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Sammelmappe Infografiken August 2023-1

Published by t_gorontzy, 2023-08-07 20:06:45

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["462 138 10\/20 Deutscher Aktienindex \u2013 DAX Aktienindizes spiegeln die Kursentwicklung an der B\u00f6rse in konzentrierter Form. Sie dienen professio- nellen und privaten Anlegern zur Information \u00fcber das B\u00f6rsengeschehen und werden dar\u00fcber hinaus als Indikator f\u00fcr die allgemeine wirtschaftliche Lage wahrgenommen. Wichtigstes Kursbarometer f\u00fcr den deutschen Aktienmarkt ist der DAX, der sich aus den Aktienwerten der 30 gr\u00f6\u00dften und umsatzst\u00e4rksten Unternehmen an der Frankfurter Wertpapierb\u00f6rse zusammensetzt. Er wurde zum 1. Juli 1988 einge- f\u00fchrt. Ausgangspunkt der Indexberechnung ist der Stand Ende 1987 (=1000). Die im DAX vertretenen Unternehmen k\u00f6nnen sowohl den klassischen als auch den technologieorientier- ten Branchen angeh\u00f6ren. Sie m\u00fcssen einen Sitz in Deutschland haben. Unternehmen aus der \u00fcbrigen EU oder der EFTA kommen ebenfalls f\u00fcr den DAX in Frage, wenn der Schwerpunkt ihres B\u00f6rsenumsatzes an der Frankfurter B\u00f6rse liegt. Eine weitere Voraussetzung ist, dass sich mindestens 10 % in Streubesitz befin- den und somit an der B\u00f6rse frei gehandelt werden k\u00f6nnen (Freefloat). (Als Festbesitz gelten demgegen\u00fcber alle Anteile, die zusammen mehr als 5 % des Grundkapitals ausmachen und von einem Eigner kontrolliert werden \u2013 kurzfristig ausgerichtete Fonds ausgenommen.) Sind die Grundvoraussetzungen erf\u00fcllt, ent- scheiden zwei Kriterien \u00fcber die Aufnahme in den DAX: \u25cf in welchem Umfang diese Aktie w\u00e4hrend des letzten Jahres im elektronischen Handelssystem XETRA bzw. an der Frankfurter B\u00f6rse gehandelt wurde (B\u00f6rsenumsatz) und \u25cf wie hoch der Kurswert des Streubesitzanteils, gemessen am Durchschnitt der letz- ten 20 Handelstage, ist (Marktkapitalisierung). Einmal j\u00e4hrlich findet eine regul\u00e4re \u00dcberpr\u00fcfung statt. Dabei wird z.B. ein DAX-Wert, der bei einem der beiden Kriterien hinter Rang 40 der gr\u00f6\u00dften Unternehmen zur\u00fcckf\u00e4llt, ersetzt, falls ein Aufsteiger bei beiden mindestens Rang 35 erreicht. Bei Fusionen, Insolvenzen (wie im Fall der Wirecard AG 2020) kann der DAX auch kurzfristig angepasst werden. Der DAX wird aus den Kursen des elektronischen Handelssystems Xetra der Deutschen B\u00f6rse abgeleitet. Dabei werden die einzelnen Aktienwerte entsprechend ihrem Anteil an der Kapitalisierung der DAX-Werte gewichtet; allerdings wird der Gewichtsanteil einzelner Aktien im DAX auf h\u00f6chstens 10 % begrenzt. Der DAX tritt in mehreren Varianten auf: Als Performance-Index, der die Wiederanlage aller Dividenden- und Bonuszahlungen unterstellt, wird er w\u00e4hrend der B\u00f6rsenzeit im Sekundentakt neu berechnet. F\u00fcr den Kursindex, der die reine Kursentwicklung abbildet, erfolgt die Berechnung einmal t\u00e4glich. Dar\u00fcber hinaus gibt es weitere, vor allem f\u00fcr professionelle Anleger bestimmte Spielarten.","389 204 4\/21 Deutschlands Partner im Au\u00dfenhandel F\u00fcr die Bundesrepublik Deutschland war die Entwicklung des Au\u00dfenhandels stets ein wichtiger Faktor f\u00fcr den Wirtschaftsverlauf. Ein Aufschwung im Konjunkturzyklus wurde regelm\u00e4\u00dfig durch die Belebung des Exportgesch\u00e4fts ausgel\u00f6st. So auch in den Jahren ab 2004. Die deutsche Exportwirtschaft profitierte dabei von der \u00fcber Jahre gewachsenen preislichen Wettbewerbsf\u00e4higkeit gegen\u00fcber wichtigen Konkur- renten. Sie war mit ihrem Produktionsprofil zudem bestens ger\u00fcstet f\u00fcr die starke Weltmarktnachfrage nach Investitionsg\u00fctern. Die Kehrseite der intensiven Welthandelsverflechtung zeigte sich in der Finanz- und Wirtschaftskrise des Jahres 2009, als die deutschen Ausfuhren um nahezu ein F\u00fcnftel schrumpften. Den deutschen Unternehmen kam allerdings zugute, dass die Erholung der Weltkonjunktur ab Mitte 2009 vor allem von den Schwellenl\u00e4ndern und ihrem gro\u00dfen Bedarf an Investitionsg\u00fctern getragen wurde, so dass dem Absturz ein umso lebhafterer Aufschwung folgte. Danach stiegen die Warenexporte zwar lang- samer, aber weiterhin stetig an, sodass ein Rekordwert auf den n\u00e4chsten folgte. Die Corona-Pandemie brachte im Jahr 2020 jedoch einen neuerlichen Einbruch: Die Warenexporte gingen gegen\u00fcber dem Vor- jahr um 9,3 % auf 1 205 Mrd \u20ac zur\u00fcck, die Importe sanken um 7,1 % auf 1 025 Mrd \u20ac. Der \u00dcberschuss in der Handelsbilanz lag bei 180 Mrd \u20ac. Wie sich der Au\u00dfenhandel nach diesem R\u00fcckschlag weiterentwi- ckelt, ist noch nicht abzusehen. Bereits in den Jahren zuvor hatten sich protektionistische Tendenzen im Welthandel verst\u00e4rkt. In der Corona-Pandemie kam es \u00fcberdies zu ernsthaften St\u00f6rungen in den globalen Lieferketten, sodass in Zukunft m\u00f6glicherweise eine st\u00e4rkere Konzentration der Handelsbeziehungen auf den engeren Wirtschaftsraum zu erwarten ist. Schon bisher hatte der europ\u00e4ische Binnenmarkt ma\u00dfgebliche Bedeutung f\u00fcr den deutschen Au\u00dfen- handel: 2020 wickelte Deutschland gut die H\u00e4lfte (53 %) seines grenz\u00fcberschreitenden Warenverkehrs (Exporte + Importe) mit den EU-Partnern ab, insgesamt mit einem Wert von 1 183 Mrd \u20ac. Das Schwerge- wicht lag dabei weiterhin auf den L\u00e4ndern der Eurozone: Auf sie entfielen 814 Mrd \u20ac. Auch mit dem \u00fcbri- gen Europa (2020 einschl. Gro\u00dfbritannien) pflegte Deutschland enge Handelsbeziehungen. Als einzelnes Land ist seit 2016 die Volksrepublik China der gr\u00f6\u00dfte Handelspartner Deutschlands. Der Handelsumsatz mit China belief sich 2020 auf 212 Mrd \u20ac. China ist neben Japan auch die einzige bedeutende Volkswirt- schaft, der gegen\u00fcber Deutschland keinen Export\u00fcberschuss aufweist. Inzwischen ist China zum wichtigs- ten Importland der Bundesrepublik aufgestiegen. Bei den Exporten liegt China an zweiter Stelle hinter den USA, dem wichtigsten Abnehmerland f\u00fcr deutsche Waren.","715 289 9\/20 Dezentrale Agenturen der EU Im Lauf ihrer Entwicklung hat die Europ\u00e4ische Union ein Netz von selbstst\u00e4ndigen Einrichtungen (Agen- turen) geschaffen, die bestimmte rechtliche, technische oder wissenschaftliche Aufgaben wahrnehmen. Sie sind in ganz unterschiedlichen Bereichen t\u00e4tig, die f\u00fcr das Leben der Menschen in der EU von Bedeutung sind, und leisten einen Beitrag zur Umsetzung der EU-Politik in ihrem jeweiligen Spezialgebiet. Sie befas- sen sich mit Arzneimitteln und Chemikalien, der Sicherheit von Lebensmitteln, der Arbeitssicherheit und den Arbeitsbedingungen, mit Fragen der Verkehrssicherheit und der Gesundheit, der Aufsicht \u00fcber die Finanzm\u00e4rkte, mit der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz, der Wahrung der Grundrechte, mit Umwelt- schutz und Bildung, Technologie und Forschung, Grenzschutz und Verteidigung. Die Europ\u00e4ische Kommission schlug vor einigen Jahren eine Einteilung der Agenturen anhand ihrer Funktion vor. Demnach sind zu unterscheiden: \u25cf Agenturen, die rechtlich verbindliche Entscheidungen mit Wirkung nach au\u00dfen treffen k\u00f6nnen (z.B. die Chemikalienagentur); \u25cf Agenturen, die der Europ\u00e4ischen Kommission mit technischen oder wissenschaftlichen Empfehlungen zuarbeiten (z.B. die Agentur f\u00fcr Lebensmittelsicherheit); \u25cf Agenturen mit operativen Aufgaben (z.B. die Grenzschutzagentur FRONTEX oder die Europ\u00e4ische Polizeibeh\u00f6rde Europol); \u25cf Agenturen, die verl\u00e4ssliche Informationen sammeln, aus- werten und verbreiten (z.B. die Umweltagentur oder das Institut f\u00fcr Gleichstellungsfragen); \u25cf das \u00dcberset- zungszentrum mit seinen Dienstleistungen f\u00fcr andere EU-Einrichtungen. Die selbstst\u00e4ndigen Agenturen sind nicht zu verwechseln mit den Exekutivagenturen, die von der Kommission zur Durchf\u00fchrung von EU-Programmen eingerichtet werden, und den Gemeinschaftsunternehmen (Joint Undertakings), in de- nen die EU auf strategisch wichtigen Gebieten der Forschung und der Innovation (z.B. der Wasserstoff- technologie oder der Entwicklung von Impfstoffen) mit privaten Unternehmen zusammenarbeitet. Ein Merkmal der dezentralen Agenturen besteht darin, dass ihre Standorte \u00fcber die ganze EU verstreut sind. Welches Land den Zuschlag f\u00fcr eine Agentur bekam, war im Europ\u00e4ischen Rat stets hei\u00df umk\u00e4mpft und manchmal Ergebnis fragw\u00fcrdiger Kompromisse. 2004 beschloss der Rat, neu zu gr\u00fcndende Agenturen vorrangig an die Beitrittsl\u00e4nder zu vergeben. 2005 erhielt Polen den Zuschlag f\u00fcr die Grenzschutzagentur FRONTEX \u2013 als erstes der osteurop\u00e4ischen EU-Mitglieder. Bei der Vergabe der Standorte f\u00fcr die mit dem Brexit aus Gro\u00dfbritannien abziehenden Agenturen und die neu geschaffene Europ\u00e4ische Arbeitsbeh\u00f6rde (2019) wurde dann aber erstmals in einem offenen Wettbewerb nach sachlichen Kriterien entschieden.","726 290 1\/23 Die \u00c4lteren im Arbeitsleben Auf Grund seiner demografischen Entwicklung ist Europa zunehmend mit den Problemen einer alternden Gesellschaft konfrontiert. Obwohl \u00e4ltere Menschen ab 60 Jahren inzwischen schon mehr als ein Viertel (27 %) der EU-Bev\u00f6lkerung ausmachen und dieser Anteil weiter ansteigt, sind die meisten EU-L\u00e4nder noch ungen\u00fcgend darauf eingestellt. Wenn aber die wirtschaftlich aktive Erwerbsbev\u00f6lkerung schrumpft, ist ein R\u00fcckgang der Wirtschaftsleistung auf l\u00e4ngere Sicht kaum zu vermeiden. Auch droht eine Schieflage im Besch\u00e4ftigungs- und Sozialsystem, weil die Bev\u00f6lkerungsgruppen im j\u00fcngeren und mittleren Alter damit \u00fcberfordert sind, f\u00fcr die wachsende Schicht der Senioren mit- und vorzusorgen. Trotzdem leisten sich viele L\u00e4nder noch immer den Luxus, \u00e4ltere Arbeitskr\u00e4fte zu fr\u00fch aus dem aktiven Arbeitsleben zu verabschieden und damit auf ihr Leistungspotenzial zu verzichten. H\u00e4ufig l\u00e4dt die Arbeits- und Sozialgesetzgebung f\u00f6rmlich dazu ein, dass Unternehmen noch leistungsf\u00e4hige Mitarbeiter aufs Alten- teil abschieben und Besch\u00e4ftigte die Arbeitswelt vorzeitig in Richtung Rente verlassen. Es fehlt auch fast \u00fcberall noch an einem altersgerechten Arbeitsplatzmanagement, das eine Verl\u00e4ngerung der Lebens- arbeitszeit bei gleitender Anpassung der Leistungsanforderungen erm\u00f6glichen w\u00fcrde. Die EU versucht dem entgegenzusteuern. Mit ihren besch\u00e4ftigungspolitischen Leitlinien will sie erreichen, dass die Besch\u00e4ftigtenquote der 20- bis 64-J\u00e4hrigen in der EU bis 2030 auf mindestens 78 % ansteigt. Dies setzt voraus, dass auch die \u00e4lteren Jahrg\u00e4nge ihren Platz im Arbeitsleben einnehmen und behalten. In der j\u00fcngeren Vergangenheit war die Besch\u00e4ftigungsentwicklung in der EU bis 2013 noch durch die Nachwirkungen der Finanzkrise und der Staatsschuldenkrise beeintr\u00e4chtigt. Dann setzte eine deutliche Aufw\u00e4rtsbewegung ein, die erst durch die Corona-Pandemie unterbrochen wurde. Der R\u00fcckschlag des Jahres 2020 wurde bereits im Folgejahr wieder aufgeholt: 2021 stieg die Besch\u00e4ftigtenquote auf den bis- herigen Rekordwert von 73,1%. Ein wichtiger Teilaspekt dieser Entwicklung war die zunehmende Erwerbst\u00e4tigkeit der Jahrg\u00e4nge im Vorrentenalter zwischen 60 und 64 Jahren. Waren 2010 im EU-Durchschnitt erst 28,4 % dieser Alters- gruppe erwerbst\u00e4tig, so kletterte diese Quote 2021 auf 46,4 %. Die Unterschiede zwischen den einzelnen EU-L\u00e4ndern blieben allerdings gro\u00df: W\u00e4hrend in Schweden rund 68 % der 60- bis 64-J\u00e4hrigen einer Be- sch\u00e4ftigung nachgingen, waren es in Luxemburg nur 21 % und in Rum\u00e4nien knapp 28 %. Deutschland be- legte mit 61,1 % (gegen\u00fcber 41,1 % im Jahr 2010) den f\u00fcnften Rang in der EU.","236 150 3\/23 Die Arbeitgeberverb\u00e4nde \u2013 BDA Die Arbeitgeberverb\u00e4nde \u2013 einer der drei Zweige, auf die sich die Interessenvertretung der deutschen Wirtschaft st\u00fctzt \u2013 sind f\u00fcr die Wahrung der sozialpolitischen Belange ihrer Mitgliedsunternehmen zust\u00e4n- dig. Ihnen stehen auf Arbeitnehmerseite die Gewerkschaften gegen\u00fcber, mit denen sie Tarifvertr\u00e4ge \u00fcber die Lohn- und Arbeitsbedingungen in ihrem Organisationsbereich abschlie\u00dfen. Wie die Gewerkschaften sind sie in den Selbstverwaltungsorganen der Sozialversicherung und in den Arbeits- und Sozialgerichten vertreten. Zunehmend gibt es auch Arbeitgeberverb\u00e4nde ohne tarifliche Funktionen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverb\u00e4nde (BDA) mit Sitz in Berlin nimmt als Dach- organisation die gemeinschaftlichen, \u00fcber den Bereich eines Landes oder Wirtschaftszweigs hinausgehen- den sozialpolitischen Interessen der Arbeitgeber wahr. Sie ist nicht selbst an Tarifverhandlungen beteiligt, formuliert aber grunds\u00e4tzliche Positionen der Arbeitgeberpolitik. Neben den traditionellen Aufgaben auf den Gebieten des Arbeitsrechts, der Lohn- und Tarifpolitik, des Arbeitsmarkts und der Sozialversicherung geh\u00f6ren u.a. Fragen der Wirtschafts- und Sozialverfassung, der betrieblichen Personalpolitik und der Aus- und Fortbildung zu ihren Aufgaben. Mitglieder der Bundesvereinigung sind 47 Bundesfachverb\u00e4nde (Bran- chenverb\u00e4nde) und die 14 branchen\u00fcbergreifenden L\u00e4ndervereinigungen der Arbeitgeber. Die BDA selbst ist Mitglied der Vereinigung der Wirtschafts- und Arbeitgeberverb\u00e4nde Europas, BusinessEurope. Die Geschichte der Arbeitgeberverb\u00e4nde reicht ins 19. Jahrhundert zur\u00fcck. Der Aufstieg der Gewerk- schaften rief vor allem in den 1890er Jahren zahlreiche, noch zersplitterte Arbeitgeberorganisationen auf den Plan. Diese schlossen sich nach dem Crimmitschauer Textilarbeiterstreik von 1903\/04 in zwei Dach- verb\u00e4nden zusammen, aus denen 1913 die Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverb\u00e4nde hervorging. Im Herbst 1918 bildeten die Arbeitgeberverb\u00e4nde unter dem Eindruck der Kriegsniederlage gemeinsam mit den Gewerkschaften die Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands. Dieser Versuch einer Zusammenarbeit scheiterte zwar bald, brachte aber den Durchbruch zur Koalitionsfreiheit, zum Tarifvertragswesen und zur gegenseitigen Anerkennung als In- teressenvertreter der Unternehmer und der Arbeitnehmer.1933 wurden die Arbeitgeberverb\u00e4nde wie die Gewerkschaften aufgel\u00f6st. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand 1949 die Sozialpolitische Arbeitsge- meinschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets als Arbeitgeber-Dachorganisation. Diese ging Ende 1950 in die heutige Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverb\u00e4nde \u00fcber.","247 133 6\/23 Die Arbeitslandschaft von morgen Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland stehen vor einem Umbruch, der durch anhaltende und massive Knappheiten gekennzeichnet ist. Das ist das Fazit von Modellrechnungen zur mittel- und langfristigen Ent- wicklung in der Arbeitswelt, die unter Leitung des Bundesinstituts f\u00fcr Berufsbildung (BiBB) und des Ins- tituts f\u00fcr Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erstellt wurden. Die im Herbst 2022 ver\u00f6ffentlichten Ergebnisse der Vorausschau erfassen den Zeitraum bis zum Jahr 2040. W\u00e4hrend fr\u00fchere Projektionen vor allem die Bev\u00f6lkerungsentwicklung, die Ver\u00e4nderungen im Altersaufbau und das Bildungsverhalten in den Blick nahmen, wurden diesmal auch die absehbaren Folgen der Corona- Pandemie und des Ukrainekriegs f\u00fcr die deutsche Wirtschaft in das Rechenmodell eingearbeitet. Die Aus- wirkungen dieser Ereignisse sind so schwerwiegend, dass es durchaus gerechtfertigt erscheint, von einem Umbruch zu sprechen. Zu den Faktoren, die nunmehr neu auf den Arbeitsmarkt einwirken, geh\u00f6ren: \u25cf die Energiewende mit der fortschreitenden Umstellung auf erneuerbare Energien und ihren Folgen z.B. f\u00fcr den Automobilbau und die Geb\u00e4udesanierung, \u25cf der Klimawandel und die durch ihn bedingten Sch\u00e4den und Vorsorgema\u00dfnahmen, \u25cf die Diversifizierung der Lieferquellen, um Engp\u00e4sse wie w\u00e4hrend der Co- rona-Pandemie zu vermeiden. Jeder dieser Einflussfaktoren \u2013 hinzu kommt noch die geplante Steigerung der Verteidigungsausgaben und das steigende Zinsniveau \u2013 hat Auswirkungen auf die Nachfrage nach G\u00fctern und die Investitionen und l\u00f6st Verschiebungen zwischen den Wirtschaftszweigen sowie beim Be- darf an Fachkr\u00e4ften aus. Das Arbeitskr\u00e4fteangebot h\u00e4ngt andererseits von der zahlenm\u00e4\u00dfigen Entwicklung, der Altersstruktur und der Erwerbsneigung der Bev\u00f6lkerung ab. Die Studie nimmt an, dass die Erwerbsbev\u00f6lkerung (15- bis 73-J\u00e4hrige) von 62,4 Mio (2021) auf 58,9 Mio (2040) zur\u00fcckgeht. Da aber die Erwerbsbeteiligung zu- nimmt, schrumpft die Zahl der Erwerbst\u00e4tigen im gleichen Zeitraum nur von 44,9 Mio auf 44,3 Mio. In der Besch\u00e4ftigungsstruktur setzen sich die Verschiebungen zu den Dienstleistungsbranchen fort. So geht der Anteil der Erwerbst\u00e4tigen in der Verarbeitenden Industrie und der Bauwirtschaft von 23,8 % (2021) auf 21,4 % (2040) zur\u00fcck. Auch der Handel verliert deutlich an Gewicht. \u201eGewinner\u201c sind hingegen die Unternehmensdienstleister (darunter Forschung, Entwicklung, Planung) mit einem Zuwachs von 13,6 auf 15,3 % und vor allem das Gesundheits- und Sozialwesen, das seinen Anteil an der Gesamtbesch\u00e4fti- gung voraussichtlich von 14,0 % auf 16,5 % steigern kann.","715 293 3\/23 Die EU in der Welt Die Europ\u00e4ische Union umfasst mit ihren 27 Mitgliedstaaten einen gro\u00dfen Teil des europ\u00e4ischen Konti- nents. Zwar hat Europa im Verh\u00e4ltnis zur \u00fcbrigen Welt seit Mitte des 20. Jahrhunderts an Gewicht verloren und die EU tut sich schwer damit, ihr Potenzial zur Geltung zu bringen, auch bedeutete der Austritt Gro\u00df- britanniens einen schweren R\u00fcckschlag f\u00fcr die europ\u00e4ische Einigung. Aber die EU repr\u00e4sentiert doch eine wirtschaftlich, politisch und sozial hochentwickelte Weltregion. Das zeigt ein Vergleich wichtiger statisti- scher Kennzahlen mit denen anderer gro\u00dfer Industrie- und Schwellenl\u00e4nder. Was ihre Landfl\u00e4che betrifft, rangiert die EU-27 mit ihren 4,1 Mio km2 allerdings weit hinter den gr\u00f6\u00dften Staaten der Erde. Russland ist viermal so gro\u00df (16,4 Mio km2). China (9,4 Mio km2), die USA (9,1 Mio km2), Kanada (9,0 Mio km2) und Brasilien (8,4 Mio km2) verf\u00fcgen jeweils \u00fcber mehr als die doppelte Fl\u00e4- che. Entsprechend begrenzt sind die nat\u00fcrlichen Ressourcen der EU. Mit ihrer Bev\u00f6lkerung von 447 Mio Einwohnern (2022) reiht sich die EU hinter China (1 437 Mio) und Indien (1 417 Mio), aber vor den USA (333 Mio), Indonesien (276 Mio), Pakistan (236 Mio), Nigeria (219 Mio) und Brasilien (215 Mio) ein. Den- noch macht die Population der EU-27 nur noch knapp 6 % der Weltbev\u00f6lkerung aus. F\u00fcr die Lebensverh\u00e4ltnisse in einer Weltregion oder einem Land kann die Lebenserwartung als aussage- kr\u00e4ftiger Indikator herangezogen werden. 2021 lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt weltweit bei 71 Jahren, in der EU jedoch bei 80 Jahren. \u00dcbertroffen wurde diese Marke in einigen hochent- wickelten L\u00e4ndern wie Japan (85 Jahre) oder Australien (85 Jahre). Die USA fielen in der Corona-Pandemie (mit 77 Jahren) hinter China (78 Jahre) zur\u00fcck. In anderen Schwellenl\u00e4ndern vergr\u00f6\u00dferte sich der Abstand zur EU, so u.a. in Brasilien (73 Jahre), Indonesien (68 Jahre) und Indien (67 Jahre). Auch in Russland ver- ringerte sich die Lebenserwartung (auf 69 Jahre). Betrachtet man die wirtschaftlichen Gewichte der gro\u00dfen Industrie- und Schwellenl\u00e4nder, so entfiel auf die Europ\u00e4ische Union 2021 mit einem kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt von 19,7 Billionen (ausge- dr\u00fcckt in internationalen Dollars von 2017) ein Anteil von 14,7 % an der Weltwirtschaftsleistung. China kam auf 24,9 Billionen $ (18,5 %), die USA folgten mit 21,1 Billionen $ (15,8 %). Dabei wirtschaftete die EU-27 mit vergleichsweise hoher Energieeffizienz. Ihr Energieverbrauch machte 2021 nur 10,1 % des Welt- Gesamtverbrauchs von 595 Mio Terajoules aus. Der Verbrauchsanteil der USA lag hingegen bei 15,6 %, der Chinas bei 26,5 %.","181 122 11\/21 Direkte und indirekte Steuern Steuern sind die Haupteinnahmequelle des modernen Staates. Aufgabe der Steuerpolitik ist es, das Steuer- system so auszutarieren, dass eine gleichm\u00e4\u00dfige Besteuerung erreicht wird, alle Teile der Gesellschaft nach ihren Kr\u00e4ften zur Finanzierung der Staatsaufgaben beitragen und die Steuermittel fortlaufend und in vorhersagbarem Umfang eingehen. Zugleich darf die Steuerlast nicht so gro\u00df sein, dass sie die wirtschaft- liche Initiative der B\u00fcrger erdr\u00fcckt. Bei der Suche nach dem idealen Steuer-Mix spielt das Verh\u00e4ltnis von direkten zu indirekten Steuern eine wichtige Rolle. Direkte Steuern kn\u00fcpfen an die wirtschaftliche Leistungsf\u00e4higkeit der B\u00fcrger an und werden den Steuer- pflichtigen nach ihren Einkommens- und Verm\u00f6gensverh\u00e4ltnissen unmittelbar auferlegt. Die wichtigsten direkten Steuern im deutschen Steuersystem sind die Einkommensteuer, die K\u00f6rperschaftsteuer und die Gewerbesteuer, dar\u00fcber hinaus auch der Solidarit\u00e4tszuschlag, die Grundsteuern und die Erbschaftsteuer. Bezugspunkt der indirekten Steuern ist die Einkommensverwendung bzw. der Verbrauch bestimmter G\u00fcter. Ihre Besonderheit besteht darin, dass der Steuerschuldner, an den sich der Fiskus h\u00e4lt, nicht mit dem identisch ist, der die Steuer letztlich tragen muss. In der Regel werden sie n\u00e4mlich vom Steuerschuldner auf den Endverbraucher abgew\u00e4lzt. Die wichtigsten indirekten Steuern sind die Mehrwertsteuer, die Ener- giesteuer, die Tabaksteuer, die Versicherungsteuer und die Kfz-Steuer. Im Steueraufkommen der Bundesrepublik Deutschland hatten ab 1951 f\u00fcr f\u00fcnf Jahrzehnte die direkten Steuern das \u00dcbergewicht. Als 2001 Einkommensteuerentlastungen mit der Einf\u00fchrung der \u00d6kosteuer zu- sammentrafen, verschob sich die Balance erstmals f\u00fcr einige Jahre zu den indirekten Steuern. Infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise blieben die direkten Steuern auch zwischen 2009 und 2011 hinter den indirek- ten Steuern zur\u00fcck, fielen seitdem aber wieder schwerer ins Gewicht. Der Grund daf\u00fcr lag in steigenden Gewinnen und L\u00f6hnen in Verbindung mit der progressiven Wirkung des Einkommensteuertarifs. Die direkte Besteuerung wird h\u00e4ufig als \u201egerechter\u201c empfunden, weil sie h\u00f6here Einkommen und Verm\u00f6- gen st\u00e4rker heranzieht. Sie kann sich aber negativ auf die Leistungsbereitschaft der B\u00fcrger auswirken und Steuerhinterziehung oder Steuerflucht ausl\u00f6sen. Indirekte Steuern sind weniger konjunkturempfindlich, ihre Erhebung ist einfacher und sie verteilen die Steuerbelastung gleichm\u00e4\u00dfiger auf die Generationen (Erwerbst\u00e4tige und Rentner). Die Anhebung einer Verbrauchsteuer wirkt sich in der Regel jedoch auf das Preisniveau aus. Auch kommt es zu Vermeidungsreaktionen wie Schwarzarbeit oder Schmuggel.","686 465 12\/20 E-Government im Weltvergleich In Anlehnung an eine Definition der Weltbank bedeutet \u201eE-Government\u201c, dass Regierung und Verwaltung moderne Informationstechnologien, vor allem das Internet, einsetzen und sich dadurch neue M\u00f6glichkeiten des Kontakts mit B\u00fcrgern und Unternehmen und der Zusammenarbeit innerhalb der Verwaltung ergeben. Diese M\u00f6glichkeiten lassen sich nutzen, \u25cf um die B\u00fcrger mit \u00f6ffentlichen Dienstleistungen zu versorgen, \u25cf den Austausch mit der Wirtschaft zu verbessern, \u25cf den B\u00fcrgern Zugang zu Informationen zu verschaffen und \u25cf die Effizienz des Verwaltungsapparats zu steigern. Dahinter verbirgt sich ein gewaltiges Entwick- lungspotenzial: So kann der Ausbau des E-Government nicht nur Zeit und Geld sparen helfen, sondern auch zu mehr Transparenz und demokratischer Teilhabe beitragen und auf diese Weise die wirtschaftliche Entwicklung und politische Stabilit\u00e4t eines Landes f\u00f6rdern. Die Vereinten Nationen ver\u00f6ffentlichen seit 2001 alle zwei Jahre einen Bericht \u00fcber die Fortschritte des E- Government rund um den Globus. Kernst\u00fcck des Berichts ist ein E-Government-Index, der den jeweiligen Stand der Entwicklung erfasst und einen Vergleich zwischen den einzelnen L\u00e4ndern erm\u00f6glicht, indem er Schwachstellen und Entwicklungsvorspr\u00fcnge sichtbar macht. Der Index setzt sich aus drei Teilindizes zusammen. Sie erfassen \u25cf den Ausbaustand der technischen Infrastruktur (Internet-, Mobilfunknetze, Breitband-Versorgung), \u25cf das Bildungsniveau der Bev\u00f6lkerung (das sogenannte Humankapital) sowie \u25cf Umfang und Qualit\u00e4t des \u00f6ffentlichen Online-Angebots. W\u00e4hrend Infrastruktur und Bildungsstand weitgehend das allgemeine Entwicklungsniveau eines Landes widerspiegeln, h\u00e4ngt das Online-Angebot entscheidend vom Willen der jeweiligen Regierung ab, E-Govern- ment zu f\u00f6rdern und zu nutzen. Im Einzelnen geht es darum, welche Informationen (z.B. \u00fcber Gesetze, \u00f6ffentliche Leistungen, Daten) online verf\u00fcgbar sind, welche \u201eWerkzeuge\u201c und Hilfen den Nutzern angebo- ten werden, welche Antr\u00e4ge und Meldungen an Beh\u00f6rden online abgegeben werden k\u00f6nnen und wie es um die Sicherheit und die Nutzbarkeit der \u00f6ffentlichen Websites bestellt ist. S\u00fcdkorea, Estland und D\u00e4ne- mark hatten hier 2020 am meisten zu bieten; Deutschland rangierte nur im Mittelfeld (auf Platz 59, noch hinter Staaten wie Peru, Usbekistan oder Albanien). Ein wichtiger Aspekt des E-Government ist die dadurch erm\u00f6glichte Partizipation der B\u00fcrger an \u00f6ffentli- chen Vorg\u00e4ngen, z.B. durch Online-Feedback zu Informationen, Vorschl\u00e4gen und Programmen, durch das Einbringen von Initiativen und Petitionen oder durch Teilnahme an Online-Abstimmungen.","123 750 6\/21 E-Government in Deutschland Die Digitalisierung macht auch vor der Verwaltung nicht Halt. Unter dem Schlagwort E-Government sollen Bund, L\u00e4nder und Kommunen wo immer m\u00f6glich elektronische Verwaltungsdienste anbieten. Die Vorteile liegen in einer orts- und zeitunabh\u00e4ngigen Kommunikation zwischen Staat und B\u00fcrger sowie in neuen M\u00f6glichkeiten, das Verwaltungshandeln transparent zu machen und Wege der Partizipation zu er\u00f6ffnen. Zudem erleichtert E-Government die Erledigung von Vorg\u00e4ngen innerhalb der Verwaltung und macht sie dadurch insgesamt effizienter. Wesentliche vEolnemInefonrtme adteiosnEen-Guonvderdnamse\u25cfntsHesrinudnt\u2013ernlaadcehnevinoenr Aufstellung der EU-Kommission \u2013 die \u25cf Bereitstellung Formularen \u00fcber die Internetseiten der Beh\u00f6rden sowie die \u25cf Online-Versendung von ausgef\u00fcllten Formularen zur\u00fcck an die Verwaltung. Das \u00fcbergreifende Ziel ist die \u25cf Online-Abwicklung s\u00e4mtlicher Verwaltungsvorg\u00e4nge, ohne dass B\u00fcrgerinnen und B\u00fcrger je ein Dokument in Papierform ausf\u00fcllen m\u00fcssen. Als Basis f\u00fcr die informationstechnische Zusammenarbeit zwischen Bund und L\u00e4ndern wurde dem Grund- gesetz 2009 der Artikel 91c hinzugef\u00fcgt. Der darin vorgesehene IT-Planungsrat als Steuerungsgremium f\u00fcr die bundesstaatliche IT-Zusammenarbeit in der Verwaltung nahm 2010 seine Arbeit auf. Er formulierte eine Nationale E-Government-Strategie, auf deren Basis 2013 das E-Government-Gesetz in Kraft trat. Neben Regeln zur elektronischen Aktenf\u00fchrung enth\u00e4lt es auch eine Verpflichtung der Bundesbeh\u00f6rden zur Erreichbarkeit \u00fcber De-Mail. De-Mail ist ein Verfahren zum sicheren und nachweisbaren Versand elektro- nischer Dokumente. Erweitert wurde das E-Government-Gesetz durch das Open-Data-Gesetz von 2017. Dessen Hauptziel besteht darin, Daten der \u00f6ffentlichen Verwaltung im Sinne eines \u201eOpen Governments\u201c f\u00fcr alle B\u00fcrger frei verf\u00fcgbar zu machen. Zudem haben mehrere Bundesl\u00e4nder inzwischen eigene E-Govern- ment-Strategien entwickelt und entsprechende Gesetze verabschiedet. E-Government-Angebote werden heute zunehmend genutzt. Anfang 2020 hatten zwei Drittel (67 %) der Internetnutzer in den letzten 12 Monaten \u00fcber das Internet Kontakt mit Beh\u00f6rden aufgenommen. Die meis- ten suchten auf Beh\u00f6rden-Websites oder -Apps nach Informationen. Dagegen schickte nur ein Viertel (26 %) ausgef\u00fcllte amtliche Formulare per Internet an die Verwaltung zur\u00fcck. Hinderungsgr\u00fcnde lagen unter anderem darin, dass kein Online-Versand angeboten wurde oder aber die IT-Kenntnisse nicht aus- reichten. Datenschutz-Bedenken hielt jeden vierten Internetnutzer davon ab, Formulare online zur\u00fcckzu- schicken. Manche wiederum lie\u00dfen die Formulare von anderen Personen einreichen.","129 647 5\/22 Ein Konto f\u00fcr alle: Das Basiskonto Ein eigenes Bankkonto zu haben, ist f\u00fcr die Teilnahme am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben heutzutage praktisch unverzichtbar. Denn die Auszahlung von L\u00f6hnen oder Sozialleistungen erfolgt in aller Regel bargeldlos und eigene Zahlungsverpflichtungen (z.B. f\u00fcr Miete oder Strom) lassen sich am einfachs- ten per \u00dcberweisung oder Lastschrift erledigen. Andere Zahlungsweisen sind umst\u00e4ndlich oder mit hohen Kosten verbunden. Menschen in finanziell bedr\u00e4ngter Lage wurde fr\u00fcher aber oft die Einrichtung eines Kontos verweigert. Das sollte sich mit Inkrafttreten des Zahlungskontengesetzes im Juni 2016 \u00e4ndern. Seitdem hat jede Person, die sich rechtm\u00e4\u00dfig in der EU aufh\u00e4lt, einen Anspruch auf Er\u00f6ffnung eines soge- nannten Basiskontos \u2013 das gilt auch f\u00fcr Obdachlose, Sozialhilfeempf\u00e4nger, Asylbewerber, geduldete Personen, Saisonarbeiter oder Austauschstudenten. Ein fester Wohnsitz ist nicht n\u00f6tig; es gen\u00fcgt ein Identit\u00e4tsnachweis und eine Postanschrift, unter der die Person erreichbar ist. Auf schriftlichen Antrag muss jede Bank, die Zahlungskonten f\u00fcr ihre Kunden unterh\u00e4lt, ein Basiskonto er\u00f6ffnen. Nur in wenigen, gesetzlich bestimmten F\u00e4llen darf sie die Einrichtung eines solchen Kontos ablehnen (z.B. wenn der Antragsteller schon \u00fcber ein Zahlungskonto verf\u00fcgt oder wenn der Verdacht auf Geldw\u00e4sche besteht). Und die M\u00f6glichkeit der Bank, ein solches Konto zu k\u00fcndigen, wird durch das Gesetz beschr\u00e4nkt. Das Basiskonto kann \u2013 f\u00fcr ausschlie\u00dflich private Zwecke \u2013 als Zahlungskonto genutzt werden, das hei\u00dft sein Inhaber kann Gutschriften empfangen, Geld einzahlen oder abheben, \u00dcberweisungen, Lastschriften und Dauerauftr\u00e4ge veranlassen und per Girokarte zahlen. Allerdings wird das Konto nur als Guthabenkonto gef\u00fchrt; es darf nicht \u00fcberzogen werden, sofern nichts anderes vereinbart ist. Anspruch auf eine Kreditkarte besteht nicht. Falls eine Kontopf\u00e4ndung droht, kann der Kontoinhaber verlangen, dass das Basiskonto in ein Pf\u00e4ndungsschutzkonto (siehe ZAHLENBILD 129 648) umgewandelt wird. Nach einer Erhebung der Bundesanstalt f\u00fcr Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wurden in Deutschland zwischen Juni 2016 und Juni 2020 rund 761 500 Basiskonten er\u00f6ffnet. Das mit dem Zahlungskontengesetz verfolgte Ziel, einkommensschwachen Verbrauchern den Zugang zu grundlegenden Finanzdienstleis- tungen zu erm\u00f6glichen, ist demnach offenbar erreicht worden. Kritik gibt es an den Kosten der Basiskon- ten. Laut Gesetz sollen die Entgelte \u201eangemessen\u201c sein. Viele Banken nehmen f\u00fcr ein Basiskonto aber deutlich h\u00f6here Geb\u00fchren als f\u00fcr ein normales Girokonto.","389 147 4\/21 Einbindung in die Weltwirtschaft: Au\u00dfenhandel seit 1950 Die deutsche Volkswirtschaft ist tief in die internationale Arbeitsteilung integriert. Produktionsstruktur und Leistungsumfang der Unternehmen sind stark am Export orientiert. Immer wieder wirkt die Auslands- nachfrage als \u201eKonjunkturmotor\u201c, der Investitionen und in der Folge auch Besch\u00e4ftigung und Konsum an- kurbelt. Etwa jeder vierte Arbeitsplatz h\u00e4ngt direkt oder indirekt von der Exportwirtschaft ab. Die Bedeutung des Au\u00dfenhandels f\u00fcr die Wirtschaft der Bundesrepublik zeigte sich schon fr\u00fch. Nachdem die Handelsbeziehungen durch die Autarkiepolitik des NS-Staats, durch Krieg und Besatzung unterbro- chen waren, strebte die Bundesrepublik danach, die Enge des heimischen Marktes und den Mangel an Rohstoffen m\u00f6glichst rasch durch \u00d6ffnung zum Weltmarkt zu \u00fcberwinden. Einen ersten Exportboom l\u00f6ste der Koreakrieg 1950\/51 aus, weil deutsche Investitions- und Verbrauchsg\u00fcter nun verst\u00e4rkt zur Deckung der internationalen Nachfrage ben\u00f6tigt wurden. Die Politik unterst\u00fctzte die au\u00dfenwirtschaftliche Entwick- lung, indem sie sich f\u00fcr die Liberalisierung des Welthandels einsetzte und die Grenzen fr\u00fchzeitig f\u00fcr Einfuhren aus den westeurop\u00e4ischen Staaten \u00f6ffnete. Obwohl die Bundesrepublik selbst stark auf Importe (Rohstoffe, Ern\u00e4hrungsg\u00fcter) angewiesen war, rutschte die Handelsbilanz nur kurzzeitig (1950) ins Defi- zit. Seitdem waren stets \u00dcbersch\u00fcsse zu verzeichnen, so dass Spielraum zur Lockerung von Restriktionen im Au\u00dfenhandel und im internationalen Zahlungsverkehr bestand. Die Einbindung in den Welthandel setzte die deutschen Unternehmen einem scharfen Konkurrenzdruck aus und zwang sie zur st\u00e4ndigen Steigerung ihrer Produktivit\u00e4t und ihres technischen Leistungsstands. Auch f\u00fchrte sie zum Niedergang nicht mehr wettbewerbsf\u00e4higer Branchen, zur Verlagerung von Arbeits- pl\u00e4tzen in Niedriglohn-L\u00e4nder und zur zunehmenden Durchdringung des Inlandsmarkts mit Importg\u00fctern. Dennoch fiel die Bundesrepublik nicht in eine protektionistische Politik zur\u00fcck, sondern blieb ein wichtiger Teil des Weltmarkts. 1986 eroberte sie erstmals den inoffiziellen Titel des Exportweltmeisters; auch von 2003 bis 2008 war sie die exportst\u00e4rkste Nation. 2019 belegte Deutschland mit einem Anteil von 7,9 % am Welt-Warenexport (gemessen in US-Dollar) den dritten Rang hinter China (13,2 %) und den USA (8,7 %). Die Kehrseite der Weltmarktabh\u00e4ngigkeit zeigte sich in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009, als die deutsche Wirtschaft in ihre bisher tiefste Rezession st\u00fcrzte. Doch schon 2010 erholte sie sich wieder da- von. Schwer getroffen wurde die deutsche Exportbranche auch durch die Corona-Krise, die 2020 zu einer neuerlichen Rezession f\u00fchrte: die Warenausfuhren brachen dabei um rund 9 % ein.","468 220 9\/20 Einkommen und Ersparnis der privaten Haushalte Je h\u00f6her das Einkommen eines Haushalts, desto mehr kann er f\u00fcr seine Konsumbed\u00fcrfnisse ausgeben, desto gr\u00f6\u00dfere M\u00f6glichkeiten hat er aber auch, Teile seines Einkommens auf die hohe Kante zu legen. Dieser Zusammenhang l\u00e4sst sich durch Zahlen aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) von 2018 belegen. Den von ihr erfassten rund 41 Millionen Haushalten in Deutschland standen nach Ab- zug von Einkommensteuern und Sozialabgaben im Durchschnitt 3 661 \u20ac pro Monat zur Verf\u00fcgung. Davon flossen 2 704 \u20ac in den privaten Konsum, weitere 484 \u20ac wurden f\u00fcr Kfz-Steuern, private Versicherungen, Zinsen usw. ausgegeben. Zus\u00e4tzliche Einnahmen kamen durch die Aufl\u00f6sung von Verm\u00f6gensbest\u00e4nden und durch Kredite herein. Im Gegenzug wurden aber auch Kredite getilgt und neue Sach- und Geldverm\u00f6- gen gebildet. Unter dem Strich blieben 539 \u20ac als Ersparnis \u00fcbrig. Bei n\u00e4herem Hinsehen zeigt sich indessen, dass l\u00e4ngst nicht alle Haushalte in der Lage waren, \u00fcberhaupt zu sparen, dass viele nur so eben \u00fcber die Runden kamen oder sogar Schulden aufnehmen mussten, um ihre Ausgaben bestreiten zu k\u00f6nnen. In einer angespannten finanziellen Situation befanden sich vor allem die Haushalte mit Nettomonatseinkommen von weniger als 1 500 \u20ac \u2013 \u00fcberwiegend Haushalte von Rentnern und Arbeitslosen, aber auch von Besch\u00e4ftigten mit Niedrigl\u00f6hnen. Im Schnitt lagen die verf\u00fcgbaren Einkommen dieser 7,2 Mio Haushalte deutlich niedriger als ihre Ausgaben. Die Haushalte der untersten Einkommensgruppe (mit weniger als 900 \u20ac) \u00fcberzogen ihr Budget jeden Monat sogar um durchschnittlich 174 \u20ac; in diesem Umfang mussten sie auf R\u00fccklagen zugreifen oder sich verschulden. Die 10,3 Mio Haushalte im Einkommensbereich zwischen 1 500 und 2 600 \u20ac kamen gerade so mit ihren Mitteln zurecht. Ihnen blieben im Durchschnitt lediglich 5 bzw. 71 \u20ac als monatlicher \u201e\u00dcberschuss\u201c. Dagegen leisteten sich Haushalte mit hohen Einkommen nicht nur gr\u00f6\u00dfere Konsumausgaben, sondern h\u00e4uften dar- \u00fcber hinaus betr\u00e4chtliche Ersparnisse an. Die 9,0 Mio Haushalte der obersten Gruppe mit Einkommen von 5 000 bis 18 000 \u20ac kamen im Durchschnitt auf eine Ersparnis von rund 1 955 \u20ac pro Monat. Im Vergleich zur EVS von 2013 hatte sich die finanzielle Situation 2018 vor allem f\u00fcr die untersten Einkom- mensgruppen verschlechtert. Sie rutschten zumeist noch tiefer in die roten Zahlen. Die Haushalte mit Ein- kommen von 1 500 bis 2 000 \u20ac, die sich 2013 noch verschulden oder Ersparnisse aufl\u00f6sen mussten, konnten 2018 ihr Budget immerhin wieder ausgleichen. Dagegen hatten die Haushalte mit Nettoeinkommen ab 5 000 \u20ac im Vergleich zu 2013 nun noch wesentlich h\u00f6here Betr\u00e4ge f\u00fcr den Verm\u00f6gensaufbau \u00fcbrig.","286 276 9\/20 Einkommensschichten Die meisten Menschen h\u00fcten ihre Einkommenslage als privates Geheimnis und oft kennen sie sie selbst nicht so genau. Entsprechend schwierig ist es, ein zutreffendes Bild von der gesellschaftlichen Einkom- mensverteilung zu gewinnen. Die in mehrj\u00e4hrigem Turnus, zuletzt 2018, durchgef\u00fchrte Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) hilft aber auch solche Fragen zu beantworten. Mehrere zehntausend Haus- halte aller Schichten liefern mit detaillierten Aufzeichnungen ihrer Einnahmen und Ausgaben den Grund- stock daf\u00fcr. (Nur Haushalte mit einem Nettoeinkommen von \u00fcber 18 000 \u20ac bleiben unber\u00fccksichtigt.) Nach den Hochrechnungen des Statistischen Bundesamts erzielten die Haushalte in Deutschland 2018 ein durchschnittliches Nettomonatseinkommen von 3 661 \u20ac. Fasst man die Haushalte nach der Stellung des Hauptverdieners oder der Hauptverdienerin zusammen, l\u00e4sst sich das mittlere Einkommen der ver- schiedenen sozialen Gruppen zum Vergleich daneben stellen. An der Spitze der Einkommensskala lagen demnach die Haushalte der Selbstst\u00e4ndigen (ohne Landwirte) mit einem durchschnittlichen Nettomonats- einkommen von 5 493 \u20ac. Gerade bei dieser Gruppe streuen die Einkommenswerte aber ganz betr\u00e4chtlich um den Mittelwert. Zwar finden sich Selbstst\u00e4ndige meist in den oberen Einkommensgruppen wieder (fast ein F\u00fcnftel allein in der obersten Klasse mit 7 500 bis 18 000 \u20ac pro Monat), doch gibt es auch Freiberufler, die nur sehr niedrige Einkommen erzielen. \u00c4hnlich gro\u00df ist die Spannweite in der Gruppe der Arbeitneh- mer. Fr\u00fcher wurden sie in der EVS nach Arbeitern, Angestellten und Beamten unterteilt, in der EVS 2018 sind sie aber zu einer einzigen Gro\u00dfgruppe (mit einem durchschnittlichen Nettoeinkommen von 4 214 \u20ac) zusammengefasst. Entsprechend breit ist das Spektrum der beruflichen Positionen: Es reicht von der Kas- siererin im Supermarkt oder dem Arbeiter auf der Baustelle \u00fcber Angestellte und Beamte mit h\u00f6heren Ein- kommen bis hin zum spitzenverdienenden Top-Manager. Eine betr\u00e4chtliche Spannbreite weisen auch die Haushalte der Ruhest\u00e4ndler auf. Diese Gruppe umfasst sowohl Rentner (mit ihren eher niedrigen Einkom- men) als auch Pension\u00e4re (die oft \u00fcber mittlere und h\u00f6here Einkommen verf\u00fcgen). Die Haushalte der Arbeitslosen geh\u00f6ren in ihrer gro\u00dfen Mehrheit zu den untersten Einkommensschichten. Dabei h\u00e4ngt die Einkommenssituation stets auch von der Haushaltsgr\u00f6\u00dfe ab: In den Erwerbst\u00e4tigenhaus- halten tragen meist mehrere Haushaltsmitglieder zum Gesamteinkommen bei, Rentnerhaushalte bestehen dagegen oft nur aus einer Person. Das schl\u00e4gt sich im Durchschnittseinkommen nieder: Alleinlebende er- zielen im Schnitt nur ein Nettoeinkommen von 2 142 \u20ac, Paare mit Kindern dagegen 5 490 \u20ac.","181 272 11\/21 Einkommensteuertarif 2022 In Deutschland erbringt die Einkommensteuer rund ein Drittel der Steuereinnahmen. Als Steuer, die sich nach der wirtschaftlichen Leistungsf\u00e4higkeit der Steuerpflichtigen richtet, erf\u00fcllt sie neben ihrem rein fiskali- schen Zweck auch wichtige verteilungspolitische Aufgaben. Zur Umsetzung dieser Funktionen dient der Steuertarif, der wie folgt ausgestaltet ist: \u25cf Allen Steuerpflichtigen steht j\u00e4hrlich ein Grundfreibetrag zu. Auf Einkommen bis zu dieser H\u00f6he wird keine Einkommensteuer erhoben. Das entspricht dem Gebot des Bundesverfassungsgerichts, das Existenz- minimum der B\u00fcrgerinnen und B\u00fcrger steuerfrei zu stellen. Als Existenzminimum gilt der im Sozialhilferecht anerkannte Mindestbedarf. Alle zwei Jahre legt die Bundesregierung einen Bericht vor, der diesen Mindest- bedarf neu bestimmt. Falls erforderlich, wird der steuerliche Grundfreibetrag entsprechend angehoben. 2022 steigt er auf 9 984 \u20ac. \u25cf Nur derjenige Teil des Einkommens, der \u00fcber den Grundfreibetrag hinausgeht, unterliegt der Einkom- mensteuer. Dabei nimmt die Steuerbelastung mit der H\u00f6he des Einkommens zu. Wer mehr verdient, soll einen gr\u00f6\u00dferen Teil seines Einkommens zur Finanzierung der Staatsaufgaben beitragen. Wie das Schau- bild zeigt, steigt die sogenannte Grenzbelastung zun\u00e4chst in zwei Etappen geradlinig-progressiv an. In dieser Progressionszone des Steuertarifs werden die Einkommen nach und nach immer st\u00e4rker belastet. Jeder Euro, der hinzuverdient wird, w\u00e4chst in einen h\u00f6heren Steuersatz hinein. Die Besteuerung beginnt oberhalb des Grundfreibetrags mit dem Eingangssteuersatz von 14 % und klettert rasch auf etwa 24 %. Ein langgestreckter, nicht mehr ganz so steiler Anstieg schlie\u00dft sich an. \u25cf Diejenigen Teile des Einkom- mens, die den Betrag von 58 596 \u20ac \u00fcbersteigen, sind in der anschlie\u00dfenden Proportionalzone dann einem gleichbleibenden Steuersatz von 42 % unterworfen. \u25cf F\u00fcr Einkommensteile ab 277 826 \u20ac gilt ein Spitzen- steuersatz von 45 %. Diese sogenannte Reichensteuer wurde 2007 eingef\u00fchrt; allerdings sind Gewinnein- k\u00fcnfte mit Hilfe eines Entlastungsbetrags davon ausgenommen. Bei der Festlegung des Steuertarifs 2022 wurden die Knickpunkte im Tarifverlauf wie schon in den Vorjahren nach rechts verschoben. Dies mindert den Effekt der \u201ekalten Progression\u201c und bewirkt eine leichte Entlastung der Steuerzahler. Bezieht man den Steuerbetrag auf das zu versteuernde Gesamteinkommen, ergibt sich die steuerliche Durchschnittsbelastung. Diese bel\u00e4uft sich 2022 f\u00fcr Ledige bei einem Einkommen von 15 000 \u20ac auf 6,4 %, bei 40 000 Euro auf 20,6 %, bei 80 000 \u20ac auf 30,4 % und bei 300 000 \u20ac auf 39,1 %. .","181 272 1\/23 Einkommensteuertarif 2023 In Deutschland erbringt die Einkommensteuer rund ein Drittel der Steuereinnahmen. Als Steuer, die sich nach der wirtschaftlichen Leistungsf\u00e4higkeit der Steuerpflichtigen richtet, erf\u00fcllt sie neben ihrem rein fiskali- schen Zweck auch wichtige verteilungspolitische Aufgaben. Zur Umsetzung dieser Funktionen dient der Steuertarif, der wie folgt ausgestaltet ist: \u25cf Allen Steuerpflichtigen steht j\u00e4hrlich ein Grundfreibetrag zu. Auf Einkommen bis zu dieser H\u00f6he wird keine Einkommensteuer erhoben. Das entspricht dem Gebot des Bundesverfassungsgerichts, das Existenzmini- mum der B\u00fcrgerinnen und B\u00fcrger steuerfrei zu stellen. Als Existenzminimum gilt der im Sozialhilferecht anerkannte Mindestbedarf. Alle zwei Jahre legt die Bundesregierung einen Bericht vor, der diesen Mindest- bedarf neu bestimmt. Falls erforderlich, wird der steuerliche Grundfreibetrag entsprechend angehoben. 2023 steigt er auf 10 908 \u20ac. \u25cf Nur derjenige Teil des Einkommens, der \u00fcber den Grundfreibetrag hinausgeht, unterliegt der Einkommen- steuer. Dabei nimmt die Steuerbelastung mit der H\u00f6he des Einkommens zu. Wer mehr verdient, soll einen gr\u00f6\u00dferen Teil seines Einkommens zur Finanzierung der Staatsaufgaben beitragen. Wie das Schaubild Pzeroiggtr,esstesiigotndsizeosnoegdeensanSnteteuGerrtaernifzsbwelearsdteunndgiezuEni\u00e4nckhosmt mineznwneai Echtaupnpdennagcehraidmlimnige-rpsrto\u00e4grkreesrsbivelaans.teInt. dieser Jeder Euro, der hinzuverdient wird, w\u00e4chst in einen h\u00f6heren Steuersatz hinein. Die Besteuerung beginnt ober- halb des Grundfreibetrags mit dem Eingangssteuersatz von 14 % und klettert rasch auf etwa 24 %. Ein langgestreckter, nicht mehr ganz so steiler Anstieg schlie\u00dft sich an. \u25cf Diejenigen Teile des Einkommens, die den Betrag von 62 809 \u20ac \u00fcbersteigen, sind in der anschlie\u00dfenden Proportionalzone einem gleichbleibenden Steuersatz von 42 % unterworfen. \u25cf F\u00fcr Einkommensteile ab 277 826 \u20ac gilt unver\u00e4ndert der Spitzensteuer- satz von 45 %. Diese sogenannte Reichensteuer wurde 2007 eingef\u00fchrt: allerdings sind Gewinneink\u00fcnfte mit Hilfe eines Entlastungsbetrags davon ausgenommen. Bei der Festlegung des Steuertarifs wurden die Knickpunkte im Tarifverlauf, mit Ausnahme der Grenze zur Reichensteuer, nach rechts verschoben. Dies mindert den Effekt der \u201ekalten Progression\u201c und bewirkt eine sp\u00fcrbare Entlastung der Steuerzahler. Bezieht man den Steuerbetrag auf das zu versteuernde Gesamteinkommen, ergibt sich die steuerliche Durchschnittsbelastung. Diese bel\u00e4uft sich 2023 f\u00fcr Ledige bei einem Einkommen von 15 000 \u20ac auf 4,9 %, bei 40 000 Euro auf 19,6 %, bei 80 000 \u20ac auf 29,5 % und bei 300 000 \u20ac auf 38,9 %.","632 275 4\/22 Einkommensungleichheit Als Indikator f\u00fcr den Wohlstand eines Landes ist das Pro-Kopf-Einkommen manchmal nur von einge- schr\u00e4nkter Aussagekraft. Es trifft die soziale Wirklichkeit umso weniger, je st\u00e4rker die tats\u00e4chlichen Ein- kommen vom statistischen Durchschnittswert abweichen. So kann es sein, dass das Pro-Kopf-Einkommen ein ausk\u00f6mmliches mittleres Einkommensniveau vorspiegelt, w\u00e4hrend in Wahrheit eine tiefe Kluft zwi- schen den vielen Armen und den wenigen Reichen besteht. Leider sind die Informationen \u00fcber die Einkom- mensverteilung in einzelnen L\u00e4ndern h\u00e4ufig unvollst\u00e4ndig oder mit methodischen Fehlern behaftet, die ihre Brauchbarkeit einschr\u00e4nken. Nicht \u00fcberall besteht ein Interesse an der Erhebung politisch so heikler Daten und nicht immer sind die Befragten hinreichend auskunftsbereit. Unter diesen Vorbehalten steht auch eine Datensammlung der Weltbank, die sich auf Angaben zum Einkommen oder zum Privatverbrauch in Haushaltsbefragungen st\u00fctzt. Dennoch kann sie als Grundlage f\u00fcr einen internationalen Vergleich der Einkommensschichtung dienen. Anhand ihrer Daten lassen sich f\u00fcr jedes Land f\u00fcnf gleich gro\u00dfe Einkommensklassen bilden \u2013 vom \u00e4rmsten bis zum reichsten F\u00fcnf- tel der Bev\u00f6lkerung. W\u00e4ren die Einkommen vollkommen gleich verteilt, m\u00fcsste jedes F\u00fcnftel der Gesell- schaft \u00fcber ein F\u00fcnftel aller Einkommen verf\u00fcgen. Tats\u00e4chlich hat aber das oberste F\u00fcnftel einen weit gr\u00f6\u00dferen Teil des Kuchens f\u00fcr sich, w\u00e4hrend dem unteren F\u00fcnftel ein wesentlich kleinerer Anteil zuf\u00e4llt. Wie gro\u00df die Unterschiede zwischen beiden Seiten sind, sagt einiges \u00fcber die soziale Balance in einer Gesellschaft aus. Deutschland erscheint unter diesem Blickwinkel noch immer als Land mit relativ ausgewogenen sozialen Verh\u00e4ltnissen: Auf das reichste F\u00fcnftel entfallen 39,6 % der Einkommen, auf das \u00e4rmste 7,6. Dazwischen liegt eine breite Mittelschicht. In Schweden oder in einigen Staaten Osteuropas sind die Unterschiede al- lerdings noch geringer. Schon viel deutlicher ausgepr\u00e4gt ist die Ungleichheit beim Einkommen in Indien, Russland oder China. W\u00e4hrend dort ein Teil der Gesellschaft von wirtschaftlicher Aufw\u00e4rtsentwicklung pro- fitiert, leben gro\u00dfe Teile vor allem der l\u00e4ndlichen Bev\u00f6lkerung in \u00e4rmlichen Verh\u00e4ltnissen. Noch st\u00e4rker neigt sich die Waage in den USA zu den Spitzenverdienern hin: Dort gehen fast 47 % der Einkommen an das obere F\u00fcnftel und nur 5,2 % an das untere F\u00fcnftel der Gesellschaft. Kennzeichen von L\u00e4ndern wie Brasilien oder S\u00fcdafrika schlie\u00dflich ist das Fehlen einer starken, in gesicherten Verh\u00e4ltnissen lebenden Mittelklasse. Extreme Armut und \u00fcppige Einkommen stehen daher fast unvermittelt nebeneinander.","181 274 1\/23 Eink\u00fcnfte und Steuerlast Die Steuerpolitik hat \u00fcber ihre rein fiskalischen Ziele hinaus auch immer einen gesellschaftspolitischen Be- zug. Das gilt in besonderem Ma\u00df f\u00fcr die Einkommensteuer: Von ihr werden nicht nur Einnahmen zur Finan- zierung des Staatshaushalts erwartet, sie ist auch der Hebel, mit dem der Staat eine sozial ausgewogene, \u201egerechtere\u201c Verteilung der Steuerlasten erreichen will. W\u00e4hrend bei der Mehrwertsteuer alle Verbraucher den gleichen Steuersatz entrichten m\u00fcssen, richtet sich die Einkommensteuer nach der Leistungsf\u00e4higkeit der Steuerpflichtigen. Wer wenig verdient, soll durch die Einkommensteuer gar nicht oder nur gering belastet werden. Bei h\u00f6herem Verdienst steigt der Einkommensteuersatz hingegen progressiv an, so dass ein immer gr\u00f6\u00dferer prozentualer Anteil des Einkommens an den Fiskus abgef\u00fchrt werden muss. Welche Auswirkungen dieser Mechanismus hat, zeigt eine vom Bundesfinanzministerium ver\u00f6ffentlichte Berechnung f\u00fcr das Jahr 2022. Sie gibt zun\u00e4chst Auskunft \u00fcber die Schichtung der Steuerpflichtigen nach der H\u00f6he der Eink\u00fcnfte. Auf die besser verdienende H\u00e4lfte, d.h. die oberen 50 % der Steuerpflichti- gen, entfallen danach 83,1 % aller Eink\u00fcnfte; die untere H\u00e4lfte muss sich mit 16,9 % der Eink\u00fcnfte begn\u00fc- gen. Die oberen 5 % der Steuerpflichtigen, also die Spitzenverdiener, vereinigen allein mehr als ein Viertel (25,7 %) der gesamten Eink\u00fcnfte auf sich. (Bei diesen Berechnungen z\u00e4hlen zusammenveranlagte Ehe- paare jeweils als ein Steuerpflichtiger.) Bei den Eink\u00fcnften handelt es sich insbesondere um Gewinne aus einem Gewerbebetrieb oder aus selbstst\u00e4ndiger Arbeit, um die L\u00f6hne und Geh\u00e4lter der Arbeitnehmer nach Abzug der Werbungskosten, um Mieteink\u00fcnfte, Renten sowie um Kapitaleink\u00fcnfte, soweit auf sie nicht die Abgeltungsteuer angewandt wird. Aus der Summe der Eink\u00fcnfte ergibt sich nach Ber\u00fccksichti- gung von Sonderausgaben, au\u00dfergew\u00f6hnlichen Belastungen und Kinderfreibetr\u00e4gen das zu versteuernde Einkommen, auf dessen Grundlage schlie\u00dflich die Einkommensteuer festgesetzt wird. Da der Fiskus bei der Einkommensteuer umso kr\u00e4ftiger zulangt, je h\u00f6her das Einkommen ist, werden die Besserverdienenden entsprechend st\u00e4rker belastet, die Geringverdiener dagegen entlastet. So tragen die unteren 50 % der Steuerpflichtigen zusammen lediglich 6,1% der gesamten Einkommensteuerlast, die oberen 50 % dagegen 93,9. Die 5% an der Spitze bringen allein 42,8% der Einkommensteuer auf \u2013 wesentlich mehr als ihrem Anteil an den Eink\u00fcnften entspr\u00e4che. Dieser steuerliche Umverteilungseffekt hat zur Folge, dass sich die Aufteilung der verf\u00fcgbaren Einkommen \u2013 nach Abzug der Einkommensteuer \u2013 zugunsten der unteren Einkommensklassen verschiebt.","201 115 8\/03 Einzelunternehmen Das Einzelunternehmen ist der Produktionsbetrieb oder die Erwerbst\u00e4tigkeit eines einzelnen Gewerbe- treibenden. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass die Geschicke des Betriebs unl\u00f6sbar mit dem pers\u00f6nli- chen Schicksal des Unternehmers verbunden sind. Wegen seiner einfachen Struktur ist das Einzelunter- nehmen die geeignete Rechtsform vor allem f\u00fcr kleinere und kleinste Betriebe. Auf sie entfallen in Deutschland allein 70 % aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen. Gr\u00fcndung: Die Gr\u00fcndung erfolgt formlos. Sind f\u00fcr ein Gewerbe keine besonderen Erlaubnisse erforder- lich, gen\u00fcgt die Gewerbeanmeldung zur Aufnahme des Betriebs. Wird das Unternehmen ins Handels- register eingetragen, kann die Firma frei gew\u00e4hlt werden (vorausgesetzt, sie hat Unterscheidungskraft und enth\u00e4lt keine irref\u00fchrenden Angaben); sie ist durch den Zusatz \u201eeingetragener Kaufmann\u201c oder \u201eeingetragene Kauffrau\u201c (e.K.\/e.Kfr.) zu erg\u00e4nzen. Kleingewerbetreibende (ohne Handelsregistereintra- gung) treten unter ihrem Namen auf, dem die Branche oder T\u00e4tigkeit hinzugef\u00fcgt werden kann. Gesch\u00e4ftsf\u00fchrung: Der Einzelunternehmer als alleiniger Eigent\u00fcmer trifft alle Entscheidungen. Einge- tragene Kaufleute unterliegen den handelsrechtlichen Buchf\u00fchrungs-, Inventur- und Bilanzpflichten. Haftung: F\u00fcr die Verbindlichkeiten des Unternehmens haftet der Einzelunternehmer unbeschr\u00e4nkt mit seinem Betriebs- und Privatverm\u00f6gen. Er braucht seinen Gewinn andererseits mit niemandem zu teilen. Finanzierung: Die Eigenkapitalbasis entspricht dem Verm\u00f6gen des Unternehmers. Ihre Erweiterung ist m\u00f6glich durch Ansparung von Gewinnen (Selbstfinanzierung) oder Aufnahme eines stillen Gesellschaf- ters. Fremdkapital erh\u00e4lt der Einzelunternehmer als Personalkredit. Wegen der engen Bindung des Betriebs an das pers\u00f6nliche Schicksal des Unternehmers ist das Kreditausfallrisiko relativ gro\u00df, so dass die M\u00f6glichkeiten, hohe und langfristige Kredite zu erhalten, beschr\u00e4nkt sein k\u00f6nnen. Besteuerung: Wie alle Personenunternehmen ist das Einzelunternehmen kein selbstst\u00e4ndiges Steuer- subjekt. Es besteht eine Einkommensteuerpflicht des Unternehmers zum Zeitpunkt der Gewinnentste- hung also unabh\u00e4ngig davon, ob der Gewinn im Betrieb belassen oder f\u00fcr private Zwecke entnommen wurde. Aufl\u00f6sung: Die Aufl\u00f6sung eines Einzelunternehmens erfolgt durch freiwilligen Entschluss, durch Insol- venz oder durch den Tod des Inhabers. Einzel- Gr\u00fcndung Eintragung ins Gesch\u00e4ftsf\u00fchrung unter- Handelsregister nehmung Karl Kabel Der Einzel- Elektronik unternehmer entscheidet Firma allein Kapitalaufbringung Haftung Gewinn\/Verlust Der unbeschr\u00e4nkt, Einzel- mit Privat- und Betriebsverm\u00f6gen unter- nehmer Besteuerung erh\u00e4lt den Gewinn, tr\u00e4gt den Verlust Die Einzel- Finanzierung unternehmung ist kein selbstst\u00e4ndiges Aufnahme BANK Steuersubjekt eines stillen Einkommensteuerpflicht Gesell- des Einzelunternehmers schafters zum Zeitpunkt der Gewinnentstehung ZAHLENBILDER Selbst- Bank- \u00a9 Bergmoser + H\u00f6ller Verlag AG 201 115 finanzierung kredit als Personalkredit","635 420 12\/20 Energie: Verbrauch und Reserven nach Weltregionen Der globale Energieverbrauch steigt unabl\u00e4ssig an. Allein zwischen 2000 und 2019 nahm er um fast die H\u00e4lfte zu \u2013 von 9 420 auf rund 13 950 Mio Tonnen \u00d6leinheiten (toe). Seit 1970 hat er sich nahezu verdrei- facht. R\u00fcckg\u00e4nge gab es nur w\u00e4hrend der 2. \u00d6lkrise (1980-82) und in der Finanzkrise (2009). Auch 2020 geriet der langj\u00e4hrige Aufw\u00e4rtstrend wegen der Corona-Pandemie vor\u00fcbergehend ins Stocken. Zwar stagniert der Prim\u00e4renergieverbrauch der westlichen Industriestaaten schon seit 2008, doch geben l\u00e4ngst die Schwellenl\u00e4nder, allen voran China, das Tempo der Entwicklung auf den Energiem\u00e4rkten an. 2006 lagen die OECD-Industriel\u00e4nder beim Energieverbrauch noch etwa gleichauf mit der \u00fcbrigen Welt; 2019 entfielen auf sie nur noch 40 % des Gesamtverbrauchs. Damit haben sich auch die Gewichte zwi- schen den Weltregionen verschoben. Der Schwerpunkt der Energienachfrage liegt heute auf der Region S\u00fcd- und Ostasien\/Pazifik, 2019 mit einem Anteil von allein 44 % am globalen Prim\u00e4renergieverbrauch. Es folgen Nordamerika (20 %) und Europa (14 %) vor den GUS-Staaten und dem Nahen Osten (mit je knapp 7 %). Auf S\u00fcd- und Mittelamerika kamen 5 %, auf Afrika nur gut 3 % des Verbrauchs marktm\u00e4\u00dfig gehandelter Energietr\u00e4ger. Zur Deckung des Energiebedarfs werden vor allem die fossilen Energierohstoffe genutzt: Kohle, \u00d6l und Gas. Jahrzehntelang war es \u00fcblich, dem j\u00e4hrlichen Verbrauch die bekannten Reserven dieser Energietr\u00e4ger gegen\u00fcberzustellen und so die voraussichtliche Reichweite der Vorr\u00e4te abzusch\u00e4tzen. Die Erschlie\u00dfung und Sicherung der Energiequellen, m\u00f6glichst in der eigenen Weltregion, wurde zu einem entscheidenden Faktor der von den Gro\u00dfm\u00e4chten betriebenen Geopolitik. Aber diese Betrachtungsweise wird allm\u00e4hlich in Frage gestellt. Denn der Klimawandel zwingt dazu, die Energieversorgung m\u00f6glichst bald von den fos- silen Rohstoffen auf klimaneutrale Quellen umzustellen. In der \u00dcbergangszeit spielen die fossilen Energietr\u00e4ger und die Verteilung der Energiereserven \u00fcber die Erde noch eine wichtige Rolle. Aber sie verlieren an Bedeutung, je mehr sich die erneuerbaren Energien k\u00fcnftig in den Vordergrund schieben. Derzeit ist der Beitrag der modernen Erneuerbaren (also ohne tra- ditionelle Bio-Brennstoffe wie Feuerholz oder Dung) noch recht gering: 2019 belief er sich auf rund 690 Mio toe, knapp 5 % des globalen Prim\u00e4renergieverbrauchs. In der EU lag ihr Anteil aber schon bei 11 %. Und mit dem Ausstieg aus der Kohle und der insgesamt fortschreitenden Entkarbonisierung des Energie- verbrauchs wird er weiter ansteigen.","201 102 1\/90 Entwicklung der Betriebsformen Die Verarbeitung von Roh- und Hilfsstoffen zu Gebrauchs- und Verbrauchsg\u00fctern erfolgt in Gewerbebe- trieben. Wie sich im Lauf der Jahrhunderte die Produktionsverfahren \u00e4nderten, wandelten sich auch die betrieblichen Formen. Die \u00e4lteste Form gewerblicher T\u00e4tigkeit ist das Handwerk. In eigener Werkstatt, im Handwerksbetrieb, stellt der Handwerksmeister mit Hilfe einiger weniger Gesellen aus eigenem Material Waren f\u00fcr fremden Bedarf her. Oft handelt es sich dabei um Einzelfertigung im Kundenauftrag. Nur in begrenztem Umfang werden Werkzeuge und Maschinen eingesetzt; es \u00fcberwiegt die Handarbeit, die sich in der Regel durch einen hohen Leistungsstand auszeichnet. Der Meister ist zugleich Unternehmer und Kapitaleigent\u00fcmer. Als besondere Form der f\u00fcr den \u00fcber\u00f6rtlichen Bedarf arbeitenden gewerblichen Warenproduktion auf dem Lande bildete sich im 14. Jahrhundert das Verlagswesen heraus, in dem der Verleger als Unterneh- mer an die Stelle des Handwerksmeisters trat. Die Herstellung der Waren erfolgte in den weit zerstreuten Werkst\u00e4tten oder Wohnungen der Heimgewerbetreibenden, die von dem Kaufmann-Unternehmer abh\u00e4n- gig waren. Der Verleger lieferte die Rohstoffe und zum Teil auch die Werkzeuge und \u00fcbernahm den Absatz der in Heimarbeit gefertigten Produkte. Als neue Betriebsform entwickelte sich im Zeitalter des Merkantilismus die Manufaktur. In der Produkti- onsst\u00e4tte des Unternehmers waren Handwerker als unselbstst\u00e4ndige Arbeiter zentral zusammengefasst. Vornehmlich in Handarbeit oder unter Anwendung einfacher Maschinen stellten sie Masseng\u00fcter her. Durch Arbeitsteilung wurde die handwerkliche Arbeit allm\u00e4hlich stark spezialisiert und die Produktivit\u00e4t erh\u00f6ht. Der \u00dcbergang von der Manufaktur zur Fabrik ist \ufb02ie\u00dfend. Diese hat sich seit Beginn der Industria- lisierung, mit der die technische Anwendung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und die wirtschaftliche Nutzung der gesammelten Produktionsmittel zur Regel wurden, als vorherrschende Betriebsform heraus- gebildet. Als Fabrik ist eine Produktionsst\u00e4tte zu bezeichnen, in der eine gr\u00f6\u00dfere Anzahl von Menschen in arbeitsteiliger Organisation mit Hilfe von Antriebs- und Arbeitsmaschinen oder chemischen Prozessen in regelm\u00e4\u00dfigem Ablauf G\u00fcter produziert (W. Fischer). Mit der Durchsetzung des Fabrikbetriebs entstand eine disziplinierte, funktional vielf\u00e4ltig gegliederte Industriearbeiterschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg brachte die Automation eine weitere Ver\u00e4nderung des Produktionsprozes- ses. Automaten und Roboter, das hei\u00dft Maschinen, die selbstst\u00e4ndig mehrstu\ufb01ge Arbeitsg\u00e4nge verrich- ten, ersetzen in zunehmendem Ma\u00dfe menschliche Arbeitskraft. Entwicklung der Betriebsformen Handwerksbetrieb Verlagssystem Manufaktur Unternehmer Unternehmer ( Verleger) Arbeiter Ein- Ver- kauf kauf Unternehmer Rohstoffe Erzeugnisse und Handwerker und Heimarbeiter Kapitaleigent\u00fcmer Fabrik Technische Umsetzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse Unternehmer Zusammenfassung einer gr\u00f6\u00dferen Zahl von Arbeitskr\u00e4ften Management unter einem Dach Arbeitsteilige Organisation Arbeitsteilung Automation Regelm\u00e4\u00dfiger Arbeitsablauf Anwendung von Antriebsmaschinen \u00a9 Bergmoser + H\u00f6ller Verlag AG oder chemischen Prozessen Wirtschaftliche Nutzung des investierten Kapitals ZAHLENBILDER 201 102","394 016 10\/20 Die deutsche Zahlungsbilanz Die Zahlungsbilanz einer Volkswirtschaft registriert alle wirtschaftlichen Transaktionen (d.h. den Austausch von G\u00fctern, Dienstleistungen und finanziellen Anspr\u00fcchen), die innerhalb eines Jahres zwischen In- und Ausland stattfinden. Grunds\u00e4tzlich ist zwischen dem Leistungs- und dem Zahlungsverkehr mit dem Ausland zu unterscheiden. Die Leistungsbilanz als Teil der Zahlungsbilanz erfasst alle Bez\u00fcge und Lieferungen im grenz\u00fcberschreitenden Warenhandel und Dienstleistungsverkehr, die \u00fcber die Grenzen zu- oder abflie\u00dfen- den Erwerbs- und Verm\u00f6genseinkommen (Gewinne, L\u00f6hne, Zinsen usw.) und die laufenden \u00dcbertragun- gen (\u201eeinseitigen\u201c Leistungen) zwischen In- und Ausland (z.B. Beitr\u00e4ge an die EU oder an internationale Organisationen). Als besonderer Posten neben der Leistungsbilanz werden die \u201eeinmaligen\u201c Verm\u00f6gens- \u00fcbertragungen wie Schuldenerlasse, Erbschaften oder bestimmte Investitionszusch\u00fcsse verbucht. Der Kapitalverkehr mit dem Ausland \u2013 die Aufnahme oder Gew\u00e4hrung von Krediten, die Wertpapierge- sch\u00e4fte und der Erwerb von Eigentumsrechten an Unternehmen und Grundst\u00fccken \u2013 schl\u00e4gt sich in der Kapitalbilanz nieder. Finanziellen Charakter hat auch die Zu- oder Abnahme der W\u00e4hrungsreserven im Bestand der Bundesbank. Definitionsgem\u00e4\u00df halten sich beide Seiten der Zahlungsbilanz \u2013 die Ergebnisse des Leistungs- und des Kapitalverkehrs \u2013 die Waage. In der Praxis bestehen aber stets einige statistische Differenzen, die sich im sogenannten Restposten der Zahlungsbilanz niederschlagen. In den 1980er Jahren hatte die Bundesrepublik regelm\u00e4\u00dfig hohe Leistungsbilanz\u00fcbersch\u00fcsse erzielt. Mit der deutschen Einigung ver\u00e4nderte sich ihre au\u00dfenwirtschaftliche Position fast auf einen Schlag, so dass die Leistungsbilanz 1991 tief ins Minus rutschte. Dieser Umschwung war letztlich damit zu erkl\u00e4ren, dass die deutsche Volkswirtschaft in erheblichem Umfang auf ausl\u00e4ndische Ressourcen zur\u00fcckgreifen musste, um den Aufbau in Ostdeutschland zu bew\u00e4ltigen. Erst 2002 verzeichnete die Leistungsbilanz wieder ein Plus, das sich in den folgenden Jahren rasch ausweitete. 2007 erreichte der Leistungsbilanz\u00fcberschuss ei- nen Wert von 170 Mrd \u20ac, ehe er sich 2009 in der globalen Wirtschaftskrise auf 141 Mrd \u20ac verringerte. Daf\u00fcr ausschlaggebend war der scharfe R\u00fcckgang der Exporte. Diese nahmen in den Folgejahren aber wieder kr\u00e4ftig zu. 2016\/17 kletterte der Export\u00fcberschuss auf jeweils mehr als 250 Mrd \u20ac, der Leistungsbilanz\u00fcber- schuss erreichte 2016 mit 267 Mrd \u20ac seinen bisher h\u00f6chsten Stand. Danach schrumpfte das Plus in der Leistungsbilanz zwar, blieb trotz der Abschw\u00e4chung im Au\u00dfenhandel aber auch 2019 mit rund 244 Mrd \u20ac und 7,3 % des BIP deutlich \u00fcber dem Schwellenwert, den die Europ\u00e4ische Kommission zur Vermeidung von Ungleichgewichten in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen vorgibt (6 %). Dem Leistungsbilanz\u00fcberschuss stand 2019 ein Netto-Kapitalexport von 206 Mrd \u20ac gegen\u00fcber, der damit viel geringer ausfiel als in den Vorjahren. Dies war vor allem darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, dass ausl\u00e4ndische An- leger per saldo wieder deutsche Wertpapiere ankauften. Bei den Direktinvestitionen flossen \u2013 auf insgesamt niedrigerem Niveau \u2013 wesentlich mehr Mittel ins Ausland ab als umgekehrt in Deutschland angelegt wurden. Zahlungsbilanz (Angaben in Mio Euro) 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Warenhandel 1 106 923 1 166 594 1 179 166 1 256 492 1 293 435 1 307 797 Ausfuhr (fob) 887 294 918 200 926 757 1 003 661 1 067 160 1 086 803 Einfuhr (fob) + 252 831 + 226 275 + 220 993 Saldo + 219 629 + 248 394 + 252 409 282 289 296 167 309 663 Dienstleistungen (einschl. Fracht- und Versicherungskosten des Au\u00dfenhandels) 306 661 315 853 331 366 - 24 372 - 19 686 - 21 703 Einnahmen (fob) 228 840 253 318 265 105 220 360 226 647 230 895 Ausgaben (fob) 254 143 271 834 286 092 144 941 137 194 138 583 + 75 419 + 89 453 + 92 312 Saldo - 25 303 - 18 516 - 20 987 67 467 70 465 74 027 Prim\u00e4reinkommen (Erwerbs- und Verm\u00f6genseinkommen) Einnahmen 191 466 203 306 213 007 134 044 136 809 Ausgaben 133 715 + 69 262 + 76 199 Saldo + 57 752 Sekund\u00e4reinkommen (laufende \u00dcbertragungen) Einnahmen 62 475 71 709 65 415 Ausgaben 103 647 110 563 106 346 117 462 119 036 121 639 Saldo - 41 172 - 38 854 - 40 931 - 49 995 - 48 571 - 47 621 Saldo der Leistungsbilanz + 210 906 + 260 286 + 266 689 + 253 883 + 247 471 + 243 991 Saldo der Verm\u00f6gens\u00e4nderungen + 2 936 - 48 + 2 142 - 2 999 +436 -323 Saldo der Kapitalbilanz* - 240 258 - 234 392 - 261 123 - 283 208 - 236 936 - 205 543 Saldo der Restposten +26 416 -25 845 -7 708 + 32 323 - 10 971 -38 125 (Ver\u00e4nderung der W\u00e4hrungsreserven - 2 564 - 2 213 + 1 686 - 1 269 +392 -544) *Das Minuszeichen bedeutet hier: per Saldo wurde mehr Kapital exportiert als importiert Quelle: Deutsche Bundesbank (Stand 9\/20)","240 032 7\/22 Entwicklung der Jahresarbeitszeit \u00dcberlange Arbeitszeiten von 14-16 Stunden bestimmten in den Anf\u00e4ngen der Industrialisierung den Alltag der arbeitenden Menschen. Der allm\u00e4hliche \u00dcbergang zu k\u00fcrzeren Arbeitszeiten erfolgte in Deutschland etwa ab 1880, parallel zur fortschreitenden Intensivierung der Arbeit. Bis zum Ersten Weltkrieg hatten sich der 10-Stunden-Tag und die 54- bis 60-Stunden-Woche in der Industrie weithin durchgesetzt. Jahresurlaub war aber immer noch einer Minderheit der Angestellten und Beamten vorbehalten. Im November 1918 handelten die Gewerkschaften den Arbeitgeberverb\u00e4nden neben anderen grundlegenden Zugest\u00e4ndnissen die Einf\u00fchrung des achtst\u00fcndigen Arbeitstages f\u00fcr gewerbliche Arbeiter ab, doch wurde diese Entwick- lung schon ab 1924 wieder zur\u00fcckgedreht. Erst Jahrzehnte sp\u00e4ter, lange nach dem Zweiten Weltkrieg, kam in die Arbeitszeitfrage neue Bewegung. Nach Berechnungen des Instituts f\u00fcr Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ging die durchschnittliche tarifliche Arbeitszeit der westdeutschen Arbeitnehmer zwischen 1960 und 1970 von 44,6 auf 41,5 Wochenstunden zur\u00fcck, w\u00e4hrend die Jahresarbeitszeit von 2 124 auf 1 898 Stunden schrumpfte. Die damit eingeleitete Verk\u00fcrzung der j\u00e4hrlichen Arbeitszeit setzte sich noch bis Mitte der 1990er Jahre fort. Ma\u00dfgeb- liche Elemente dieser Entwicklung waren der \u00dcbergang zum arbeitsfreien Samstag, die Verdoppelung des Jahresurlaubs auf rund 30 Tage und die Verk\u00fcrzung der Normal-Arbeitswoche auf unter 40 Stunden. 2021 belief sich die tarifliche oder betriebs\u00fcbliche Wochenarbeitszeit vollbesch\u00e4ftigter Arbeitnehmer\/-innen auf durchschnittlich 38,2 Stunden. Nach Abzug der Urlaubstage und sonstigen Freistellungen (u.a. zur Einhaltung einer Quarant\u00e4ne) ergab sich daraus eine j\u00e4hrliche Soll-Arbeitszeit von 1 691 Stunden. Davon ist jedoch die tats\u00e4chlich geleistete Arbeitszeit zu unterscheiden. So k\u00f6nnen Arbeitsstunden durch an- geordnete Kurzarbeit, Krankheit usw. verloren gehen oder durch \u00dcberstunden aufgestockt werden. Wer- den all diese Komponenten ber\u00fccksichtigt, leistete eine Vollzeit-Arbeitskraft 2021 im Durchschnitt nur knapp 1 603 Stunden. Darin spiegelt sich der Einfluss der Corona-Pandemie auf das Arbeitsleben. 2020 hatte die durchschnittliche Jahresarbeitszeit mit 1 577 Stunden ihren bisherigen Tiefpunkt erreicht. Viele Unternehmen reagierten auf die pandemiebedingte Produktions- und Absatzkrise mit Kurzarbeit, dem Abbau von \u00dcberstunden und Guthaben auf Arbeitszeitkonten oder durch Verk\u00fcrzung der Arbeitszeit im Rahmen flexibler Tarifvereinbarungen. Auch die leicht erh\u00f6hten Ausfallzeiten durch Krankheit machten sich in der Summe der durchschnittlichen Arbeitsstunden bemerkbar.","181 120 11\/21 Entwicklung der Steuereinnahmen Im modernen Leistungsstaat verlassen sich die B\u00fcrger auf die Finanzkraft ihres Staates: Er soll die soziale Sicherung der Menschen gew\u00e4hrleisten, eine tragf\u00e4hige \u00f6ffentliche Infrastruktur bereitstellen, Wissen- schaft und Forschung f\u00f6rdern und die wirtschaftliche Entwicklung durch zielgerichtete Hilfen st\u00fctzen und anregen. Die Kehrseite dieser umfassenden Aufgabenzuweisung zeigt sich darin, dass der Staat die Mittel f\u00fcr seine T\u00e4tigkeit in Form von Steuern eintreiben muss. Stets handelt es sich dabei um einen Balanceakt zwischen \u00dcberforderung der Steuerzahler auf der einen Seite und Einschr\u00e4nkung der staatlichen Leistun- gen auf der anderen Seite. Zwar besteht die M\u00f6glichkeit, den Leistungsspielraum des Staats durch die Aufnahme von Schulden zu erweitern, doch l\u00e4sst sich diese scheinbare L\u00f6sung nur f\u00fcr eine kurze Zeit aufrechterhalten. Die Entwicklung der Steuereinnahmen unterliegt meist konjunkturbedingten Schwankungen. Das gilt in besonderem Ma\u00df f\u00fcr die unmittelbar gewinn- und einkommensabh\u00e4ngigen Steuern wie die Einkommen- steuer, die K\u00f6rperschaftsteuer oder die Kapitalertragsteuern. Mit einer gewissen Verz\u00f6gerung sind aber auch die verbrauchsabh\u00e4ngigen Steuern (vor allem die Mehrwertsteuer) vom Auf und Ab der Konjunktur betroffen. Verfolgt man die Entwicklung in Deutschland seit Beginn der 1990er Jahre, so sprudelten die Steuereinnahmen in den Wachstumsjahren 2000, 2008 und dank der steigenden Besch\u00e4ftigung ab 2011 besonders stark. 2019 wurde mit Einnahmen von 799 Mrd \u20ac ein neuer Rekord verzeichnet. Dagegen stag- nierte das Steueraufkommen in der wirtschaftlich schwachen Phase zwischen 2001 und 2005; im Jahr 2009 hinterlie\u00df die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise tiefe Spuren in den \u00f6ffentlichen Kassen, und 2020 lie\u00df die Corona-Pandemie die Steuereinnahmen einbrechen. Die Steuereinnahmen werden dar\u00fcber hinaus aber auch durch politisch gewollte Eingriffe in das Steuer- recht beeinflusst. Auch daf\u00fcr gab es in den Jahren seit der deutschen Einigung mehrere eindr\u00fcckliche Beispiele. So war die Einnahmeschw\u00e4che der Jahre ab 2001 teilweise auch auf die Auswirkungen der gro\u00dfen Steuerreform 2000\/2005 zur\u00fcckzuf\u00fchren, die mit der Senkung der Einkommen- und K\u00f6rperschaft- steuer B\u00fcrger und Unternehmen entlastete. Im Gegenzug f\u00fchrte die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes von 16 auf 19 % im Jahr 2007 zu sprunghaft steigenden Steuereinnahmen. Trotz aller Schwankungen blieb die Steuerquote \u2013 Steuereinnahmen gemessen am Bruttoinlandsprodukt \u2013 seit 1991 bemerkenswert stabil. Ihr Wert pendelte meist um 20 % des BIP, so auch im Jahr 2020, als sie bei 21,9 % lag.","293 652 2\/22 Entwicklung der Verbraucherpreise Die Preisentwicklung in den Jahren 2020 und 2021 muss in ihrem Zusammenhang vor dem Hintergrund der seit Anfang 2020 grassierenden Corona-Pandemie gesehen werden. 2020 stiegen die Preise auf Verbraucherebene im Jahresdurchschnitt nur um 0,5 %. Die durch die Pandemie ausgel\u00f6sten Einschr\u00e4n- kungen lie\u00dfen die Produktion weltweit schrumpfen und engten dadurch den Spielraum f\u00fcr Preiserh\u00f6hun- gen ein. Der Verfall des Weltmarkt-\u00d6lpreises wirkte sich in fast allen Wirtschaftsbereichen preisd\u00e4mpfend aus. Die deutschen Verbraucher profitierten zudem von der Senkung der Mehrwertsteuer als Teil eines Konjunkturprogramms im zweiten Halbjahr 2020. Demgegen\u00fcber kletterten die Verbraucherpreise im Durchschnitt des Jahres 2021 um 3,1 % und damit so stark wie seit 1993 nicht mehr. Ma\u00dfgeblich daf\u00fcr waren vor allem die hohen Preis\u00e4nderungsraten, die in der zweiten Jahresh\u00e4lfte 2021 gegen\u00fcber den niedrigen Preisen des Vorjahrs auftraten. Als weitere Ursa- chen lassen sich krisenbedingte Faktoren wie die empfindlichen Engp\u00e4sse in den globalen Lieferketten anf\u00fchren. Hinzu kamen die Auswirkungen des rasanten \u00d6lpreisanstiegs seit dem Tiefpunkt im Fr\u00fchjahr 2020. Zusammen mit der Anfang 2021 eingef\u00fchrten CO2-Abgabe hatten sie zur Folge, dass sich die Ver- braucherpreise vor allem f\u00fcr Heiz\u00f6l und Kraftstoffe massiv erh\u00f6hten (um 41,8 % bzw. 22,6 % gegen\u00fcber dem Vorjahr). Da sich auch Gas und Strom verteuerten, kostete Haushaltsenergie 2021 im Schnitt um 4,7 % mehr als 2020. Die Energiepreise insgesamt kletterten um mehr als 10 % im Vergleich zum Vorjahr. Auch f\u00fcr Nahrungsmittel mussten die Verbraucher wieder tiefer in die Tasche greifen. Deren Preise stie- gen 2021 um 3,2 %, nachdem sie schon 2020 \u00fcberdurchschnittlich zugelegt hatten. Besonders deutlich verteuerten sich Speise\u00f6le und -fette (+5,3 %) und Gem\u00fcse (+3,9 %). M\u00f6bel und Haushaltsger\u00e4te kosteten 2,3 % mehr als im Vorjahr; f\u00fcr Bekleidung und Schuhe mussten 1,8 % mehr ausgegeben werden. Ausga- ben f\u00fcr den Verkehr stiegen insgesamt um 8,6 %. Neben Betrieb und Unterhalt verteuerte sich auch der Kauf eines neuen Pkw (+4,5 %) oder eines Fahrrads (+5,7 %) ganz betr\u00e4chtlich. Die Preise f\u00fcr Dienstleistungen erh\u00f6hten sich um durchschnittlich 2,1 %, zogen in einigen Bereichen aber deutlich st\u00e4rker an (z.B. Fahrzeugwartung und -reparatur +4,4 %, Reparaturen durch Elektriker +5,6 %, Altenwohnheime +5,8 %, Herrenfriseure +6,0 %, Rechtsberatung +10,3 %). Der gewichtigste Posten ent- f\u00e4llt aber stets auf die Mieten. Und hier blieb die Preisentwicklung trotz punktuell hoher Zuschl\u00e4ge bei Neu- vermietung im Ganzen recht moderat: Die Nettokaltmieten kletterten im Schnitt um lediglich 1,3 %.","293 652 3\/23 Entwicklung der Verbraucherpreise Nach Jahren mit relativ niedrigen Preissteigerungsraten war schon 2021 ein st\u00e4rkerer Preisauftrieb zu be- obachten. Im Jahresdurchschnitt kletterten die Verbraucherpreise um 3,1 %. Diese Entwicklung setzte sich 2022 in beschleunigter Gangart fort. Die mittlere Jahresteuerung lag bei 6,9 %, nur knapp unter der bisheri- gen westdeutschen Rekordmarke von 1973 (7,1%). In Ostdeutschland hatte es bei der Angleichung des Preisniveaus nach der deutschen Einigung 1992 und 1993 noch h\u00f6here Preissteigerungen gegeben. F\u00fcr die massive Teuerungswelle waren krisenbedingte Faktoren ausschlaggebend, die sich gegenseitig \u00fcberlagerten und dadurch noch steigerten. Zu den empfindlichen Engp\u00e4ssen in den globalen Lieferketten als Folge der Corona-Pandemie kamen die Auswirkungen des Angriffskriegs gegen die Ukraine und der gegen Russland verh\u00e4ngten wirtschaftlichen Sanktionen. Zwar gab es eine ganze Reihe staatlicher Entlas- tungsma\u00dfnahmen (wie den Tankrabatt, das 9-Euro-Ticket, die Senkung der Umsatzsteuer auf Gas und Fernw\u00e4rme und den Wegfall der EEG-Umlage), doch schossen vor allem die Energiepreise in die H\u00f6he. Im Vergleich zum Vorjahr kletterten sie um durchschnittlich 29,7 %. Haushaltsenergie verteuerte sich be- sonders deutlich (+32,7 %); Strom kostete 19,2 % mehr als im Vorjahr, Erdgas 48,1 %, Heiz\u00f6l sogar 73,0 %. F\u00fcr Kraft- und Schmierstoffe waren im Durchschnitt 26,1 % mehr zu bezahlen. Auch f\u00fcr Nahrungsmittel mussten die Verbraucher viel tiefer als im Vorjahr in die Tasche greifen. Ihre Preise erh\u00f6hten sich im Schnitt um 13,4 %. Noch weit dar\u00fcber lagen die Preiszuschl\u00e4ge f\u00fcr Sonnenblu- men- und Raps\u00f6l (65,3 %), f\u00fcr Butter (39,3 %), Molkereiprodukte und Eier (19,5 %) sowie f\u00fcr Fleisch- und Fleischwaren (14,5 %). M\u00f6bel und Haushaltsger\u00e4te kosteten 2022 um 7,6 % mehr als im Vorjahr; f\u00fcr Be- kleidung und Schuhe mussten aber nur 0,8 % mehr ausgegeben werden. Die Ausgaben f\u00fcr den Verkehr stiegen um insgesamt 11,4 %. W\u00e4hrend sich Bahntickets verbilligten (-4,9 %), wurden Autofahrer bei den Betriebskosten und auch beim Kauf von Fahrzeugen (+9,8 %) deutlich st\u00e4rker zur Kasse gebeten. Demgegen\u00fcber kletterten die Preise f\u00fcr Dienstleistungen 2022 \u201enur\u201c um 2,8%, obwohl auch hier in eini- gen Bereichen deutlich mehr verlangt wurde, so unter anderem f\u00fcr Gastst\u00e4tten- und Beherbergungs- dienstleistungen (7,6 %) und f\u00fcr Fahrzeugwartung und -reparatur (6,1 %). Bei den Dienstleistungen fallen die Mieten stets am st\u00e4rksten ins Gewicht. Und die wirkten auch 2022 als Inflationsbremse: Die Nettokalt- mieten kletterten im Schnitt um lediglich 1,8 %. Bei den Telekommunikationsdienstleistungen war sogar wieder ein Preisr\u00fcckgang (diesmal um 1,3 %) zu verzeichnen.","462 139 7\/21 Entwicklung des DAX 1987- 2021 Der Aktienindex DAX wird seit dem 1. Juli 1988 als Auswahlindex der 30 gr\u00f6\u00dften und umsatzst\u00e4rksten Unternehmen an der Frankfurter B\u00f6rse ermittelt. Sein unmittelbarer Vorl\u00e4ufer war der Index der B\u00f6rsenzei- tung (ab 1981), der seinerseits an den seit 1959 ver\u00f6ffentlichten Hardy-Index ankn\u00fcpfte. Der DAX brachte eine Neuerung, die ihn von anderen Indizes (wie dem Dow Jones) unterschied: Er spiegelt nicht den rei- nen Kursverlauf der beteiligten Werte, sondern wird als Performance-Index berechnet, d.h. es wird davon ausgegangen, dass Dividenden, Erl\u00f6se aus Bezugsrechten und sonstige Kapitalertr\u00e4ge sogleich wieder investiert und so dem Wert des Aktienportefeuilles zugeschlagen werden. Auf diese Weise bildet der DAX die gesamte Wertentwicklung der in ihm geb\u00fcndelten Aktien ab. (Ein Kursindex, der die eigentliche Kurs- entwicklung misst, wird erg\u00e4nzend dazu ver\u00f6ffentlicht.) Der DAX ist entsprechend der Marktkapitalisierung der einzelnen Aktienwerte gewichtet. Welchen Einfluss ein Unternehmen auf die Indexentwicklung aus- \u00fcbt, h\u00e4ngt also davon ab, wie viele seiner Aktien auf dem Markt sind und wie hoch sie bewertet werden; dabei sorgt eine Kappungsgrenze daf\u00fcr, dass einzelne Werte kein \u00fcberm\u00e4\u00dfiges Gewicht erhalten. Bei Einf\u00fchrung des DAX wurde f\u00fcr den Index ein Basiswert von 1000, bezogen auf den letzten Handels- tag des Jahres 1987, festgelegt. Dieser Ausgangspunkt lag in einem Kurstal, denn im Herbst 1987 hatten die B\u00f6rsen rund um die Welt einen massiven Kurseinbruch erlitten. Ab Anfang 1988 erholten sich die Kurse wieder, so dass der DAX vom Start weg in g\u00fcnstigem Licht erschien. Ab 1996 ging es mit dem DAX steil aufw\u00e4rts, bis die Asienkrise und die Schuldenkrise Russlands 1998 einen Kurssturz ausl\u00f6sten. Im Sog des New-Economy-Booms kletterte der Kurs danach auf \u00fcber 8100 Punkte (M\u00e4rz 2000). Umso schmerz- voller war der Absturz aus dieser spekulativ \u00fcbersteigerten B\u00f6rseneuphorie. Es dauerte bis 2007, ehe der DAX das Rekordhoch von 2000 wieder erreichte. Nach dem Ausbruch der globalen Finanz- und Wirt- schaftskrise verlor der DAX ab Januar 2008 jedoch erneut mehr als die H\u00e4lfte seines Wertes. Die Anfang 2009 einsetzende Erholung kam 2011 vor dem Hintergrund der Eurokrise wieder ins Stocken. Starken Auftrieb verschaffte dem DAX dann die Lockerung der Geldpolitik durch die Europ\u00e4ische Zentralbank. Dem Kursgipfel im April 2015 (mit 12 274 Punkten) folgten allerdings unruhige Zeiten, in denen die Sorgen um den Gang der Weltwirtschaft, die Brexit-Entscheidung oder der Handelskrieg USA-China immer neue Kursr\u00fcckschl\u00e4ge ausl\u00f6sten. Im Februar 2020 riss der Ausbruch der Corona-Pandemie den DAX in die Tiefe. Im weiteren Verlauf setzten sich aber die Auftriebskr\u00e4fte durch, die den DAX-Schlusskurs am 30. M\u00e4rz 2021 erstmals auf \u00fcber 15 000 Punkte steigen lie\u00dfen.","385 013 8\/21 Die Entwicklung des Online-Handels Der moderne Online-Handel ist die digitale Weiterentwicklung des klassischen Versandhandels. Dessen Geschichte war in Deutschland eng verbunden mit der Verbesserung des Lebensstandards der breiten Bev\u00f6lkerung. Zu gr\u00f6\u00dferer Bedeutung gelangte der Versandhandel erstmals Ende des 19. Jahrhunderts. Zwischen den Weltkriegen entstanden dann die ersten Gro\u00dfversandh\u00e4user. Die Bl\u00fctezeiten des Versand- handels lagen in den Anfangsjahren der Bundesrepublik und in den Jahren nach der deutschen Einigung, als die ostdeutschen Haushalte einen gro\u00dfen Teil ihres materiellen Nachholbedarfs aus den Versandhaus- katalogen deckten. Auf den Siegeszug des Versandhandels in den fr\u00fchen 1990er Jahren folgte jedoch eine Phase des Umbruchs. Vor allem gro\u00dfe Universalversender (wie Neckermann, Quelle und Otto) bekamen die schwache Massenkaufkraft als Folge fehlenden Wirtschaftswachstums und hoher Arbeitslosigkeit zu sp\u00fcren. Vor allem hatten sie M\u00fche, mit der Entwicklung des Internets Schritt zu halten. Dort kamen neue Gesch\u00e4ftsmodelle zum Erfolg, die den klassischen Versandh\u00e4usern hohe Umsatzanteile abjagten. Parallel zum Einzug des Internets in immer mehr Haushalte bl\u00fchte auch der Online-Handel auf. Inzwi- schen macht der \u201eE-Commerce\u201c fast 13 % des Umsatzvolumens im gesamtdeutschen Einzelhandel aus. Um die Jahrtausendwende lag der Onlineumsatz noch bei rund 1 Mrd Euro, nur sieben Jahre sp\u00e4ter hatte er sich bereits verzehnfacht. Im Jahr 2020 wuchs das Marktvolumen sprunghaft auf \u00fcber 73 Mrd \u20ac, bef\u00f6r- dert durch die soziale Distanzierung aufgrund der Corona-Pandemie. F\u00fcr 2021 rechnet der Handelsver- band Deutschland (HDE) noch einmal mit einer deutlichen Steigerung. Einer der wesentlichen Treiber der langfristigeren Entwicklung ist Amazon: Auf den Online-Riesen entfiel 2020 mehr als die H\u00e4lfte (53 %) des gesamten Onlineumsatzes in Deutschland. Doch trotz der marktbeherrschenden Stellung von Amazon hat die Zahl der Online-Anbieter in den letzten Jahren best\u00e4ndig zugenommen. Zudem sind Mischformen entstanden: So nutzen station\u00e4re H\u00e4ndler den Online-Versand als zus\u00e4tzliche Vertriebsform, andererseits haben fr\u00fchere \u201eInternet-Pure-Player\u201c eigene Ladengesch\u00e4fte er\u00f6ffnet. Der Boom des Online-Handels hat unbestreitbar seine Schattenseiten. Er tr\u00e4gt zu Umsatzeinbu\u00dfen im station\u00e4ren Handel bei und l\u00e4sst st\u00e4dtische Standorte ausbluten. Das enorme Wachstum des Paketver- sands l\u00f6ste einen harten Konkurrenzkampf unter Logistikdienstleistern aus, dessen Leidtragende die Paketboten sind. Der intensive Lieferverkehr und die Berge von Verpackungsm\u00fcll gehen auf Kosten der Umwelt. Hinzu kommt, dass ein nicht unerheblicher Teil der zur\u00fcckgesandten Waren vernichtet wird.","181 161 7\/22 Die ertragreichsten Steuerarten Steuern sind die wichtigsten Quellen zur Finanzierung der \u00f6ffentlichen Ausgaben. Wie wichtig, zeigte sich 2009 in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, als die deutschen Staatsfinanzen wegen sinkender Steuereinnahmen ins Defizit gerieten, und erneut im Corona-Jahr 2020 mit einem R\u00fcckgang der Steuer- ertr\u00e4ge um 7,5 %. Schon 2021 verzeichneten die \u00f6ffentlichen Haushalte aber neue Rekordeinnahmen von 833,2 Mrd \u20ac und damit ein Plus von fast 13% gegen\u00fcber dem Vorjahr. In Deutschland werden rund 30 verschiedene Steuern erhoben. Seit der deutschen Einigung wurden meh- rere Steuerarten abgeschafft (darunter die Salz-, Zucker-, B\u00f6rsenumsatz- und Verm\u00f6gensteuer), andere hingegen neu eingef\u00fchrt (Solidarit\u00e4tszuschlag, Strom-, Alkopop-, Luftverkehrsteuer). Auf die zwei ertrag- reichsten Steuerarten konzentrierten sich jedoch auch 2021 fast zwei Drittel des gesamten Steueraufkom- mens. Die Umsatzsteuern (Mehrwert- und Einfuhrumsatzsteuer) erbrachten 250,8 Mrd \u20ac (14 % mehr als im Vorjahr). Und die Lohn- und Einkommensteuer kletterte auf 290,7 Mrd \u20ac (+11 %). Der kr\u00e4ftige Anstieg gegen\u00fcber 2020 erkl\u00e4rt sich teils aus der \u00dcberwindung der Rezession, von der die Wirtschaft im ersten Jahr der Corona-Pandemie betroffen war, teils aus der Beendigung der zeitlich begrenzten steuerlichen Entlastungsma\u00dfnahmen des Vorjahrs. Von den \u00fcbrigen Steuerarten erholten sich die gewinnabh\u00e4ngigen Steuern besonders deutlich. So kletterte die K\u00f6rperschaftsteuer um 74 % auf 42,1 Mrd \u20ac und die f\u00fcr die Gemeindefinanzen wichtigen Gewerbesteuer- einnahmen stiegen um 35 % auf 61,1 Mrd \u20ac. Ein Plus von 48 % auf 10,0 Mrd \u20ac gab es bei der Abgeltung- steuer auf Kapitalertr\u00e4ge, w\u00e4hrend die auf Dividendenaussch\u00fcttungen erhobene Ertragsteuer um 27 % auf 27,4 Mrd \u20ac stieg. Dagegen sanken die Einnahmen aus dem Solidarit\u00e4tszuschlag, der f\u00fcr den gr\u00f6\u00dften Teil der Steuerzahler ab 2021 wegfiel. Von den insgesamt deutlich gestiegenen Steuerertr\u00e4gen profitierten besonders die Gemeinden 2021 mit Einnahmen von 126,2 Mrd \u20ac und die L\u00e4nder mit 355,1 Mrd \u20ac. Die Einnahmen des Bundes kletterten auf 313,7 Mrd \u20ac, blieben damit aber noch weit hinter der Rekordsumme des Jahres 2019 (329,1 Mrd \u20ac) zu- r\u00fcck. Die Ursache daf\u00fcr lag in der \u00dcbernahme eines Gro\u00dfteils der Anti-Krisen-Ma\u00dfnahmen durch den Bund. So wurden z.B. die L\u00e4nder f\u00fcr die zeitweilige Absenkung der Mehrwertsteuer vom Bund entsch\u00e4- digt, was sich auch 2021 noch auswirkte. Die an die Europ\u00e4ische Union abzuf\u00fchrenden Eigeneinnahmen beliefen sich 2021 auf 38,2 Mrd \u20ac.","715 295 9\/21 Die Erweiterung der Europ\u00e4ischen Union Das Erfolgsmodell des europ\u00e4ischen Zusammenschlusses \u00fcbte auf die Nachbarstaaten lange eine starke Anziehungskraft aus. Bei ihrer Gr\u00fcndung 1957 bestand die Gemeinschaft aus sechs Mitgliedern (Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden). Anfang der 1960er Jahre bewarb sich Gro\u00dfbritannien um die Mitgliedschaft, scheiterte zun\u00e4chst aber an der Ablehnung Frank- reichs. Offenbar musste die Gemeinschaft erst gen\u00fcgend innere Stabilit\u00e4t gewinnen, ehe sie zur Aufnahme neuer Mitglieder bereit war. 1973 trat dann Gro\u00dfbritannien zusammen mit Irland und D\u00e4nemark bei. Als n\u00e4chste klopften Griechenland, Portugal und Spanien in Br\u00fcssel an. W\u00e4hrend sich f\u00fcr Griechenland die T\u00fcr schon 1981 \u00f6ffnete, mussten Spanien und Portugal noch bis 1986 warten. Die \u201eS\u00fcderweiterung\u201c stellte eine gro\u00dfe wirtschaftliche Herausforderung f\u00fcr die Gemeinschaft dar, bot aber auch die Chance, drei lange autorit\u00e4r regierte Staaten in den Kreis der europ\u00e4ischen Demokratien einzubinden. Eine \u201estille Erweiterung\u201c vollzog sich, als mit der deutschen Einigung 1990 auch Ostdeutschland zur Europ\u00e4ischen Gemeinschaft stie\u00df. Anfang der 1990er Jahre sah sich die Gemeinschaft zahlreichen neuen Beitrittsw\u00fcn- schen gegen\u00fcber. Nachdem sie ihren inneren Ausbau bis 1993 in zwei gro\u00dfen Projekten (Binnenmarkt, Europ\u00e4ische Union) vorangebracht hatte, nahm sie 1995 Finnland, \u00d6sterreich und Schweden auf. Inzwischen dr\u00e4ngten auch die ehemals sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas in die EU. Der Eu- rop\u00e4ische Rat legte dazu 1993 die Kriterien fest, die f\u00fcr einen Beitritt erf\u00fcllt sein m\u00fcssen: Institutionelle Stabilit\u00e4t als Garantie f\u00fcr eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, eine funktionsf\u00e4hige Markt- wirtschaft und die F\u00e4higkeit, die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen zu \u00fcbernehmen. Es brauchte mehr als ein Jahrzehnt tiefgreifender Reformen, ehe die Bewerberl\u00e4nder diesen Anforderungen gerecht wurden. 2004 nahm die EU zehn neue Mitglieder aus Ost- und S\u00fcdeuropa auf; f\u00fcr Bulgarien und Rum\u00e4nien verz\u00f6gerte sich der Beitritt noch bis Anfang 2007. Im Sommer 2013 folgte Kroatien. F\u00fcnf weitere Staaten sind von der EU als Beitrittskandidaten anerkannt: Albanien, Nordmazedonien, Monte- negro, Serbien und die T\u00fcrkei. Mit diesen Staaten hat die EU auch Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Potenzielle Beitrittskandidaten sind au\u00dferdem Bosnien-Herzegowina und der Kosovo. Ab 2009 stellte eine Reihe von Krisen (Finanz-, Schulden-, Fl\u00fcchtlingskrise) die EU vor immer neue Zer- rei\u00dfproben. Island zog seinen Beitrittsantrag 2015 zur\u00fcck. Und Gro\u00dfbritannien, die zweitgr\u00f6\u00dfte Volkswirt- schaft der EU, vollzog Ende Januar 2020 den Austritt aus der Union.","247 127 1\/21 Erwerbst\u00e4tige in Deutschland 1991-2020 In den Jahren seit der deutschen Einigung entwickelte sich die Erwerbst\u00e4tigkeit in zwei langgestreckten Wellen. 1991 gab es in Deutschland noch 38,9 Millionen Erwerbst\u00e4tige. Durch den Umbau der ostdeut- schen Wirtschaft, den Konjunktureinbruch von 1993 und die versch\u00e4rfte Rationalisierung im Westen ging diese Zahl im Lauf der 1990er Jahre auf rund 38,0 Mio zur\u00fcck. Im anschlie\u00dfenden Aufschwung erreichte die Erwerbst\u00e4tigkeit im Jahr 2000 mit 40,0 Mio ein neues Hoch, das allerdings nur von kurzer Dauer war. Denn der New-Economy-Boom endete abrupt und es folgten Jahre des Stillstands, aus dem sich die deut- sche Wirtschaft erst ab 2006 wieder befreite. Beg\u00fcnstigt durch eine lebhafte Exportkonjunktur nahm die Erwerbst\u00e4tigkeit dann aber rasch wieder zu \u2013 der Auftakt zu einer 14-j\u00e4hrigen Periode des Besch\u00e4fti- gungsaufbaus. An dieser Entwicklung hatten die Arbeitsmarktreform von 2005 und die jahrelang zur\u00fcckhaltende Lohnpolitik der Gewerkschaften einen entscheidenden Anteil. Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise wurde der Auf- w\u00e4rtstrend der Erwerbst\u00e4tigenzahlen 2009\/10 zwar verlangsamt, aber nicht gebrochen, da es u.a. durch Ausweitung der Kurzarbeit und konjunkturst\u00fctzende Ma\u00dfnahmen gelang, Arbeitsplatzverluste gr\u00f6\u00dferen Ausma\u00dfes zu vermeiden. 2019 erreichte die Zahl der Erwerbst\u00e4tigen mit durchschnittlich 45,3 Mio ihren h\u00f6chsten Stand, ehe sie 2020 vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie auf 44,8 Mio zur\u00fcck- ging. Nach Auffassung des Statistischen Bundesamts w\u00e4re der Besch\u00e4ftigungszuwachs aber auch ohne Corona bald zu einem Ende gekommen, weil das Arbeitskr\u00e4ftepotenzial auf Grund der demographischen Entwicklung kaum noch zunimmt bzw. demn\u00e4chst schrumpft. Die Definition der Erwerbst\u00e4tigkeit folgt dem Labour-Force-Konzept der Internationalen Arbeits-Organisation (ILO). Als Erwerbst\u00e4tige gelten demnach alle Personen, die in einem abh\u00e4ngigen Besch\u00e4ftigungsverh\u00e4ltnis (als Arbeiter, Angestellte, Beamte) oder als Selbstst\u00e4ndige einer Erwerbsarbeit nachgehen. Der zeitliche Umfang ihrer T\u00e4tigkeit spielt dabei keine Rolle. Die Zunahme der erwerbst\u00e4tigen Personen verr\u00e4t daher noch nichts \u00fcber die \u201eQualit\u00e4t\u201c der Besch\u00e4ftigung. Tats\u00e4chlich haben sich Besch\u00e4ftigungen unterhalb des Normalarbeitsverh\u00e4ltnisses stark ausgebreitet, viele davon mit eingeschr\u00e4nkter Arbeitszeit. Deshalb blieb das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen, die Summe der geleisteten Arbeitsstunden, im hier betrachte- ten Zeitraum hinter der Entwicklung der Erwerbst\u00e4tigkeit zur\u00fcck. In der Corona-Krise sank die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden 2020 mit 59,6 Milliarden sogar wieder unter den Stand von 1991 (60,4 Mrd).","715 290 9\/20 EU der 28 \u2013 Bev\u00f6lkerung und Wirtschaftskraft Der Austritt Gro\u00dfbritanniens aus der EU zum 1. Februar 2020 bedeutet einen schweren R\u00fcckschlag f\u00fcr die europ\u00e4ische Einigung, die mit der Gr\u00fcndung der Montanunion 1952 ihren Anfang nahm. Bleiben die Verhandlungen \u00fcber die k\u00fcnftigen Beziehungen zwischen Gro\u00dfbritannien und der EU-27 bis Ende 2020 ergebnislos, ist der Bruch vollkommen \u2013 mit schwerwiegenden Folgen in politischer, aber vor allem auch wirtschaftlicher Hinsicht. Wie die Zahlen f\u00fcr das Jahr 2019 verdeutlichen, verliert die EU mit Gro\u00dfbritannien mehr als ein Sechstel ihrer Wirtschaftskraft (gemessen am BIP zu laufenden Preisen, in Euro umgerech- net) und mehr als ein Siebtel ihrer Bev\u00f6lkerung. F\u00fcr die EU-28 belief sich das nominale BIP 2019 auf 16 464 Mrd Euro, f\u00fcr die EU-27 (ohne Gro\u00dfbritannien) auf 13 939 Mrd Euro.","725 257 4\/22 EU-Aufbauplan NextGenerationEU Der Ausbruch der Corona-Pandemie st\u00fcrzte die EU in eine tiefe Rezession. Die reale Wirtschaftleistung schrumpfte 2020 EU-weit um 5,9 %, in einzelnen Mitgliedstaaten sogar noch weit st\u00e4rker. Angesichts der bedrohlichen Aussichten f\u00fcr die weitere wirtschaftliche Entwicklung und den Zusammenhalt der Union fassten die Staats- und Regierungschefs noch im Sommer des Jahres einen Beschluss, mit dem sie bis- her unverr\u00fcckbare Regeln der Gemeinschaft hinter sich lie\u00dfen \u2013 n\u00e4mlich das weitgehende Verbot der Schuldenaufnahme durch die EU und das Nein zur Umverteilung von Krisenlasten innerhalb der Union. Seine endg\u00fcltige Form fand dieser Beschluss mit der Verordnung zur Schaffung eines Europ\u00e4ischen Aufbauplans vom 14.12.2020. Zus\u00e4tzlich zum regul\u00e4ren mittelfristigen Finanzrahmen der EU soll dieser Aufbauplan \u2013 unter dem Titel NextGenerationEU \u2013 als zeitlich befristetes Instrument die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pan- demie unterst\u00fctzen. Er hat ein Gesamtvolumen von 750 Mrd \u20ac (zu Preisen von 2018). Finanziert wird er durch die Aufnahme von Krediten an den Finanzm\u00e4rkten. Zu deren Tilgung will die Europ\u00e4ische Kom- mission neue EU-Einnahmequellen einf\u00fchren. Kernst\u00fcck des Aufbauplans ist die sogenannte Aufbau- und Resilienzfazilit\u00e4t, mit der Reformen und In- vestitionen in den Mitgliedstaaten gef\u00f6rdert werden sollen. Mit ihrer Hilfe will die EU zur \u00dcberwindung der Krisenfolgen beitragen und Wirtschaft und Gesellschaft f\u00fcr die Zukunft widerstandsf\u00e4higer (= resilienter) und nachhaltiger machen. Sie hat einen Umfang von insgesamt 672,5 Mrd \u20ac, von denen 312,5 Mrd \u20ac als Zusch\u00fcsse und 360 Mrd \u20ac als Darlehen vergeben werden. Daneben werden 47,5 Mrd \u20ac im Rahmen der Aufbauhilfe f\u00fcr den Zusammenhalt und die Regionen Europas (ReactEU) zur Verf\u00fcgung gestellt. F\u00fcnf wei- tere EU-Programme erhalten zus\u00e4tzliche Mittel aus dem Aufbauplan. Darunter ist auch der \u201eFonds f\u00fcr ei- nen gerechten \u00dcbergang\u201c mit Hilfen f\u00fcr Regionen wie die Lausitz, in denen die Energiewende einen tief- greifenden wirtschaftlichen Umbruch erzwingt. Der Aufbauplan beschr\u00e4nkt sich nicht auf die wirtschaftliche Stabilisierung der durch die Coronakrise be- troffenen Staaten. Vielmehr sollen die zus\u00e4tzlichen Mittel auch genutzt werden, um die zentralen politi- schen Vorhaben der EU voranzutreiben. Dies betrifft insbesondere den \u00dcbergang zu Klimaneutralit\u00e4t und Nachhaltigkeit und den digitalen Wandel. Darauf m\u00fcssen die einzelnen EU-Staaten in den Aufbau- und Sanierungspl\u00e4nen eingehen, mit denen sie die Zuweisung von Geldern beantragen.","725 245 2\/21 EU-Finanzrahmen 2021-2027 Im Haushaltssystem der Europ\u00e4ischen Gemeinschaft kam es in den 1980er Jahren mehrfach zu schweren Konflikten. Durch die Finanzreform von 1988 erhielt die Haushaltspolitik jedoch eine neue, tragf\u00e4hige Grundlage. Seither orientiert sich der j\u00e4hrliche Haushalt an einem langfristigen Finanzrahmen, in dem die Verteilung der Ausgaben und ihre Obergrenzen fixiert sind. Parlament, Rat und Kommission verpflich- ten sich zur Einhaltung dieses Rahmens und damit zur Haushaltsdisziplin. Somit sind die j\u00e4hrlichen Haus- haltsberatungen weitgehend frei von Konflikten um Ausgabenschwerpunkte und Finanzierungsanteile, die sich nun allerdings mit umso gr\u00f6\u00dferer Intensit\u00e4t auf die Aushandlung des mehrj\u00e4hrigen Finanzrahmens konzentrieren. Die Verhandlungen \u00fcber den Finanzrahmen f\u00fcr die Jahre 2021-2027 zogen sich von der Vorlage der Kommission bis zur endg\u00fcltigen Annahme durch das Europ\u00e4ische Parlament und den Rat \u00fcber anderthalb Jahre hin. Zuletzt drohten Polen und Ungarn mit einer Blockade, weil sie den sogenannten Rechtstaatsmechanismus verhindern wollten: Dieser sieht vor, die Vergabe von EU-Mitteln an die Einhal- tung rechtsstaatlicher Standards zu kn\u00fcpfen. Durch einen Kompromiss wurde die Blockade abgewendet. Der neue Finanzrahmen umfasst ein Volumen von 1 074 Mrd \u20ac f\u00fcr Verpflichtungen bzw. 1 061 Mrd \u20ac f\u00fcr Zahlungen. Durch Verpflichtungen werden Finanzmittel f\u00fcr bestimmte Programme und Projekte im Voraus gebunden; die tats\u00e4chlichen Zahlungen erfolgen dann entsprechend der Umsetzung dieser Programme, oft \u00fcber Jahre verteilt und in geringerer H\u00f6he, da nicht alle bewilligten Vorhaben zu Ende gef\u00fchrt werden. Die j\u00e4hrlichen Haushaltsmittel d\u00fcrfen Obergrenzen nicht \u00fcbersteigen: Bei den Verpflichtungen liegt die Grenze bei 1,46 % des Bruttonationaleinkommens der EU-27 und bei den Zahlungen bei 1,40 %. Die Finanzen verteilen sich auf sieben Ausgabenbereiche: Der Schwerpunkt liegt zun\u00e4chst auf dem Bereich \u201eNat\u00fcrliche Ressourcen und Umwelt\u201c, zu dem auch die Agrarpolitik geh\u00f6rt. Mit den Jahren tritt aber die Koh\u00e4sionspolitik in den Vordergrund. Die n\u00e4chstgr\u00f6\u00dften Bl\u00f6cke bilden \u201eBinnenmarkt, Innovation und Digi- talisierung\u201c sowie Au\u00dfenpolitik. Geringere Anteile entfallen auf Sicherheit und Verteidigung sowie auf Migration und Grenzmanagement. Der siebte Bereich umfasst die Ausgaben f\u00fcr die EU-Verwaltung. Zus\u00e4tzlich zum Finanzrahmen wurde das schuldenfinanzierte Aufbaupaket Next Generation EU von Rat und Parlament vorl\u00e4ufig angenommen: Mit einem Volumen von 750 Mrd \u20ac (davon 360 Mrd \u20ac als Kredite) soll es dabei helfen, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie zu bew\u00e4ltigen. Es tritt in Kraft, sobald alle EU-Staaten den neuen Beschluss \u00fcber die Eigenmittel der EU ratifiziert haben.","725 252 12\/22 EU-Haushalt: Zahler und Empf\u00e4nger \u201eWe want our money back\u201c. Mit dieser Forderung trat die britische Premierministerin Thatcher ihren euro- p\u00e4ischen Kollegen auf dem Europa-Gipfel in Dublin 1979 gegen\u00fcber. Ihr Argument: Gro\u00dfbritannien leiste einen \u00fcberproportionalen Beitrag zum EU-Haushalt, profitiere andererseits aber nur wenig von der gemein- samen Agrarpolitik, dem Ausgabenschwerpunkt des Haushalts. Nach l\u00e4hmenden Debatten \u00fcber diesen Streitpunkt beschloss der Europ\u00e4ische Rat 1984 eine massive Entlastung Gro\u00dfbritanniens, den sogenann- ten Britenrabatt, der von den \u00fcbrigen Mitgliedstaaten seither anteilig getragen werden musste. Die Forderung nach einem \u201ejuste retour\u201c, die Aufrechnung von Zahlungen und finanziellen R\u00fcckfl\u00fcssen begleitet die EU seit ihren Anf\u00e4ngen und ist nach wie vor nicht verstummt, auch wenn dieses einzelstaatli- che N\u00fctzlichkeitsdenken der Idee der europ\u00e4ischen Solidarit\u00e4t widerspricht. Schlie\u00dflich sind Umschichtun- gen von wohlhabenden zu weniger entwickelten Mitgliedstaaten unumg\u00e4nglich, wenn \u2013 nach Art. 174 des Vertrags \u00fcber die Arbeitsweise der Europ\u00e4ischen Union \u2013 der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zu- sammenhalt in der EU gef\u00f6rdert werden soll. Bei einer blo\u00dfen Gegen\u00fcberstellung von Zahlungen und R\u00fcckfl\u00fcssen wird zudem leicht \u00fcbersehen, was den eigentlichen Nutzen der europ\u00e4ischen Einigung aus- macht: Das friedliche Miteinander der Staaten, die wirtschaftliche Entfaltung im gemeinsamen Binnen- markt, die offenen Grenzen, die \u00dcberwindung der traditionellen Kleinstaaterei durch die europ\u00e4ische Gemeinschaftspolitik oder durch engere Kooperation zwischen den Regierungen, die Schaffung eines eu- rop\u00e4ischen Rechtsrahmens und vieles andere mehr. Dennoch ist die Frage legitim, wer unterm Strich wie viel in die Gemeinschaft einzahlt oder von ihren Aus- gabenprogrammen profitiert. Eine Antwort darauf fand sich bis 2019 in den Zahlen der Europ\u00e4ischen Kommission zum \u201eoperativen Haushaltssaldo\u201c der EU-Mitgliedstaaten. Dieser errechnete sich f\u00fcr jeden Mitgliedstaat als Differenz zwischen dem geleisteten nationalen Beitrag und den ihm zuflie\u00dfenden Haus- haltsmitteln (ohne Verwaltungsausgaben). F\u00fcr die gesamte EU war er ausgeglichen. Inzwischen hat die Kommission die Ver\u00f6ffentlichung dieser Zahlen eingestellt. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat daf\u00fcr aber nach gleicher Methode nachgerechnet, wie sich die Netto-Beitr\u00e4ge und -Auszahlungen 2021 auf die EU-Mitglieder verteilten, nachdem Gro\u00dfbritannien die EU verlassen hatte. Mit Abstand gr\u00f6\u00dfter Nettozahler war Deutschland mit 21,4 Mrd \u20ac vor Frankreich und den Niederlanden. Auf Seiten der 17 Nettoempf\u00e4nger lag Polen mit 12,9 Mrd \u20ac weit vor allen \u00fcbrigen L\u00e4ndern.","725 250 4\/21 EU-Haushalt 2021 Der EU-Haushalt f\u00fcr das Jahr 2021 ist der erste Jahreshaushalt auf der Grundlage des mittelfristigen Finanzrahmens 2021-2027. Der mehrj\u00e4hrige Rahmenplan legt vorab die politischen Schwerpunkte fest, die in der j\u00e4hrlichen Haushaltsplanung beachtet werden m\u00fcssen, und bestimmt die Obergrenze der Ausga- ben. Er soll damit das j\u00e4hrliche Haushaltsverfahren von grunds\u00e4tzlichen Auseinandersetzungen \u00fcber H\u00f6he und Verteilung der Mittel freihalten. Ausgehend von der Schwerpunktsetzung des Finanzrahmens erarbei- tet die Europ\u00e4ische Kommission jedes Jahr einen Haushaltsentwurf, der anschlie\u00dfend den Rat und das Europ\u00e4ische Parlament passieren muss. Gehen die Ab\u00e4nderungsw\u00fcnsche von Rat und Parlament aus- einander, muss in einem Vermittlungsausschuss ein Kompromiss gefunden werden, damit der Haushalt rechtzeitig vor Jahresende verabschiedet werden kann. 2020 kam es zu einem dramatischen Endspurt, da vor der Verabschiedung des mehrj\u00e4hrigen Finanzrahmens ein von Polen und Ungarn angedrohtes Veto abgewendet werden musste. Der Haushaltsplan f\u00fcr 2021 konnte dann jedoch p\u00fcnktlich in Kraft treten. Der EU-Haushalt gliedert sich stets in zwei Teile: der eine beziffert die Verpflichtungserm\u00e4chtigungen, auf deren Grundlage die EU rechtlich bindende Zusagen f\u00fcr mehrere Jahre im Voraus machen kann; der andere enth\u00e4lt die Zahlungserm\u00e4chtigungen, mit denen die im laufenden Haushaltsjahr anfallenden Aus- gaben bestritten werden. Im Haushaltsplan f\u00fcr das Jahr 2021 sind Verpflichtungserm\u00e4chtigungen in H\u00f6he von 164,3 Mrd Euro vorgesehen. Die Zahlungserm\u00e4chtigungen, die durch die geplanten Einnah- men abgedeckt werden m\u00fcssen, belaufen sich auf 166,1 Mrd Euro. Davon entfallen 40 % auf den neuen Ausgabenschwerpunkt \u201eZusammenhalt und Werte\u201c, der vor allem den wirtschaftlichen und sozialen Aus- gleich innerhalb der EU zum Ziel hat, und weitere 34 % auf den Schwerpunkt \u201eNat\u00fcrliche Ressourcen und Umwelt\u201c, aus dem die Finanzhilfen f\u00fcr die Landwirtschaft und den l\u00e4ndlichen Raum bestritten werden. Hin- ter der \u00dcberschrift \u201eBinnenmarkt, Innovation und Digitales\u201c verbergen sich umfangreiche F\u00f6rderprogramme f\u00fcr Forschung, Innovation und den Ausbau der Verkehrs- und Energienetze (10 % der Ausgaben). F\u00fcr die Unterst\u00fctzung der Nachbarstaaten und der Entwicklungsl\u00e4nder sind 6,5 % vorgesehen. Zur Bew\u00e4ltigung der Corona-Krise und ihrer Folgen will die EU neben den regul\u00e4ren Haushaltsmitteln des mehrj\u00e4hrigen Finanzrahmens 750 Mrd Euro f\u00fcr den Aufbauplan NextGenerationEU mobilisieren. Die Mit- tel f\u00fcr dieses zeitlich befristete Konjunkturprogramm sollen durch Kredite beschafft werden. Daneben will sich die EU eigene neue Einnahmequellen erschlie\u00dfen.","201 203 2\/05 Europ\u00e4ische Gesellschaft \u2013 Societas Europaea (SE) Bereits zum Start des europ\u00e4ischen Binnenmarkts 1992 sollte eine Unternehmensform europ\u00e4ischen Zu- schnitts geschaffen werden. Es mussten aber noch zahlreiche nationale Bedenken \u00fcberwunden werden, ehe der Rat 2001 die Verordnung \u00fcber das Statut der Europ\u00e4ischen Gesellschaft und die erg\u00e4nzende Richtlinie \u00fcber die Beteiligung der Arbeitnehmer erlassen konnte. Das entsprechende Einf\u00fchrungsgesetz trat in Deutschland Ende 2004 in Kraft. Die Rechtsform der Europ\u00e4ischen Gesellschaft macht es f\u00fcr Unternehmen leichter, sich im Europ\u00e4ischen Wirtschaftsraum grenz\u00fcberschreitend zu bet\u00e4tigen. Will eine Gesellschaft in einem anderen Land Fu\u00df fassen, braucht sie dort keine eigenst\u00e4ndigen Tochterunter- nehmen mehr zu gr\u00fcnden: In der Rechtsform der SE kann sie selbst europaweit als ein Unternehmen auftreten und rechtlich unselbstst\u00e4ndige Niederlassungen errichten. Der Vorteil liegt in der einfacheren Organisation und einheitlichen Leitung des Unternehmens. Eine SE kann auch ihren Sitz in ein anderes europ\u00e4isches Land verlegen, ohne ihre Identit\u00e4t aufgeben zu m\u00fcssen. Die Gr\u00fcndung der Europ\u00e4ischen Gesellschaft erfolgt durch \u25cf Umwandlung einer AG, die eine Tochter- gesellschaft in einem anderen Land des Europ\u00e4ischen Wirtschaftsraums unterh\u00e4lt, \u25cf Verschmelzung von Aktiengesellschaften aus mehreren europ\u00e4ischen L\u00e4ndern, \u25cf Bildung einer Holding-SE durch AGs oder GmbHs bzw. \u25cf Gr\u00fcndung einer gemeinsamen Tochtergesellschaft durch Gesellschaften, die aus ver- schiedenen L\u00e4ndern stammen oder grenz\u00fcberschreitend t\u00e4tig sind. Der Form nach ist die Europ\u00e4ische Gesellschaft eine Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von mindestens 120 000 H; sie wird in das an ihrem Sitz gef\u00fchrte Unternehmensregister eingetragen und \ufb01rmiert mit dem Zusatz \u201eSE\u201c. F\u00fcr Aufbau und Leitung der SE stehen zur Wahl: 1. das in Deutschland angewandte dualistische Modell mit einem Aufsichtsrat als \u00dcberwachungs- und einem Vorstand als Leitungsorgan; 2.) das u.a. in Gro\u00df- britannien verbreitete monistische Modell mit einem Verwaltungsrat (Board), der die unternehmens- politischen Grundlinien festlegt, f\u00fcr die Unternehmensleitung verantwortlich ist und ggf. die Gesch\u00e4ftsf\u00fch- renden Direktoren bestellt. Die Kapitalgeber (Aktion\u00e4re) der SE sind in der Hauptversammlung vertreten. Bez\u00fcglich der Arbeitnehmerbeteiligung wurde auf eine einheitliche Regelung f\u00fcr die SE verzichtet. Bei Gr\u00fcndung einer Europ\u00e4ischen Gesellschaft sollen die Rechte der Arbeitnehmer auf Information, An- h\u00f6rung oder Mitbestimmung in einer Vereinbarung zwischen den beteiligten Gesellschaften und einem \u201ebesonderen Verhandlungsgremium\u201c der Arbeitnehmer festgelegt werden. Erst wenn dies fehlschl\u00e4gt, greift eine gesetzliche Auffangregelung zur Sicherung der bestehenden Beteiligungsrechte. Euro- Gr\u00fcndung Aufbau\/Leitung p\u00e4ische Gesell- durch Umwandlung einer im Euro- Zwei Systeme stehen zur Wahl: schaft p\u00e4ischen Wirtschaftsraum grenz\u00fcber- schreitend t\u00e4tigen Aktiengesellschaft dualistisch monistisch Societas durch Verschmelzung von AGs aus Europaea mehreren europ\u00e4ischen L\u00e4ndern F\u00fchrung der F\u00fchrung der (SE) als Holding-SE von AGs oder GmbHs Gesch\u00e4fte Gesch\u00e4fte bzw. Vorstand als Tochter-SE von Gesellschaften Verwaltungsrat aus mehreren L\u00e4ndern oder mit \u00dcberwachung grenz\u00fcberschreitender T\u00e4tigkeit Aufsichtsrat Stammkapital der SE: Hauptversammlung der Aktion\u00e4re mindestens 120 000 H Firma mit Zusatz \u201eSE\u201c Eintragung ins Unternehmens- (Handels-)Register am Sitz der SE einheitliche Sitzverlegung Mitbestimmung europ\u00e4ische Rechtsform in ein anderes Land des EWR ist unter Die Arbeitnehmerbeteiligung in einer SE f\u00fcr Kapital- Wahrung der Identit\u00e4t des Unternehmens wird zwischen einem besonderen Ver- gesellschaften m\u00f6glich handlungsgremium der Arbeitnehmer und (ohne Aufl\u00f6sung der Unternehmensleitung ausgehandelt im einen und Neu- gr\u00fcndung im Gelingt dies nicht, treten gesetzliche anderen Land) Mindestvorschriften in Kraft ZAHLENBILDER \u00a9 Erich Schmidt Verlag 201 203","714 040 8\/20 Die Europ\u00e4ische Kommission Die einzigartige Entwicklung der Europ\u00e4ischen Gemeinschaft hat Institutionen hervorgebracht, wie sie in dieser Art nirgendwo sonst in der Welt zu finden sind. Dies gilt besonders f\u00fcr die Europ\u00e4ische Kommis- sion. Ihr weist das EU-Vertragswerk eine dreifache Aufgabe zu: \u25cf Als H\u00fcterin der Vertr\u00e4ge hat sie daf\u00fcr zu sorgen, dass die in der EU geltenden Rechtsvorschriften ein- gehalten werden. Sie \u00fcberwacht die Anwendung der Vertragsbestimmungen und der von den EU-Organen getroffenen Entscheidungen. Ist sie der Auffassung, dass ein Mitgliedstaat oder ein Unternehmen seine Verpflichtungen verletzt, kann sie den Fall bis vor den Europ\u00e4ischen Gerichtshof bringen. \u25cf Als Motor der Integration nutzt sie das ihr allein zustehende Initiativrecht, um Vorschl\u00e4ge f\u00fcr neue Rechtsakte vorzulegen und dadurch die Entwicklung der EU voranzutreiben. (Wird sie nicht von sich aus aktiv, kann sie auch vom Rat, vom Europ\u00e4ischen Parlament oder durch eine europ\u00e4ische B\u00fcrgerinitiative dazu aufgefordert werden.) Beschlossen werden die Gesetzgebungsakte in der Regel gleichberechtigt durch den Rat und das Parlament. Aufgabe der Kommission ist es weiterhin, gegen\u00fcber den Mitgliedstaa- ten und den \u00fcbrigen EU-Organen f\u00fcr das gemeinsame europ\u00e4ische Interesse einzutreten und zwischen deren oft unterschiedlichen Auffassungen zu vermitteln. Schlie\u00dflich ist sie als \u25cf Exekutivorgan zust\u00e4ndig f\u00fcr die Umsetzung der Gemeinschaftpolitik. Auf einigen Gebieten (wie in der Wettbewerbspolitik) verf\u00fcgt sie \u00fcber ausgedehnte eigene Befugnisse zur Anwendung der Vertr\u00e4ge. In anderen Bereichen ist sie im Auftrag des Rates t\u00e4tig. Sie verwaltet den EU-Haushaltsplan und die Finanzierung politischer Ma\u00dfnahmen und Programme, handelt im Namen der EU internationale Abkommen aus und vertritt die EU bei den internationalen Organisationen. Die Kommission ist ein supranationales Organ. Ihre Mitglieder \u2013 je eines aus jedem Mitgliedstaat \u2013 han- deln nicht als Vertreter ihres Landes, sondern laut EU-Vertrag \u201ein voller Unabh\u00e4ngigkeit\u201c. Weisungen von Regierungen d\u00fcrfen sie weder einholen noch entgegennehmen. Unter der politischen F\u00fchrung der Kom- missionspr\u00e4sidentin\/des Kommissionspr\u00e4sidenten ist jedes Kommissionsmitglied f\u00fcr einen bestimmten Politikbereich federf\u00fchrend zust\u00e4ndig. \u00dcber Vorschl\u00e4ge zu neuen Rechtsakten beschlie\u00dft die Kommission mit der Mehrheit ihrer Mitglieder. Sitz der Kommission ist Br\u00fcssel. Ihre Dienststellen \u2013 mit rund 32 000 Be- diensteten (2020) \u2013 sind haupts\u00e4chlich in Br\u00fcssel, daneben u.a. auch in Luxemburg untergebracht.","725 598 11\/21 Europ\u00e4ische Nachbarschaftspolitik Jede Erweiterung der EU machte fr\u00fchere Nachbarn zu Mitgliedstaaten und verlagerte die Grenzen der Gemeinschaft ein St\u00fcck weiter nach au\u00dfen. Nach der gro\u00dfen Beitrittsrunde 2004 stellte sich die Frage, wie die EU mit jenen neuen Anrainerstaaten umgehen sollte, denen eine EU-Mitgliedschaft aller Voraus- sicht nach verschlossen bleiben w\u00fcrde. Dazu legte die EU-Kommission noch im Mai 2004 ein Strategie- papier vor, in dem sie die Grundlagen einer Europ\u00e4ischen Nachbarschaftspolitik (ENP) entwarf. Diese Politik zielt darauf ab, die angrenzenden Staaten zu Partnern der wirtschaftlichen Entwicklung, des kulturel- len Dialogs, der Stabilit\u00e4t und der Sicherheit in der EU zu machen, ohne damit das Versprechen eines Bei- tritts zu verbinden. Hat sie Erfolg, so die dahinterstehende \u00dcberlegung, ist die EU von einem Kranz eng mit ihr verbundener Staaten umgeben und zieht auch erheblichen sicherheitspolitischen Gewinn daraus. Das Angebot privilegierter Beziehungen richtet sich an die \u00f6stlichen und s\u00fcdlichen Nachbarstaaten. Aus- gangspunkt der ENP ist die Verpflichtung auf gemeinsame Grundwerte: Demokratie und Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft, verantwortliche Staatsf\u00fchrung und nachhaltige Entwicklung. Auf der Grundlage schon bestehender Kooperations- und Assoziierungsabkommen schlie\u00dft die EU mit den Partnerl\u00e4ndern bilaterale Rahmenvereinbarungen, entweder in Form von Aktionspl\u00e4nen oder von soge- nannten Partnerschaftspriorit\u00e4ten. In diesen Vereinbarungen werden Felder der Zusammenarbeit abge- steckt. Dabei werden Interessen und Kapazit\u00e4ten sowohl der EU als auch der jeweiligen Partnerl\u00e4nder ber\u00fccksichtigt. Ein wichtiges Ziel ist die Entwicklung demokratischer, sozial gerechter und inklusiver Gesellschaften \u2013 dieser Schwerpunkt wurde insbesondere nach den Erfahrungen aus dem arabischen Fr\u00fchling 2011 mit Blick auf die s\u00fcdlichen Nachbarn gesetzt. Zudem sollen die bilateralen Vereinbarungen die wirtschaftliche Integration f\u00f6rdern und die grenz\u00fcberschreitende Mobilit\u00e4t der B\u00fcrgerinnen und B\u00fcrger erleichtern. Im Gegenzug gew\u00e4hrt die EU finanzielle, wirtschaftliche und politische Unterst\u00fctzung. F\u00fcr die Zeit ab 2021 sollen viele der Aktionspl\u00e4ne und Partnerschaftspriorit\u00e4ten umfassend erneuert werden. Erg\u00e4nzt werden die bilateralen Formate durch multilaterale Kooperationsformen wie die Schwarzmeer- Synergie und die Mittelmeerunion (seit 2008) sowie die \u00d6stliche Partnerschaft (seit 2009). Nicht zu den ENP-Staaten geh\u00f6rt Russland. Grundlage f\u00fcr die Beziehungen der EU zu Russland ist seit 1997 ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen, das allerdings reformbed\u00fcrftig ist. Gespr\u00e4che \u00fcber ein neues EU-Russland-Abkommen wurden 2014 wegen des Ukraine-Konflikts ausgesetzt.","715 116 2\/21 Die Europ\u00e4ische Staatsanwaltschaft Durch Kriminalit\u00e4t in gro\u00dfem Stil (wie Unterschlagung, Korruption und Umsatzsteuerbetrug) entstehen dem EU-Haushalt j\u00e4hrlich Sch\u00e4den in Milliardenh\u00f6he. Das Europ\u00e4ische Amt f\u00fcr Betrugsbek\u00e4mpfung OLAF konnte solchen Unregelm\u00e4\u00dfigkeiten bisher schon durch Untersuchungen in der Verwaltung der EU-L\u00e4nder nachgehen. Die strafrechtliche Verfolgung blieb den nationalen Beh\u00f6rden \u00fcberlassen, die aber nicht immer mit gleicher Konsequenz vorgingen und bei grenz\u00fcberschreitenden Finanzdelikten nur beschr\u00e4nkte Hand- lungsm\u00f6glichkeiten hatten. Mit der neu errichteten Europ\u00e4ischen Staatsanwaltschaft \u2013 EUStA (European Public Prosecutor\u2019s Office \u2013 EPPO) gibt es nun eine unabh\u00e4ngige Beh\u00f6rde, die ab 2021 Straftaten zum Schaden der EU auch \u00fcber die Grenzen hinweg untersucht, strafrechtlich verfolgt und in den einzelnen EU-L\u00e4ndern vor Gericht bringt. Um die Schaffung der EUStA wurde lange gerungen. Da es im Rat nicht die erforderliche Mehrheit daf\u00fcr gab, wurde sie schlie\u00dflich als Projekt der Verst\u00e4rkten Zusammenarbeit mit bisher 22 teilnehmenden EU-L\u00e4ndern ins Leben gerufen. F\u00fcnf L\u00e4nder stehen abseits, darunter aller- dings Polen und Ungarn als Empf\u00e4nger besonders hoher EU-Zuwendungen. Der Aufbau der Europ\u00e4ischen Staatsanwaltschaft umfasst zwei Ebenen. Die zentrale Ebene (mit Sitz in Luxemburg) besteht aus dem Europ\u00e4ischen Generalstaatsanwalt mit seinen beiden Vertretern und dem Kollegium, das sich aus den 22 Europ\u00e4ischen Staatsanw\u00e4lten (je 1 aus jedem Teilnehmerland) zusammen- setzt. Das Kollegium soll die Strategie der EUStA festlegen und f\u00fcr einheitliche Ma\u00dfst\u00e4be ihrer Arbeit sor- gen. Die Ermittlungen und Strafverfolgungsma\u00dfnahmen in den einzelnen L\u00e4ndern werden von St\u00e4ndigen Kammern (mit je drei Mitgliedern) auf zentraler Ebene \u00fcberwacht und koordiniert. Sie entscheiden u.a., ob in einem Fall Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt wird. Auf dezentraler Ebene gehen die in jedem Land ernannten Delegierten Europ\u00e4ischen Staatsanw\u00e4lte im Namen und im Auftrag der EUStA ihren Aufgaben nach (elf davon in Deutschland). Sie sind eingebettet in die nationale Staatsanwaltschaft oder Richterschaft und k\u00f6nnen den Ermittlern vor Ort Anweisungen erteilen. Ihrerseits werden sie im Auf- trag der St\u00e4ndigen Kammer, die f\u00fcr den Ermittlungskomplex zust\u00e4ndig ist, durch den (zentralen) Europ\u00e4i- schen Staatsanwalt beaufsichtigt, der ihnen gegen\u00fcber Weisungen aussprechen kann. Die Europ\u00e4ische Staatsanwaltschaft hat ihre Bew\u00e4hrungsprobe noch vor sich. Entscheidend wird sein, dass sie ungeachtet der abweichenden Rechtsvorschriften in den teilnehmenden L\u00e4ndern ein m\u00f6glichst einheitliches Vorgehen durchsetzt und den T\u00e4tern erfolgreich das Handwerk legt.","715 512 10\/22 Der Europ\u00e4ische Wechselkursmechanismus II (WKM II) Am 1. Januar 1999 f\u00fchrten elf der damals 15 EU-Mitgliedstaaten den Euro als gemeinsame W\u00e4hrung ein. Die \u00fcbrigen EU-Mitglieder (D\u00e4nemark, Griechenland, Gro\u00dfbritannien und Schweden) hatten den Euro ab- gelehnt oder die Voraussetzungen f\u00fcr die Aufnahme in den Euro-Club noch nicht erf\u00fcllt. Der zum gleichen Zeitpunkt eingerichtete Europ\u00e4ische Wechselkursmechanismus II hielt ihnen (und allen k\u00fcnftigen Mitglie- dern) jedoch die M\u00f6glichkeit offen, ihre W\u00e4hrungen an den Euro anzubinden und sich so gegebenenfalls auf einen sp\u00e4teren Beitritt zur Eurozone vorzubereiten. Die Funktionsweise des WKM II \u00e4hnelt der des vo- rangegangenen Europ\u00e4ischen W\u00e4hrungssystems (1979 -1998). F\u00fcr die teilnehmenden W\u00e4hrungen wer- den Leitkurse gegen\u00fcber dem Euro festgelegt. Von diesen Leitkursen d\u00fcrfen die Wechselkurse innerhalb einer Bandbreite von +\/-15 % abweichen. Wird diese Schwankungsmarge \u00fcberschritten, greifen die betei- ligten Zentralbanken zur Abwehr spekulativer Auf- und Abwertungen am Devisenmarkt ein. Zeichnen sich jedoch anhaltende Abweichungen ab, soll der Leitkurs rechtzeitig angepasst werden. Durch die freiwillige Bindung an die Leitw\u00e4hrung Euro wird die in der Eurozone verfolgte Stabilit\u00e4tspolitik auch f\u00fcr die WKM-II-Teilnehmer zum Orientierungsrahmen. Sie verzichten fortan auf die Abwertung ihrer W\u00e4hrung als Mittel der Wirtschaftspolitik. Zugleich bietet der Wechselkursmechanismus einen gewissen Schutz gegen spekulative Wechselkursverzerrungen, die das Funktionieren des europ\u00e4ischen Binnen- markts st\u00f6ren k\u00f6nnten. Hat ein Land dem WKM II mindestens zwei Jahre angeh\u00f6rt, ohne dass gr\u00f6\u00dfere Spannungen aufgetreten w\u00e4ren, ist eine der Bedingungen f\u00fcr den Beitritt zur Eurozone erf\u00fcllt. Die \u00fcbri- gen Kriterien erfordern u.a. ein stabiles Preisniveau, solide Staatsfinanzen und eine Ann\u00e4herung der Zins- s\u00e4tze an das Niveau der \u201epreisstabilsten\u201c Euro-L\u00e4nder. Zum 1.1.1999 traten D\u00e4nemark und Griechenland dem WKM II bei. F\u00fcr die d\u00e4nische Krone wurde eine engere Bandbreite (+\/-2,25 %) vereinbart, um so den bereits erreichten Grad an wirtschaftlicher Konver- genz festzuhalten. D\u00e4nemark entschied sich aber, bei der eigenen W\u00e4hrung zu bleiben, w\u00e4hrend Grie- chenland Anfang 2001 in die Eurozone \u00fcberwechselte. Nach der EU-Erweiterungsrunde von 2004 f\u00fcllte sich der \u201eWarteraum zum Euro\u201c rasch: Bis Ende 2005 wurden Estland, Litauen, Slowenien, Lettland, Mal- ta, Zypern und die Slowakei in den WKM II aufgenommen. Alle diese Staaten f\u00fchrten seitdem den Euro ein. 2020 erfolgte die Aufnahme Bulgariens und Kroatiens in den WKM II, den Kroatien Anfang 2023 mit dem \u00dcbergang zum Euro wieder verl\u00e4sst.","715 560 12\/22 Die Europ\u00e4ische Zentralbank Die Europ\u00e4ische Zentralbank (EZB) wurde im Juni 1998 gegr\u00fcndet \u2013 wenige Monate, bevor die Europ\u00e4i- sche Wirtschafts- und W\u00e4hrungsunion mit der Einf\u00fchrung des Euro am 1. Januar 1999 in ihre letzte Phase eintrat. Durch den Vertrag von Lissabon wurde sie zu einem Organ der EU erhoben. Vorrangiges Ziel der EZB ist es, \u00fcber die Stabilit\u00e4t der gemeinsamen europ\u00e4ischen W\u00e4hrung zu wachen. Soweit dieses Ziel nicht beeintr\u00e4chtigt wird, soll sie auch die allgemeine Wirtschaftspolitik der EU unterst\u00fctzen. Zu ihren grundlegenden Aufgaben geh\u00f6rt es, die Geldpolitik der Eurozone festzulegen, Devisengesch\u00e4fte durchzu- f\u00fchren, die W\u00e4hrungsreserven der Mitgliedstaaten zu verwalten und das reibungslose Funktionieren des Zahlungsverkehrs zu f\u00f6rdern. Zusammen mit den Zentralbanken der EU-Mitgliedstaten bildet die EZB das Europ\u00e4ische System der Zentralbanken (ESZB). Dessen innerer Kreis, das sogenannte Eurosystem, besteht aus der EZB und den Zentralbanken derjenigen EU-L\u00e4nder, die den Euro eingef\u00fchrt haben. Eurosystem und EZB werden von den Beschlussorganen der Europ\u00e4ischen Zentralbank, das hei\u00dft vom EZB-Rat und vom Direktorium geleitet. Die Geldpolitik im Euro-W\u00e4hrungsgebiete bestimmt der EZB-Rat: Er definiert einen Ma\u00dfstab f\u00fcr Preisstabilit\u00e4t, analysiert die m\u00f6glichen Stabilit\u00e4tsrisiken, beschlie\u00dft \u00fcber die H\u00f6he der Leitzinsen und steuert die Versorgung mit Zentralbankgeld. Die Umsetzung der im Eurosystem gefassten Beschl\u00fcsse er- folgt durch die nationalen Zentralbanken der Eurozone. Der EZB-Rat setzt sich aus dem gesch\u00e4ftsf\u00fchren- den Direktorium der Europ\u00e4ischen Zentralbank und den Zentralbankpr\u00e4sidenten der (ab 2023) zwanzig Euro-L\u00e4nder zusammen. Die Zentralbankpr\u00e4sidenten verf\u00fcgen \u00fcber insgesamt 15 Stimmrechte, die sie in monatlich wechselnder Zusammensetzung aus\u00fcben. Im Erweiterten Rat sind die Pr\u00e4sidenten aller Zentral- banken der EU vertreten. Er ist somit Bindeglied zwischen den EU-L\u00e4ndern innerhalb und au\u00dferhalb der Eurozone und hat vorwiegend beratende Aufgaben. Damit die EZB ihrem Auftrag ohne R\u00fccksicht auf politische Einflussnahme von au\u00dfen nachgehen kann, wurde sie mit einer mehrfach gesicherten Unabh\u00e4ngigkeit ausgestattet: Sie ist unabh\u00e4ngig in ihren geld- politischen Entscheidungen, darf keine Weisungen von EU-Organen oder nationalen Regierungen anneh- men und ist durch die langen Amtszeiten ihrer f\u00fchrenden Kr\u00e4fte auch personell weitgehend unabh\u00e4ngig. Der Pr\u00e4sident und die \u00fcbrigen Mitglieder des Direktoriums werden f\u00fcr acht Jahre ernannt, die Pr\u00e4sidenten der nationalen Zentralbanken sind f\u00fcr mindestens f\u00fcnf Jahre zu berufen.","715 578 12\/22 Die europ\u00e4ischen Leitzinsen Die Preisstabilit\u00e4t im Euro-W\u00e4hrungsraum zu wahren ist die vorrangige Aufgabe der Europ\u00e4ischen Zentral- bank (EZB) und der mit ihr im Eurosystem verbundenen nationalen Zentralbanken. Normalerweise versucht die EZB, die Geldversorgung der Wirtschaft mit Hilfe ihrer geldpolitischen Instrumente so zu steuern, dass inflation\u00e4ren Tendenzen schon fr\u00fchzeitig begegnet wird. Dahinter steht die Erfahrung, dass eine Politik des knappen Geldes am ehesten geeignet ist, die Stabilit\u00e4t einer W\u00e4hrung zu erhalten oder mittelfristig wieder herzustellen. Mit der Finanz- und Schuldenkrise ab 2008 r\u00fcckte f\u00fcr die EZB jedoch die Sorge vor einem Zusammenbruch der Kreditm\u00e4rkte, einem scharfen Abschwung der Wirtschaft und einem Abgleiten in die Deflation in den Vordergrund. Ein wichtiger Teil der Geldpolitik wird im Zusammenspiel mit den Banken umgesetzt, die sich zur Deckung ihres Liquidit\u00e4tsbedarfs bei der Zentralbank \u201erefinanzieren\u201c. Im Mittelpunkt stehen dabei die sogenannten Hauptrefinanzierungsgesch\u00e4fte. Sie geben den Banken einmal w\u00f6chentlich Gelegenheit, sich \u2013 gegen \u00dcbertragung oder Hinterlegung ausreichender Sicherheiten \u2013 Zentralbankgeld zu beschaffen. Die Zentral- bank steuert diese meist auf eine Woche befristeten Transaktionen gem\u00e4\u00df den geldpolitischen Erfordernis- sen. Sie legt den Betrag fest, den sie dem Markt zur Verf\u00fcgung stellen will und bestimmt den Zinssatz, den die Banken daf\u00fcr zu bezahlen haben und der als Leitzins auf den gesamten Finanzmarkt ausstrahlt. Daneben bietet sie in monatlichem Rhythmus ein Refinanzierungsgesch\u00e4ft mit dreimonatiger Befristung an, das vor allem der l\u00e4ngerfristigen Geldversorgung kleiner Banken dient. Die Banken haben dar\u00fcber hinaus die st\u00e4ndige M\u00f6glichkeit, kurzfristige Liquidit\u00e4tsl\u00fccken mit Hilfe der f\u00fcr einen Tag gew\u00e4hrten und h\u00f6her verzinslichen Spitzenrefinanzierungsfazilit\u00e4t zu \u00fcberbr\u00fccken. Und andererseits k\u00f6nnen sie Liqui- dit\u00e4ts\u00fcbersch\u00fcsse \u00fcber Nacht bei der Zentralbank \u201eparken\u201c (Einlagefazilit\u00e4t). Um der Gefahr einer deflation\u00e4ren Entwicklung zu begegnen, entschloss sich die EZB 2008\/09, die Leitzin- sen dramatisch zu senken. Zum Zweck der \u201equantitativen Lockerung\u201c (quantitative easing) kaufte sie von M\u00e4rz 2015 bis Ende 2018 in gro\u00dfem Umfang Staats- und Unternehmensanleihen auf und pumpte so zus\u00e4tzliches Geld in die M\u00e4rkte. Angesichts anhaltender wirtschaftlicher Unsicherheit setzte sie die Anleihe- k\u00e4ufe ab November 2019 fort und hielt so lange auch an ihrer Nullzinspolitik fest (der zentrale Leitzins lag ab M\u00e4rz 2016 bei 0 %). Erst im Juni 2022 reagierte sie auf die kr\u00e4ftig anziehende Inflation mit einem Stopp der Anleihek\u00e4ufe. Ab Juli 2022 hob sie in mehreren Schritten die Leitzinsen an.","769 490 3\/21 Der Europ\u00e4ische Wirtschaftsraum \u2013 EWR Der Europ\u00e4ische Wirtschaftsraum verbindet die Staaten der Europ\u00e4ischen Union und drei L\u00e4nder der Euro- p\u00e4ischen Freihandelsassoziation (EFTA) zu einem Markt mit mehr als 450 Millionen Menschen. Urspr\u00fcnglich (1960) war die EFTA als Gegenmodell zur Europ\u00e4ischen Wirtschaftsgemeinschaft entstanden: W\u00e4hrend die EWG-Staaten eine weitgehende wirtschaftliche und politische Integration anstrebten und daf\u00fcr einen Teil ihrer nationalen Souver\u00e4nit\u00e4t an die Gemeinschaft abgaben, beschr\u00e4nkte sich die Zusammenarbeit der EFTA-Staaten im Wesentlichen auf den Abbau der Zollschranken und Handelshemmnisse im gegenseiti- gen Warenverkehr. Durch Freihandelsabkommen, die 1973 den \u00dcbertritt der EFTA-L\u00e4nder Gro\u00dfbritannien und D\u00e4nemark in die Europ\u00e4ische Gemeinschaft begleiteten, wurden erstmals engere Beziehungen zwi- schen den beiden Wirtschaftszonen gekn\u00fcpft. Binnen weniger Jahre entstand daraus ein ganz Westeuropa \u00fcbergreifendes Freihandelssystem f\u00fcr gewerbliche G\u00fcter, das f\u00fcr die EFTA-L\u00e4nder mit ihren relativ kleinen heimischen M\u00e4rkten geradezu lebensnotwendig war. Der \u00dcbergang der Europ\u00e4ischen Gemeinschaft zu einem Binnenmarkt mit freiem Waren-, Personen-, Kapi- tal- und Dienstleistungsverkehr brachte die EFTA-L\u00e4nder erneut in Zugzwang. Nachdem sich 1984 schon eine erweiterte Zusammenarbeit zwischen EG und EFTA angebahnt hatte, verst\u00e4ndigten sich die beiden Wirtschaftsbl\u00f6cke im Abkommen von Porto (1992) auf die Schaffung eines gemeinsamen Europ\u00e4ischen Wirtschaftsraums. Im Kern handelte es sich dabei um die \u00dcbernahme des Binnenmarkt-Rechts der EG durch die EFTA-Staaten und die Festlegung gemeinsamer Wettbewerbsregeln, erg\u00e4nzt um die Zusam- menarbeit in der Forschung, der Bildungs- und Sozialpolitik, der Statistik, der Umweltpolitik, im Fremden- verkehr, beim Verbraucherschutz und in weiteren Bereichen. Die EFTA-Staaten leisten dar\u00fcber hinaus finanzielle Beitr\u00e4ge zugunsten der \u00e4rmeren Regionen im EWR. Aus dem EWR-Abkommen bleibt die Landwirtschafts- und Fischereipolitik jedoch ausgeklammert. Auch sind die EFTA-Staaten nicht in die euro- p\u00e4ische Zollunion integriert und wahren ihre handels-, steuer- und w\u00e4hrungspolitische Eigenst\u00e4ndigkeit. Das EWR-Abkommen trat Anfang 1994 in damals 12 EU- und 5 EFTA-L\u00e4ndern in Kraft; Anfang 1995 kam Liechtenstein hinzu. Die Schweiz blieb dem Abkommen fern, nachdem sich ihre B\u00fcrger 1992 gegen einen Beitritt ausgesprochen hatten; sie regelte ihre Beziehungen zur EU seitdem in bilateralen Vereinbarungen. Durch die EU-Osterweiterung 2004\/07 und den EU-Beitritt Kroatiens vergr\u00f6\u00dferte sich der EWR auf 31 Mit- gliedstaaten. Doch 2020 verlie\u00df Gro\u00dfbritannien mit dem Brexit sowohl die EU und als auch den EWR.","715 532 8\/22 Die Euro-Zone Im Rahmen der EU besteht seit dem 1.1.1999 eine W\u00e4hrungsunion, in der die nationalen W\u00e4hrungen durch den Euro als gemeinsame W\u00e4hrung abgel\u00f6st wurden. Die Euro-W\u00e4hrungszone umfasste anf\u00e4nglich elf der damals 15 EU-Mitgliedstaaten: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, \u00d6sterreich, Portugal und Spanien. W\u00e4hrend Gro\u00dfbritannien und D\u00e4nemark den Beitritt zur W\u00e4hrungsunion ablehnten, verfehlten Griechenland und Schweden wesentliche Teilnahmekriterien. Griechenland wurde dann 2001 in die Euro-W\u00e4hrungszone aufgenommen, ohne die Bedingungen daf\u00fcr tats\u00e4chlich erf\u00fcllt zu haben, wie man heute wei\u00df. Schweden legte den Beitritt auf Eis, nachdem die B\u00fcrger sich 2003 in einer Volksabstimmung dagegen ausgesprochen hatten. D\u00e4nemark handelte eine Sonderre- gelung aus, nach der das Land zwar nicht den Euro \u00fcbernimmt, aber als Teilnehmer am Europ\u00e4ischen Wechselkursmechanismus II den Kurs seiner W\u00e4hrung in einer engen Bandbreite an den Euro anbindet. Alle L\u00e4nder, die seitdem neu in die EU eintraten, verpflichteten sich, ihre Aufnahme in die Euro-Zone anzustreben. Als erstes Land der Beitrittsrunde 2004\/07 schaffte Slowenien Anfang 2007 den \u00dcbergang zum Euro. Zypern und Malta folgten zum 1.1.2008, die Slowakei zum 1.1.2009, Estland zum 1.1.2011, Lettland zum 1.1.2014, Litauen zum 1.1.2015. Ab 1.1.2023 hat auch Kroatien den Euro als W\u00e4hrung. Die Euro-Zone umfasst damit 20 EU-Mitgliedstaaten (von insgesamt 27). Als weiterer Anw\u00e4rter f\u00fcr den Euro- Club ist vorerst nur Bulgarien in Sicht, das in Vorbereitung auf seine sp\u00e4tere Mitgliedschaft seit 2020 dem Wechselkursmechanismus II angeh\u00f6rt. Die \u00fcbrigen EU-Mitglieder in Mittel- und Osteuropa \u2013 Polen, Tsche- chien, Ungarn und Rum\u00e4nien \u2013 machen bisher keine Anstrengungen, ihre Beitrittspflicht zu erf\u00fcllen. Durch die W\u00e4hrungsunion wurden innerhalb der EU die Voraussetzungen f\u00fcr einen echten Binnenmarkt und die damit verbundenen Vorteile geschaffen: \u25cf Zwischen den teilnehmenden Staaten gibt es keine Wechselkursrisiken mehr; das erleichtert den Handel \u00fcber die Grenzen hinweg. \u25cf Die Geld- und Kapital- m\u00e4rkte werden durchl\u00e4ssiger. \u25cf Grenz\u00fcberschreitende Bankgesch\u00e4fte k\u00f6nnen schneller und kosten- g\u00fcnstiger abgewickelt werden. \u25cf Es gibt mehr Preistransparenz und Wettbewerb, da sich die Angebote verschiedener L\u00e4nder anhand der Euro-Preise unmittelbar miteinander vergleichen lassen. Als unabh\u00e4ngige Instanz wacht die Europ\u00e4ische Zentralbank \u00fcber die Stabilit\u00e4t der europ\u00e4ischen W\u00e4h- rung. Gefahren f\u00fcr den Zusammenhalt der W\u00e4hrungsunion gehen \u2013 wie schon in der Eurokrise ab 2009 \u2013 vor allem von der hohen Verschuldung einiger Euro-L\u00e4nder aus .","201 200 11\/03 Europ\u00e4ische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) Das Unternehmensrecht in der EU ist weitgehend national geregelt. Mit der Europ\u00e4ischen Wirtschaft- lichen Interessenvereinigung (EWIV) wurde 1989 jedoch eine erste Rechtsform auf europ\u00e4ischer Grundlage geschaffen. Ihr Zweck besteht darin, die grenz\u00fcberschreitende Zusammenarbeit im europ\u00e4i- schen Binnenmarkt zu erleichtern. Die EWIV tritt nicht an die Stelle einzelstaatlicher Gesellschaftsformen, sie dient vielmehr als Plattform f\u00fcr die Durchf\u00fchrung gemeinsamer Projekte oder eine l\u00e4ngerfristig angelegte wirtschaftliche Kooperation bereits bestehender Unternehmen. In dieser Funktion hilft sie ihren Mitgliedern bei der Umsetzung ihrer wirtschaftlichen Ziele, verfolgt aber keine davon losgel\u00f6sten eigenen Zwecke. Ende 2003 gab es in der EU rund 1 450 EWIV mit 12 000-14 000 Mitgliedsunternehmen. Gr\u00fcndung: Eine EWIV wird von mindestens zwei Mitgliedern \u2013 seien es Unternehmen, Verb\u00e4nde, Selbstst\u00e4ndige, Freiberufler oder \u00f6ffentlich-rechtliche K\u00f6rperschaften \u2013 aus verschiedenen Staaten des Europ\u00e4ischen Wirtschaftsraums gebildet. Der Gr\u00fcndungsvertrag muss den Namen, den Sitz und den Unternehmensgegenstand der EWIV, Angaben \u00fcber die Mitglieder und die vorgesehene Dauer der EWIV enthalten. Die Gr\u00fcndung wird am Sitz der EWIV in das dort gef\u00fchrte Register (in Deutschland also ins Handelsregister) eingetragen und im EU-Amtsblatt bekannt gemacht. Die EWIV kann mit oder ohne eigenes Kapital gegr\u00fcndet werden. Sie darf sich an keiner anderen EWIV beteiligen und in der Regel keine Anteile an Mitgliedsunternehmen halten oder Leitungs- und Kontrollbefugnisse \u00fcber Mitglieds- unternehmen oder andere Unternehmen aus\u00fcben. Sie darf h\u00f6chstens 500 Arbeitnehmer besch\u00e4ftigen. Organe: Jede EWIV verf\u00fcgt \u00fcber mindestens zwei Organe: die gemeinschaftlich handelnden Mitglieder und einen oder mehrere Gesch\u00e4ftsf\u00fchrer. Der Gr\u00fcndungsvertrag kann weitere Organe vorsehen. Jedes Mitglied hat eine Stimme. Der Vertrag kann die Stimmengewichtung auch anders regeln, doch darf kein Mitglied allein \u00fcber die Stimmenmehrheit verf\u00fcgen. Haftung: F\u00fcr Verbindlichkeiten der EWIV haften die Mitglieder unbeschr\u00e4nkt und gesamtschuldnerisch. Gewinn\/Verlust: Die Gewinne oder Verluste der EWIV gelten als Gewinne oder Verluste ihrer Mitglieder und werden nach den Bestimmungen des Gr\u00fcndungsvertrags auf diese aufgeteilt. Besteuerung: Die EWIV unterliegt nicht der Unternehmensbesteuerung; sie ist in Deutschland somit weder gewerbe- noch k\u00f6rperschaftsteuerpflichtig. Weiteres zum Thema im Internet: www.libertas-institut.com Gr\u00fcndung EWIV durch Gr\u00fcndungs- Mitglieder einer mindes- vertrag EWIV k\u00f6nnen sein: Europ\u00e4ische tens Wirtschaftliche Unternehmen, Interessen- zwei Verb\u00e4nde, vereinigung Selbstst\u00e4ndige, Partner Freiberufler, Eintragung \u00f6ffentliche ins Handelsregister aus K\u00f6rperschaften am Sitz der EWIV verschiedenen Staaten des Europ\u00e4ischen Wirtschaftsraums franz.: G.e.i.e. Zweck Gewinn\/Verlust engl.: EEIG Die EWIV soll Die EWIV die grenz\u00fcber- selbst Diese werden schreitende macht keine auf die Zusammen- Gewinne Mitglieder arbeit ihrer bzw. Verluste laut Vertrag Mitglieder verteilt erleichtern oder ent- wickeln Haftung Die Mitglieder Besteuerung Gewinne haften werden von ZAHLENBILDER unbeschr\u00e4nkt keine den Mit- 201 200 und gesamtschuld- K\u00f6rper- gliedern nerisch f\u00fcr die schaft- nach deren Verbindlichkeiten steuer- nationalen der EWIV pflicht Bestimmungen versteuert \u00a9 Bergmoser + H\u00f6ller Verlag AG","390 540 4\/21 Die wichtigsten Exportg\u00fcter der deutschen Wirtschaft St\u00e4rker als die meisten anderen gro\u00dfen Industriel\u00e4nder ist die Bundesrepublik Deutschland in den Welt- handel integriert. Als rohstoffarmes Land ist sie auf die Einfuhr von Rohmaterialien und Vorprodukten an- gewiesen; im Gegenzug beliefert sie die Weltm\u00e4rkte mit \u00fcberwiegend industriellen Erzeugnissen. Umfang und Struktur des deutschen Au\u00dfenhandels werden somit ma\u00dfgeblich von der gewerblich-industriellen Wirtschaft und ihrer Leistungsf\u00e4higkeit bestimmt. 2020 entfielen allein 42 % der Ausfuhr auf Investitions- g\u00fcter (wie Fahrzeuge, Maschinen und Anlagen), 31 % auf Vorleistungsg\u00fcter (wie Stahl und chemische Grundstoffe) und weitere 17 % auf industrielle Konsumg\u00fcter. Auf der Einfuhrseite spielen Agrarg\u00fcter, gewerbliche Rohstoffe und Energietr\u00e4ger naturgem\u00e4\u00df eine wichtigere Rolle, aber auch dort schl\u00e4gt sich die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung in einem steigenden Anteil industrieller Fertigprodukte nieder. Im Export beruht die St\u00e4rke der deutschen Wirtschaft vor allem auf der Breite ihres Warensortiments, dem technologi- schen Entwicklungsstand ihrer Produkte und dem Service, den sie ihren Abnehmern im Ausland bieten kann (wie Planung, Beratung, Finanzierung, Montage, Reparaturen). In der Rangfolge der wichtigsten Exportg\u00fcter stehen vier Produktgruppen im Vordergrund. Die typische Verteilung zeigte sich auch im Corona-Jahr 2020, bei insgesamt etwas verringertem Handelsvolumen. So standen \u25cf Kraftwagen und Kraftwagenteile mit einem Ausfuhrwert von 187,1 Mrd \u20ac wie \u00fcblich an erster Stelle \u2013 ein Ergebnis der erfolgreichen Modellpolitik der deutschen Autohersteller und ihrer technischen Spitzenstellung im internationalen Wettbewerb. An zweiter Stelle folgten \u25cf Maschinen und Anlagen mit einem Exportwert von 174,5 Mrd \u20ac. Diese sind besonders in den aufsteigenden Schwellenl\u00e4ndern ge- fragt, denen sie helfen, ihre wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Auf dem dritten Rang lagen die \u25cf Chemischen Erzeugnisse mit 111,3 Mrd \u20ac. Die Exporterzeugnisse der \u25cf Elektroindustrie verteilen sich in der Statistik auf zwei G\u00fctergruppen: Die eine umfasst u.a. Datenverarbeitungsger\u00e4te, Telekommuni- kationstechnik, Unterhaltungselektronik und Messtechnik (109,5 Mrd \u20ac), die andere elektrische Ausr\u00fcstun- gen \u2013 von Motoren und Generatoren \u00fcber Schaltungen und Kabel bis zu Haushaltsger\u00e4ten (85,2 Mrd \u20ac). Zusammen lieferten die vier Schl\u00fcsselbranchen der deutschen Industrie dem Wert nach \u00fcber die H\u00e4lfte (55 %) aller Exportg\u00fcter aus. Bedeutende Absatzerfolge auf dem Weltmarkt erzielten die deutschen Expor- teure auch mit pharmazeutischen Produkten, mit Nahrungsmitteln, Metallen, Erzeugnissen der Flugzeug- und der Werftindustrie sowie mit Gummi- und Kunststoffwaren.","384 951 1\/21 Fairer Handel Der Begriff \u201eFairer Handel\u201c (Fair Trade) bezeichnet eine internationale Bewegung, die mehr Gerechtigkeit im Welthandel anstrebt. Ihr Hauptaugenmerk gilt den Handels- und Arbeitsbedingungen von benachteiligten Kleinproduzenten sowie von Plantagen- und Fabrikarbeitern in der Dritten Welt. Seit den 1970er Jahren entstanden weltweit Fair-Trade-Organisationen, die Handelspartnerschaften mit Produzenten eingehen und deren Erzeugnisse zu fairen Bedingungen in die Industriestaaten importieren. Sie konzentrieren sich dabei auf den Import von Agrarprodukten und Handwerkserzeugnissen. 2001 legten die damaligen vier internationalen Dachorganisationen des Fairen Handels in einem Grundlagenpapier gemeinsame Ziele und Prinzipien fest, darunter \u25cf die Verbesserung von Handelsbedingungen durch faire Preise und Finanz- hilfen f\u00fcr die Erzeuger, \u25cf die Sicherung der Rechte von Produzenten und Arbeitnehmern durch angemes- sene L\u00f6hne und menschenw\u00fcrdige Arbeitsbedingungen sowie \u25cf die St\u00e4rkung der Eigenverantwortlichkeit von Produzenten, unter anderem durch \u25cf die F\u00f6rderung von Aus- und Weiterbildungsma\u00dfnahmen, gerade auch hinsichtlich \u00f6kologisch nachhaltiger Produktionsmethoden. Im Mittelpunkt des Fair-Trade-Systems steht die Handelspartnerschaft einer Fair-Trade-Organisation (wie GEPA, GLOBO, El Puente, WeltPartner) mit den Produzenten (Kleinbauern, Handwerks- und Planta- genbetrieben). Die Erzeuger verpflichten sich auf Produktionsbedingungen, die mit den Prinzipien des Fairen Handels im Einklang stehen, und erhalten von der Fair-Trade-Organisation daf\u00fcr garantierte Mindest- preise, die sie von den Preisschwankungen am Weltmarkt unabh\u00e4ngiger machen. Zus\u00e4tzlich zahlen die Fair-Trade-Organisationen ihren Produzenten eine Fair-Trade-Pr\u00e4mie, die sie in soziale und \u00f6konomische Entwicklungsprojekte investieren sollen. Zur Kennzeichnung fair gehandelter Produkte wurden in den 1990er Jahren Fair-Trade-Siegel eingef\u00fchrt. Diese werden von Siegelorganisationen vergeben, die nicht selbst mit Waren handeln. Am weitesten verbreitet ist das Siegel von Fairtrade International, einem Dach- verband nationaler Siegelorganisationen, zu denen auch der deutsche TransFair e.V. geh\u00f6rt. In Deutschland entwickelten sich die Ums\u00e4tze mit Produkten unter dem Fair-Trade-Siegel in den letzten zehn Jahren steil nach oben: Schwankten sie in den 1990er Jahren noch um die 50 Mio \u20ac, so stiegen sie bis 2019 auf 2 040 Mio \u20ac \u2013 nicht zuletzt, weil fair gehandelte Produkte nun auch in das Sortiment von Dis- countern aufgenommen wurden. Die mit Abstand umsatzst\u00e4rksten Fair-Trade-Produkte in Deutschland sind Kaffee und Kakao. Es folgen Bananen, Textilien und Blumen.","42 502 8\/17 Familienformen Vor dem Hintergrund wohlfahrtsstaatlicher Daseinssicherung haben die Menschen heute mehr Freiheit, ihren Lebensentw\u00fcrfen zu folgen und ihren eigenen Lebensstil zu entwickeln, als in fr\u00fcheren Zeiten. Die Zw\u00e4nge gesellschaftlicher Traditionen verlieren damit gerade im privaten Umfeld an Bedeutung. Individu- alisierung und Pluralisierung der Lebensformen werden ihrerseits zum Kennzeichen der modernen Gesellschaft. Beispiele daf\u00fcr lassen sich an vielen Erscheinungen des sozialen Alltags beobachten. So haben sich die Partnerschaftsbeziehungen zunehmend vom klassischen Bild der Ein-Verdiener-Ehe emanzipiert. Das Zusammenleben h\u00e4ngt l\u00e4ngst nicht mehr vom Trauschein ab. W\u00e4hrend junge Paare h\u00e4ufig unverheiratet bleiben, klettern die Scheidungsziffern. Die wirtschaftliche Funktion der Partnerschaft ver\u00e4ndert sich, da immer mehr Frauen selbst berufst\u00e4tig sind. Es stellt sich die Frage, wie stark solche Ver\u00e4nderungen auf die Familienstrukturen durchschlagen, mit anderen Worten: ob und in welchem Ausma\u00df das Zusammenleben von Eltern und (minderj\u00e4hrigen) Kin- dern von der Ausdifferenzierung der Lebensformen betroffen ist. Das Deutsche Jugend-Institut kam in einer Auswertung seines \u201eFamiliensurveys\u201c zu dem Schluss, dass die erreichte Vielfalt der Lebensformen weder beliebig noch grenzenlos ist, dass sich vielmehr neue, durchaus zweckrationale familiale Ordnungsmuster herausgebildet haben \u2013 allerdings mit gro\u00dfen regionalen Unterschieden. Dazu aktuelle Zahlen aus dem Mikrozensus: Die Zahl der Familien mit minderj\u00e4hrigen Kindern geht in Deutschland langfristig zur\u00fcck; 1996-2016 schrumpfte sie von 9,4 Mio auf 8,2 Mio. Innerhalb der Familien ist das Zusammenleben von Vater, Mutter und Kind aber nach wie vor der Normalfall. 2016 waren 80 % der Familien Paar-Familien. Der Anteil der Ehepaare an den Familien hat sich seit 1996 allerdings stark verringert (von 81 auf 69 %), w\u00e4hrend die (nichtehelichen) Lebensgemeinschaften von 5 auf 11 % und die Ein-Eltern-Familien, meist alleinerziehende M\u00fctter mit Kind, von 14 auf 20 % zugenommen haben. Auff\u00e4llig sind die West-Ost-Unterschiede: In Westdeutschland stellten Ehepaare mit Kind 2016 im Durchschnitt 74 % der Familien, in Ostdeutschland jedoch nur 52 %. Lebensgemeinschaften waren im Westen mit 8 %, im Osten mit 22 % vertreten. Bei den Ein-Eltern-Familien ergaben sich Anteile von 18 % im Westen und 26 % im Osten. \u00dcber sogenannte Patchwork-Familien gibt der Mikrozensus leider keine Auskunft. Bundesweit wachsen etwa 10 % der Kinder in einer Stieffamilie mit einem leiblichen und einem \u201efremden\u201c Elternteil auf.","141 212 11\/21 Familienpolitische Leistungen Familien mit Kindern haben es in der heutigen Gesellschaft nicht leicht. Der Familienpolitik f\u00e4llt deshalb die Aufgabe zu, ihnen unter die Arme zu greifen und die Belastungen, mit denen sie zu k\u00e4mpfen haben, nach M\u00f6glichkeit zu verringern. Finanzielle Ma\u00dfnahmen spielen dabei eine wichtige Rolle, sei es als Ver- zicht auf Steuereinnahmen oder in Form direkter Zuwendungen. Nach Sch\u00e4tzungen des Bundesfinanzministeriums schlugen diese Ma\u00dfnahmen f\u00fcr den Fiskus 2020 mit 86,1 Mrd \u20ac zu Buche. Allein die steuerlichen Ma\u00dfnahmen addierten sich dabei zu einem Betrag von 55,4 Mrd \u20ac. Der gr\u00f6\u00dfte Teil dieser familienpolitisch motivierten Steuerausf\u00e4lle ist auf das Kindergeld und die Gew\u00e4hrung von Kinderfreibetr\u00e4gen zur\u00fcckzuf\u00fchren. Mit dem Kindergeld gibt der Staat den Eltern einen Teil der von ihnen abgef\u00fchrten Steuern zur\u00fcck. Er handelt damit nach dem verfassungsrechtlichen Ge- bot, den B\u00fcrgern \u2013 hier speziell den Familien \u2013 das Existenzminimum steuerfrei zu belassen. Insofern ist das Kindergeld nicht als familienpolitisch bedingtes Steuergeschenk zu betrachten, sondern als R\u00fcckzahlung von Geld, das dem Staat gar nicht erst zusteht. Weitere steuerliche Verg\u00fcnstigungen sollen die Nachteile abmildern, die eine Familie mit Kindern im Vergleich zur \u00fcbrigen Gesellschaft in Kauf nimmt. Die Entlastung erfolgt in der Regel dadurch, dass in einer bestimmten Lebenssituation Freibetr\u00e4ge steuermindernd gel- tend gemacht werden k\u00f6nnen. Bei den familienpolitisch bedingten staatlichen Ausgaben \u2013 2020 im Umfang von 30,7 Mrd \u20ac \u2013 liegt ein Schwerpunkt auf dem Elterngeld, das es den Eltern erm\u00f6glichen soll, ihr Kind in der ersten Zeit selbst zu betreuen und daf\u00fcr auf eine Berufst\u00e4tigkeit ganz oder teilweise zu verzichten. Mit dem Unterhaltsvorschuss unterst\u00fctzt der Staat in der Regel (ledige) M\u00fctter, wenn der Vater keinen Unterhalt leistet. Die Ausbildungs- f\u00f6rderung soll dazu beitragen, dass junge Leute ihren Bildungsweg unabh\u00e4ngig vom Einkommen der El- tern verfolgen k\u00f6nnen. Mit der Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung will der Staat den M\u00fcttern (oder auch V\u00e4tern) helfen, die sich in jungen Jahren der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder widmen und deshalb keine ausreichende Altersversorgung aufbauen k\u00f6nnen. Allein daf\u00fcr zahlte der Bund 2020 rund 16,2 Mrd \u20ac als Beitr\u00e4ge in die Rentenkassen ein. In einem mehrj\u00e4hrigen Forschungsprogramm wurden zentrale Leistungen auf ihre familienpolitische Wirk- samkeit \u00fcberpr\u00fcft. Die besten Wirkungen erzielten danach Ma\u00dfnahmen, die der Vereinbarkeit von Familie und Beruf dienen, insbesondere die aus \u00f6ffentlichen Mitteln gef\u00f6rderte Kinderbetreuung und das Elterngeld."]


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