DAKAMI
Mein Weihnachtsplätzchen
Besuchen Sie uns im Internet: www.dakami-buch.de Veröffentlicht bei DAKAMI Dienstleister für Selfpublisher Daniela Kayser, Katharina Musial-Buske, Mirko Seeling GbR, Gelnhausen Illustrationen: Birgit Klein Copyright © 2017 by Daniela Kayser, Katharina Musial-Buske, Mirko Seeling GbR, Gelnhausen
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Inhalt Weihnachtsstern 8 Ingrid Schäfer Der entlarvte Weihnachtsmann 10 Birgit Klein Beobachtung 12 Marga Eisenacher Herbergssuche 2017 14 Jürgen Lehrich Verlorenes Paradies 16 Isabelle Gendre Weihnachtszauber 20 Clarissa Kampa Aggregatzustände 25 Marga Eisenacher Dunkle Zeit 26 Sabine Kolb Sprachlos am heiligen Abend 28 Renate Kafurke Der Weihnachtsreim 32 Dennis Riehle Malves Weihnachten 36 Cel Silem 6
Funkeln in den Zweigen 40 Marga Eisenacher Ein Geschenk 45 Birgit Klein Die Geschichte der Schmunzelsteinchen 46 Helga Bieber Wände vor mir 50 Sabine Witzke Die vergessenen Nüsse 52 Renate Kafurke Tagesbefehl 55 Wolfgang Schneller Mein neues Weihnachten 56 Sandra Lotz Mein Glauben 60 Jürgen Lehrich Henry 62 Udo Biemüller Engel wohnen 77 Birgit Klein 7
Weihnachtsstern Ingrid Schäfer Schicksal einer Topfpflanze Ein Weihnachtsstern, noch klein und grün, steht in der Treibhauserde und träumt voll Sehnsucht vor sich hin: „Ach, wenn ich erst erwachsen bin, wie werd ich flammendrot erglüh’n! Der schönste Stern auf Erden!“ Die Zeit vergeht. Er wächst heran. Doch kann er sich nicht färben. Vergeblich ist all sein Bemüh’n. Sein Sternenblatt bleibt grasig-grün anstatt in Feuerrot zu glüh’n. Er möcht’ am liebsten sterben. Ein später Käfer summt herbei mit zarten blauen Flügeln. Er krabbelt hin und krabbelt her. Der grüne Stern gefällt ihm sehr und er verliebt sich immer mehr und kann sich kaum noch zügeln. 8
Bei diesem peinlichen Verkehr da schämt die Pfl anze sich gar sehr. Vor lauter Peinlichkeit und Not wird unser Weihnachtsstern ganz rot … 9
Der entlarvte Weihnachtsmann Birgit Klein Ich habe den Weihnachtsmann entlarvt meine Damen. Ich sag nur „Oh la la“ Ich hab‘ ihm seine Kleider vom Leibe gerissen und nun stand er da tja, und ich sage euch sehr wohl von wegen alter Mann mit Bart! Vor mir stand völlig unbedarft ein männliches Prachtexemplar: ein eher südländischer Typ mit samtweicher Haut dunkelhäutig kräftig gebaut knackiger Po muskulöse Beine. Ein Mann zum Verlieben, wenn ihr wisst, was ich meine. Er ist vielleicht ein wenig hohl, doch, wie er vor mir stand so nackt, hab ich mich glatt vergessen. Ich habe ihn blitzschnell gepackt und hab ihn ganz alleine genüsslich aufgegessen. 10
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Beobachtung Marga Eisenacher Die Augen der Greisin starren auf den Goldengel vor ihrem Gesicht. Ihr Rollstuhl steht neben dem prächtigen Christbaum in der Ambulanz, fast dahinter versteckt. Geparkt. Ist da niemand, der sich um sie kümmert? Der explodierende Schmerz in meinem Knie holt mich schlagartig zurück in mein eigenes Drama dieses Heiligabends. Ausgerutscht auf einer Eisplatte im Garten! Ich musste ja unbedingt noch Meisenknödel aufhängen, bevor die Enkelkinder kommen. Jetzt sitze ich hier und warte auf das Röntgenergebnis. Hermann, der Gute, drückt von Zeit zu Zeit aufmunternd meine Hand. Dabei haben wir uns so auf dieses Weihnachtsfest gefreut. Und nun - Heiligabend auf dem OP-Tisch? Tack, tack, tack. Viele Augenpaare verfolgen die Dame auf ihren Stöckelschuhen. Sie bleibt beim Rollstuhl stehen. »Muttilein!« Ein Köfferchen plumpst zu Boden, sie küsst die Mutter auf beide Wangen. Die alte Frau strahlt und ihre welken Lippen straffen sich nach oben. »Sie dürfen nach Hause, nichts gebrochen!«, lächelt ihr eine Schwester zu. Panik im Gesicht der Tochter. »Wie bitte? Wo ist der verantwortliche Arzt?« Das Leuchten im Rollstuhl erlischt, der Blick verliert sich erneut im Gold des Engels. 12
Minuten später klappern die hohen Absätze aus dem Arztzimmer zurück zur Mutter. Sanft landet das Reiseköfferchen auf den Knien der alten Dame. Küsschen rechts, Küsschen links. »Mutti, wir wollen doch, dass du richtig fit wirst, oder? Der Doktor möchte dich noch ein paar Tage zur Beobachtung hier behalten«, säuselt Madame. Energisch schiebt sie den Rollstuhl mit dem Häufchen Elend darin zur »Station V«. Mein Knie braucht Gott sei Dank keine OP und ich darf mit Hermann nach Hause fahren. »Komm, die Kinder warten schon auf Oma und Opa.« Heiligabend. 13
Herbergssuche 2017 Jürgen Lehrich Dies ist der Ort der uns gefällt, wo Freunde und Freude sich zu uns gesellt. Wo Wiesen blühn und Pferde stehn und die Nachbarn sich nicht aus dem Wege gehen. Wo Kinder auch noch Menschen sind, und das Läuten der Glocken den Tag bestimmt. Wo die Luft voll Duft von den Gräsern hängt und ein Bub ein Stein im Bach versenkt. Wo der Nepomuk von der Brücke schaut, und die Dorfmusik auf die Pauke haut. Und hier, wo wir das Abendrot am Himmel sehn, hier soll die Wiege unserer Kinder stehn. 14
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Verlorenes Paradies Isabelle Gendre Es ist an der Zeit, das verlorene Paradies in uns wieder zu finden Es ist an der Zeit, die Märchen Wirklichkeit werden zu lassen die Märchen, die einmal unser Leben waren die Märchen, die einmal unsere Herzen waren bevor sie verschüttet wurden durch eigensüchtige Gier und zynischen Spott die Märchen, die da hießen: Entdecken, Staunen, Begeistern Innehalten, Ruhe, Besinnung Stille Loslassen, Verzicht, Bescheidenheit Verständnis, Verzeihen, Toleranz Demut Güte, Reinheit, Licht Schönheit, Harmonie, Würde Hingabe Einheit, Einssein, Eintracht Gemeinschaft, Zuhören, Einbindung Solidarität Achtsamkeit, Behutsamkeit, Rücksicht Zärtlichkeit, Mitgefühl, Erbarmen Liebe 16
Fröhlichkeit, Freude, Humor Kreativität, Spiritualität, Intuition Lebendigkeit Beharrlichkeit, Festigkeit, Ausdauer Glaube, Zuversicht, Mut Zum WIDERSTAND Gegen den Krieg Gegen die Ausbeutung Gegen den Machtmissbrauch des Wissens Gegen die Technokratie Gegen den Konsumzwang Gegen die Herrschaft des Geldes Gegen die Gleichgültigkeit Gegen die Resignation Gegen die Vergewaltigung der Natur Gegen die Egomanie Gegen den Geltungszwang Gegen die Entwürdigung des Alters Gegen die Schnelllebigkeit Gegen die Engstirnigkeit Gegen die Verführung der Jugend Gegen die Sprachlosigkeit Gegen die Gedankenlosigkeit Gegen die Erniedrigung der Machtlosen Mut zum WIDERSTAND 17
Gegen die Brandmarkung und Ächtung derer, die anders sind Gegen den Anspruch auf die eigene Unfehlbarkeit So lasst uns das Paradies wieder finden wo Gut und Böse zusammenfallen wo Hell und Dunkel ununterschieden sind wo Liebe und Leiden eins sind So lasst uns das Paradies wieder finden wo die Integrität des Mitmenschen unantastbar bleibt wo die Schöpfung geheiligt ist wo wir das Dunkle in uns annehmen können So lasst uns das Paradies wieder finden das Paradies der Harmonie das Paradies der ewigen Liebe das Paradies der neu gefundenen Unschuld 18
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Weihnachtszauber Clarissa Kampa Stade Zeit Stade Zeit „So hier, bitte … Noch eine Runde Glühwein …“, grinst die „So hier, bitte … Noch eine Runde Glühwein …“, grinst die junge Mutter, als sie mir eine neue, volle Tasse in die Hände junge Mutter, als sie mir eine neue, volle Tasse in die Hände drückt. drückt. „Den einen noch und dann muss ich aber los …“, sage ich und „Den einen noch und dann muss ich aber los …“, sage ich und wärme meine Hände an dem Keramikbecher. „Warum musst du denn schon los?“, fragt der Sohn meiner Arbeitskollegin zu mir hoch. „Ich kriege meinen letzten Zug sonst nicht“, lächele ich und bedauere innerlich, dass ich schon gehen muss. „Wenn man auch in so einem Kaff wohnen muss, wie du“, eine andere Arbeitskollegin meldet sich und ich schlürfe an meinem heißen Getränk. „Das wirst du Stadtkind nie verstehen“, springt mir eine dritte Kollegin bei. Sie ist ebenfalls auf dem Land aufgewachsen. „Das brauche ich nicht“, beschließt unser Großstadtkind und ich leere meinen Glühwein. Ich muss wirklich los. „Danke noch einmal für den Glühwein …“, ich reiche der jungen Mutter den leeren Becher. „Frohe Weihnachten, schöne Feiertage und einen guten Rutsch!“, lächele ich und hebe zum Abschied die Hand. Kein Schnee knirscht unter meinen Stiefeln, als ich mich durch die Menge drängele. Nur Matsch … Vor mir ist ein alter Mann und so werden meine Schritte langsamer. Zum Dank habe ich einen Kinderwagen in den Hacken und eine schimpfende 20
Mutter, die ich ignoriere. Überall hetzen die Menschen und sind gestresst. Nun, wir sind hier in der Landeshauptstadt, da ist mir das schon öfter aufgefallen … doch Weihnachten ist noch mal etwas ganz anderes. An einer Ecke steht ein kleiner Chor Kinder, alle gekleidet wie Engel. Die Menschen eilen an ihnen vorbei. Hier und da fallen einige Münzen in einen Becher, doch kaum einer bleibt stehen und hört ihnen wirklich zu. Die Zeit nehme ich mir. Sie singen sehr schön und ich liebe dieses Lied. Zwei Mädchen freuen sich, als ich stehen bleibe und lausche. Das Lied geht zu Ende und ich krame aus meinem Geldbeutel nicht nur ein paar Münzen, sondern einen kleinen Schein und werfe ihn in den Becher. „Frohe Weihnachten!“, rufe ich ihnen zu, als ich dann endlich dem Gruppenzwang folge und loshetze. In dieser verrückten Welt muss immer alles sofort sein und schnell gehen. Kaum jemand nimmt sich mehr die Zeit zum Verschnaufen. Ich atme schnell, als ich in den Zug springe und erleichtert bin, als sich hinter mir die Türen schließen. Gerade noch geschafft. Der EC lässt mich beinahe über das Land fliegen. Wieder ist es die Geschwindigkeit, die hier zählt. „Entschuldigung, ist hier noch frei?“, frage ich und deute auf einen noch freien Platz an einem Tisch. Der geschäftige Mann, der telefonierend vor dem Laptop sitzt, ignoriert mich. „Nein, nein … der Vortrag ist ganz sicher bis zum Geschäftsessen fertig!“ Ah ja … noch so ein Arbeitstier … 21
Ich schäle mich aus meinem Mantel, Handschuhen, Schal und Mütze. Hier ist es wohlig warm. Als ich mich setze und mein klei- nes Notebook aus der Tasche ziehe, um noch ein paar Zeilen an meinem neuen Roman zu schreiben, habe ich mit einem Male die volle Aufmerksamkeit des Geschäftsmannes: „Sie können hier jetzt nicht arbeiten! Ich muss das hier fertigmachen! Das ist viel wichtiger!“, mault er mich an. „Viel wichtiger!“, murmele ich, doch ich habe keine Lust mich zu streiten. Ich atme dreimal tief ein und aus, um meinen Ärger zu verscheuchen und hole dann eben mein Strickzeug aus der Tasche. „In wenigen Minuten erreichen wir …“, erschallt die Durchsage aus dem Lautsprecher. Das hat viele der Pendler nicht aufge- halten schon vor zehn Minuten an die Türen zu rennen und dort zu warten. Es ist mir jedes Mal wieder neu, dass schon einmal ein Fahrgast vor dem Zug den Bahnhof erreicht hätte. Immer muss bei allem gehetzt werden. Hier ist es schon ruhiger, als in der Großstadt, doch auch hier hetzen die Menschen an mir vorbei. „Was, du warst nicht einkaufen?“, schimpft eine Frau, vollbe- packt mit Tüten aus Spiele- und Technikläden. Im Anschlusszug sind kaum Leute und doch dröhnt Musik an meine Ohren. Ein Jugendlicher, nicht weit von mir, mit Kopfhö- rern auf den Ohren. Ich steige eine Haltestelle vorher aus. Ich brauche jetzt einfach diese herrliche Stille. Die Sonne ist schon lange untergegangen, doch so richtig dunkel ist es nicht. Am Horizont kann ich einen orangen Schimmer der Lichter einer Stadt wahrnehmen und 22
auch der Schnee refl ektiert das Licht von Mond und Sternen. Der Schnee knirscht unter meinen Schuhen, als ich loslaufe, den Feldweg entlang, der mich nach Hause führt. Irgendwie scheint hier die Zeit stillzustehen. Niemand hetzt … Hier habe ich alle Zeit der Welt … Genießerisch schließe ich die Augen und nehme die Stille in mich auf. Der frisch gefallene Schnee glitzert unter dem Vollmond… Der frisch gefallene Schnee glitzert unter dem Vollmond… Hier kann ich zur Ruhe kommen. Ich setze mich auf einen Hier kann ich zur Ruhe kommen. Ich setze mich auf einen umgefallenen Baumstamm, der am Flussufer liegt und umgefallenen Baumstamm, der am Flussufer liegt und blicke einfach nur in diese wunderschöne Winternacht. blicke einfach nur in diese wunderschöne Winternacht. Als ich in den Himmel schaue, sehe ich die Wolken, die Als ich in den Himmel schaue, sehe ich die Wolken, die aufgezogen sind und es beginnt zu schneien. „Hier bist du …“, es ist seine unverkennbare, sanfte Stimme „Hier bist du …“, es ist seine unverkennbare, sanfte Stimme „Ich dachte mir, dass du hier bist.“ Mein Mann setzt sich neben mich und legt seinen Arm um mich. Stille Nacht. 23
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Aggregatzustände Marga Eisenacher Spinnseidene Elfenbettchen bestickt mit tausendmal tausend Nebelperlchen. Lichtschimmernd. Sanft schwingend. Schweben auf samtmoosigen Kissen im Wald. Goldgefärbte Blätterkronen. Herab prasseln tausendmal tausend Regentropfen. Wolkenlos. Nebel bloß. Wind scheucht die Tropfen hinab in den Grund. Weißgezuckerte Zauberblumen gemalt dort aus tausendmal tausend Eiskristallen. Frostes Dunst. Feuersbrunst. Rivalen malen den eisigen Liebreiz ans Glas. 25
Dunkle Zeit Sabine Kolb November ist´s geworden, Nebelschwaden ziehen herauf vom See zu den Ahnengräbern, liegen verborgen im tiefen Schnee. Wallende Nebelschleier legen sich dort nieder Leichentüchern gleich, denn niemand kehrt je wieder. Zugedeckt ist die Vergänglichkeit, tot, vorbei, abberufen zur Ewigkeit. Grabsteine schief, bedeckt mit Moos, Tränen geweint, der Schmerz so groß. Kälte, Moder schlägt dir dort entgegen, für immer trostlos, kahl und ohne Leben. 26
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Sprachlos am heiligen Abend Renate Kafurke In den meisten Familien machen sich Eltern und In den meisten Familien machen sich Eltern und Großeltern wochenlang darüber Gedanken, was sie den Enkelkindern zu Weihnachten schenken werden. Es sollen langgehegte Wünsche in Erfüllung gehen, es Es sollen langgehegte Wünsche in Erfüllung gehen, es soll etwas Sinnvolles sein, etwas, was gebraucht wird und es soll natürlich viel Freude machen. Meistens schreiben vor al- lem die jüngeren Kinder einen Wunschzettel, der dann auf die Terrasse oder den Balkon gelegt wird. Denn der Weihnachts- mann lässt ihn durch seine Wichtel nachts abholen. Und wenn der Zettel morgens weg ist, dann muss das ja auch die Wahr- heit sein. Der Wunschzettel ist geduldig und stellt keine Fragen. Da kann ohne Einschränkung geschrieben und gemalt werden, alle Wünsche haben darauf Platz. Wenn aber die Eltern den Zettel lesen, kann schon die Überraschung groß sein, was so alles auf den heimlichen Weihnachtsmann zukommt. Was?? Com- puter und das neuste Handy, besser noch ein I-Phone, nebst Zubehör, versteht sich. Und ein Fahrrad! Oma Erika und Tochter Lisa sind sich einig, das geht so nicht. Auf diese Wünsche müsste erst einmal gespart werden. Und schließlich gehören doch eigentlich Spielsachen, Bücher, neue Mütze mit Schal und auch Süßigkeiten auf den Gabentisch. Wie könnte man nur die Kinder beeinfl ussen, ohne ihnen den Spaß zu verderben? 28
Oma Erika und ihre Tochter halten eine vorweihnachtliche Be- ratung ab. Denn Oma hat eine Idee. Der Heilige Abend rückt heran. Alles ist in Aufregung. Die ganze Familie trudelt bei Oma ein. Das ist schon seit ewigen Zeiten so. Denn Oma macht den besten Kartoffelsalat der Welt. Aber erst mal gibt es Kaffee und Kuchen und Stollen und selbstgebackene Kekse und natürlich ein Gläschen zum Anstoßen. Die Kinder tun das mit Leidenschaft – dieses Anstoßen mit allen, allerdings mit Apfelsaft. Das klimpert so schön! Dann wird gesungen wie jedes Jahr. Wie immer sind die Melodien der Lieder zu hoch oder der Text macht zu schaffen ... Vor allem die Herren tun sich schwer. Oma sitzt am Klavier und tut ihr Bestes. Die Kinder singen schön und es kommt eine ganz wundervolle Stimmung auf. Die Kerzen flackern und die Augen strahlen. Zum Schluss wollen sie unbedingt das Lied von den Bibern singen. „ Meine Biber ha- ben Fieber, ach die Armen“, so geht der Text. Das passt ja nun wirklich nicht. Da sind aber die beiden zehn und zwölfjährigen Mädchen ganz anderer Meinung und tragen dieses Lied voller Leidenschaft vor. Alle schmunzeln und die festliche Stimmung wird zu einer heiteren, fröhlichen Atmosphäre. Was kann denn besser sein? Plötzlich klingelt es. Die Kinder stürmen zur Tür und finden zwei richtig hübsche Papptruhen, sehr robust und bunt bemalt. Was für ein Jubel! Sofia und Marlene knien sich mitten ins Wohnzim- mer und beginnen auszupacken. Es werden Äpfel, Nüsse, Apfelsinen und etwas Süßes heraus- gekramt. Ein vereinbarter Plan der Großeltern, denn das kann- ten sie aus ihrer Kindheit. Und ihre Enkel sollten nun einmal 29
nacherleben, wie das alles vor vielen Jahren abgelaufen ist, als einfach nichts anderes zum Verschenken vorhanden war. Und sie dennoch Freude hatten. Die Kinder blicken etwas irritiert, sagen aber weiter nichts. Die Erwachsenen machen Bemerkungen, wie schön die Nüsse sei- en und wie herrlich orange die Apfelsinen aussehen würden. Sie schmunzeln in sich hinein. Aber unter einer Lage Weih- nachtspapier, auf dem Grunde der Pappkartons, finden sie doch kleine Geschenke, die ihr sehnlichster Wunsch waren. Als es schon lange dunkel ist, klingelt es erneut an der Tür. Nur Oma weiß, dass das Opa ist. Die Mädchen schleppen eine wei- tere, etwas größere Kiste herein! Fragende Gesichter! Als sie die Kiste öffnen, jubeln sie! Lauter Sachen zum Verkleiden kommen zum Vorschein, die nicht einen Cent gekostet haben. Oma hatte so viele Ideen und stellte sich schon die Mädchen vor, wie sie in Märchenkostüme schlüpfen werden. Sie hat genäht und genäht und aus fast ver- gessenem, altem Stoff und abgelegter Kleidung viele Kostüme gezaubert. Dabei waren eine Art Sultansgewand, für die Ältere und ein Prinzessinnenoutfit nebst Schleier für die Jüngere der beiden. Ein Hexen- und ein Harlekinkostüm aus früheren Zei- ten, kurze Tüllröckchen zum Übereinanderziehen, lange Röcke zum Verwandeln und tausend andere Sachen kommen zum Vorschein. Da sind Omas lange weiße Handschuhe von ihrer Hochzeit, lila Netzstrümpfe, Tücher ohne Ende, zwei blonde Perücken, Handtaschen, Schuhe, Sonnenbrillen und viele Din- ge aus dem alten Faschingskoffer, die die Kinder vorher nicht kannten. 30
Plötzlich ziehen sich die beiden aufgeregt zurück. „Wir verklei- den uns jetzt und ihr alle müsst dann raten, wer wir sind“, sagen sie. Sie haben rote Wangen und leuchtende Augen. Es dauert. Dann erscheinen sie das erste Mal. Oma starrt auf die Mädchen. Alles ist anders, als sie es sich ausgemalt hatte. Sofi a hat einen der Tüllröcke, der für Marlene gedacht war, um den Hals. Die Netzstrümpfe wurden zu fi ligranen Handschu- hen umfunktioniert, Tücher hängen geschickt verschlungen um die Hüften. Die Füße stecken in abgelegten Hackenschuhen. Und die dunklen langen Haare der beiden sind völlig unter den blonden Kurzhaarperücken verschwunden. Ausgediente Hand- taschen hängen wie bei Queen Elisabeth an den abgewinkelten Armen. Die Erwachsenen lachen laut auf vor Vergnügen. Strah- lend und kaum wiederzuerkennen, stehen sie da. „ Na, wer sind wir?“, ist die heikle Frage an den Kreis der Familie. Omas Vorstellungen machen eine Kehrtwende. Nichts von in Tüll gehüllten Märchenfi guren. Das hatte sie nicht erwartet: Aber irgendwie sehen die beiden schick aus. Durch die Perücken völ- lig verändert! „Na, wer sind wir??“ Keiner triff t es. Die Mädchen verraten es: „Wir sind Oma und ihre Freundin „Wir sind Oma und ihre Freundin beim Shoppen.“ Alles brüllt vor Lachen. Und Oma sagt nichts Und Oma sagt nichts mehr, sie ist sprachlos ... mehr, sie ist sprachlos ... und glücklich! 31
Der Weihnachtsreim Dennis Riehle Es ist die berühmtest‘ Geschicht‘ aller Zeiten Ein Kindlein wird ‘born in ganz fernen Weiten Die Eltern, sie erwarten ein‘ König Der die Welt retten soll, friedlich, gerecht. Sie machen sich auf zur ang’ordn‘ten Zählung Maria ist schwanger, für sie ist’s Entbehrung Auf lange Reisen jetzt noch zu gehen, Ohn‘ G’wissheit, ohn‘ Ziel Doch sie müssen nun zieh‘n. Bis Bethlehem kommen, da erleidet sie Wehen. Über Nacht woll’n sie bleiben, doch keiner will sehen Die werdende Mutter bei sich noch im Hause Josef klopft an, er müht sich um Pause. Verwiesen zum Nächsten, der Ein‘ nach dem Ander’n. Es wird zur Tragödie, und vor allem Bangen. Denn Jesus will kommen, auf Erden da nieder So soll es geschehen, die Schrift gibt es wieder. Im Stall wird es sein, ganz ärmlich, ganz einfach Kein Ort für ‘nen Höchsten, doch zumindest ein Dach. Zwischen Eseln und Heu, da liegt er in Windeln Die Krippe aus Holz, doch es reicht diesem Kindlein. 32
Denn der Erlöser, er braucht keinen Luxus Kommt schlicht daher, mit simplem Duktus. Die Eltern sind stolz, von der Jungfrau geboren Ist Jesus von Nazareth nun auserkoren. Ein Stern weist den Hirten den Weg sind tief schon besonnen in ihr‘m Gebet Auch die Heil’gen, sie sind schon ganz weit, Gott endlich ehren, es ist an der Zeit, danken und mehren, huldigen, bitten, Christus inmitten, nicht ganz unumstritten. Weihrauch, Myrrhe und Gold Sie lobsingen mit ihrem Sold Dass die Menschheit wird bald nun erleben Gottes Wirken, ganz nah, hier mitten auf Erden. Es ist Hoffnung, es ist Zuversicht, die wir da haben, mit dies‘m G’dicht Auf, auf, nun beten und preisen Wir stimmen mit ein, mit all den Weisen Die da kamen weit aus dem Morgenland Spannen auf das uns verbindende Band Zwischen dem Sohn, der von Gott hergegeben Um die Sünden zu nehmen, von allem Werden Es ist Zeit, dass wir uns erfreuen Übers Leben, das wir heut‘ feiern. 33
Liebe soll es zwischen den Menschen nun geben Frieden, Zukunft trotz Kriegen und Beben Denn Sünd‘ ist vergeben, sie ist jetzt genommen Von jedem Einzelnen, der hat erklommen Den Glauben ans Dasein, ans Gehen, ans Kommen Müssen wir nur verstehen, wenn Angst ist entronnen. Dass ein Morgen wird’s geben bei aller Furcht Wir übersteh’n es, wir gehen hindurch. Gott lässt uns noch leiden, weil er schon g’wiss es nur weiß, dass wir werd‘n meiden, den Tod, um jed‘n Preis. Doch wir müssen nicht sorgen Mit Jesus er schenkt Ein groß‘ Perspektive Die uns grad’wegs lenkt. Mit Weihnacht‘ beginnt ein Abschnitt ganz neu Der uns führt zugegen, bis Ostern recht treu. Das Ewige Leben, es startet schon heute Auf, auf, macht euch auf, ihr gläubigen Leute. 34
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Malves Weihnachten Cel Silem Alles draußen war mit Weiß bedeckt oder glitzerte. Jedes Alles draußen war mit Weiß bedeckt oder glitzerte. Jedes Jahr in der kalten Jahreszeit, wenn alle anderen Feen sich Jahr in der kalten Jahreszeit, wenn alle anderen Feen sich nur in ihren Häusern aufhielten, fl og Malve in die Stadt. nur in ihren Häusern aufhielten, fl og Malve in die Stadt. Die Stadt der Menschen. Man hatte es ihr verboten, aber wenn niemand draußen war, konnte sie auch niemand sehen. Eine große, silberne Kugel hing vor ihr an einem Tannenbaum. Er war voller funkelnder Kugeln und leuchtete hell. Alles roch wun- dervoll. Nach Keksen und Tanne. In dieser Zeit waren die Men- schen glücklicher als sonst. Die Feen dagegen waren wegen des Schnees schlecht gelaunt. „Ich komme schon wieder nicht in mein Haus. Der Ast davor ist voller Eis und Schnee“, schimpfte die Feendame, die gerade vor dem Dorfvorsteher stand. „Die Blätter trocknen nicht, wir können nicht heizen“, beschwerte sich der Feenherr, der als Nächster an der Reihe war. Fast die gesamte Feenschaft war zur Besprechungszeit im Haupthaus in der Mitte des Dorfes erschienen. Niemand hatte ein Lächeln im Gesicht. „Warum feiern wir eigentlich kein Fest?“, fragte Malve, als sie an der Reihe war. „Weil wir keine Zeit für so einen Unsinn haben“, antwortete der Dorfvorsteher. „Aber so was verstehst du ja mal wieder nicht“, schloss sich seine Frau an. „Was soll ich denn da nicht verstehen? Jede Fee ist schlecht ge- 36
launt. Dabei ist es draußen so schön und ein Fest kann auch nicht schaden.“ „Wir können nicht leichtfertig mit Vorräten umgehen, falls du das vergessen hast. Außerdem haben wir ja wohl offensichtlich größere Probleme hier, also verschone uns.“ Malve ballte die Hände zu Fäusten, sah aber ein, dass diskutie- ren keinen Sinn hatte und verließ das Haus. Auf dem Flug in ihr eigenes Heim pflückte Malve einen Ast von einem Tannenbaum. Dabei wurden ihre Hände eiskalt und Schnee landete auf ihrem Kopf. Ein Seufzen entrang ihr. „Was ist denn los, kleine Fee?“, fragte die Schneeeule, eine gute Freundin, die sich auf einem nahen Ast niedergelassen hatte. „Ich würde so gerne dieses Winterfest feiern wie die Men- schen, aber die anderen wollen nicht“, erklärte Malve der Eule, die daraufhin den Kopf schräg legte, „Aber warum willst du die- ses fremde Fest denn feiern?“ Bei dem Gedanken an die besinnliche Atmosphäre in der Stadt wurde Malve warm in dieser kalten Zeit: „Alle sind glücklich. Sie verbringen Zeit zusammen, essen gemeinsam und machen sich Geschenke. Ich finde das wundervoll.“ In ihrem Haus stellte sie den Ast in eine einsame Ecke. Weder ihre eigene Familie noch irgendjemand anders wollte etwas mit ihr zu tun haben. Da konnte sie auch genauso gut zu den Menschen gehen. Am Weihnachtsabend flog sie los. Durch den verschneiten Wald, an den tiefroten Vogelbeeren und zugefrorenen Flüs- sen vorbei. Der Wind blies ihr eiskalt ins Gesicht. Ihre Wangen wurden taub. Durch das Fenster eines Hauses konnte sie ein 37
Festessen auf dem Tisch und einen geschmückten Tannen- baum im Wohnzimmer sehen. In einem anderen Haus saßen die Menschen um einen großen Tisch und hielten sich an den Händen. Wieder andere hatten keinen Baum, aber waren gerade dabei, Geschenke auszupacken. Malves Atem beschlug die Scheibe, als sie die Nase dagegen drückte. Im Haus war es bestimmt kuschelig warm und roch nach Kiefern. Ein Kind stellte sich vor das Fenster, durch das sie sah. Mit großen Augen sah es Malve an. Bevor sie reagieren konnte, wurde sie vom Fenster weggerissen. Nicht ihre eigenen Flügel trugen sie, sondern die der Schneeeule. „Was soll das?“, schrie Malve, strampelte mit den Füßen und schlug mit den Händen um sich. Eine ganze Weile sagte keiner etwas. „Wo bringst du mich hin?“, fragte Malve, als die Eule am Dorf vorbeiflog. „Das wirst du schon sehen.“ Nach einem kurzen Flug landeten sie auf einer Lichtung. Rehe, Eichhörnchen, Fledermäuse und ein paar Eulen hatten sich dort versammelt. Malve musste kichern, als sie die mit grünen Ästen geschmückten Rehkitze sah und starrte dann auf einen großen, mit Blättern ausgelegten Platz. Alle möglichen Speisen, von Rinde bis zu kleinen Würmern waren aufgetragen. Alle Tiere unterhielten sich freudig miteinander und manche machten sich sogar kleine Geschenke. „Du wolltest doch so gerne feiern“, sagte die Eule neben Malve, „Ich hab erst nicht verstanden warum, aber jetzt sehe sogar ich die Schönheit dieses Festes.“ 38
Der kleinen Fee stiegen die Tränen in die Augen. Wenn die anderen Feen sie nicht bei sich wollten, dann hatten sie sie auch nicht verdient, entschied Malve und schloss sich, so glücklich wie noch nie, ihren feiernden Freunden an. 39
Funkeln in den Zweigen Marga Eisenacher Das Funkeln bemerkte ich im Augenwinkel. Doch erst einige Schritte weiter hielt ich verdutzt inne und drehte mich um. Christbaumkugeln an der Fichte? Pink und Silber, tatsächlich. Auf meiner Fahrt durch die Abenddämmerung zum Weihnachts- essen bei den Eltern hatte ich einen Kurzstopp einlegen müssen, meine zweite Tasse Kaffee von der Raststätte loswerden. Der Parkplatz auf der Spessarthöhe kam mir nur zu gelegen und ich verdrückte mich ein paar Meter in den düsteren Wald hinein. Die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos streiften jedes Mal flüchtig den Waldrand, wenn sie die Kurve am Parkplatz passierten. Auf dem Rückweg zu meinem Daimler bemerkte ich also dieses Funkeln in den Zweigen des kaum mannshohen Bäumchens. Wer um alles in der Welt kam auf die absonderliche Idee, den Wald mit Christbaumschmuck zu verunstalten. Pinkfarben! Quietschpink! Geschätzt fünfzig Kugeln, verziert mit funkelnden Silbersternen, zu allem Überfluss auch noch Lamettageflitter an allen Ästen. Idiotisch, von den Scherben ganz abgesehen, die die Fesseln der Rehe durchschneiden würden. Denn ewig würden die gläsernen Kugeln ja doch nicht hängen bleiben. Der nächste Sturm kommt immer. Auf dem Rest der Fahrt verirrten sich meine Gedanken wieder und wieder zu der Person mit den pinkfarbenen Kugeln. Wollte sie ausgedienten Baumschmuck entsorgen? Den Rehen ein net- 40
tes Weihnachtsfest spendieren? Oder litt gar der Weihnachts- mann an Geschmacksverirrung? Als ich vor dem Haus meiner Eltern auf die Bremse trat, konnte ich mich kaum an die gefahrene Strecke erinnern. Die rosa Ku- geln hatten meine Fantasie derart angeregt, dass ich mich nun erst einmal auf das bevorstehende Familienfest einstimmen musste. Fast wäre ich über den Schlitten neben der Haustür ge- stolpert, anscheinend waren meine Schwester und ihre Familie schon da. Eigentlich freute ich mich ja, die kleine Nichte wieder einmal zu sehen. Früher nervten mich Kinder, besonders die zwei Blagen meines besten Kumpels, der völlig verfrüht „in Fa- milie“ machen musste. Bis meine Schwester mir im letzten Jahr die kleine Evi behutsam in die Arme legte. „Brüderchen, das würde dir auch gut stehen!“ Die winzigen Babyfingerchen streiften meine heißen Ohren. Es wurden schöne Weihnachtstage. Mutters Pute war wie immer ein Gedicht und als die kleine Evi unterm funkelnden Christbaum andächtig „Ihr Kinderlein kommet …“ mitkrähte, kroch mir ein wohliges Gefühl von Nestwärme unter die Haut. Der Job wartete gleich nach den Feiertagen, schließlich stand die Welt nicht still nur wegen Weihnachten. So startete ich also in Richtung Flughafen. Bis zur nächsten Kreuzung konnte ich noch im Rückspiegel se- hen, wie sie mir zum Abschied winkten. Meine Schwester mit der kleinen Evi auf dem Arm, der Schwager, meine Eltern. Ich gab nur widerwillig Gas, schluckte. Während die Landstraße sich zur Höhe hinaufwand, fiel mir das Bäumchen am Parkplatz wieder ein. Spontan beschloss ich, 41
dessen eigenwilligen Schmuck noch einmal bei Tageslicht zu be- staunen. Ein alter Golf stand mitten auf dem engen Parkplatz, dahinter passte gerade noch meine Limousine. Die Nacht hatte die Wipfel der Nadelbäume in Raureif gehüllt und die Sonnenstrahlen zauberten jetzt glitzernde Reflexe hi- nein. Es waren nur ein paar Schritte bis zum Waldrand, wo die kleine Fichte stehen musste, doch meine Augen konnten sich nicht von dem Bilderbuchmotiv dort oben lösen. So wäre es bei- nahe passiert. Engel? Augenreiben änderte nichts. Sie standen noch immer da. Direkt vor dem rosa Christbäumchen, und ich hätte sie ums Haar an- gerempelt. Ein großer Engel in weißem Steppmantel und Strick- mütze, aus der eine goldene Lockenkaskade über den Rücken floss. Daneben ein kleines Engelchen in Rosa. „Meinst du, dem Papa gefällt unser rosaroter Christbaum, Mami?“ Während die Finger des Kindes über eine der Glaskugeln strei- chelten, beugte sich die Engelsgleiche hinunter und hauchte ei- nen zarten Kuss auf seine Wange. „Ganz sicher, Engelchen. Er weiß ja, dass du rosa so sehr magst. Komm, wir fahren jetzt wieder heim.“ Sie nahm die Kleine an der Hand, zog sie sanft zu sich, trat einen Schritt zurück – und schrie auf. Denn dort stand ich. Regungs- los, unfähig zu irgendeiner Bewegung, eingefroren in eine Art magischen Zauber. 42
„Du Mistkerl! Schleicher! Wag es ja nicht …“, schleuderte sie mir entgegen, und schob dabei ihre Tochter hinter sich. Eine Eisdusche hätte mich nicht wirkungsvoller aus meiner Starre befreien können und ich stolperte ungelenk durch den Schnee die paar Schritte zurück zu den parkenden Autos. Dabei fi el mein Blick auf das Holzkreuz am Straßenrand. Rosa Rosen schmückten es. „Oh.“ Langsam drehte ich mich um zu den beiden am Waldrand. Mei- ne Gedanken rasten. Rosa Baumschmuck. Papa. Die Person mit der Geschmacksverirrung. Zwei Menschen. Unfall. Leid. Ich wollte ihnen so gerne Abbitte leisten wegen meiner einfäl- tigen Gedankenspiele auf der Fahrt vorgestern. Wegen meiner idiotischen Vorurteile, meiner Oberfl ächlichkeit. Eine Weile standen wir uns schweigend gegenüber. Unsere Bli- cke trafen sich unter dem Funkeln in den Zweigen. 43
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Ein Geschenk Birgit Klein Was soll ich meinem Mann bloß zu Weihnachten schenken? Ich muss kurz in mich gehn‘ und denken. Ich bräuchte ein neues Messerschleif-Set. Ich glaube, das fände er auch recht nett. Oder schenk ich ihm einen Wellnessgutschein? Wenn er keine Zeit dazu hat, löse ich ihn halt ein. Ich wünschte mir auch einen Wonderbra. Ja ich glaube, den schenk ich ihm dieses Jahr. 45
Die Geschichte der Schmunzelsteinchen Helga Bieber In einem verwunschenen Dörfl ein lebten vor langer, In einem verwunschenen Dörfl ein lebten vor langer, langer Zeit viele fröhliche Zwergenmenschen. Immer langer Zeit viele fröhliche Zwergenmenschen. Immer wenn sie einander begegneten oder dem anderen eine wenn sie einander begegneten oder dem anderen eine Freude bereiten wollten, schenkten sie ihm ein Schmun- zelsteinchen. Das beschenkte Menschlein freute sich, schmunzelte, weil ihn der Schmunzelstein so anschmunzelte, war fröhlich und wusste: „Der andere mag mich.“ So war es immer. Jeder Zwergenmensch schenkte dem anderen ein Schmunzelsteinchen und bekam auch immer wieder eines geschenkt. Und – die kostbaren Steinchen der Freude gingen niemals aus. In der Nähe der frohen, kleinen Menschen lebte ein fi nsterer Geselle. Griesgram und Neid waren seine treuen Weggefährten. Er konnte die Fröhlichkeit, die Freundlichkeit, das liebevol- le Miteinander der kleinen Zwerge nicht nachvollziehen und gönnte ihnen ihre Unbekümmertheit nicht. Als eines Tages ein Zwerglein durch den Wald marschierte, traf es den fi nsteren Gesellen und überreichte ihm gleich ein Schmunzelsteinchen, damit er auch fröhlich sein könne. Doch er nahm das Steinchen nicht an, sondern fl üsterte dem kleinen Zwerg ins Ohr: „Verschenke du nur deine Steinchen an alle und jeden, dann hast du bald selbst keine mehr.“ 46
Das stimmte zwar nicht, denn wenn sie etwas gaben, dann bekamen ich auch wieder etwas zurück, so war das auch immer mit den Schmunzelsteinchen – aber mit den Worten des finsteren Gesellen war die Saat ausgestreut und sie ging auf. Die Schmunzelsteinchen wurden nicht mehr verschenkt, son- dern im Beutel festgehalten. Bald ging jeder seines Weges, ohne nach dem anderen zu sehen. Das Lachen verschwand, jeder kümmerte sich nur noch um das Anhäufen seines Be- sitzes. Missmut, Verschlossenheit, Freudlosigkeit – das waren nun die Merkmale eines einst so fröhlichen, liebenswerten Völkchens. Jahrzehnte gingen ins Land. Die Zwergenmenschen hetzten durch das Leben. Sie schauten nicht nach rechts und nicht nach links. „Hilf dir selbst, und du hast ein gutes Werk getan“ - das war ihre neue Lebensphilosophie. Aber irgendwo schlummerte noch die Geschichte von den fröhlichen Menschlein mit den Schmunzelsteinchen. Ein alter Narr hatte sie von seinem Vater gehört, dieser wieder von seinem Vater. Und er erzählte das Märchen von den guten Vorfahren seinem Enkel. Nachdenklich machte dieser sich ans Werk. Er ging in seine Töpferstube, in der er sonst Krüge und Schalen herstellte und formte kleine, lachende Tongesichter. In den nächsten Tagen verschenkte er an seine Freunde diese schmunzelnden Steinchen. 47
Am Anfang wurde er belächelt und als harmloser, netter Spinner abgetan. Aber einigen gefiel diese Idee. Die Schmunzelgesichter stimmten sie fröhlicher, auch wenn sie diese nur in ihren Taschen berührten. Und so wurden es immer mehr, die einander durch das Ver- schenken von Schmunzelsteinchen auch die Liebe und die Fröh- lichkeit zurückschenkten. 48
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Wände vor mir Sabine Witzke Wände waren vor mir, manche groß, grau, unüberwindbar. Wieder andere kleiner, heller, mit schadhaften Stellen, durch die ich mich zwängen konnte. Sie bauten sich vor mir auf. Immer wieder! Die Zeichen der Zeit haben Spuren auf mir hinterlassen. Manche Wand hatte ich vergeblich versucht einzureißen. Ich stand manchmal ohnmächtig da. Doch ich habe gelernt mich aufzubäumen, nach anderen Wegen zu suchen, nicht alles zu bejahen, manches zu hinterfragen, um Schlupflöcher zu finden. Heute sind noch immer Wände vor mir. Groß, grau, unüberwindbar und wieder andere kleiner, heller, mit schadhaften Stellen, durch die ich mich zwängen kann. Doch die Weite meines inneren Seins hat sich verändert. Seit ich durch manche Wände, die keine Schlupflöcher haben, gehen kann. 50
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