sänger und Gitarrist; 29. 9.-  zum Thema Frieden Daniel Kempin Dr. Christiane Wüste, Theologin 1. 10. 2017 6. 10.-  8. 10. 2017 9. 10.- 10. 10. 2017kloster und meditationshaus im altmühltal – franziskanerkloster dietfurtKlostergasse 8, 92345 Dietfurt, Tel.: 0 84 64  65 2-0, Fax: -22, E-Mail: [email protected], www.meditationshaus-dietfurt.de 18. 9.-  T'ai Chi Ch'uan Einführungskurs Petra und Sunyata Kobayashi, Tai-Chi-Lehrer 24. 9. 2017 Sesshin: Zen-Meditation Nur für Geübte Johannes Fischer, Zen-Lehrer Nuad Phaen Boran Körperlicher und seelischer Ausgleich Heike Pfletschinger, Nuad-Phaen-Boran-Lehrer 2. 10.-  durch Berührung 8. 10. 2017 9. 10.- 15. 10. 2017 programm 33

buchverlosung fdreauntszcishkeanerprovinzIn der letzten Ausgabe fragten wir nach dem Ort, den unser Bruder Adressänderung und BestellungenG­ ermanicus besuchte. Die richtige Antwort lautete: Münster. Unter den75 richtigen Einsendungen haben wir drei Gewinnpakete verlost. Provinzialat der Deutschen Franziskanerp­ rovinz Zeitschrift Franziskaner Dieses Mal verlosen wir unter allen Teilnehmenden, die uns die folgende Frage Frau Ingeborg Röckenwagnerrichtig beantworten, drei Exemplares des unten vorgestellten Buches. Sankt-Anna-Straße 19, 80538 München [email protected] Germanicus genießt den Sommer Tel.: 0 89 2 11 26-150, Fax: 0 89 2 11 26-111 und besucht eine Stadt mit einem bedeutenden Dom, der im Hinter­ Impressum grund zu erkennen ist. In welcher Stadt hält er sich auf? Franziskaner – Magazin für franziskanische ❏ Regensburg Kultur und Lebensart ❏ Trier Zeitschrift der Deutschen Franziskaner ❏ Köln ISSN 1869-9847 – Zeitungskennziffer 50876 Antwort und Ihre Adresse an: meinhardt Verlag und Agentur, Herausgeber Provinzialat der Deutschen Magdeburgstraße 11, 65510 Idstein, Franziskaner, Sankt-Anna-Straße 19, Stichwort: Franziskaner 80538 München Einsendeschluss: 15. August 2017. Es gilt das Datum des Poststempels. Redaktionsanschrift Stefan Federbusch OFM, Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Exerzitienhaus, Kreuzweg 23, 65719 Hofheim, Tel.: 0 61 92 99 04-0,Niklaus Kuster/Nadia Rudolf von Rohr E-Mail: [email protected] Liebe Redaktion Andreas Brands OFM, Stefan Feder-Niklaus und Dorothea von Flüe busch OFM (Redak­tions­leiter), Natanael Ganter OFM, Kerstin Meinhardt, Thomas Meinhardt, Jür-Patmos, 2. Auflage 2017, 192 Seiten, Hardcover mit Leseband, vierfarbig, gen Neitzert OFM, Johannes Roth OFM, Pascalmit mehreren Abbildungen, 19,00 Euro (D), ISBN: 978-3-8436-0876-3 Sommerstorfer OFM,Niklaus von Flüe, der Nationalheilige der Schweiz, ist Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nichtundenkbar ohne Dorothea, seine Frau, mit der er gern in jedem Fall die Meinung der Redaktion wieder.»zu Tanze ging« und mit der er seinen Weg gemeinsam Die Rechte an den Artikeln liegen bei den je­errungen hat. weiligen Autoren. Eine ­Wiedergabe – auch aus-Dieses Buch lässt Dorothea sprechen. Sie erzählt vom zugsweise – ist nur mit vorherigerLeben einer großen Bauernfamilie in der Zentral­ Genehmigung gestattet.schweiz im 15. Jahrhundert, von 20 glücklichen Ehejahren,von Niklaus’ überraschender Lebenswende mit 50 und von ihrem Weitere Mitarbeitende dieser Ausgabe eigenen Werden. Michael Blasek OFM, Cornelius Bohl OFM,Dabei zeigt sich das Bild zweier kantiger Persönlichkeiten und ihrer Christop­ horus Goedereis OFMCap, André Madaus,Lebenswege, die sich verbunden haben und die trotz Trennung untrennbar Bene­dikt Mertens OFM, Ricarda Moufang, Hel-geblieben sind. So geht es nicht nur um Mystik und Politik des Heiligen, mut Schlegel OFMsondern ebenso um eine Ehe- und Liebesgeschichte, die um Verantwortung,Bindung und Freiheit weiß. Bildnachweise Titel: © dpa. Alle anderen Nach- weise stehen auf den Seiten, ungekennzeichnete Franziskaner Mission Bilder ents­ tammen dem Archiv der Franziskaner oder dem der Firma meinhardt. Die Ausgabe Nummer 2 unseres Schwestermagazins »Franziskaner Mission« können Sie kostenfrei Layout Kerstin Meinhardt (art-dir.), Désirée Neff bestellen bei Franziskaner Mission, Tel.: 02 31 17 63 37-65, E-Mail: [email protected] Verlag, Gestaltung und Anzeigenverwaltung bzw. in Bayern unter Tel.: 0 89 21 12 61 10, meinhardt Verlag und Agentur, E-Mail: [email protected] Magdeburgstraße 11, 65510 Idstein, E-Mail: [email protected], www.meinhardt.info Bankverbindung Die Zeitschrift »Franziskaner« e­ rscheint quartalsweise. Spenden zur Finanzierung dieser Zeitschrift erbitten wir unter Angabe des Verwendungszweckes »Spende Zeit- schrift« auf das Konto der Deutschen Franziskanerprovinz, IBAN DE40 5109 1700 0080 8888 80, BIC VRBUDE51 bei der Bank für Orden und Mission Druck und Versand Sedai-Druck GmbH & Co. KG, Hameln Klimaneutral gedruckt und versendet Gedruckt auf 80 % Recyclingpapier und 20 % aus nachhaltiger Waldwirtschaft (FSC) natureOffice.com | DE-000-000000

Germanicus und die Wahl der Gallier Franziskus und Germanicus überschritten die Grenze nach Gallien. Franziskus schwärmte:»Dies ist das Land, dem ich meinen Namen verdanke. Francesco, kleiner Franzose, so hat mich mein Vater genannt.« – »Heißt nicht auch der Präsident hier wie du? Franç­ ois?« – »Wo lebst du,Germanicus? Die Gallier haben einen neuen Präsidenten gewählt!« »Ach ja? Und wie heißt der?« – »Emmanuel.« – »Ach du lieber Gott! Dann verdankt der ja seinen Namen unserem Herrn Jesus. ›Er soll Immanuel heißen‹, hat doch der Engel damals verkündet. Endlich haben auch die Gallier ihren Retter.« In ihrer Begeisterung gingen sie einen Schritt schneller. »Sag mal, Franziskus, sind Engel eigentlich Männer oder Frauen?« – »Wie kommst du denn darauf?« – »Naja, bei uns in Germanien, da regiert die mächtige Angela; das ist doch der lateinische Name für Engel. Die Angela verkündet bei uns die großen Verheißungen.« – »Dann wundert‘s mich nicht«,meinte Franziskus,»dass der Retter Emmanuel schon am zweiten Tag die mächtige Angela besucht hat.« Germanicus jubelte: »Da siehst du mal, unser Europa ist und bleibt das christliche Abendland. Es wimmelt hier nur so von Engeln und Heiligen und Rettern.«text helmut schlegel ofmillustration michael blasek ofm

München Gemeinschaft am Goetheplatz Eine von 35 Gemeinschaften der Franziskaner in Deutschland (v. l.): Igor Hollmann, Nikolaus Voss, Heinz Schnitker und Bernd Leopold.www.franziskaner.de


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