Festschrift                       50 Jahre  Evangelische Stadtkantorei Bremerhaven                 1963 - 2013
EVAN G E L I S CH-L U T H E R I S C H E R                          Festschrift     KIRCHENKREIS BREMERHAVEN                   50 Jahre Evangelische Stadtkantorei Bremerhaven  KREISKANTORAT BREMERHAVEN    Inhalt    Grußworte	                                  2    Landessuperintendent Dr. Hans Christian Brandy ........................................................................ 	2  Superintendentin Susanne Wendorf-von Blumröder ..................................................................... 	2  Ernst-Michael Ratschow (Superintendent i. R.) .............................................................................. 	3  Pastor Ulrich von Stuckrad-Barre (Vorsitzender des Kirchenvorstandes) ..................................... 	4  Melf Grantz (Oberbürgermeister der Stadt Bremerhaven) ............................................................. 	4  Michael Frost (Kulturdezernent der Stadt Bremerhaven) .............................................................. 	5  Ulrich Mokrusch (Intendant des Stadttheaters Bremerhaven) ...................................................... 	5  Kirchenmusikdirektor Hauke Ramm (Stade) ................................................................................. 	6  Friedrich Wandersleb (Kreiskantor i. R.) ......................................................................................... 	7  Prof. Carsten Klomp ......................................................................................................................... 	8  Kreiskantorin Eva Schad .................................................................................................................. 	8    Chorleiter	                                 12    Friedrich Wandersleb (Kreiskantor von 1954 bis 1992) ................................................................... 	13  Carsten Klomp (Kreiskantor von 1992 bis 1995) .............................................................................. 	14  Eva Schad (Kreiskantorin seit 1995) ................................................................................................. 	14  Erlebnisbericht (Marita Westphal-Blome) ............................................................................................ 	15    Konzerte 1963 – 2013	                       16    Advent – Weihnachten ..................................................................................................................... 	16  Erlebnisbericht (Edith Haisch) ............................................................................................................. 	19  Passion ............................................................................................................................................... 	22  Erlebnisbericht (Marita Westphal-Blome) ............................................................................................ 	26  Endzeit ............................................................................................................................................... 	28  Erlebnisbericht (Marita Westphal-Blome) ............................................................................................ 	30  Messen ............................................................................................................................................... 	34  Cantica und Psalmen ........................................................................................................................ 	39  Kantaten und Rundfunkgottesdienste ............................................................................................ 	41  Oratorien ........................................................................................................................................... 	41  Carl Orff: Carmina burana .............................................................................................................. 	46  Noch einmal: Bachs Weihnachtsoratorium .................................................................................... 	51  Repertoireliste (Werke mit Orchester) 1963 bis 2003 ...................................................................... 	52
Chorreisen	                                             58    Finnland (1967, 1970, 1977) ................................................................................................................ 	58  Holland (1977, 1982) .......................................................................................................................... 	58  Leipzig (1989, 1994) ............................................................................................................................ 	58  Schweden (1998) ................................................................................................................................ 	59  Harz (2002) ........................................................................................................................................ 	60  Mallorca (2003) ................................................................................................................................. 	60  Polen (2008) ....................................................................................................................................... 	62  Leipzig (2013) ..................................................................................................................................... 	64  Jubiläums-Chorreise in die Normandie (2013) ................................................................................ 	64  »Alta Ribberta beata« (Kirsten Back & Brigitte Schulte) ..................................................................... 	68  Übersicht: Chorreisen der Evangelischen Stadtkantorei Bremerhaven ......................................... 	69    Berichte	                                               70    Silke Wacker: 50 Jahre und kein bisschen leise ............................................................................... 	70  Irmela Bohlmann: Tolle Leute im Chor .......................................................................................... 	71  Matthias Clasen: Thank God, it’s Friday ......................................................................................... 	72  Petrus Klan: Mein War Requiem und mein Nagelkreuz von Coventry  oder: Kann man aus Krieg Poesie und Musik machen? ................................................................. 	76  Barbara Tönjes: Wie ein Bauwerk das Leben von Menschen verändern kann! ............................ 	77  Bruno Fröhlich, Petrus Klan und Stefan Tönjes: Die drei von drüben ......................................... 	77  Annika Heyen: »Kinderchen!« ......................................................................................................... 	78    Interview	                                              80    Chormitglieder 2013	                                    82    Jubiläum	                                               84    Programm zum Festwochende......................................................................................................... 	84  Jubiläumskonzerte............................................................................................................................. 	85    Kurioses	                                               86    Eibe Meiners’ großer Kantorei-Test .................................................................................................. 	86  Katja Asmussens Chor-Panoptikum ................................................................................................ 	87    Sponsoren	                                              88    Impressum                                               Brommystraße 25 • 27570 Bremerhaven  Herausgeber: Kreiskantorat Bremerhaven                  Fon 0471 - 92 11 16 • [email protected]  Eva Schad, Wilhelm-Brandes-Straße 2, 27570 Bremerhaven  Fax 0471 - 2 65 80 • www.weser-druckerei.de  Tel.: 0471 - 200 290, [email protected]  www.kreiskantorat - bremerhaven.de  Redaktion: Eva Schad & Folker Froebe  Gestaltung / Satz: Folker Froebe  Erscheinungsdatum: 23. August 2013
GruSSworte    Grußworte                  Landessuperintendent Dr. Hans Christian Brandy    Ich wollte von Herzen gern diese                                     gegründet. Über 100 Sängerin-  schöne und köstliche Gabe Gottes, die                                nen und Sänger sind heute unter  freie Kunst der Musica, hoch loben                                   der Leitung von Eva Schad aktiv,  und preisen. Weil diese Kunst von                                    wunderbare Konzerte kommen  Anfang der Welt allen Kreaturen von                                  jedes Jahr zur Aufführung, das Re-  Gott gegeben ist, denn da ist mitnich-                               nommee der Kantorei reicht weit  ten nichts in der Welt, das nicht ein                                über die Grenzen der Stadt hin-  Schall und Laut von sich gebe.                                       aus. Auch Reisen ins europäische  (Martin Luther)                                                      Ausland gibt es immer wieder. Mit                                                                       einem Festprogramm wird das  Gleich nach der Theologie                                            Jubiläum in diesem Jahr gefeiert.        räumte der Reformator der                                      Dafür meine besten Wünsche; ich  Musik den höchsten Platz ein.                                        freue mich sehr, am 25. August  Martin Luther sang ein Loblied auf die »Musica«    selbst dabei sein zu können  schon vor 500 Jahren. »Singen und Sagen« gehör-        Ich wünsche dem Chor, dass auch weiterhin  ten für ihn als Zeugnis des Glaubens zusammen.     seine Musik zum Lob Gottes und zur Freude der  Uns evangelischen Christen liegt die Kirchenmu-    Menschen erklingt. Denn Musik ist eine »köstli-  sik am Herzen. Musik und Gesang gehören zur        che Gabe Gottes«.  Schönheit des Protestantismus. Wir sind eine sin-  Dr. Hans Christian Brandy  gende und klingende Kirche.        Ich freue mich daher, im Jahr 2013 der Evan-  gelischen Stadtkantorei Bremerhaven zu ihrem  50-jährigen Jubiläum zu gratulieren. Als Chor für  ›große Kirchenmusik‹ wurde die Kantorei 1963                  Superintendentin Susanne Wendorf - von Blumröder  Liebe Evangelische Stadtkanto-       rei, herzlich willkommen in                   des Weihnachtoratoriums von Bach                                                     die Evangelische Stadtkantorei  der Mitte des Lebens! So könnte                    Bremerhaven.  man den Glückwunsch analog zu                      Heute, im Jahr 2013: In den  einem menschlichen Geburtstag                      Kirchengemeinden geht es we-  formulieren.                                       sentlich lockerer zu. In den Ge-     Jahrgang 1963: Alles noch et-                   meinden wird über die zu groß  was steif, die Männer der Kirche                   gewordenen Gebäude beraten.  stets im Anzug. Es wird viel ge-                   Der demographische Wandel  baut und geplant: Kirchen, Ge-                     nimmt seinen Lauf, wir richten  meindehäuser, Kindergärten. Kir-                   uns darauf ein, kleiner zu werden  chengemeinden und die ganze Ge-                    und Profil zu behalten. Oratori-  sellschaft richten sich auf großes                 en werden regelmäßig gesungen,  Wachstum ein. Das Angebot an kirchlichen Ak- Gottesdienste werden mit der Kantorei zu etwas  tivitäten wird vielfältiger. Auch Oratorien sollen Besonderem, nebenbei sind Kammerchor sowie  in Zukunft gesungen werden, deshalb wird aus Kinder- und Jugendchöre entstanden. Ein hohes  einem Auswahlchor anlässlich der Aufführung Niveau im Bereich der klassischen Kirchenmusik    2
kennzeichnet die heutige Arbeit. Die Kantorei ist                                                              GruSSworte  selbstverständlicher Bestandteil des kirchlichen  Lebens, auch so lässt sich eine Entwicklung der    Gefühle, Fragen und Bekenntnisse.  vergangenen 50 Jahre benennen.                         Ich möchte der Kantorin und den Sängerin-        Viele singen schon jahrelang mit, andere       nen und Sängern danken für ihr Engagement, ih-  kommen dazu. Um die 100 Sängerinnen und            ren Mut und ihr Durchhaltevermögen. Die Freu-  Sänger kommen jeden Freitagabend zusammen.         de am Singen möge allen erhalten bleiben und  Die Luft im Gemeindesaal wird manchmal dünn        die Bereitschaft, unseren Glauben auf musikali-  und die Stühle knapp. Es werden Töne geübt und     sche Art und Weise zum Ausdruck zu bringen.  der richtige Schwung, die Spannung steigt vor ei-  nem Konzert und dann ist es doch geschafft: Der    Susanne Wendorf-von Blumröder  Reichtum unseres Glaubens wird spürbar, tiefe    Ernst-Michael Ratschow (Superintendent i. R.)  Zum 50-jährigen Jubiläum der        Evangelischen Stadtkantorei                  Leben zu rufen. Damit war die                                                     Voraussetzung geschaffen, auch  Bremerhaven grüße ich alle Teil-                   größere Chorwerke einzustudie-  nehmerinnen und Teilnehmer                         ren und zur Aufführung zu brin-  recht herzlich und freue mich                      gen. Herrn Carsten Klomp, der  schon auf die Aufführung der                       das Amt des Kirchenmusikers vom  Bach-Kantate Lobe den Herren, den                  1. April 1992 bis zum 30 September  mächtigen König der Ehren am 25.                   1995 inne hatte und Frau Kreiskan-  August 2013. Mit diesem Gruß                       torin Eva Schad, die ihre Arbeit  verbinde ich meinen aufrichtigen                   am 1. Oktober 1995 aufnahm.  Dank an alle Sängerinnen und                       Hätten diese drei Musiker und  Sänger, die oft über viele Jahre,                  Organisten den Sängerinnen und  manche auch über Jahrzehnte hin-                   Sängern nicht immer wieder durch  weg durch ihre verlässliche Teilnahme das Chor- ihren ganz persönlichen, Kräfte raubenden Ein-  singen und Chorleben erst ermöglicht haben. satz gezeigt, welche phantastische Aussagekraft  Dazu gehört ein beträchtlicher Zeiteinsatz – hier in den den einzelnen Chorwerken zu finden ist,  denke ich außer an die wöchentlichen Proben der Chor könnte dieses Jahr kein Jubiläum feiern.  auch an die Probenwochenenden in Drangstedt Insbesondere Frau Schad ist es zu danken, dass  oder im Harz. Vielen Dank dafür: Der Einsatz sie alljährlich immer wieder Sponsoren auftut, so  hat sich voll gelohnt. Das Klangbild des Chores dass auch Werke mit größerem Orchester aufge-  ist so ausgefeilt und auf das einzelne Werk so ge- führt werden können. Und hier ist dann auch zu  nau abgestimmt, dass sich dem Hörer die Werke bewundern, dass sie sich in fast allen musikali-  der Meister immer wieder neu erschließen zur schen Stilrichtungen auskennt und die einzelnen  großen Freude und Erbauung. So sind auch Aus- Werke mit dem Chor und dem Orchester dann so  landseinsätze inzwischen eine Selbstverständlich- einstudiert, dass wirklich ganz unterschiedliche  keit geworden wie dieses Jahr wieder in Frank- Klangfarben zu Gehör kommen.  reich. Der Applaus ist der Dank der Hörer!         Allen noch einmal ein großes Dankeschön  Insbesondere ist nun aber auch den Chorlei- und hoffentlich: Weiter so – mit viel Freude!  tern der Evangelischen Stadtkantorei zu danken:  Herrn Friedrich Wandersleb, der vom 1. August  1954 bis zum 31. März 1992 als Organist und  Chorleiter der Christuskirchengemeinde ange-  stellt war und 1963 auf die glückliche Idee kam,  die Evangelische Stadtkantorei Bremerhaven ins Ernst-Michael Ratschow    	3
GruSSworte       Pastor Ulrich von Stuckrad-Barre (Vorsitzender des Kirchenvorstandes)  Voller Dankbarkeit begeht un-       sere Christuskirchengemein-                           nur ›Beigabe‹ oder ›Verzierung‹                                                             der Predigt, sondern sie wirkt  de in diesem Jahr das 50. Jubiläum                         entscheidend mit an der Verkün-  ihrer Evangelischen Stadtkantorei.                         digung von Gottes Wort. Dieser  Die Gemeinde ist froh und stolz,                           Gedanke ist mir sehr wichtig. Pre-  dass die Stadtkantorei viele unse-                         digerinnen und Prediger und alle  rer Gottesdienste mitgestaltet und                         an der Kirchenmusik Beteiligten  darüber hinaus das Gemeindele-                             arbeiten zusammen. Gegenseitige  ben durch eine Menge von Kon-                              Wertschätzung und verständnis-  zerten bereichert. An dieser Stelle                        volle Zusammenarbeit sind dafür  sei allen Sängerinnen und Sängern                          unerlässlich. Der Kirchenvorstand  und Eva Schad gedankt für all die                          der Christuskirche will die Arbeit  Zeit und all die Liebe und Begeis-                         der Stadtkantorei auch weiterhin  terung, die sie der Stadtkantorei und damit auch mit allen Kräften unterstützen.  unserer Gemeinde widmen.                           Was haben wir schon alles miteinander er-     Dabei sind wir uns alle bewusst, dass die lebt: große Oratorien und Passionen, Radiogot-  Wirkung der Stadtkantorei weit über unsere Ge- tesdienste, viel Klassisches, aber auch neuere und  meinde und weit über Bremerhaven hinausgeht. moderne Kompositionen. Wie viele tausende  Menschen kommen von weit her, um in der Stunden an Proben stecken dahinter … Dank-  Stadtkantorei zu singen, und Menschen kommen bar erinnern wir uns an viele musikalische Hö-  von weit her, um die Stadtkantorei zu hören. hepunkte, die wir in der Christuskirche erleben  Musik zieht die Menschen an und füllt immer durften. Der größte Schatz der kirchenmusikali-  wieder unsere schöne und große Kirche – oft ge- schen Arbeit sind die vielen Menschen, die mit-  nug bis auf den letzten Platz. In ihrer 50-jährigen machen. Sie machen unsere Gemeinde reich! Wir  Geschichte ist die Stadtkantorei in unserer Regi- freuen uns auf die kommenden Jahre!  on zu einer Institution geworden, deren religiöse  Im Namen des Kirchenvorstands wünsche ich  und kulturelle Bedeutung man gar nicht hoch der Stadtkantorei für Ihre weitere Arbeit Gottes  genug schätzen kann.                               Segen.     Zentrum der Arbeit der Stadtkantorei bleibt  die Verkündigung der Liebe Gottes zu allen  Menschen. Diese Aufgabe teilt sich die Kirchen-  musik mit der Predigt. Kirchenmusik ist nicht Ulrich von Stuckrad-Barre                Melf Grantz (Oberbürgermeister der Stadt Bremerhaven)  Fünfzig Jahre Evangelische      Stadtkantorei Bremerhaven –                            Die musikalische Ausgestaltung                                                             der Stücke wird von der Kirchen-  das ist ein Jubiläum, auf das der                          gemeinde und den Konzertbesu-  Kirchenkreis Bremerhaven mit                               chern geschätzt. So verwundert es  gutem Grund stolz sein kann. Seit                          nicht, dass die gut besuchten Kon-  1963 trägt der Chor für ›große Kir-                        zerte des Oratorienchores seit Jahr-  chenmusik‹ zum Musikleben unse-                            zehnten ein fester Bestandteil des  rer Stadt bei. Über 100 Mitglieder                         Bremerhavener Kulturlebens sind.  aus Bremerhaven und den angren-                            Mit seinen Konzertreisen von  zenden Landkreisen treten regel-                           Finnland bis nach Mallorca hat  mäßig in Gottesdiensten und Kon-                           der Oratorienchor den Kirchen-  zerten auf. Oratorien, Kantaten                            kreis und die Stadt Bremerhaven  und Motetten von Bach bis Britten                          in zahlreichen Ländern Europas  verzaubern das Publikum in der Christuskirche. würdig vertreten – als Botschafter für christliche    4
Werte und kirchenmusikalische Kultur – einma-                                                                   GruSSworte  lige Erfahrungen sowie unvergessliche Erlebnisse,  die Sängerinnen und Sänger miteinander teilen.      Engagement des Oratorienchores und gratuliert                                                      in diesem Sinne der Evangelischen Stadtkantorei      Ein Zusammenwirken der Chöre aller Alters-      Bremerhaven zum 50-jährigen Jubiläum. Ich wün-  stufen und über Generationen hinweg ist eines       sche dem Chor und seinen Unterstützern alles  der höchsten Anliegen des Kreiskantorats. Junge     Gute für die Zukunft und weiterhin viel Erfolg.  Talente werden altersgemäß in Kinder- und Ju-  gendchören gefördert. Für die Stadt Bremerhaven     Melf Grantz  und die gesamte Region ist diese Jugendarbeit seit  Jahrzehnten von unschätzbarem Wert.        Die Stadt Bremerhaven ehrt das langjährige    Michael Frost (Kulturdezernent der Stadt Bremerhaven)  In der vergangenen Spielzeit des    Stadttheaters bewegte uns das                               Region und sogar im europäi-  Schauspiel Wie im Himmel, das die                             schen Ausland, längst über diesen                                                                ursprünglichen Auftrag hinaus.  Gründungsgeschichte eines Kir-                                So gratuliere ich der Stadtkan-  chenchores erzählte. Wir erlebten,                            torei des ev.-luth. Kirchenkreises  wie die Mitglieder des Chores zu-                             Bremerhaven sehr herzlich zum  nächst ihre eigene Stimme fanden,                             50-jährigen Jubiläum und danke  sowohl musikalisch als auch in ih-                            allen Sängerinnen und Sängern,  rer persönlichen Entwicklung, um                              nicht zuletzt aber auch der Kreis-  schließlich als Chorgemeinschaft                              kantorin Frau Schad, besonders  nicht nur einander zu stärken, son-                           herzlich für das großartige Enga-  dern mit der Kraft der Musik ihr                              gement, mit dem sie die kirchli-  Publikum zu berühren.                                         che Chormusik zu einem festen  Diese Grundidee des gemeinsamen Singens Bestandteil des kulturellen Lebens unserer Stadt  funktioniert nicht nur im Theaterstück. Die 1963 werden ließen. Ich wünsche allen Beteiligten,  gegründete Evangelische Stadtkantorei Bremer- dass es ihnen auch in Zukunft gelingen möge,  haven mit ihren derzeit über einhundert Sänge- die Herzen Ihres Publikums mit Ihren Stimmen  rinnen und Sängern berührt ihre Zuhörerinnen zu erreichen.  und Zuhörer nun bereits seit 50 Jahren. Was einst  als Chor für ›große Kirchenmusik‹ begann, wirkt  durch das Repertoire sowie die Vielzahl der Tä-  tigkeiten und Auftritte in Bremerhaven, in der Michael Frost    Ulrich Mokrusch (Intendant des Stadttheaters Bremerhaven)  Als ich vor knapp drei Jahren       meine Stelle als Intendant                               sammenarbeit zwischen Stadtkan-                                                                torei und Stadttheater unbedingt  des Stadttheaters in Bremerhaven                              auszubauen sei. Umso mehr freue  antrat, machte ich schnell Be-                                ich mich, dass wir in der relativ  kanntschaft mit der energischen                               kurzen Zeit auf drei herausragen-  und hoch motivierten Kreiskanto-                              de gemeinsame Projekte zurück-  rin Eva Schad und den begeister-                              schauen können. Dies war zum  ten Sängerinnen und Sänger der                                einen die bewegende Aufführung  Evangelischen Stadtkantorei der                               des War Requiems von Benjamin  Christuskirche. Schnell waren wir                             Britten im Herbst letzten Jahres.  uns einig, dass die in den zurück-                            Unter der musikalischen Leitung  liegenden Jahren praktizierte Zu-                             von Kreiskantorin Eva Schad und    	5
GruSSworte                                        standen alle drei großen Chöre der Stadt vereint                                                    auf einer Bühne und wirkten gemeinsam an ei-  Generalmusikdirektor Stephan Tetzlaff vereinten   nem herausragenden Theatererlebnis mit: der  sich das Städtische Orchester Bremerhaven, die    Chor des Stadttheaters Bremerhaven, die Evange-  Kammer Sinfonie Bremen, Solisten, der Jugend-     lische Stadtkantorei Bremerhaven und der Bach-  chor der Christuskirche und die Evangelische      Chor der Großen Kirche. Insgesamt 140 musikbe-  Stadtkantorei Bremerhaven und gestalteten einen   geisterte Menschen sangen dieses chorgewaltige  ergreifenden Konzertabend.                        Werk, zu dem Ballettmeister Sergei Vanaev eine                                                    beeindruckende Choreographie geschaffen hat-      Zu einer erneuten Zusammenarbeit zwischen     te.  Ohne solch einen begeisterten Chor wie die  unserem Ballettensemble und den Chören der        Evangelische Stadtkantorei wären solche Projekte  Christuskirche kam es bei Bachs Magnificat. Ser  nicht denkbar gewesen. Das ist gelebte Stadtkul-  gei Vanaev choreographierte zwölf ausdrucksstar-  tur, die es auch weiterhin zu pflegen und zu för-  ke abstrakte Pas de deux und Pas de trois gegen   dern gilt, damit auch die Zukunft viele solcher  barocke Klänge, getanzt von den Tänzerinnen       Erlebnisse für uns bereithält!  und Tänzern des Stadttheaters Bremerhaven, mu-    Ulrich Mokrusch  siziert unter Leitung von Eva Schad durch den  Bremerhavener Kammerchor, das Barockorches-  ter Concerto Bremen und Vokalsolisten.        Ganz bestimmt unvergessen bleiben die 13  ausverkauften Vorstellungen von Carl Orffs Car-  mina Burana im Großen Haus des Stadttheaters.  Erstmals in der Stadtgeschichte Bremerhavens       Kirchenmusikdirektor Hauke Ramm (Stade)  Seit der Gründung der Christus-      kirche 1875 haben insgesamt                   rien und weitere große Werke der                                                    Kirchenmusik aufzuführen.  sieben Kirchenmusiker an der                                 Nach der langjährigen prägen-  Christuskirche gewirkt. 1954 wur-                 den Zeit unter Friedrich Wanders-  de Friedrich Wandersleb als haupt-                leb übernahm 1992 Carsten Klomp  beruflicher Kantor angestellt und                 für drei Jahre die Leitung des Cho-  widmete sich u. a. mit der Grün-                  res. Seit 1995 leitet Kreiskantorin  dung eines Kirchenchores gleich                   Eva Schad die Stadtkantorei.  dem musikalischen Gemeindeauf-                               Heute singen über 100 Sänge-  bau. Über Wanderslebs Chorarbeit                  rinnen und Sänger in der Evangeli-  an der Christuskirche berichtet                   schen Stadtkantorei Bremerhaven.  Hans Linder bereits 1959:                         Die intensive Chorarbeit ist ge-                                                                      prägt durch die Aufführungen des  An den hohen kirchlichen Festtagen kann man sich  gesamten oratorischen Repertoires. Neben den  hier oft an der trefflichen Wiedergabe vor allem  Hauptwerken, wie z. B. der Matthäuspassion von  Schützscher Werke erfreuen.                       Johann Sebastian Bach, gelangen auch seltener zu    Mit der Gründung der Evangelischen Stadtkanto- hörende Werke – z. B. die Messe von Robert Schu-  rei Bremerhaven durch Friedrich Wandersleb be- mann – zur Aufführung. Die Stadtkantorei hat  gann eine kontinuierliche Erfolgsgeschichte. Als seit 1967 Konzertreisen in zahlreiche europäische  Fachberater für Kirchenmusik der Kirchenkreise Länder unternommen. Die Pflege des A-cappella-  Bremerhaven und Wesermünde-Süd – ab 1979 Repertoires mündet aber auch in die kirchenmu-  als Kreiskantor des Kirchenkreises Bremerhaven sikalische Gestaltung der Gottesdienste in der  – mit einem übergemeindlichen Dienstauftrag Christuskirche.  versehen, gründete Friedrich Wandersleb 1963      Die Aufführungen der Evangelischen Stadt-  diesen übergemeindlichen Chor. Er sollte inter- kantorei Bremerhaven prägen das kulturelle Le-  essierten Sängerinnen und Sängern aus verschie- ben in Bremerhaven in besonderer Weise. Im  denen Gemeinden die Möglichkeit geben, Orato- Sprengel Stade und in der Hannoverschen Lan-    6
deskirche wird das Wirken der Stadtkantorei in                                                                  GruSSworte  seiner großartigen Vielfalt und Fülle hochge-  schätzt.                                            Lande! Lobsinget zu Ehren seines Namens; rüh-                                                      met ihn herrlich!« (Psalm 66,1–2)      Die Evangelischen Stadtkantorei Bremerha-  ven möge auch in Zukunft mit Hingabe kraft-         Hauke Ramm  voll Gottes Lob verkündigen: »Jauchzet Gott, alle    Friedrich Wandersleb (Kreiskantor i. R.)  Fünfzig Jahre, ein halbes Jahr-      hundert! Das ist wirklich ein                   Johannespassion und 1967 die Mat-                                                      thäuspassion. So wurde deutlich,  Anlass, innezuhalten und zurück-                    dass Bach unser musikalisches  zuschauen. So lange schon treffen                   Zentrum war.  sich sangesfreudige Menschen als                    Durch vorwiegend mündliche  Evangelische Stadtkantorei, um                      Werbung wuchs der Chor und  die großen Werke der Kirchenmu-                     fand über die kirchlichen Wur-  sik zu erarbeiten und aufzuführen.                  zeln hinaus seinen festen Platz im  Als ich 1954 nach Bremer-                           Bremerhavener Musikleben. Chor-  haven kam und die hauptamtli-                       fahrten nach Finnland und Hol-  che Kirchenmusikerstelle an der                     land, besonders aber unsere Chor-  Christuskirche in Geestemünde                       wochenenden, die uns anfänglich  übernahm, gab es in Bremerha-                       in den Sachsenhain bei Verden  ven keinen kirchlichen Oratorienchor. Oratori- und nach Wüstewohlde führten, dann aber in  sche Werke wie etwa Händels Messias führte der Drangstedt ihren festen Platz fanden, ließen den  Städtische Musikdirektor mit der Liedertafel auf, Chor zu einer guten Gemeinschaft zusammen-  anfänglich sogar in der Christuskirche, weil die wachsen, mit der auch ein so schweres Werk wie  Große Kirche noch Ruine war. An meinem An- die h-Moll-Messe erarbeitet werden konnte.  fang stand der von mir gegründete Kirchenchor       Als Gründer und langjähriger Leiter kann  der Christuskirche, mit dem ich neben dem Mu- ich diesen Rückblick nur voller Dankbarkeit tun.  sizieren im Gottesdienst in Verbindung mit an- Diese Arbeit war ein Geschenk. Dankbar bin  deren Chören oratorische Werke von Heinrich ich aber auch für den Einsatz und die Treue der  Schütz aufführte. Bei der Aushilfe in einem ande- Chormitglieder. Dankbar sei den schon Heimge-  ren Chor fragte mich ein ebenfalls aushelfender rufenen gedacht. Dank sei aber auch denen ge-  Chorsänger, ob man nicht in Bremerhaven einen sagt, denen das Alter eine weitere Beteiligung ver-  Chor für Oratorien gründen könne. Meine Ant- wehrt und die doch durch jahrelange Treue die  wort: »Gern, wenn Sie mir Männerstimmen brin- Arbeit mitgetragen haben. Sie und viele, die aus  gen!« Dieses Gespräch war die Initialzündung für beruflichen und anderen Gründen die Kantorei  die Gründung der Evangelischen Stadtkantorei. verlassen mussten, werden dankbar an das Ge-  Am Anfang stand eine Testaufführung zu Epi- schenk der Kirchenmusik zurückdenken.  phanias 1963 mit der Bachkantate Gelobet seist du,  Eine besondere Freude ist es mir, dass die Ar-  Jesu Christ und dem vierten Teil des Weihnachts- beit der Stadtkantorei nach meinem Weggang un-  oratoriums mit den Kirchenchören der Christus- geschmälert fortgeführt werden konnte. Meinen  und der Kreuzkirche und etlichen Helfern. Als beiden Nachfolgern dafür ein herzliches Danke-  diese gelang, wurden in drei Probenphasen mit schön! So sei am Schluss der Wunsch ausgespro-  einem interessierten Kreis die ersten drei Teile des chen, dass die Stadtkantorei und ihr Dienst wei-  Weihnachtsoratoriums erarbeitet. Ihre Aufführung ter unter dem Segen Gottes stehen mögen.  im Dezember 1963 war die eigentliche Geburts-  stunde der Evangelischen Stadtkantorei Bremer-  haven unter meiner Leitung. Es folgten 1964 in  einer Abendmusik in der Pauluskirche die Motet-  te Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf, 1965 die Friedrich Wandersleb    	7
GruSSworte    Grußworte sind schön und            Prof. Carsten Klomp        wichtig aber – so ganz unter                                                                  Freiburger Arbeit und damit die                                                                  dort von mir gegründeten Chöre  uns – eigentlich will sie niemand                               nach 17 Jahren abgegeben habe,  wirklich lesen (und schreiben                                   hatte ich nicht ein solches Verlust-  auch nicht unbedingt). Bei diesem                               gefühl wie 1995 nach 3 ½ Jahren  Grußwort verhält sich das etwas                                 als Leiter der Stadtkantorei.  anders. Vielleicht nicht unbedingt                              Liebe Sängerinnen und Sänger  bei Ihnen aber ganz bestimmt                                    der Stadtkantorei: Ich gratulie-  bei mir, denn auch wenn ich an-                                 re und danke Ihnen, dass Sie so  gesichts der Chor-Leitungszeiten                                ein toller, sympathischer und im  meines Vorgängers und meiner                                    wahrsten Sinne des Wortes unver-  Nachfolgerin nur eine Episode in                                gesslicher Chor sind.  der Leitung der Stadtkantorei war,                              Lieber Herr Wandersleb: Ich  so war die Leitung der Stadtkantorei wesentlich gratuliere Ihnen, dass Sie einen wunderbaren  mehr als eine Episode für mich. Die Stadtkanto- Chor gegründet und so lange geleitet haben und  rei war ›mein‹ erster großer Chor, das Ensemble, nun erleben dürfen, wie sich ›Ihre‹ Stadtkantorei  mit dem ich die ersten großen Werke komplett in 50 Jahren entwickelt hat.  eigenverantwortlich aufführen durfte, mit dem     Liebe Eva: Ich gratuliere Dir, dass Du den  ich zum ersten Mal herumexperimentieren durf- Chor zu einem Ensemble gemacht hast, das aus  te und aus dem heraus ich den Kammerchor und der Kulturszene Bremerhavens und der Region  – mittelbar durch Chorbekanntschaften – das nicht mehr wegzudenken ist.  Kammerorchester gründen konnte.                   Und mir gratuliere ich, dass ich meinen beruf-     Vor allem aber waren die Mitglieder der lichen Werdegang als hauptamtlicher Kirchen-  Stadtkantorei die Menschen, die mich damals als musiker mit der Bremerhavener Stadtkantorei  jungen Berufsanfänger wie eine (zugegebenerma- beginnen durfte – ich hätte mir keinen besseren  ßen ziemlich große) Familie empfangen haben, Start wünschen können.  mit denen mich Freundschaften verbunden ha-       Alles Gute für die nächsten 50 Jahre wünscht  ben, die den alleinstehenden jungen Mann zum Ihnen und Euch  Essen eingeladen haben, die die typischen Fehler  und Eigenarten des Berufsanfängers akzeptiert  haben, die ehrlich dankbar für die langjährige  Arbeit des Vorgängers und gleichzeitig neugierig  und freudig gespannt auf die Arbeit des Neuen  waren. Selbst als ich vor ein paar Monaten meine Carsten Klomp    Im Dezember 1967 probt Fried-       Kreiskantorin Eva Schad    rich Wandersleb mit 28 Sängerin-                                                                  risten überwiegend junge Leute                                                                  sind, nur wenige über 30 Jahre alt.  nen und 7 Sängern für einen Weih-                               Die Stadtkantorei besteht zu  nachtsgottesdienst (Bild auf der                                diesem Zeitpunkt seit vier Jahren.  nächsten Seite). Die Frauen tragen                              Während Friedrich Wanderslebs  (mit einer Ausnahme) Rock und                                   junger Chor Weihnachtsmotetten  Bluse, Dauerwelle oder zeittypisch                              übt, lauscht in Stuttgart die kleine  hochtoupierte Haare, die Männer                                 Eva, gerade mal fünf Monate alt, in  (wiederum mit einer Ausnahme)                                   der Wiege dem Geigenspiel ihrer  Anzug und Krawatte. Erst ein                                    Mutter. 1967 ist mein Geburtsjahr.  zweiter Blick auf das Schwarzweiß-                              Das Bild zeugt von einer ande-  Foto lässt erkennen, dass die Cho-                              ren Zeit und wirkt doch vertraut:    8
Ich erkenne ›meine‹ Christuskirche. Das hölzer-                                                                 GruSSworte  ne Notenpult, an dem mein Vorvorgänger steht,  ist auch heute noch bei jeder Chorprobe in Ge-      Wacker, die zweite von links in der ersten Reihe,  brauch. Und ich finde ein bekanntes Gesicht: Silke  ist seit nunmehr 50 Jahren Kantoreimitglied und                                                      hat als Leiterin der hiesigen Musikschule meinen                                                      Kindern einen ersten Zugang zur Musik eröffnet.    Abb. 1: Chorprobe mit Friedrich Wandersleb im Dezember 1967    Dies alles führt mir vor Augen, dass ich als Kan-   langjährigen Chormitglieds bis heute). Ich war  torin eine Tradition fortführe, die vor meinem      damals 28 Jahre jung und kam frisch vom Studi-  Geburtsjahr 1967 begonnen hat und seitdem           um. Die 29-jährige Weggefährtenschaft Wanders-  bruchlos fortbesteht. Noch heute singen in der      lebs mit seinem Chor schien mir unvorstellbar  Stadtkantorei Gründungsmitglieder, die als jun-     lang. Heute, 18 Jahre später, wird mir staunend  ge Menschen 1963 ihre Liebe zum Singen in den       bewusst, dass ich selbst bereits einen entscheiden-  neugegründeten Chor einbrachten, daneben aber       den Lebensabschnitt gemeinsam mit der Stadt-  auch Jugendliche, die, eben erst der musikali-      kantorei und ihren Sängerinnen und Sängern  schen Kinderarbeit entwachsen, nun auf einmal       verbracht habe, ja, dass ich beginne, meine eigene  bei Bachs h-Moll-Messe in der ersten Reihe stehen.  Zeit mit dem Chor nicht mehr in Jahren, sondern  Viele Kirchenchöre leiden an Überalterung –         in Jahrzehnten zu rechnen. Mit der Stadtkanto-  nicht so die Evangelische Stadtkantorei. Sie war    rei durfte ich nach meinem Studium alle großen  von Anbeginn ein generationenübergreifendes         chorsymphonischen Werke das erste Mal einstu-  Projekt und ist dies bis heute.                     dieren und aufführen. Aber auch nach knapp                                                      zwei Jahrzehnten habe ich meine persönliche Lis-      Als ich 1995 nach Bremerhaven kam, war          te der ›aufzuführenden Werke‹ noch immer nicht  mit meinem unmittelbaren Vorgänger, Carsten         vollständig abgearbeitet und bislang nur wenige  Klomp, der Generationenwechsel in der Chorlei-      Stücke wiederholt ins Programm genommen.  tung bereits vollzogen. Dennoch war Friedrich       Die Arbeit bleibt noch viele weitere Jahre span-  Wandersleb, der den Chor gegründet und fast         nend – für Chor und Dirigentin.  drei Jahrzehnte lang, von 1963 bis 1992, geleitet  hatte, als prägende Gestalt nach wie vor gegen-         In der Rückschau sehe ich, wie sich im letzten  wärtig (und ist dies in der Erinnerung manch        halben Jahrhundert die Rahmenbedingungen der    	9
GruSSworte                                               Der Erfolg der Evangelischen Stadtkantorei                                                       Bremerhaven hat viele Mütter und Väter, und es  Kirchenmusik verändert haben. So ist die kirchli-    kommen immer neue hinzu. Der Gründer der  che Kultur weniger selbstverständlich geworden,      Evangelischen Stadtkantorei, Friedrich Wanders-  während Öffentlichkeitsarbeit und Sponsoring in      leb, schuf in Bremerhaven die Voraussetzungen  den letzten zwei Jahrzehnten sehr an Bedeutung       für eine zukunftsträchtige Kirchenmusikpflege.  gewonnen haben. Wofür die Evangelische Stadt-        Zahlreiche ›stille‹ Helfer, übernehmen Woche für  kantorei dennoch seit fünfzig Jahren unverändert     Woche ehrenamtliche Dienste, allen voran den  steht, sagt programmatisch schon ihr Name: Als       Kantoreimitglieder Elke Harksen und Ute Gätje,  ›evangelischer‹ Chor lebt sie in den musikalischen   die sowohl den gesamten Karten- und Notenver-  Ausdrucksformen des christlichen Glaubens.           kauf durchführen oder überwachen als auch für  Als übergemeindliche ›Stadtkantorei‹ vertritt sie    die Verteilung von Plakaten und Handzetteln  andererseits die kirchliche Kultur inmitten der      sorgen. Kein Kantoreikonzert wäre möglich ohne  Vielstimmigkeit höchst unterschiedlicher Kultur-     die Führung der Abendkasse durch ehrenamtli-  und Freizeitangebote. Wenn die Stadtkantorei         che Helfer unserer Gemeinde und den Podestauf-  singt, dann hat dies tatsächlich Strahlkraft in die  und -abbau durch die Männer der Stadtkantorei –  Stadt hinein und bis weit ins Umland!                immer dabei: Jens Schoppenhauer, Klaus Fischer,                                                       Peter Wacker, Ulrich Krey und Friedrich Bremer.      Wer – wie viele Bremerhavener – neidvoll auf     Daniel Wandersleb schließlich ist es zu danken,  die großen Kulturstädte schaut, übersieht leicht     dass die Entwicklung des Chores fast lückenlos  die eigenen Vorzüge: Ein Erfolgsmodell wie die       durch Tonaufnahmen dokumentiert ist und ich  Evangelische Stadtkantorei funktioniert am bes-      jederzeit überprüfen kann, wie beispielsweise die  ten in einer Mittelstadt wie Bremerhaven, in der     Bach’sche h-Moll-Messe – unser Jubiläumswerk –  es eben nicht selbstverständlich ist, dass alljähr-  vor 11 Jahren bei ihrer ersten Aufführung unter  lich zur Adventszeit das Bach’sche Weihnachts       meiner Leitung geklungen hat.  oratorium dreißigmal erklingt (wie etwa in Ham-  burg), die aber dennoch das kulturelle Zentrum           Im Namen aller Sängerinnen und Sänger dan-  einer ganzen Region bildet. Es ist nicht zuletzt     ke ich den Mitarbeitern der Christuskirche, die  diese privilegierte Stellung, die mir den Freiraum   dem Chor seit fünfzig Jahren eine Heimat geben,  gibt, auch unbekannte oder seltener aufgeführte      dem Kirchenkreis Bremerhaven, dem ehemaligen  Werke ins Programm zu nehmen, ohne dass ich          Superintendenten Ernst Michael Ratschow und  fürchten müsste, die Stadtkantorei könnte in der     unserer jetzigen Superintendentin Susanne Wen-  Publikumsgunst sinken. Die Bremerhavener ha-         dorf - von Blumröder für ihre große Unterstüt-  ben in fünf Jahrzehnten gelernt: Sie werden – was    zung, den Sponsoren und Förderern unserer auf-  auch auf dem Programm steht – ein Konzert der        wendigen Oratorienkonzerte und nicht zuletzt  Evangelischen Stadtkantorei nie enttäuscht oder      den zahlreichen Zuhörern, die regelmäßig die  auch nur gelangweilt verlassen!                      Gottesdienste und Konzerte in unserer schönen                                                       Christuskirche besuchen.      Das vergangene Jahr 2012 war für die Sänge-  rinnen und Sänger der Stadtkantorei (und auch            Ob es auch in 50 weiteren Jahren noch eine  für mich persönlich) ein Jahr der Höhepunkte,        Chorleiterin (oder einen Chorleiter) der Evange-  allem voran die Open-Air-Konzerte mit der Car-       lischen Stadtkantorei Bremerhaven geben wird?  mina Burana im sonnigen Nordenham und im             Ich stelle mir vor, wie sie (oder er) am Grußwort  verregneten Bremerhaven sowie die Aufführung         zum 100-jährigen Bestehen des Chores arbeitet,  des War Requiems von Benjamin Britten zusam-         unsere Worte liest und die Bilder aus unserer Ge-  men mit dem Jugendchor der Christuskirche,           genwart betrachtet. Ich kann nur vermuten, als  dem Städtischen Orchester Bremerhaven und            was meine Kollegin aus der Zukunft sie wahrneh-  Generalmusikdirektor Stephan Tetzlaff. Doch          men und empfinden wird: als Zeugnisse einer an-  nicht allein an solchen Publikumserfolgen misst      deren Zeit und doch vertraut.  sich der Wert der Stadtkantorei, sondern auch am     Eva Schad  Gemeinschaftssinn, an der Motivation und an  der mitreißenden Musikalität der über hundert  Sängerinnen und Sänger, die Woche für Woche –  und darüber hinaus auch für manches Probenwo-  chenende – den Weg in die Christuskirche finden.    10
Musik ist der direkte Weg zur Seele                                                                                                                                     LeonhardBernstein    Seit 35 Jahren                              Unter anderem im Programm:                                               Spezielle Musikförderung von    heißt es bei uns: „Lernen mit Spaß und    Herz“                                      4 Monaten - 12 Jahren      fördern wir die Kreativität unserer                                 In der    Schüler/innen durch Komponieren von    eigenen Musikstücken.                                            Popular Music School      ist es unser Ziel, dass unsere                                      ein Band-Instrument erlernen    Schüler/innen lernen, Gedanken und    Gefühle musikalisch auszudrücken           Überschaubare Lerngruppen                                               Verschiedene musikalische Richtungen    lernen unsere Schüler durch das            Klassik, Rock, Pop, Funk, Jazz und Latin    gemeinsame Musikzieren sich emo-           Übungen zu zeitgemäßen Musikrichtungen    tional zu öffnen und empathischer und      Spieltechnische Ausbildung & Gehörbildung    aufmerksamer für Andere zu werden      gilt bei uns Qualität durch langjährige    Erfahrung und permanente Fortbildung      basiert unser erfolgreicher Musikunter-    richt auf stetiger Weiterentwicklung der    Unterrichtskonzepte      Lernen Sie uns kennen,    machen Sie mit!                                                Bürozeiten Mo-Fr von 12:00 bis 19:00 Uhr.                                                Vereinbaren Sie einen Probeunterricht, einen                                              Probemonat und entscheiden Sie sich dann                                              für einen der angebotenen Kurse.                                                                                            Silke Wacker                                                                                          Georgstraße 50-52                                                                                          27570 Bremerhaven                                                                                Tel.: (0471) 926 91 94                                                                              Fax: (03212) 1411 996                                                                                 E-Mail: [email protected]                                                                               www.musikschule-wacker.de    www.musikschule-wacker.de - www.musikschule-wacker.de - www.musikschule-wacker.de - www.musikschule-wacker.de
Chorleiter    Chorleiter    Im Jahre 1827 waren der Hafen und die Stadt             Das Zentrum einer anspruchsvollen kirchenmu-    Bremerhaven gegründet worden. Knapp zwei              sikalischen Chorarbeit war in der ersten Hälfte  Jahrzehnte später ließen sich südlich der Geeste        des 20. Jahrhunderts nicht die Christuskirche,  inmitten der kleinen Bauernsiedlung Geesten-            sondern die Dionysiuskirche in Lehe, wo zwi-  dorf etwa 3000 Neuansiedler nieder und errich-          schen 1925 und 1948 der ›Madrigalchor‹ unter der  teten den Hafen Geestemünde. Der so entstande-          Leitung von Otto Last (dem Vater des gegenwär-  nen Doppelgemeinde Geestendorf-Geestemünde              tigen Kantors Otto-Ernst Last) unter anderem das  diente die im Mittelalter errichtete Marienkirche       Mozart-Requiem (1946), die Bach’sche Matthäus-  als Gotteshaus. Es erwies sich aber bald, dass          passion (1947) und Haydns Schöpfung (1946/1947)  dieses für die wachsende Zahl an Gemeinde-              zu Gehör brachte. Der erste Kirchenmusiker an  mitgliedern viel zu klein war, und so wurde im          der Christuskirche, der die Amtsbezeichnung ei-  Jahre 1863 der Neubau einer Kirche beschlossen.         nes Kantors führte, war Erich Knorr. Über ihn  1868 wurde Baurat Hase mit der Planung betraut;         schreibt Hans Linder in seiner Kleine[n] Musikge-  bis zur Grundsteinlegung zog es sich noch bis           schichte Bremerhavens:  zum 19. Juli 1872 hin. Die Bauarbeiten nahmen           »Sein [Jan Martin Rademachers] Wirken setzte  reichlich drei Jahre in Anspruch, so dass am 14.        in den Jahren zwischen 1946 und 1956 Kantor  November 1875 die Einweihung gefeiert werden            Erich Knorr (geb. 1895) fort, der mit großer Tat-  konnte.                                                 kraft versuchte, wieder eine regelmäßige Folge  Seit ihrer Gründung haben insgesamt sieben Kir-         kirchenmusikalischer Veranstaltungen einzurich-  chenmusiker an der Christuskirche gewirkt:              ten.« (S. 10)    1875–1893:	 Lehrer Brinkmann                            Knorr gründete in den späten 40er Jahren des 20.  1893–1944:	 Johann Martin Rademacher                    Jahrhunderts einen Chor für konzertante Kir-  1944–1946:	 August Rademacher                           chenmusik. Die ›Bach-Kantorei‹ scheint jedoch  1946–1954:	 Kantor Erich Knorr                          nur für kurze Zeit Bestand gehabt zu haben; je-  1954–1992:	 Kantor Friedrich Wandersleb                 denfalls kam es nur zu einer einzigen, nicht mehr  1992–1995:	 Kantor Carsten Klomp                        datierbaren Aufführung des Bach’schen Weih-  seit 1995:	 Kantorin Eva Schad                          nachtsoratoriums.  Über eine Chorarbeit der drei ersten Musiker an  der Christuskirche, Lehrer Brinkmann, Johann                Sein Nachfolger als Kantor der Christuskir-  Martin Rademacher und August Rademacher,                che schließlich, Friedrich Wandersleb, widmete  ist nichts bekannt. Johann Martin Rademacher            die ersten Jahren seines Wirkens dem kirchenmu-  muss jedoch ein fähiger Organist gewesen sein.          sikalischen Gemeindeaufbau. Mit der Gründung  So weiß Riemanns Musiklexikon in der 10. Auf-           eines Kinderchores legte er das Fundament für  lage von 1922 zu berichten, er habe das gesamte         eine spätere Mitwirkung der von ihm ausgebild-  Orgelschaffen Johann Sebastian Bachs den Lieb-          ten Kinder und Jugendlichen in dem von ihm  habern der Orgelmusik in Zyklen von 20 Aben-            neu belebten Kirchenchor und später auch in der  den dargeboten:                                         Evangelischen Stadtkantorei. Über Wanderslebs                                                          Chorarbeit an der Christuskirche berichtet Hans                                                          Linder 1959:                                                            »An den hohen kirchlichen Festtagen kann man                                                          sich hier oft an der trefflichen Wiedergabe vor al-                                                          lem Schützscher Werke erfreuen.« (S. 10)    Abb. 2: Riemann-Musiklexikon, 10. Aufl., 1922, S. 1028  Oratorienkonzerte wurden in den 50er und                                                          frühen 60er Jahren durch die 1909 gegründe-                                                          te Bremerhavener Liedertafel bestritten. Unter    12
der Leitung von GMD Hans Kindler führte der                                                                     Chorleiter  Chor unter anderem die Bach’sche Johannespassi-  on (1951), das Mozart-Requiem (1955), den Messias  sierten Sängerinnen und Sängern aus verschie-  (1958) und die Carmina Burana (195/1957) sowie     denen Gemeinden die Möglichkeit geben sollte,  Werke von Hans Pfitzner, Heinrich Kaminski         Oratorien und große Kirchenmusik zu singen.  und Johannes Drießler auf. Die Konzerte fanden  zunächst in der Christuskirche, nach deren Wie-        Zu den geschichtlich gewachsenen Kuriositä-  deraufbau 1960 dann in der ›Großen Kirche‹ statt.  ten des kirchlichen Lebens in Bremerhaven gehört                                                     der Umstand, dass einzig die Bürgermeister-Smidt-      Dem Fehlen eines kirchlichen Oratorien-        Gedächtniskirche (›Große Kirche‹) der unierten  chores begegnete Friedrich Wandersleb mit der      Bremer Landeskirche, alle übrigen Gemeinden  Gründung der Evangelischen Stadtkantorei Bre-      jedoch der lutherischen Hannoverschen Landes-  merhaven im Jahre 1963. Als ›Fachberater für       kirche angehören. Ein Jahr nach der Gründung  Kirchenmusik der Kirchenkreise Bremerhaven         der Evangelischen Stadtkantorei Bremerhaven,  und Wesermünde-Süd‹ (ab 1979 ›Kreiskantor des      1964, rief Gerd Reinfeld, Kantor an St. Rember-  Kirchenkreises Bremerhaven‹) war Wandersleb        ti in Bremen, an der ›Großen Kirche‹ den Bach-  der erste Kirchenmusiker an der Christuskirche     Chor als Oratorienchor der Bremer Landeskirche  mit übergemeindlichem Dienstauftrag. Dement-       ins Leben. Seitdem bereichern beide Oratorien-  sprechend verstand sich die Stadtkantorei von      chöre das kulturelle Leben nicht nur Bremerha-  Anfang an als übergemeindlicher Chor für die       vens, sondern des gesamten Elbe-Weser-Dreiecks.  ganze Stadt Bremerhaven, der nicht mit kleineren   Im Folgenden werden die drei bisherigen Leiter  Gemeindechören konkurrieren, sondern interes-      der Evangelischen Stadtkantorei Bremerhaven                                                     kurz vorgestellt.               Abb. 3: Jubiläumskonzert am 14.12.2003; Bremerhavener Kirchenmusiker,  von links nach rechts: Eva Schad, Friedrich Wandersleb, Otto-Ernst Last und Dieter Conradi    Friedrich Wandersleb (Kreiskantor von 1954 bis 1992)  Friedrich Wandersleb wurde 1927 als Sohn      des Pastors Martin Wandersleb in Helmstedt     terricht bei der Braunschweiger Domorganistin                                                     Dr. Ellinor Dohrn. Kirchenmusikstudium an der  geboren. Nach gründlichem Klavierunterricht Musikhochschule Stuttgart von 1946 bis 1953. Do-  Orgelspiel, anfänglich autodidaktisch, dann Un- zenten unter anderen Hermann Keller, Johann    	13
Chorleiter                                         Christuskirche Bremerhaven und Kreisfachbera-                                                     ter für Kirchenmusik (Kreiskantor) für die Kir-  Nepomuk David und Hans Grischkat. Kirchen-         chenkreise Bremerhaven und Wesermünde-Süd.  musik-A-Prüfung 1950. Erste nebenamtliche Kir-  chenmusikerstelle an der Matthäuskirche Stutt-         1954 Gründung des Kirchenchores der Chris-  gart von 1949 bis 1953. Danach ein Jahr Kantor     tuskirche. 1963 Gründung der Evangelischen Stadt-  und Organist an St. Lamberti Hildesheim. Vom       kantorei Bremerhaven. Seit 1992 im Ruhestand.  1. August 1954 an Kantor und Organist an der                            Abb. 4: Abschiedsfeier für Friedrich Wandersleb 1992        Prof. Carsten Klomp (Kreiskantor von 1992 bis 1995)  Carsten Klomp, geb. 1965, studierte Schulmu-        sik, Kirchenmusik und Klavier an der Musik-  torei‹ und das ›Herdermer Vokalensemble‹. Seit                                                     2006 leitet er das von ihm gegründete Haus der  hochschule Detmold sowie Germanistik an der Kirchenmusik in Schloss Beuggen.  Universität Bielefeld.                             Im November 2000 erfolgte seine Ernennung      Von 1986 bis 1992 war er Kirchenmusiker an zum Professor für Liturgisches Orgelspiel an der  der Herdecker Stiftskirche, danach Kreiskantor Musikhochschule Freiburg; zum Wintersemester  an der Christuskirche Bremerhaven. Von 1995 bis 2012/13 wurde er zum Professor für Künstleri-  2012 wirkte er als Landes- und Bezirkskantor für sches Orgelspiel an der Heidelberger Hochschule  Südbaden und Freiburg an der Freiburger Lud- für Kirchenmusik berufen.  wigskirche. Hier gründete er die ›Freiburger Kan-                            Eva Schad (Kreiskantorin seit 1995)  Eva Froebe-Schad, geb. 1967 in Stuttgart, stu-       dierte Evangelische Kirchenmusik (A) sowie    1995 ist sie Kreiskantorin des Kirchenkreises                                                     Bremerhaven. In dieser Eigenschaft leitet sie die  Orgel und Cembalo (Konzertexamen) in Stutt- Evangelische Stadtkantorei, den Bremerhavener  gart (Jon Laukvik), Hamburg (Wolfgang Zerer) Kammerchor, mehrere Kinder- und Jugendchöre  und Wien (Michael Radulescu). 1992 gewann sie sowie das Bremerhavener Kammerorchester. Da-  den 1. Preis im Internationalen Orgelwettbewerb neben konzertiert sie als Organistin und Cemba-  ›Johann Sebastian Bach‹, Luzern. Seit Oktober listin.    14
Chorleiter    Die Jahre unter Friedrich Wanderslebs Lei-       te das uns nun schon bekannte Procedere ein.        tung waren nicht nur für die Kantorei      Und wieder hatten wir das richtige Gespür für  und für Bremerhaven, sondern auch für mich       den fähigsten Kandidaten, pardon, die fähigs-  selbst sehr prägend. Wie viel konnten wir von    te Kandidatin. Gespannt und erwartungsfroh  ihm und seinem umfassenden Wissen lernen!        sahen wir der ersten gemeinsamen Chorpro-  Sicherlich ist auch der gute Geist im Chor       be entgegen. Wie würde es wohl werden mit  zum großen Teil auf seine Persönlichkeit und     einer Frau? Doch die neue Chorleiterin ließ  sein Vorbild des gelebten Glaubens zurückzu-     auf sich warten. Erkrankt! Leichte Zweifel  führen. Daher war ich richtiggehend traurig,     wurden schon in unseren Reihen laut. Doch  als wir ihn 1992 in den Ruhestand verabschie-    kaum war die Neue da, startete sie auch schon  den mussten. Zum letzten Mal dirigierte er       so richtig durch. Es dauerte nicht lange und  am 22. März die Bach’sche Johannespassion.       wir erkannten: Etwas Besseres als Eva Schad  Ein paar Tage später organisierte die Kantorei   hätte uns nicht widerfahren können! Als  für ihn eine kleine Feier. Nur ungern ließ ich   Energiebündel mit viel Temperament, leicht  mich überreden, dazu für ihn ein Abschieds-      schwäbelndem Charme, erstaunlichem Elan  lied zu verfassen, das von seinen liebenswer-    und Ideenreichtum mischte sie nicht nur un-  ten kleinen ›Schwächen‹ handeln sollte.          seren Chor auf, sondern binnen kurzem auch                                                   die musikalisch-kulturelle Szene der Stadt      Eine lange Ära war zu Ende gegangen.         Bremerhaven insgesamt.  Die Fußstapfen, die Friedrich Wandersleb  hinterlassen hatte, waren groß. Wer würde            Mittlerweile ist Eva Schad auch schon im  hineinpassen? Mit Spannung verfolgten wir        achtzehnten Jahr bei uns. Manche aus der  das Ausschreibungsverfahren für die Nach-        Kantorei haben gar keine andere Chorlei-  folge. Die Bewerber, die in die engere Wahl      tung kennen gelernt. Das fiel mir schon beim  gekommen waren, stellten sich uns im Rah-        40-jährigen Chorjubiläum auf, als wir sie ver-  men einer Chorprobe vor, denn wir hatten         eint mit ihren beiden Amtsvorgängern bei der  ein Mitspracherecht bei der Neubesetzung         Aufführung des Bach’schen Weihnachtsoratori-  der Kantorenstelle. Ich sehe die Kandidaten      ums erleben durften. Bei uns Älteren war die  noch vor meinem geistigen Auge und entsin-       Wiedersehensfreude groß, doch begegneten  ne mich, dass einer gleich hervorstach, dem      nicht wenige der Sängerinnen und Sänger  der Ruf als Improvisationstalent an der Orgel    den früheren Leitern des Chores zum ersten  schon vorausgeeilt war: Carsten Klomp. Mit       Mal. Dies zeigt aber auch: Über Nachwuchs-  großer Mehrheit wurde er gewählt. Ein Ge-        mangel haben wir (nicht zuletzt dank Frau  nerationenwechsel. Flott und schwungvoll         Schads strategischer Kinder- und Jugendchor-  nahm er seine Arbeit bei uns auf und brachte     arbeit) nicht zu klagen. Und erfreulicherweise  frischen Wind. Dieser wehte alsbald einige       stellen sich immer wieder – meist im Nach-  ›Altgediente‹ aus unseren Reihen hinaus, sog     klang eines Konzertes – Musikbegeisterte aus  im Gegenzug aber auch neue Sängerinnen           Nah und Fern zum Vorsingen ein.  und Sänger an. So blieb auch unter ihm das  ausgewogene Verhältnis zwischen älteren und          Ich gratuliere der jetzigen Leiterin der  jüngeren Stimmen erhalten, das immer schon       Stadtkantorei und ihren Amtsvorgängern,  den spezifischen Klang unserer Kantorei aus-     insbesondere dem Chorgründer Friedrich  machte.                                          Wandersleb, von ganzem Herzen zum 50-jäh-                                                   rigen Bestehen ›ihres‹ Chores. Möge Eva      Leider sollte Carsten Klomp uns und der      Schad uns noch lange hier erhalten bleiben  Stadt Bremerhaven schon bald wieder den          und möge sie ihre schier unerschöpflich schei-  Rücken kehren, denn neue Aufgaben lockten        nende Energie, Willenskraft und mitreißende  ihn nach Freiburg. So hieß es nach gut drei      Freude an der Arbeit nicht verlieren!  Jahren ein weiteres Mal: Kreiskantor und Lei-    Marita Westphal-Blome  ter für die Stadtkantorei gesucht! Wieder setz-    	15
KonzertE    Konzerte 1963 – 2  013        Advent – Weihnachten        Johann Sebastian Bach: Weihnachtsoratorium                  Am 14. Dezember 1963 kündigt die Nord-                                          seezeitung in einem kurzen Artikel »Bachs                                    Weihnachts-Oratorium in der Christuskirche«                                    an: »Für diese Aufführung wurde ein Auswahl-                                    chor gebildet, der mit diesem Werk erstmals an                                    die Öffentlichkeit tritt und seine Arbeit als ›Evan-                                    gelische Stadtkantorei Bremerhaven‹ fortsetzen                                    wird.« (Abb. 5) Die Proben fanden bis zum Bau                                    des heutigen Gemeindehauses im Jahr 1975 in ei-                                    nem Saal statt, der zu dem heute noch bestehen-                                    den Pfarrhaus in der Schillerstraße 3 gehörte.                                           Mit Bachs Weihnachtsoratorium hat das musi-                                    kalische Leben der Evangelischen Stadtkantorei                                    Bremerhaven begonnen. Und das Weihnachtsora                                    torium ist das von ihr am häufigsten aufgeführte                                    Oratorium: Elfmal ist es in 50 Jahren erklungen,                                    davon zweimal vollständig mit allen sechs Kanta-                                    ten. Eine Aufführung aller sechs Teile an einem                                    Tag wurde in den Anfangsjahren der Kantorei                                    noch als Herausforderung für die Aufnahmefä-                                    higkeit der Zuhörer empfunden. In einer Ankün-                                    digung der Aufführung vom 16. Dezember 1969                                    schrieb Kantor Friedrich Wandersleb im ›Geeste-                                    münder Gemeindeboten‹:                                                  »… sollen in diesem Jahr, wohl zum ersten Mal,                                                alle sechs Teile an einem Abend erklingen. Um                                                die Hörer nicht zu überfordern, sind allerdings                                                innerhalb der Teile Kürzungen vorgesehen. Nicht                                                an den Chorsätzen, denn gerade die große Schön-                                                heit der bisher nicht aufgeführten Choräle und                                                Choralsätze hat den Wunsch nach einer Gesamt-                                                aufführung ausgelöst.«        Abb. 5: J. S. Bach, Weihnachtsoratorium,  Es ist diesen Worten anzumerken, wie schwer       Konzertankündigung vom 14.12.1963        Friedrich Wandersleb die Kürzungen an einigen                                                Arien gefallen sein müssen.                                                      Für die zweite Gesamtaufführung 30 Jahre                                                danach, am 17. Dezember 2000, verteilte Kanto-                                                rin Eva Schad die Kantaten 1–3 und 4–6 auf den                                                späten Nachmittag und den Abend, dazwischen                                                gab es einen Imbiss im Gemeindehaus.    16
KonzertE                                     Abb. 6: Einladung Friedrich Wanderslebs zur Aufführung                                      des Weihnachtsoratoriums von J. S. Bach am 15.12.1963    	17
KonzertE                                                      Abb. 7: Plakat zur Aufführung                                      des Weihnachtsoratoriums von J. S. Bach am 15.12.1963  18
KonzertE    An die Aufführung des Bach’schen Weih                Natürlich habe ich mir dann auch das       nachtsoratoriums vor 50 Jahren erinnere      Konzert am 14. Dezember 1963 angehört.  ich mich noch sehr gut. Am deutlichsten aber      Nun war die Kirche voller Menschen, hell  habe ich die Generalprobe vor Augen: Die          erleuchtet, und eine gespannte Erwartungs-  Wirkung der Musik, das Staunen über den           haltung der Besucher war zu spüren – und  Klang der Trompeten, die Atmosphäre in der        ich wartete auf den Eingangschor. Ich woll-  fast dunklen Christuskirche sind ganz fest in     te eigentlich nur »Jauchzet, frohlocket« samt  meiner Erinnerung geblieben.                      Pauken und Trompeten hören. Aber ich hörte                                                    das ganze Weihnachtsoratorium, die Kantaten      Ich war 14 Jahre alt und sang im Schulchor    1 bis 3, auch die Arien! Daran kann ich mich  der Surheider Schule, den unsere junge Mu-        nun wieder sehr gut erinnern, denn die Arien  siklehrerin Inge Drescher leitete. Sie erzählte   erforderten viel Geduld – und die hatte ich  uns voller Begeisterung von ›ihrem‹ Chor, der     damals nicht. Aber ich habe durchgehalten!  Evangelischen Stadtkantorei Bremerhaven  und lud uns ein, bei der Generalprobe in der          Jedes Jahr in der Weihnachtszeit wartete  Christuskirche zuzuhören. Da der Eintritt         ich auf die Aufführung des Weihnachtsoratori  nichts kostete (Taschengeld war zu jener Zeit     ums, aber es wurde nicht jedes Jahr gesungen.  äußerst knapp), machte ich mich auf den Weg.      Später dann gehörte in unsere Plattensamm-                                                    lung sehr schnell das Weihnachtsoratorium.      Das Weihnachtsoratorium kannte ich nicht,  hatte es noch nie gehört. Damals gab es in            Mein Mann und ich haben viele Konzerte  meiner Familie noch kein Fernsehgerät, mei-       der Kantorei besucht. 1991 trat mein Mann in  ne großen Brüder hatten zwar eine ›Musik-         die Kantorei ein, 1992 unsere Tochter Annet-  truhe‹ mit einem Schallplattenspieler, hörten     te, und im Januar 1996 kamen auch unsere  aber ganz andere Musik.                           Tochter Lena und ich hinzu. So sang nun die                                                    ganze Familie in der Evangelischen Stadtkan-      So saß ich nun in dem hohen, schwach          torei. Wir haben zweimal das Weihnachtsora  erleuchteten Kirchenschiff der Christuskirche     torium zusammen gesungen und als Familie  mit einigen anderen Zuhörern. Es war abso-        die Reisen nach Skandinavien und Mallorca  lut still. Vorn im Altarraum stand der Chor,      mitgemacht, zu dritt die Reise durch Polen  Herr Wandersleb dirigierte.                       und zuletzt auch die Jubiläumsfahrt in die                                                    Normandie.      Und dann begann die Musik, der Ein-  gangschor »Jauchzet, frohlocket, auf, preiset         Die wunderbare Musik, die vielfältige  die Tage« erklang. Solch eine Musik hatte ich     Chorliteratur und die gute Chorgemeinschaft  bisher noch nie gehört: diese schmetternden       in der Kantorei möchte ich nicht mehr mis-  Trompeten, die Pauken und der Chor – ich          sen. Der Freitagabend gehört dem Chor.  war ergriffen und überwältigt! Zu meinem          Edith Haisch  großen Glück wurde der Eingangschor mehr-  fach geprobt.    Von Anfang an berichtete die Nordseezeitung in    später Musiklehrer. Beide begleiteten die Auf-  ausführlichen und bebilderten Vorankündigun-      führungen der Stadtkantorei mit fachkundigen  gen sowie in Rezensionen über die Aufführun-      Kritiken, wobei letzterer mit lobenden Worten in  gen der Evangelischen Stadtkantorei. Über viele   der Regel ein bisschen sparsamer war als ersterer.  Jahre hinweg waren es zwei Rezensenten, die sich  die Berichterstattung über musikalische Ereig-        Mit der Aufführung der Kantaten 1–3 des Weih  nisse in Bremerhaven teilten: Werner Steinmeier,  nachtsoratoriums am 17. Dezember 1995 – noch  ehemals Kapellmeister am hiesigen Stadttheater,   von ihrem Vorgänger Carsten Klomp geplant  später Musiklehrer an verschiedenen Schulen,      – gab Eva Schad ihren musikalischen Einstand  und Hans Linder, ebenfalls Kapellmeister und      als Leiterin der Stadtkantorei. In der Nordsee-                                                    zeitung lobte Hans Linder die neue Kantorin:    	19
KonzertE        Abb. 8: J. S. Bach, Weihnachtsoratorium, 17.12.1995; Rezension von Hans Linder in der NZ (Auszug)    Im Gemeindebrief der Christuskirche von Febru-                   Der Chor konnte seine beiden ehemaligen Leiter,  rar / März 1996 brachte Bettina Praßler-Kröncke,                 Friedrich Wandersleb und Carsten Klomp, und  damals Pastorin der Christuskirche, ihre solidari-               seine jetzige Leiterin Eva Schad jeweils in einer  sche Freude zum Ausdruck:                                        der drei Kantaten des Weihnachtsoratoriums erle-  »Zum ersten Mal stand eine Frau am Dirigenten-                   ben (Abb. 9 & 10).  pult in der Christuskirche und gab den Takt an.  Es war ein ausdrucksvolles und erfrischend tem-                      Herr Fischer, langjähriger Pastor der Chris-  poreiches Konzert.«                                              tuskirche und stimmführendes Chormitglied seit  Anlässlich der 40-Jahr-Feier erklang das Werk                    Jahrzehnten, schrieb in der damaligen Festschrift:  am 14. Dezember 2003, fast auf den Tag genau                     »Ihnen gilt der Dank aller Sängerinnen und Sän-  40 Jahre nach dem Konzertdebüt der Kantorei.                     ger, der ehemaligen wie der jetzigen. Wir haben                                                                   uns von ihnen musikalisch ›in die Obhut genom-                                                                   men‹ gefühlt in gleicher Weise, wie ein Schrift-     40                                       Evangelische Stadtkantorei Bremerhaven        Jahre                                 Ev.-Luth. Christuskirche Bremerhaven · Schillerstraße 1    3. ADVENT                                 SONNTAG, DEN 14. DEZEMBER 2003    10.00 Uhr                                 Festgottesdienst mit weihnachtlicher Chormusik                                              Im Anschluß an den Gottesdienst wird zum Jubiläumsempfang in den Gemeindesaal geladen    17.00 Uhr                                 J.S. Bach: Weihnachtsoratorium                         ‹ Karten             Es dirigieren die Kantoren der Christuskirche aus drei Generationen    1. Kategorie: € 15,– ( 13,50)    2. Kategorie: € 12,– (10,50)            Friedrich Wandersleb   Carsten Klomp     Eva Schad                                    Eva Schad    3. Kategorie: € 9,– ( 7,– )                     (1963 - 1992)     (1992 - 1995)                                                (seit 1995)         sichtbeh.: € 4,–                     Sopran: Johanna Spörk · Alt: Sibylle Fischer · Tenor: Tilman Kögel · Baß: Ralf Grobe                                            Bremerhavener Kammerorchester · Bläser des Städtischen Orchesters Bremerhaven   Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre:                                            Mit freundlicher Unterstützung der Waldemar Koch Stiftung               € 5,– / 4,– / 3,– / 1,–                   ‹ Vorverkauf            Musikhaus Steiner (Tel. 471 64)  Ticket-Shop der NZ (Obere Bürger 48)              Tourist-Info (Obere Bürger 17)    Buchhandlung Hübener (Tel. 321 45)              Abb. 9: J. S. Bach, Weihnachtsoratorium, 14.12.2003; Plakat des Jubiläumskonzerts    20
KonzertE          Abb. 10: J. S. Bach, Weihnachtsoratorium, 14.12.2003; Friedrich Wandersleb, Carsten Klomp, Eva Schad                Abb. 11: J. S. Bach, Weihnachtsoratorium, 19.12.2010 mit den Kinderchören der Christuskirche  	21
KonzertE                                              chael Gusenbauer gekürzten und kommentierten                                                        Fassung auch einigen älteren Menschen eher zu-  steller unserer Tage, Maarten ’t Hart in seinem       sagen als die übliche 90 Minuten.  Buch Bach und ich, seine Nähe zu J. S. Bach be-  schreibt: ›… der mich als Kind mit der Bearbei-           Gefragt sind die Kinderchöre der Christus-  tung Wohl mir, dass ich Jesum habe in seine Obhut     kirche jedoch nicht allein als Zuhörer: Ihren Ein-  genommen hat.‹«                                       stand als Chorpartner der Stadtkantorei gaben sie  2010 stellte Eva Schad der ›eigentlichen‹ Auffüh-     1999 in der Aufführung der Bach’schen Matthäus  rung des Weihnachtsoratoriums erstmals Bachs          passion. Seitdem dürfen Kinder ab der 3.  Klasse  Weihnachtoratorium für Kinder voran. Für jugend-      auch das Weihnachtsoratorium mitsingen, und  liches Publikum hatte sie in langjähriger Auf-        zwar sämtliche Choräle aller Kantaten. Mit ih-  bauarbeit gesorgt, umfassten ihre Kinder- und         ren hellen Stimmen und weißen Blusen stechen  Jugendchöre doch zu dieser Zeit bereits über 70       sie – klanglich wie optisch – erfrischend aus der  Kinder im Alter von 4 bis 20 Jahren. Es stellte sich  Menge der schwarz gekleideten Chordamen und  zudem heraus, dass die 45 Minuten der von Mi-         -herren der Kantorei heraus (Abb. 11).                                                  Weihnachtskonzerte                                                  Friedrich Wandersleb      	 15. Dezember 1963	 J. S. Bach: Weihnachtsoratorium, Kantaten 1–3      	 16. Dezember 1965	 J. S. Bach: Weihnachtsoratorium, Kantaten 1–3      	 16. Dezember 1969	 J. S. Bach: Weihnachtsoratorium, Kantaten 1–6      	 17. Dezember 1972	 Heinrich Schütz: Historia von der Geburt Christi      	 16. Dezember 1974	 J. S. Bach: Weihnachtsoratorium, Kantaten 1–3      	 13. Dezember 1982	 J. S. Bach: Weihnachtsoratorium, Kantaten 4–6      	 18. Dezember 1987	 J. S. Bach: Weihnachtsoratorium, Kantaten 4–6                                                         Eva Schad      	 17. Dezember 1995	 J. S. Bach: Weihnachtsoratorium, Kantaten 1–3      	 17. Dezember 2000	 J. S. Bach: Weihnachtsoratorium, Kantaten 1–6                                              Wandersleb / Klomp / Schad      	 14. Dezember 2003	 J. S. Bach: Weihnachtsoratorium, Kantaten 1–3                                                                 (Jubiläumskonzert zum 40-jährigen Bestehen)                                                         Eva Schad      	 5. Dezember 2004	 Benjamin Britten: Saint Nicolas      		 Felix Mendelssohn Bartholdy: Kantate                                                                 Vom Himmel hoch, da komm ich her      	 25. Dezember 2005	 J. S. Bach: Weihnachtsoratorium, Kantate 5                                                                 (Rundfunkgottesdienst)      	 23. Dezember 2007	 J. S. Bach: Weihnachtsoratorium, Kantaten 1–3      	 19. Dezember 2010	 J. S. Bach: Weihnachtsoratorium, Kantaten 1–3      	 4. Dezember 2011	 Friedrich Kiel: Der Stern von Bethlehem      	 22. Dezember 2013	 J. S. Bach: Weihnachtsoratorium, Kantaten 1–3    22
KonzertE    Schütz – Kiel – Rutter – Britten – Mendelssohn    Als weihnachtliche Komposition aus der Zeit vor         Gewissermaßen als Vorgänger Rutters in  J. S. Bach wurde am 17. Dezember 1972 die His      punkto ›Einsatz von Kinderchören in Oratori-  toria von der Geburt Christi von Heinrich Schütz    enliteratur‹ kann Benjamin Britten gelten. Er  durch die Kantorei gesungen.                        stellt in seiner Adventskantate Saint Nicolas der                                                      Kantorei ebenfalls einen Jugendchor zur Seite,      Einer späteren Zeit entstammt dagegen die       der gemeinsam mit der Orgel von der Empore  große Weihnachtskantate Der Stern von Bethlehem     herunterschallt. Brittens Oratorium erklang am  des Romantikers und Mendelssohn-Zeitgenossen        5. Dezember 2004 zusammen mit der romanti-  Friedrich Kiel. Sie wurde am 4. Dezember 2011       schen Weihnachtskantate Vom Himmel hoch von  gemeinsam mit John Rutters Mass of the Child       Felix Mendelssohn Bartholdy.  ren aufgeführt, in der die Jugendchöre neben der  Kantorei eine zentrale Rolle einnahmen.                                                  Passion  Bereits bei der ersten Aufführung der Matthäus       passion von J. S. Bach durch die Evangelische  Stadtkantorei im Jahr 1967 wurden die Choral-  melodien im Eingangschor (»O Lamm Gottes«)  und im Schlusschor des ersten Teils (»O Mensch,  bewein«) durch einen Kinderchor gesungen  (Abb.  12). Übernahmen damals noch Schülerin-  nen und Schüler der Wilhelm-Busch-Schule diese  Aufgabe, zu deren Proben Friedrich Wandersleb  mit dem Fahrrad fuhr, so konnte er sich für die  zweite Aufführung der Matthäuspassion im Jahr  1977 bereits auf die im Jahr zuvor gegründete  ›Kurrende‹ der Christuskirche stützen.  Dazu schrieb er im November 1981 im Ge-  meindebrief: »War es bis dahin (1976) mehr eine  offene Singgruppe gewesen, so wurde jetzt eine  geregelte Chorarbeit daraus.«  Diese Arbeit hat Eva Schad bei ihrem Dienst-  beginn engagiert aufgenommen und zu einer  neuen Blüte gebracht. Zwar verlor sich der Name  ›Kurrende‹. Die Kinder- und Jugendchöre glänzen  jedoch – wie seinerzeit die Kurrende mit Werken  von Carl Orff und Benjamin Britten – neben der      Abb. 12: Plakat zur Aufführung der Matthäuspassion  Mitwirkung in Gottesdiensten heute mit fröh-        von J. S. Bach am 19.3.1967    lichen und gelungenen Aufführungen von Kin-  der-Musicals zu biblischen und nichtbiblischen »Die Stadtkantorei mit ihren angeschlossenen  Texten. Die für die Aufführung von Brittens Kin- Chören (Kurrende, Kirchenchor, Jugendchor)  deroper Noahs Flut im Jahr 1983 genähten schwar- war schon immer ein musikalisch zuverlässiger  zen Kurrende-Kostüme sind noch heute in Ge- und stimmlich ausgeglichener Vokalkörper mit  brauch. Viele jugendliche Sängerinnen sind aus erfreulich vielen Jugendlichen.«  der Kinderchorarbeit in die Kantorei ›hineinge-  wachsen‹. Dass dieses auch in der musikalischen Sechsmal hat die Kantorei Bachs Matthäuspassion  Öffentlichkeit wahrgenommen wird, ist in der aufgeführt, zuerst jeweils in einem zeitlichen Ab-  Kritik von Werner Steinmeier zur oben erwähn- stand von etwa zehn Jahren, dann zuletzt 2007  ten Aufführung der Matthäuspassion zu lesen:        und 2011. Für die Chormitglieder, die seit länge-    	23
KonzertE                                             Abb. 13: J. S. Bach, Matthäuspassion, 28.3.1999;                                            Rezension von Dieter Strohmeyer in der NZ  24
rer Zeit mitsingen, ist es eine interessante und                                                                                          KonzertE  bereichernde Erfahrung, das Werk unter jeweils  anderer Leitung in verschiedener stilistischer                           waren auch Friedrich Wanderslebs Aufführun-  Auffassung kennengelernt zu haben.                                       gen der Matthäuspassion keineswegs von »Orato-                                                                           rienfeierlichkeit und aufwühlendem Sängerpa-      Es lässt einen heute bisweilen schmunzeln,                           thos« bestimmt; vielmehr gibt Strohmeyer seine  wie die Rezensenten der 90er Jahre versuchten,                           Referenz selbst an: die Aufnahmen unter Otto  die ihnen zunächst fremde ›historisch informier-                         Klemperer und Karl Richter aus den 50er und  te‹ Aufführungspraxis zu beschreiben, die in allen                       60er Jahren.  größeren kirchenmusikalischen Zentren längst  etabliert war. Man lese nur Dieter Strohmeyers                               Bei Eibe Meiners, übrigens selbst Kantorei-  Kritik der Aufführung vom 28. März 1999 unter                            mitglied, hat sich das Hörverhalten schon ein-  der Leitung von Eva Schad (Abb. 13)! Allerdings                          deutig dem heutigen Geschmack angeglichen. So                                                                           schreibt er zur Aufführung am 10. April 2011:    14 Ȋ LOKALE KULTUR                                                                                            Dienstag, 12. April 2011    Fesselnd Donner und Hölle beschworen    Eva Schad und ihre Chöre bieten eine fesselnde Aufführung von Bachs Matthäuspassion    VON EIBE MEINERS                   kennen. Großartig erfasst Con-        chester überzeugte mit Durch-           Mit Urgewalt riefen die Choris-  BREMERHAVEN. Eindringlicher als    naire die Tragik der Figur. Don-      sichtigkeit und gestalterischer Ge-  ten die Naturgewalten gegen den  mit Johann Sebastian Bachs Mat-    nernd lässt er Petrus sich selbst     nauigkeit. Ihre historischen In-     Verräter Judas an. Jeder Einsatz  thäuspassion kann man den Sinn     verfluchen, ehe er schwört, dass      strumente klangen gedämpfter als     ein Blitz, aus den Bässen gurgelte  der Passionszeit kaum vermitteln.  er Jesus nicht kennt. Dann wird       bei modernen Orchestern – be-        der Donner, mit schneidenden  Für die Aufführung in der Chris-   dem Apostelchef sein Scheitern        sonders schön der samtige, intime    Achteln wurde der Abgrund der  tuskirche gilt dies in besonderem  bewusst. „Und ging heraus und         Klang der alten Querflöten und       Hölle beschworen. Im Wechsel  Maße. Kantorin Eva Schad hatte     weinte bitterlich“: Connaires         die trübseidigen Töne der Gambe.     schmetterten Kantorei und Kam-  mit Mikel Connaire einen Tenor-    Stimme ist nun ein leises Win-                                             merchor „zertrümmre“, „verder-  Löwen für die Rolle des Evange-    seln, sie versiegt, er haucht Petrus     Für die chorische Gestaltung      be“, „verschlinge“, „zerschelle“  listen gefunden. Er nutzte die     aus dem Oratorium ins Nichts.         hatte Eva Schad Stadtkantorei,       und droschen ein auf „den fal-  Freiräume der Rezitative, um die                                         Kammerchor sowie Kinder- und         schen Verräter“. Judas konnte ei-  Höhepunkte seiner Erzählung           Im Bass Sebastian Noack ging       Jugendchöre aufgeboten – fast das    nem leidtun.  wortdeutlich und mit hoher Ge-     ein wuchtiger Jesus den Leidens-      komplette Vokalaufgebot der Ge-  staltungsvielfalt auszukosten.     weg. Tanja Aspelmeyer mit leuch-      meinde. Eindrucksvoll verlieh           Trostvoll dann später der Grab-                                     tendem Sopran, der Bassist Ralf       dieses Kollektiv trauernden Gläu-    gesang für Jesus – da hatte Eva     Da ist etwa Petrus, der groß-   Grobe und Altistin Julie Compa-       bigen, panischen Schriftgelehr-      Schad mit ihren Ensembles die  spurig verkündet hat, er werde     rini komplettierten die Solisten-     ten, übermütigen Spöttern und        ganze Bandbreite des Werks be-  sich immer zu seinem Herrn be-     riege. Das Hamburger Barockor-        aufgehetztem Pöbel die Stimme.       eindruckend abgeschritten.    Abb. 14: J. S. Bach, Matthäuspassion, 10.4.2011; Rezension von Eibe Meiners in der NZ    Die zweite uns erhaltene Passionsvertonung von                           onsgottesdienst am Sonntag Palmarum 1992 von  J. S. Bach, die Johannespassion, ist fünf Mal von                        der Kantorei und der Gemeinde verabschiedet  der Kantorei und einmal vom Bremerhavener                                hat.  Kammerchor aufgeführt worden. Für die Kanto-  rei besonders eindrücklich war die Aufführung,                               In einer Würdigung des Wirkens von Fried-  mit der sich Friedrich Wandersleb in einem Passi-                        rich Wandersleb schrieb Hans Linder am 21.                                                                           März 1992 in der Nordseezeitung:                  Abb. 15: Würdigung Friedrich Wanderslebs in der NZ vom 21.3.1992 durch Hans Linder  	25
KonzertE        Besonders tief in mein Gedächtnis einge-        der Einfachheit halber allesamt die Altstim-           prägt hat sich mein erstes Konzert mit     me aus Chor I. Nach geraumer Zeit hatten      der Stadtkantorei: die Matthäuspassion von      wir die Choräle und Chorstücke durchgear-      Johann Sebastian Bach im März 1977. Zwar        beitet und konnten in die Gesamtproben mit      hatte ich schon seit Kindertagen in Schul- und  der Kantorei integriert werden. Ein wenig      Kirchenchören gesungen, aber als Teil eines     beklommen fühlte ich mich zunächst schon.      solchen ›großen‹ Chores mit berufsmäßigem       Würde ich den Ansprüchen genügen? Aber      Orchester und Profi-Sängern zusammen auf-       das gute Miteinander, die gemeinschaftliche      zutreten, war für mich damals etwas Gewal-      Freude an der Musik und nicht zuletzt die      tiges. Ich weiß noch heute, wie beeindruckt     Probenwochenenden in Drangstedt ließen      ich war angesichts der voll besetzten Kirchen-  recht bald die Dämme brechen.      bänke: Wie warm mir war vor Aufregung –      Nervenkitzel und Gänsehautgefühl pur! Da            Zugleich mit den Noten drang ich auch      stand ich nun mit weißer Bluse und schwar-      immer tiefer in die Worte des Evangeliums      zem langen Rock – der damaligen Chorklei-       ein. Derart plastisch und hautnah wie beim      dung – und war nicht nur nervös, sondern        Mitsingen in der Matthäuspassion hatte ich die      auch ein bisschen stolz, hier mit dabei zu      Passionsgeschichte nie zuvor erlebt. Es ist mir      sein zu dürfen. Als die Töne des Orchesters     noch heute gegenwärtig, wie beim Schluss      erklangen und wir mit einstimmten, schmolz      chor ein Kloß in meinem Hals dicker und di-      ich förmlich dahin. Texte und Noten konnte      cker wurde, meine Stimme ersticken ließ, und      ich auswendig, hatten wir doch unter Herrn      ich schließlich in Tränen ausbrechen musste.      Wandersleb überaus intensiv und lange auf      dieses Konzert hingearbeitet.                       Danach wollte ich dabei bleiben und                                                      wuchs immer mehr in den Chor hinein.          Mehr als ein Jahr zuvor hatten wir mit den  Schnell hatte ich gemerkt, dass meine anfäng-      Proben begonnen. Ich gehörte dem Kirchen-       lichen Hemmungen vollkommen fehl am      chor an, als Herr Wandersleb mit Blick auf die  Platze waren. Die Stadtkantorei erlebte ich      Doppelchörigkeit des Werkes fragte, ob nicht    nicht als elitäre Gruppierung, sondern als leis-      einige von uns die Matthäuspassion mitsingen    tungsorientierten Chor mit viel Gemeinsinn,      möchten. Ein verlockendes, aber auch etwas      in dem sich Freundschaften entwickelten, die      beängstigendes Angebot! Denn ich hatte gro-     weit über das Musizieren hinausgingen. Und      ßen Respekt vor der Kantorei, in der so viele   durch unseren Chorleiter war immer auch der      Pastoren, Organisten und Lehrer vertreten       enge Bezug zu meiner kirchlichen Heimat,      waren. Doch stellte ich mich der Herausforde-   der Christuskirche, gegeben. So wurden die      rung. Nach jeder regulären Kirchenchorprobe     Chorproben zu einem festen Bestandteil mei-      wurde daraufhin noch eine halbe Stunde im       nes Lebens. Fortan war der Freitagabend für      kleinen Kreise weiter geprobt. Wir sechs oder   anderweitige Unternehmungen tabu.      sieben Frauen aus dem Kirchenchor sangen        Marita Westphal-Blome (seit 36 Jahren im Chor)    Auch weniger bekannte Passionsvertonungen           2010 wurde sie in einem Passionsgottesdienst zur  finden in den Konzerten der Stadtkantorei ihren     Sterbestunde Jesu aufgeführt: Im Gottesdienst  Ort. Neben den beiden Schütz-Passionen haben        am Karfreitagnachmittag (für den selbstverständ-  besonders die Aufführungen des Passionsoratori-     lich kein Eintrittspreis erhoben wird) steht in der  ums Membra Jesu nostri von Dietrich Buxtehude       Christuskirche traditionell die Kirchenmusik im  am 21. März 1993 unter der Leitung von Carsten      Vordergrund. Telemanns Vertonung der Leidens-  Klomp und am 9. April 2004 unter Eva Schads         geschichte Jesu dauert nur eine gute Stunde – im  Leitung beeindruckt.                                Gegensatz etwa zu der dreimal so langen Verto-                                                      nung von J. S. Bach. Gegliedert wurde die Passi-      Selten zu hören ist auch Georg Philipp Te-      on durch die Predigt, wie es schon im 18.  Jahr-  lemanns Matthäuspassion von 1746. Am 2. April    26
hundert üblich war. Auf solche Art wird in der                                                                       KonzertE  Christuskirche schon seit Wanderslebs Zeiten  jeder Karfreitagsgottesdienst gestaltet – zumeist       Eine Meditation über das Passionsgeschehen  allerdings durch den kleineren Kammerchor           stellt auch die altkirchliche Sequenz Stabat Ma  und das Bremerhavener Kammerorchester, da           ter dolorosa dar. Am 23. November 1997 wurde sie  der Karfreitag grundsätzlich in den Ferien liegt,   in einer Vertonung von Francis Poulenc in der  so dass viele Mitglieder der Stadtkantorei (gerade  Christuskirche aufgeführt. Die anschließende  die zahlreichen Lehrer) verreist sind.              Besprechung von Roger Matscheizik in der Nord-                                                      seezeitung würdigt die Leistung des Chores an-                                                      gesichts der enormen Schwierigkeit des Werkes:       Abb. 16: Francis Poulenc, Stabat mater, 23.11.1997;  Rezension von Roger Matscheizik in der NZ (Auszug)                                                Abb. 17: W. A. Mozart, Requiem, 17.11.1971  	27
KonzertE                   Passionsoratorien             	               Friedrich Wandersleb           	         31. März 1965	 J. S. Bach: Johannespassion           	         19. März 1967	 J. S. Bach: Matthäuspassion           	          7. April 1968	 J. S. Bach: Johannespassion           	          5. März 1977	 J. S. Bach: Matthäuspassion           	         31. März 1981	 J. S. Bach: Johannespassion           	         12. April 1987	 J. S. Bach: Matthäuspassion                    22. März 1992	 J. S. Bach: Johannespassion           	                               Carsten Klomp           	         21. März 1993	 Dietrich Buxtehude: Membra Jesu nostri           	           	                      Eva Schad           	  23. November 1997	 Francis Poulenc: Stabat Mater           	           	        28. März 1999	 J. S. Bach: Matthäuspassion           	          18. Mai 2003	 J. S. Bach: Osteroratorium           	         9. April 2004	 Dietrich Buxtehude: Membra Jesu nostri                      25. März 2005	 J. S. Bach: Johannespassion                    25. März 2007	 J. S. Bach: Matthäuspassion                        2. April 2010	 Georg Philipp Telemann: Matthäuspassion                     10. April 2011	 J. S. Bach: Matthäuspassion                                      Endzeit  In mancherlei musikalischer Gestalt hat die    Evangelische Stadtkantorei die Worte des Re  und frühen 20. Jahrhunderts und den Tonfällen                                                  amerikanischer Unterhaltungsmusik (Jazz, Gos-  quiems erarbeitet und im Singen tiefe Eindrücke pel, Musical). Nach einer engagierten und von  erfahren und anderen vermittelt.                spannungsvoller Erwartung erfüllten Probenzeit,      Auf Eva Schads Einstudierung der modernen, führte die Kantorei Rutters Requiem am 9. No-  in einem ›Musical-nahen‹ Stil komponierten Re vember 2003 unter Eva Schads Leitung auf. Als  quiem-Vertonung des zeitgenössischen englischen zweites Chorwerk in diesem Konzert erklang,  Komponisten John Rutter (geb. 1945) waren ei- dem Requiem kontrastierend gegenübergestellt,  nige ältere Chorsängerinnen und Chorsänger Rutters nicht weniger populäres Magnificat. In  andeutungsweise vorbereitet. Denn bereits im der Besprechung des Konzerts in der Nordsee-  Februar 1990 hatte die Evangelische Stadtkanto- zeitung weist Thorsten Meyer besonders auf  rei zusammen mit der Bremerhavener Liedertafel den lichtvoll-tröstlichen Charakter der Requiem-  und dem Opernchor im Stadttheater Bremer- Komposition und ihrer Interpretation durch Eva  haven das Requiem von Andrew Lloyd Webber Schad hin (Abb. 18).  (geb. 1948) aufgeführt; die Leitung hatte GMD   8. Mai 1995 – vor 50 Jahren endete der zweite  Leo Plettner. John Rutters Kompositionsstil ist Weltkrieg. Mit Aufführungen zweier Requiem-  eine eigentümliche Mischung aus den Traditio- Vertonungen wurde in Bremerhaven dieses Ereig-  nen der abendländischen Kirchenmusik des 19. nisses gedacht. Am Vorabend des Gedenktages,    28
KonzertE    Abb. 18: John Rutter, Requiem, 9.11.2003; Rezension von Thorsten Meyer in der NZ vom 12.11.2003 (Auszug)    am 7.  Mai, erklang in der Christuskirche unter       Auch Eva Schad widmete sich beiden Werken:  der Leitung von Carsten Klomp das Requiem von     Das Requiem von Mozart erklang unter ihrer Lei-  W. A. Mozart. Am 12. Mai war in der Großen Kir-   tung bereits zweimal, jedoch beide Male mit dem  che unter der Leitung von Werner Dittmann das     vor knapp 20 Jahren gegründeten Bremerhavener  Deutsche Requiem von Johannes Brahms zu hören.    Kammerchor. Freilich singen im Kammerchor  Texte des jüdischen Lyrikers Paul Celan und Bil-  auch zahlreiche Kantoreimitglieder, einige von  der des Krieges gaben – wie auch die Musik – dem  ihnen – wie heute die 18-jährige Annika Heyen  Gedenken Worte und Raum.                          oder früher Susanne und Maren Kratz – zudem                                                    auch noch im Jugendchor. So gibt es manche      Mit einem Anlass wie diesem verbindet sich    Choristen, die, wenn auch noch Stimmproben  für manche Chorsängerin und manchen Chor-         hinzukommen, bald täglich zu einer Probe ins  sänger auch die Erinnerung an einen Gottesdienst  Gemeindehaus kommen. Der ersten Aufführung  am 9. November 1988 zum 50-jährigen Gedenken      des Mozart-Requiems 2003 folgte eine zweite am  an die Reichsprogromnacht. Die Kantorei sang      28. Februar 2010, dieses Mal in Kooperation mit  damals u. a. die ergreifende Motette von Johann   dem Ballett des Stadttheaters Bremerhavens. Der  Herman Schein: Zion spricht, der Herr hat mich    Kammerchor stand dabei hoch oben in der Apsis  verlassen, der Herr hat mein vergessen.           über dem Ballettpodest.        Die beiden eben erwähnten Requiem-Ver-            Am 20. November 1988 sang die Kantorei  tonungen wurden unter der Leitung von Fried-      zum ersten Mal das Deutsche Requiem von Johan-  rich Wandersleb dreimal (Mozart) und zweimal      nes Brahms. Für den Chor war es zugleich das ers-  (Brahms) aufgeführt. Über die Aufführung des      te Mal, dass er ein größeres Werk der Romantik  Mozart-Requiems vom 17. November 1971 – also      kennen lernten durfte. Eine Wiederaufnahme er-  noch in den Anfangsjahren der Kantorei – schrieb  fuhr das Brahms-Requiem dann am 6. November  Werner Steinmeier in der Nordseezeitung: »Die     2005 durch Eva Schad. In der Zwischenzeit durch  Stadtkantorei jedenfalls vollbrachte mit Mozarts  vielfältigste Musikstile aller Epochen geübt, fiel  ›Requiem‹ wohl ihre bisher glänzendste Leis-      das Werk dem Chor schon viel leichter.  tung«.    	29
KonzertE                                          Carsten Klomp im Jahr 1993. Die Aufführung                                                    vom 31. Oktober 1993 würdigte Hans Linder in      Eine beeindruckende Begegnung mit einer       der Nordseezeitung mit folgenden Worten:  für den Chor neuen Klangwelt brachte die Erar-  beitung des Requiems von Maurice Duruflé durch        Abb. 19: Maurice Duruflé, Requiem, 31.10.1993; Rezension von Hans Linder in der NZ vom 3.11.1993    Mit der Aufführung des Hebbel-Requiems op. 144b   es nicht verwunderlich, dass Eva Schad dem Chor  von Max Reger – zusammen mit den hebräischen      seither noch weitere Werke dieses Genres er-  Chichester Psalms von Leonard Bernstein – begab   schlossen hat, wie etwa jene von Franz von Suppé  sich die Kantorei am 7. November 1999 erneut auf  und Gabriel Fauré, die am 11. November 2007 in  bis dahin eher ungewohntes Terrain.               der Christuskirche erklangen. Dieter Strohmeyer                                                    beschrieb das Konzert in der Nordseezeitung als      Angesichts der großen Zahl von Requiem-Ver-   eindrucksvolles Musikereignis (Abb. 20).  tonungen, vor allem aus dem 19. Jahrhundert, ist        Es ist Eva Schad im Laufe der Zeit immer      tivation und Disziplin) ist bislang noch jedes           wieder gelungen, auch unbekanntere Wer-  Unternehmen zum Erfolg gworden. Sich      ke auszugraben, von denen manche erstmalig    selbst nicht schonend, führt sie dabei auch      in Bremerhaven erklangen, wie beispielswei-   uns zuweilen bis an unsere Grenzen. Doch      se die Kompositionen von John Rutter oder     stets von Neuem scheinen alle Mühen verges-      das War Requiem von Benjamin Britten. Für     sen und belohnt, wenn sich mit den Schluss-      uns als Chor bedeutete dies zumeist schwere   tönen am Ende eines Konzertes das wun-      Brocken, an denen wir gehörig zu knabbern     derbare Gefühl einstellt, gemeinsam etwas      hatten – die Zahl der Extra-Proben spricht    Großartiges auf die Beine gestellt zu haben!      Bände! Dank Eva Schads ansteckendem En-       Marita Westphal-Blome      thusiasmus (und natürlich auch unserer Mo-    30
14 NORDSEE-ZEITUNG                   LOKALE KULTUR                                                                               KonzertE                                                                                                               Dienstag, 13. November 2007    Eindrucksvolles Musikerlebnis: Die Evangelische Stadtkantorei und die Kammer-Sinfonie Bremen spielen Fauré und Suppé.  Foto: map    Mit dramatischen Akzenten    Requiemvertonungen von Franz von Suppé und Gabriel Fauré in der Christuskirche          Von unserem Mitarbeiter        rung kam. Faurés „Requiem für        scher (Sopran) und Hans Lydman     Confutatis, eindrucksvoll die Si-            Dieter Strohmeyer          Sopran und Baritonsolo, Chor,        (Bariton) kosten das harmonische   cherheit im A-cappella-Satz des                                       Orchester und Orgel“ ist – im Ge-    Raffinement dieser Musik in ihren  Benedictus. Die Dirigentin, und  Bremerhaven. Franz von Suppé,        gensatz zum Werk von Suppé –         Solopartien mit empfindsamem       das ist die Überraschung des  sonst eigentlich nur als Komponist   frei von jeder Außendramatik. Er     Ausdruck aus.                      Abends, musiziert mit dem Or-  der Wiener Operette bekannt,         verzichtet zum Beispiel auf das                                         chester nicht historisierend, etwa  schrieb seine „Missa pro de-         Dies irae, den Tag des Zorns, und      Dramatischer und gefühlvoller    mit zurückhaltender instrumenta-  functis“ schwer erschüttert durch    das Tuba mirum, das himmlische       und auch etwas plakativer geht es  ler Artikulation, sondern schmis-  den Tod seines Freundes und För-     Strafgericht. Die dynamischen        in der Musik von Franz von Suppé   sig und mit kantiger Energie und  derers Franz Pokorny, Gabriel        Kontraste sind gezügelt, die Klang-  zu. Es zeigt sich, dass er das     beleuchtet das Geschehen mit dra-  Fauré sah seine Requiemverto-        farben im Bremer Orchester wir-      (Chor-)Handwerk bei Verdi und      matischen Akzenten.  nung etwas gelassener mit Blick      ken fast impressionistisch changie-  die Führung der Solostimmen bei  auf sein eigenes Ende, das aller-    rend und gedämpft. Eva Schad ge-     Mozart exzellent gelernt hat. Vom    Exzellent das Soloquartett mit  dings noch etwas, nämlich 37 Jah-    winnt der Musik packende Aus-        fast melodramatischen Sprechge-    Sibylle Fischer (Sopran), Ann-Ju-  re, auf sich warten ließ. Er wollte  drucksmomente ab – herrlich die      sang im Domine Jesu bis zum        liette Schindewolf (Alt), Robert  eine „fried- und liebevolle Musik“   Abstufung der dunklen Streicher      schwärmerischen, vom zarten        Morvei (Tenor) und Nans Lydman  schreiben „so sanftmütig wie ich     gleich zu Beginn oder die feinen     Oboenklang umrankten Lacrimo-      (Bariton) in feiner Abstimmung in  selbst“. Beide Werke waren jetzt in  klanglichen Abmischungen im          sa beherrscht er spielerisch alle  ihren vielen Ensemblepartien.  einem Konzert der Stadtkantorei      „Pie Jesu“. Zudem singt der Chor     Ausdrucksmöglichkeiten. Alles      Ann-Juliette Schindewolf mit  und der Kammer-Sinfonie Bremen       in guter Staffelung und mit gestal-  das wird vom Chor, Orchester und   schönem Timbre und Robert Mor-  in der Christuskirche zu hören.      terischem Bedacht. Diesmal sind      von den Solisten lebendig umge-    vei mit üppiger Durchschlagskraft                                       die Männerstimmen in der Chor-       setzt.                             ließen besonders aufhorchen.    Fried- und sanftmütig präsen-      mitte platziert und vom Sopran                                          Zwischen den beiden Requiemver-  tierte sich Faurés Musik, die am     und Alt sozusagen umzingelt, was       Bemerkenswert die Balance der    tonungen war noch das Adagio für  Sonntagabend in der Christuskir-     der allgemeinen Intonationssicher-   Stimmregister in den homophonen    Streicher von Samuel Barber zu  che unter Eva Schad zur Auffüh-      heit sehr zugute kommt. Sibylle Fi-  Abschnitten (Introitus), reizvoll  hören. Viel Beifall in der vollbe-                                                                            herausgearbeitet der Kontrast der  setzten Christuskirche.                                                                            Männer- und Frauenstimmen im    Abb. 19: Requiem-Vertonungen von Suppé und Fauré, 11.11.2007; Rezension von Dieter Strohmeyer in der NZ    	31
KonzertE                                                                                                           lebs Kinderchorarbeit entwachsen – nun häufig                                                                                                                     unter Eva Schads Leitung die Oratorienkonzer-  Eine der expressivsten Requiem-Vertonungen des                                                                     te der Stadtkantorei mit ihrer ausdrucksstarken  20. Jahrhunderts ist zweifellos das War Requiem                                                                    Singstimme bereichert. Im Konzert vereinten  von Benjamin Britten. Wohl jeder Leiter eines                                                                      sich die Leistungen aller zu einem ergreifenden  großen Chores wünscht sich, dieses monumenta-                                                                      Ganzen. Das Publikum honorierte die Auffüh-  le Werk einmal aufführen zu können – ein in jeder                                                                  rung mit Standing Ovations (Abb. 21).  Hinsicht grenzgängiges Unterfangen: Dem Chor  wird ein enormes Hörverständnis abverlangt, es                                                                         Durchweg erfreulich geriet die Kooperation  bedarf erheblicher finanzieller Mittel, um das                                                                     mit dem Stadttheater Bremerhaven. Nach den  groß besetzte Werk zu realisieren, und nicht                                                                       vielen ›Carmina-Auftritten‹ der Stadtkantorei im  zuletzt müssen zwei Orchester, zwei Chöre und                                                                      Stadttheater (hinten mehr) in der ersten Jahres-  drei Solisten in der Christuskirche untergebracht                                                                  hälfte 2012 konnte im Gegenzug das Orchester  und koordiniert werden. Bei der Aufführung am                                                                      für einen ›Dienst‹ in Anspruch genommen wer-  18. November 2012 gesellte sich der Jugendchor                                                                     den, so dass das Gesamtprojekt wirtschaftlich  zur großen Orgel, das Kammerorchester – die                                                                        überhaupt erst realisierbar wurde. GMD Stephan  Kammer Sinfonie Bremen unter der Leitung von                                                                       Tetzlaff und Chorleiterin Eva Schad arbeiteten  GMD Stephan Tetzlaff – musizierte zusammen                                                                         partnerschaftlich und ohne jedes Kompetenzge-  mit den beiden männlichen Solisten im rechten                                                                      rangel zusammen, und das Städtische Orchester  Seitenschiff, während das Städtische Orchester                                                                     musizierte – trotz des zusätzlichen Dienstes –  Bremerhaven zusammen mit der Stadtkantorei                                                                         hochkonzentriert.  und dem Solospropran den gesamten Altarraum  in Anspruch nahm (die ersten beiden Bankreihen                                                                         Belohnt wurden die aufwändige Vorberei-  mussten abmontiert werden). Sopransolistin war                                                                     tung und der Einsatz aller Beteiligten u. a. durch  Sibylle Fischer, die – einst aus Friedrich Wanders-                                                                die Rezension von Ulrich Müller (Abb. 22).        Ev. - luth. Christuskirche Bremerhaven                       Bremerhaven - Geestemünde  ·  Schillerstraße 1              Sonntag                              Benjamin Britten      18. November      18.00Uhr WAR REQUIEM                                     Eintritt     Sopran: Sibylle Fischer                  LANDSCHAFTSVERBAND     	 1. Kategorie: € 20,– (18,–)               Tenor: Thomas Mohr                      DER EHEMALIGEN HERZOGTÜMER                                                 Bariton: Timothy Sharp                2. Kategorie: € 16,– (14,–)                                                      BREMEN UND VERDEN                3. Kategorie: € 10,– (8,–)       Evangelische Stadtkantorei Bremerhaven                                                 Jugendchor der Christuskirche                    sichtbeh.: € 5,–             Städtisches Orchester Bremerhaven     Kinder & Jugendliche bis 18 Jahre:          Kammer Sinfonie Bremen                          € 5,– / 4,– / 3,– / 2,–  Leitung und Einführung:                                                 Eva Schad & Stephan Tetzlaff                              Vorverkauf          www.bremerhaven-tickets.de   Buchhandlung Hübener (Tel. 321 45)  Ticket-Shop der NZ (Obere Bürger 48)           Tourist-Infos: Hafeninsel und            Schaufenster Fischereihafen                                                                 Abb. 21: Benjamin Britten, War Requiem, 18.11.2012;                                                 links: Plakat, rechts: Eva Schad und Stephan Tetzlaff beim Schlussapplaus    Dem Konzert vorangegangen waren eine lange                                                                         rungen mit dem War Requiem gibt Petrus Klan in  und anstrengende Probenarbeit und ein musi-                                                                        der Sparte ›Berichte‹ (Mein War Requiem und mein  kalisch wie menschlich produktives Chorwo-                                                                         Nagelkreuz von Coventry).  chenende in der Freizeit- und Begegnungsstätte                                                                     Schließlich soll noch eine Komposition erwähnt  Oese – von Pastor Matthias Clasen (sinngemäß)                                                                      werden, die der Gattung Requiem nahesteht und  kommentiert mit den Worten: »Schon erstaun-                                                                        der sich Friedrich Wandersleb (1979) und Cars-  lich, die Chorsänger singen freiwillig ohne Mur-                                                                   ten Klomp (1994) engagiert angenommen haben:  ren drei Tage lang nur Dissonanzen«. Einen sehr                                                                    die Musikalischen Exequien von Heinrich Schütz.  persönlich gefärbten Bericht von seinen Erfah-    32
LOKALE KULTUR                                                                                                                       KonzertE                                                                                                                       Dienstag, 20. November 2012    Verdienter Beifall für Chöre und Orchester: Mehr als 170 Musiker gestalteten die Aufführung des expressiven „War Requiems“, das Benjamin Britten    vor 50 Jahren zur Neueinweihung der kriegszerstörten und wiedererrichteten Kathedrale von Coventry geschrieben hat.  Foto pr    Immer tönt die Totenglocke    Ergreifende Aufführung des „War Requiems“ von Benjamin Britten in der Christuskirche    VON ULRICH MÜLLER                     in der durch deutsche Bomben          Messe zuständig waren. GMD            Marschrhythmus, sorgten Strei-                                        zerstörten und nach dem Zweiten       Tetzlaff dagegen leitete die kleine-  cher und Bläser für fesselnde  BREMERHAVEN. Die Sängerinnen und      Weltkrieg wieder aufgebauten Ka-      re Kammer-Sinfonie und die bei-       Dramatik. Und über allem  Sänger in der hintersten Reihe muss-  thedrale von Coventry war es so-      den männlichen Solisten, die          schwebten von der Empore aus  ten unbedingt schwindelfrei sein,     weit, formierte sich die 90-köpfi-    ganz diesseitig mit Vertonungen       die reinen Stimmen des Jugend-  bei Benjamin Brittens „War Re-        ge Evangelische Stadtkantorei,        von Wilfred Owens Gedichten           chors, der sich dem hohen Ni-  quiem“ wurde es eng in der Geeste-    scharten sich die 16 Sängerinnen      vom Inferno, Chaos und Leid des       veau der bewegenden Aufführung  münder Christuskirche. Die Chöre      des Jugendchors um die Orgel.         Krieges sangen. „Welche Glocke        nahtlos anpasste.  auf einem hoch aufragenden Podest     Dazu kamen die 65 Musiker des         schlägt denen, die man schlachtet  und der Empore, zwei Orchester und    Städtischen Orchesters und der        wie Vieh?“, antworteten sie auf          Am Ende siegt in Brittens „War  rund 550 Zuhörer: Das Konzert am      Kammer-Sinfonie Bremen, als           das einleitende „Ewige Ruhe ge-       Requiem“ doch noch die Versöh-  Sonntagabend war in jeder Hinsicht    letzte nahmen die Solisten Sibylle    währe ihnen, Herr“ des großen         nung über die Schrecken des  ein beeindruckendes Erlebnis.         Fischer (Sopran), Thomas Mohr         Chors – die Abstimmung funktio-       Krieges: „Lass uns nun schla-                                        (Tenor) und Timothy Sharp (Bari-      nierte perfekt.                       fen…“, tönte es vielstimmig durch  Zwei Musikfreunde, eine Idee –        ton) ihre Plätze ein.                 Mutter beweint ihr Kind               die Christuskirche.  schon seit einigen Jahren beschäf-                                          Schroffe Passagen wechselten so  tigten sich Kreiskantorin Eva            Eine kurze Einführung mit          mit ergreifenden lyrischen Mo-           Die Glocken läuteten, die Ak-  Schad und Generalmusikdirektor        Klangbeispielen, dann wurde das       menten, die Bläser riefen gleich-     teure und das Publikum schwie-  (GMD) Stephan Tetzlaff mit dem        vielschichtige Werk hochkonzen-       sam zu den Waffen, die Mutter         gen und sammelten sich. Erst da-  Plan, das dem Gedenken an die         triert musiziert. Eva Schad diri-     beklagte den Tod des Kindes. Im-      nach setzte der langanhaltende,  Kriegstoten gewidmete Ausnah-         gierte dabei die Musiker vom          mer wieder war die Totenglocke        stehende Applaus ein, den dieses  mewerk des britischen Kompo-          Stadttheater und die Stadtkanto-      zu hören, schlug die Trommel im       Konzert und all seine Mitwirken-  nisten gemeinsam zu bewältigen.       rei, die zusammen mit der Sopra-                                            den, besonders aber Eva Schad  50 Jahre nach der Uraufführung        nistin für den liturgischen Teil der                                        und Stephan Tetzlaff unbedingt                                                                                                                    verdient hatten.    Abb. 22: Benjamin Britten, War Requiem, 18.11.2012; Rezension von Ulrich Müller in der NZ    A -capella-Werke wie dieses haben der Kantorei des unbegleiteten Chorgesangs zu proben und  immer wieder Gelegenheit gegeben, die Kultur unter Beweis zu stellen.  	33
KonzertE    Requiem-Aufführungen             	               Friedrich Wandersleb           	           	   17. November 1971	 W. A. Mozart: Requiem           	  18. November 1979	 Heinrich Schütz: Musikalische Exequien           	           	         14. März 1982	 W. A. Mozart: Requiem              20. November 1988	 Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem           	           	         17. März 1991	 W. A. Mozart: Requiem           	  24. November 1991	 Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem             	                 Carsten Klomp           	           	   31. Oktober 1993	 Maurice Duruflé: Requiem           	  6. November 1994	 Heinrich Schütz: Musikalische Exequien             	          7. Mai 1995	 W. A. Mozart: Requiem                                              Eva Schad                 7.November 1999	                   Max Reger: Hebbel-Requiem op. 144b              9. November 2003	                   Leonard Bernstein: Chichester Psalms                                                  John Rutter: Requiem                5. November 2005	                   Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem              11. November 2007	                  Franz von Suppé: Requiem                                                  Gabriel Fauré: Requiem                18. November 2012	 Benjamin Britten: War Requiem                                              Messen                                              Gelebte Ökumene    Eine Messe als musikalische Gattung ist im          Diese Tradition ist bis heute kontinuierlich       ursprünglichen Sinn Musik für den Gottes-  weitergeführt worden. Carsten Klomp wiederhol-  dienst. Es hat für die Evangelische Stadtkanto- te das zunächst in der Christuskirche aufgeführte  rei neben konzertanten Aufführungen immer Duruflé-Requiem am 1. November 1993 in einem  wieder auch Gelegenheiten gegeben, eine Messe lateinischen Hochamt der Herz-Jesu-Kirche Lehe,  im Gottesdienst zu singen. Das Erlebnis öku- nunmehr in einer Fassung für Chor und Orgel.  menischer Verbundenheit mit den katholischen Unter der Leitung von Eva Schad wurde in der-  Kirchengemeinden in Bremerhaven ist von den selben Kirche am 16. Mai 1999 die Missa brevis  Chormitgliedern – und nicht nur von ihnen – als St. Joannis de Deo von Joseph Haydn gesungen,  bereichernd und beglückend empfunden worden. nachdem sie 14 Tage zuvor am Sonntag Kantate      Am 22. Juni 1986 sang die Evangelische Stadt- im Gottesdienst der Christuskirche aufgeführt  kantorei unter Friedrich Wanderslebs Leitung die worden war. Auch die Missa brevis in G von W. A.  Messe in G-Dur von Franz Schubert in der Herz- Mozart erfuhr mehrere solcher Aufführungen:  Jesu-Kirche Lehe. Diesem Anlass vorangegangen erstmals beim offenen Chorprojekt ›Kantate zum  war eine Aufführung der Missa secunda von Hans Mitsingen‹ am 19. November 2006 gemeinsam  Leo Hassler am 13. Juni 1982. Es folgte im Jahr mit der Kantate Wer nur den lieben Gott lässt wal  1989 die Krönungsmesse von W. A. Mozart.        ten von J. S. Bach, ein weiteres Mal beim ersten    34
ökumenischen offenen Chorprojekt ›Messe zum                                                                          KonzertE  Mitsingen‹ am 11. Februar 2012 zuerst in der Herz-                                                      Jesu-Kirche Geestmünde und am Folgetag in der                                                      Christuskirche.    Bach: h-Moll-Messe    Abb. 23: J. S. Bach, h-Moll-Messe, 31.3.1974; Konzertankündigung in der NZ    Die h-Moll-Messe von J. S. Bach nun übersteigt      zeitung, es sei »verständlich, daß (bis 1974) als  den Rahmen einer gottesdienstlichen Auffüh-         einzige Darbietung des vollständigen Werkes in  rung bei Weitem. Außerdem bedeutet sie für          Bremerhaven nur eine Aufführung durch eine  den Chor jedes Mal von Neuem eine Herausfor-        Bremer Chorvereinigung vor dem ersten Welt-  derung, die zu bewältigen viel Vorbereitungs-       krieg zu melden ist.« In der Besprechung heißt es  zeit erfordert. Die meisten Oratorienaufführun-     weiter:  gen wurden seit den 70er Jahren im Freizeitheim     »Welches war nun das Interpretationskonzept  Drangstedt intensiv vorbereitet; für die Auffüh-    von Kantor Wandersleb? Der Einstellung unse-  rung der h -Moll-Messe im November 2002 unter      rer Zeit folgend, bevorzugte er durchweg frische  der Leitung von Eva Schad unternahm die Kan-        Tempi und vermied das sentimentale Romantisie-  torei erstmals eine viertägige Chorfreizeit in      ren früherer Generationen; mit einer Ausnahme;  den Harz. Auf die besonderen Anforderungen          ›Et in terra pax‹ geriet wohl etwas zu gefühlsbe-  des Werkes verweist auch die Rezension der ers-     tont. Dagegen blieb der optimistische Grundzug  ten Aufführung durch die Stadtkantorei im Jahr      dieser Musik in den freudigen Sätzen gewahrt  1974. Damals schrieb Willy Peter in der Nordsee-    	35
KonzertE                                                Die Analytiker mögen sich an der verschlun-                                                      genen Welt der inhaltlichen Aspekte, die Bachs  (Gloria und Osanna). Dem innig vorgetragenen        Musik in jeder Nuance transportiert, erfreuen, in  ›Incarnatus‹, der geistigen Mitte dieser Messe und  der Christuskirche erschloss sich das Werk schon  dem Fundament christlichen Glaubens, setzte er      allein durch den Klangreichtum, den die Beteilig-  im ›Kyrie‹ und ›Crucifixus‹ menschliches Leid       ten zu entfalten verstanden.  und im ›Confiteor‹ den Jubel des erlösten Men-  schen entgegen. Der ausgezeichnet vorbereitete          Allen voran die Evangelische Stadtkantorei.  Chor, die Solisten und das Domkammerochester        Bach nahm beim Komponieren keine Rücksicht  Bremen waren ihm hierbei verläßlich Helfer.«        auf sängerische Grenzen. Melodisch vertrackt in  Zwischen der letzten von Friedrich Wandersleb       den Einzelstimmen und harmonisch diffizil im  dirigierten Aufführung im Jahr 1985 und der         Zusammenklang ist jedes Chorstück der Messe  im Jahr 2002 von Eva Schad geleiteten lagen im-     ein neuer Gipfel, den es zu erklimmen gilt. Doch  mer noch 17 Jahre. Über die Aufführung vom 3.       schon im Kyrie zeigte die Kantorei, dass sie die Her-  November 2002 auf historischen Instrumenten         ausforderung annahm. Warm und klar in der Ton-  schrieb Thorsten Meyer in der Nordseezeitung:       gebung, mit feiner Binnendynamik und präziser  »Viel wird in der Bachforschung darüber gestrit-    Phrasierung schwangen sie sich unbeirrt durchs  ten, ob die Messe ein zusammenhängendes Werk        Klanggeschehen. Allein diese Leistung in diesem  oder ›nur‹ die Summe brillanter Einzelteile ist.    einen Stück hätte für ein ganzes Konzert genügt.«  Eva Schad hielt mit ihren Mitstreitern ein flam-    Am 10. November des Jubiläumsjahres 2013 wird  mendes Plädoyer für die h-Moll-Messe als Ge-        die h-Moll-Messe ein weiteres Mal in der Christus-  samtkunstwerk.                                      kirche erklingen.    Messen von Mozart bis Rutter                 Abb. 24: W. A. Mozart, c-Moll-Messe, 16.6.1996; Rezension von Thomas Rogalla in der NZ  36
Auch mehrere Messen W. A. Mozarts hat Eva                                                                                                 KonzertE  Schad mit der Kantorei erarbeitet: Während die  c -Moll-Messe (sie wurde von Eva Schad schon                            Ihr Mann, Folker Froebe, der sie für die Zeit des  zweimal aufgeführt, am 16. Juni 1996 und 10 Jahre                        Mutterschutzes vertreten hatte, übernahm die  später am 19. März 2006) und die Krönungsmesse                           Endproben und das Konzertdirigat, Eva Schad  (sie erklang am 30. Dezember 2001 zusammen                               selbst hatte sich für den (notfalls verzichtbaren)  mit den Vesperae solennes de Confessore) eher kon-                       Orgelpart vorgesehen. Als sie während der Ge-  zertante Werke sind, erklang die Missa brevis in G,                      neralprobe plötzlich ins Krankenhaus eingelie-  wie bereits berichtet, in verschiedenen Gottes-                          fert werden musste, wusste jeder, dass es bis zur  diensten und Messfeiern.                                                 Geburt ihres ersten Kindes nicht mehr weit sein                                                                           konnte. Am Folgetag saßen die junge Mutter und      Erst im letzten Jahrzehnt hat die Stadtkanto-                        die erst wenige Stunden alte Felicitas just zum  rei auch Messkompositionen des 19. Jahrhunderts                          Konzertbeginn im Publikum, was das Interesse  in ihr Repertoire aufgenommen. Besonders er-                             der Chorsänger am Geschehen im Kirchenschiff  eignisreich war die Aufführung der As-Dur-Messe                          ungemein steigerte.  von Franz Schubert zusammen mit der Theresien  messe von Joseph Haydn am 27. Juni 2004, dem                                 Einige Jahre später, am 7. November 2010,  Tag der Geburt von Eva Schads Tochter Felicitas.                         folgte noch die Messe von Robert Schumann,                                                                           die Dieter Strohmeyer in der Nordseezeitung be-                                                                           sprach:    14 Ȋ LOKALE KULTUR                                                                                           Dienstag, 9. November 2010    Für Schumann ins Zeug gelegt    Evangelische Stadtkantorei führt unter Eva Schad in der Christuskirche die späte Messe auf    VON DIETER STROHMEYER                 Sinfonie posthum doch veröffent-      Als musikalischer Höhepunkt      Stadtkantorei setzte die lange ver-                                        licht.                             des Abends erwies sich die Dar-     kannte und erst in den letzten  BREMERHAVEN. Drei Werke von ho-                                          bietung von drei Liedern, die       Jahrzehnten wiederentdeckte  hem Anspruch hatte Kreiskantorin         Zumindest für die beiden ers-   Gustav Mahler auf Texte von         Missa sacra op. 147 von Robert  Eva Schad für ihr romantisches Pro-   ten Sätze ist Mendelssohns         Friedrich Rückert komponiert        Schumann so souverän um, als  gramm zum Schumann-Jahr ausge-        Selbstkritik kaum nachvollzieh-    hat. Hier hatte Sopranistin Sibyl-  hätte diese Musik eine lückenlose  wählt. Die Ev. Stadtkantorei und die  bar. Die Kammer-Sinfonie Bre-      le Fischer einen grandiosen Auf-    Aufführungstradition hinter sich.  Kammer-Sinfonie Bremen zeigten        men gab ihr mitreißenden Fluss     tritt. Mit exzellenter Atemkon-  sich dem gewachsen. Die Hörer in      und eine erstaunliche Brillanz.    trolle und strahlend aufblühender      Der Chor legte sich für Schu-  der sehr gut besuchten Christuskir-   Nach der zart-schwebenden Ein-     Höhe fühlte sie sich bewunderns-    mann kraftvoll und ausgewogen  che in Geestemünde erlebten ein       leitung setzte die Dirigentin auf  wert in den Geist und die Stim-     ins Zeug, bewährte sich vor allem  überaus bewegendes Konzert.           straffen musikantischen Zugriff    mung dieser Gesänge ein.            im vielschichtigen Sanctus, in                                        und gab auch den kniffligen kon-                                       dem der Text vielfältig gewendet  Den Auftakt machte – ein Nach-        trapunktischen Verstrickungen      Außerordentliche Sopranistin        wird und immer neue musikali-  klang zum Reformationstag – die       Kontur.                                                                sche Einkleidungen erfährt.  mitunter recht kantige „Reforma-                                         In „Ich bin der Welt abhanden  tionssinfonie“ von Felix Mendels-        Das Scherzo, das oft als        gekommen“ gelang ihr ganz aus-         Fein ausgearbeitete Nuancen  sohn Bartholdy. Der Komponist         Fremdkörper in dem Werk emp-       gezeichnet die Gestaltung der       wurden hörbar, etwa die emotio-  schrieb 1838 an einen Freund:         funden wird, nahm sie im Tempo     scheinbar zwanglos sprechenden      nalen Wechsel im Gloria („Mise-  „Die Reformationssinfonie kann        moderat und anmutig. Die Holz-     und doch in den Instrumentalpart    rere nobis“) oder im zart intonier-  ich nicht mehr ausstehen, möchte      bläser trumpften solistisch herr-  eingeschmolzenen Gesangslinie.      ten Agnus Dei. Von besonderer  sie lieber verbrennen, sie soll nie-  lich auf. Die Bearbeitung des Lu-  Eine außerordentliche Darbie-       Wirkung das ganz auf kammer-  mals herauskommen.“ Zum               ther-Chorals „Ein feste Burg ist   tung!                               musikalische Feinheit getrimmte  Glück hat er sie nicht verbrannt,     unser Gott“ im Finale wirkt eher                                       Offertorium, auch hier mit einer  und 30 Jahre später wurde die         etwas gewollt, aber Eva Schad         Dann kam das unbekannteste       gedankentiefen Durchdringung                                        fand auch hier das rechte Maß.     Werk des Abends, doch die Ev.       des Textes durch die Solistin.    Abb. 25: Robert Schumann, Missa sacra, 7.11.2010; Rezension von Dieter Strohmeyer in der NZ    Mit der Glagolitischen Messe von Leoš Janácˇek er-                       ten Mass of the Children spielt ein dreistimmiger  arbeitete der Chor erstmals eine Messe der frühen                        Kinderchor eine gewichtige und eigenständige  Moderne. In drei Sinfoniekonzerten am 27., 28.                           Rolle neben dem großem Chor. Die Stadtkanto-  und 29. April 1998 wurde sie von der Stadtkanto-                         rei führte das ebenso großbesetzte wie klangschö-  rei zusammen mit dem Opernchor und dem Or-                               ne Werk zusammen mit den Jugendchören der  chester des Stadttheaters aufgeführt; die Leitung                        Christuskirche am 4. Dezember 2011 erstmals in  hatte der damalige GMD Leo Plettner.                                     Bremerhaven auf. Mit auf dem Programm stand                                                                           das selten zu hörende Weihnachtsoratorium von      John Rutter entstammt der typisch engli-                             Friedrich Kiel.  schen Chortradition. In seiner 2003 uraufgeführ-    	37
KonzertE    Messen in Konzerten und Gottesdiensten             	  Friedrich Wandersleb           	           	  31. März 1974	 J. S. Bach: h-Moll-Messe           	           	  26. März 1979	 J. S. Bach: h-Moll-Messe           	           	  13. Juni 1982	 Hans Leo Hassler: Missa secunda           	           	  30. Oktober 1983	 J. S. Bach: Magnificat             	  20. Mai 1984	 J. S. Bach: Messe in A-Dur (Kyrie, Gloria)           	           	  12. Oktober 1985	 J. S. Bach: h-Moll-Messe             	  22. Juni 1986	 Franz Schubert: Messe in G-Dur           	           	  1989	 W. A. Mozart: Krönungsmesse           	           	  Februar 1990	                Ludwig van Beethoven: Messe in C-Dur                                           im Sinfoniekonzert des Stadttheaters           	                               (Einstudierung: Friedrich Wandersleb)             	  Eva Schad           	           	  16. Juni 1996	 W. A. Mozart: c-Moll-Messe           	           	  15. Juni 1997	 J. S. Bach: Messe in F-Dur (Kyrie)           	           	  27., 28 und 29. April 1998	  Leoš Janácˇek: Glagolitische Messe                                           im Sinfoniekonzert des Stadttheaters  38                                       (Einstudierung: Eva Schad)                16. Mai 1999	 Joseph Haydn: Missa brevis St. Johannis                27. Februar 2000	 Marc-Antoine Charpentier: Te Deum                30. Dezember 2001	 W. A. Mozart: Krönungsmesse                28. April 2002	 W. A. Mozart: Missa brevis in G                3. November 2002	 J. S. Bach: h-Moll-Messe                          Folker Froebe              27. Juni 2004	 Franz Schubert: As-Dur-Messe                                     Joseph Haydn: Theresienmesse                Eva Schad                      19. März 2006	         W. A. Mozart: c-Moll-Messe	              19. November 2006	           W. A. Mozart: Missa brevis in G              21. Dezember 2008	           Francis Poulenc: Gloria                                           John Rutter: Gloria               7. November 2010	           Robert Schumann: Messe                4. Dezember 2011	          John Rutter: Mass of the Children                                           W. A. Mozart: Missa brevis in G                 12. Februar 2012	         J. S. Bach: h-Moll-Messe              10. November 2013	           (Jubiläumskonzert zum 50-jährigen Bestehen)
KonzertE                                     Cantica und Psalmen                                     Magnificat-Vertonungen    Der wohl meistkomponierte biblische Text           nein kann dies als einer von vielen unspektaku-        ist das Magnificat (»Meine Seele erhebt den  lären Schritten auf dem Weg hin zur deutschen  Herrn«), der psalmenartige Lobgesang der Maria     Wiedervereinigung gesehen werden. Die Auffüh-  (Lk 1, 46–55). So wie der Text des Messordinari- rung von 1996 unter der Leitung von Eva Schad  ums zum Hauptgottesdienst gehört, so hat das musste in der Pauluskirche stattfinden, da in  Magnificat seinen festen Ort im Nachmittagsgot-    der Christuskirche eine neue Heizung eingebaut  tesdienst, der Vesper. Es wurde ursprünglich als   wurde – nicht unwichtig für Chor und Zuhörer.  schlichter Wechselgesang im Psalmton rezitiert,                                                         Eine vierte Aufführung des Magnificats am  später auch konzertant vertont.                    9. Dezember 2012 ergab sich aus einer erneuten      Die Evangelische Stadtkantorei hat das Magni Kooperation mit dem Ballett des Stadttheaters  ficat von J. S. Bach drei Mal gesungen. Im Jahr 1975 Bremerhaven und Ballettchef Sergei Vanaev. Ge-  geschah dies zur Feier des 100-jährigen Bestehens sungen wurde sie dieses Mal vom Bremerhavener  der Christuskirche, jener Kirche also, in der die  Kammerchor: Für sechs Tänzer, Solisten, Orches-  Stadtkantorei ihren wichtigsten Proben- und Auf-   ter und die gut 100-köpfige Stadtkantorei böte die  führungsort hat. Die Aufführung des Jahres 1983    Christuskirche nicht genügend Raum.  hatte darin ihr Besonderes, dass zum ersten Mal    Eine Vertonung aus unseren Tagen erfuhr mit  eine bekannte Solistin aus der damaligen DDR, John Rutters Magnificat am 9. November 2003  Adele Stolte, die Sopranpartie sang. Im Nachhi- eine mitreißende Aufführung:    Abb. 26: John Rutter, Magnificat, 9.11.2003; Rezension von Thorsten Meyer in der NZ (Auszug)    Zur Liturgie der Vesper gehören außer dem Ma      zart mit seinen Vesperae solennes, die der Chor zu-  gnificat noch weitere Cantica und Psalmen. Eine    sammen mit der Krönungsmesse am 30. Dezem-  vollständig durchkomponierte Vesper schuf Mo-      ber 2001 zu Gehör brachte.                                           Magnificat-Aufführungen                                              Friedrich Wandersleb  	 15. November 1975	 J. S. Bach: Magnificat  	 30. Oktober 1983	 J. S. Bach: Magnificat                                                     Eva Schad  	 8. Dezember 1996	 J. S. Bach: Magnificat  	 30. Dezember 2001	 W. A. Mozart: Vesperae solennes  	 29. November 2003	 John Rutter: Magnificat    	39
KonzertE              Händel – Mendelssohn – Elgar – Bernstein    Eine britische Besonderheit ist das Anthem, eine        Bei Edward Elgar denkt man sofort an sei-  mehrsätzige Psalmenkantate. Mehrere Anthems         ne berühmteste Komposition, den Pomp and  von G. F. Händel, darunter das bekannte Zadok       Circumstance-Marsch, der alljährlich die ›Last  the Priest, standen auf dem Programm eines          Night of the Proms‹ als glanzvolles Schlussstück  Konzerts am 18. Mai 2003, zusammen mit Bachs        krönt. In einem Konzert zur Sail am 26. August  Osteroratorium und der Bach-Kantate Der Friede     2010 erklang das Stück außer in der orchestralen  sei mit dir.                                        Originalfassung als Zugabe noch ein zweites Mal                                                      mit Chor (»Land of Hope and Glory«). Im Zen      Mit Felix Mendelssohn Bartholdys symphoni-      trum dieses Konzerts aber standen drei geistliche  scher Kantate Wie der Hirsch schreit nach frischem  Chorwerke Elgars: Die Anthems Great is the Lord  Wasser (Psalm 42) erklang am 31. Oktober 1993       und Give unto the Lord sowie Elgars Te deum sind  unter der Leitung Carsten Klomps eine deutsch-      üppigste englische Chorromantik und ließen die  sprachige Psalmvertonung des 19. Jahrhunderts in    Herzen der Zuhörer höher schlagen.  der Christuskirche.              Abb. 27: Plakat des Oratorienkonzerts zur Sail am 26.8.2010    Die Aufführung von Leonard Bernsteins rhyth-        rungen. Zusammen mit Bernsteins dreisätziger  misch vertrackten Chichester Psalms in hebräischer  Chorsymphonie erklang am 7. November 1999  Sprache stellte den Chor vor neue Herausforde-      das Hebbel-Requiem von Max Reger.                                       Aufführungen von Psalmvertonungen                                                      Carsten Klomp      	 31. Oktober 1993	 Felix Mendelssohn Bartholdy: Der 42. Psalm                                                                 Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser                                                         Eva Schad      	 7. November 1999	 Leonard Bernstein: Chichester Psalms      	 18. Mai 2003	 G. F. Händel: Anthems, u. a. Zadok the Priest      	 26. August 2010	 Edward Elgar: Anthems Great is the Lord und                                                                 Give unto the Lord, Te Deum    40
KonzertE                      Kantaten und Rundfunkgottesdienste  Seit Ende der 60er Jahre hat die Stadtkantorei      jährlich an einem Rundfunkgottesdienst, der     das offene Chorprojekt ›Kantate zum Mitsingen‹.                                                      Es bietet musikalisch Interessierten die Möglich-  von Radio Bremen übertragen wurde, mitge- keit, zusammen mit Sängerinnen und Sängern  wirkt. Meistens wird in diesen Gottesdiensten der Stadtkantorei an nur einem Wochenende  eine Bach-Kantate zum Sonntag der entsprechen- eine Kantate einzustudieren und im Sonntags-  den Kirchenjahreszeit gesungen. Diese Tradition gottesdienst aufzuführen. Im Anschluss an ein  ist über 50 Jahre hinweg bestehen geblieben, so solches Projekt haben immer wieder Sängerin-  dass die Stadtkantorei über ein reiches Repertoire nen und Sänger als neue Mitglieder zur Kantorei  an Bach-Kantaten verfügt – neben oratorischen gefunden.  Kompositionen in Kantatenform, wie dem Weih        Neben Werken Johann Sebastian Bachs und  nachtsoratorium und dem Osteroratorium Johann Dietrich Buxtehudes standen wiederholt auch  Sebastian Bachs.                                    Kantaten des 19. Jahrhunderts auf dem Programm,  Zu den festen jährlichen Einrichtungen ge- so etwa am 5. Dezember 2004 die unverkennbar  hört auch – von Friedrich Wandersleb begonnen, am Bach’schen Vorbild geschulte Kantate Vom  von Eva Schad fortgeführt und weiterentwickelt – Himmel hoch von Felix Mendelssohn Bartholdy.                      Oratorien  Die Evangelische Stadtkantorei wurde 1963        ausdrücklich als »Chor für Oratorien und      oratorien hat die Kantorei immer wieder auch                                                      die großen biblischen Oratorien von Händel bis  große Kirchenmusik« gegründet. Neben den Honegger zur Aufführung gebracht.  bereits erwähnten Weihnachts- und Passions-                      Georg Friedrich Händel: Der Messias und andere Oratorien    »Singen Sie kammermusikalisch«: So verdeut-         Chorsänger lernten beim Singen unter anderem  lichte Carsten Klomp den Chorsängerinnen und        das ›Schwer – Leicht‹ der Silbenbetonung zu be-  Chorsängern seine Vorstellung, wie Händels Mes     achten. In diesem Bemühen um eine ›historisch  sias zu singen sei. Am 6. Dezember 1992 dirigierte  informierte‹ Aufführungspraxis wird der Gene-  er den Messias zum Antritt seiner 3 ½ Jahre wäh-    rationenwechsel spürbar, der sich mit Leitung  renden Amtszeit als Kreiskantor des Kirchenkrei-    der Kantorei durch Eva Schad vollzogen hatte.  ses Bremerhaven.                                    Hatte Werner Steinmeier in seiner Rezension der                                                      Messias-Aufführung von 1992 noch die Kontinu-      In seiner Besprechung (Abb.  28) würdigt        ität zwischen den Interpretationsansätzen Fried-  Werner Steinmeier das »glanzvolle« Konzert als      rich Wanderslebs und Carsten Klomps hervorge-  Frucht der »jahrelange[n] Aufbauarbeit« Fried-      hoben, so arbeitet Dieter Strohmeyer das ›Neue‹  rich Wanderslebs und der Qualitäten seines noch     der Messias-Interpretation Eva Schads heraus  jungen Amtsnachfolgers Carsten Klomp (es war        (Abb. 29).  die letzte Kritik über eine Aufführung der Kanto-  rei aus seiner Feder, er starb im März 1993):           Neu war es auch, dass Eva Schad den Messias                                                      auf die Kantorei und den Bremerhavener Kam-      Die Aufführung des Messias am 13. Dezem-        merchor aufteilte: Die großen Chöre wurden  ber 1998 unter der Leitung von Eva Schad brach-     von der Kantorei gesungen, während sie die eher  te eine ganze Reihe an Neuerungen. Der Chor         kammermusikalischen und fugierten Teile dem  sang das Oratorium erstmals in der englischen       Kammerchor zusprach – angesichts der von Eva  Originalsprache. Das ›Hamburger Barockorches-       Schad gewählten Tempi eine sinnvolle Entschei-  ter‹ spielte auf historischen Instrumenten, d. h.   dung. Mit zunehmendem Alter und vielleicht  auf Nachbauten originaler Instrumente der Ba-       auch in Folge der Geburt ihrer zwei Kinder Feli-  rockzeit und in ›alter‹, um einen Halbton tiefer    citas (2004) und Jakob (2007) wurden ihre Tempi  liegender Stimmung. Die Chorsängerinnen und    	41
KonzertE        Abb. 28: Händel, Der Messias, 8.12.1992; Rezension von Werner Steinmeier in der NZ (Auszug)    ruhiger, und auch die Art und Weise des Musizie-  am 13. Dezember des Händel-Jahres 2009 sang  rens nahm einen kleinen Wandel. Bei der zweiten   die Kantorei wieder alle Teile selbst – eine Spur  Aufführung des Messias unter Eva Schads Leitung   langsamer, aber nicht weniger lebendig.        Abb. 29: G. F. Händel, The Messiah, 13.12.1998; Rezension von Dieter Strohmeyer in der NZ (Auszug)    Neben dem Messias hat sich die Kantorei auch      vener Kammerchor bereits das Oratorium Saul  Händels doppelchörigem Oratorium Israel in        aufgeführt – von Eva Schad nur wenige Tage vor  Egypt angenommen, das am 8. Oktober 2006 in       Beginn ihres Mutterschutzes mit dickem Bauch  der Christuskirche erklang. In diesem Werk –      vom Hochstuhl aus dirigiert.  von den Zeitgenossen seines hohen Choranteils  wegen geschmäht, von den Späteren aus glei-           Am 22. Februar 2009 schließlich, zu Händels  chem Grunde hochgeschätzt – erzählt Händel in     250. Todesjahr, verbanden Eva Schad und der  zahlreichen Volks- und Massenchören von den       ehemalige Stadttheater-Intendant Dr. Dirk Bött-  zehn Plagen und dem Auszug der Israeliten aus     ger einige der schönsten Oratorienchöre mit Tex-  Ägypten. Zwei Jahre zuvor hatte der Bremerha-     ten von und über Händel zu einem ›Rundumbild‹                                                    des Orpheus des Barock.    42
KonzertE                                   Aufführungen von Händel-Oratorien                                              Friedrich Wandersleb  	 16. November 1980	 Der Messias  	 25. November 1984	 Der Messias                                                  Carsten Klomp  	 6. Dezember 1992	 Der Messias                                                     Eva Schad  	 13. Dezember 1998	 The Messiah  	 22. Februar 2006	 Orpheus des Barock –                                                             Oratorienchöre von G. F. Händel  	 8. Oktober 2006	 Israel in Egypt  	 13. Dezember 2009	 The Messiah    Joseph Haydn: Die Schöpfung    Nachdem die Kantorei 1999 in der Aufführung         lich anschaulichen Wetter- und Tierportraits in  einer Missa brevis von Joseph Haydn mit der         Haydns Schilderung des Paradieses zu singen und  Tonsprache dieses Komponisten in Berührung          zu hören!  gekommen war, konnte der Chor im Jahr darauf  in der Einstudierung des Oratoriums Die Schöp          Schließlich wurde im Jahr 2009 in Bremen  fung durch Eva Schad ein großes Chorwerk von        der 32. Deutsche Evangelische Kirchentag gefei-  Haydn kennen lernen.                                ert. Auch Bremerhaven wollte einen musikalisch-                                                      kulturellen Beitrag leisten, und so erklang Die      Etwas reißerisch klingt die Überschrift zur     Schöpfung, passend zum Motto des Kirchentages  Rezension der Aufführung vom 9. Juli 2000 in der    »Mensch, wo bist du?«, am 23. Mai 2009 erneut in  Nordseezeitung: »Brüllender Löwe und schneller      der Christuskirche – dieses Mal begleitet vom ei-  Tiger – Haydns ›Schöpfung‹ in der Christuskir-      genen Bremerhavener Kammerorchester, was für  che« (Abb.  30). Aber es hat dem Chor und den       die engagierten Laienmusiker ein großes Stück  Zuhörenden schon Freude gemacht, die so köst-       Arbeit war.    Mendelssohn: Elias, Paulus und ›Lobgesang‹    Am 21. Oktober 2001 – die Erschütterung über        lisch-dramatischen Darstellung von Naturgewalt  die schrecklichen Terroranschläge des 11. Septem-   und Menschengewalt. »Im Oratorium ›Elias‹ bebt  ber auf das World Trade Center in New York war      die Erde«, titelte die Nordseezeitung. Die Bespre-  allen noch nahe – sang die Kantorei unter der Lei-  chung von Dieter Strohmeyer lässt erkennen, dass  tung von Eva Schad das Oratorium Elias von Felix    es in der Musik nicht nur die Erde ist, die bebt,  Mendelssohn Bartholdy.                              sondern dass es um den »von Zweifeln, Ängsten                                                      und Irritationen geprägte[n] Mensch[en]« geht,      Ob sich beim Singen oder Hören dieses Ora-      heute wie damals (Abb. 31).  toriums in Gedanken Musik und Weltgeschehen  berührten, wird jede und jeder anders empfun-           Nicht weniger dramatisch komponierte Men-  den haben. Die Musik ist offen dafür, zumal die     delssohn seinen Paulus, den die Kantorei am 9.  Musik von Mendelssohns Elias in ihrer musika-       November 2008 zur Aufführung brachte.    	43
KonzertE                              Abb. 30: Joseph Haydn, Die Schöpfung, 9.7.2000; Rezension in der NZ  44
KonzertE    Im Oratorium ›Elias‹ bebt die Erde    […] Sie hat den Komponisten Felix Mendelssohn      der Aufruhr der Naturelemente zum Zuge, das  Bartholdy eindrucksvoll gegen alle Klischees       Zerreißen des Himmels, das Beben der Erde, das  der Glätte, Oberflächlichkeit und Sentimenta-      Zerbrechen der Felsen. Dem standen – etwa im  lität verteidigt. Damit hat sie bewiesen, dass er  Doppelquartett oder in der langen Wiederewe-  gleichfalls kraftvoll und innovativ komponierte.   ckungsepisode – in beeindruckender Steigerung  Er lebte […] nicht nur glücklich dahin, sondern    Szenen einer zart empfundenen romantischen  war ein von Zweifeln, Ängsten und Irritationen     Religiösität gegenüber. Der Dirigientin halfen  geprägter Mensch.                                  bei dieser Gradwanderung ein gut disponierter                                                     und einstudierter Chor und vorzügliche Solisten.      Das war wohl das Verständnis Eva Schads,  das weit von jeder frömmelnden Interpretation          Der Chor war bei dieser stürmischen Ausle-  entfernt ist […]. Und so kam in einer turbulenten  gung extrem gefordert. […] Eindrucksvoll die  Ausgestaltung durch Chor und Orchester auch        Zuverlässigkeit und Präzision der Einsätze […].             Abb. 31: Felix Mendelssohn-Bartholdy, Elias, 21.10.2001;  Rezension von Dieter Strohmeyer in der NZ vom 24.10.2001 (Auszug)    Felix Mendelssohn Bartholdy starb am 4. Novem-     von Eva Schad sollte seines Todesjahres vor 150  ber 1847 im Alter von nur 38 Jahren. Mit der Auf-  Jahren gedacht werden. In diesem Konzert kam  führung seiner 2. Symphonie Lobgesang am 15.       zum ersten Mal ein neues Chorpodest zum Ein-  Juni 1997 in der Christuskirche unter der Leitung  satz.                                  Oratorienaufführungen (außer Händel)                                              Friedrich Wandersleb  	 14. Oktober 1990	 Arthur Honegger: König David                                                     Eva Schad  	 15. Juni 1997	 Felix Mendelssohn Bartholdy:                                                             2. Sinfonie Lobgesang  	 9. Juli 2000	 Joseph Haydn: Die Schöpfung  	 21. Oktober 2001	 Felix Mendelssohn Bartholdy: Elias  	 9. November 2008	 Felix Mendelssohn Bartholdy: Paulus  	 23. Mai 2009	 Joseph Haydn: Die Schöpfung                                                             (Kirchentag Bremen)    Arthur Honegger (1892–1955): König David    »Endlich mal was anderes in der Bremerhavener      Aber die Rezensentin muss auch feststellen, dass  Chorszene«, begrüßt Monika Willers in ihrer        nicht unbedingt eine Mehrheit der potentiellen  Rezension in der Nordseezeitung die Auffüh-        Konzertbesucherinnen und -besucher mit ihr ei-  rung von Arthur Honeggers König David am 14.       ner Meinung ist. Denn am Schluss schreibt sie:  Oktober 1990. »Neben ihrem Bach-Studium hat        »Es hat viel Spaß gemacht, den ›König David‹  sich die Evangelische Stadtkantorei Bremerhaven    in dieser Aufführung zu hören. Schade, daß die  unter der Leitung von Friedrich Wandersleb jetzt   Christuskirche nicht voll besetzt war. Hoffentlich  um ein Werk aus unserem Jahrhundert bemüht.«    	45
KonzertE                                            ben. Komponisten wie John Rutter und Maurice                                                      Duruflé waren den meisten, die die erwähnten  hält das weder den Chor noch Wandersleb davon       Requiem-Aufführungen gehört hatten, bis da-  ab, sich auch weiterhin um unbekanntere Musik       hin vermutlich unbekannt, ebenso wie manches  zu bemühen.«                                        Chorwerk bekannterer Komponisten. Dennoch                                                      erfahren auch Konzerte mit unkonventioneller      Konzertbesucherinnen und -besucher für          Programmgestaltung seit langen Jahren erfreuli-  das Hören neuer und unbekannter Werke zu            chen Zuspruch.  gewinnen, ist seit Friedrich Wanderslebs König  David-Projekt ein wichtiger Aspekt bei der Pro-  grammauswahl für die Kantoreikonzerte geblie-        Carl Orff: Carmina burana                                  Hafenwelten Bremerhaven                                      Freiluftbühne am Neuen Hafen (beim „Lloyd‘s“)                                            Sonntag, den 8. Juli 2012, 19.00 Uhr                                               Carl Orff                                                                                                           Evangelische Stadtkantorei Bremerhaven Open-air                                                                                                Sopran: Lilli Wünscher · Tenor: Daniel Kim · Bariton: Peter Kubik                                                                                                             Klaviere: Adrian Rusnak & Marina Kondrasheva                                                                                                                  Schlagzeugensemble Christian Pfeifer                                                                                                                                Leitung: Eva Schad                                                         	 Eintritt frei!        Abb. 32: Carl Orff, Carmina Burana; Plakate der Aufführungen von 1994 und 2012    Es ist zwar eine klösterliche Handschrift, die      wollten das Werk gerne aufführen. So fand sich       das Libretto für die wohl berühmteste Kom-     ein ungewöhnlicher, aber – wie sich herausstellte  position von Carl Orff abgegeben hat. Aber eine     – sehr geeigneter Aufführungsort, den es mittler-  Aufführung in einer Kirche rechtfertigt diese Tat-  weile nicht mehr gibt, das so genannte ›Design-  sache allein noch nicht. Denn deren Bezeichnung     Labor‹, besser bekannt unter dem Namen ›ehe-  als cantiones profanae, sprich ›weltliche Lieder‹,  maliges Stadtbad‹.  könnte – wie Carsten Klomp im Programmheft  zur Aufführung schreibt – »durchaus noch das            Das Orchester saß im ehemaligen Nicht-  Wörtchen ›sehr‹ vorangestellt werden«, insofern     schwimmerbecken, der Chor war über Eck am  sie »zum Teil recht drastisch die Freuden des Sau-  Beckenrand postiert, das Publikum saß auf den  fens, Fressens, Liebens und Spielens, verbunden     Zuschauerrängen (Abb. 33). Den Aufführungsbe-  mit heftigen Angriffen auf Kirche und Gesell-       dingungen musste etwas nachgeholfen werden:  schaft«, beschreiben. Doch Chorleiter und Chor      Bei hochsommerlichen Temperaturen wurden in                                                      schweißtreibender Arbeit der Kantoreimitglieder    46
KonzertE    Abb. 33: Carl Orff, Carmina Burana, 17.7.1994 im ehemaligen Stadtbad Bremerhaven    Stühle und Podeste für den Chor, das Orchester       Für die Damen und Herren der ›Sinfonia  und das Publikum aus dem nahen Schifffahrts-     Silesia‹, Mitglieder des Nationalen Rundfunk  museum und der Pauluskirche herbeitranspor-      sinfonieorchesters Kattowitz / Polen, stellten die  tiert. Das Konzert wurde ein großer Erfolg und   Kantoreimitglieder Privatquartiere bereit. Da die  sorgte nicht zuletzt des Aufführungsortes wegen  Carmina burana am Tag nach dem Bremerhave-  für besondere Aufmerksamkeit in der Öffentlich-  ner Konzert in einer Halle der Meyer-Werft in Pa-  keit. Wann kann man schon einmal ein großes      penburg wiederholt wurden, war genügend Zeit  Orchester mitsamt Dirigenten und Kinderchor      für eine herzliche Begegnung mit den Gästen.  in einem leer gepumpten Schwimmbadbecken  erleben?                                             Über die Aufführung am 17. Juli 1994 schreibt                                                   Donald Preuß in der Nordseezeitung:                   Abb. 34: Carl Orff, Carmina Burana, 17.7.1994; Rezension von Donald Preuß in der NZ  	47
KonzertE                                                                 bestehend aus Petrus Klan, Bruno Fröhlich und                                                                           Stefan Tönjes, einen perfekten Sommerabend.  Das Einstudieren und die Aufführung des Wer-                             Auf das Eröffnungskonzert der Jugendchöre, die  kes machte den Chorsängerinnen und Chorsän-                              später am Abend den Kinderchorpart der Carmi  gern so viel Spaß, dass sich ein Jahr danach, im                         na Burana übernahmen, folgte ein Beitrag von  Oktober 1995, viele noch einmal als Chor für                             Vasilly und Adrian Rusnak, die mit stimmungs-  eine Ballett-Inszenierung der Carmina burana am                          voller Salonmusik zur Carmina-Aufführung am  Stadttheater Bremerhaven zur Verfügung stellten.                         lauen Sommerabend überleiteten. Die rund 1000                                                                           Zuschauer saßen an Tischen, fein eingedeckt mit      Knapp zwei Jahrzehnte später realisierte Eva                         köstlichen Speisen und Getränken, und erlebten  Schad ihren lang gehegten Plan, die Carmina                              die Carmina Burana in einem traumhaften Am-  burana open-air aufzuführen. Das schmissige                              biente. Einen Tag später wurde das Chorpodest  und rhythmusbetonte Werk ist mit seiner gro-                             von fleißigen Chorherren mit Anhängern zu den  ßen Schlagzeugbesetzung wie geschaffen für die                           neuen ›Havenwelten‹ gegenüber dem Restaurant  Open-Air-Bühne, zumal es von Carl Orff selbst                            ›Lloyds‹ transportiert. Mehrere hundert Zuhörer  eine Fassung gibt, in der das große Orchester                            erlebten die dortige Aufführung am Sonntag den  auf nur zwei Klaviere und Schlagzeug reduziert                           8. Juli 2012, vor Regen und heftigem Wind not-  ist. In dieser Besetzung ist es möglich, alle Aus-                       dürftig geschützt durch die vorsorglich bestellten  führenden – die Stadtkantorei samt Kinderchor,                           Partyzelte. Der Bericht in der Nordseezeitung  drei Sänger und die Instrumentalisten – auf einer                        (Abb. 35) und die Fotoserie (Abb. 37) vermitteln  9 mal 6 Meter kleinen Bühne unterzubringen. Im                           Eindrücke von beiden Aufführungen:  Rahmen von ›Klassik im Park‹ organisierte das so-  wohl musikalisch als auch planerisch bestens auf-  einander eingespielte Nordenhamer Männer-Trio,    Dienstag, 10. Juli 2012                                                                                       LOKALE KULTUR Ȋ 15    Mit Bravour gegen Wind und Regen angesungen    Knatternde Planen, umschlagende Schirme: Die Freiluft-Aufführung von „Carmina Burana“ hatte ihren eigenen Charme    VON ULRICH MÜLLER                    nung sorgte: Werden es die noch     nie. Sopranistin Lilli Wünscher      Wie schon im Vorjahr hatte Eva Schad Pech mit dem Wetter. In Regen-  BREMERHAVEN. „O Fortuna!“ O          nicht anwesenden Solisten recht-    und Tenor Daniel Kim komplet-        capes und unter Schirmen hielt das Publikum dennoch tapfer aus. Foto hr  Glücksgöttin! Mit diesem Ausruf      zeitig auf die Bühne schaffen?      tierten die Reihe der Solisten, die  beginnt Carl Orffs Kantate „Car-                                         sich mit dem Chor ausdrucks-  mina Burana“, und er mag am             Der mächtige, von Eva Schad      stark durch die 24 Lieder und ih-  Sonntagabend auch manchem            dirigierte Chor sang sauber und     re Gefühlslagen sangen. Dass  Besucher der Freiluft-Aufführung     präzise, war dank der Lautspre-     Kim dabei eine offenbar aus dem  am Neuen Hafen auf den Lippen        cher überall auf dem Platz bes-     Perkussionsfundus entliehene  gelegen haben. Mit verblüffender     tens zu hören. Pentatonik und       Bratpfanne benutzte, um seine  Pünktlichkeit begann der Wind        Romantik, Archaisches und aus-      Noten vor dem vom Bühnendach  kurz vor dem Auftritt der Evange-    gelassene Tänze: Adrian Rusnak      tropfenden Wasser zu schützen,  lischen Stadtkantorei den Regen      und Marina Kondraschewa steu-       sorgte für Heiterkeit.  über den Platz vor dem „Lloyd’s“     erten die Klavierbegleitung bei,  zu fegen, das Schicksal meint es     die vier Schlagwerker sorgten für      „O Fortuna!“ – irgendwann  offenbar nicht gut mit Kreiskan-     das Fundament der ständig wech-     hatte sich die Feuchtigkeit auch  torin Eva Schad und ihrem Chor.      selnden Rhythmen.                   durch Kabel und Anschlüsse ge-                                       Mit der Bratpfanne                  arbeitet, doch direkt vor dem letz-     Auch die Zuschauer, die kei-      Dazu leise im Wind knatternde       ten Lied konnte das nun wirklich  nen Schutz mehr im aufgestellten     Planen, umschlagende Schirme        niemanden mehr erschüttern.  Zelt gefunden hatten, ließen sich    und knisternde Regenmäntel –-       „Schmählich Leben! Erst miss-  zunächst nicht vertreiben. Unter     Open Air hat in Bremerhaven sei-    handelt, dann verwöhnt es“, sang  diesen Umständen war es trotz        ne ganz eigene Atmosphäre.          der Chor und brachte das Kon-  ausgeteilter Plastikcapes eine klu-                                      zert souverän „unplugged“ zu En-  ge Entscheidung von Kantorin            Auf die Sekunde genau stürmte    de. Großer Applaus für das beein-  Eva Schad, das Vorprogramm des       Bariton Peter Kubik auf die Büh-    druckende Konzert, Beifall von  Jugendchors zu kürzen und frü-       ne, sein erster, mit den Worten     den Mitwirkenden für die beharr-  her als vorgesehen ins Hauptwerk     „Alles macht die Sonne mild“ be-    lichen Zuschauer. Ach ja, eine  einzusteigen. Eine Entscheidung      ginnender Text war ein Lecker-      Stunde später war es mit dem Re-  zudem, die durchaus für Span-        bissen für Freunde gepflegter Iro-  gen dann erst mal wieder vorbei.        Abb. 35: Carl Orff, Carmina Burana, 8.7.2012; Rezension von Ulrich Müller in der NZ    Wie bereits 1995 wurden die Carmina burana                               mussten alle Sängerinnen und Sänger in einem  auch 2012 wieder für eine Ballett-Inszenierung                           mehrstöckigen, sechs Meter hohen ›Amphithea-  ins Programm des Stadttheaters genommen. Die-                            ter‹ einreihig im Halbkreis stehend singen, was  ses Mal übernahmen die Stadtkantorei und der                             Kapellmeister Stefan Veselka einige Koordinati-  Bach-Chor die Chorpartie gemeinsam mit dem                               onsschwierigkeiten bereitete. Nach der Premiere  Opernchor des Stadttheaters Bremerhaven. Der                             vom 31. März 2012 gelang das Experiment von  Inszenierung und dem Bühnenkonzept folgend,                              Aufführung zu Aufführung besser – und die    48
                                
                                
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