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Rechtsreport 01 2016

Published by Bauverband M-V, 2016-07-12 09:02:34

Description: Rechtsreport 01 2016

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Bauverband Mecklenburg-Vorpommern e. V. Werderstr. 1, 19055 Schwerin Telefon: 0385 7418-0; Telefax: 0385 710778E-Mail: [email protected]; Internet: www.bauverband-mv.de

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1. Vergaberecht1.1 Gebot der Fachlosbildung – können sich Unternehmen darauf berufen? 1. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt und getrennt nach Art oder Fachgebiet zu vergeben; mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. 2. Eine Gesamtvergabe kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. In einem solchen Fall hat der Auftraggeber die widerstreitenden Interessen umfassend abzuwägen. 3. Für die Feststellung, ob die betreffende Leistung ein Fachlos darstellt, ist insbesondere von Belang, ob sich für die spezielle Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen herausgebildet hat. Die Beurteilung ist dabei nicht statisch anzustellen, sondern muss die aktuellen Marktverhältnisse in den Blick nehmen. 4. Auch ein nicht-mittelständisches Unternehmen kann sich auf das Gebot der Fachlosbildung berufen. VOB/A 2012, § 5 Nr. 2 VK Bund, Beschluss vom 17.08.2015 – VK 2-35/151.2 Fachlosvergabe – wann verstößt eine einheitliche Vergabe nicht gegen das Fachlosbildungsgebot? 1. Wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern, verstößt die einheitliche Vergabe eines Auftrages nicht gegen das Gebot der Bildung von Fachlosen. 2. Für jedes in Betracht kommende Gewerk ist die Frage, ob Fachlose zu bilden sind, getrennt zu beantworten. 3. Arbeiten im Zusammenhang mit der Errichtung einer Lärmschutzwand sind geeignet, ein Fachlos zu bilden, weil sie ausreichend abgrenzbar sind. Es hat sich hierfür ein Markt gebildet, auf dem Anbieter solche Arbeiten als eigenständigen Auftrag übernehmen. Zudem sind diese Arbeiten nicht untrennbar mit anderen verflochten. GWB § 97 Abs. 3, VOB/A 2012 § 5 Abs. 2 OLG München, Beschluss vom 09.04.2015 – Verg 1/151.3 Wahlpositionen – wann dürfen sie ausgeschrieben werden? 1. Nur wenn der Auftraggeber ein berechtigtes Interesse an dieser Ausschreibungs- technik nachweisen kann, darf er Wahl- oder Alternativpositionen in das Leistungsverzeichnis aufnehmen. 2. Durch herstellerneutrale Leistungsbeschreibung ist dem Grundsatz der Produkt- neutralität Rechnung zu tragen – nicht durch die Abfrage alternativer Produkte. 3. Eine Wahlposition wird dadurch gerechtfertigt, dass der Auftraggeber ein Interesse hat, den Markt für alternative Ausführungsvarianten zu erkunden. GWB § 97 Abs. 1, 2 OLG München, Beschluss vom 22.10.2015 – Verg 5/15 3

1.4 Bietereignung – muss der Auftraggeber den Einwänden des Bieters nachgehen? 1. Bei der Prognoseentscheidung, ob ein Bieter geeignet ist, darf ein Auftraggeber auch eigene Erfahrungen, die er mit einem Bieter in der Vergangenheit gemacht hat, in die Betrachtung mit einbeziehen. 2. Grundlagen einer Prognoseentscheidung darüber, ob ein Bieter geeignet ist, müssen auf gesicherten Erkenntnissen beruhen, wobei der Auftraggeber nicht verpflichtet ist, ein gerichtsähnliches Verfahren zu Ermittlung der Tatsachen durchzuführen. 3. Will ein Auftraggeber bei der Eignungsprüfung eigene Erfahrungen berück- sichtigen, muss er den zu Grunde liegenden Sachverhalt umfassend ermitteln und den Einwänden des Bieters mit angebrachter Sorgfalt nachgehen. VOB/A 2012 § 16 EG Abs. 2 Nr. 1 b OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.07.2015 – 15 Verg 3/152. Bauvertragsrecht2.1 Baugrundrisiko – kann ein Kranunternehmer das dem Auftraggeber überbürden? Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Kranunternehmers, mit denen wie in Ziffer 20 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4 der AGB-BSK Kran und Transport 2008 dem Auftraggeber einschränkungslos und ohne Festlegung von Mitwirkungspflichten des Kranunternehmers die Verantwortlichkeit für die Eignung der Bodenverhältnisse für den vereinbarten Kraneinsatz und die Verpflichtung, auf die Lage und das Vorhandensein von unterirdischen Hohlräumen am Einsatzort unaufgefordert hinzu- weisen, auferlegt werden, benachteiligen den Auftraggeber unangemessen und sind deshalb unwirksam. BGB §§ 280, 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGH, Urteil vom 28.01.2016 – I ZR 60/142.2 (Fristlose) Kündigung von VOB-Verträgen – ist das aus wichtigem Grund möglich? 1. Auch wenn bei einem VOB/B-Vertrag die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 oder 3 VOB/B nicht vorliegen, ist der Auftraggeber bei Vorliegen eines sonstigen wichtigen Grunds berechtigt, den Vertrag fristlos zu kündigen. 2. Zur fristlosen Kündigung des Vertrags kann vor allem eine schuldhaft begangene Vertragsverletzung des Vertragspartners berechtigen, die den Vertragszweck so gefährdet, dass es dem vertragstreuen Vertragspartner nicht zumutbar ist, den Vertrag fortzusetzen. Unerheblich ist dabei, ob es sich um die Verletzung einer Haupt- oder Nebenpflicht handelt. 3. Ein wichtiger Grund zur Kündigung fehlt, wenn der Auftraggeber in Kenntnis des Kündigungsgrundes dem Auftragnehmer eine Frist zur Fortführung der Arbeiten gesetzt hat, er also das Vertragsverhältnis nicht schon als so zerstört angesehen hat, dass ihm eine Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zuzumuten war. 4. In Fällen einer schwerwiegenden Vertragsverletzung kann eine vorherige Frist- setzung und Kündigungsandrohung entbehrlich sein. 4

5. Kündigt der Auftragnehmer die Arbeitseinstellung an, wenn der Auftraggeber eine geforderte (weitere) Abschlagszahlung nicht erbringt, obwohl diese ihm erkennbar nicht zusteht, kann dies zur fristlosen Kündigung berechtigen.BGB §§ 314, 649 Satz 2; VOB/B § 5 Abs. 4, § 8 Abs. 3OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.02.2016 – 10 U 143/152.3 Kündigung eines Werkvertrages – per E-Mail zulässig?1. Grundsätzlich ist die formlose Kündigung eines Werkvertrages möglich. Eine Vereinbarung der Parteien, dass die Kündigung des Vertragsverhältnisses der Schriftform bedarf, ist zulässig.2. Die durch Vertrag bestimmte schriftliche Form kann auch durch eine telekommuni- kative Übermittlung erreicht werden. Auf Grund des inzwischen modernen Standards und der mittlerweile weiten Verbreitung zählen zu dieser nicht nur das Telegramm oder Telefax, sondern auch die E-Mail und das Computer-Fax.BGB §§ 126, 127OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.03.2015 – 4 U 265/14; BGH, Beschluss vom10.09.2015 – VII ZR 69/15 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen)Hinweis: Zu beachten ist, dass bei VOB/B-Werkverträgen die Kündigung gemäß § 9 Abs. 2 VOB/B bzw. gemäß § 8 Abs. 5 VOB/B stets schriftlich zu erklären ist. Diese Schriftform ergibt sich aus der Vereinbarung der VOB/B. Eine mündliche Erklärung wäre mithin unwirksam.2.4 Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht vorgelegt – muss Auftraggeber bei vertraglicher Vereinbarung der Vorlage zahlen? Wenn die Parteien eines (Bau-)Werkvertrages wirksam vereinbart haben, dass der Auftraggeber die Zahlung des (Rest-)Werklohns so lange verweigern kann, bis ihm der Auftragnehmer die Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Sozialkasse des Gerüst- baugewerbes und der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft vorgelegt hat, ist eine Zahlungsverweigerung des Auftraggebers zutreffend. Dem steht auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht entgegen. BGB § 320; InsO §§ 44,95 Abs. 1 Satz 1, § 103 OLG Köln, Urteil vom 03.02.2016 – 17 U 101/14 (nicht rechtskräftig)2.5 Verdeckter Mangel – was ist zu beachten? 1. Ein verdeckter Mangel im Sinne des § 377 Abs. 3 HGB liegt auch dann vor, wenn – obwohl geboten – keine Stichproben der gelieferten Waren genommen wurden, aber auch bei der Entnahme einer Stichprobe der Mangel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht entdeckt worden wäre. 2. Die Mängelrüge nach § 377 Abs. 1 und 3 HGB bedarf keiner bestimmten Form. Soweit § 12 Ziff. 2 der Tegernseer Gebräuche eine schriftliche Mängelrüge fordert, liegt darin eine zulässige Verschärfung der Anforderungen an die Wirksamkeit der Mängelrüge im Interesse der Sicherheit und Klarheit im kaufmännischen Verkehr. BGB § 434; HGB § 377 Abs. 1, 3 OLG München, Urteil vom 24.09.2015 – 23 U 417/15 5

Hinweis: An die Untersuchungspflicht nach § 377 HGB werden hohe Anforde- rungen gestellt. Aufwendige Untersuchungsmethoden werden für zumutbar gehalten, um schwer erkennbare Mängel aufzudecken. Selbst auftretende hohe Kosten in dem Zusammenhang werden für zumutbar gehalten. Allerdings kann sich ein Käufer bei einer Vielzahl von Sachen auf Stichproben beschränken, wenn die statistisch aussagekräftig für die Gesamtmängel sind.2.6 Funktionstauglichkeit einer Leistung – muss sie immer gegeben sein? 1. Auch wenn das so im Leistungsverzeichnis nicht aufgeführt ist, muss der Auftragnehmer die erforderlichen Leistungen ausführen, die nach den örtlichen und sachlichen Gegebenheiten jeder Fachmann als notwendig erachtet. Seine Leistung wäre andernfalls mangelhaft. 2. Im Rahmen der Vertragsfreiheit können die Parteien eines Bauvertrages geringere qualitative Anforderungen an das bestellte Werk stellen – eine sogenannte Beschaffenheit „nach unten“ vereinbaren. Das gilt allerdings nicht, wenn die Funktionstauglichkeit des Werks mit der vertraglich vereinbarten Ausführungsart nicht zu erreichen ist. BGB §§ 133, 157, 633 Abs. 1, § 638 Abs. 1 OLG Celle, Urteil vom 16.05.2013 – 13 U 11/09 BGH, Beschluss vom 07.05.2015 – VII ZR 155/15 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)2.7 Mangel – auch geringfügige Abweichung von der vereinbarten Beschaffen- heit = Mangel? 1. Ein Mangel liegt auch dann vor, wenn eine Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit nicht zu einer Beeinträchtigung des Werts oder der Gebrauchs- tauglichkeit des Werks führt. 2. Wirkt sich eine Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit nicht oder nur in geringem Maße nachteilig aus, kann dies zwar die Prüfung veranlassen, ob Mängelansprüchen des Auftraggebers der Einwand entgegensteht, der Mängelbeseitigungsaufwand sei unverhältnismäßig. An dem Vorliegen eines Mangels in derartigen Fällen ändert dies allerdings nichts. 3. Behauptet der Auftragnehmer, Ursache für die aufgetretenen Mangelsymptome sei allein das Unterlassen einer dem Auftraggeber obliegenden Nachsandung, liegt darin zugleich die Behauptung, dass die Verwendung eines anderen als des verwendeten Kieses für die Mangelsymptome nicht ursächlich gewesen sei. Geht das Gericht auf diesen Vortrag nicht ein, liegt darin ein Verstoß gegen den Anspruch des Auftragnehmers auf rechtliches Gehör. BGB § 633 Abs. 2 Satz 1; GG Art. 103 Abs. 1; VOB/B 13 Nr. 1 BGH, Beschluss vom 230.07.2015 – VII ZR 70/14 6

2.8 Mängelansprüche verjährt – kann der Besteller trotzdem die Zahlung verweigern? Der Besteller kann wegen eines Mangels der Werkleistung ein Leistungsverweige- rungsrecht gegenüber dem Unternehmer nach Eintritt der Verjährung der Mängelansprüche gemäß § 215 BGB geltend machen, wenn dieser Mangel bereits vor Ablauf der Verjährungsfrist in Erscheinung getreten ist und daher ein darauf gestütztes Leistungsverweigerungsrecht in nicht verjährter Zeit geltend gemacht werden konnte. BGB §§ 215, 320, 634a BGH, Urteil vom 05.11.2015 – VII ZR 144/142.9 Mängelansprüche verjährt – darf Auftraggeber dennoch Mängelbürgschaft zurückbehalten? § 17 Nr. 8 Abs. 2 VOB/B 2002 ist dahingehend auszulegen, dass der Auftraggeber eine als Sicherheit für Mängelansprüche erhaltene Bürgschaft nach Ablauf der zweijährigen Sicherungszeit nicht (mehr) zurückhalten darf, wenn diese Mängelansprüche verjährt sind und der Auftragnehmer die Einrede der Verjährung erhebt. VOB/B 2002 § 17 Nr. 8 Abs. 2 BGH, Urteil vom 09.07.2015 – VII ZR 5/153. Arbeitsrecht3.1 Privatnutzung des dienstlichen Internets – welche Folgen entstehen? 1. Die fortwährende über einen Zeitraum von 30 Arbeitstagen andauernde und während der Arbeitszeit erfolgte private Nutzung des dienstlichen Internetanschlusses im Umfang von knapp 40 Stunden berechtigt den Arbeitgeber wegen der darin liegenden Verletzung der Arbeitspflicht auch dann zur außerordentlichen Kündigung, wenn dem Arbeitnehmer die Privatnutzung arbeits- vertraglich in Ausnahmefällen innerhalb der Arbeitspausen erlaubt ist. 2. Im Kündigungsschutzprozess können zu Lasten des Arbeitnehmers die vom Arbeitgeber ohne Hinzuziehung des Arbeitnehmers ausgewerteten Einträge der aufgerufenen Internetseiten in der Chronik des auf dem Dienstrechner des Arbeitnehmers installierten Internet-Browsers zum Beweis einer exzessiven Internetnutzung verwertet werden. Obwohl es sich dabei um personenbezogene Daten handelt und auch wenn eine wirksame Einwilligung in die Kontrolle dieser Daten nicht vorliegt, besteht kein Beweisverwertungsverbot, weil das Bundesdaten- schutzgesetz auch ohne Einwilligung des Arbeitnehmers die Speicherung und Auswertung der Verlaufsdaten in der Chronik eines Internetbrowsers zu Zwecken der Missbrauchskontrolle erlaubt. Unabhängig davon besteht jedenfalls dann kein Beweisverwertungsverbot, wenn dem Arbeitgeber ein mit anderen Mitteln zu führender konkreter Nachweis des Umfangs des Missbrauchs des dienstlichen Internets nicht zur Verfügung steht. 3. Auch aus § 88 Abs. 3 Telekommunikationsgesetz (TKG) folgt in diesem Fall kein Beweisverwertungsverbot, weil das TKG nicht anwendbar ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern eine private Nutzung des dienstlichen Internetanschlusses erlaubt. BGB § 626, BDSG § 32, TKG § 88 LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.01.2016 – 5 Sa 657/15 7

3.2 Kündigung – was ist Kündigungsgrund, wenn zeitlicher Zusammenhang zur Arbeitsunfähigkeit besteht? 1. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Anzeige der Arbeitsunfähigkeit und dem nachfolgenden Kündigungsausspruch bietet den Anscheinsbeweis, dass der Arbeitgeber die Kündigung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG aus Anlass der Arbeits-unfähigkeit ausgesprochen hat. Dabei muss die Arbeitsunfähigkeit nicht der alleinige Grund für die Kündigung sein, sie muss nur Anlass zum Ausspruch der Kündigung gewesen sein. 2. Eine Anlasskündigung ist zu vermuten, wenn sie in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem zeitlichen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Es ist dann zunächst Sache des Arbeitgebers diesen Anscheinsbeweis dadurch zu erschüttern, dass nicht die angezeigte Arbeitsunfähigkeit, sondern andere Gründe zum Ausspruch der Kündigung führten. EntgFG § 8 Abs. 1 S. 1, § 3 Abs. 1 S. 1; SGB X § 115 Abs. 1 LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 06.02.2014 – 5 Sa 324/133.3 Arbeitszeitbetrug – fristlose Kündigung möglich? 1. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine ihm gegenüber dem Arbeitgeber bestehenden Pflicht zur Rücksichtnahme, § 241 Abs. 2 BGB. 2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 Rn. 18). BGB § 626 Hessisches LAG, Urteil vom 17.02.2014 – 16 Sa 1299/13 8

3.4 Telefax-Nachricht – ist Zugang sicher?Der behauptet Zugang des Fax-Schreibens gilt nicht nach § 138 Abs. 3 ZPO alszugestanden. Der vorgelegte Sendebericht mit dem „OK-Vermerk“ begründet nach derganz herrschenden, insbesondere höchstrichterlichen Rechtsprechung selbst dafürkeinen Anscheinsbeweis, dass die Daten vollständig und richtig beim Empfangsgerätangekommen sind.LAG Hamm (Westfalen), Urteil vom 14.06.2013 – 10 Sa 905/12Hinweis: Bereits aus einem Urteil des BAG vom 14.08.2002, 5 AZR 169/01, geht hervor: Der Zugang folgt nicht aus dem in den Vorinstanzen vorgelegten Sendebericht mit dem „OK-Vermerk“. Einem solchen Sendebericht kommt nicht der Wert eines Anscheinsbeweises zu. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass Telefaxsendungen den Empfänger vollständig und richtig erreichen. Der Kläger hat auch keine Tatsachen dafür vorgetragen, dass bei dem am 26. Oktober 1999 verwendeten Telefaxgerät ein „OK-Vermerk“ ausschließlich dann ausgedruckt wird, wenn die Übertragung ordnungsgemäß erfolgt ist, also das Geltend- machungsschreiben so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser von dessen Inhalt Kenntnis nehmen konnte. Der Vortrag des Klägers erschöpft sich vielmehr in der pauschalen Behauptung, das Telefax sei dem Beklagten zugegangen, weil der ausgedruckte Sendebericht einen „OK-Vermerk“ enthalte. Die Beklagten konnten daher den Erhalt des Telefaxes ohne weitere Darlegungen einfach bestreiten.3.5 Ankündigung einer Krankschreibung – verhaltensbedingte Kündigung möglich? 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bereits die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung nicht bestehenden Erkrankung durch den Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitgeber einem Verlangen des Arbeitnehmers nicht entsprechen sollte, ohne Rücksicht auf eine später tatsächlich auftretende Krankheit an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außer- ordentlichen Kündigung abzugeben. 2. Weist ein objektiv erkrankter Arbeitnehmer den Arbeitgeber nach Ablehnung eines kurzfristig gestellten Urlaubsgesuchs darauf hin, „dann sei er eben krank“, schließt dies zwar eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nicht von vornherein aus. Auch bei tatsächlich bestehender Erkrankung ist es dem Arbeitnehmer aufgrund des Rücksichtnahmegebots verwehrt, die Krankheit und ein sich daraus ergebendes Recht, der Arbeit fern zu bleiben, gegenüber dem Arbeitgeber als „Druckmittel“ einzusetzen, um den Arbeitgeber zu einem vom Arbeitnehmer gewünschten Verhalten zu veranlassen. BGB § 626 Abs. 1 Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 21.01.2014 – 5 Sa 631/13 9

3.6 Klageverzicht des Arbeitnehmers – muss Arbeitgeber Gegenleistung erbringen? 1. Die in einer Abwicklungsvereinbarung vom Arbeitgeber übernommene Verpflichtung, dem Arbeitnehmer ein Zeugnis mit einer näher bestimmten (über- durchschnittlichen) Leistungs- und Führungsbeurteilung zu erteilen, stellt keinen Vorteil dar, der geeignet wäre, die mit dem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verbundene unangemessene Benachteiligung des Arbeit- nehmers i. S. d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB auszugleichen. 2. Ein vor Ablauf von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erklärter formular- mäßiger Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage ist ohne eine ihn kompensierende Gegenleistung des Arbeitgebers wegen unangemessener Benachteiligung des Arbeitnehmers unwirksam. Eine unangemessene Benach- teiligung liegt nicht nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer in einer vorformulierten Erklärung ohne jegliche Gegenleistung auf die Erhebung einer Kündigungs- schutzklage verzichtet hat. Eine unangemessene Benachteiligung ist mit einem solchen Verzicht vielmehr auch dann verbunden, wenn der Arbeitnehmer für seinen Verzicht keine angemessene Kompensation erhält. BGB §§ 307 Abs. 1 S 1, Abs. 3 S 1, 310 Abs. 3 Nr. 2, 134 KSchG §§ 4, 6 S 1, 7 SGB IX § 2 Abs. 2 und 3, 68 Abs. 1 und Abs. 3 BAG, Urteil vom 24.09.2015 – 2 AZR 347/143.7 Nichteinhaltung der Kündigungsfrist – Kündigung dennoch zum richtigen Termin wirksam? Eine vom Arbeitgeber mit zu kurzer Kündigungsfrist erklärte ordentliche Kündigung kann im Einzelfall als Kündigung zum richtigen Kündigungstermin ausgelegt werden, wenn es dem Arbeitgeber für den Arbeitnehmer erkennbar wesentlich um die Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist ging und sich das in der Kündigung aufgenommene Datum lediglich als das Ergebnis einer fehlerhaften Berechnung erweist. KSchG § 4 Satz 1 BAG, Urteil vom 15.05.2013 – 5 AZR 130/123.8 Abwicklungsvertrag – welche Wirkungen entfaltet er? Welche Form- erfordernisse sind zu beachten? 1. Ein Abwicklungsvertrag kann für den Arbeitnehmer die Möglichkeit vorsehen, sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zu erklären. Eine solche Erklärung bedarf jedoch gemäß § 623 BGB zwingend der Schriftform. 2. Der Vereinbarung eines Rechts des Arbeitnehmers zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einem Abwicklungsvertrag mit einer Ankündigungsfrist von drei Tagen gegen Zahlung einer Abfindung steht § 622 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 622 Abs. 5 BGB nicht zwingend entgegen. 3. Eine per Telefax übermittelte schriftliche Kündigungserklärung genügt § 126 Abs. 1 BGB nicht, da die vom Empfangsgerät hergestellte Telekopie lediglich die Ablichtung der Originalunterschrift wiedergibt. BGB §§ 125 Satz 1, 126 Abs. 1, 622 Abs. 1 und Abs. 5, § 623 KSchG § 12 BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 6 AZR 709/14 10

Übrigens, das können unsere Verbandsjuristen für Sie tun:RechtsvertretungSie vertreten unsere Mitglieder • gerichtlich und außergerichtlich im Arbeits- und Sozialrecht sowie in Schwer- behindertenangelegenheiten vor dem Verwaltungsgericht • außergerichtlich auf anderen Rechtsgebieten nach Einzelfallentscheidung • in Interessenvertretungen auf dem Gebiet des öffentlichen Vergaberechts (VOB/A- Vergabe) gegenüber den Vergabeprüfstellen • bei der Rechtsverfolgung von SchwarzarbeitRechtsberatungSie beraten unsere Mitglieder in Angelegenheiten des • Arbeits-, Sozial- und Tarifrechts • Zivilrechts im Allgemeinen und des privaten und öffentlichen Baurechts im Besonderen • Handwerks- und Gewerberechts • WettbewerbsrechtsZusätzlich beraten sie zum Vergaberecht zum Ordnungswidrigkeits- und Strafrecht zum Handels- und Gesellschaftsrecht zum Arbeitsförderungs- und Rentenrecht zum Betriebsverfassungsrecht.RechtsetzungIm Auftrag unserer Mitglieder • bringen sie sich in die Schaffung gesetzlicher Normen und Entscheidungen ein • machen sie Forderungen gegenüber Ministerien des Bundes und des Landes sowie gegenüber Kommunen geltendAnsprechpartner: RA Dr. iur. Jörn-Christoph Jansen Tel. 0385 7418-116RA Wolfgang Wunder [email protected]. 0385 [email protected] 11


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