hollywoods erzählstrukturen 51Möglichkeiten der Figurenkonstellation. Jens Eder, Professor fürMedienwissenschaft in Mannheim, der auch selbst Drehbücher ge-schrieben hat, formuliert 2008 eine Theorie der Filmfigur. Er un-terscheidet die Figurenebene von der Handlungsebene und grenztdamit (im Unterschied zu anderen Modellen undTheorien) auch die Figurenstruktur von der Hand- Es kann auch mehrlungsstruktur ab. Eder beschreibt als den Standard- als einen Protagonistenfall, dass es einen (einzelnen) Protagonisten gibt, der geben.zugleich die Haupt- und Identifikationsfigur inner-halb einer Menge anderer Figuren ist und das Interessenszentrumdes Films bildet. Diesem Protagonisten steht der Antagonist gegen-über, d.h. die am meisten verbreitete Figurenkonstellation ist einezwischen Protagonist und Antagonist in einer Wechselwirkung bzw.in einem Konflikt zueinander. Von dieser häufigsten Figurenkonstellation unterscheidet Edereine ebenfalls noch relativ verbreitete Form, nämlich Filme mit zweiProtagonisten, nach Kristin Thompsons Bezeichnung dual protago-nist films. In diesen Filmen bilden zwei Hauptfiguren ein Duo. Meistgehen solche Konstellationen schon aus den Titeln hervor, wie z.B.Ein Fall für Zwei oder Starsky und Hutch oder Thelma und Louise.Typisch für diese Figurenkonstellation sind z.B. Buddy-Filme oderalle Formen von Ermittler-Duos im Kriminalgenre.8 Auf die Erweiterung auf noch mehr als zwei Protagonisten be-zieht sich der Begriff der pluralen Figurenkonstellation von MargritTröhler, Professorin für Filmwissenschaft in Zürich. Nach Tröhlerkann ein Kollektiv oder eine Gruppe als Einzelfigur inszeniert wer-den, was sie als Gruppenfigur benennt. Die Gruppenfigur erscheintvorwiegend außerhalb der westlichen Kultur, z.B. im chinesischen,afrikanischen, süd- und mittelamerikanischen Kinofilm.9 V. Reise, Rätsel, und Wettkampf: die drei häufigsten Handlungsverläufe«How many plots are there?»: Dieser Frage geht der SchriftstellerRonald B. Tobias nach und bezieht sich dabei u.a. auf Texte von
52 P r i n z i p H o l l y w o o d Aristoteles, Rudyard Kipling und Carlo Gozzi. Aristoteles unter- scheidet nur zwei Arten des Handlungsverlaufes: Tragödie und Ko- mödie. Rudyard Kipling listet 69 Möglichkeiten auf, Carlo Gozzi 36. Tobias wählt die seiner Ansicht nach wichtigsten 20 Varianten aus, die er als Master Plots bezeichnet.10 Ein Master Plot ist nach Tobias ein Handlungsverlauf, dessen Struktur sich immer wieder in Werken der Weltliteratur findet. Wie die meisten Verfasser von Schreibratgebern unterscheidet aber auch Tobias nicht zwischen verschiedenen Ebenen der Struktur, sondern stellt seine Ergebnisse als ein geschlossenes Modell vor, in dem sich Elemente aus verschiedenen Ebenen vermischen, ohne dass diese unterschieden und benannt werden. Aus den 20 Master Plots von Tobias leite ich drei Grundformen ab, auf die sich alle Handlungsverläufe reduzieren lassen. Diese drei Möglichkeiten von Plots nenne ich Reise, Rätsel und Wettkampf. Die- sen Grundformen lassen sich auch alle anderen Masterplots zuord- nen, wenn man lediglich die Handlungsstruktur betrachtet. Auch die Modelle von Field und Vogler lassen sich nach dieser Einteilung zuordnen: Fields Modell folgt auf der Handlungsebene der Struktur eines Wettkampfes, das Modell Vogler dem Aufbau einer Reise. Alle Formen des Genres Krimis, ob ihre Struktur spe- zifisch ist wie in dem Roman Der Name der Rose oder stereotyp wie in den meisten Fernsehkrimis, sind der Struktur nach Rätsel. The Seven Basic Plots nennt der englische Journalist und Autor Christopher Booker sein bereits 1969 begonnenes und erst 34 Jahre später beendetes Werk, das noch mehr als alle anderen bereits ge- nannten Bücher einen Eindruck der enormen Komplexität des The- mas Dramaturgie vermittelt. Booker stellt die Frage, warum wir Ge- schichten erzählen. Er unterscheidet sieben Grundformen von Geschichten, darunter die Reise (mit Wiederkehr), die Komödie und die Tragödie.11 Seine Untersuchung sticht vor allem durch detaillier- te Beschreibungen von Beispielen hervor, an denen ein Zusammen- hang zwischen Plots und psychischen Strukturen im kollektiven Un- bewussten deutlich wird. Zur Exaktheit der Begriffsdefinitionen hier eine Anmerkung: Was Booker als Basic Plot und Tobias als Master Plot bezeichnet, geht
hollywoods erzählstrukturen 53über meine vereinfachte Verwendung des Begriffes Plot hinaus, weilbeide nicht nur Aspekte der Handlung, sondern insbesondereAspekte auch der Figuren einbeziehen. Ich verwende den BegriffPlot ausschließlich zur Beschreibung der Handlungsebene. Die vier Ebenen der StrukturUm die bestehenden Theorien zusammenzufassen und die zugrun-deliegenden Strukturelemente systematisch vergleichen zu können,habe ich ein Modell zur Analyse von Dramaturgie entwickelt, das inKapitel 5 ausführlich vorgestellt wird. Es bildet die Struktur von Dramaturgie auf vier Ebenen ab: Raum,Zeit, Figuren und Handlung. In Fields Modell der drei Akte steht bei-spielsweise die Struktur der Zeit im Mittelpunkt. Nach Aristoteleswiederum ist die Ebene der Handlung der wichtigste Aspekt vonDramaturgie. Alle bekannten Modelle und Theorien beziehen sichzwar direkt oder indirekt auf eine oder mehrere der vier Ebenen,unterscheiden diese aber nicht klar voneinander.
Klappentext (hinten) Marietheres Wagner ist Regisseurin und Drehb uchautorin. Ihr erster Kinospielfilm «Die Nacht des Marders» wurde mit dem Deutschen Filmpreis und dem Bayerischen Filmpreis aus- gezeichnet und u.a. bei den Filmfestspielen in Cannes sowie im Museum of Modern Art in New York gezeigt. Ihre Fernsehfilme erreichten Ein- schaltquoten von bis zu 8 Millionen Zuschauern.^ Sie ist auch als Doz entin tätig, u.a. an der Hoch- schule für Fernsehen und Film in München, an der Filmakademie Baden-Württemberg und seit 2007 an der Universität Passau. Sie ist Mitglied diverser Fachgremien und Jurys, u.a. Vorsitzende der Jury Deutscher Drehbuchpreis 2014.
Menschen erzählen einander Geschichten, um die Welt zu verste-hen. Dramaturgie ist die Kunst, Geschichten möglichst spannend zugestalten. Doch Dramaturgie bestimmt nicht nur die Wirkung vonFilmen oder Romanen; sie ist ein Grundprinzip unseres Denkensund unserer Vorstellungen. Dramaturgie ist eine universale Spra-che, ein Zeichensystem, das zwar für die meisten Menschen un-bewusst bleibt, uns aber trotzdem ständig umgibt und beeinflusst. Dramaturgie passiert immer. Doch nur wer versteht, wie sie wirkt, kann sie auch selbst gestalten. ISBN 978-3-907100-61-5 ISBN 978-3-907100-61-5 9 783907 100615 MIDAS MANAGEMENT VERLAG
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