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Rechtsreport 2 2020

Published by Bauverband M-V, 2020-07-27 03:38:05

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Bauverband Mecklenburg-Vorpommern e. V. Werderstr. 1, 19055 Schwerin Telefon: 0385 7418-0; Telefax: 0385 7418-180 E-Mail: [email protected]; Internet: www.bauverband-mv.de

Die Vervielfältigung, insbesondere das Fotokopieren, des Rechtsreportes ist nicht gestattet (§§ 53, 54 UrhG) und strafbar (§ 106 UrhG). Im Fall der Zuwiderhandlung wird Strafantrag gestellt. 2

Aus dem Inhalt: Seite 1. Vergaberecht 4 4 1.1 Sind Fehler in der Bauablaufplanung ein Aufhebungsgrund? 4 1.2 Aufhebungsgründe sind umfassend zu dokumentieren! 5 1.3 Unkonkrete Leistungsbeschreibung muss rechtzeitig gerügt werden! 5 1.4 Fehler in der Ausschreibung darf der Bieter ausnutzen! 5 1.5 Anspruch auf Akteneinsicht in Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich? 6 1.6 Aufhebung wegen fehlender Haushaltsmittel setzt ordnungsgemäße Kostenschätzung voraus! 6 1.7 Über fremdes Benutzerkonto hochgeladenes Angebot ist auszuschließen! 7 1.8 E-Vergabe: Funktionierende IT ist Bietersache! 7 1.9 Wann kann eine Ausschreibung wegen unangemessen hoher Preise aufgehoben werden? 1.10 Corona-Pandemie ist ein Aufhebungsgrund! 2. Baurecht 2.1 Förmliche Abnahme vereinbart: Keine Abnahme durch Fertigstellungsanzeige! 8 2.2 Wie lange ist eine „angemessene“ Mängelbeseitigungsfrist? 8 2.3 Teilkündigung eine VOB-Vertrags: Ein Buch mit sieben Siegeln? 9 2.4 Leistung anders, aber besser ausgeführt: Kein Anspruch auf Mängelbeseitigung? 9 2.5 Auftraggeber kann Teilleistungen vorzeitig abnehmen! 9 2.6 Vergütung für unnütz vorgehaltene Produktionsmittel ist Maßstab für die Entschädigungshöhe! 10 2.7 Zimmermann und Dachdecker müssen auf Holzbockbefall hinweisen! 10 2.8 Angelieferte, aber nicht eingebaute Bauteile sind keine erbrachten Leistungen! 10 2.9 Kann ein Bauzeitnachtrag im einstweiligen Verfügungsverfahren geklärt werden? 11 2.10 Auch Nachträge wegen zusätzlicher Leistungen werden nach tatsächlichen Kosten vergütet! 11 2.11 Keine Baufreiheit: Auftragnehmer muss Produktionsmittel nicht unbegrenzt vorhalten! 12 2.12 Bauherr erklärt die Abnahme: Auch die Vergütung eines Nach-Nachunternehmers wird fällig! 12 3. Arbeitsrecht 3.1 Schadensersatz wegen Verfalls des Zusatzurlaubs für Schwerbehinderte 13 3.2 Abgrenzung von Änderungskündigung und Teilkündigung bei einer Lohnkürzung 13 3.3 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: Einheit des Verhinderungsfalls 13 3.4 Verzugszinsen auf Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft 14 3.5 SOKA-Bau Pflicht und Vermietung von Baumaschinen 14 3.6 Lügen im Kündigungsschutzprozess 15 3.7 Fristlose Kündigung wegen privater Internetnutzung 15 3.8 Fristlose Kündigung bei schwerbehinderten Menschen 16 3.9 Kündigung bei Schwangerschaft – Geltung vor vereinbarter Tätigkeitsaufnahme 16 Rechtsvertretung, Rechtsberatung, Rechtsetzung – Ihr Ansprechpartner 17 3

1. Vergaberecht 1.1 Sind Fehler in der Bauablaufplanung ein Aufhebungsgrund? 1. Es ist Aufgabe des öffentlichen Auftraggebers, den Beschaffungsbedarf vor Verfahrensbeginn sorgfältig zu bestimmen. Änderungen des Bauablaufs, die nicht auf unvorhersehbaren, nachträglich eintretenden Ereignissen beruhen, fallen in seine Risikosphäre. 2. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht dazu verpflichtet, den Zuschlag zu erteilen. Hebt er die Ausschreibung auf, ohne dass ein in der Vergabeordnung genannter Aufhebungsgrund vorliegt, ist die Aufhebung zwar rechtswidrig, aber dennoch wirksam. 3. Die Aufhebung aus anderen und nicht gerechtfertigten Gründen (rechtswidrige Aufhebung) kann zum Schadensersatz verpflichten. VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30.07.2019 – 3 VK LSA 23/19 Hinweis: Mit der Einführung der Landesvergabegesetze und der Unterschwellen- vergabeverordnung haben sich die Möglichkeiten der Bieter, einen effektiven Rechtsschutz durchzusetzen, deutlich verbessert. Eine nach Veröffentlichung der Ausschreibung erforderliche Umstellung des Bauablaufs hat immer die ausschreibende Stelle, die schließlich über die Planungshoheit verfügt, zu vertreten. 1.2 Aufhebungsgründe sind umfassend zu dokumentieren! 1. Auf ein Angebot mit einem unangemessen hohen Preis darf der Zuschlag nicht erteilt werden. Die Feststellung eines unangemessen hohen Angebotspreises muss jedoch auf einer ordnungsgemäßen Schätzung des Auftragswerts beruhen. 2. Die Methoden der Auftragswertschätzung müssen ein wirklichkeitsnahes Schätzungsergebnis ernsthaft erwarten lassen. Für die Rechtmäßigkeit seiner Auftragswertschätzung trifft den Auftraggeber die Darlegungs- und Beweislast. 3. Entscheidet sich der Auftraggeber für die Aufhebung, hat er alle entscheidungs- relevanten Gründe und Erwägungen sorgfältig und vollständig zu dokumentieren (hier verneint). 4. Trotz Rechtswidrigkeit der Aufhebung ist diese wirksam und von den Bietern hinzunehmen, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht und die Aufhebung nicht zur Diskriminierung einzelner Bieter, zum Schein oder aus Willkür erfolgt ist. VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 01.11.2019 – 3 VK LSA 37/19 LVG-SA § 19 Abs. 2; VOB/A 2019 § 17 Abs. 1 Nr. 3, § 20 Hinweis: Der Auftraggeber muss im Vorfeld der Ausschreibung eine Kostenschätzung erstellen, die im Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung marktübliche Preise abbildet. Ist die Kostenschätzung des Auftraggebers veraltet oder „schön“ gerechnet“, ist eine auf ihr basierende Verfahrensaufhebung rechtwidrig. Hier drohen dem Auftraggeber empfindliche Schadensersatzansprüche bis hin zum entgangenen Gewinn des Bieters! 1.3 Unkonkrete Leistungsbeschreibung muss rechtzeitig gerügt werden! 1. Eine Rügepräklusion kommt nur bei auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhenden und ins Auge fallenden Rechtsverstößen in Betracht. Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem verständigen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots bzw. seiner Bewerbung auffallen muss. 4

2. Einem verständigen Bieter muss auffallen, wenn die Zuschlagskriterien und die Leistungsbeschreibung derart unkonkret ausgestaltet sind, dass die Angebotserstellung stark erschwert bis unmöglich ist, weil unklar bleibt, welche Leistung der Auftraggeber begehrt. Das gilt erst recht, wenn der Bieter über vergaberechtliche Expertise verfügt. VK Bund, Beschluss vom 18.01.2020 – VK 2-94/19 GWB § 121 Abs. 1, § 127 Abs. 4, § 160 Abs. 3; VgV § 46 Abs. 2 1.4 Fehler in der Ausschreibung darf der Bieter ausnutzen! 1. Erkennt ein Bieter mögliche Fehler in den Vergabeunterlagen, ist er nicht dazu verpflichtet, eine Rüge auszusprechen. Es steht ihm frei, einen angenommenen Wettbewerbsvorteil nicht offenzulegen und auf die Rüge zu verzichten. 2. Rügt ein Bieter einen von ihm erkannten Fehler nicht und reicht er dessen ungeachtet ein Angebot ein, muss er es so gestalten, dass es den Vorgaben des Auftraggebers vollständig entspricht. Das gilt auch dann, wenn das Leistungs- verzeichnis nach Ansicht des Bieters mehr Positionen enthält, als tatsächlich anfallen werden. VK Lüneburg, Beschluss vom 21.01.2020 – VGK-41/2019 GWB § 160 Abs. 3; VOB/B 2019 § 13 EU Abs. 1 Nr. 5, § 16 EU Nr. 3 Hinweis: Auch nach Ansicht des OLG München (Beschluss vom 04.04.2013 – Verg 4/13) trifft den Bieter keine Verpflichtung, auf Fehler im Leistungsverzeichnis hinzuweisen. Außerdem rechtfertigt das Erkennen und (kalkulatorische) Ausnutzen von Unstimmigkeiten in der Ausschreibung nicht den Ausschluss des Bieters wegen Unzuverlässigkeit. Eine solche Vorgehensweise kann sich allerdings vertragsrechtlich „rächen“. Denn nach der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte soll es dem (späteren) Auftragnehmer nach Treu und Glauben verwehrt sein, Nachtrags- forderungen zu stellen, wenn er einen Fehler (Lücke) in der Ausschreibung erkennt und den Auftraggeber darauf nicht vor Vertragsschluss hinweist (so z. B. OLG Celle, Urteil vom 02.10.2019 – 14 U 171/18; OLG Naumburg, Urteil vom 13.10.2014 – 12 U 110/14). 1.5. Anspruch auf Akteneinsicht in Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich? 1. In einem Vergabeverfahren nach Abschnitt 1 der VOB/A kann ein Bieter Einsicht in das Submissionsprotokoll und die Mitteilung der Gründe der Nichtberücksichtigung seines Angebots verlangen. 2. Ein weitergehender Anspruch auf Einsicht in die Vergabeakten besteht nicht, § 165 GWB findet keine Anwendung. 3. Ein Bieter kann nicht gem. § 242 BGB Akteneinsicht verlangen, um die Aufdeckung hypothetischer Vergaberechtsverstöße erst zu ermöglichen. OLG Köln, Urteil vom 29.01.2020 – 11 U 14/19 BGB § 242; GWB § 165; VOB/A 2012 §§ 14, 19 1.6 Aufhebung wegen fehlender Haushaltsmittel setzt ordnungsgemäße Kosten- schätzung voraus! 1. Eine Kostenberechnung, die durch Konkretisierungen des Ausschreibungs- gegenstands überholt ist, stellt keine ordnungsgemäße Grundlage für die Auftragswertschätzung dar. 5

2. Liegt keine ordnungsgemäße Auftragswertschätzung vor, wird der Wert von der Vergabekammer ermittelt. 3. Ein sachlicher Grund für eine Aufhebung liegt vor, wenn keine ausreichenden Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.01.2020 – 1 VK 69/19 GWB § 182 Abs. 3, 4; VGV§ 3 Abs. 1, § 8; VOB/A 2019 § 17 EU 1.7. Über fremdes Benutzerkonto hochgeladenes Angebot ist auszuschließen! Verlangt der öffentliche Auftraggeber als formelle Anforderung, dass das Angebot elektronisch über ein auf den Bieter registriertes Benutzerkonto hochzuladen ist, ist das Angebot einer Bietergemeinschaft, das von der Muttergesellschaft eines der BIEGE- Mitglieder hochgeladen wird, vom Vergabeverfahren auszuschließen. VK Bund, Beschluss vom 31.01.2020 . VK 2-102/19 (nicht bestandskräftig) BGB § 126 b; VgV § 9 Abs. 3 Satz 1, § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 2, 3, § 12 Abs. 1, §§ 53, 57 Abs. 1 Nr. 1, 4 Hinweis: Der Auftraggeber weist darauf hin, dass die Zulassung eines Hochladens vor Angeboten über Benutzerkonten Dritter zusätzlich das Risiko bergen wurde, dass mehrere konkurrierende Angebote hochgeladen werden könnten und dadurch Manipulationsrisiken bestehen. Dies sollte durch die Vorgaben hier gerade vermieden werden. Abzuwarten bleibt, wie das OLG Düsseldorf, wo gegen den Beschluss Beschwerde (Az: Verg 6/20) eingereicht wurde, entscheiden wird. 1.8 E-Vergabe: Funktionierende IT ist Bietersache! 1. § 160 Abs. 3 GWB enthält keine Formvorschriften, so dass eine Rüge formlos, bspw. auch mündlich, angebracht werden kann. Insoweit ist es unschädlich, wenn eine Rüge dem Auftraggeber ausschließlich per Telefax und E-Mail zugeleitet und nicht über das Bietercockpit auf der Vergabeplattform hochgeladen wird. 2. Ein nicht fristgerechtes Angebot wird nur dann nicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV ausgeschlossen, wenn der Bieter die zu späte Angebotsabgabe nicht zu vertreten hat. Maßstab für das Vertretenmüssen ist zunächst § 276 BGB. Die dazu ausreichende einfache Fahrlässigkeit bestimmt sich nach dem am allgemeinen Verkehrsbedürfnis ausgerichteten objektiv-abstrakten Sorgfaltsmaßstab. 3. Es ist Sache des Bieters dafür zu sorgen, dass seine Hard- und Software korrekt installiert sind und aktuell gehalten werden. Ebenso hat der Bieter sicherzustellen, dass seine allgemeine Netzwerkumgebung und Internetverbindung leistungsfähig ist, um die erforderlichen Datenmenge zu transportieren und im erforderlichen Maß mit der Vergabeplattform zu kommunizieren. Der Verantwortungsbereich des Bieters beginnt und endet am Übergabepunkt, also dort, wo die Daten seinen technischen Einflussbereich betreten bzw. verlassen. 4. Es erscheint mindestens bedenklich, wenn ein Bieter den entscheidenden technischen Prozess des Hochladen eines Angebots auf der Vergabeplattform mit dem man sich für einen Auftrag für einen langfristigen Leistungszeitraum bewerben möchte und hinter dem ein wirtschaftliches Volumen im zweistelligen Millionen- bereich steht, nicht nur über eine halbe Stunde sondern über fünf Stunden, bzw. eine Nacht lang sich selbst überlässt. VK Sachsen, Beschluss vom 27.02.2020 – 1/SVK/041-19 BGB § 276; GWB § 160 Abs. 3; VgV § 57 Abs. 1 Nr. 1 6

1.9 Wann kann eine Ausschreibung wegen unangemessen hoher Preise aufgehoben werden? 1. Eine Ausschreibung kann aufgehoben werden, wenn keinem Angebot wegen unangemessen hohen Preises der Zuschlag erteilt werden kann. 2. Maßstab für die Ermittlung eines angemessenen Preises und damit für die Beurteilung, ob ein Preis unangemessen hoch ist, können Angebote anderer Bieter, Daten aus anderen Ausschreibungen, für vergleichbare Leistungen vom Auftraggeber gezahlte oder ihm angebotene Preise, eigene Kostenschätzungen und Kalkulationen beratender Ingenieurbüros sein. 3. Für einen zulässigen Vergleich zwischen der Kostenschätzung des Auftraggebers und dem gebotenen Preis müssen das der Kostenschätzung zu Grunde liegende Leistungsverzeichnis sowie das Leistungsverzeichnis der Ausschreibung übereinstimmen. Zudem müssen die bei der Kostenschätzung gewonnenen Ergebnisse als vertretbar erscheinen. 4. Bei der Frage der Angemessenheit des Preises ist auf den Gesamtpreis abzustellen und nicht auf einzelne Preispositionen. VK Thüringen, Beschluss vom 28.02.2020 – 250-4002-21/2020-E-002-IK VOB/A 2019 § 16 d EU Abs. 1 Nr. 1, § 17 EU Abs. 1 Hinweis: Im vorliegenden Fall war die Aufhebung zwar wirksam, aber rechtwidrig, so dass die Geltendmachung von Schadensersatz offensteht. Die Entscheidung zeigt die Tücken der Aufhebung wegen unangemessen hoher Preise auf. Der Verweis auf die fließenden Wertgrenzen und die Maßgeblichkeit des Einzelfalls schürt die Rechtsunsicherheit. Es ist Vorsicht geboten. 1.10 Corona-Pandemie ist ein Aufhebungsgrund! 1. Die pandemische Verbreitung des neuartigen Coronavirus ab Januar 2020 ist ein weder dem Auftraggeber zurechenbares noch vorhersehbares Ereignis. 2. Durch die akute pandemische Ausbreitung des Corona-Virus und die damit einher- gehenden wirtschaftlichen Folgen aufgrund von Betriebsschließungen können sich die Grundlagen eines Vergabeverfahrens grundlegend ändern, so dass der Auftraggeber berechtigt ist, das Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben. 3. Der öffentliche Auftraggeber ist im Nachprüfungsverfahren nicht kategorisch mit allen Aspekten und Argumenten präkludiert, die nicht im Vergabevermerk zeitnah niedergelegt worden sind. Die Anordnung der Wiederholung der betroffenen Abschnitte des Vergabeverfahrens bleibt solchen Fällen vorbehalten, in denen die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten. VK Bund, Beschluss vom 06.05.2020, VK 1-32/20 GWB § 63 Abs. 1, 2; VgV § 8 Abs. 1, 2 7

2. Baurecht 2.1 Förmliche Abnahme vereinbart: Keine Abnahme durch Fertigstellungsanzeige! Haben die Parteien eines Bauvertrags vereinbart, dass die Leistung förmlich abgenommen wird, ist die Möglichkeit einer fiktiven oder konkludenten Abnahme ausgeschlossen. OLG München, Beschluss vom 25.09.2017 – 9 U 1847/17 Bau BGH, Beschluss vom 18.09.2019 – VII ZR 248/17 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen) BGB § 640; VOB/B § 12 Abs. 4, 5 Nr. 1 Hinweis: Die Vereinbarung einer förmlichen Abnahme schließt die Möglichkeit einer schlüssigen Abnahme – insbesondere durch Ingebrauchnahme – nicht von vornherein aus. Die Parteien können im Einzelfall auf eine vereinbarte förmliche Abnahme einvernehmlich verzichten. Ein solcher Verzicht kann nach Ansicht des OLG Düsseldorf insbesondere Darin liegen, dass der Auftragnehmer die Schlussrechnung stellt und der Auftraggeber die fertige Bauleistung in Benutzung nimmt, ohne dass eine der Parteien deutlich macht, dass sie noch auf die vereinbarte förmliche Abnahme zurückkommen will. Dabei ist es unerheblich, ob sich die Parteien der Tatsache bewusst waren, dass eine förmliche Abnahme eigentlich vorgesehen war, oder ob sie das nur vergessen haben (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.12.2018 – U 93/18). 2.2 Wie lange ist eine „angemessene“ Mängelbeseitigungsfrist? 1. Vor einer Kündigung des Bauvertrags wegen Mängeln hat der Auftraggeber dem Auftragnehmer eine angemessene Frist zur Mängelbeseitigung einzuräumen. 2. Ob eine Frist zur Mängelbeseitigung angemessen ist, bestimmt sich objektiv nach Art und Umfang der erforderlichen Arbeiten. Abzustellen ist auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere auf den Zeitaufwand eines tüchtigen und sorgfältigen Auftragnehmers. 3. Zu berücksichtigen ist auch, eine gewisse Vorlaufzeit in der der Auftragnehmer alles Organisatorische veranlassen kann. 4. Ein Nachunternehmer kann nicht einfach das Grundstück des Bauherrn betreten, dort seine Gerätschaften abstellen und mit den Mängelbeseitigungsarbeiten beginnen. Die erforderlichen Einwilligungen zu beschaffen, obliegt dem Auftrag- geber. OLG Brandenburg, Urteil vom 21.03.2018 – 11 U 124/15 BGH, Beschluss vom 06.11.2019 – VII ZR 98/18 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen) BGB §§ 294, 631 Abs. 1, §§ 633, 634, 640, 641 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VOB/B § 4 Abs. 7 Satz 3, § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1, § 16 Abs. 3 Nr. 1 Hinweis: Wenn der Auftraggeber dem Auftragnehmer nicht Gelegenheit gibt, Baumängel in angemessener Frist zu beseitigen, kann der Auftraggeber keine Ansprüche aus Umständen (Baumängeln) herleiten, die der Auftragnehmer durch eine fachgerechte Nachbesserung hätte beseitigen können. 8

2.3 Teilkündigung eine VOB-Vertrags: Ein Buch mit sieben Siegeln? 1. Die in der VOB/B mehrfach zu findende Formulierung „in sich abgeschlossener Teil der Leistung\" ist einheitlich auszulegen, auch wenn sie in verschiedenen Regelungen (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 und § 12 Abs. 2 VOB/B) verwendet wird (Anschluss an BGH, Urteil vom 20.08.2009 – VII ZR 2012/07). 2. Leistungsteile innerhalb eines Gewerks (hier: Arbeiten an einzelnen Wänden und Geschossdecken eines Gebäudes) können nicht als in sich abgeschlossen angesehen werden. 3. Wird eine Bauzeit von „ca. einem Jahr\" angegeben, muss der Auftragnehmer eine Bauzeitverlängerung in der Größenordnung von 10 % (fünf bis sechs Wochen) einkalkulieren. 4. Hat es der Auftraggeber versäumt, verbindliche Vertragsfristen zu vereinbaren, kann er eine Kündigung nicht auf die Regelung des § 5 Abs. 4 VOB/B (Kündigung wegen Verzugs mit der Vollendung) stützen. OLG Celle, Urteil vom 27.02.2019 – 7 U 227/18 BGH, Beschluss vom 20.11.2019 – VII ZR 56/19 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen) VOB/B § 5 Abs. 4, § 8 Abs. 3, § 12 Abs. 2 Hinweis: Es muss vor allem bedacht werden, dass eine unwirksame Teilkündigung dazu führt, dass die Beschränkung der Kündigung entfällt. Der Bauherr kündigt dann unwissentlich den gesamten Vertrag. Dies kann nur verhindert werden, wenn unmissverständlich erklärt wird, dass der Vertrag im Übrigen unangetastet bleiben soll. 2.4 Leistung anders, aber besser ausgeführt: Kein Anspruch auf Mängelbeseitigung? Auch wenn die Leistung nicht der vereinbarten Beschaffenheit entspricht, kann der Besteller keine Gewährleistungsansprüche geltend machen, wenn die Ist-Beschaffenheit aus technischer Sicht höherwertig ist als die Soll-Beschaffenheit. OLG Koblenz, Urteil vom 23.02.2017 – 6 U 150/16 BGH, Beschluss vom 18.12.2019 – VII ZR 68/17 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen) BGB §§ 242, 633; VOB/B § 2 Nr. 7, § 13 Nr. 1 2.5 Auftraggeber kann Teilleistungen vorzeitig abnehmen! 1. Die Abnahme als Voraussetzung für die Fälligkeit des vereinbarten Werklohns ist die Anerkennung des Bauwerks als in der Hauptsache vertragsgemäß verbunden mit dessen körperlicher Entgegennahme. 2. Soweit vertraglich vereinbart, ist auch eine Teilabnahme möglich. Darüber hinaus steht es dem Auftraggeber frei, solche Teile des Werks vor Fertigstellung des Gesamtwerks abzunehmen, die sich bei natürlicher Betrachtungsweise abtrennen lassen und insoweit eine sinnvolle selbstständige Einheit darstellen. OLG München, Urteil vom 15.01.2020 – 20 U 1051/19 Bau BGB §§ 640, 641; VOB/B § 12 Hinweis: Der Auftraggeber kann die Abnahme auch dann erklären, wenn noch gar keine Abnahmereife vorliegt, d. h., die Leistung entweder nicht funktionstauglich ist oder wesentliche Mängel aufweist. Voraussetzung ist jedoch, dass ihm der Auftragnehmer die Leistung als weitestgehend fertig gestellt überlässt. Hat er die 9

gesamte Leistung als im Wesentlichen vertragsgerecht akzeptiert, muss er allerdings hinnehmen, dass noch nicht erbrachte Teilleistungen vom Auftragnehmer in die Schlussrechnung eigestellt werden. Geschützt ist er in diesem Fall durch sein Leistungsverweigerungsrecht aus § 641 Abs. 3 BGB. 2.6 Vergütung für unnütz vorgehaltene Produktionsmittel ist Maßstab für die Entschädigungshöhe! § 642 BGB erfordert eine Abwägungsentscheidung des Tatrichters auf der Grundlage der in § 642 Abs. 2 BGB genannten Kriterien. Dabei ist die angemessene Entschädigung im Ausgangspunkt an den auf die unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel entfallenden Vergütungsanteilen einschließlich der Anteile für allgemeine Geschäftskosten sowie für Wagnis und Gewinn zu orientieren. BGH, Urteil vom 30.01.2020 – VII ZR 33/19 BGB § 642; ZPO § 287 Hinweis: Der Tatrichter kann/darf nur schätzen, wenn vom Aufragnehmer „greifbare“ Anhaltspunkte für die Höhe der Entschädigung vorgetragen werden. Das macht es notwendig zu dokumentieren, wo, wann und wie lange welche Produktionsmittel (insbesondere Geräte) während des Annahmeverzugs nutzlos vorgehalten wurden. 2.7 Zimmermann und Dachdecker müssen auf Holzbockbefall hinweisen! Mit Zimmerer- und Innenausbauarbeiten einerseits bzw. mit Dachdeckerarbeiten andererseits beauftragte Werkunternehmer haften für unterlassene Prüf- und Hinweispflichten bei erkennbaren Spuren von Schädlingsbefall im Dachstuhl (hier: Fraßspuren eines Holzbocks). LG Bremen, Urteil vom 14.02.2020 – 4 O 1372/12 BGB § 241 Abs. 1, §§ 242, 280, 281, 633, 634; VOB/B 3 4 Abs. 3, § 13 Abs. 3 Hinweis: Das Gericht attestierte den Handwerkern, sie hätten die sichtbaren Warnsignale übersehen. Zwar sei eine mangelnde Werkleistung nicht anzunehmen, da die Handwerker keine Auftrag gehabt hätten, den Altbaubestand auf Schädlinge zu untersuchen. Gleichwohl treffe die Handwerker aber eine Nebenpflicht, das beigestellte Material, den Baugrund und die Vorarbeiten zu prüfen, ob diese eine geeignete Grundlage für die eigene Leistung bilden. Es hat die Verletzung einer Nebenpflicht auf Prüfung der vorhandenen Holzkonstruktion angenommen. 2.8 Angelieferte, aber nicht eingebaute Bauteile sind keine erbrachten Leistungen! Zu den erbrachten Werkleistungen bei einem vorzeitig beendeten Werkvertrag gehören grundsätzlich nur diejenigen Arbeiten, die sich im Zeitpunkt der Kündigung des Werkvertrags bereits im Bauwerk verkörpern. Demzufolge gehören zu den erbrachten Leistungen grundsätzlich nicht die bereits hergestellten bzw. gelieferten, aber noch nicht eingebauten Bauteile, unabhängig davon, ob sie bereits zur Baustelle geliefert wurden oder nicht. OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.03.2020 – 22 U 222/19 BGB § 631 Abs. 1, § 648; VOB/B § 8 Abs. 3, § 9 Abs. 3 10

Hinweis: Eine Pflicht zur Übernahme noch nicht eingebauter Baustoffe und Bauleistungen durch den Auftraggeber besteht nur unter strengen Voraussetzungen. Der nachfolgende Drittunternehmer wird nur selten einen Vertrag schließen wollen, der ihn dazu verpflichtet, fremde Baustoffe und -teile zu verwenden. 2.9 Kann ein Bauzeitnachtrag im einstweiligen Verfügungsverfahren geklärt werden? 1. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 650 d BGB auf Zahlung von 80 % einer in einem Angebot nach § 650b Abs. 1 Satz 2 BGB genannten Mehrvergütung setzt voraus, dass der Auftraggeber eine Leistungsänderung angeordnet hat. 2. Ein Anordnungsrecht in Bezug auf die Bauzeit wird von § 650 b BGB nicht erfasst. 3. Die Vermutung des § 650 d BGB ist selbst dann anwendbar, wenn die Anordnung nach § 650 b BGB nicht vorliegt. LG Berlin, Beschluss vom 20.04.2020 – 19 O 34/20 BGB § 162 Abs. 1, §§ 632 a, 650 b Abs. 1, § 650 c Abs. 3 Satz 1, § 650 d ZPO §§ 935, 936, 940 Hinweis: Das LG Berlin bejaht in einer der ersten Entscheidungen im einstweiligen Verfügungsverfahren die Anwendbarkeit von § 650 d BGB, auch wenn eine Anordnung nach 650 b BGB ausscheidet. Zwar war dies hier bereits der Fall, weil in den Mitteilung des Baubeginns mangels verbindlicher Vertragstermine keine Änderungsanordnung lag. Das LG Berlin positionierte sich jedoch auch insoweit, dass bauzeitbedingte Änderungen grundsätzlich nicht den §§ 650 b, 650 c BGB unterfallen. Weiter bestätigte das Gericht durch den Erlass der negativen Feststellungsverfügung neben ihrer (umstrittenen) Zulässigkeit auch die Anwendbarkeit des § 650 d BGB bei VOB/B- Verträgen. 2.10 Auch Nachträge wegen zusätzlicher Leistungen werden nach tatsächlichen Kosten vergütet! Der vom BGH mit Urteil vom 08.08.2019 (Az.: VII ZR 34/18 ) aufgestellte Grundsatz, dass für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich sind, findet auch bei der Ermittlung des neuen Einheitspreises von zusätzlichen Leistungen gemäß § 2 Abs. 6 VOB/B Anwendung. OLG Brandenburg, Urteil vom 22.04.2020 – 11 U 153/18 VOB/B § 2 Abs. 6 Hinweis: Der Auftragnehmer muss zu den von der Urkalkulation abweichenden tatsächlich erforderlichen Kosten konkret vortragen. Nach den Feststellungen des OLG legt eine Einigung den Schluss nahe, dass die tatsächlich erforderlichen Kosten den aus der Urkalkulation ermittelten Preisen entsprechen. Es lässt sich insoweit offenbar von § 650 c Abs. 2 BGB leiten, wonach vermutet wird, dass die auf Basis der Urkalkulation fortgeschriebene Vergütung den tatsächlich erforderlichen Kosten entspricht. 11

2.11 Keine Baufreiheit: Auftragnehmer muss Produktionsmittel nicht unbegrenzt vorhalten! 1. Sieht ein Werkvertrag eine Bedarfsposition vor, wonach der Vorhalt eines Produktionsmittels mit einem bestimmten Betrag pro Zeiteinheit zu vergüten ist, steht dem Unternehmer eine Vergütung jedenfalls für den Zeitraum zu, in dem er das bezeichnete Produktionsmittel aufgrund des Annahmeverzugs des Bestellers für diesen bereitgehalten hat (§ 631 Abs. 1 BGB). Einer gesonderten Anordnung des Bestellers bedarf es nicht. 2. Eine solche Bedarfsposition bestimmt zugleich die Höhe des Entschädigungs- anspruchs des Unternehmers aus § 642 BGB wegen des Vorhalts des Produktionsmittels. 3. In einem solchen Fall bestehen Vergütungsanspruch aus § 631 Abs. 1 BGB und Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB nebeneinander in Anspruchskonkurrenz. 4. Während des Annahmeverzugs des Bestellers kann der Unternehmer seine Produktionsmittel nicht unbegrenzt gegen Vergütung bzw. Entschädigung für den Besteller vorhalten. Er hat den Vorhalt eines Produktionsmittels zu beenden, wenn ihn der Besteller dazu anweist. Ansonsten hat er über die Dauer des Vorhalts eine vertretbare Entscheidung zu treffen, bei der die Besonderheiten des Einzelfalls und das berechtigte Bestellerinteresse zu berücksichtigen sind, vor unnötigen Ausgaben geschützt zu werden. KG, Urteil vom 28.04.2020 – 21 U 76/19 BGB §§ 159, 280, 286, 288 Abs. 1, § 631 Abs. 1, § 642 VOB/B § 2 Abs. 5 2.12 Bauherr erklärt die Abnahme: Auch die Vergütung eines Nach-Nachunternehmers wird fällig! 1. Die Vergütung eines Nachunternehmers für ein Werk, dessen Herstellung der Generalunternehmer seinerseits dem Auftraggeber versprochen hat, wird spätestens fällig, soweit das Werk des Generalunternehmers vom Auftraggeber abgenommen worden ist oder als abgenommen gilt. 2. Die sog. Durchgriffsfälligkeit tritt unabhängig davon ein, ob die Abnahme im Verhältnis zwischen Auftraggeber und Generalunternehmer stattgefunden hat und ob dort Abnahmereife zu bejahen ist. 3. Auch in einer viergliedrigen Leistungskette reicht es aus, wenn der Auftraggeber selbst, für den das Werk letztlich bestimmt ist, im Verhältnis zum Generalunter- nehmer die Abnahme erklärt. 4. Vorbehalte im Abnahmeprotokoll hindern den Eintritt der Fälligkeit der Vergütung des Nach-Nachunternehmers nicht. OLG Brandenburg, Urteil vom 10.06.2020 – 11 U 120/17 BGB §§ 631, 633, 636, 640, 641 Abs. 1 Satz 1 VOB/B § 12 Abs. 3 12

3. Arbeitsrecht 3.1 Schadensersatz wegen Verfalls des Zusatzurlaubs für Schwerbehinderte Der Arbeitgeber ist gemäß § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, den schwerbehinderten Arbeitnehmer auf dessen Zusatzurlaub gemäß § 125 SGB IX a. F. (heute § 208 SGB IX) hinzuweisen. Kommt der Arbeitgeber seinen Informations- und Hinweispflichten gemäß der Entscheidung des EuGH vom 06.11.2018 nicht nach, hat der Arbeitnehmer nach §§ 280 Abs. 1 und 3, 283 BGB in Verbindung mit § 249 Abs. 1 BGB einen Schadensersatzanspruch im Form des Ersatzurlaubes, der sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 251 Absatz 1 BGB in einen Abgeltungsanspruch umwandelt. LAG Niedersachsen, Urteil vom 16.01.2019 – 2 Sa 567/18 BGB §§ 241, 249, 251, 280, 283; BUrlG §§ 3, 5 Abs. 1, 7 Abs. 4 SGB IX §§ 47, 86, 89, 125, 208; KSchG §§ 1, 4, 7; SGB X § 32 ZPO §§ 286, 287 Abs. 1, 313 Abs. 3, 373, 533 Hinweis: Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte die Aufforderungs- und Informations- pflicht der Arbeitgeber in zukünftigen Sachverhalten nach Entscheidung des EuGH vom 06.11.2018 konkretisieren werden. Bezüglich des Schadensersatzanspruches wurde Revision zum Bundesarbeitsgericht unter Az. 2 AZN 286/19 zugelassen. 3.2 Abgrenzung von Änderungskündigung und Teilkündigung bei einer Lohnkürzung 1. Zur Auslegung eines als „Änderungskündigung Lohn zum 1.9.2018“ bezeichneten Schreibens der Arbeitgeberin. 2. Eine Änderungskündigung i. S. d. § 2 Satz 1 KSchG setzt voraus, dass der Arbeitgeber den Willen zu erkennen gibt, sich von dem Arbeitnehmer endgültig zu trennen, sollte dieser den vorgeschlagenen Vertragsänderungen nicht zustimmen. 3. Teilkündigungen, mit denen der Kündigende einzelne Vertragsbedingungen gegen den Willen der anderen Vertragspartei einseitig ändern will, sind grundsätzlich unzulässig. Sie stellen einen unzulässigen Eingriff in das ausgehandelte Äquivalenz- und Ordnungsgefüge des Vertrags dar LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 29.10.2019 – 5 Sa 72/19 KSchG §§ 2 Satz 1, § 4 Satz 2; BGB §§ 311 Abs. 1, 611 Abs. 2; ZPO § 256 Abs. 1 Hinweis: Die einseitige Änderung von Arbeitsbedingungen (z. B. Lohnkürzungen) ist einseitig nur mit einer Änderungskündigung möglich. Der Arbeitgeber muss also grundsätzlich auch bereit sein, den Bestand des ganzen Arbeitsverhältnisses aufzugeben. Andernfalls handelt es sich „nur“ um eine unzulässige Teilkündigung. 3.3 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: Einheit des Verhinderungsfalls Der gesetzliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue, auf einem anderen Grundleiden beruhende Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls). Ein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits zum Zeitpunkt beendet war, zu dem die weitere Erkrankung zur Arbeitsunfähigkeit führte. 13

BAG, Urteil vom 11.12.2019 – 5 AZR 505/18 EFZG § 3 Abs. 1 Satz 1 Hinweis: Nach der Entscheidung des BAG trifft den Arbeitnehmer für Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit die Darlegungs- und Beweislast, wenn er in unmittelbarer Folge einer den Sechs-Wochen-Zeitraum überschreitenden Krankheit Entgeltfortzahlung aufgrund einer neuen Erkrankung geltend macht und sich der Arbeitgeber auf den Grundsatz der Einheit des Behinderungsfalls beruft. 3.4 Verzugszinsen auf Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft 1. Der tarifliche Zinssatz der Verfahrenstarifverträge im Baugewerbe in Höhe von 1 % der Beitragsforderung für jeden angefangenen Monat des Verzugs verletzt weder Grundrechte noch § 138 BGB. Die monatsweise Staffelung ist als typisierende Regelung mit Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz vereinbar. Die Höhe des Zinssatzes verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 2. Die rückwirkende Geltungserstreckung der Verfahrenstarifverträge im Baugewerbe auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber durch § 7 SokaSiG begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. 3. Die Pflicht zur Entrichtung von Beiträgen zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft verletzt die betroffenen Arbeitgeber weder in ihren Rechten auf Vereinigungsfreiheit nach Art. 11 EMRK noch in ihren Rechten auf Schutz des Eigentums nach Art. 1 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK. BAG, Urteil vom 18.12.2019 – 10 AZR 322/17 VTV 2013 II § 1 Abs. 1, 2 Abschnitt V Nr. 29, III Satz 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 VTV 2011 § 21 Abs. 1 Satz 1; VTV 2009 § 21 Abs. 1 Satz 1; VTV 2007 II § 22 Abs. 1 Satz 1; VTV 2007 I § 22 Abs. 1 Satz 1; VTV 2005 § 22 Abs. 1 Satz 1; EMRK Art. 1 Abs. 1, 11; AEntG § 5; ArbGG § 98; GG Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 9 Abs. 3, 12 Abs. 1, 19 Abs. 1 und Abs. 4, 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3; GRCh Art. 51 Abs. 1 Satz 1; AEUV Art. 107 Abs. 1, 267 Abs. 3 SokaSiG § 7, Anl. 28, 31, 32, 33, 34; TVG §§ 4 Abs. 5, 5; BGB §§ 138, 184, 276 Abs. 1 Satz 1, 286; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2 3.5 SOKA-Bau Pflicht und Vermietung von Baumaschinen 1. Hätte die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft im Rahmen einer Betriebsprüfung theoretisch Kenntnis von Tatsachen erlangen können, die dagegen sprechen, dass der betriebliche Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge eröffnet ist, ergeben sich daraus noch keine erhöhten Anforderungen an ihre Darlegungslast auf der ersten Stufe nach § 138 Abs. 1 ZPO. 2. Eine mit Bedienungspersonal vermietete Baumaschine wird „zur Erbringung baulicher Leistungen“ im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 39 der Verfahrenstarifverträge im Baugewerbe eingesetzt, wenn mit ihrer Hilfe Tätigkeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschnitt I bis Abschnitt V der Verfahrenstarifverträge oder damit im Zusammenhang stehende Arbeiten ausgeführt werden. 3. Die Vermietung von Kettenbaggern mit Baggerführern an ein Abbruchunternehmen erfüllt das Tätigkeitsbeispiel des § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 39 der Verfahrenstarifverträge im Baugewerbe, auch wenn damit lediglich das Abbruchgut auf der Baustelle zur fachgerechten Entsorgung aufbereitet wird. 4. Der Senat hält die rückwirkende Erstreckung der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe durch § 7 Abs. 3 bis 7 in Verbindung mit den Anlagen 28-32 SokaSiG für verfassungsrechtlich unbedenklich. 14

BAG, Urteil vom 18.12.2019 – 10 AZR 141/18 TVG § 1; GG Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3, 9 Abs. 3, 20 Abs. 2 SokaSiG § 7 Abs. 3 bis 7, Anlagen 28-32 ZPO § 138 Abs. 1; VTV 2012 § Abs. 1, 2 Abschnitt V Nr. 10, Nr. 36, Nr. 39, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 VTV 2013 § 1 Abs. 1, 2 Abschnitt V Nr. 19, Nr. 29, Nr. 36, Nr. 39, Abs.3 Satz 1 Nr. 1 § 15 Abs. 1 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 ArbGG 1979 § 98; ZPO § 138 Abs. 1, § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 3.6 Lügen im Kündigungsschutzprozess Bewusst falscher Tatsachenvortrag im Prozess, um eine günstige Entscheidung des Gerichts zu erreichen (hier bewusst falsche Angaben zur auszuübenden Tätigkeit, um gerichtlich feststellen zu lassen, zu bestimmten Arbeiten nicht verpflichtet zu sein), kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. LAG Nürnberg, Urteil vom 22.01.2020 – 6 Sa 297/19 BGB § 626 Abs. 1, Abs. 2 Hinweis: Die vorsätzlich unwahre Sachverhaltsdarstellung in einem gerichtlichen Verfahren rechtfertigt regelmäßig die außerordentliche Kündigung, da dies das notwendige Vertrauensverhältnis erheblich stört und der Erklärende nicht davon ausgehen kann, dass die Gegenseite solches hinnehmen würde. Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls, u. a. dem Lebensalter des Klägers, hat das LAG allerdings hier zugunsten des Arbeitnehmers entschieden und in der 2. Instanz der Kündigungsschutzklage stattgegeben. 3.7 Fristlose Kündigung wegen privater Internetnutzung Die private Nutzung von Internet und E-Mail am Dienst-PC trotz entsprechenden Verbots während der Arbeitszeit rechtfertigt jedenfalls dann eine fristlose Kündigung, wenn der Arbeitnehmer sowohl an mehreren Tagen durchgehend, als auch über Monate hinweg, regelmäßig E-Mail- und URL-Aufrufe zu privaten Zwecken getätigt hat. Dies gilt umso mehr, wenn zwischen den einzelnen URL-Aufrufen ein Zeitraum von weniger als ein bis zwei Minuten liegt, denn dazwischen kann keine Arbeitsleistung erbracht worden sein. LAG Köln, Urteil vom 07.02.2020 – 4 Sa 329/19 BGB §§ 323 Abs. 2, 626 Abs. 1 und 2; BDSG § 26 Abs. 1; ArbGG § 64 Abs. 7 Hinweis: Das LAG stellt klar, dass die private Internetnutzung während der Arbeitszeit nach ständiger Rechtsprechung des BAG eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Dies kann unabhängig davon gelten, ob die private Internetnutzung arbeitsvertraglich untersagt ist. Im Rahmen der Interessenabwägung spielt das vertragliche Verbot neben dem Umfang der privaten Nutzung aber weiterhin eine maßgebliche Rolle. Darüber hinaus kann die Auswertung und Verarbeitung derartiger Verlaufsdaten datenschutzrechtlich auch ohne Einwilligung zulässig sein, wenn diese einer Missbrauchskontrolle dienen und anderenfalls ein Nachweis nicht erbracht werden kann. 15

3.8 Fristlose Kündigung bei schwerbehinderten Menschen 1. Nach § 5 SGB IX kann eine außerordentliche Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamts erklärt wird. Der Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist Anwendungsvoraussetzung von § 174 Abs. 5 SGB IX. 2. Entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB bedeutet „unverzüglich“ auch im Rahmen von § 174 Abs. 5 SGB IX „ohne schuldhaftes Zögern“. Nach einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ist ohne das Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich keine Unverzüglichkeit mehr gegeben. 3. Die Frage der Rechtzeitigkeit der Antragstellung beim Integrationsamt bestimmt sich nach § 174 Abs. 2 SGB IX. Die Einhaltung der Frist ist Rechtmäßigkeits- voraussetzung für die Erteilung der Zustimmung. Sie ist allein vom Integrationsamt bzw. im Falle der Anfechtung der Entscheidung von den Verwaltungsgerichten zu prüfen. An eine nicht nichtige Zustimmung zur Kündigung sind die Arbeitsgerichte gebunden, solange sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist. BAG, Urteil vom 27.02.2020 – 2 AZR 390/19 BGB §§ 121 Abs. 1, 626 Abs. 2; SGB IX § 174 Abs. 5; SGB IX § 91 Abs. 5 a. F. VwVfG § 43; SGB X § 39 Hinweis: Beim Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nach Zustimmung des Integrationsamts muss der Arbeitgeber nicht sofort, doch aber zügig und bedacht handeln. Maßgeblich ist die (erste) sichere Kenntnis von der Entscheidung des Integrationsamts. Wartet der Arbeitgeber nach der (fern-)mündlichen Mitteilung der Entscheidung erst den Eingang des schriftlichen Zustimmungsbescheids ab, zögert er bereits schuldhaft. Bei der Frage, ob eine Kündigung unverzüglich nach der Zustimmung des Integrationsamts ausgesprochen wurde, kommt es zudem auf den Zugang der Kündigungserklärung beim Arbeitnehmer und nicht nur auf die unverzügliche Absendung des Kündigungsschreibens an. 3.9 Kündigung bei Schwangerschaft – Geltung vor vereinbarter Tätigkeitsaufnahme 1. § 17 Abs. 1 MuSchG enthält ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB. Eine Kündigung unter Verstoß gegen dieses Verbot ist gemäß § 134 BGB nichtig. 2. Das Kündigungsverbot gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG gilt auch für eine nach Vertragsabschluss, aber vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme erklärte Kündigung des Arbeitgebers. 3. Diese Auslegung von § 17 Abs. 1 Nr.1 MuSchG steht im Einklang mit dem Unionsrecht. Ob sie darüber hinaus sogar unionsrechtlich geboten ist, bedurfte keiner Entscheidung. BAG, Urteil vom 27.02.2020 – 2 AZR 498/19 MuSchG § 17 Abs. 1, Abs. 2; BGB § 134 Hinweis: Die Entscheidung führt die bisherige Rechtsprechung des BAG in Bezug auf das Kündigungsverbot von Schwangeren fort und betont mit großer Deutlichkeit den besonderen Schutz, den Frauen in dieser Situation genießen. Arbeitgeber sind dennoch nicht schutzlos; sie können einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim zuständigen Amt stellen. 16

§ Rechtsvertretung § § Rechtsberatung § § Rechtsetzung § Ihr Ansprechpartner: RA Dr. iur. Jörn-Christoph Jansen Tel.: 0385 7418-115 Fax: 0385 7418-180 E-Mail: [email protected] Rechtsvertretung Wir vertreten Sie: gerichtlich und außergerichtlich im Arbeits- und Sozialrecht sowie in Schwerbehindertenangelegenheiten vor dem Verwaltungsgericht Es entstehen für Sie keine Prozess- und Anwaltskosten! außergerichtlich auf anderen Rechtsgebieten nach Einzelfallentscheidung bei der Vermittlung von Fachanwälten auf dem Gebiet des öffentlichen Vergaberechts (VOB/A-Vergabe) gegenüber den Vergabeprüfstellen bei der Rechtsverfolgung von Schwarzarbeit Rechtsberatung Wir beraten unsere Mitglieder in folgenden Angelegenheiten: Arbeits-, Sozial- und Tarifrecht, insbesondere auch zum Betriebsverfassungsrecht Zivilrecht im Allgemeinen und privates und öffentliches Baurecht im Besonderen Handwerks- und Gewerberecht Wettbewerbsrecht Zusätzlich beraten wir: zum Vergaberecht zum Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht zum Handels- und Gesellschaftsrecht zur Durchführung von BEM-Verfahren (Betriebliches Eingliederungsmanagement) Rechtsetzung Im Auftrag unserer Mitglieder bringen wir uns in die Schaffung gesetzlicher Normen und Entscheidungen ein. machen wir Forderungen gegenüber Ministerien des Bundes und des Landes sowie gegenüber Kommunen geltend. 17

Notizen: 18

19

Bauverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. Werderstraße 1 19055 Schwerin Tel.: 0385 7418-0 Fax: 0385 7418-180 [email protected] www.bauverband-mv.de 20


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