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Sammelmappe Infografiken August 2023-1

Published by t_gorontzy, 2023-08-07 20:06:45

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678 150 1/22 Die „Tragödie der Gemeingüter“ Fast die gesamte Landfläche der Erde ist unter Staaten und deren Hoheitsrechten aufgeteilt. Darüber hinaus gibt es aber Räume und Güter, die keiner einzelstaatlichen Souveränität unterstehen und allen mehr oder weniger frei zugänglich sind. Sie werden als globale Gemeingüter bezeichnet. Darunter fallen der Weltraum, der Luftraum, die hohe See und der Cyberraum, einschließlich der in diesen Räumen be- findlichen Güter wie Bodenschätze, natürliche Ressourcen oder auch Daten. Solche Güter bergen aber ein Nutzungsproblem, das als „Tragödie der Gemeingüter“ bekannt ist. Die Bezeichnung geht zurück auf einen Essay des US-amerikanischen Biologen Garret Hardin aus dem Jahr 1968. Hardin beschrieb darin das Problem der Gemeingüter am Beispiel der „Allmende“. Die Allmende war im Mittelalter die gemeinschaftlich genutzte Dorfwiese, auf der jeder Dorfbewohner sein Vieh weiden lassen konnte. Das führte häufig zu einer Übernutzung. Für jeden einzelnen Hirten war es rational, so viele Rinder wie möglich auf der Allmende grasen zu lassen, denn das steigerte seinen Ertrag. Irgendwann aber war der Boden so ausgelaugt, dass überhaupt kein Rind mehr dort grasen konnte. Individuell rationa- les Verhalten führte also zu kollektivem Schaden, der sich letztlich auch wieder individuell auswirkte. Dieses Prinzip lässt sich auf andere Bereiche übertragen – zum Beispiel, wie im ZAHLENBILD, auf die ak- tuell stattfindende Überfischung der Weltmeere. Dabei kommt noch die Komponente der Rivalität ins Spiel. Wenn alle um die Fischbestände rivalisieren, ist es für die einzelnen Fischer (oder Fischereinationen) sinnvoll, so viele Fische wie möglich zu fangen, bevor andere sie ihnen wegschnappen. Das führt zu ei- nem Schneeballeffekt. Die Bestände werden knapper, der Konkurrenzkampf härter, und die Fischressourcen werden immer schneller aufgebraucht – so lange, bis sie sich nicht mehr regenerieren können und völlig verschwinden. Ein anderes Beispiel sind die Treibhausgasemissionen: Sie mögen von einzelnen Ländern als Nebeneffekt des Wirtschaftswachstums hingenommen werden, die Folgen einer beschleunigten globa- len Erwärmung treffen aber die gesamte Weltgemeinschaft. Auch das Klima ist ein globales Gemeingut. Das Dilemma lässt sich letztlich nur durch Regulierung lösen. Der bloße Appell an die Vernunft der betei- ligten Akteure reicht nicht aus, denn der Teufelskreis der Übernutzung liegt ja gerade in der rationalen ego- istischen Logik begründet. Bereits Hardin schrieb, dass völlige Freiheit bei der Nutzung von Gemeingütern am Ende alle ruiniere. Auf der globalen Ebene, wo keine überstaatliche Instanz existiert, die Regelverstöße wirksam sanktionieren kann, stellt Regulierung allerdings eine besondere Herausforderung dar.

755 025 4/22 Abhängigkeit von Energieimporten in der EU In der Energiepolitik geht zwischen den EU-Ländern noch wenig zusammen. Jeder Mitgliedstaat setzt auf sein eigenes Versorgungsmodell, auch die Vernetzung der Gas- und Stromversorgung ist zum Teil noch unzulänglich. Dabei sind alle EU-Länder von Energieimporten abhängig und damit anfällig für Blockaden, die ihre Versorgungssicherheit gefährden. Seit Anfang der 1990er Jahre importiert die EU-27 mehr Energie als sie selbst produziert. 2020 lag die Energieimportabhängigkeit im Durchschnitt aller EU-Staaten bei 57 % des Bruttoverbrauchs. In den 1980er Jahren hatte diese Quote noch weniger als 40 % betragen. Am höchsten ist die Importabhängigkeit bei Rohöl und Mineralölerzeugnissen (97 %) sowie bei Gas (84 %). Unter den Mitgliedstaaten variieren die Abhängigkeitsquoten aber zum Teil erheblich. So sind Zypern oder Malta fast vollständig auf Importe angewiesen, um ihren Energiebedarf zu decken. Deutschland liegt mit 64 % deutlich darunter, aber oberhalb des Durchschnitts. Dagegen haben Schweden, Rumänien und Estland die niedrigsten Abhängigkeitsquoten. Das hängt einerseits mit dem heimischen Energiebedarf zu- sammen, der in einem weniger entwickelten und bevölkerungsärmeren Land entsprechend geringer aus- fällt als in den bevölkerungsreichen Industriestaaten Westeuropas. Anderseits spielt auch die eigene Res- sourcenausstattung eine Rolle. So war etwa Dänemark dank seiner Öl- und Gaslagerstätten in der Nordsee (und zunehmend auch seiner Windkraftanlagen) lange sogar Nettoexporteur von Energie. Das änderte sich jedoch ab 2013, und inzwischen liegt Dänemarks Energieimportquote bei 45 %. Die Energieimportabhängigkeit der EU wird noch dadurch verstärkt, dass sie ihre Einfuhren aus relativ we- nigen Lieferländern bezieht. Bei Erdgas und Erdöl stehen seit langem Russland und Norwegen an der Spitze, in den letzten Jahren sind die USA zu einem weiteren Hauptlieferanten aufgestiegen. Festbrenn- stoffe wie Kohle bezieht die EU vor allem aus Russland, den USA und Australien. Die Risiken der Abhängigkeit vom Energielieferanten Russland führte 2022 Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine mit ungeahnter Dringlichkeit vor Augen. Doch schon durch die Ukraine-Krise von 2014 hatten Bemühungen um eine gemeinsame Energiepolitik der EU Auftrieb erhalten. So legte die EU-Kommission 2015 eine Strategie für eine Energieunion vor, zu deren Schwerpunkten die Versorgungssicherheit zählt. Wichtige Pfeiler sind die Diversifizierung der Lieferanten, ein breiterer Energiemix, eine effizientere Ener- gieproduktion und eine verbesserte Energieinfrastruktur. Erschwert wird eine Energieunion jedoch von den immer noch sehr unterschiedlichen Energiestrategien der EU-Mitgliedstaaten.

293 670 9/22 Administrierte Preise Nach Jahren mit gemäßigten Preissteigerungsraten schossen die Verbraucherpreise in Deutschland wie in vielen anderen Ländern ab Jahresanfang 2021 in die Höhe. Die nach der Corona-Pandemie erhöhte Nachfrage, Versorgungsengpässe auf Grund gestörter Lieferketten und fehlender Produktionskapazitäten, steigende Transportkosten und die Auswirkungen des Angriffs auf die Ukraine im Frühjahr 2022 sorgten zusammen für einen ungeahnt hohen Preisdruck. Vor allem in der Energieversorgung, bei Kraftstoffen, Strom und Heizungsenergie, schnellten die Preise nach oben. Nun folgen nicht alle Preise unmittelbar dem Spiel von Angebot und Nachfrage. Dazu zählen insbesondere die administrierten Preise. Man versteht darunter Preise für Güter und Dienstleistungen, die durch die öffentliche Hand – Bund, Länder, Gemeinden oder staatliche Regulierungsbehörden – festgesetzt oder doch maßgeblich beeinflusst werden. Das betrifft zum Beispiel die Preise für Arzneimittel, die Versorgung im Krankenhaus, die Unterbringung in einem Seniorenheim, Gebühren für Müllabfuhr und Wasserversor- gung, Eintrittskarten für Museen und Theater, Kitagebühren, Fahrpreise in der Bahn und im öffentlichen Nahverkehr, das Briefporto und die Gebühren für die Dienste der öffentlichen Verwaltung. Bei der Berechnung des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI), der europaweit erhoben wird, entfallen in Deutschland 12,5 % des Gewichts auf solche administrierten Preise. Der EU-Durchschnitt liegt bei 12,6 %. Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil der administrierten Preise u.a. in den Niederlanden (23,0 %) und in Frankreich (17,6 %). Übertroffen werden diese Anteile aber noch in der Schweiz, wo mehr als ein Viertel aller Preise (28,7 %) vom Staat vorgegeben werden. Welchen Einfluss haben die administrierten Preise nun auf die gesamte Verbraucherpreisentwicklung? Betrachtet man den Indexverlauf, so lagen die Kurven für den Gesamt-HVPI und für den HVPI-AP, der nur die administrierten Preise erfasst, bis Ende 2020 dicht beieinander. Anfang 2021 erfolgte eine sprung- hafte Erhöhung des HVPI-AP, der danach aber in mäßigem Tempo weiter stieg, während der Gesamt-HV- PI steil nach oben ausbrach. Im Juni 2022 sackte der HVPI-AP plötzlich um mehr als fünf Indexpunkte ab – eine Auswirkung vermutlich des Neun-Euro-Tickets, das den öffentlichen Nah- und Regionalverkehr verbilligte. Der Anstieg der Inflationsrate wurde dadurch deutlich abgebremst. Da sich die administrierten Preise im Allgemeinen ruhiger entwickeln als die übrigen Preise, können sie die Inflation mäßigend beein- flussen, allerdings wohl nur vorübergehend und nur in begrenztem Rahmen.

201 140 2/99 Aktiengesellschaft (AG) Die Aktiengesellschaft (AG) ist nach dem Aktiengesetz eine Handelsgesellschaft mit eigener Rechts- persönlichkeit. Ihre Gesellschafter sind mit Einlagen an dem in Aktien zerlegten Grundkapital beteiligt, haften darüber hinaus aber nicht persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Die Funktion des Kapitalgebers ist von der des Unternehmers streng getrennt. Die AG ist somit eine typische Kapital- gesellschaft, deren Kapitalanteile (Aktien) an der Börse frei gehandelt werden können, ohne dass der Bestand der Gesellschaft davon berührt wird. Große Unternehmen bevorzugen die Rechtsform der AG, da sie die Möglichkeit eröffnet, viele Geldgeber in die Beschaffung des notwendigen Eigenkapitals einzubeziehen. Mit der Aktienrechtsreform von 1994 wurde die AG aber auch für mittelständische Unternehmen attraktiv gemacht. Gründung: Nach Feststellung des Gesellschaftsvertrags (der Satzung) wird die AG durch eine oder meh- rere Personen gegründet und ins Handelsregister eingetragen. Die Firma muss die Bezeichnung „Aktien- gesellschaft“ oder eine allgemein verständliche Abkürzung dieser Bezeichnung (z.B. AG) enthalten. Geschäftsführung: Der vom Aufsichtsrat bestellte und kontrollierte Vorstand leitet die Gesellschaft unter eigener Verantwortung. Einmal jährlich treten die Aktionäre zur Hauptversammlung zusammen; diese bestellt den Aufsichtsrat, entlastet Vorstand und Aufsichtsrat und entscheidet über allgemeine Fragen der Satzung und der Kapitalgrundlage. Aktiengesellschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern unterliegen der Unternehmensmitbestimmung. Kapitalorganisation: Das Grundkapital der AG beträgt mindestens 50 000 Euro, zerlegt in Aktien zum Mindestnennbetrag von 1 Euro oder in nennwertlose Stückaktien, denen ein Anteil am Grundkapital von mindestens 1 Euro entsprechen muss. Die Aktionäre haben das Recht auf einen Anteil am Reingewinn (Dividende). Verluste werden aus den Rücklagen gedeckt. Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen. Finanzierung: Selbstfinanzierung ist aus den freien Rücklagen und durch Ausgabe neuer Aktien möglich. Fremdkapital erhält die AG durch Ausgabe von Schuldverschreibungen und durch Bankkredite. Besteuerung: Als juristische Person ist die AG selbstständiges Steuersubjekt und unterliegt deshalb der Körperschaftsteuerpflicht. Unter Anrechnung der gezahlten Körperschaftsteuer sind die einzelnen Aktio- näre ihrerseits einkommensteuerpflichtig. Aktien- Gründung Eintragung ins Geschäftsführung gesell- Handelsregister schaft Elektronik AG Aufsichtsrat (AG) Satzung Vorstand Hauptversammlung Grundkapital (mindestens 50 000 Euro) Verlust Haftung Gewinn Erhöhung keine beschränkt auf der Rück- Gewinn- das Gesellschafts- lagen, vermögen Dividende aus- schüttung, bis Ver- keine persönliche lust abgedeckt ist Haftung der Anteilseigner (Aktionäre) Finanzierung Ausgabe von Schuld- Besteuerung verschreibungen AG: selbst- ständiges BANK Steuer- subjekt Auf- AKTIE Bank- mit Körper- Einkommen- lösung kredite schaft- steuerpflicht der Kapitalerhöhung steuerpflicht der Aktionäre Rück- (Ausgabe ZAHLENBILDER lagen neuer Aktien) 201 140 © Bergmoser + Höller Verlag AG

20 120 11/21 Altersaufbau der Bevölkerung: Von der „Pyramide“ zum „Pilz“ Die Veränderungen in der Altersstruktur der deutschen Bevölkerung sind an den „Lebensbäumen“ aus verschiedenen Zeitabschnitten des 20./21. Jh. abzulesen. 1910 zeigte der Altersaufbau noch eine gleich- mäßige Pyramidenform: Unten die breite Schicht der Neugeborenen, darüber von Jahr zu Jahr schwächer besetzte Altersklassen. Nur der Geburtenausfall während des deutsch-französischen Kriegs von 1870/71 war als leichter Einschnitt erkennbar. Ungleich schwerere Bevölkerungsverluste verursachte der Erste Weltkrieg. Bei den Männern wurden die Jahrgänge der Kriegsteilnehmer dezimiert; zudem blieben die Ge- burtenzahlen im Krieg weit niedriger als zu Friedenszeiten. Einen Rückgang der Geburtenhäufigkeit hatten auch die Wirtschaftskrisen der Weimarer Republik zur Folge. Millionen Menschenleben kostete dann der Zweite Weltkrieg. In die Reihen der Männer wurden große Lücken gerissen, waren in beiden Kriegen doch mehr als vierzig Jahrgänge direkt am Kampfgeschehen beteiligt. Der „totale Krieg“ verschonte aber auch die Zivilbevölkerung nicht. Während des Kriegs und in den Notjahren danach kamen auch wieder weniger Kinder zur Welt. Diese Ausfälle wurden im Baby-Boom der 1950er und 1960er Jahre nachgeholt. Mitte der 1960er Jahre setzte ein anhaltender Geburtenrückgang ein – Ausdruck eines grundlegend veränderten generativen Verhaltens. In Ostdeutschland fiel die Geburtenhäufigkeit nach der deutschen Einigung noch einmal steil ab. Heute ist der Altersaufbau der Bevölkerung kaum noch durch kriegsbedingte Einschnürun- gen, trotz starker Zuwanderung aber zunehmend durch Überalterung und Nachwuchsmangel geprägt. Anteile der Altersgruppen an der jeweiligen Gesamtbevölkerung in % unter 15 Jahre 15 bis unter 45 Jahre 45 bis unter 65 Jahre ab 65 Jahren männl. weibl. insg. männl. weibl. insg. männl. weibl. insg. männl. weibl. insg. Deutsches Reich 4,4 5,5 4,9 5,2 6,2 5,8 1910 34,5 33,3 34,0 46,3 45,3 45,7 14,8 16,0 15,3 7,2 8,3 7,8 1925 27,0 24,6 25,7 1938 24,3 22,3 23,2 48,5 50,0 49,3 19,3 19,2 19,3 9,6 9,1 9,4 1946 48,3 47,3 47,8 20,2 22,1 21,1 11,2 16,1 13,8 1970 Vier Besatzungszonen Deutschlands und Gesamt-Berlin 19,6 24,3 22,0 2020 28,0 21,4 24,4 38,3 45,0 42,0 24,1 24,5 24,2 Bundesrepublik Deutschland und DDR 25,1 21,4 23,2 44,2 37,7 40,8 19,4 24,7 22,2 Bundesrepublik Deutschland 14,4 13,2 13,8 36,6 33,7 35,2 29,4 28,7 29,1

240 110 4/22 Arbeitnehmerorganisationen in Deutschland Die deutschen Arbeitnehmerorganisationen – Gewerkschaften und berufsständischen Verbände – stehen in der Tradition der Vereinigungen, in denen sich die Arbeitenden seit Mitte des 19. Jahrhunderts zusam- menschlossen, um ihre Interessen gemeinsam zu vertreten. Als Wortführer eines großen Teils der arbei- tenden Bevölkerung machen sie ihren Einfluss auf die Gestaltung der staatlichen Arbeits- und Sozialpolitik geltend. Gleichzeitig vertreten sie die Ansprüche der Arbeitnehmer in der direkten Auseinandersetzung mit den Arbeitgeberverbänden. Sie sehen ihre Aufgabe vor allem darin, in Tarifverträgen bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen zu verankern, Arbeitsplätze zu sichern, die Mitbestimmungsrechte der Arbeitneh- mer zu wahren und den Arbeitsschutz zu verbessern. Größte gewerkschaftliche Organisation in Deutschland ist der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der in der Bundesrepublik 1949 als Dachorganisation autonomer Gewerkschaften gegründet wurde. Die Gewerkschaften des DGB sind in der Regel nach dem Industrieverbandsprinzip – ein Betrieb, eine Gewerkschaft – organisiert. Nur sie (und nicht der DGB als Dachverband) sind „tariffähig“ und damit für den Abschluss von Tarifverträgen zuständig. Ende 2021 gehörten den acht DGB-Gewerkschaften gut 5,7 Mio Mitglieder an. Als der DGB 1991, nach der deutschen Einigung, auch in Ostdeutschland Fuß gefasst hatte, waren es 11,8 Mio Mitglieder. In der Folge büßten die DGB-Gewerkschaften einen großen Teil ihrer damaligen Organisationsstärke ein. Arbeitsplatzverluste und Verschiebungen in der Beschäftigungsstruk- tur – von den Sektoren mit traditionell starker Gewerkschaftsbindung (Industrie, öffentlicher Dienst) zu den eher gewerkschaftsfernen Dienstleistungen – waren die Hauptursachen dieses Rückgangs. Daneben trug die Aufweichung der Tarifbindung zur Schwächung der Gewerkschaften bei. Auch der allgemeine Vertrau- ensverlust gesellschaftlich-politischer Großorganisationen machte ihnen zu schaffen. 2010-2015 war der Mitgliederrückgang etwas abgeflacht, 2020/21 beschleunigte er sich aber wieder. Die größten Arbeitnehmerorganisationen neben dem DGB sind: ● dbb – Beamtenbund und Tarifunion als Dachorganisation von Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes (mit über 1,3 Mio Mitgliedern), der ● Christ- liche Gewerkschaftsbund (CGB), dessen Mitgliederzahl allerdings umstritten ist, sowie der ● Deutsche Bundeswehrverband (DBwV) als Interessenorganisation aktiver und ehemaliger Soldaten. Daneben machen sich zahlreiche Berufsverbände und Branchengewerkschaften (wie der Marburger Bund oder die Vereini- gung Cockpit) in ihrem spezifischen Bereich für die berufspolitischen Belange ihrer Mitglieder stark.

247 705 12/20 Die Arbeitskräfte von morgen Die künftige Entwicklung des Arbeitskräfteangebots hat Auswirkungen auf fast alle Bereiche der Wirt- schaft, der Gesellschaft und der Politik, insbesondere der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Es ist deshalb sinnvoll, die denkbaren Entwicklungslinien mit Hilfe von Modellrechnungen durchzuspielen und damit eine vorausschauende Planung zu ermöglichen. Das Statistische Bundesamt legte dazu eine neue Projektion des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland vor, die bis 2060 reicht. Die Projektion beruht im Wesent- lichen auf Annahmen zur künftigen Bevölkerungsentwicklung. Einige Faktoren, die diese Entwicklung bestimmen, sind heute schon gegeben und bilden somit ein relativ festes Gerüst für die Vorausberechnun- gen. So vor allem der Altersaufbau der Bevölkerung, anhand dessen sich bis weit in die Zukunft hinein voraussagen lässt, wie stark die Jahrgänge sein werden, die künftig am Erwerbsleben teilnehmen. In an- deren Einflussgrößen spiegeln sich gesellschaftliche Verhaltensweisen, die über einen längeren Zeitraum stabil verlaufen, sich aber durchaus verändern können. Als für den Arbeitsmarkt bedeutsame Variable ist besonders die Erwerbsbeteiligung der verschiedenen Bevölkerungs- und Altersgruppen von Interesse. Ausgangspunkt der vom Statistischen Bundesamt durchgerechneten Entwicklungsvarianten ist das Jahr 2019, in dem es in Deutschland ein potenzielles Arbeitskräfteangebot von rund 43,6 Millionen Erwerbs- personen im Alter zwischen 15 und 74 Jahren gab. Dabei sind nur die in privaten Haushalten Lebenden berücksichtigt, nicht die Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften (z.B. Heimen). Da die erwerbsfähige Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten zurückgeht und deutlich altert, ist damit zu rechnen, dass das Arbeitskräftepotenzial langfristig schrumpft. Im Extremfall könnte das Erwerbspersonenpotenzial bis 2060 auf 28,2 Millionen sinken – dann nämlich, wenn das Bevölkerungsgeschehen in den sich heute abzeich- nenden Bahnen verläuft (mit moderater Entwicklung der Geburtenhäufigkeit und der Lebenserwartung), keine Zuwanderung stattfindet und die Erwerbsbeteiligung auf dem heutigen Stand bleibt. Die demogra- phisch bedingte Abwärtsbewegung ist dabei so stark, dass sie auch durch eine deutlich steigende Erwerbs- quote (wenn mehr Frauen und ältere Menschen arbeiten gehen) kaum abgebremst würde. Stärker verlangsamen lässt sich die Verknappung des Arbeitskräfteangebots nur, wenn Deutschland eine Zuwanderung beträchtlichen Umfangs aus dem Ausland anzieht. Erst bei einem Wanderungsüber- schuss von deutlich mehr als 300 000 Personen pro Jahr und einer steigenden Erwerbsbeteiligung bleibt der Pool an Arbeitskräften bis 2060 annähernd auf dem derzeitigen Niveau.

258 238 2/23 Die Arbeitslosen 1991-2022 Von ihrem Höhepunkt im Jahr 2005 ging die jahresdurchschnittliche Arbeitslosenzahl in Deutschland bis 2019 deutlich zurück. Durch die Finanzkrise (2009) und die Eurokrise (2013) wurde diese Entwicklung nur kurzfristig unterbrochen. 2019 erreichte sie mit 2,27 Mio Arbeitslosen und einer Arbeitslosenquote von 5,0 % ihren vorläufigen Tiefpunkt. Das folgende Jahr stand jedoch ganz im Zeichen der Corona-Pande- mie. Um sie einzudämmen, wurden Wirtschaft und öffentliches Leben im Frühjahr und Herbst 2020 für mehrere Wochen heruntergefahren. Die reale Wirtschaftsleistung schrumpfte und der Arbeitsmarkt geriet massiv unter Druck. 2021 trat eine leichte Entspannung ein, aber der wechselhafte Verlauf der Pandemie und die Störung der internationalen Lieferketten machten der Wirtschaft weiterhin zu schaffen. 2022 löste der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine neue massive Verwerfungen aus. Weltweit schossen die Energiepreise in die Höhe, besonders aber in Deutschland, das sich in einem kostspieligen Kraftakt aus der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu befreien versuchte. Nicht zuletzt den staatlichen Unterstützungsmaßnahmen war es zu verdanken, dass sich der Arbeitsmarkt trotzdem weiter erholte. Die Zahl der Erwerbstätigen erreichte mit 45,6 Millionen im Jahresdurchschnitt sogar einen neuen Rekordwert. Und die Arbeitslosigkeit ging noch einmal zurück, wenn sie auch den Stand vor der Pandemie noch nicht wieder erreichte. Nach den Daten der Bundesagentur für Arbeit waren 2022 im Durchschnitt 2,42 Mio Menschen arbeitslos gemeldet (7,5 % weniger als im Vorjahr), davon 1,31 Mio Männer und 1,11 Mio Frauen. Das entsprach ei- ner Arbeitslosenquote von 5,3 % aller zivilen Erwerbspersonen. In Westdeutschland lag die Quote bei 5,0 %, in Ostdeutschland (einschließlich Berlin) bei 6,7 %. Auf Länderebene bewegte sie sich zwischen 3,1 % in Bayern und 10,2 % in Bremen. Vom Rückgang der Arbeitslosigkeit profitierten die einzelnen Personengruppen 2022 in unterschiedlichem Ausmaß. So sank sie bei Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung um 13 %, bei Akademikern um fast 8 %, bei Personen ohne Berufsausbildung jedoch nur um 4 %. Und während die Arbeitslosenzahl bei den Unter-25-Jährigen um 10 % abnahm, verringerte sie sich bei den Älteren ab 55 Jahren lediglich um knapp 4%. Das Schwergewicht verschob sich wieder ein Stück in Richtung Langzeitarbeitslosigkeit. Das zeigt sich daran, dass übers Jahr gesehen zwei Drittel der Arbeitslosen die Grundsicherung für Arbeit- suchende (Hartz IV) in Anspruch nehmen mussten.

258 219 2/23 Arbeitslosigkeit in Deutschland seit 1950 Als die Bundesrepublik Deutschland 1949 gegründet wurde, befanden sich Wirtschaft und Arbeitsmarkt in schwieriger Lage. Der kurze Boom nach der Währungsreform 1948 war einer wachstumsschwächeren Phase gewichen, in der die Arbeitslosenzahl Anfang 1950 auf über 2 Mio anstieg. Schwerpunkte der Arbeitslosigkeit lagen in den ländlichen Notstandsregionen mit hohem Flüchtlings- und Vertriebenenanteil und in West-Berlin. Der Koreakrieg verhalf der westdeutschen Industrie jedoch zu einer steigenden Nach- frage. Mit dem nun einsetzenden Wachstum entspannte sich die Arbeitsmarktlage, zumal der forcierte Wohnungsbau eine bedarfsgerechte regionale Umverteilung der Arbeitskräfte ermöglichte. Innerhalb ei- nes Jahrzehnts entstanden nahezu 5 Mio zusätzliche Arbeitsplätze; die anfängliche Massenarbeitslosig- keit schlug in Vollbeschäftigung und schließlich gar Arbeitskräftemangel um. Nach dem Bau der Mauer (1961), der den Flüchtlingsstrom aus der DDR unterbrach, wurden zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs zunehmend „Gastarbeiter“ aus den Mittelmeerländern angeworben. 1973 setzte die Regierung der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte wieder ein Ende. Inzwischen war die west- deutsche Wirtschaft an einem Wendepunkt ihrer Entwicklung angekommen. Industriebranchen wie Kohle und Stahl, Schiffbau und Textilindustrie gerieten unter Druck; für die Bauwirtschaft endeten die goldenen Aufbaujahre; und mit der Ölkrise stürzte die Wirtschaft 1974/75 in eine tiefe Rezession. Die Arbeitslosigkeit setzte sich nun dauerhaft fest. Jeder weitere Konjunkturrückschlag hinterließ einen höheren „Sockel“ an Dauerarbeitslosigkeit. Ursache dafür war der strukturelle Beschäftigungsrückgang im Produzierenden Ge- werbe, für den sich im Dienstleistungssektor (noch) kein ausreichender Ersatz bot. Nach der deutschen Einigung erreichte die Beschäftigungskrise eine neue Dimension. Ostdeutschland büßte im wirtschaftlichen Umbruch rund 3 Mio Arbeitsplätze ein. Und überall in Deutschland setzten Unter- nehmen auf Rationalisierung, um wettbewerbsfähiger zu werden; zugleich baute der öffentliche Dienst Be- schäftigung ab. 2003-2005 wurde ein Bündel weitreichender Reformen in Kraft gesetzt. Anfang 2005 stieg die Arbeitslosenzahl zwar auf mehr als 5 Mio. Doch dann entfalteten die Reformen in einem weltwirtschaftlich günstigeren Umfeld ihre Wirkung, so dass die Arbeitslosigkeit massiv zurückging. Diese Entwicklung wurde durch die globale Finanzkrise 2008/09 und die Eurokrise 2013 nur kurzzeitig unterbrochen. Erst die Corona- Pandemie (2020) mit ihren Folgen für die Weltkonjunktur zog wieder einen deutlichen Anstieg der Arbeits- losigkeit nach sich. Einer rascheren Erholung stand der russische Angriff auf die Ukraine (2022) entgegen.

200 125 1/83 Die Arbeitsteilung Grundlage der modernen Wirtschaft und des materiellen Reichtums, den sie hervorbringt, ist die Arbeits- teilung. Darunter versteht man die Zerlegung der Arbeit in einzelne Schritte oder Teilleistungen, die von verschiedenen Personen, Betrieben oder Ländern erbracht werden. Jede Arbeitsteilung erhält nur dann einen Sinn, wenn die Einzelverrichtungen aufeinander bezogen sind und wirtschaftlich oder technisch zu einem Ganzen zusammengeführt werden. Die Arbeitsvereinigung (Kooperation) ist somit das notwendige Gegenstück zur Arbeitsteilung. Gewisse Formen der Arbeitsteilung lassen sich bis auf die Anfänge der Menschheit zurückverfolgen. Schon in einem sehr frühen Stadium der menschlichen Entwicklung bildet sich eine Arbeitsteilung nach dem Geschlecht heraus: Die Frauen sammeln pflanzliche Nahrung, versorgen die Kinder und hüten den Lagerplatz, die Männer gehen zur Jagd. Auf einer weiteren Stufe werden einzelne Tätigkeiten aus dem Haushalt ausgelagert und auf dafür besonders befähigte Mitglieder der Gemeinschaft übertragen, so dass sich die ersten Berufe (Schmied, Töpfer usw.) ausformen und verselbstständigen (Berufsbildung). Mit wachsender Arbeitserfahrung und steigenden Anforderungen kommt es zur weiteren Spezialisierung durch Berufsspaltung. Dieser Prozess der beruflichen Arbeitsteilung dauert unvermindert an. Im Rahmen der gesellschaftlich-technischen Arbeitsteilung, die im Wesentlichen eine Erscheinung des industriellen Zeitalters ist, sind jeweils mehrere Menschen an der Produktion eines Gutes beteiligt. Der Arbeiter in einem modernen Fabrikbetrieb fertigt nicht das vollständige Produkt, sondern trägt durch stän- dig gleiche Teilarbeit zum Entstehen des Endprodukts bei. Wie schon Adam Smith (1720-1795) erkannte, ermöglicht es diese Form der Arbeitsteilung, die Produktivität der Arbeitskraft zu steigern und den Volks- wohlstand zu erhöhen. Vielfach wird die innerbetriebliche Arbeitszerlegung, deren konsequentester Aus- druck das Fließbandsystem ist, durch die Produktionsteilung auf überbetrieblicher Ebene weitergeführt. Arbeitsteilige Beiträge zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung erbringen die drei Wirtschaftssektoren: Der primäre Sektor (Urzeugung) gewinnt der Natur Rohstoffe ab und stellt sie zur Weiterverarbeitung durch Industrie und Handwerk (sekundärer Sektor) bereit. Verkehr und Handel sorgen für die Gütervertei- lung; sie gehören mit den übrigen Dienstleistungen zum tertiären Sektor der Volkswirtschaft. Die interna- tionale Arbeitsteilung beruht darauf, dass jedes Land sich vor allem der Produktion jener Güter zuwendet, die es im Vergleich mit anderen Wirtschaftsräumen am kostengünstigsten herstellen kann. Im freien Han- delsaustausch zwischen den Ländern verbessert sich dann die Güterversorgung aller Beteiligten. Ursprüngliche in der Familie Arbeitsteilung Arbeitsteilung oder Gruppe, zwischen Mann und Frau Berufsbildung Berufsspaltung Berufliche Arbeitsteilung Arbeitszerlegung (betrieblich) Produktionsteilung (überbetrieblich) Gesellschaftlich- technische Arbeitsteilung Urzeugung Weiterverarbeitung Handel, Dienstleistungen Volks- 10 0 wirtschaftliche Arbeitsteilung Internationale © Bergmoser + Höller Verlag AG Arbeitsteilung ZAHLENBILDER 200 125

479 725 6/21 Arbeitsvolumen 1970-2020 Das Bruttoinlandsprodukt ist das Ergebnis der von den Erwerbstätigen im Inland geleisteten Arbeit. Erwerbstätige sind alle wirtschaftlich Aktiven – Arbeiter, Angestellte, Beamte, Selbstständige und deren mithelfende Familienangehörige. Die Zahl der Erwerbstätigen gibt folglich Aufschluss darüber, wie viele Menschen in die marktmäßige oder öffentliche Güterproduktion eingespannt sind. Die entsprechende Zah- lenreihe für das vereinigte Deutschland beginnt 1991 mit 38,9 Mio Erwerbstätigen. Es folgte ein Rückgang auf 37,9 Mio (1993/94), danach ein deutlicher Anstieg auf knapp 40,0 Mio (2000). Nach einer Phase der Stagnation setzte mit den Arbeitsmarktreformen von 2005 eine neuerliche Aufwärtsbewegung ein, in deren Verlauf die durchschnittliche Zahl der Erwerbstätigen 2019 auf den Rekordwert von 45,3 Mio kletterte, ehe sie in der Corona-Pandemie 2020 auf 44,8 Mio zurückfiel. Um die Bedeutung des Faktors Arbeit für die deutsche Volkswirtschaft zu erfassen, ist die Entwicklung der Erwerbstätigkeit allerdings nur noch bedingt geeignet. Ein Durchschnitts-Erwerbstätiger von heute ist mit dem früherer Jahrzehnte nämlich kaum vergleichbar. Leistete ein Erwerbstätiger 1970 im damaligen Bundesgebiet durchschnittlich 1 966 Arbeitsstunden, so waren es in Deutschland 2019 nur 1 383 Stunden und 2020 sogar nur noch 1 332 Stunden. Damals war ein Erwerbstätiger weitgehend einer Vollzeit-Arbeits- kraft gleichzusetzen; heute geht ein großer Prozentsatz der Erwerbstätigen einem Teilzeit- oder Minijob nach. Auch haben die Verkürzung der tariflichen Arbeitszeiten und die Verlängerung des Jahresurlaubs zum Rückgang der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit beigetragen. Ein besserer Maßstab für den Beitrag des Faktors Arbeit zum BIP ist daher das Arbeitsvolumen, die Summe der im Lauf eines Jahres geleisteten Arbeitsstunden. Dazu liegen Daten des Instituts für Arbeits- markt- und Berufsforschung (IAB) vor. Die Gesamtarbeitszeit der Erwerbstätigen im vereinigten Deutsch- land (einschl. auch der unbezahlten Überstunden) ging demnach zwischen 1991 und 2005 tendenziell zu- rück – von 60,4 auf 56,3 Milliarden Stunden. Seitdem zeigte der Trend wieder nach oben, auch wenn er in der Finanzkrise 2009 kurzzeitig unterbrochen wurde. 2019 kletterte das jährliche Arbeitsvolumen auf rekordhohe 62,6 Mrd Stunden. 2020 gab es infolge der Corona-Pandemie jedoch einen Rückschlag um 3,7 % auf 59,6 Mrd Stunden. Neben dem Rückgang der Erwerbstätigkeit war dafür die verbreitete Nutzung von Kurzarbeit zur Überbrückung der Krise ausschlaggebend. Und auch die erzwungenen Arbeitsausfälle vieler Selbstständiger fielen dabei stark ins Gewicht.

737 962 11/22 Armut in der EU Der Grad der Armut in einer Gesellschaft lässt sich auf unterschiedliche Weise messen und erfassen: ● Mit Hilfe einer absoluten Armutsschwelle: Die Weltbank orientiert sich seit September 2022 an einem Pro-Kopf-Wert von 2,15 US-Dollar pro Tag (zu Preisen und Kaufkraftverhältnissen von 2017) als Grenzwert der extremen Armut. ● Mit einem relativen Armutsmaß, das vom durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen ausgehend eine prozentuale Armutsschwelle festlegt: In den Ländern und Regionen der EU gilt z.B. als armutsgefährdet, wer mit weniger als 60 % des mittleren Einkommens der jeweiligen Gesamtbevölkerung auskommen muss. Je nach dem allgemeinen Einkommensniveau liegt diese Schwelle von Land zu Land unterschiedlich hoch. ● Anhand einer Liste grundlegender Lebensbedürfnisse: Als arm gilt, wer sich meh- rere Punkte dieser Liste nicht leisten kann. Diese dritte Variante wird in der EU verwendet, um den Grad der materiellen und sozialen Entbehrung in einer Bevölkerung zu erfassen. Die Liste umfasst 15 Posten, die sich an den Möglichkeiten eines durch- schnittlichen Haushalts orientieren. Manche dieser Posten erfordern höhere Ausgaben, andere können schon für wenig Geld verwirklicht werden. Wer aber in seinem Haushalt auf mindestens fünf dieser „nor- malen“ Möglichkeiten verzichten muss, leidet der Definition gemäß an Entbehrung. Dabei wird nicht nur ● der unmittelbare Geldmangel (keine Zahlungsrückstände haben, unerwartete Ausgaben bewältigen können) oder ● der durch Geldnot erzwungene Verzicht auf Konsum und Komfort erfragt (alte Möbel ersetzen, die Wohnung warmhalten, jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit), sondern auch ● die Ver- armung sozialer Kontakte (einmal im Monat mit Freunden oder der Familie zusammen essen oder trin- ken, eine regelmäßige Freizeitbeschäftigung ausüben), wenn die Mittel nicht ausreichen, um diese Kontakte aufrechtzuerhalten. Die von Eurostat, dem Statistischen Amt der EU, veröffentlichten Daten für das Jahr 2021 ergeben ein dif- ferenziertes Bild der Armut. EU-weit leidet ein Achtel der Bevölkerung (11,9 %) unter materieller und sozia- ler Entbehrung. Seit 2014 (damals 20,0 %) ist diese Quote stetig zurückgegangen; 2022 ist aber wieder mit einem deutlichen Anstieg zu rechnen. In Rumänien, Bulgarien und Griechenland trifft diese Form der Armut auf rund ein Drittel der Bevölkerung zu, in Deutschland auf 8,8 %, in Schweden und Finnland aber auf weniger als 4 %. Ältere Menschen sind in den meisten EU-Ländern nicht ganz so stark von Entbehrung betroffen wie die jungen – ein Punkt, der in der sozialpolitischen Diskussion oft übersehen wird.

286 340 5/21 Armut und materielle Entbehrung Trotz aller wohlfahrtsstaatlichen Absicherung treten auch in einem reichen Land wie Deutschland vielfältige Erscheinungen von Armut auf. Was Armut jedoch konkret bedeutet und unter welchen Umständen ein Mensch oder ein Haushalt als arm zu bezeichnen ist, ob sie nur auf Randgruppen zutrifft oder in breite Schichten der Gesellschaft hineinreicht, darüber gehen die Auffassungen schon auseinander. Absolute Armut herrscht, wenn Menschen durch den Mangel an Nahrung, an medizinischer Hilfe oder einer schüt- zenden Unterkunft unmittelbar in ihrer Existenz gefährdet sind. In einer wohlhabenden entwickelten Gesell- schaft sind solche extremen Notlagen die Ausnahme. Als arm gilt aber auch schon, wer deutlich unter dem allgemeinen Einkommensniveau liegt (relative Armut). Die in der EU gebräuchliche Definition be- sagt, dass Personen mit einem Einkommen von weniger als 60 % des mittleren Einkommens als armuts- gefährdet anzusehen sind. Ausgangspunkt der Berechnungen ist das verfügbare Haushaltseinkommen, das bedarfsgewichtet auf die Haushaltsmitglieder aufgeteilt wird. Doch ist nicht jeder, für den ein Armuts- risiko besteht, schon zwangsläufig arm zu nennen. Dafür spielt auch eine Rolle, ob er nur übergangsweise oder auf längere Dauer mit so knappen Mitteln auskommen muss, ob er noch über Vermögenswerte ver- fügt und wie er sein Einkommen verwendet. Ergänzend zur Messung der Einkommensarmut wird das Konzept der materiellen Deprivation herange- zogen. Deprivation bedeutet den erzwungenen Verzicht auf Dinge, die zur normalen Teilhabe am gesell- schaftlichen Leben gehören. In diesem Sinne leidet unter Entbehrung, wer sich z. B. keinen Fernseher oder keine Waschmaschine leisten kann, mit Miete, Stromrechnung oder Ratenzahlungen in Verzug gerät und nicht in der Lage ist, eine kurze Urlaubsreise zu unternehmen oder alle zwei Tage eine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder einer gleichwertigen vegetarischen Alternative auf den Tisch zu bringen. Auch die Wohn- und Umweltsituation kann einen eingeschränkten Lebensstandard verraten. Im Rahmen der EU- Statistik über Einkommen und Lebensbedingungen (SILC) wird anhand einer Neun-Punkte-Auswahlliste danach gefragt, welche Bestandteile des normalen Lebensstandards bei den Befragten fehlen. Wer auf mindestens drei dieser Dinge verzichten muss, gilt als materiell unterversorgt. Besonders prekär erscheint die Lage derjenigen, bei denen Einkommensarmut, materielle Entbehrung und sehr geringe Teilnahme am Arbeitsleben zusammenkommen. In Deutschland waren 2019 annähernd 15 % der Bevölkerung als armuts- gefährdet einzustufen. Mehr als 17 % waren in einem weiteren Sinne von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen.

201 110 3/99 Aufbau eines Betriebs Der Betrieb dient als planvoll organisierte Wirtschaftseinheit der Produktion von Sachgütern und Dienst- leistungen. Im Produktionsprozess werden menschliche Arbeitskraft, Betriebsmittel und Werkstoffe ein- gesetzt und so aufeinander abgestimmt, dass sich ein möglichst günstiges Verhältnis von Ertrag zu Aufwand ergibt und ein entsprechender Gewinn erzielt wird. Ein entscheidend wichtiger Produktionsfaktor ist die menschliche Arbeit. Die Betriebswirtschaftslehre unterscheidet zwischen ausführender (überwie- gend körperlicher) und leitender (überwiegend geistiger) Arbeit, auch wenn beide Formen nicht immer scharf zu trennen sind. Betriebsmittel sind die Maschinen, Anlagen, Gebäude usw., das heißt die technischen Voraussetzungen, die zur Erfüllung der betrieblichen Aufgaben erforderlich sind. Werkstoffe nennt man die Roh- und Hilfsstoffe, aus denen neue Produkte hergestellt werden; hinzu kommen die im Produktionsprozess benötigten Betriebsstoffe (z.B. Wasser, Schmieröl). Und schließlich stützt sich die Produktion auch auf geistige Vorleistungen wie Patente, Lizenzen und Urheberrechte. Den betrieblichen Produktionsprozess umfassend zu steuern ist Aufgabe der Betriebsleitung. In ihrer Planung legt sie fest, welche Produkte erzeugt werden, wie die Produktion finanziert wird, in welcher Kombination die Produktionsfaktoren einzusetzen sind und wie sie beschafft und bereitgestellt werden können. Die Planung erstreckt sich darüber hinaus auf den technischen Vorgang der Produktion sowie auf den Absatz der hergestellten Güter. Ziel ist es, Finanzwirtschaft, Beschaffung, Produktion und Absatz so zu koordinieren, dass keine Ungleichgewichte zwischen ihnen entstehen. Den Aufbau des Betriebes und den Ablauf der betrieblichen Tätigkeiten regelt die Organisation. Die Aufbauorganisation legt fest, welche Stellen für die einzelnen Betriebsaufgaben zuständig sind und welche Weisungs- und Informationsbeziehungen zwischen den verschiedenen Betriebsbereichen bestehen. Dafür kommen unterschiedliche Lösungen in Betracht – je nach Art, Größe und Rechtsform eines Unternehmens. Oft werden gleichartige Aufgaben in Abteilungen und Hauptabteilungen zusammenge- fasst und diese einer technischen bzw. kaufmännischen Leitungsebene unterstellt. Die ständige Kontrolle des Betriebsprozesses erfolgt durch das betriebliche Rechnungswesen. Seine Funktion besteht darin, alle betrieblichen Vorgänge wertmäßig zu erfassen und die Wirtschaftlichkeit der Produktion zu überprüfen. Die dabei gewonnenen Ergebnisse dienen wiederum zur Vorbereitung künftiger Entscheidungen. Auslieferung Betriebsleitung Kaufmännische Leitung Produktion Technische Leitung Organisation Fertigungs- Betriebliches kontrolle Forschung und Rechnungswesen Entwicklung Vertrieb Produktgestaltung - Buchhaltung Fertigungs- - Kostenrechnung Werbung planung - Statistik Auftragsannahme - Planungsrechnung Fakturierung EDV Personalverwaltung Einkauf Aufbau Materialbestellung eines Wareneingang Betriebs Lager ZAHLENBILDER © Bergmoser + Höller Verlag AG 201 110

625 175 10/21 Der Aufstieg der Schwellenländer Als „Schwellenländer“ werden üblicherweise Länder bezeichnet, die angesichts ihrer Fortschritte in der Industrialisierung und ihrer wirtschaftlichen Dynamik nicht mehr als Entwicklungsländer gelten können, aber aufgrund sozialer Indikatoren – wie hohe Armutsquoten, niedrige Lebenserwartung oder geringer Bil- dungsgrad – (noch) keine Industrieländer sind. Eine einheitliche Liste von „Schwellenländern“ existiert al- lerdings nicht. Je nach Abgrenzung werden entweder nur fünf oder über 60 Länder zu dieser Kategorie gezählt. Betrachtet man den Aufstieg der Schwellenländer in den letzten dreißig Jahren, so steht neben China ein ganzer Kranz von Staaten Südost- und Ostasiens im Blickpunkt, die zum Teil (wie Südkorea oder Taiwan) inzwischen als „neue Industrieländer“ zu charakterisieren sind. Als große Schwellenländer stechen vor allem die BRICS-Staaten hervor, also Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Bei diesen Ländern handelt es sich nämlich nicht nur um aufstrebende Volkswirt- schaften, sondern außerdem um regionale Großmächte mit machtpolitischem Gewicht. Das gilt besonders für China: Während die Anteile an der Weltwirtschaftsleistung bei den anderen Ländern der BRICS-Gruppe seit 1990 relativ konstant blieben oder gar leicht zurückgingen (Russland), hat China seinen Anteil von nur 2 % auf inzwischen 14 % ausgebaut und damit sowohl Japan als auch die Industriemächte Westeuropas überflügelt – zumindest, wenn man nicht die EU als Ganze betrachtet. Und in nicht allzu ferner Zukunft wird China wohl auch die USA als größte Volkswirtschaft der Erde ablösen. Längst sind die großen Schwellenländer nicht mehr nur die „verlängerte Werkbank“ des Westens, sondern selbst Industrieproduzenten. Dabei verfolgen sie eigene Wirtschaftsmodelle, die in vielerlei Hinsicht vom Kapitalismus westlicher Prägung abweichen. Ihre mehr oder weniger „staatskapitalistischen“ Modelle set- zen bei der Unternehmensfinanzierung vorrangig auf nationales Kapital, sind von den internationalen Finanzmärkten weit weniger abhängig als westliche Volkswirtschaften und verfügen über vergleichsweise billige, aber dennoch gut qualifizierte Arbeitskräfte, die zunehmend auch die Binnennachfrage ankurbeln. Jenseits wirtschaftlicher Aspekte spielen beim Aufstieg der Schwellenländer Fragen der politischen Welt- ordnung eine Rolle, gerade mit Blick auf den relativen Machtzuwachs von China gegenüber den USA. Sorge bereiten historische Betrachtungen, wonach der Aufstieg einer neuen Großmacht stets zu einem großen Krieg geführt hat. Eine Regel lässt sich daraus aber nicht ableiten. Viel hängt letztlich von gegen- seitigen Wahrnehmungen und entsprechenden Verhaltensweisen ab.

181 114 7/20 Aufteilung der Steuereinnahmen Die Verteilung des Steueraufkommens auf Bund, Länder und Gemeinden ist in Art. 106 GG grundsätzlich geregelt. Ursprünglich teilten Bund und Länder nur die Einkommen- und die Körperschaftsteuer unter sich auf; seit der Finanzreform von 1969 ist auch die Umsatzsteuer in den Steuerverbund einbezogen. Zusam- men machen diese gemeinschaftlichen Steuern fast drei Viertel des gesamten Steueraufkommens aus. An Einkommen- und Körperschaftsteuer sind Bund und Länder gleichgewichtig beteiligt. Die Körper- schaftsteuer teilen sie sich zu jeweils 50 %. Von der Einkommensteuer erhalten sie je 42,5 %; die übrigen 15 % gehen an die Gemeinden, die im Gegenzug einen Teil ihres Gewerbesteueraufkommens an den Bund und die Länder abgeben müssen. Die Einnahmen aus der Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge wer- den im Verhältnis 44:44:12 auf Bund, Länder und Gemeinden aufgeschlüsselt. Während die Aufteilung dieser Steuern langfristig feststeht, wird die Zerlegung der Umsatzsteuer immer neu an die finanziellen Erfordernisse der Gebietskörperschaften angepasst. Im Steuerverteilungssystem dient sie damit als bewegliches Element zur Abstimmung des vertikalen (bundesstaatlichen) Finanzaus- gleichs. Massive Umschichtungen erfolgten u.a. 1995 mit der Einbeziehung Ostdeutschlands in den Län- derfinanzausgleich, 1997 anlässlich der Neuregelung des Kindergelds und 1998 durch die Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer. Nach dem Deckungsquotenprinzip soll die Aufteilung der Umsatzsteuer dafür sorgen, dass das Verhältnis der Einnahmen zu den Ausgaben bei Bund und Ländern etwa gleich groß bleibt. Diese Regel wurde 2001 im Maßstäbegesetz verankert. Die konkrete Festlegung des Vertei- lungsschlüssels erfolgt jeweils im Finanzausgleichsgesetz (FAG). Nach den Bestimmungen des § 1 FAG fließen dem Bund 2020 geschätzte 48,9 %, den Ländern 47,7 % und den Gemeinden 3,4 % der Umsatz- steuer zu. Darin sind auch die zahlreichen Festbeträge berücksichtigt, die zum Ausgleich bestimmter Las- ten oder Mindereinnahmen zwischen den Gebietskörperschaften übertragen werden. Die nicht unter den Steuerverbund fallenden Steuern stehen nach dem Trennsystem entweder dem Bund, den Ländern oder den Gemeinden zu. Querverbindungen gibt es aber auch hier. So erhalten die Länder für die 2009 an den Bund übergegangene Kraftfahrzeugsteuer jährlich rund 9 Mrd € als finanziellen Ausgleich. Über den Bund ist auch die EU am Steueraufkommen in der Bundesrepublik beteiligt. So muss der Bund von seinem Anteil an der Umsatzsteuer einen Teil an die EU abführen.

141 129 10/21 Ausgaben für das soziale Netz Der Umfang sozialstaatlicher Leistungen steigt in Deutschland fast kontinuierlich an. Im ersten Jahrzehnt nach der deutschen Einigung war ein besonders rascher Anstieg der Sozialausgaben zu beobachten. Lagen sie 1991 noch bei umgerechnet 395 Milliarden €, so beliefen sie sich im Jahr 2000 bereits auf 608 Mrd €. In diesem Zeitraum musste das soziale Netz die Eingliederung Ostdeutschlands in das bundesdeut- sche Sicherungssystem, eine hohe Arbeitslosigkeit und die wachsenden Strukturprobleme der Kranken- und Rentenversicherung auffangen. Außerdem trugen die 1995 neu eingeführte Pflegeversicherung und die verstärkte Familienförderung zum Anstieg der Sozialausgaben bei. Um die Nachhaltigkeit des Sozialsystems zu sichern, beschloss der Gesetzgeber einschneidende sozialpoliti- sche Leistungs- und Strukturreformen, die den Zuwachs der Sozialausgaben dämpften. Infolgedessen klet- terten sie 2002 bis 2008 nur noch in mäßigem Tempo. Die Wirtschaftskrise des Jahres 2009 trieb den Bedarf an sozialstaatlichen Leistungen allerdings wieder steil Sozialleistungsquote Sozialleistungen in Prozent in die Höhe. Ein Vergleich mit den Vorjahren wird jedoch dadurch erschwert, dass des Bruttoinlandsprodukts das Sozialbudget, das alle Sozialleistungen zusammenfasst, ab 2009 auch die 1960 . . . . . . . . . . . . . . . . 18,3 Grundleistungen der privaten Krankenversicherung einschließt. In dieser neuen Zu- 1970 . . . . . . . . . . . . . . . . 20,2 1980 . . . . . . . . . . . . . . . . 25,7 sammensetzung beliefen sich die Ausgaben 2009 auf 752 Mrd €. In den folgenden 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . 24,1 Jahren beschleunigte sich die Ausgabenentwicklung, bedingt u.a. durch kräftig stei- gende Krankheitskosten, Mehrausgaben für die Alterssicherung, die Ausweitung 1991 . . . . . . . . . . . . . . . . 24,9 der Pflegeversicherung und den höheren Aufwand für die Kinderbetreuung. Im 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . 27,6 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . 28,8 Gegensatz dazu sanken bis 2019 die Kosten der Arbeitslosigkeit. 2020 ließ dann 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . 28,9 die Corona-Pandemie mit ihren gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkun- 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . 30,8 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . 30,0 gen die Sozialausgaben um mehr als 7 % auf 1119 Mrd € in die Höhe schnellen. 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . 29,4 Die langfristige Entwicklung lässt sich besser anhand der Sozialleistungsquote 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . 33,6 beurteilen. Diese bemisst den Sozialaufwand im Verhältnis zum Bruttoinlandspro- dukt. In ihrem Anstieg spiegeln sich vor allem die Bedürfnisse einer alternden bis 1990: früheres Bundesgebiet; ab 1991: Deutschland; ab 2009: einschl. private Krankenversicherung Gesellschaft. In Rezessionsjahren nimmt die Quote auch punktuell zu, weil höhere Ausgaben (u.a. für Arbeitslose, Kurzarbeiter oder das Gesundheitswesen) dann mit einer niedrigeren Wirt- schaftsleistung zusammenfallen. So erreichte sie 2020 mit 33,6 % des BIP ihren bislang höchsten Wert.

174 010 10/22 Ausgaben für die Sozialhilfe Seit ihrer Einführung im Jahr 1962 erfüllte die Sozialhilfe die Funktion eines letzten Auffangnetzes für hilfe- bedürftige Menschen. Mit der Hartz-IV-Reform 2005 wurde die Unterstützung erwerbsfähiger Personen und ihrer „Bedarfsgemeinschaften“ von der Sozialhilfe abgetrennt und auf die Grundsicherung für Arbeit- suchende (ALG II/Sozialgeld) umgestellt. Die Sozialhilfe hatte damit jedoch nicht ausgedient: Sie konzent- rierte sich fortan auf die Grundsicherung nicht erwerbsfähiger Menschen. Dazu erhielt sie eine neue rechtliche Grundlage und wurde in das Sozialgesetzbuch (Buch XII) eingegliedert. Vor Hartz IV waren noch fast 3 Millionen Menschen auf Unterhaltsleistungen aus der Sozialhilfe angewiesen, weil sie ihren Existenzbedarf nicht aus eigener Kraft oder aus Sozialleistungen decken konnten. Danach war die Sozial- hilfe schwerpunktmäßig für andere soziale Problemlagen zuständig. Das betraf in erster Linie die Einglie- derungshilfe für behinderte Menschen und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Das Aufgabenspektrum veränderte sich erneut, als 2020 die fachlichen Leistungen der Eingliederungs- hilfe aus dem Sozialhilferecht herausgelöst und als eigenständiges Leistungsrecht im SGB IX verankert wurden. Die Existenzsicherung behinderter Menschen erfolgt seitdem wie für Nichtbehinderte durch die Sozialhilfe oder die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Um einen Vergleich mit früheren Jahren zu ermögli- chen, fasst das ZAHLENBILD die Leistungen der Eingliederungshilfe nach SGB IX und der Sozialhilfe nach SGB XII ab 2020 zu einer Summe zusammen. Für 2021 ergaben sich Nettoausgaben von 37,3 Mrd € (= Bruttoausgaben abzüglich der Erstattungen anderer Sozialkassen und sonstiger Einnahmen). Davon entfielen auf die ● Eingliederungshilfe für behinderte Menschen allein 22,0 Mrd €. Ihre Aufgabe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten, bestehende Behinderungen und deren Folgen zu beseitigen oder abzumildern und Menschen mit Behinderungen eine Teilhabe an Bildung, am Arbeitsleben und am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der ● Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (mit 8,1 Mrd €). Deren Leistungen dienen im Kern der materiellen Sicherung bedürftiger älterer und erwerbsgeminderter Personen. Für die ● Hilfe zur Pflege wurden 4,7 Mrd € aufge- wandt. Auch diese Hilfe dient als letzte Sicherung, wenn keine eigenen Mittel vorhanden sind und die Pfle- gekasse nur einen Teil des notwendigen Aufwands bezahlt. Die Ausgaben für die ● übrigen Hilfearten (Hilfen zur Gesundheit, zum Lebensunterhalt und zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten) machten rund 2,5 Mrd € aus.

390 550 11/22 Außenhandelsgut Dienstleistungen Im Warenhandel steht Deutschland als eine der führenden Industrienationen in engem Austausch mit der übrigen Welt. 2021 belief sich die deutsche Warenausfuhr auf fast 1 368 Mrd €, die Wareneinfuhr lag bei 1 176 Mrd €. Dienstleistungen spielen im grenzüberschreitenden Austausch bislang eine geringere Rolle. Die Zahlungsbilanzstatistik der Bundesbank beziffert die deutschen „Export“-Einnahmen im Handel mit Dienstleistungen für das Jahr 2021 auf 327,7 Mrd € und die „Import“-Ausgaben auf 327,4 Mrd €. Der Dienstleistungshandel mit der übrigen Welt entspricht also nur etwa einem Viertel des Warenhandels. Die Gründe für den vergleichsweise geringen Umfang des Handels mit Dienstleistungen sind aber nicht auf Deutschland beschränkt. ● Viele binnenwirtschaftlich bedeutsame Dienstleistungen (z.B. persönliche Dienste) sind ihrer Natur nach kaum für den Export geeignet. ● Die Dienstleistungsmärkte sind häufig durch nationale Vorschriften reguliert und geschützt. Ausländischen Anbietern wird dadurch der Zutritt er- schwert. ● Anders als der Außenhandel mit Waren ist die internationale Vermarktung von Dienstleistungen ein vergleichsweise junges, wenn auch stark wachsendes Geschäftsfeld. ● Und schließlich bereitet es Schwierigkeiten, die international ausgetauschten Dienstleistungen statistisch zu erfassen, denn der „Ex- port“ von Dienstleistungen tritt in unterschiedlichen, oft nicht eindeutig messbaren Formen auf: als Übertra- gung von Software über Datennetze, Beherbergung ausländischer Touristen im Inland, Transport oder Versicherung von Warenlieferungen oder Durchführung von Reparaturen bei einem ausländischen Kun- den, um nur einige Beispiel zu nennen. Nach Zahlen der Welthandelsorganisation WTO (auf Dollar-Basis) belegte die Bundesrepublik 2021 beim Warenexport den dritten Rang und beim Export kommerzieller Dienstleistungen den vierten Rang im Weltvergleich. Größter Exporteur von Dienstleistungen waren die USA (mit einem Anteil von 12,9 %) vor Großbritannien (6,9 %) und China (6,5 %). Deutschland stellte 6,2 % der international gehandelten Dienst- leistungen. Über besondere Stärken verfügt die deutsche Wirtschaft u.a. beim Export von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen und bei der Vermarktung geistigen Eigentums (Patente, Lizenzen usw.). Ein Minus entsteht dagegen im Reiseverkehr, in dem die Deutschen weit mehr ausländische Leistungen in Anspruch nehmen als umgekehrt Ausländer in Deutschland. 2021 litt dieser Sektor aber noch immer unter der Covid-19-Pandemie. Da die Bundesbürger weniger reisten als vor Corona, war die gesamte Dienstleis- tungsbilanz Deutschlands 2021 nahezu ausgeglichen. Bis 2019 befand sie sich regelmäßig im Defizit.

715 584 2/21 Bargeldumlauf im Eurosystem Die Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung erfolgte in zwei Etappen. Als Buchgeld hielt der Euro zum 1.1.1999 Einzug, als Bargeld trat die neue Währung zum 1.1.2002 auf den Plan. Erst damit wurde der Euro in den damals zwölf Teilnehmerländern zum täglichen Begleiter und löste die nationalen Währun- gen auch in ihrer Funktion als gesetzliches Zahlungsmittel ab. Anfang 2002 standen rund 145 Mrd € in Banknoten und Münzen für den Start in die neue Ära bereit. Für eine kurze Übergangsfrist wurden Barzah- lungen in alter Währung noch akzeptiert; danach hatte der Euro das Feld für sich. Ende 2002 war bereits neues Bargeld im Wert von 371 Mrd € im Umlauf. Seitdem nahm der Euro-Bargeldumlauf stetig zu. Die Verwendung des Euro konzentriert sich auf die Länder der Eurozone, in denen er als gesetzliches Zahlungsmittel dient. 2020 gehörten 19 EU-Mitgliedstaaten zum Euro-Währungsraum. Auf Grund förmlicher Vereinbarungen mit der EU wird der Euro auch in Andorra, Monaco, San Marino und im Vatikanstaat als gesetzliches Zahlungsmittel verwendet; diese Staaten dürfen zudem eigene Euro-Münzen prägen. Ohne solche Regelungen ist der Euro darüber hinaus in Montenegro und Kosovo offiziell in Gebrauch. Als Wert- aufbewahrungsmittel oder Zahlungsmittel wird er aber auch in vielen anderen Staaten hoch geschätzt. Ende 2020 befanden sich 26,5 Milliarden Euro-Banknoten mit einem Gesamtwert von rund 1 435 Mrd € in Umlauf. Der Stückzahl nach war die 50-Euro-Note (mit 12,7 Mrd Stück) am stärksten verbreitet; sie dominierte auch wertmäßig mit 636 Mrd € und einem Anteil von mehr als 43 % am gesamten Euro-Bargeld- umlauf. Euro-Münzen kursierten Ende 2020 in einer Stückzahl von 138,1 Milliarden und einem Gesamt- wert von 30,4 Mrd €. Die 1-Cent-Münze kam mit 37,4 Mrd Stück am häufigsten vor. Auf die 2-Euro-Münze entfiel dagegen der höchste Wertbetrag (13,4 Mrd €); von der 1-Euro-Münze waren 7,6 Mrd Stück im Ver- kehr. Neben dem Euro-Bargeld gibt es immer noch Restbeträge der abgelösten Währungen. Die Deutsche Bundesbank beziffert den Wert des noch ausstehenden DM-Bargelds Ende 2020 auf umgerechnet 6,3 Mrd Euro. Es kann bei der Bundesbank zeitlich unbegrenzt in Euro umgetauscht werden. Um die Fälschung von Euro-Geldscheinen zu erschweren, führte die Europäische Zentralbank 2013-2019 schrittweise die Banknoten der Europa-Serie ein (für die Wertstufen 5, 10, 20, 50, 100 und 200 Euro). Die Ausgabe der 500-Euro-Note wurde Anfang 2019 eingestellt. Noch ungewiss ist die Zukunft der 1- und 2- Cent-Münzen: Die EU-Kommission will bis Ende 2021 über einen Vorschlag entscheiden, die Preise über- all auf 5 Cent auf- oder abzurunden und die Kleinstmünzen damit nach und nach überflüssig zu machen.

141 131 11/20 Bausteine der sozialen Sicherung Das in Deutschland bestehende „System der sozialen Sicherung“ ist kein einheitliches Ganzes. Es handelt sich vielmehr um ein Nebeneinander von Einrichtungen und Elementen, die auf unterschiedliche Wurzeln zurückgehen, im Hinblick auf ihre Organisation und ihre Finanzierung zum Teil stark voneinander abwei- chen und auch unterschiedliche Sicherungsziele verfolgen. So gibt es Sozialleistungen, die der Grundver- sorgung breiter Bevölkerungsschichten dienen, neben anderen, die bei der Überwindung ganz bestimmter sozialer Problemlagen helfen sollen und nur für einen eng begrenzten Personenkreis gedacht sind; Leistungen, die auf dem Versicherungsprinzip beruhen, und solche, die der Staat zur Förderung bestimm- ter sozialpolitischer Zwecke oder als Nothilfe „einseitig“ gewährt. Das vom Bundesarbeitsministerium erstellte Sozialbudget fasst die verschiedenartigen Leistungen aber rechnerisch zusammen, so dass sich auf diese Weise doch ein finanzielles Gesamtbild der sozialen Siche- rung gewinnen lässt. 2019 erreichte es einen Umfang von rund 1040 Milliarden Euro – umgerechnet etwa 12 500 € je Einwohner. (Transferleistungen zwischen den einzelnen Zweigen der sozialen Sicherung wur- den dabei gegeneinander aufgerechnet.) Im Mittelpunkt der sozialen Gesamtrechnung stehen die Sozialversicherungssysteme, an erster Stelle die gesetzliche Rentenversicherung mit Ausgaben von 330,2 Mrd €. Aufwendungen für die Altersversorgung sind auch im beamtenrechtlichen Versorgungssystem, den Sozialleistungen der Arbeitgeber (Betriebsren- ten), der Alterssicherung für Landwirte und den Versorgungswerken der Freien Berufe enthalten. Eine wei- tere tragende Säule im Bau der sozialen Sicherung sind die gesetzlichen Krankenkassen, deren Ausgaben sich 2019 auf 250,1 Mrd € beliefen. Das Sozialbudget berücksichtigt daneben auch die Grundleistungen der privaten Krankenversicherung, die Lohnfortzahlung an erkrankte Arbeitnehmer und die Beihilfen für Beamte. Ergänzend tritt die gesetzliche Pflegeversicherung hinzu, von der 42,4 Mrd € aufgewandt wur- den. Die Überwindung der Arbeitslosigkeit und ihrer Folgen ist Aufgabe der Arbeitslosenversicherung– 2019 mit Ausgaben von 28,2 Mrd €. Die sozialen Lasten der Langzeitarbeitslosigkeit wurden 2005 in die Grundsicherung für Arbeitsuchende überführt, deren Ausgaben 2019 mit 44,4 Mrd € zu Buche schlugen. Weitere 40,3 Mrd € entfielen auf die Sozialhilfe als Auffangnetz für nicht (oder nicht mehr) arbeitsfähige Menschen. Die familien- und jugendpolitischen Ausgaben (Kindergeld, Elterngeld, Kinder- und Jugendhilfe) kletterten auf 105,2 Mrd €.

385 018 11/20 Beschäftigte im Einzelhandel Im Einzelhandel wird die Warenwelt für den Normalverbraucher in ihrer ganzen Vielfalt erfahrbar. Vielfältig ist auch das Erscheinungsbild dieses kundennahen Wirtschaftsbereichs: Seine Bandbreite reicht vom großstäd- tischen Einkaufsparadies bis zum dörflichen Tante-Emma-Laden, vom Verbrauchermarkt auf der grünen Wiese bis zum hochspezialisierten Fachgeschäft und vom Internet-Versand bis zum Verkaufsstand auf dem Wochenmarkt. Einen Überblick über diesen vielseitigen Wirtschaftsbereich liefern die Strukturdaten, die vom Statistischen Bundesamt jährlich veröffentlicht werden, zuletzt für das Jahr 2018. Wie daraus hervorgeht, be- standen in Deutschland Ende des Jahres rund 316 550 Einzelhandelsunternehmen (ohne Kfz-Handel, ohne Tankstellen), die sich auf 453 400 Standorte verteilten. Zusammen erzielten sie einen Umsatz von rund 565 Mrd €. Damit lief gut ein Drittel der privaten Konsumausgaben durch die Kassen des Einzelhandels. Auch wenn in der allgemeinen Wahrnehmung die großen Unternehmen und Filialketten dominieren, ist der Einzelhandel überwiegend noch immer durch kleine und kleinste Unternehmen geprägt. 2018 kamen 44 % aller Einzelhandelsunternehmen in Deutschland mit einem oder zwei Beschäftigten aus, darunter meist der Inhaber selbst; 69 % hatten maximal 5 Beschäftigte. Aus der eher kleinteiligen Gesamtstruktur ragt allerdings der „Einzelhandel mit Waren verschiedener Art“ heraus, der die großflächigen und umsatz- starken Supermärkte, Warenhäuser, Verbrauchermärkte usw. umfasst. Auf die rund 32 650 Unternehmen dieses Zweigs entfielen 2018 über 1,1 Mio (32 %) der insgesamt 3,5 Mio Beschäftigten des deutschen Einzelhandels. Noch größer war sein Anteil am Einzelhandelsumsatz (37 % bzw. 207 Mrd €). Sparten mit großer Bedeutung für die Beschäftigung im Einzelhandel sind im Übrigen auch die Apotheken, der Beklei- dungsfachhandel, der Lebensmittel-Facheinzelhandel und der Möbelhandel. Der nicht an Verkaufsräume gebundene Einzelhandel, zu dem der Versand- und Internethandel zählt, kommt seinerseits auf rund 204 190 Beschäftigte (6 % des gesamten Einzelhandelspersonals). Wie sich aus der überwiegend kleinbetrieblichen Struktur des Einzelhandels ergibt, stellen die tätigen In- haber einen vergleichsweise großen Prozentsatz (9 %) der Beschäftigten. In den allermeisten Zweigen des Einzelhandels sind Frauen in der Mehrzahl; ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung liegt bei 66 %. Typisch für den Wirtschaftsbereich ist auch der hohe Anteil an Teilzeitbeschäftigten (56 %). Auf jede/n Beschäftigte/n im Einzelhandel entfiel 2018 ein Umsatz von durchschnittlich 161 000 €. Bei den Supermärkten usw. waren es 184 000 €, im Lebensmittel-Einzelhandel 88 000 €.

243 513 2/22 Betriebliche Jugend- und Auszubildendenvertretung Die Interessenvertretung der Arbeitnehmer in den Betrieben wird im Betriebsverfassungsgesetz geregelt. Es ermöglicht die Bildung von Betriebsräten, die als gewählte Vertretungsorgane der Beschäftigten mit ab- gestuften Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten gegenüber dem Arbeitgeber ausgestattet sind. Wo ein Betriebsrat besteht und mindestens fünf Auszubildende oder jugendliche Arbeitnehmer beschäftigt sind, kann eine Jugend- und Auszubildendenvertretung gewählt werden. Zu deren Aufgaben gehört es, ● beim Betriebsrat Maßnahmen zu beantragen, die den jungen Betriebsangehörigen zugute kommen, ● auf die Einhaltung der Gesetze, Schutzvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen zugunsten der jugendlichen Arbeitnehmer und Auszubildenden zu achten und ● Anregungen oder Beschwerden zur Erledigung an den Betriebsrat weiterzugeben. Die Jugend- und Auszubildendenvertretung ist folglich kein selbstständiges Organ der Betriebsverfas- sung, sondern bleibt dem Betriebsrat nachgeordnet und kann nur durch dessen Vermittlung auf den Arbeitgeber einwirken. Damit sie ihre Aufgaben erfüllen kann, muss der Betriebsrat sie rechtzeitig und um- fassend informieren und ihr die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellen. Die Jugend- und Auszubil- dendenvertretung kann zu jeder Sitzung des Betriebsrats ein Mitglied entsenden; stehen Jugend- und Ausbildungsfragen auf der Tagesordnung, ist sie mit allen Mitgliedern teilnahmeberechtigt. Darüber hinaus haben ihre Vertreter auch Stimmrecht, wenn im Betriebsrat ein Beschluss gefasst wird, der die jugendli- chen Arbeitnehmer oder die Auszubildenden betrifft. Sieht die Jugend- und Auszubildendenvertretung durch einen Betriebsratsbeschluss wichtige Interessen der jungen Betriebsangehörigen verletzt, hat sie die Möglichkeit, ein aufschiebendes Veto dagegen einzulegen. Die betrieblichen Jugend- und Auszubildendenvertretungen werden alle zwei Jahre im Oktober und No- vember gewählt. Wahlberechtigt sind alle jugendlichen Arbeitnehmer (unter 18 Jahren) und alle Auszu- bildenden (ohne Altersbegrenzung). Wählbar sind alle Arbeitnehmer unter 25 Jahren und alle Auszubil- denden; sie dürfen nicht gleichzeitig dem Betriebsrat angehören. Die Größe der Jugend- und Auszubildendenvertretung (1 bis 15 Mitglieder) richtet sich nach der Anzahl der Jugendlichen und Lehrlin- ge im Betrieb. In ihrer Zusammensetzung soll sie die verschiedenen Beschäftigungsarten und Ausbil- dungsberufe widerspiegeln. Außerdem muss das Geschlecht, das unter den jungen Betriebsangehörigen in der Minderheit ist, mindestens seinem zahlenmäßigen Anteil entsprechend in ihr vertreten sein.

258 544 3/21 Betriebliche Weiterbildung Der Erfolg eines Unternehmens steht und fällt mit der Qualifikation seiner Arbeitskräfte. Mit der Erstausbil- dung an der Schwelle zur Berufstätigkeit ist es dabei längst nicht mehr getan: Die raschen Veränderungen in der Arbeitswelt machen es vielmehr notwendig, dass in allen Phasen des Erwerbslebens neue Kenntnisse hinzugewonnen werden. „Lebenslanges Lernen“ bringt auch die persönliche und die gesellschaftliche Ent- wicklung voran; in der Wirtschaft dient es heute aber vor allem dazu, die Herausforderungen der Digitalisie- rung zu bewältigen. Die Unternehmen betreiben daher einen erheblichen Aufwand, um ihre Belegschaft durch Weiterbildung für die betrieblichen Aufgaben fit zu machen. Das Institut der deutschen Wirtschaft befragt die Unternehmen in Deutschland in mehrjährigen Abständen nach ihren Weiterbildungsaktivitäten. Wie aus der zuletzt veröffentlichten Untersuchung für das Jahr 2019 hervorgeht, engagieren sich rund 88 % der Unternehmen für die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter. Im Vorder- grund stehen dabei arbeitsplatznahe und selbstgesteuerte Formen des Wissenserwerbs. Die am häufigsten genutzte Variante ist das Lernen in der Arbeitssituation, sei es als gezielte Unterweisung oder Schulung am Arbeitsplatz oder als organisiertes Einarbeiten bzw. Anlernen neuer Mitarbeiter (85 %). Den zweiten Rang (mit 81 %) belegen Lehrveranstaltungen in Form von Seminaren, Lehrgängen oder Kursen, die entweder extern oder aber zugeschnitten auf die betrieblichen Anforderungen direkt im Unternehmen selbst stattfinden. Ebenso viele Unternehmen (81 %) nutzen Informationsveranstaltungen unterschied- lichster Art zur Weiterbildung ihrer Mitarbeiter – von Messebesuchen über Fachvorträge und Fachtagun- gen bis zum Erfahrungsaustausch im kleineren Kreis. Selbstgesteuertes Lernen mit Medien wird in 78 % der Unternehmen praktiziert. Dabei machen sich die Mitarbeiter mit computergestützten Trainings- und Lernsystemen vertraut, studieren Lehrfilme, nehmen an Fernkursen teil oder halten sich durch Fach- zeitschriften und Fachbücher auf dem Laufenden. Im Durchschnitt wandten die Beschäftigten 2019 je 18,3 Stunden für die betriebliche Weiterbildung auf, den weitaus größten Teil davon während der Arbeitszeit (allerdings wird die von den Beschäftigten privat eingesetzte Zeit dabei vermutlich unterschätzt). Dafür investierten die Unternehmen durchschnittlich 1 236 Euro je Mitarbeiter, etwa die Hälfte davon verursacht durch die für die Weiterbildung genutzten be- zahlten Arbeitszeiten, die andere Hälfte durch Aufwendungen für Trainer, Dozenten, Teilnehmergebühren und sonstige direkte Kosten. Daraus ergaben sich Gesamtkosten von rund 41 Milliarden Euro.

242 115 4/22 Betriebsräte in Deutschland Im Frühjahr 2022 finden in Deutschland wie alle vier Jahre Wahlen zu den Betriebsräten statt. Aufgabe der Betriebsräte ist es, die Interessen ihrer Arbeitskolleginnen und -kollegen gegenüber dem Arbeitgeber bzw. der Geschäftsführung zu vertreten. Sie verfügen über abgestufte Informations-, Beratungs-, Anhö- rungs- und Mitbestimmungsrechte, die sie für die Belegschaft einsetzen können, wo einzelne Beschäftigte kaum etwas erreichen würden. Die Bildung von Betriebsräten ist aber nicht zwingend vorgeschrieben. Es bedarf daher der Initiative aus dem Kreis der Beschäftigten, damit ein Betriebsrat zustande kommt bzw. auf Dauer erhalten bleibt. Die Bedingungen dafür sind nicht immer günstig – sei es, dass die Gründung eines Betriebsrats durch die Betriebsleitung erschwert wird, sei es, dass seine Entstehung und sein Fortbe- stand am mangelnden Engagement der Beschäftigten scheitern. Tatsächlich verfügten in Deutschland 2020 nur 8 % aller Betriebe mit fünf und mehr Beschäftigten über einen Betriebsrat. Das geht aus dem Betriebspanel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Im Jahr 2000 wiesen in West- wie Ostdeutschland noch 12 % der Betriebe einen Betriebsrat auf. Seitdem zeigt der Trend nach unten. Das hängt nicht zuletzt mit den Veränderungen der Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur zusammen: Die alten Industrien mit ihren auch gewerkschaftlich gut organi- sierten Belegschaften verloren an Gewicht, dafür nahmen die Dienstleistungen, bei denen die kollektive Interessenvertretung deutlich kleiner geschrieben wird, an Bedeutung zu. Rückläufig war auch der Anteil der Beschäftigten, die sich an ihrem Arbeitsplatz an einen Betriebsrat wen- den können. Er sank in Westdeutschland zwischen 2000 und 2020 von 50 auf 40 % und in Ostdeutschland von 41 auf 36 %. Bundesweit wurden 2020 noch 40 % der Beschäftigten durch einen Betriebsrat ver- treten. Dabei gab es ganz beträchtliche Abweichungen zwischen den Branchen. Während in der Energie- wirtschaft und in der Verarbeitenden Industrie noch rund zwei Drittel (66 bzw. 64 %) aller Beschäftigten auf einen Betriebsrat zurückgreifen konnten, waren es im Baugewerbe lediglich 11 % und im Gastgewerbe 12 %. Im Handel lag der Anteil der durch einen Betriebsrat vertretenen Beschäftigten mit 27 % ebenfalls weit unter dem Durchschnitt. Ein wesentlicher Faktor für das Vorhandensein eines Betriebsrats ist die Betriebsgröße. In Kleinbetrieben (mit 5-50 Arbeitnehmern) gab es nur für 8 % aller Beschäftigten einen Betriebsrat; in Großbetrieben (mit mehr als 500 Arbeitnehmern) war dagegen für 90 % der Beschäftigten ein Betriebsrat vorhanden. Für Betriebe mit weniger als 5 Beschäftigten sind Betriebsräte nicht vorgesehen.

242 120 11/20 Betriebsratswahlen Alle vier Jahre sind die Beschäftigten in Betrieben mit mindestens fünf Arbeitnehmern aufgerufen, in der Zeit zwischen dem 1.3. und dem 31.5. ihre betrieblichen Interessenvertreter zu wählen, zuletzt im Jahr 2018. Zum Ausgang der Wahl liegen keine Gesamtzahlen vor, wohl aber stichprobenartige Auswertun- gen, deren Aussagen sich zum Teil deutlich unterscheiden. Sie sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass überhaupt nur 41 % der Beschäftigten im Westen und 36 % im Osten Deutschlands durch einen Betriebsrat vertreten sind (so das Ergebnis des IAB-Betriebspanels 2019). Vom Deutschen Gewerkschaftsbund werden keine branchenübergreifenden Resultate der Betriebsrats- wahlen bekannt gegeben. Einen gewissen Ersatz dafür bietet der Trendreport Betriebsratswahlen, den die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichte. Er analysiert Angaben aus rund 32 000 Betriebs- räten im Organisationsbereich der großen DGB-Gewerkschaften IG Metall, ver.di, IG BCE, IG BAU, EVG und NGG in Bezug auf das Wahlverhalten der Beschäftigten und die Zusammensetzung der Betriebsräte. Wie daraus hervorgeht, zeichneten sich die Betriebsratswahlen auch 2018 wieder durch eine hohe Wahl- beteiligung aus. Allerdings fällt auf, dass die Wahlbeteiligung mit der Größe des Betriebs generell ab- nimmt: In kleineren Betrieben mit bis zu 100 Mitarbeitern lag sie im Durchschnitt über 80 %, in großen Unternehmen mit über 1 000 Beschäftigten aber nur bei knapp 60 %. Die Zusammensetzung der Betriebsräte ist nach wie vor geprägt von Männern im mittleren Alter, die in den allermeisten Fällen schon über längere Erfahrung im Betriebsrat verfügen. So waren im Bereich von IG Metall und ver.di gut zwei Drittel der 2018 gewählten Kandidaten älter als 45 Jahre. Neu in den Betriebs- rat gewählt wurden (im Bereich von IG BCE, NGG und ver.di) nur rund 14 % der Kandidaten, bei 86 % handelte es sich um Wiedergewählte mit Betriebsratserfahrung. Offenbar setzten die Wählerinnen und Wähler verstärkt auf Kontinuität. Der durchschnittliche Frauenanteil über alle betrachteten Gewerkschaften hinweg lag bei 30 %. Tatsächlich hat sich die Repräsentation der Frauen erkennbar verbessert, seit im Jahr 2001 eine Quote für das Minderheitengeschlecht in Betriebsräten eingeführt wurde. In Führungspositio- nen – als Betriebsratsvorsitzende und deren Stellvertreter – sind Frauen aber immer noch unterpräsentiert. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad, bezogen auf die Datenbasis von ver.di und NGG, liegt unter den aktuell amtierenden Betriebsratsmitgliedern bei 59 %. Im Vergleich zu früheren Trendreports lässt sich hier keine abnehmende Tendenz feststellen.

243 511 2/22 Das Betriebsverfassungsgesetz Das Betriebsverfassungsgesetz regelt die Interessenvertretung der Arbeitnehmer in den Betrieben der pri- vaten Wirtschaft. Es ermöglicht die Bildung von Betriebsräten, die als gewählte Vertretungsorgane der Beschäftigten über abgestufte Beteiligungsrechte in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegen- heiten verfügen und dadurch in betriebliche Entscheidungsprozesse einbezogen sind. Betriebsräte und Arbeitgeber sollen vertrauensvoll zusammenarbeiten; beide Seiten haben Arbeitskampfmaßnahmen oder andere Betätigungen, die Arbeitsabläufe oder den Betriebsfrieden stören können, zu unterlassen. Betriebsräte können in Betrieben mit mindestens fünf ständigen Arbeitnehmern errichtet werden, von de- nen drei wählbar sein müssen. Zur aktiven Wahl berechtigt sind alle Arbeitnehmer ab 16 Jahren (mit Aus- nahme der leitenden Angestellten); passiv wählbar sind alle aktiv Wahlberechtigten, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb seit mindestens sechs Monaten angehören. Die Zahl der Betriebsratsmit- glieder richtet sich nach der Größe des Betriebs. So besteht der Betriebsrat in Betrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern nur aus einer Person, in einem Großbetrieb mit 5 000 Arbeitnehmern dagegen aus 29 Mit- gliedern. In der Zusammensetzung des Betriebsrats sollen sich die verschiedenen Organisationsbereiche und Beschäftigungsarten des Betriebs widerspiegeln. Das Geschlecht, das im Betrieb in der Minderheit ist, muss im Betriebsrat mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Anteil an der Belegschaft vertre- ten sein. Der Betriebsrat wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und dessen Stellvertreter; besteht er aus mehr als acht Mitgliedern, bildet er einen Betriebsausschuss, der die laufenden Geschäfte führt. Die Rechte des Betriebsrats lassen sich nach dem Grad seiner Beteiligung an Entscheidungen des Arbeitgebers unterscheiden. An erster Stelle stehen Informationsrechte: Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat umfassend über alles unterrichten, was zur Wahrnehmung der Arbeitnehmerrechte von Bedeu- tung ist. Mitwirkungsrechte gelten, wenn es um Fragen der Personalplanung und der Beschäftigungssiche- rung, um neue technische Anlagen oder Arbeitsabläufe geht. Hierzu muss der Arbeitgeber den Betriebsrat anhören und sich ggf. mit ihm beraten; die Letztentscheidung liegt aber bei ihm. Die höchste Beteiligungs- form ist die Mitbestimmung. Maßnahmen, die der Mitbestimmung unterliegen, werden nur mit Zustimmung des Betriebsrats wirksam. So z.B. personelle Einzelmaßnahmen wie Einstellung und Kündigung (in Betrie- ben mit mehr als 20 Beschäftigten), soziale Angelegenheiten wie Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen oder die Ausgestaltung mobiler Arbeit. Gibt es keine Einigung, muss das Arbeitsgericht oder die Einigungsstelle entscheiden.

707 110 9/22 Die Bevölkerung der Europäischen Union Nach Schätzung des europäischen Statistikamts Eurostat lebten in der Europäischen Union mit ihren 27 Mitgliedstaaten Anfang 2022 rund 447 Millionen Menschen. Die EU verbindet Staaten ganz unterschiedli- cher Größe miteinander. So zählt Deutschland als bevölkerungsstärkstes Mitgliedsland 83,2 Mio Einwoh- ner, Malta als kleinstes nur 0,5 Mio. Die fünf „Großen“ (Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Po- len) stellen zusammen zwei Drittel der gesamten EU-Bevölkerung; ein Drittel verteilt sich auf die übrigen 22 Mitglieder. Durch den Austritt Großbritanniens verlor die EU Ende Januar 2020 ein Bevölkerungs- Schwergewicht (mit rund 67 Mio Einwohnern). Im Rückblick auf die Entwicklung seit dem Jahr 1991 verzeichnete die heutige EU-27 bis 2019 stets einen Bevölkerungszuwachs. Erst in der Corona-Pandemie ging die Bevölkerung 2020 und 2021 leicht zurück. Dessen ungeachtet lag die Einwohnerzahl der 27 Staaten Anfang 2022 um fast 28 Millionen hö- her als 1991. Allerdings verlief die Entwicklung ungleichmäßig. Einige Länder Ost- und Südosteuropas schrumpften in diesem Zeitraum: die baltischen Staaten, Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Ungarn, in gerin- gem Umfang auch Polen. Dagegen weisen die meisten westeuropäischen Staaten ein zahlenmäßig kräftiges Bevölkerungswachstum gegenüber 1991 auf: so insbesondere Frankreich, Spanien, Italien, Deutschland, Irland, die Niederlande, Belgien, Schweden und Österreich. Betrachtet man allein die natürlichen Veränderungen, so wiesen zuletzt 18 der 27 EU-Mitgliedstaaten eine negative Bilanz auf: Neben Bulgarien, Lettland, Litauen, Rumänien, Kroatien, Ungarn und Polen u.a. auch Griechenland, Italien, Spanien und Deutschland. Die EU-27 im Ganzen verzeichnete seit 2015 durchgängig einen natürlichen Bevölkerungsverlust, der sich in den Corona-Jahren 2020 und 2021 noch verstärkte, das heißt, es starben jeweils mehr Menschen als im gleichen Jahr geboren wurden. Län- gerfristig scheint für die EU ein anhaltendes Geburtendefizit vorgezeichnet. Schon seit Mitte der 1970er Jahre werden in der EU weniger Babys geboren als notwendig wären, um die jeweilige Elterngeneration zu ersetzen. Ihren Bevölkerungszuwachs seit 2015 schöpfte die EU mithin allein aus der Zuwanderung in wirtschaftlich attraktive Mitgliedstaaten (wie Luxemburg, Irland, Schweden, Deutschland, die Niederlande) oder in Län- der an den Fluchtrouten übers Mittelmeer. Innerhalb der EU kam es darüber hinaus zu Bevölkerungsver- schiebungen auf Grund der Abwanderung aus Mitgliedstaaten im Osten und Süden der Gemeinschaft.

24 111 9/21 Länder und Leute: Bevölkerung Deutschlands 1990-2020 Die offiziellen Angaben zum Bevölkerungsstand der Bundesrepublik Deutschland und der einzelnen Bun- desländer waren viele Jahre lang mit einem Fragezeichen zu versehen. Sie beruhten nämlich auf den Ergeb- nissen der Bevölkerungsfortschreibung, die mit zunehmendem Abstand von der letzten Volkszählung (im alten Bundesgebiet: 1987) immer mehr an Genauigkeit verlor. Erst mit dem Zensus von 2011 stand wieder eine zuverlässigere Datengrundlage zur Verfügung. Danach hatte die Bundesrepublik am Zen- susstichtag, dem 9. Mai 2011, rund 80,1 Mio Einwohner – 1,5 Mio weniger, als sich aus der alten Fort- schreibung ergaben. Auch die Bevölkerung der Bundesländer musste zum Teil deutlich nach unten korri- giert werden. Inzwischen liegen Rückrechnungen vor, mit denen die Abweichungen der alten Fortschreibung vom tatsächlichen Bevölkerungsstand für die Jahre ab 1991 näherungsweise korrigiert werden. Zum anderen wurde die Einwohnerzahl Deutschlands ab 2011 auf der Basis der Zensusdaten fortgeschrieben. Beherrschender Faktor der jüngsten Bevölkerungsentwicklung war die Zuwanderung von außen. Als sie in der Corona-Pandemie 2020 stockte, ging die Bevölkerungszahl erstmals seit 2011 leicht zurück (auf 83,2 Mio). Bevölkerung in 1000 1961 1970 1980 1990 2000 2010 2020 1990-2020 Baden-Württemberg 7 839 8 954 9 259 9 822 10 377 10 479 11 103 + 13,0 % Bayern 9 594 10 561 10 928 11 449 12148 12 383 13 140 + 14,8 % Berlin 3 244 3 434 3 292 + 6,7 % Brandenburg 2 625 3 201 3 049 2 578 2 580 3 278 3 664 Bremen 2 657 2 660 2 461 2 531 - 1,8 % Hamburg 712 682 656 - 0,2 % Hessen 1 841 735 694 1 652 1 676 651 680 + 12,1 % Mecklenburg-Vorpommern 4 861 1 794 1 645 5 763 6 019 1 706 1 852 + 9,2 % Niedersachsen 1 923 5 425 5 601 1 924 1 763 5 969 6 293 - 16,3 % Nordrhein-Westfalen 6 675 1 928 1 944 7 387 7 853 1 615 1 611 + 8,3 % Rheinland-Pfalz 16 029 7 122 7 256 17 350 17 854 7 779 8 003 + 3,3 % Saarland 3 439 17 005 17 058 3 764 4 030 17 545 17 926 + 8,9 % Sachsen 1 083 3 659 3 642 1 073 1 060 3 994 4 098 - 8,3 % Sachsen-Anhalt 5 450 1 121 1 066 4 764 4 383 1 002 - 14,8 % Schleswig-Holstein 3 300 5 419 5 174 2 874 2 596 4 066 984 - 24,1 % Thüringen 2 329 3 218 3 078 2 626 2 770 2 297 4 057 + 10,8 % 2 725 2 511 2 611 2 611 2 411 2 800 2 181 - 18,8 % Deutschland 2 759 2 730 2195 2 911 73 668 79 753 80 466 2 120 + 4,3 % Früheres Bundesgebiet ohne Berlin 78 069 78 397 80 222 Neue Länder einschl. Berlin 61 568 64 442 83 155 + 8,8 % 18 186 17 025 64 309 - 11,1 % Quelle: Statistisches Bundesamt 15 913 66 991 16 164 Stand jeweils am Jahresende (2020: Fortschreibungsergebnis auf Grundlage des Zensus von 2011; 2000/2010: Rückrechnungen)

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445 221 5/23 Bezahlen im Internet Der Einkauf per Internet gehört inzwischen für viele Menschen zum Alltag. Im Interesse der Anbieter liegt es, das damit verbundene Bezahlverfahren so einfach und transparent wie möglich zu gestalten. Für beide Seiten – Käufer und Verkäufer – stehen dabei Sicherheitsaspekte im Vordergrund: sie wollen sicher sein, dass zuverlässig geliefert bzw. gezahlt wird, der Zahlungsvorgang technisch reibungslos vonstattengeht und die Zahlungsdaten vor Missbrauch geschützt sind. Auch die Kosten der Zahlungsabwicklung spielen eine Rolle. Häufig geht es auch darum, den gesamten Kaufvorgang ohne Medienbruch abzuschließen, d.h. ohne den Wechsel zu einem anderen Medium, um z.B. ein Formular per Hand auszufüllen. Auf elektroni- sche Produkte im Internet soll mit der Bezahlung im Idealfall sofort zugegriffen werden können. Die klassischen Zahlungsmethoden (Kauf auf Rechnung, Vorkasse, Nachnahme, SEPA-Lastschrift oder Bezahlung per Kreditkarte) sind im Online-Handel nach wie vor weit verbreitet, zumal sie teilweise in einer elektronischen Variante zur Verfügung stehen. So ermöglichen giropay oder SOFORT noch während des Kaufs die Überweisung des fälligen Betrags per Online-Banking. Durch Angabe der Bankverbindung beim Kauf kann eine SEPA-Lastschrift ausgelöst werden. Und auch die Bezahlung per Kreditkarte, deren Daten nach der Bestellung eingegeben werden, erweist sich als einfach, besonders bei Online-Käufen im Ausland. Daneben haben sich elektronische Zahlungssysteme durchgesetzt, sogenannte E-Payment-Verfahren, bei denen Banken oder zwischengeschaltete Zahlungsdienstleister die Identifikation von Verkäufer und Käufer und den Transfer der Beträge übernehmen. Unterschiede der einzelnen Verfahren zeigen sich bei den Wegen der Identifizierung, dem Zeitpunkt der Kontobelastung, den Sicherheitsvorkehrungen, der Absicherung gegen Liefer- oder Zahlungsausfälle und den Gebühren für die Dienstleistung. Die Zahlungs- systeme des E-Payment lassen sich in mehrere Klassen unterteilen: ● E-Mail-basierte Verfahren, bei denen Mails für den Austausch der Zahlungsinformationen genutzt werden. Der Kunde unterhält ein Guthaben beim Zahlungsdienstleister oder hat seine Bank- oder Kreditkartendaten dort hinterlegt (PayPal, Amazon Pay). ● Mobile Wallets, die mithilfe einer App für mobiles Bezahlen den Kaufbetrag an den Händler weiter- leiten. Die Wallet speichert digitale Versionen von Debit- und Kreditkarten; die Autorisierung durch den Nutzer erfolgt per PIN, Fingerabdruck oder Gesichtsscan (Apple Pay, Google Wallet, Bank-Apps). ● Karten- basierte Verfahren, die vorausbezahlte Guthabenkarten nutzen und bei denen der Kunde anonym bleiben kann (z.B. paysafecard, Karten mit einem Code zur Freischaltung von Spielen, Entertainment usw.).

737 135 6/21 Bezieher von Niedriglohn Der Arbeitslohn entscheidet über den Lebensstandard der großen Bevölkerungsmehrheit; er ist ein wichti- ger Faktor der Lebenszufriedenheit. Die Höhe des (Stunden-)Lohns kann aber stark differieren – je nach Qualifikation und Berufstätigkeit der Beschäftigten, nach Wirtschaftszweig, Region und Arbeitsmarktsitu- ation, Betriebsgröße und Art des Arbeitsvertrages, nach Alter und Geschlecht. Alle vier Jahre bringt die europaweit durchgeführte Verdienststrukturerhebung Licht in die Lohnverhältnisse der beteiligten Länder. Von gesellschaftspolitischer Bedeutung ist dabei nicht nur die absolute Höhe der Löhne, sondern auch deren Streuung um einen Mittelwert bzw. die Spreizung zwischen den niedrigsten und den höchsten Lohn- segmenten. Besonderes Augenmerk gilt dem sogenannten Niedriglohnsektor. Als Niedriglohn wird für statistische Zwecke ein Lohn bezeichnet, der zwei Drittel des mittleren Bruttostundenlohns oder weniger beträgt. Der mittlere Lohn (Median) teilt die Gesamtheit der Lohnbezieher in zwei Hälften, von denen die eine weniger, die andere mehr verdient als diesen mittleren Betrag. In der EU lag der mittlere Bruttostundenlohn 2018 in Dänemark mit umgerechnet 27,20 € am höchs- ten. In Deutschland verdiente der mittlere Arbeitnehmer 17,20 € in der Stunde, in Frankreich 15,30 € und in Italien 12,60 €. Demgegenüber waren es in Kroatien und Portugal 5,40 €, in Polen 5,00 €, in Rumänien 3,70 € und in Bulgarien sogar nur 2,40 €. Niedriglohnbezieher brachten höchstens zwei Drittel dieser mittleren Beträge nach Hause, in Deutschland also 11,50 € oder weniger. Im Vergleich der EU-Länder zeigt sich, dass das Lohnspektrum in den nordischen Staaten vom mittleren Lohn nicht allzu weit nach oben und unten abweicht. Entsprechend gering ist demzufolge auch der Anteil der Arbeitnehmer, die sich mit einem Niedriglohn begnügen müssen. So bezogen in Schweden 2018 nur 3,6 % der Beschäftigten einen Niedriglohn. Auf der anderen Seite sind die Lohndifferenzen in einigen osteuropäischen Ländern, aber auch in Deutschland besonders ausgeprägt. So ist in den drei baltischen Staaten, in Polen, Bulgarien und Rumänien mehr als jeder fünfte Arbeitnehmer ein Niedriglohnbezieher – immer gemessen am mittleren Lohn des jeweiligen Landes. In Deutschland liegt der Anteil der Niedrig- lohnempfänger bei 20,7 %. EU-weit muss sich mehr als ein Siebtel der Beschäftigten (15,3 %) mit dem nationalen Niedriglohn begnügen. Besonders groß ist die Wahrscheinlichkeit, einen Niedriglohn zu bezie- hen, für Frauen (18,2 %) und jüngere Arbeitnehmer (26,3 %), für gering Qualifizierte (27,1 %) und befristet Angestellte (28,1 %).

200 701 5/22 Börsen Die Ursprünge der heutigen Börsen liegen in der frühen Neuzeit, als der Fernhandel über die Weltmeere eine Bündelung von Kapital für die aufwendigen Seereisen erforderlich machte und zu diesem Zweck erste Aktiengesellschaften entstanden. Führend im Fernhandel waren damals niederländische Hafenstädte wie Brügge und Antwerpen, wo die ersten Börsen entstanden. Dort wurden die Handelswaren umgeschla- gen, von Kaufleuten erworben und neue Geschäfte vereinbart, kurz: dort trafen Angebot und Nachfrage von fernher aufeinander. Und genau darin liegt bis heute die Kernfunktion der Börse: Als große Handels- plattform führt sie Käufer und Verkäufer zueinander. Die Geschäfte selbst werden allerdings durch Mittels- leute getätigt, die zum Handel an der Börse berechtigt sind. Das können freie Makler (Broker) sein oder auch Banken und andere Finanzinstitutionen. Während früher auf dem Börsenparkett in Person und per Handzeichen gehandelt wurde, erfolgt der Großteil der Börsengeschäfte heute virtuell per Mausklick. Wenn in den Nachrichten von Börsen die Rede ist, sind meist Effektenbörsen gemeint. Dort werden aus- schließlich Wertpapiere gehandelt. Bei Wertpapieren handelt es sich um Schriftstücke, die Vermögens- rechte bestätigen. Eine Aktie zum Beispiel verbrieft das Recht ihres Besitzers auf einen bestimmten Teil des Kapitals von einem Unternehmen. Erwirbt ein Anleger eine Unternehmensaktie, wird er damit zum Teilhaber des Unternehmens. Entwickelt sich das Unternehmen gut, steigt der Wert seiner Aktien und sie können mit Gewinn verkauft werden. Für das Unternehmen liegt der Vorteil darin, dass es über die Ausgabe (Emission) von Aktien an der Börse Kapital für Investitionen gewinnen kann. Es gibt aber auch noch andere Börsenformen. An Devisenbörsen wird mit Währungen gehandelt. Die dortigen Marktteilnehmer sind in der Regel Banken, Privatanleger sind nur in begrenztem Umfang zugelas- sen. An Warenbörsen werden, wie der Name schon sagt, Waren gehandelt. Entscheidend ist, dass die Waren börsenfähig sind. Dazu müssen sie miteinander vergleichbar („fungibel“) sein. Das gilt für Edel- metalle oder Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas oder Getreide, nicht aber für Immobilien oder Maschinen, die deshalb auch nicht an der Börse gehandelt werden können. Damit Börsen ihre Funktion als Handelsplattformen mit fairen und transparenten Geschäftsabläufen wahr- nehmen können, werden sie von einer Börsenaufsicht überwacht. Diese sorgt für eine ordnungsgemäße Kursfeststellung und achtet auf die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Regeln. In Deutschland sind diese Regeln unter anderem im Börsengesetz und im Wertpapierhandelsgesetz festgelegt.

286 141 1/21 Bruttoverdienste von Männern und Frauen Berufstätige Frauen verdienen in Deutschland deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen. Das zeigen die Zahlen der Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamts für das 2. Quartal 2020. Danach kamen die vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Produzierenden Gewerbe und im Dienst- leistungsbereich der Bundesrepublik auf einen durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von 24,22 € (ohne Sonderzahlungen). Männer bezogen im Durchschnitt 25,20 €; Frauen blieben mit 21,92 € um mehr als 3 € dahinter zurück. Die Durchschnittsverdienste liefern allerdings nur ein grobes Bild der Lohnverhältnisse, unter denen die Beschäftigten in Deutschland arbeiten. Je nach Wirtschaftszweig, Status oder Leistungsgruppe können die Bruttolöhne und -gehälter für beide Geschlechter deutlich von den genannten Mittelwerten abwei- chen. Auch im Ost-West-Vergleich sind die Verdienstunterschiede nach wie vor beträchtlich. Es lohnt sich also, genauer hinzusehen. Nimmt man die einzelnen Branchen, auf die sich die Verdiensterhebung erstreckt, so schwanken die Durchschnittsverdienste der Vollzeitbeschäftigten – Männer und Frauen zusammengenommen – zwischen mehr als 40 € in einigen Zweigen der Finanz- und Versicherungswirtschaft und knapp 14 € in Restau- rants, Cafés usw. Niedrig ist das Lohnniveau auch in Zeitarbeitsunternehmen, in bestimmten Sparten des Ernährungsgewerbes, im Textilgewerbe oder im Einzelhandel, weit überdurchschnittlich dagegen in Bran- chen wie der Chemischen Industrie, der Automobilindustrie, der Mineralölverarbeitung, der Luft- und Raumfahrtindustrie und generell im Bereich der Finanzdienstleistungen. Wie hoch das Verdienstniveau indessen auch sein mag: von Ausnahmen abgesehen haben die weibli- chen Beschäftigten am Monatsende stets weniger auf dem Lohnkonto als ihre männlichen Kollegen. Männer besetzen häufiger Posten, die eine höhere Qualifikation erfordern oder mit Führungsfunktionen ausgestattet und daher besser dotiert sind, während Frauen eher mit den einfacheren Büro- und Ferti- gungstätigkeiten vorliebnehmen müssen. Hätten Frauen die gleichen Tätigkeiten wie die Männer, würde sich der Verdienstabstand deutlich reduzieren. Als weitere Ursachen der Lohndifferenzen kommen die Dauer der Betriebszugehörigkeit, der Familienstand oder die Unternehmensgröße in Frage. Werden auch sie ausgeschaltet, bleibt aber noch immer ein Rest-Unterschied: 2018 belief sich dieser bereinigte Gender Pay Gap nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts auf 6 %.

194 133 8/20 Bundeshaushalt 2020 im Zeichen der Corona-Krise Der Bundeshaushalt ist in Zahlen gegossene Politik. Mit dem Haushaltsplan legt die Parlamentsmehrheit das Ausgabenprogramm für die von ihr getragene Regierung im kommenden Jahr fest und stimmt es mit den Einnahmen ab. Aber die Planung geht nicht immer auf. Schon durch vorübergehende Konjunktur- schwankungen können Einnahmen und Ausgaben aus der Balance geraten. Umso mehr, wenn unvorher- sehbare große Herausforderungen zu bewältigen sind. Allein in den letzten dreißig Jahren durchkreuzten in Deutschland mehrere umstürzende Ereignisse das sorgsam geplante Finanzkonzept: 1989/90 die deut- sche Einigung, 2008/2009 die Finanz- und Schuldenkrise und nun, 2020, die Corona-Pandemie. 2019 hatte der Bundeshaushalt zum sechsten Mal in Folge mit einem Überschuss abgeschlossen; die gesamtstaatliche Schuldenquote sank nach 17 Jahren erstmals wieder unter die Maastricht-Schwelle von 60 % des BIP. Der im November 2019 verabschiedete Haushalt für 2020 mit einem Volumen von 362,0 Mrd Euro sollte erneut ohne Schuldenaufnahme auskommen. Im März 2020 erzwang die heraufziehende Corona-Pandemie aber ein radikales Umsteuern. Finanzminister Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) verständigten sich auf ein umfangreiches Maßnahmenpaket, um die wirtschaftlichen Auswir- kungen des Corona-Virus abzufedern – mit erweiterten Kurzarbeiterregelungen für Arbeitnehmer, Finanzhil- fen und Bürgschaften für Selbstständige und Unternehmen. Hinzu kamen Maßnahmen zur Stärkung des Gesundheitswesens. Ende März verabschiedete der Bundestag einen ersten Nachtragshaushalt mit einem Volumen von 122,5 Mrd Euro. Zugleich billigte er die Überschreitung der geltenden Kreditobergrenze nach Art. 115 GG auf Grund der „außergewöhnlichen Notsituation“. Die Steuerschätzung vom Mai 2020 ließ allein für den Bund Mindereinnahmen von 43 Mrd Euro im laufen- den Jahr erwarten. Währenddessen arbeitete die Bundesregierung aber schon an einem „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“, das u.a. zusätzliche familien- und sozialpolitische Leistungen, weitere Hilfen für kleinere und mittlere Unternehmen, Ausgleichszahlungen für Gewerbesteuerausfälle bei den Kommunen, Kaufprämien für Elektroautos, eine Entlastung bei den Stromkosten und Hilfen für den öffentli- chen Nahverkehr umfasste. Zur Stützung der Konjunktur sah es außerdem die Senkung der Mehrsteuer (von 19 auf 16 % bzw. 7 auf 5 %) im zweiten Halbjahr 2020 vor. Mit dem zweiten Nachtragshaushalt wurden diese Vorhaben am 2. Juli vom Bundestag bewilligt. Das Gesamtvolumen des Bundeshaushalts 2020 stieg dadurch auf 508,5 Mrd Euro, die vorgesehene Netto-Neuverschuldung auf 217,8 Mrd Euro.

194 133 8/21 Bundeshaushalt 2021 Der Bundeshaushalt ist in Zahlen gegossene Politik. Mit dem Haushaltsplan legt der Bundestag das Aus- gabenprogramm für das kommende Jahr fest und stimmt es mit den Einnahmen ab. Aber die Planung geht nicht immer auf. Schon durch vorübergehende Konjunkturschwankungen können Einnahmen und Ausgaben aus der Balance geraten. Umso mehr, wenn unvorhersehbare große Herausforderungen zu bewältigen sind. Allein den letzten drei Jahrzehnten durchkreuzten in Deutschland mehrere umstürzende Ereignisse das sorgsam geplante Finanzkonzept: 1989/90 die deutsche Einigung, 2008/09 die Finanz- und Schuldenkrise und nun, 2020/21, die Corona-Pandemie. 2019 hatte der Bundeshaushalt zum sechsten Mal in Folge mit einem Überschuss abgeschlossen; die gesamtstaatliche Schuldenquote sank nach 17 Jahren erstmals wieder unter die Maastricht-Schwelle von 60 % des BIP. Der Haushalt für 2020 sollte erneut ohne Schuldenaufnahme auskommen. Im März 2020 erzwang die heraufziehende Corona-Pandemie aber ein radikales Umsteuern. Um die wirtschaftlichen Auswirkungen des Corona-Virus abzufedern, wurde ein umfangreiches Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht – mit erweiterten Kurzarbeiterregelungen für Arbeitnehmer, Finanzhilfen und Bürgschaften für Selbstständige und Unternehmen. Ende März verabschiedete der Bundestag einen ersten Nachtrags- haushalt. Zugleich billigte er die Überschreitung der geltenden Kreditobergrenze nach Art. 115 GG auf Grund der „außergewöhnlichen Notsituation“. Für das im zweiten Halbjahr 2020 aufgelegte „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ war ein weiterer Nachtragshaushalt erforderlich, der das Gesamtvolumen des Bundeshaushalts auf 508,5 Mrd € steigen ließ. Das Paket umfasste u.a. zusätzliche familien- und sozial- politische Leistungen, weitere Hilfen für Unternehmen, Ausgleichszahlungen für die Kommunen, Kaufprä- mien für Elektroautos und Hilfen für den öffentlichen Nahverkehr. Außerdem sah es die Senkung der Mehrwertsteuer auf 16 % bzw. 5 % im zweiten Halbjahr 2020 vor. Da die Mittel zum Teil aber nur verzögert abflossen, schloss der Haushalt 2020 mit Ausgaben von 441,8 Mrd € und einem Defizit von 130,5 Mrd €. Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen waren damit aber längst noch nicht bewältigt. Deshalb wur- de der Bundeshaushalt 2021 (einschließlich des Nachtragshaushalts vom Juni) sogar noch großzügiger dimensioniert. Bei geplanten Ausgaben von 547,7 Mrd € sollen bis zu 240,2 Mrd € durch Kredite finanziert werden. So bleibt Spielraum für zusätzliche Hilfs- und Schutzmaßnahmen, für die Finanzierung der Corona- Impfungen und andere Herausforderungen.

194 133 2/23 Bundeshaushalt 2023 Der Bundeshaushalt ist in Zahlen gegossene Politik. Mit dem Haushaltsplan legt der Bundestag das Aus- gabenprogramm für das kommende Jahr fest und stimmt es mit den Einnahmen ab. Aber die Planung geht nicht immer auf. Schon durch vorübergehende Konjunkturschwankungen können Einnahmen und Ausgaben aus der Balance geraten. Umso mehr, wenn unvorhergesehene große Herausforderungen zu bewältigen sind. Allein seit Ende der 1980er Jahre durchkreuzten mehrere umstürzende Ereignisse die sorgsam geplanten Finanzkonzepte: 1989/90 die deutsche Einigung, 2008/09 die Finanz- und Schulden- krise, 2020/21 die Corona-Pandemie und nun, 2022/23, der Krieg Russlands gegen die Ukraine. 2019 hatte der Bundeshaushalt zum sechsten Mal in Folge mit einem Überschuss abgeschlossen; die gesamtstaatliche Schuldenquote sank nach 17 Jahren erstmals wieder unter die Schwelle von 60 % des BIP. Dann erzwang die heraufziehende Corona-Pandemie jedoch ein radikales Umsteuern. Um die wirt- schaftlichen Auswirkungen des Corona-Virus abzufedern, wurden 2020 und 2021 mehrere milliarden- schwere Hilfspakete aufgelegt, deren Finanzierung eine massive Neuverschuldung notwendig machte. Die Schuldenbremse, die das eigentlich verhindern soll, wurde auf Grund der „außergewöhnlichen Notsitu- ation“ vorübergehend ausgesetzt. Auch 2022 gab es noch keine Rückkehr zur finanzpolitischen Normali- tät. Während die Belastungen durch die Corona-Krise immer noch andauerten, machte der Ukraine-Krieg neue Maßnahmen notwendig, um Wirtschaft und Verbraucher gegen die Folgen des Krieges, vor allem die massiv gestiegenen Kosten der Gas- und Stromversorgung, abzuschirmen. Die krisen- und kriegsbe- dingten Mehrausgaben belasten den Bundeshaushalt auch 2023. Gleichzeitig sollen aber die Investitionen in Klimaschutz, Digitalisierung, Infrastruktur sowie Bildung und Forschung verstärkt werden. Der Haushaltsplan für 2023 sieht Gesamtausgaben von 476,3 Mrd € vor, gegenüber dem Ist des Vorjahrs ein Rückgang um 5 Mrd €. Trotz spürbarer Steuerentlastungen zum Ausgleich der „kalten Progression“ wird mit deutlich höheren Steuereinnahmen gerechnet. Die Entnahme aus Rücklagen soll mit 40,5 Mrd € zur Haushaltsfinanzierung beitragen, so dass die Netto-Neuverschuldung auf 45,6 Mrd € gedrosselt und die Schuldenbremse wieder eingehalten werden kann. Der Bundesrechnungshof kritisiert allerdings, dass der Haushaltsplan nur ein unvollständiges Bild der Bundesfinanzen abgibt, da die Ausgaben für wichtige Politikbereiche in den letzten Jahren in Sondervermögen ausgelagert wurden. Die echte Nettokreditauf- nahme sei viel höher, als aus ihm hervorgeht.

236 120 3/23 Bundesverband der Deutschen Industrie – BDI Im Zuge der Industrialisierung bildeten sich in Deutschland schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Branchenvereinigungen auf Unternehmerseite. Aus dem gemeinsamen Schutzzollinteresse der Stahl- und der Baumwollindustrie entstand 1876 der Centralverband deutscher Industrieller, der bereits die Funktion eines „Verbands der Verbände“ für sich beanspruchte, aber doch nur für einen Teil der Indust- rie sprechen konnte. So wurde als Vertretung der exportorientierten Industrien 1895 der Bund deutscher Industrieller gegründet. Erst 1919 ging aus der Vereinigung beider Organisationen der Reichsverband der deutschen Industrie hervor. Dieser wurde 1933 aufgelöst bzw. in die „Reichsgruppe Industrie“ der Organi- sation der gewerblichen Wirtschaft überführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg konstituierten sich in den westli- chen Besatzungszonen zunächst einzelne Wirtschafts- und Fachverbände, die Ende Mai 1949 im Ausschuss für Wirtschaftsfragen eine erste branchenübergreifende Verbindung eingingen. Im Oktober 1949 erfolgte die Gründung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Heute gehören dem BDI 39 Mitgliedsverbände an – fachliche Spitzenverbände der Industrie und der industrienahen Dienstleister vom Verband der Automobilindustrie bis zum Verein der Zuckerindustrie. Der BDI als Dachorganisation sieht seine Aufgabe darin, die gemeinsamen wirtschaftspolitischen Interes- sen der deutschen Industrie gegenüber Parlament, Regierung, Parteien, Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Gruppen zu vertreten und auch auf europäischer und globaler Ebene zur Geltung zu bringen. Er leistet außerdem Beratungs-, Informations- und Koordinationsdienste für seine Mitgliedsver- bände. Die Schwerpunkte seiner Arbeit liegen in den Bereichen Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik, Finanzpolitik und Recht, Infrastruktur- und Verkehrspolitik, Energie- und Rohstoffpolitik, Außenwirtschaft, Europapolitik und Mittelstandspolitik. Organe des BDI, der die Rechtsform eines eingetragenen Vereins hat, sind die Mitgliederversammlung, in der jeder Mitgliedsverband ein nach der Beschäftigtenzahl abgestuftes Stimmgewicht besitzt, der Vor- stand und das Präsidium. Die laufenden Aufgaben nimmt die Hauptgeschäftsführung wahr. Seinen Sitz hat der BDI seit 1999 in Berlin. Daneben unterhält er zusammen mit dem Arbeitgeberverband (BDA) eine Repräsentanz in Brüssel. Auf europäischer Ebene ist er im Dachverband BusinessEurope organisiert. Er wirkt außerdem im Business and Industry Advisory Committee (BIAC), einem beratenden Gremium der Industrieländer-Organisation OECD, und in zahlreichen anderen internationalen Foren mit.

174 088 2/23 Das neue Bürgergeld Mit der Einführung des Arbeitslosengelds II (ALG II) im Jahr 2005 wurde die Grundsicherung für Langzeit- arbeitslose und ihre Haushaltsangehörigen auf eine neue Basis gestellt. Das oft kritisierte Nebeneinander von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wurde abgeschafft. Nach dem Grundsatz „Fordern und Fördern“ sollte Hilfe geleistet, aber auch die Selbstverantwortung der Hilfesuchenden mobilisiert werden. Millionen Men- schen erhielten seitdem Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, aber unter dem Kürzel „Hartz IV“ wurde sie auch zum Schreckbild des sozialen Abstiegs, der Verarmung und einer unbarmherzi- gen Sozialbürokratie. Am 1.1.2023 wurde Hartz IV durch das Bürgergeld abgelöst. Die gesetzliche Neuregelung ersetzte nicht nur die belasteten alten Begriffe durch einen neuen, sondern brachte zahlreiche weitere Änderungen mit sich, die Härten der vorherigen Regelung abschwächen und den Bedürfnissen der Leistungsbezieher ent- gegenkommen sollen. Für die Bezieher der Grundsicherung sofort spürbar war die kräftige Anhebung der Regelsätze des Bürgergelds, das an die Stelle des bisherigen Arbeitslosengelds II und des Sozial- gelds für die nichterwerbsfähigen Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft trat. Künftig sollen die Regelsätze nicht erst rückwirkend, sondern vorausschauend an die Preisentwicklung angepasst werden. Damit die Bezieher des Bürgergelds in Ruhe nach einem neuen Arbeitsplatz Ausschau halten können, gilt das erste Jahr des Leistungsbezugs als Karenzzeit, in der die Wohnungskosten in vollem Umfang und die Heizkosten in angemessener Höhe übernommen werden. Auf vorhandenes Vermögen muss in dieser Zeit erst ab 40 000 Euro bei der leistungsberechtigten Person bzw. ab 15 000 Euro bei den übrigen Ange- hörigen der Bedarfsgemeinschaft zurückgegriffen werden. Nach der Karenzzeit gilt ein Freibetrag von 15 000 Euro je Person, der auch zwischen den Beteiligten übertragen werden kann. Ein selbstgenutztes Haus bzw. eine Eigentumswohnung bleibt unberücksichtigt. Weitere Änderungen: Der Vorrang der Vermittlung in Arbeit ist abgeschafft. Zur Verbesserung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt kann es sinnvoll sein, zuerst eine berufliche Weiterbildung zu absolvieren. An die Stelle der bisherigen Eingliederungsvereinbarung tritt ein Kooperationsplan, der zwischen den Leistungs- berechtigten und den Fachkräften des Jobcenters ausgearbeitet wird. Leistungsbezieher, die sich weigern, eine zumutbare Arbeit anzutreten oder sonstige Pflichten verletzen, müssen weiterhin mit Leistungs- kürzungen (Sanktionen) rechnen; diese sind aber auf maximal 30 % des Regelbedarfs begrenzt.

126 309 1/21 CO2-Fußabdruck Durch menschliche Aktivitäten wird in Deutschland jährlich der Ausstoß von mehr als 800 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) verursacht. Jeder Einzelne trägt damit seinen Teil zum Klimawandel bei. Aber es fällt offenbar schwer, den Gesamtwert der CO2-Emissionen mit den eigenen alltäglichen Handlungen – essen, reisen, einkaufen – in Verbindung zu bringen. Mit Hilfe des persönlichen CO2-Fußabrucks lässt sich besser fassbar machen, welche Spur der Einzelne in der Umwelt hinterlässt. Dazu wird über den Zeitraum eines Jahres bilanziert, welchen Ausstoß an Kohlendioxid eine Person mit ihren Verhaltensweisen bewirkt: Der Lebensstil wird in Emissionen übersetzt. Als Vergleichsgröße dient der auf jeden Bürger entfallende durch- schnittliche CO2-Ausstoß, wie er sich aus der Umweltökonomischen Gesamtrechnung des Statistischen Bundesamtes und der Treibhausgasbilanz des Umweltbundesamtes ableiten lässt. In Form von CO2-Äqui- valenten werden darin auch Treibhausgase wie Methan oder Lachgas berücksichtigt, ebenso der von Flugzeugen in großer Höhe ausgestoßene Wasserdampf (sog. Flugäquivalente). Der rechnerische Pro-Kopf-Ausstoß erreicht danach eine Größenordnung von über 11 Tonnen CO2 pro Jahr. Davon entfallen im Schnitt rund 2,0 t auf ● Heizung und Warmwasserverbrauch. Je nach Größe, Art und Alter der Wohnung kann der individuelle Wert davon erheblich abweichen. So benötigt ein Niedrig- energiehaus nur ein Drittel der Heizenergie, die für einen Standardbau aus dem Jahr 1980 gebraucht wird. Wie beim ● Stromverbrauch kommt es hier nicht nur auf die Verbrauchsmenge, sondern auch auf die eingesetzten Energieträger an. Im deutschen Strommix, der dem Durchschnitts-CO2-Ausstoß zugrunde liegt, überwiegen fossile Energieträger. Nutzt man Strom aus regenerativen Energiequellen, fällt nur ein Bruchteil der sonst entstehenden Emissionen an. Die ● Mobilität schlägt jährlich mit 2,1 t CO2 zu Buche. Dieser Wert ergibt sich bei einer Fahrstrecke von rund 6 000 km mit dem eigenen Pkw und etwa vier Flug- stunden im Jahr. Reduziert wird er durch die alternative Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Für die Emissionsbilanz der ● Ernährung ist der Anteil von Fleisch und Milchprodukten entscheidend. So liegen die Emissionen bei einer fleischbetonten Ernährung um 1,1 t höher als bei veganer Ernährung. Auf den ● Konsum von Waren und Dienstleistungen gehen im Durchschnitt 3,8 t CO2 pro Person zurück; je nach persönlichem Kaufverhalten kann der individuelle Wert stark davon abweichen. Die ● öffentlichen Emissionen aus staatlicher Verwaltung, Infrastrukturmaßnahmen oder Versorgungsdiensten werden auf die einzelnen Bürger umgelegt und bilden mit 0,9 t den „Grundstock“ der persönlichen Emissionsbilanz.

390 674 3/23 Das Lieferkettengesetz Über ihre weit gespannten Lieferketten beziehen Unternehmen Vorprodukte und Dienstleistungen aus der ganzen Welt, die dann in ihre eigene Produktion einfließen. Daraus erwächst ihnen eine Verantwortung für die Bedingungen, unter denen diese Leistungen erbracht werden. Die vom UN-Menschenrechtsrat im Juni 2011 beschlossenen Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte wollen die Verletzung von Men- schenrechten durch Wirtschaftsunternehmen verhindern. Sie verlangen von den Unternehmen, die men- schenrechtlichen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit – auch im Vorfeld ihrer eigenen Produktion – zu überprüfen und gegebenenfalls Abhilfe zu schaffen. Der Staat soll durch geeignete Maßnahmen dafür sor- gen, dass die Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen. In Deutschland setzte die Regierung zunächst auf das freiwillige Engagement der Unternehmen. Als die erhoffte Resonanz ausblieb, brachte sie das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“, kurz: Lieferkettengesetz, auf den Weg. Das Gesetz verpflichtet in Deutschland ansässige Unternehmen, ihrer Verantwortung in globalen Lieferket- ten nachzukommen. Sie müssen prüfen, ob es im eigenen Unternehmen oder innerhalb der Lieferkette menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken gibt, und dann tätig werden, um diese Risiken zu mini- mieren, ihnen vorbeugend zu begegnen oder Abhilfe zu schaffen. Zur Lieferkette gehören laut Gesetz alle Schritte im In- und Ausland, die für die Produktion oder die Dienstleistungen eines Unternehmens erforder- lich sind – von der Rohstoffgewinnung bis zur Auslieferung an die Endkunden. Maßstab der Überprüfung sind die in internationalen Konventionen verankerten Menschenrechts- und Umweltstandards wie das Verbot der Kinderarbeit oder der Zwangsarbeit. Die Überprüfung erstreckt sich auf das eigene Unterneh- men und die vertraglich gebundenen unmittelbaren Zulieferer. Bei mittelbaren Zulieferern soll ein Unter- nehmen fallweise reagieren, wenn es begründete Hinweise auf eine Menschenrechtsverletzung gibt. Um ihre Sorgfaltspflichten zu erfüllen, müssen die Unternehmen ein Risikomanagement einrichten, das in der Lage ist, die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken aufzuspüren. Sie müssen u.a. einmal jährlich oder aus gegebenem Anlass eine Risikoanalyse erstellen, Präventions- und Abhilfemaß- nahmen entwickeln und ein Beschwerdeverfahren einrichten. Das Gesetz ist seit Anfang 2023 in Kraft, zu- nächst für Unternehmen mit 3 000 und mehr Beschäftigten, ab 2024 für die etwa 2 900 Unternehmen mit 1 000 und mehr Beschäftigten. Als Zulieferer sind aber auch kleine und mittlere Unternehmen betroffen.

726 295 9/22 Die Dauer des Arbeitslebens Im Rahmen ihrer Strategie „Europa 2020“ strebte die Europäische Union eine deutliche Steigerung der Beschäftigung an: Am Ende des Jahrzehnts sollten 75 % der EU-Bürger zwischen 20 und 64 Jahren aktiv im Erwerbsleben stehen. Das Motiv dafür leuchtet ein: Mit einem hohen Beschäftigungsstand und dem daraus resultierenden Wohlstandsgewinn lassen sich die sozial- und wirtschaftspolitischen Herausforde- rungen besser bewältigen. Er trägt zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit bei, erleichtert die Armutsbe- kämpfung und hilft nicht zuletzt, die Lasten der alternden Gesellschaft zu tragen. Ein Faktor, der mit der Beschäftigungsquote in enger Verbindung steht, ist die Dauer des aktiven Arbeits- lebens. Diese wird in jüngeren Jahren durch die Länge der Ausbildung eingegrenzt und bei den älteren Jahrgängen, abgesehen von vorzeitigen Todesfällen, durch den Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand. Bei Frauen fällt auch die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit durch Phasen der Kindererziehung ins Ge- wicht. Hinzu kommt, dass Frauen in einzelnen EU-Ländern traditionell weniger stark in den Arbeitsmarkt eingegliedert sind. Werden all diese Aspekte nach dem Stand von 2021 berücksichtigt, haben die Bürger der 27 EU-Länder im Alter von 15 Jahren ein aktives Arbeitsleben von 36,0 Jahren vor sich. Männer sind im Durchschnitt noch 38,2 Jahre tätig, Frauen noch 33,7 Jahre. Seit dem Jahr 2000 hat sich die zu erwartende Zeitspanne aktiver Arbeit in der EU um durchschnittlich 3,7 Jahre verlängert – für Männer um 2,4 Jahre, für Frauen um 5,0 Jahre. Der Grund: Frauen haben sich zunehmend ins Arbeitsleben integriert und beide Geschlech- ter gehen etwas später in den Ruhestand. Die Unterschiede zwischen den EU-Ländern sind aber nach wie vor groß. So wird in den nördlichen EU- Ländern besonders lange gearbeitet: Die Niederlande liegen mit 42,5 Jahren aktiven Arbeitslebens an der Spitze. Schweden (42,3 Jahre), Dänemark (40,3 Jahre) und Deutschland (38,8 Jahre) rangieren ebenfalls deutlich über dem Durchschnitt. Wesentlich kürzer als in der EU-27 insgesamt sind die unter den heutigen Gegebenheiten zu erwartenden Lebensarbeitszeiten hingegen in Polen (34,3 Jahre), Belgien (34,0 Jahre), Griechenland (32,9 Jahre) und Italien (31,6 Jahre). In Rumänien – am unteren Ende der Skala – ist ein durchschnittliches Arbeitsleben mit 31,3 Jahren sogar um rund 11 Jahre kürzer als in den Niederlanden. Rumänien ist auch das einzige EU-Land, in dem sich die erwartbare Lebensarbeitszeit gegenüber dem Jahr 2000 deutlich verringert hat.

149 432 3/22 Die Dauer des Rentenbezugs Wer heute ins Rentenalter eintritt, hat in der Regel noch einen ausgedehnten Lebensabend vor sich. Die steigende Lebenserwartung bringt es mit sich, dass die Rentnerinnen und Rentner ihren Ruhe- stand viel länger genießen können, als es vor einigen Jahren oder Jahrzehnten noch der Fall war. Nach den derzeitigen Gegebenheiten hat ein 65-jähriger Mann im Durchschnitt noch fast 18 Jahre, eine 65- jährige Frau noch mehr als 21 Jahre zu leben. Längere Lebenszeiten sind eine der Ursachen dafür, dass der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung ständig zunimmt. Schon hat fast jede vierte Frau (24,3 %) und jeder fünfte Mann (19,6 %) die Schwelle von 65 Jahren überschritten. Und der gesellschaft- liche Alterungsprozess setzt sich fort. Bis zum Jahr 2030 steigt der Anteil der Über-65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung nach der aktuellen mittelfristigen Vorausberechnung des Statistischen Bundesamts voraussichtlich auf rund 25%. Für die Sozialsysteme, insbesondere die Rentenversicherung, wirft diese Entwicklung erhebliche Proble- me auf. So ist das durchschnittliche „Wegfallsalter“ – das Jahr, indem die Rentenzahlungen mit dem Tod der Versicherten enden – zwischen 1960 und 2020 von 68,3 auf 80,3 Jahre gestiegen. Die Renten müssen also um so viel länger gezahlt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Zeitspanne des Renten- bezugs auch zur anderen Seite hin ausdehnte. Erwerbsunfähigkeitsrenten werden früher zugesprochen als noch vor einigen Jahrzehnten und der Übergang in die Altersrente erfolgt immer noch weit vor der re- gulären Altersgrenze. Beide Faktoren – früherer Renteneintritt und höhere Lebenserwartung – haben zur Folge, dass die Renten länger in Anspruch genommen werden. So verlängerte sich die mittlere Rentenbe- zugsdauer der Versicherten von 9,9 Jahren (1960) auf zuletzt 20,2 Jahre (2020). Männer, die 2020 ver- starben, hatten zuvor durchschnittlich 18,5 Jahre lang Rente bezogen, Frauen sogar 22,0 Jahre. Dieser Tendenz zu begegnen und damit die Rentenversicherung vor drohender Überlastung zu bewah- ren, war das Ziel der Rentenreformen, die seit Anfang der 1990er Jahre unternommen wurden. Vor allem durch Anhebung der Altersgrenzen für den Rentenbeginn sollte das Verhältnis zwischen Lebensarbeits- zeit und Rentenbezugsdauer, zwischen Beitragsleistung und Rentenverzehr, wieder besser ausbalanciert werden. Zusätzlich wurden die Möglichkeiten der Frühverrentung eingeschränkt und Abschläge bei vorzei- tigem Rentenbeginn eingeführt. Infolgedessen ist das Renteneintrittsalter zuletzt wieder merklich angestie- gen – im Durchschnitt von 60,2 Jahren (2000) auf 62,2 Jahre (2020).

200 360 10/02 Deflation – die unterschätzte Gefahr Im Zentrum der internationalen Wirtschafts- und Währungspolitik stand in den letzten Jahrzehnten die Wahrung der Geldwertstabilität. Die rückläufigen Inflationsraten vieler Volkswirtschaften zeigen, wie er- folgreich diese Politik war. Kaum scheint aber die Geißel der Inflation besiegt zu sein, taucht eine womög- lich noch größere Gefahr am Horizont auf: Erstmals seit der großen Depression der Zwanziger Jahre gibt es wieder ernst zu nehmende Besorgnisse, die Weltwirtschaft könne in eine Deflation abgleiten. Deflation lässt sich definieren als „anhaltender Rückgang des allgemeinen Preisniveaus“. Dass in einer Volkswirtschaft einzelne Preise sinken, ist nichts Ungewöhnliches und sogar wünschenswert, denn es zeigt, dass Produktivitätsgewinne bei bestimmten Erzeugnissen durch niedrigere Preise an die Ver- braucher weitergegeben werden, so dass die Nachfrage nach diesen Gütern angeregt wird (vgl. die Entwicklung der Preise für Computer oder Telekommunikationsdienste). Wenn die Preise aber auf breiter Front nachgeben, droht die Gefahr einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale, der nur äußerst schwer wieder zu entkommen ist. Auslöser einer deflationären Entwicklung kann ein Börsencrash sein („Schwarzer Freitag“ 1929, Platzen der „Spekulationsblase“ in Japan Ende der 1980er Jahre). Die daraus folgende Verunsicherung der Inves- toren und Verbraucher lässt die Güter- und Kreditnachfrage schrumpfen. Preiszugeständnisse der Pro- duzenten und sinkende Notenbankzinsen sollen der schwachen Nachfrage wieder aufhelfen; besteht aber die Aussicht, dass Preise und Zinsen weiter nachgeben, werden Investitionen und Anschaffungen noch länger hinausgeschoben. Schließlich gerät das gesamte Preisniveau ins Rutschen, ohne dass die erhoffte stimulierende Wirkung eintritt. Um den Druck auf die Preise und die sinkenden Einnahmen aufzufangen, schlagen Unternehmen und öffentliche Hand einen scharfen Sparkurs ein. Ausgaben werden zusammen- gestrichen, Arbeitsplätze abgebaut, die Löhne der Beschäftigten gekürzt – freilich auf Kosten einer wei- teren Verschärfung des Nachfragerückgangs, steigender Arbeitslosigkeit, zunehmender Insolvenzen und wachsender sozialer Lasten. Am Ende versinkt die Wirtschaft in einer schier ausweglosen Depression. Was lässt sich tun, um ein solches Szenario zu vermeiden? Eine für die US-Notenbank erstellte Untersuchung der japanischen Deflationskrise der neunziger Jahre kommt zu dem Schluss, dass einer drohenden Deflation schon im Frühstadium und vor allem mutig begegnet werden muss: Durch eine rasche und deutliche Senkung der Leitzinsen und eine kräftige Ausweitung der staatlichen Ausgaben. Deflation – Gefahr für die Wirtschaft Beispiel einer deflationären Abwärtsspirale Güternachfrage Preise sinken schwächt sich ab auf breiter Front Kreditnachfrage Zinsen schrumpft geben nach In Erwartung weiterer Abbau Preis- und Zinssenkungen von Arbeits- plätzen werden Investitionen Lohnkürzungen und private Anschaffungen Banken- aufgeschoben zusammenbrüche, Insolvenzen . . . Nachfrage und Produktion © Bergmoser + Höller Verlag AG gehen weiter zurück ZAHLENBILDER 200 360

603 177 6/21 Demografische Dividende Die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer durchlaufen eine Phase des demografischen Übergangs, in dem die vorher hohen Geburtenzahlen sinken und sich auf niedrigerem Niveau einpendeln. Diese Abkehr von der traditionellen Bevölkerungsweise zieht weitreichende Veränderungen im Altersaufbau der je- weiligen Gesellschaft nach sich. Für eine Übergangszeit sinkt der Anteil der Kinder an der Gesamtbevöl- kerung. Da die Jahrgänge der Alten wegen der begrenzten Lebenserwartung aber meist noch nicht sehr stark besetzt sind, stellen die Menschen im erwerbsfähigen Alter – zwischen 15 und 64 Jahren – einen höheren Anteil an der Bevölkerung als je zuvor. Dieser Anteil schrumpft erst wieder, wenn mit sinkender Sterblichkeit mehr Menschen ein hohes Alter erreichen. In der Zwischenzeit eröffnet sich eine Chance, das betreffende Land wirtschaftlich und sozial ein großes Stück voranzubringen. Wenn es gelingt, erntet es eine „demografische Dividende“. Ein hoher Bevölkerungsanteil der mittleren Altersgruppen ist nur eine Voraussetzung dafür. Er bedeutet zunächst, dass sie insgesamt weniger Kinder versorgen müssen, als es vor dem Geburtenrückgang der Fall war. So können sie ihren Kindern größere Aufmerksamkeit zukommen lassen, sie besser ernähren und gesund erhalten, ihnen eine bessere Bildung ermöglichen und sie für ein produktiveres Leben vorbe- reiten. Dafür ist es aber erforderlich, dass die eigenständige Rolle vor allem der Frauen und Mädchen gestärkt wird. Mädchen und Jungen müssen gleichermaßen von erhöhten Bildungsanstrengungen profitie- ren. Junge Frauen müssen durch sexuelle Aufklärung und Hilfen zur Familienplanung, durch Gesundheits- vorsorge und Kinderbetreuung in die Lage versetzt werden, ihr eigenes Leben zu gestalten und ihren Platz im Wirtschaftsleben einzunehmen. Es müssen Arbeitsplätze entstehen, die Männern und Frauen einen anständigen Lohn gewähren, und es muss Raum für wirtschaftliche Selbstständigkeit geben. Auf diese Weise wird das Arbeitskräftepotenzial besser genutzt und die gesamtwirtschaftliche Leistung gesteigert. Es steigt auch der Lebensstandard der einzelnen Familien, die mehr in ihre Kinder investieren und zugleich Rücklagen fürs Alter bilden kön- nen. Aufgabe des Staates ist es, eine solche Entwicklung zu fördern: durch Investitionen ins Bildungs- und Gesundheitswesen, Ausbau der Infrastruktur, eine funktionierende Verwaltung und eine gute Regierungs- führung. Dass es gelingen kann, zeigt das Beispiel einiger ostasiatischer Staaten, die im Lauf einer Gene- ration ihre wirtschaftliche Leistungskraft vervielfachten und damit ihre demografische Dividende einfuhren.

200 511 10/21 Deutsche Wirtschaft 2010-2020 In den 1990er Jahren fiel die deutsche Wirtschaft gegenüber den Partnerländern in der EU, vor allem aber gegenüber den USA deutlich zurück. Anhaltende strukturelle Probleme lähmten die wirtschaftliche Dynamik und verhalfen Deutschland zu dem wenig schmeichelhaften Ruf als „kranker Mann Europas“. Die Ursa- chen der Wachstumsschwäche lagen u.a. in den nachwirkenden Belastungen durch die deutsche Eini- gung und im aufgestauten Reformbedarf in der Steuer-, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Hinzu kamen äußere Faktoren wie der verschärfte Wettbewerbsdruck auf den Weltmärkten. Nach dem Platzen der New-Econo- my-Blase des Jahres 2000 konnte sich die deutsche Wirtschaft bis 2006 nicht aus ihrer Stagnation befreien. Die Arbeitslosigkeit als sichtbarstes Zeichen der Krise stieg 2005 auf nahezu 12 %. Inzwischen waren aber Prozesse in Gang gekommen, die der Bundesrepublik wieder zu größerer Leis- tungsfähigkeit verhalfen. So setzten die Unternehmen auf tiefgreifende Rationalisierungsmaßnahmen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Die Gewerkschaften trugen mit ihrer moderaten und flexiblen Tarifpolitik zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bei. Und die Politik gab sich mit der Agenda 2010 ein Programm umfassender sozial- und wirtschaftspolitischer Reformen. Die dadurch eingeleitete Gesun- dung der deutschen Wirtschaft war von so dauerhafter Wirkung, dass die aufeinanderfolgenden Krisen des nächsten Jahrzehnts vergleichsweise glimpflich überstanden wurden: In der Finanz- und Wirtschafts- krise schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt 2009 zwar um 5,7 %, doch wurde ein dramatischer Anstieg der Arbeitslosigkeit vermieden. Die im Anschluss daran aufflammende Euro-Schuldenkrise warf hartnäckigere Probleme auf. Ab 2013 belebte sich die Wirtschaftstätigkeit in Deutschland aber wieder. Das Beschäfti- gungsniveau stieg bis 2019 weiter an; die Arbeitslosigkeit sank; der private Konsum übernahm zunächst die Rolle des Konjunkturmotors, aber auch der Export kam wieder in Schwung. Als hilfreicher Sonderfaktor erwies sich die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Haushaltsüberschüsse (ab 2014) halfen beim Schuldenabbau und erweiterten den staatlichen Handlungsspielraum. Diese positive Entwicklung kam im Frühjahr 2020 zu einem plötzlichen Halt, nachdem 2019 schon eine Abschwächung der Konjunktur spürbar war: Die Corona-Pandemie schickte die Wirtschaft weltweit auf Talfahrt. Das deutsche BIP sank 2020 um 4,8 % und nur durch massive staatliche Hilfsprogramme konnte ein noch tieferer Absturz abgewendet werden. Nach Überwindung der Krise zeichnen sich in der Sozial-, Energie- und Klimaschutzpolitik weitere große Herausforderungen für die deutsche Volkswirtschaft ab.

220 011 4/21 Deutsche Wirtschaft in der Corona-Krise 2020 Das Corona-Virus, das sich von China ausgehend 2020 in der ganzen Welt verbreitete, zog überall schwere Folgen für die Menschen, die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben nach sich. Am 11. März erklärte die Weltgesundheitsorganisation die durch das Virus ausgelöste Krankheit Covid-19 zur Pandemie. Viele Staaten ergriffen nun einschneidende gesundheitspolitische Maßnahmen, um soziale Kontakte zu unter- binden und so die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. In Deutschland traten am 18. März gravierende Einschränkungen des öffentlichen Lebens in Kraft, die einige Tage später noch verschärft wurden. Ge- schäfte, Gaststätten und Hotels, Sport- und Unterhaltungsstätten, Kitas, Schulen und Universitäten muss- ten schließen, Produktionsfirmen schränkten den Betrieb ein und viele Arbeitnehmer mussten im Homeoffice arbeiten oder wurden in Kurzarbeit geschickt. Rasch wurde es zur Gewissheit, dass die Wirtschaft durch die Pandemie ähnlich schwer in Mitleidenschaft gezogen würde wie durch die Finanzkrise 2008/09. Der zuvor zehn Jahre anhaltende wirtschaftliche Aufschwung wurde gestoppt. Noch im März brachte der Bund ein umfangreiches Hilfspaket auf den Weg, mit dem Existenzen gesichert, Arbeitslosigkeit vermieden und Unternehmen aller Größen vor dem wirtschaftlichen Aus bewahrt werden sollten. Waren die Auswirkungen im ersten Quartal 2020 noch überschaubar, so erfolgte im zweiten Quartal ein tiefer Einschnitt: Im Vergleich zum Vorjahr sanken die Ausrüstungsinvestitionen (Maschinen, Fahrzeuge usw.) um nahezu 24 %, der Export brach um 22,3 % ein, der private Konsum um 12,8 % und das reale Bruttoinlandsprodukt als Ausdruck der gesamten Wirtschaftsleistung um 11,3 %! Auch auf dem Arbeits- markt fand der jahrelange Aufwärtstrend sein Ende. Dank der politischen Stützungsmaßnahmen hielten sich die Arbeitsplatzverluste zwar in Grenzen, am Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden (um 9,1%) zeigt sich jedoch, wie stark die Wirtschaftstätigkeit in der ersten Welle der Pandemie abgebremst wurde. Auch das dritte und vierte Quartal standen unter negativen Vorzeichen. Ab November 2021 wurde erneut ein Lockdown verhängt, um der zweiten Pandemie-Welle zu begegnen. Derweil versuchte der Staat, die Konsumnachfrage der privaten Haushalte und das Überleben der Betriebe mit weiteren Hilfsprogrammen zu unterstützen. So wurde für das zweite Halbjahr 2020 die Umsatzsteuer gesenkt; die Überbrückungshil- fen für Unternehmen wurden verlängert, Milliarden für Energie-, Digitalisierungs- und Gesundheitsschutz- maßnahmen freigegeben. Dem stand ein kräftiger Anstieg der Staatsverschuldung (auf rund 70 % des BIP ) gegenüber. Aufs ganze Jahr gesehen schrumpfte die Wirtschaftsleistung 2020 um 4,9 %.

394 014 1 2 /22

394 016 12/22 Die deutsche Zahlungsbilanz Die Zahlungsbilanz einer Volkswirtschaft registriert alle wirtschaftlichen Transaktionen (d.h. den Austausch von Gütern, Dienstleistungen und finanziellen Ansprüchen), die innerhalb eines Jahres zwischen In- und Ausland stattfinden. Grundsätzlich ist zwischen dem Leistungs- und dem Zahlungsverkehr mit dem Ausland zu unterscheiden. Die Leistungsbilanz als Teil der Zahlungsbilanz erfasst alle Bezüge und Lieferungen im grenzüberschreitenden Warenhandel und Dienstleistungsverkehr, die über die Grenzen zu- oder abfließen- den Erwerbs- und Vermögenseinkommen (Gewinne, Löhne, Zinsen usw.) und die laufenden Übertragun- gen („einseitigen“ Leistungen) zwischen In- und Ausland (z.B. Beiträge an die EU oder an internationale Organisationen). Als besonderer Posten neben der Leistungsbilanz werden die „einmaligen“ Vermögens- übertragungen wie Schuldenerlasse, Erbschaften oder bestimmte Investitionszuschüsse verbucht. Der Kapitalverkehr mit dem Ausland – die Aufnahme oder Gewährung von Krediten, die Wertpapierge- schäfte und der Erwerb von Eigentumsrechten an Unternehmen und Grundstücken – schlägt sich in der Kapitalbilanz nieder. Finanziellen Charakter hat auch die Zu- oder Abnahme der Währungsreserven im Bestand der Bundesbank. Definitionsgemäß halten sich beide Seiten der Zahlungsbilanz – die Ergebnisse des Leistungs- und des Kapitalverkehrs – die Waage. In der Praxis bestehen aber stets einige statistische Differenzen, die sich im sogenannten Restposten der Zahlungsbilanz niederschlagen. In den 1980er Jahren hatte die Bundesrepublik regelmäßig hohe Leistungsbilanzüberschüsse erzielt. Mit der deutschen Einigung veränderte sich ihre außenwirtschaftliche Position fast auf einen Schlag, so dass die Leistungsbilanz 1991 tief ins Minus rutschte. Dieser Umschwung war letztlich damit zu erklären, dass die deutsche Volkswirtschaft in erheblichem Umfang auf ausländische Ressourcen zurückgreifen musste, um den Aufbau in Ostdeutschland zu bewältigen. Erst 2002 verzeichnete die Leistungsbilanz wieder ein Plus, das sich in den folgenden Jahren rasch ausweitete, ehe es sich 2009 in der globalen Wirtschaftskrise auf 141 Mrd € verringerte. Ursache dafür war der scharfe Rückgang der Exporte, die in den Folgejahren aber rasch wieder zunahmen. 2016/17 kletterte der Exportüberschuss auf über 250 Mrd €. Ab 2018 schrumpfte er je- doch. Im Corona-Jahr 2020 sank er mit dem Rückgang der Weltkonjunktur auf 190 Mrd €. Auch 2021 kletterte er trotz der Exportbelebung kaum, da sich nun die Verteuerung der Importgüter auf die Handelsbilanz aus- wirkte. Das Plus der Leistungsbilanz hielt sich ab 2015 auf hohem Niveau. Nach einem Dämpfer im Jahr 2020 stieg es 2021 wieder auf 265 Mrd €. Dazu trug ein Rekordüberschuss von 73 Mrd € bei den „unsichtba- ren Leistungen“ bei – bedingt u.a. durch immer noch niedrigere Tourismusausgaben, hohe Einnahmen aus Lizenzgebühren für Impfstoffe und sprudelnde Erträge aus Vermögensanlagen im Ausland. Dem Leistungsbilanzüberschuss stand 2021 ein Netto-Kapitalexport von fast 315 Mrd € gegenüber. Aus- schlaggebend dafür waren vor allem die Investitionen deutscher Anleger in ausländische Wertpapiere. Zahlungsbilanz (Angaben in Mio Euro) 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Warenhandel 1 179 166 1 256 858 1 290 468 1 303 728 1 186 834 1 367 661 Ausfuhr (fob) 926 757 1 001 782 1 068 485 1 088 272 996 871 1 175 510 Einfuhr (fob) + 255 077 + 221 983 + 215 456 + 192 150 Saldo + 252 409 + 189 963 318 254 327 674 Dienstleistungen (einschl. Fracht- und Versicherungskosten des Außenhandels) 336 354 278 910 327 359 265 105 284 032 302 691 - 18 100 276 185 Einnahmen (fob) 286 092 308 026 318 497 314 238 918 2 725 Ausgaben (fob) 123 559 235 117 + 115 359 205 770 108 511 Saldo - 20 987 - 23 994 - 15 806 106 990 +126 606 80 455 +98 780 Primäreinkommen (Erwerbs- und Vermögenseinkommen) 241 239 91 098 213 007 209 305 129 349 130 266 83 722 Einnahmen 136 809 132 901 + 111 890 - 49 811 145 188 + 76 4049 + 262 903 136 449 -54 090 Ausgaben -52 727 +264 981 -887 +238 741 Saldo + 76 199 - 186 317 -1 376 -5 829 -314 750 Sekundäreinkommen (laufende Übertragungen) 65 415 66 822 69 522 -216 515 Einnahmen Ausgaben 106 346 118 500 119 859 Saldo - 40 931 - 51 673 - 50 338 Saldo der Leistungsbilanz + 266 689 + 255 814 + 267 729 Saldo der Vermögensänderungen + 2 142 - 2 9369 +580 Saldo der Kapitalbilanz* - 261 123 - 276 697 - 246 928 Saldo der Restposten -7 708 + 23 819 - 21 381 -75 500 -16 397 +51 145 (Veränderung der Währungsreserven + 1 686 - 1 269 +392 -544 -51 +31 892) *Das Minuszeichen bedeutet hier: per Saldo wurde mehr Kapital exportiert als importiert Quelle: Deutsche Bundesbank (Stand 10/22)

462 138 10/21 Deutscher Aktienindex – DAX Aktienindizes spiegeln die Kursentwicklung an der Börse in konzentrierter Form. Sie dienen professionel- len und privaten Anlegern zur Information über das Börsengeschehen und werden darüber hinaus als Indi- kator für die allgemeine wirtschaftliche Lage wahrgenommen. Wichtigstes Kursbarometer für den deut- schen Aktienmarkt ist der DAX, der sich (seit dem 20.9.2021) aus den Aktienwerten der 40 größten Unternehmen an der Frankfurter Wertpapierbörse zusammensetzt. Er wurde zum 1. Juli 1988 mit 30 Aktien- werten eingeführt. Ausgangspunkt der Indexberechnung ist der Stand Ende 1987 (=1000). Die im DAX vertretenen Unternehmen können sowohl den klassischen als auch den technologieorientier- ten Branchen angehören. Sie müssen einen Sitz in Deutschland haben oder dort einen wesentlichen Teil ihrer Geschäftstätigkeit ausüben. Weitere Voraussetzungen sind, dass sie fortlaufend im elektronischen Handelssystem Xetra notiert werden und dass sich mindestens 10 % der Aktien in Streubesitz befinden und somit an der Börse frei gehandelt werden können (Freefloat). Neu ist die Verpflichtung der DAX-Mit- glieder, jährlich zu festen Terminen einen testierten Geschäftsbericht vorzulegen und Quartalsmitteilungen zu veröffentlichen. Als Aufsteiger in den DAX kommen nur noch Unternehmen in Frage, die zuvor mindes- tens zwei Jahre nacheinander einen operativen Gewinn (vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) erzielt haben. Das soll die Qualität der DAX-Auswahl sichern. Regulär wird die Zusammensetzung des DAX künftig zweimal jährlich, statt bisher einmal, überprüft; über einen schnellen Ausstieg bzw. Einstieg wird sogar vierteljährlich entschieden. Mit den Veränderungen reagierte die Deutsche Börse auf den Skandal um die Wirecard AG, die 2020 nach den alten Regeln noch monatelang im DAX verbleiben konnte, obwohl ihr Ausschluss längst angezeigt war. Die Erweiterung auf 40 Unternehmen soll ein repräsentativeres Bild der führenden Unternehmen liefern und die bisherige Konzentration auf „alte“ Industrien abschwächen. Der DAX wird aus den Kursen des XETRA-Handelssystems der Deutschen Börse abgeleitet. Dabei werden die einzelnen Aktienwerte entsprechend ihrem Anteil an der Kapitalisierung der DAX-Werte gewichtet; allerdings wird der Gewichtsanteil einzelner Aktien im DAX auf höchstens 10 % begrenzt. Der DAX tritt in mehreren Varianten auf: Als Performance-Index, der die Wiederanlage aller Dividenden- und Bonuszah- lungen unterstellt, wird er während der Börsenzeit im Sekundentakt neu berechnet. Die Berechnung des Kursindex, der die reine Kursentwicklung abbildet, erfolgt einmal täglich. Darüber hinaus gibt es weitere, vor allem für professionelle Anleger bestimmte Spielarten.


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