Sonntagnächte in Dawncliff Kurzgeschichte Kyra Francesca Sambo
Kyra Francesca Sambo 2018-07710 Sonntagnächte in Dawncliff German 60 WFY (15009) Kurzgeschichte Venti
Sonntagnächte in Dawncliff Die Leute sagten, dass es in dieser Stadt keine Ausgangssperre gab, sondern dass die Menschen nur begannen, eine ungeschriebene Regel zu befolgen: Sobald die Sonne am Sonntag untergeht, kehrt man in seine Häuser zurück, verschließt die Türen, schaltet alle Lichter aus und kommt am nächsten Morgen wieder heraus. Dawncliff war eine kleine Stadt am Rande des Berges Imor. Sie sah nicht im Geringsten bedrohlich aus. Vielmehr war die Stadt ein farbenfrohes Wunderwerk. Die Häuser waren aus Holz gefertigt und in den hellsten Farbtönen gestrichen. Die Straßen waren mit rotem Kopfsteinpflaster gepflastert. Mehrere vergoldete Laternen beleuchteten das Pflaster. Lichtsteine, die häufigsten magischen Artefakte, leuchteten in jeder Lampe. Reihenweise belebten Topfblumen die engen Gassen. Die Stadt Dawncliff war charmant und einladend. Allerdings war sie so einladend, dass sie verdächtig war. Als erfahrene Attentäterin wie sie war Amaia in der Kunst der Täuschung sehr bewandert. Eine so helle Stadt war nicht das typische Opfer nächtlicher Gemetzel. Und doch, hier war sie. In der vielleicht glücklichsten Stadt, in der sie je gewesen war. Die Sonne stand an einem Freitag noch hoch am Himmel, als sie die Aurora Tavern erreichte. Sie war wahrlich eine Augenweide in der Stadt. Auf einem schwarzen Pferd reitend und von Kopf bis Fuß in dicke schwarze Latzhosen gekleidet, mit einem schwarzen Wollmantel auf den Schultern, bildete sie einen starken Kontrast zur Stadt. Das Lächeln des Gastwirts war warm, als Amaia den Beutel mit den Münzen fallen ließ. „Ich hoffe, Sie genießen Ihren Aufenthalt, liebe Reisende! Wir haben unser Freitagsabendbuffet später um 18 Uhr, also zögern Sie bitte nicht, daran teilzunehmen!\" Darius, so steht es auf seinem Namensschild, schiebt ihr einen kleinen Flyer mit allen Gerichten zu, die sie für diesen Abend vorbereitet haben. Ihr Zimmer war so, wie man es in einem gemütlichen Gasthaus erwarten würde. Die Böden und Wände waren mit Holzpaneelen verkleidet. Auf dem Kaminsims, der den Kamin umgab, der zu ihrer Erleichterung bereits beleuchtet war, stand eine Auswahl an Zimmerblumen. 1
Sonntagnächte in Dawncliff Nachdem sie ihren schweren Mantel abgelegt hatte, ließ sie sich auf das Bett fallen - die Erschöpfung hatte sie schnell eingeholt. Sie atmete schwer ein und klatschte sich auf die Wangen. Ich bin hierher gekommen, um einen Job zu erledigen, nicht um Urlaub zu machen. Sie griff nach ihrem Rucksack und begann, ihn an den Kamin zu schleppen. Sie machte es sich am Feuer gemütlich und zog einen Umschlag aus der schweren Tasche. Die Frau der Schatten, stand auf der Rückseite. Der Umschlag war bereits zerknittert von der stundenlangen Reise und der Tasche, die bis zum Rand mit Werkzeug und Kleidung gefüllt war. Aber das war nicht wichtig. Amaia hatte den Inhalt des Briefes so oft gelesen, dass sie ihn Zeile für Zeile aufsagen konnte. Er war ein Brief vom Heiligen Orden. Ein Auftrag, den Mörder zu jagen, der die Stadt Dawncliff plagte. Wäre es einer ihrer normalen Aufträge gewesen, hätte sie ihren Job in weniger als 24 Stunden erledigen können. Dies war jedoch alles andere als ein regelmäßiger Auftrag. Erstens war es das erste Mal, dass sie von einer der regierenden Fraktionen des Kaiserreichs angefragt wurde. Sie hätte abgelehnt, wenn man ihr nicht versprochen hätte, ihre Verbrechen zu begnadigen, wenn sie den Auftrag erfüllen würde. Außerdem war die Bezahlung unglaublich. Aber diese spezielle Mission war seltsam. Sogar für sie. Sie hatte wenig bis keine Hinweise auf den Mörder. Sie wusste, dass sich die Stadt jeden Sonntagabend in eine Geisterstadt verwandelt und dass bereits mehrere Menschen verschwunden sind. Es gab kein eindeutiges Muster für das Verschwinden und die Morde, außer dass sie alle über dem Teenageralter waren. Alles, was sie wissen, ist, dass jeden Sonntag eine Person verschwindet. Kein Blut. Kein Kampf. Es war, als ob jede Person aus eigenem Antrieb gegangen wäre. Das letzte, was sie hat, ist eine einzige Goldmünze. Auf der Münze war das Gesicht des ersten göttlichen Orakels des Reiches, Athanasia Hightower, zu sehen. Die Münze war blutverschmiert und an den Seiten abgesplittert. Normalerweise hätte Amaia die Münze einfach abgewaschen und für sich selbst verwendet. Aber es war der einzige greifbare Anhaltspunkt, den sie hatte. Sie 2
Sonntagnächte in Dawncliff musste sich orientieren, bevor sie ihren Spurentrank benutzte, um durch Magie verborgene Spuren zu entdecken. Sie brauchte mehr Informationen. Und was gab es Besseres, als sich unter die Stadtbewohner zu mischen? Sie schnappte sich das Flugblatt für das Buffet und ihre Ersatzkleidung. Es war kaum 18 Uhr, und die Taverne war bereits voller Menschen. Männer in Arbeiterkleidung drängten sich in Gruppen zusammen, ihr Lachen dröhnte aus jeder Ecke, in der sie sich befanden. Die Frauen trugen ihre hübschen Kleider und schicken Hüte. Offensichtlich handelte es sich um ein großes gesellschaftliches Ereignis, und wenn die Taverne nicht so groß wäre, hätte man sie für überfüllt gehalten. Zum Glück fiel sie nicht mehr so sehr auf wie bei ihrer ersten Ankunft. Ihre nachtschwarzen Haare waren zu einem eleganten Zopf geflochten und hielten sie von ihrem Gesicht fern. Sie hatte auf ihr übliches schwarzes Outfit verzichtet und stattdessen ein einfaches beigefarbenes, langärmeliges Kleid angezogen. Der Saum ihres Kleides reichte fast bis zum Absatz ihrer Stiefel. Es ist Zeit zu gehen. Sie manövrierte sich durch die Menge. Ihre Bewegungen waren leicht. Sie verschmolz mit der Menge wie ein Windhauch, der durch die Bäume tanzt. Die Plätze an der Theke waren nicht überraschend leer. In einer Kleinstadt wie dieser gehörte jeder zu seiner eigenen Clique, und so suchten sie sich ihre eigenen Gruppen von Freunden und Bekannten und fanden ihre eigenen Plätze an den Tischen, die sich über die gesamte Taverne erstreckten. Bevor sie den nächstgelegenen Platz erreichen konnte, legte sich ein schlanker Arm um ihre Schultern. Ihr Instinkt sagte ihr, sie solle den Arm ergreifen, ihn verdrehen und den Besitzer mit dem Messer, das sie unter ihrem Ärmel versteckt hatte, erstechen. Stattdessen drehte sie sich um und sah die Person an. Stattdessen drehte sie sich zu der Person um. Es war eine Frau Anfang 20, ein ähnliches Alter wie ihres. „Hallo, Reisende!\" Das Gesicht der Frau war gerötet - ein deutliches Zeichen für das frühe Stadium der Trunkenheit. „Warum trittst du nicht meiner Gruppe bei? Ich sag's dir. Einem Neuling wie dir wünsche ich ein tolles erstes Erlebnis!\" 3
Sonntagnächte in Dawncliff „Ist es offensichtlich, dass ich neu bin?\" Amaia stieß ein Kichern aus. „Ja, klar! Wir würden uns erinnern, wenn wir jemals ein hübsches Gesicht wie deines gesehen hätten.\" Die junge Frau, die sich als Chel vorstellte, führte sie zurück zu ihrem Tisch. Sie stellte Amaia der Gruppe vor, die sich schnell mit ihr anfreundete. Wie auf dem Flugblatt angegeben, schien das Essen in der Taverne endlos zu sein. Es war bereits nach Mitternacht und die Feierlichkeiten begannen an Energie zu verlieren. „Ihre Augen!\", rief die Frau, deren Namen sie sich nicht merken konnte, aus. „Ich habe sie nie wirklich bemerkt, aber jetzt, wo Sie unter der Lampe stehen, kann ich sie deutlich sehen. Sie müssen ein Arcane sein.\" Arcanes. Menschen, die mit der Fähigkeit gesegnet sind, Magie zu nutzen und zu manipulieren. Man kann sie durch ihre kristallinen Amethystaugen von normalen Menschen unterscheiden. Sie waren nicht sonderlich ungewöhnlich. Aber in einer abgelegenen Stadt wie Dawncliff war es fast ein Wunder, einen Arcane zu treffen. „Ja\", antwortete Amaia und wirkte verlegen. „Obwohl ich nicht wirklich weiß, wie man Magie benutzt. Das liegt einfach in meinen Genen.\" Eine Lüge. „Nun, ich muss schon sagen. Schöne Augen sind trotzdem schöne Augen.\" „Es wäre toll gewesen, wenn du Magie benutzen könntest. Das hätte all unsere Probleme gelöst.\" Chel's Tonfall war düster. Endlich mal eine Information. „Was meinst du?\" Amaia versteckte sich nicht länger hinter einem charmanten Lächeln. Sie war nur aus einem einzigen Grund hier. Außerdem waren diese Leute sturzbetrunken. „Unsere Stadt mag so aussehen, als sei sie der Inbegriff von Lebendigkeit. Aber wir befinden uns gerade in einer Krise\", lallte Chel. Nach einem großen Schluck begann sie hysterisch zu weinen. Sie sah ganz anders aus als die selbstbewusste junge Frau, die sie noch in der Nacht war. „So viele Menschen sind in den letzten Monaten verschwunden.\" 4
Sonntagnächte in Dawncliff „Ich glaube, es ist ein Monster\", sagte Chel's Freund, dessen Kopf immer noch von seinen Armen bedeckt war. Chel war bereits aufgestanden, um auf die Toilette zu gehen. „Ich weiß nicht, was ihr alle denkt, aber ich glaube, der Mörder ist Clyde Dawncliff, der erste Besitzer von Dawncliff Manor.\" Er setzte sich aus seinem Vollrausch auf und schaute Amaia direkt in die Augen. Sein Blick war konzentriert, nüchtern, entschlossen. „Das glaube ich nicht. Ich weiß es. Ich habe ihn gesehen.\" Sie sagte nichts. Menschen in seinem Zustand neigen dazu, zu schwafeln. Er würde ihr alles erzählen, ohne dass sie zu fragen brauchte. Er rieb sich wütend die Augen und versuchte, wach zu bleiben. „Ich war mir so sicher.\" Er holte tief Luft. „Ich bin mir sehr sicher, dass ich ihn gesehen habe. Es war mein Fehler. Es war mein Fehler. Es war mein Fehler.\" Er sah aus, als wäre er in einem Rausch. Seine Augen waren die eines Wahnsinnigen. „Ich wollte an diesem Sonntagabend mein Haus nicht verlassen. Ich sah, dass immer noch jemand vor meinem Fenster stand. Und ich musste helfen. Es war nicht sicher.“ Er stand von seinem Platz auf und packte ihre Schultern. Sein Blick war unerbittlich auf ihre amethystfarbenen Augen gerichtet. Er suchte nach Beruhigung. Eine Person, die ihm glaubte. Er ergriff ihre Hände fast gewaltsam. „Die Person drehte sich um, und da war sein Gesicht. Er sah genauso aus wie auf den alten Bildern. Aber wie kann das sein? Der Mann ist doch schon seit Jahrhunderten tot.\" Chel kam zurück an den Tisch, sichtlich nüchterner als zuvor und ihr rotes Haar war zu einem unordentlichen Dutt gesteckt. Sie stieß einen müden Seufzer aus und nahm ihren Freund sanft an den Schultern. Sie sagte, dass es Zeit sei, ihn nach Hause zu bringen. „Er wird immer so, wenn wir trinken\", sagte Chel. „Tut mir leid für den Ärger, Amaia. Vergiss einfach, was er gesagt hat. Das ist nur das Geschwätz eines betrunkenen Mannes.\" 5
Sonntagnächte in Dawncliff Sie nickte, als auch sie aufstand, um zurück in ihr Zimmer zu gehen. Sie sah zu, wie Chel ihre Freundin hinausbegleitete. Geschwätz eines betrunkenen Mannes. Ihre Hände drückten sich gegen das Papier, das ihr in die Handfläche gerutscht war. Der nächste Tag war ein relativ ruhiger Tag. Der Schnee war nach dem leichten Schneefall der letzten Nacht endlich da. Ihr Gesicht wurde von dem Holzfeuer erhellt, während sie das kleine Stück Papier weiter untersuchte. Sobald die Sonne untergeht, treffen wir uns morgen am Fuße von Dawncliff Manor. Alle ihre Dolche lagen aufgereiht auf dem Bett. Amaia hatte ihre Armbrüste noch nie benutzen müssen. Aber die Möglichkeit, gegen eine unmenschliche Kreatur zu kämpfen, lastete schwer auf ihrem Gemüt. Das war nichts Neues für sie. Mehrere ihrer Aufträge beinhalteten die Monsterjagd. Aber irgendetwas an dieser Situation war beunruhigend. Zunächst haben die Menschen weitergemacht, als ob nichts geschehen wäre. Die Tavernenfeier gestern Abend war der Beweis dafür. Nach Angaben des Heiligen Ordens war ein 23-jähriger Arbeiter nur eine Woche vor ihrer Ankunft verschwunden und seine Leiche wurde nur zwei Tage später am Fuße des Berges gefunden. In einer so eng verbundenen Stadt wie dieser gab es keinen Grund, nicht zu trauern. Die Nacht kam schneller als erwartet. Wieder einmal war sie ganz in Schwarz gekleidet. Ihr beigefarbenes Kleid hatte sie längst wieder in den Boden ihrer Tasche gesteckt. Ihre schwarze Hose war mit Dolchen umgeschnallt. Ihre Armbrust hing eng an ihrem Rücken. Schnell trank sie einen Heiztrank. Damit verschwand die Frau der Schatten durch das Fenster. Das Herrenhaus war merklich dunkler als der Rest der Stadt. Es stand auf der Spitze des Hügels. Es überragte die Stadt mit seinem gigantischen Gebäude. Die Zäune waren mit Stacheln gesäumt. Es wäre unmöglich gewesen, dort einzubrechen. Aber Amaia war geübt in solchen Situationen. Außerdem war das Tor bereits offen. Chels Freund wartete bereits auf sie, als sie durch das teilweise geöffnete Tor schlüpfte. Er war in schwere Wollkleidung gekleidet. Er hatte nichts bei sich 6
Sonntagnächte in Dawncliff außer zwei Lampen mit nicht aktivierten Lichtsteinen. „Ich dachte schon, du würdest nicht kommen\", sagte er und reichte ihr ihre eigene Lampe. Mit einer kleinen Zauberformel leuchteten die Lichtsteine auf. Sie betraten das Herrenhaus. Der Mann erklärte ihr, dass er sich in Sachen Arcanes ein wenig auskannte. „Arcanes, die keine Magie benutzen, haben keine Augen, die so schimmern wie deine\", sagte er. „Ich hätte nicht gedacht, dass das jemandem auffällt.\" Amaia war aufrichtig überrascht. Sie war sich ziemlich sicher, dass niemand in der Lage sein würde, sie auf ihre Lüge anzusprechen. „Warum hast du mir dann anvertraut, dich zu diesem Ort zu begleiten?\" „Du bist eine Magierin, die gerade gelogen hat, dass sie keine Magie kennt. Daraus habe ich geschlossen, dass du nicht nur hier gekommen bist, um Urlaub zu machen. Schon gar nicht in einer so fremden Stadt wie dieser.\" Ohne den Mangel an Licht hätte das Herrenhaus bewohnt ausgesehen. Die Möbel waren in tadellosem Zustand und es waren keine Spinnweben zu sehen. Sie standen vor der großen Treppe. Amaia nahm die Goldmünze heraus. Das Gesicht des göttlichen Orakels war durch getrocknetes Blut verdeckt. Sie legte sie vor sich ab. Sie öffnete den Spurentrank und ließ ihn auf die Münze fallen. „Ostende mihi viam.\" Der Tropfen des Zaubertranks ließ die Münze schweben und leuchten. Eine glühende, lineare Aura begann von der Münze auszugehen. Die Aura führte sie die Treppe hinauf und zu einer großen Doppeltür. Langsam und vorsichtig stieß sie die Tür auf. Im Inneren des Zimmers befanden sich mehrere Dinge, die man in einem Schlafzimmer eines reichen Menschen findet. Ein gigantisches Bett. Eine Kommode. Ein gigantischer Kleiderschrank. Ein Schminktisch.Und in der Mitte des Zimmers stand etwas, das von einem dünnen Stück Stoff bedeckt war. Sie nahm an, dass es ein Gemälde war. Sie griff nach dem Rand des Stoffes und entfernte ihn von dem Gemälde. Mehrere Gefühle durchströmten ihren Körper.Sie war geschockt, als sie sich zu 7
Sonntagnächte in Dawncliff dem Mann umdrehte, mit dem sie zusammen war. Doch bevor sie ein Wort sagen konnte, wurde ihr Kopf mit brachialer Gewalt getroffen. Plötzlich konnte sie nur noch die Schatten sehen. Es war noch Nacht, als sie aufwachte. Ihr Körper war von ihren Waffen befreit. Nicht einmal ihre Zaubertränke waren in ihrem Körper geblieben. Aber sie machte eine wichtige Entdeckung. Clyde Dawncliff war der Mörder. Es war ihr egal, ob er wieder auferstanden war oder ob er nie gestorben war. Sie war nur wegen einer Sache hier. Und sie würde verdammt sein, wenn sie diesen Auftrag nicht zu Ende bringen könnte. Sie wollte nicht ohne Waffe nach ihm suchen. Zu ihrem Glück fand sie das Schwert der Familie Dawncliff. Es war ihr egal, ob sie die gesamte Ahnenreihe der Dawncliffs missachtete, indem sie deren Erbwaffe benutzte, um ihren Vorfahren zu töten. Sie rannte aus dem Herrenhaus und sprintete in die Stadt. Aber irgendetwas war nicht in Ordnung. Es war Abend und alle Lichter waren aus. Nein. Nein. Abend. Kein Licht. Es war bereits Sonntagabend. Es war ihr egal, ob sie die Einzige war, die erleuchtet wurde. Sie wollte sogar, dass dies der Fall war. Sie sollte das Leuchtfeuer sein. Und wenn er kommt, wird sie zuschlagen. „Illuminare!\" Ein heller Lichtstrahl schoss aus ihrer Faust und umgab ihren Körper. Es tanzte um ihren Körper, bis es sich hinter ihr zu einem Ring aus Licht materialisierte. Das Licht leuchtete intensiv- ein Beweis für ihre Fähigkeiten als Magierin. „Komm heraus und stell dich mir, Feigling!\" sagte Amaia, während sie das Dawncliff-Schwert in ihrer rechten Hand fest umklammerte. Mit einer leisen Zauberformel leuchtete das Schwert auf und wurde von göttlicher Energie 8
Sonntagnächte in Dawncliff erfüllt. Clyde trat aus den Schatten hervor. Aber er war nicht allein. In seiner Hand befand sich vertrautes rotes Haar. Sein blasses Gesicht zierte ein selbstgefälliges Lächeln, während er Chel weiter an den Haaren zog. „Wie konnte ich eine so höfliche Bitte ignorieren?\" Sie konnte das Grinsen in seiner Stimme hören. Er spielte mit ihr und sie hasste es. Er warf Chel beiseite und ging näher zu ihr. Clyde war der Inbegriff von Würde. Sein blondes Haar war zurückgekämmt und er hatte seine schwere Winterkleidung gegen die gleiche Soldatenuniform getauscht, die er auf seinem Porträt trug. Seine Hände steckten in den Taschen, als er näher und näher kam. Plötzlich war sein Gesicht nur noch Zentimeter von ihrem entfernt. Reflexartig stieß Amaia ihm das Schwert in die Brust. Aber Clyde bewegte sich mit einer unmenschlichen Geschwindigkeit. Schnell schwang sie das Schwert auf die Seite, auf die er sich bewegte. Das brachte ihr einen kleinen Sieg ein, denn sie konnte seinen Ärmel durchstoßen. Er packte sie jedoch am Arm und warf sie mühelos, als wäre sie eine Stoffpuppe.Sie rappelte sich schnell wieder auf und stieß mit dem Schwert in den Boden, um nicht weiter zu rutschen. Als sie sich schließlich aufrichtete, sah sie einen Schwall fliegender Dolche auf sich zukommen. Mit einer schnellen Zauberformel gelang es ihr, einen Schild aus Eis zu beschwören. Die Dolche bohrten sich in das Eis, und ohne zu zögern hüllte sie die Dolche in dieselbe göttliche Energie wie das Schwert und ließ die Hälfte von ihnen zu Clyde zurückfliegen. Clyde schirmte schnell sein Gesicht und seinen Oberkörper hinter seinen Armen ab und blickte zu ihr zurück. In schneller Folge warf sie die restlichen Dolche.In dem Moment, in dem er abgelenkt war, schlug sie schnell nach seinen Füßen und warf ihn zu Boden. Sie rief die Dolche zurück und stach ihn in den Boden. Von oben konnte sie sehen, wie sich der Himmel langsam orange färbte. Sie hielt seinen Körper am Boden fest, indem sie ihn zwischen ihren Beinen 9
Sonntagnächte in Dawncliff einklemmte. Das glühende Dawncliff-Schwert schwebte über seiner Brust. „Irgendwelche letzten Worte?\" Ihre Stimme war angestrengt und spöttisch, als sie ihn festhielt. Sie umklammerte den Griff mit beiden Händen. Plötzlich bewegte er sich nicht mehr, als wäre er in Trance. In der Ferne konnte sie das leise Murmeln von Gesängen hören. Langsam begannen die Bewohner der Stadt aus ihren Häusern zu kommen. Sie sangen irgendeine unbekannte Zauberformel, die den Ahnherrn von Dawncliff irgendwie bewegungsunfähig machte. Clyde war auf halbem Weg zwischen klar und bewusstlos. Sie nutzte die Gelegenheit, um ihm endlich den Todesstoß zu versetzen. Mit einem frustrierten Schrei rammte sie ihm das Schwert in die Brust. Der Lichtring um sie herum verblasste zu einem Schimmer, während das Licht des Schwertes immer heller und heller wurde. Der Lichtstrahl schoss in den Himmel, und mit ihm hörte Clyde auf zu atmen. Mit einem müden Seufzer versuchte sie, aufzustehen. Aber eine starke Kraft hielt sie davon ab. Dieselben Lichtstrahlen schossen aus seinem Körper empor und hüllten sie in eine sengende Umarmung. Ihre Hilfeschreie schienen vergeblich zu sein, denn die Leute aus der Stadt machten sich auf den Weg zu den beiden. Die Sprechchöre hörten nicht auf. Sie umklammerte das Schwert und versuchte, ihren Körper aufrecht zu halten. Sie spürte nichts außer dem brennenden Gefühl, dass ihr das Fleisch aus den Knochen gerissen wurde. Sie spürte, wie ihr die Seele entglitt, als würde eine andere Seele versuchen, ihren Körper zu bewohnen. Nein. Nein. Nein! Sie holte ihren letzten Atemzug und plötzlich war es still. „Endlich. Ein Arcane-Körper.\" Die Stimme kam aus dem Mund von Amaia. 10
Sonntagnächte in Dawncliff Aber sie war es nicht. Sie war nicht mehr hier. Ihre Seele hatte sich aufgelöst wie die Seele von Clyde Dawncliff. Mit der Hilfe von Chel konnte Amaia aufstehen. Sie wandte sich an die Stadtbewohner, und alle verneigten sich in Ehrfurcht. „Schickt einen Brief an den Heiligen Orden\", sagte das Wesen in Amaias Körper. \"Das göttliche Orakel kehrt zurück.\" 11
Search
Read the Text Version
- 1 - 13
Pages: