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Rechtsreport 3 2014

Published by Bauverband M-V, 2016-04-25 01:46:19

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Recht Lustig(es) zumJahresausklang 2014 Bauverband Mecklenburg-Vorpommern e. V. Werderstr. 1, 19055 Schwerin Telefon: 0385 7418-0; Telefax: 0385 710778 E-Mail: [email protected]; Internet: www.bauverband-mv.de

2Man kann der Rechtsprechung - in den nachfolgendenTexten die der Arbeitsgerichte - und den im diesemZusammenhang handelnden Personen, nämlich denRichterinnen und Richtern, ihren Beisitzerinnen undBeisitzern sowie den beteiligten Anwältinnen und Anwältenund Rechtssekretärinnen und Rechtssekretären sicherlich soallerhand nachsagen und nachtragen. Eines sind siesicherlich nicht, „dröge“ Protagonisten ihres Faches.Die folgenden Fälle sollen Ihnen, liebe Leserinnen und Leserdes Verbands-Rechtsreports, Beispiele aus der Praxisaufzeigen, die zum Nachdenken anregen können, aber auchzum Schmunzeln führen und vor allem die Erkenntnisbringen sollen, dass auch Juristen und andere mehr oderweniger Rechtskundige nur Menschen sind

3 1„Auch Richter sind nur Menschen.“Zu den Erlebnissen von Arbeitgebern und ihren Vertretern bei Verhandlungen vorden Arbeitsgerichten gehört immer wieder, dass Richter/Innen Druck auf dieParteien, vornehmlich die Arbeitgeberseite, gelegentlich aber auch auf dieArbeitnehmerseite, ausüben. Nachfolgend ein Beispiel aus einer Entscheidung desBAG vom 12.05.2010 – 2 AZR 544/08. Zugrunde lagen geäußerte Drohungen desvorsitzenden Richters gegenüber einem Kläger, wenn dieser nicht einem Vergleichzustimmt. Nach dem den Verfahrensablauf darstellenden Sachverhalt hatte derKläger in einem Berufungsverfahren zur Anfechtung des erstinstanzlichen Prozess-vergleichs das Folgende geltend gemacht:Die Anfechtung sei wegen widerrechtlicher Drohung begründet. Unmittelbar zuBeginn der Verhandlung vom 16. August 2006 habe der Vorsitzende – offenbarbereits über das Scheitern außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen unterrichtet –seine Unzufriedenheit über den Verfahrensstand zum Ausdruck gebracht und aufseinen – des Klägers – Vortrag zum Grund des Konflikts mit den Worten reagiert:„Passen Sie auf, was Sie sagen; es wird sonst alles gegen Sie verwendet.“ Dadurchsei bei ihm der Eindruck entstanden, der Vorsitzende wolle jegliche Erörterung desStreitstoffs gleich zu Beginn unterbinden. Trotz seiner Erklärung, den Arbeitsplatzwiedererlangen zu wollen, habe dieser das Gespräch sogleich auf die Erörterung derModalitäten eines Vergleichs gelenkt. Da er sich dem nicht offen habe widersetzenwollen, habe er einen seiner Vorstellung entsprechenden Abfindungsbetrag von150.000 Euro genannt. Der Vorsitzende habe darauf erklärt: „Wer bis zuletzt hofft,stirbt mit einem Lächeln“ und sei dazu übergegangen, ihm geringe Erfolgsaussichtenseiner Klage wie folgt vor Augen zu führen: “Wenn Sie dem nicht zustimmen, dannkriegen Sie sonst nur 10.000 oder 20.000 Euro, Sie haben keine Chance, höchstens20 %, Sie müssen das machen!“ Seine weiterhin ablehnende Haltung gegenübereinem Vergleich habe der Vorsitzende mit den Worten kommentiert: „Sie spielenVabanque“; „Was Sie machen, ist unverantwortlich im Hinblick auf Ihre familiäreSituation“ und: „Hören Sie mir auf mit Mobbing, davon will ich nichts hören, da kommtnichts bei raus!“ Zusammen mit weiteren unsachlichen Bemerkungen habe dies inihm den Eindruck hervorgerufen, sein Fall werde nicht mehr objektiv und unparteiischbeurteilt. In unverhohlen aggressiver Art habe der Vorsitzende dann geäußert: „SeienSie vernünftig. Sonst müssen wir Sie zum Vergleich prügeln“ und auf seine weitereVerweigerung eines Vergleichsabschlusses ohne Widerrufsmöglichkeit erklärt: „Ichreiße Ihnen sonst den Kopf ab“ und schließlich: „Sie werden sonst an die Wandgestellt und erschossen“ sowie – nach einem „Blick in die Runde“: „Manche mussman eben zu ihrem Glück zwingen“. Danach habe er – der Kläger – endgültig denEindruck gewonnen, der Vorsitzende sei bereit, sich über jedes Recht hinweg-zusetzen. Durch dessen weitere Reaktionen wie „Dann wechseln Sie eben dieStadt.“; „Dann müssen Sie eben wieder unten anfangen und sich hocharbeiten“ seiihm klar geworden, dass gleichgültig sei, was er noch vortrage. So sei nach derErklärung des Vorsitzenden: „Stimmen Sie dem jetzt endlich zu, ich will Mittag essengehen“ der Vergleich geschlossen worden. Erst später sei ihm bewusst geworden,dass diese massiven, einer fairen Verhandlungsführung widersprechendenDrohungen zu seiner Verhandlungsunfähigkeit geführt hätten. Ohne sie hätte er denVergleich nicht geschlossen, zumindest nicht mit dem protokollierten Inhalt. §§§§§§§§§§

42 §§§§§§§§§§In einem Zeugnisstreit hatte sich das Arbeitsgericht Düsseldorf 1984, AZ 6 Ca5682/84 mit der „bedeutsamen und hochinteressanten“ Frage der Deklination desaus der lateinischen Sprache entlehnten Wortes „integer“ zu beschäftigen.Im Zeugnis einer Arbeitnehmerin hieß es u. a.: „Auf Grund ihrer Persönlichkeit, ihresgradlinigen verbindlichen Wesens sowie ihres loyalen integeren Verhaltens . . .“Die Klägerin monierte, dass in dem Wort „integeren“ ein „e“ zu viel wäre.Das Arbeitsgericht kam dazu in einem Orientierungssatz zu der Feststellung: „Esbleibt unentschieden, ob „integren“ oder „integeren“ die für Zeugnisse richtigeSchreibweise darstellt“Um zu diesem Ergebnis zu kommen, bemühte der vorsitzende Richter in derUrteilsbegründung viel Geist und sicherlich auch Humor. Hier folgender Auszug ausdem Urteil:„1. Die Kammer hat der von den Parteien im Einzelnen diskutierten und unterschiedlich beurteilten Frage, welche der beiden hier in Rede stehenden Schreibweisen richtig ist, keine fallentscheidende Bedeutung beigemessen. Sicherlich dürften die Ausführungen, welche die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der Beugung der lateinischen Adjektive auf –er nach der o-Deklination hat vorbringen lassen, zutreffend sein, soweit es sich um Adjektive handelt, bei denen das „-e“ nicht stammhaft ist (vergl. Schmeken, Orbis Romanus, Elementargrammatik, Formenlehren 1975, § 5). Allerdings gilt dies bereits im Lateinischen nicht ausnahmslos, wie z. B. die Beugung des Wortes „dexter“ (als Adjektiv bzw. als Substantiv) zeigt. So heißt es etwa einerseits bei Milnes-Lenard, in: Winni ille Pu, Kapitel V (quo in capite Porcellus in heffalumpum incidit): et dextrae Christophori se arte implicuit“, was übersetzt bedeutet: „Und er klammerte sich eng an Christoph’s rechte Hand“ (Zitat und Übersetzung nach der deutschen Ausgabe der lateinischen Buches „Puh, der Bär“, Goverts-Verlag, 1960/1962. Andererseits ist aber auch die Form „dexteram“ gebräuchlich (vergl. „sedet ad dexteram patris“ = „sitzet zur Rechten des Vaters“ aus dem Glaubensbekenntnis der katholischen Kirche, zitiert nach: Gebet- und Gesangbuch für das Erzbistum Köln, Verlag J.P.Bachem, o. J.) . . . Allerdings erscheint es der Kammer zweifelhaft, ob das von der Beklagten angeregte demoskopische Gutachten ein geeignetes Mittel darstellt, um die zutreffende Rechtschreibung herauszufinden. Wenn auch sicherlich die Lehre von der Rechtschreibung gewisse Ergebnisse der Empirie nicht schlechthin außer Betracht lassen kann, so muss doch die Vorstellung, über sprachliche und grammatikalische Fragen durch Anwendung des Mehrheitsprinzips (Plebiszit) entscheiden lassen zu wollen, nicht unerheblichen Bedenken unterliegen. Selbst wenn man, wie es der Beklagten offenbar vorschwebt, hierbei das „Stimmrecht“ auf den Kreis der Journalisten und Rechtsanwälte begrenzen wollte, so bliebe doch – bei aller Wertschätzung, welche die Kammer für diesen Personenkreis hegt – nach den Erfahrungen des Gerichts nicht gänzlich außer Zweifel, ob dieser Personenkreis als reine „Republik der Humanisten“ bezeichnet werden könnte. . . . Schließlich hat die Kammer auch nicht nur deshalb gewisse Zweifel an der von der Beklagten vorgeschlagenen Methode zur Ermittlung der richtigen Orthographie, weil die Beklagte den sogenannten Lehrstand (einschließlich der

5 3 Lehrpersonen an integrierten Gesamtschulen, deren Außerachtlassung bei Fragen der Orthographie wiederum manchem verständlich erscheinen mag) gänzlich unberücksichtigt lässt, sondern auch deshalb, weil die Kammer aus intensiv gepflogener Lektüre von Journaille und anwaltlich unterzeichneten Schriftsätzen sich der Befürchtung nicht entschlagen kann, es werde sich eine komfortable Majorität für „Entgeld“ statt „Entgelt“, für „weitgehendst“ statt „weitestgehend“ und, horribile dictu, für „Allgemeinplatz“ statt „Gemeinplatz“ finden. Was schließlich das von der Beklagten herangezogene Zitat aus einem Artikel der „Rheinischen Post“ betrifft, so ist zum einen fragwürdig, ob es sich bei bewusstem Sportjournalisten um eine Kapazität oder gar Autorität in Fragen der Grammatik handelt, zum anderen ist auch – sehr grundsätzlich – der von Thomas von Aquin überlieferte Satz zu bedenken, der da lautet: locus ad auctoritate est infirmissimus“ (zit. nach Durant-Durant, Kulturgeschichte, Bd. VII, S. 137). Darüber hinaus mag sich bei der von der „Rheinischen Post“ bevorzugten Schreibweise ein gewisser später Einfluss des mittelalterlichen Lateins geltend machen (Küchenlatein, Kirchenlatein), was bei der bekannten Grundhaltung dieses Blattes jedenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint.2. . . . Für die Kammer ist es nicht vorstellbar, dass irgendeine für Personal- entscheidungen zuständige Stelle in einem privaten oder öffentlichen Betrieb, gleich welcher Art, es der Klägerin „ankreiden“ sollte, dass in ihrem Zeugnis möglicherweise ein „e“ zu viel steht. Im Übrigen wird oft genug – und nach Auffassung der Kammer zu Recht – von Arbeitgebern verlangt, dass sie kleinere, nicht ins Gewicht fallende Unvollkommenheiten ihrer Arbeitnehmer schlicht hinnehmen. Gleiches muss dann aber auch umgekehrt gelten, wobei an dieser Stelle einmal unterstellt wird, dass es sich bei der von der Beklagten gewählten Schreibweise um eine nicht korrekte handelt.“ §§§§§§§§§§Juristen betätigen sich aber nicht nur als Droh-, Schimpf-, Zeugnis-, Sprachexpertenetc. Auch als Dichter sind sie unterwegs, was ein, allerdings einzigartiges, Urteil desArbeitsgerichts Detmold vom 23.08.2007, AZ 3 Ca 842/07, beweist. An dieser Stellesei aus dem Tatbestand zitiert und das vollständige Urteil als Anlage beigefügt.„Der Streit entstand, weil der Beklagte im Rechtsstreit (ArbG Detmold 1 Ca 1129/06)vorzutragen wagte, was nun der Klägerin sehr missfällt. Sie fordert deshalbSchmerzensgeld. Dass der Beklagte schweigen soll verlangt sie ferner voller Groll.Was ist der Grund für ihre Klage? Nun, der Beklagte hat in ........ einst einenSpielbetrieb besessen. Die Klägerin ihrerseits indessen erhielt – als Aufsichteingesetzt – für diese Tätigkeit zuletzt als Stundenlohn, wie man das kennt, nursieben Euro und 11 Cent.Oft kamen dorthin manche Kunden erst in den späten Abendstunden, um sich –vielleicht vom Tagesstress beim Spielen auszuruh´n. Indes behauptet nunmehr derBeklagte, dass es die Klägerin dann wagte, so neben ihren Aufsichtspflichten nochandere Dinge zu verrichten: So habe sie sich nicht geniert und auf dem Hockermasturbiert. Was dabei auf den Hocker troff befände sich im Hockerstoff. DieSpielbar sei aus diesem Grunde als „Russenpuff“ in aller Munde. Er habe zwar nundies Geschehen nicht selbst vor Ort mitangesehen.

64Doch hätten Zeugen ihm beschrieben, was dort die Klägerin getrieben. Er kündigteaufgrund der Kunde der Klägerin aus andrem Grunde, um – dies ließ er jedochbetonen – den Ruf der Klägerin zu schonen. Die Klägerin klagte dann sogleich (ArbGDetmold 1 Ca 1129/06). Man einigte sich im Vergleich – hier mag man die Parteienloben – denn der Vertrag ward aufgehoben und – um die Sache abzurunden – dieKlägerin noch abgefunden.Der Klägerin reichte dies nicht hin, denn ihr steht noch nach Mehr der Sinn. Sie habenie vor all den Zockern sich selbst befriedigt auf den Hockern. Der Pein, die man ihrzugefügt, der werde nur durch Geld genügt. Die Lügen – für sie nicht zu fassen –muss der Beklagte unterlassen.“ §§§§§§§§§§Auch verbale Attacken sind gar nicht mal so selten in den Streitigkeiten derArbeitsvertragsparteien. Nachfolgend einige Beispiele:Mit einem unter anderem auch deshalb gegen eine Abmahnung klagendenArbeitnehmer hatte sich das LAG Rheinland-Pfalz zu beschäftigen. Der Kläger warvon einem Vorgesetzten über eine dritte Person telefonisch aufgefordert worden,umgehend eine Umsatzmeldung abzugeben. Auf diese Aufforderung erwiderte er mitden Worten: “Jawohl, mein Führer!“Das Berufungsgericht befand dazu: „Die Anrede „Jawohl mein Führer“ ist eineindeutig aus dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch entstammendes Zitat. DieÄußerung enthält unmittelbar weder einen Vergleich mit der Person noch mit demVerhalten des „Führers“ Hitler. Allerdings hat der Kläger die Anrede gewählt, mit dersich dieser als Ausdruck des unbedingten Befehlsgehorsams hat anreden lassen.Ein etwaiger Vergleich bezieht sich damit unmittelbar auf die Erwartung unbedingtenBefehlsgehorsams.Soweit der Kläger sich allerdings darauf bezieht, Frau K. habe sich ihm gegenüber imTon vergriffen und er habe hierauf humorvoll und durch die Verwendung militärischerSprache reagieren wollen, so ist dem Kläger entgegenzuhalten, dass das von ihmgewählte Zitat über die danach beabsichtigte Kritik am Befehlston der Frau K.deutlich hinausgeht und eine eindeutige Anspielung auf den nationalsozialistischenMachthaber Hitler enthält.Eine solche Anspielung verbietet sich im innerbetrieblichen Gebrauch, da es sich umeinen Tabubruch durch Verwendung des aus dem nationalsozialistischen Sprach-gebrauch entstammenden Zitats handelt und damit geeignet ist, die Gefühle derbetroffenen Mitarbeiterin zu verletzen.Dem Kläger kann nicht zugestimmt werden, soweit er meint, heutzutage sei diehumorvolle und kabarettistische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Zeit möglichund verbreitet, jedenfalls soweit der Kläger dies auf das Ausüben polemischer Kritikin der betrieblichen Zusammenarbeit erstrecken will. Damit verkennt der Kläger denZusammenhang der Äußerung.

7 5Er hat sich gerade nicht über die Nationalsozialisten lustig gemacht, sondern seinSpott zielte auf Frau K. In diesem Zusammenhang verbietet sich auch nach derEinschätzung der erkennenden Kammer jede Anspielung auf den National-sozialismus. In der Bewertung des Maßes der Beleidigung teilt die Kammerallerdings angesichts der Umstände nicht die drastische Einschätzung dererstinstanzlichen Entscheidung im Vorprozess über die außerordentliche Kündigung,durch die Äußerung stelle der Kläger Frau K. hinsichtlich ihrer Handlungs- undVerhaltensweise mit Menschen auf eine Stufe, die in der Zeit des National-sozialismus Verbrechen anordneten und begingen. Wie ausgeführt, impliziert dasZitat gerade nicht unmittelbar den Vergleich mit Personen oder mit Handlungs- oderVerhaltensweisen, sondern mit der Erwartung unbedingten Befehlsgehorsams. DieÄußerung enthält also eine beleidigende Anspielung nicht aber einen – noch deutlichbeleidigenderen – Vergleich. Auch nach der Einschätzung der Kammer handelt essich aber um eine ernstzunehmende Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis, diegerade im Falle der Wiederholung des Verhaltens innerhalb kurzer Frist von zweiWochen als solche geeignet ist, als Grundlage für eine außerordentlicheverhaltensbedingte Kündigung herangezogen zu werden.“ (LAG Rheinland-Pfalz,Urteil vom 20.01.2011, 11 Sa 353/10) §§§§§§§§§§„Harmlos“, aber dennoch zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führend war dienachfolgende Äußerung eines als „Telefonagenten“ tätigen Arbeitnehmers, derTelefongespräche mit Kunden mit der Äußerung beendete „Jesus hat Sie lieb! VielenDank für Ihren Einkauf bei Q1 und einen wunderschönen Tag!“Von betrieblichen Supervisoren daraufhin angesprochen, dass die von ihm gewählteVerabschiedung nicht den Vorgaben des Standardskripts entspreche, erwiderte derKläger damit, dass er zwei Verpflichtungen nachkommen müsse, nämlich denengegenüber der Beklagten (dem Betrieb) und denen gegenüber Gott. Durch die vonihm gewählte Verabschiedungsformel könne er beiden Verpflichtungen gerechtwerden. In der Folge wurde der Kläger aufgefordert, diese Verabschiedungsformel zuunterlassen. Als er das nicht tat, wurde das Arbeitsverhältnis mit ihm gekündigt. ineinem sich anschließenden Prozess erkannte das LAG Hamm schließlich mit einemLeitsatz: „Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine arbeitgeberseitigeWeisung seine Glaubensüberzeugung verletzt und deshalb von ihm nicht zubeachten ist (hier: Weisung bei der Verabschiedung von Telefonkunden mit demZusatz „Jesus hat Sie lieb“ zu verzichten), muss er plausibel darlegen, dass seineHaltung auf einer für ihn zwingenden Verhaltensregel beruht, gegen die nicht ohneernste Gewissensnot handeln könnte. Gelingt ihm dies nicht, kommt nach denGrundsätzen der sogenannten beharrlichen Arbeitsverweigerung eine außer-ordentlich Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber in Betracht.(LAG Hamm, Urteil vom 20.04.2011, 4 Sa 2230/10) §§§§§§§§§§

86 §§§§§§§§§§Offensichtlich Probleme mit dem weiblichen Geschlecht und frustriert davon, dass dieeigene Männlichkeit von den Damen des Betriebes aus seiner Sicht nichtangemessen wahrgenommen wurde, pöbelte ein Arbeitnehmer weibliche Mitarbei-terinnen immer wieder anzüglich an. Von der Prokuristin in Gegenwart von zweiweiteren Frauen am 08. Februar auf Unterlassung angesprochen, äußerte er nachderen Verlassen eines Raumen gegenüber einer Dritten, „Besser eine Frau mitCharakter, als drei Schlampen.“ Weitere beleidigende und ehrverletzendeÄußerungen gegenüber der Prokuristin erfolgten am 25. Februar. DasArbeitsverhältnis mit dem Kläger wurde schließlich fristlos gekündigt. ImBerufungsverfahren befand das LAG: „Der Kläger hatte bereits vor dem 25. Februarseine Vorgesetzte als auch seine Kollegin immer wieder durch anzüglicheBemerkungen und Schimpfworte in erheblicher Weise vor der gesamten Belegschaftbeleidigt, so dass er bereits am 08. Februar ermahnt und am 10. Februar abgemahntwerden musste. Diese arbeitsrechtlichen Maßnahmen fruchteten indessen nicht,denn der Kläger unterließ – wie der Vorfall vom 25. Februar zeigte – die grobenBeleidigungen nicht. Die Beklagte konnte es nicht länger hinnehmen, dass derKläger durch vertragswidriges Verhalten das Betriebsklima nachhaltig beeinträchtigtund die Autorität seiner Vorgesetzten in der Art und Weise untergräbt. Die Beklagtemusste sich zudem auch schützend vor die Belegschaft stellen. Denn wer wie derKläger immer wieder Vorgesetzte und Kollegen distanzlos und ohne Grund inehrabschneidender Weise beschimpft, gefährdet die betriebliche Ordnung und denBetriebsfrieden. (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 09.06.2011, 5 Sa 509/10) §§§§§§§§§§Schließlich ein weiterer Fall: Ein Kläger, Vorsitzender eines Betriebsrates, wurde vondem beklagten Betrieb abgemahnt, weil er bei einer Begegnung mit zwei Meisternauf dem Betriebsgelände dem einen ein „Scheiß-Wochenende“ und dem anderen„beschissenes Wochenende“ gewünscht hatte. Das Berufungsgericht befand, dasses sich hierbei „um unangemessene und respektlose Äußerungen gegenüber denbeiden Meistern handelt, die nicht zu akzeptieren sind.“ Damit hat der Kläger gegendie ihm nach § 241 Abs. 2 BGB obliegende Rücksichtnahmepflicht verstoßen, diezumindest auch umfasst, dass sich jeder Mitarbeiter gegenüber seinen Arbeits-kollegen und insbesondere auch seinen Vorgesetzten mit einem gewissen „Mindest-Maß“ an Respekt verhält. (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.08.2011, 3 Sa 150/11) §§§§§§§§§§Im April 2010 beschäftigte sich das Arbeitsgericht Stuttgart mit der wichtigen Frage,ob die Begrifflichkeit „Ossi“ eine besondere Ethnie (abgrenzbare Menschengruppe)bezeichnet. Hintergrund war, dass eine Arbeitnehmerin, die bereits 1988 aus demGebiet der DDR in die Bundesrepublik Deutschland umgesiedelt war, mit einerBewerbung auf eine Buchhalterinnen-Stelle gescheitert war. Auf ihrenzurückgesandten Bewerbungsunterlagen befand sich ein Vermerk „Ossi“ und an zweiStellen „DDR“. Die Arbeitnehmerin fühlte sich benachteiligt und rief das Gericht an.Dieses äußerte sich „hochwissenschaftlich“ wie folgt: Nach § 1 AGG soll eineBenachteiligung u. a. „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft“

9 7verhindert oder beseitigt werden. Über diese Voraussetzung wie auch derenEntschädigungsfolge gemäß § 15 Abs. 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungs-Gesetz) streiten die Parteien, wobei der Tatbestand davon geprägt ist, dass der derKlägerin zurückgereichte Lebenslauf die Vermerke „(-)Ossi“ und an zwei Stellen„DDR“, aufgebracht von einer Mitarbeiterin der Beklagten, enthält. Zunächstbeschäftigte sich das Gericht mit dem Inhalt des Begriffs der Ethnie untervölkerrechtlichen Gesichtspunkten. Sodann stellte es fest: „Aus diesem völker-rechtlichen Kontext wird deutlich, dass der Begriff der ethnischen Herkunft auf dermanifestierbaren Unterschiedlichkeit der Menschen gründet. Daher bedarf dieserBegriff einer weiteren Erhellung.b) Wenn dieser Begriff auf das griechische Wort „ethnos“ basiert und dessenÜbertragung in die deutsche Sprache „Volk“ oder „Volkszugehörigkeit“ bedeutet, wirddeutlich, dass die ethnische Herkunft im Sinne von § 1 AGG mehr als nur dieHerkunft aus einem Ort, einem Landstrich, einem Land oder einem gemeinsamenTerritorium beinhaltet. Der Begriff der Ethnie kann nur mit Sinn erfüllt werden, wenner die gemeinsame Geschichte und Kultur, die Verbindung zu einem bestimmtenTerritorium und ein Gefühl der solidarischen Gemeinsamkeit für eine bestimmbarePopulation von Menschen darstellbar macht. Dazu mögen eine gemeinsameSprache, tradiierte Gewohnheiten und Ähnliches gehören.c) Die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Bezeichnung „Ossi“ mag dem Elementeines „Territoriums“ im Begriff der Ethnie entsprechen (die ehemalige DDR/dieNeuen Bundesländer). Eine gemeinsame Sprache prägt ihn jedoch nicht, da in denostdeutschen Ländern Dialekte von sächsisch bis plattdeutsch gesprochen werden,wobei unterschiedliche Dialekte ohnehin nicht einer gemeinsamen Spracheentgegenstehen. Auch die Geschichte der nach 1989 entstandenen Bezeichnung„Ossi“ ist viel zu jung, um seither eine abgrenzbare Population beschreiben zukönnen. Dass die damalige DDR und die Bundesrepublik Deutschland gesellschafts-politisch unterschiedliche Entwicklungen bis 1989 aufzeigen, lässt die (ehemaligen)Bürger beider staatlicher Räume nicht als abgrenzbare Ethnien von jeweils eigenerArt beschreiben, denn die gemeinsame Geschichte seit Abschaffung der Klein-staaterei, die gemeinsame Kultur der letzten 250 Jahre, die von Dialektunterschiedenabgesehene gemeinsame Sprache machen deutlich, dass im 21. Jahrhundertregionale Unterscheidungsmöglichkeiten weder Schwaben noch Bayern noch„Wessis“ noch in Ostdeutschland Geborene zu jeweils voneinander abgrenzbarenEthnien werden lassen. ...Die Bezeichnung „Ossi“ kann (was die Beklagte in Abrede stellt) diskriminierend, weilmit einem Werturteil belegt, gemeint, sie kann diskriminierend (so der Vortrag derKlägerin) zu verstehen sein. Da nach § 1 AGG indessen nicht jede denkbareBenachteiligung beseitigt oder verhindert werden soll und vor allem da dieBezeichnung nicht dem Tatbestandsmerkmal „ethnischer Herkunft“ zugeordnetwerden kann, erweist sich die auf § 15 Abs. 2 AGG gestützte Klage als unbegründet.Sie ist abzuweisen.“ (ArbG Stuttgart, Urteil vom 15.04.2010, 17 Ca 8907/09)Alles klar?

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