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Leseprobe Isabelle Gendre

Published by seeling, 2017-07-07 06:45:54

Description: Die Leibwache des Kaisersa

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DAKAMI



Isabelle Gendre wurde 1955 geboren und wuchs in Zürich auf. Mit ihrem damaligen Mann und ihren zwei Töchtern lebte sie dreißig Jahre lang in neun verschiedenen Ländern in Europa, Afrika, Amerika und Asien. Seit 2005 wohnt sie wieder in Zürich und arbeitet als freischaffende Schriftstellerin, Korrektorin und künstlerische Gestalterin. Inspiriert durch ihren vierjährigen Aufenthalt in China, studierte sie Sinologie. Zur selben Zeit entstand Gendres Sachbuch über die alten Tempel Beijings: „Si Miao, wo Buddha und Mao sich treffen“ (Pagoda Verlag,1991). 2002 und 2004 erschienen ihre Romane „Der Kreuzgang“ und „Zarathustras Lüge“ (Pressler Verlag). Sie handeln, ebenso wie „Ignaz“, „Auf dem Berg“, „Carte Blanche“ und „Grenzwinde huschen kalt über den Palast“ von Reifeprozess und Werdegang des Menschen. Die Autorin publizierte zwischen 1991 und 2008 unter dem Namen Isabelle Pfändler. 2012 veröffentlichte sie ein Kunstbuch mit Collagen und Fotos mit dem Titel „Tusferi, ein Bilderbuch“ (Pagoda Verlag). Isabelle Gendre erweitert aktuell ihr sinologisches Wissen durch das Erlernen der mandschurischen Sprache im Selbststudium.

Isabelle Gendre Die Leibwache des Kaisers Historischer Roman

Besuchen Sie uns im Internet: www.dakami-buch.de Veröffentlicht bei DAKAMI Daniela Kayser, Katharina Musial-Buske, Mirko Seeling GbR, Gelnhausen Umschlaggestaltung: DAKAMI GbR Umschlagbild: fotolia.de Copyright © by Isabelle Gendre Copyright © 2017 dieser Ausgabe by Daniela Kayser, Katharina Musial-Buske, Mirko Seeling GbR, Gelnhausen Druck und Bindung: Heimdall, Rheine Gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier Printed in Germany 2017 ISBN: 978-3-946881-08-7

Für Xuanye, den Kangxi-Kaiser



Zu diesem Buch Dieser historische Roman bewegt sich im China des 17. und 18. Jahrhunderts, zur Zeit der mandschurischen Qing-Dynastie. Der Kangxi-Kaiser ist einer der beliebtesten Kaiser der ganzen chinesischen Geschichte; wohl, weil er offen und geradlinig seine Meinung und seine Befindlichkeit kundtut. Es geht ihm um das Reich und nicht um die persönliche Macht. Er ist sich auch nicht zu schade, geflickte Kleidung zu tragen. Mich interessiert vor allem sein Ringen um die Liebe seines Sohnes und Kronprinzen Yinreng. Der Konflikt zwischen Vater und Sohn scheint nicht lösbar, zu verschieden sind ihre Charaktere, zu schwer lastet die ‚Schuld‘ auf Yinreng, bei seiner Geburt seine Mutter, die geliebte Frau des Kaisers, getötet zu haben. Der Kaiser überträgt die ganze Liebe für seine Frau auf seinen Sohn. In diesen Konflikt steige ich mit der Figur Yarhūdais, der Leibwache des Kaisers, ein. Er gewinnt das Vertrauen sowohl des Kaisers als auch des Kronprinzen und ist zudem ein guter Freund Yinzhens, des vierten Sohnes des Kaisers. Die Intrigen um die Thronfolge rauben dem Kaiser Energie und machen ihn krank. Schließlich kommt nicht Yinreng, sondern Yinzhen als Yongzheng-Kaiser auf den Thron. Über Jahrzehnte hinweg wird er – von chinesischen wie westlichen Geschichtsforschern – beschuldigt, er habe den Thron usurpiert. Neuerdings, vor allem nach Zugang zu mandschurischen Quellen, wird er von dieser Verleumdung befreit. Mit meinem Roman will ich einerseits Yinzhen Gerechtigkeit widerfahren lassen und andrerseits Yinreng vom Stigma des von Grund auf bösen und verhätschelten Sohnes befreien und seinen Ruf rehabilitieren. – Und vor allem will ich dem Kangxi-Kaiser meine Ehre erweisen. Die meisten Figuren im Roman sind historisch. Yarhūdai und Ehene mit deren Familien und Li Min sind fiktive Gestalten. (Yarhūdais Onkel Songgotu hat allerdings gelebt). Durch das Lesen verschiedensten Quellenmaterials habe ich mich bemüht, die Figuren authentisch werden zu lassen und ihnen Leben einzuhauchen. Ich möchte vor allem zeigen, dass diese geschichtlichen Figuren Gefühle haben wie wir alle auch, im Glück und Leid, in Freude und Trauer, in Hass und Neid. 7

Mein Dank geht vor allem an Elvira, die mich und meine Figuren einfühlsam begleitet hat, an Hermann und Heike für ihr Zuhören beim Vorlesen des Manuskripts und an Jiejie, meine Reisebegleiterin in die Mandschurei und nach Beijing auf den Spuren meines Romans. Ebenso möchte ich dem Kangxi-Kaiser, Yinreng und Yinzhen danken, dass sie sich seelisch und gedanklich meinem Roman zur Verfügung gestellt haben. 8

Im Jahr Kangxi 22 Als ich zum ersten Mal mit meinem Onkel Songgotu in sein Jagdhaus in die Mandschurei durfte, war ich fünf Jahre alt. Ich freute mich und konnte die Reise kaum erwarten. Zuhause bewirkte Songgotus Vorschlag, mich mitzunehmen, allerdings einigen Aufruhr. Mein Vater meinte, ich sei noch zu jung für eine solch lange Reise. Meine Mutter befürchtete, Songgotu würde die Geduld mit einem kleinen Kind bald ausgehen. Er war für seine aufbrausende, ungeduldige Art bekannt und gefürchtet. Ich warf ein, Tante Balai sei ja auch dabei. „Eben“, meinte meine Mutter, „sie hat schon genügend Kinder großgezogen und braucht sich jetzt nicht um ein weiteres kümmern müssen.“ „Ich kann gut reiten!“, warf ich ein. Songgotu und Balai hatten sechs Söhne und etliche Töchter, von denen einige schon verheiratet waren und bereits eigene Kinder hatten. Der Onkel stammte, wie wir auch, aus dem mächtigen Hešeri Clan, der mit dem Clan des Kaisers verwandt war: Eine von Songgotus Nichten war die erste Frau des Kaisers. Sie starb bei der Geburt ihres zweiten Sohnes und dieser Sohn, Prinz Yinreng, war Thronerbe. Der erste Sohn war nur zweijährig geworden. Songgotu hatte gute Beziehungen zu den mächtigsten Männern rund um den Palast. Er war selbst eigentlich der mächtigste. Als unser Kaiser mit sieben Jahren auf den Thron kam, unterstützte Songgotu ihn und half ihm, sich gegen die andern zu wehren, die die Macht an sich reißen wollten. Songgotu war der älteste Bruder meines Vaters Jalingga. Mein Vater war ganz anders als sein Bruder: Er war überhaupt nicht ehrgeizig und führte ein ruhiges, zurückgezogenes Leben im Nordosten Beijings, im Quartier des Gesäumten Gelben Banners. Er hatte, wie jeder Bannermann, in der Armee gedient und bekam eine magere Rente. Meine Mutter Jere kam aus dem Gūwalgiya Clan. Ich hatte drei ältere Schwestern; die jüngste war sieben Jahre älter als ich, die älteste würde nächstes Jahr heiraten. Ich war das Nesthäkchen. Wir wurden von unsern Eltern nicht verwöhnt, aber wir hatten es sehr gut. Besonders mir als Jungen ließen sie recht viel Freiheit. 9

Und nun stieß ich zum ersten Mal auf Widerstand. Ich begriff es nicht. Sie wussten doch, dass Songgotu mich mochte. Sie wussten auch, dass sie ihm und vor allem Balai absolut vertrauen konnten. Sie wussten ebenfalls, dass ich bereits hervorragend reiten konnte und von zäher Konstitution war. Und ich wollte unbedingt mit! Endlich sagte mein Vater mehr zu sich selbst als zu uns: „Eigentlich geht es nicht um die Distanz. Yarhūdai (also ich) kann das. Aber mir ist nicht recht wohl bei dem Gedanken, dass Prinz Yinzhen mitkommt. Ob das zusammenpasst ... “ Ich riss die Augen auf: „Prinz Yinzhen kommt mit???“ Prinz Yinzhen war der vierte Sohn des Kaisers und gleich alt wie ich. Er wurde im Palast vom Kaiser höchstpersönlich erzogen. Nicht alle hatten dieses Privileg. Erst recht wollte ich nun mit und diesen Prinzen kennenlernen! „Ihr seid auf sehr verschiedenen Stufen“, meinte meine Mutter, „wir sind arm und ungebildet im Gegensatz zu ihm! Es wäre eine Anmaßung unserm Kaiser gegenüber.“ „Aber wenn doch Songgotu das will! Und er kennt den Kaiser gut! Vielleicht hat er es ihm gesagt und der Kaiser findet das gut.“ „Als würde sich der verehrte Kaiser um solche Dinge kümmern“, sagte mein Vater lachend, „meinst du, er geht in sich und denkt: Ah, sehr gut, dass der kleine Yarhūdai mit Songgotu ins Jagdhaus reitet und Prinz Yinzhen somit einen Spielkameraden hat!“ „Genau das denkt er!“, erwiderte ich heftig. Schließlich suchte meine Mutter Balai auf und fragte sie, was sie von der Sache hielt. Sie zog ihre besten Kleider an, richtete ihr Haar neu und schminkte sich. Balai und Songgotu waren mehr als reich und wohnten in einem Palast nicht weit von uns. Sie hatten mehrere Paläste und Jagdresidenzen in und um Beijing herum. Man ging nicht einfach zu ihnen, man bat um Audienz. Nur ich nicht. Schon oft war ich bei ihnen gewesen, von der Straße weg, ohne dass meine Eltern das wussten. Songgotu war oft nicht da, aber Balai, und sie freute sich jedes Mal, wenn sie mich sah. Deshalb wollten sie mich wohl mitnehmen, weil ich mich ganz natürlich benahm. So war es für mich klar, dass Balai meine Mutter von ihren Zweifeln befreien würde. Als meine Mutter zurückkam, war meine Reise eine beschlossene Sache. 10

Ein Diener Songgotus holte mich ab und brachte einen Schimmel mit für mich. Ich fühlte mich geehrt, meinem Vater war es peinlich. Der Diener lud meine dicke Reisetasche hinter den Sattel aufs Pferd und half mir beim Aufsteigen. Ah, ich freute mich!! Bloß schade, dass Ehene nicht mitkommen konnte. Etwas verloren stand er da und schaute zu mir herauf, als ich auf dem Pferd saß. Ehene ist mein bester Freund, wir kennen uns seit unserer Geburt. Er wohnt gleich neben uns und wir sind täglich zusammen. Er ist mir mehr als ein Bruder! Ich winkte ihm zu, er winkte zurück und ich glaubte, Tränen in seinen Augen zu sehen. Ich würde etliche Wochen weg sein. Es war Spätsommer, die ersten Blätter begannen sich bereits goldgelb zu verfärben. Wir ritten zu Songgotus Residenz, wo schon alles für die Reise vorbereitet war: Einige Packpferde, etliche Diener und Reitknechte, das persönliche Pferd Songgotus, das schon gesattelt bereitstand, und die Jagdhunde. Balai war mit ihren Dienern, Dienerinnen und dem Koch ins Jagdhaus vorausgeritten, damit alles vorbereitet war, wenn wir kamen. Ich sprang vom Pferd und verbeugte mich höflich vor meinem Onkel. Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen: „Schön, dass du mitkommst, Yarhūdai. Ich hoffe, du magst meinen Schimmel. Er ist sechsjährig, ein Wallach und heißt Baturu. – Und nun – begrüße den Prinzen Yinzhen.“ Baturu, der Held, schoss es mir durch den Kopf, und Stolz erfüllte mein Herz. Dann wandte ich mich dem Jungen zu, der sehr aufrecht auf seiner braun-weiß gescheckten Stute saß: Schlank, in einen dunkelblauen Mantel gehüllt, das feine Gesicht ebenmäßig und klar, schräge, schwarze Augen, geschwungener Mund. Wie begrüßte man einen Prinzen?! Der noch ein Kind war wie ich? Ich machte eine kleine Verbeugung und murmelte: „Verehrter Prinz Yinzhen ...“ Ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Ein prüfender Blick traf mich, dann neigte er schweigend den Kopf. Keine Regung im schönen Gesicht. Passte es ihm vielleicht nicht, dass ich mitkam? Songgotu bedeutete mir aufzusteigen, dann ritten wir los. Wir ritten langsam aus der Stadt hinaus Richtung Norden. Bei Gubeikou passierten wir die Große Mauer. Ah! Weite, braungrüne Landschaft, so weit das Auge reichte! Es gefiel mir. Wir ritten meistens schweigend; Songgotu zuvorderst mit seinen Dienern, gefolgt von 11

Yinzhen, mir und dessen persönlichem Diener. Zuhinterst ritten die Pferdeknechte mit den Packpferden. Ich getraute mich nicht, Yinzhen anzusprechen und er schwieg. Warum wohl? War ich nicht würdig, von ihm angesprochen zu werden? Hatten meine Eltern mit ihren Bedenken etwa doch recht gehabt? Wir ritten Richtung Jehol, dem hügeligen Ort mit den heißen Quellen und dem verzweigten See. Der Kaiser war daran, diesen Ort zu seinem Jagd- und Sommerrevier zu machen; ab diesem Jahr, so hatte ich gehört, würde er jeden Sommer für etliche Wochen dorthin ziehen, um der drückenden Hitze Beijings zu entfliehen. Ah, hätte ich gewusst, wie wichtig dieser Ort für mich noch werden würde, mein Herz hätte heftig zu klopfen begonnen! Noch lange vor Jehol bereiteten wir unser Nachtlager vor. Die Diener bauten die Zelte auf, die Knechte kümmerten sich um unsere Pferde. Ein Feuer wurde gemacht, ein großer gusseiserner, dreibeiniger Topf daraufgestellt, wo einer der Diener unser Essen vorbereitete. Wir saßen mit gekreuzten Beinen um das Feuer herum. Endlich wandte sich mir Yinzhen zu: „Wie alt bist du?“, fragte er. „Gleich alt wir Ihr, verehrter Prinz“, antwortete ich. Yinzhen schaute mich an, dann lachte er plötzlich und meinte: „Nenn mich einfach Yinzhen! Du bist also der jüngste Sohn Jalinggas?“ Das Eis war gebrochen, trotz seiner gewählten Ausdrucksweise. Nach dem einfachen Mahl legten wir uns schlafen. Ich teilte das Zelt mit Yinzhen und dessen Diener. Wir wünschten einander eine gute Nacht, dann schlief ich gleich ein. Das Reiten war ziemlich anstrengend gewesen, da wir meistens trabten und galoppierten. Schon früh am nächsten Morgen ritten wir weiter. Ich war beeindruckt von der rauen, bergigen Landschaft. Hügel um Hügel mit Kastanienwäldern und Persimonenbäumen, dazwischen Täler mit Bächen und Flüssen. Hin und wieder ein Weiler, sonst große Leere. Nach einer Woche erreichten wir Jehol, das bald bishushanzhuang heißen würde, „Bergurlaubsort zur Vermeidung der Sommerhitze“, oder auf Mandschurisch: halhūn be jailara gurung. Ich war mir anfangs nicht sicher gewesen, ob ich mit dem Prinzen Mandschurisch oder Chinesisch sprechen sollte. Klar war er Mandschure, wie ich auch, aber sein Vater regierte über China und 12

die Chinesen ... schon früh mussten die Prinzen Chinesisch lernen samt der ganzen, dazugehörigen Literatur. Ich war erst daran, diese Sprache zu lernen, reden ging einigermaßen, schreiben würde mir erst später beigebracht werden. Aber nun hatte mich Yinzhen ganz natürlich in unserer Muttersprache angesprochen. Das erleichterte mir vieles. Die Berglandschaft um Jehol war wunderschön. Sanfte Hügel, dahinter richtige Berge, auf einem der Hügel ragte ein riesiger, schmaler Felsen wie ein Finger in den Himmel hinein. Der See schlängelte sich in verschiedenen Armen durch das liebliche Tal. Wir schlugen unsere Zelte am Seeufer auf, gesäumt von Weidenbäumen. Songgotu forderte uns auf zu fischen. Ich fand das ein wenig langweilig, Yinzhen hingegen saß konzentriert da, den Blick aufs Wasser geheftet, in der Hand die Angel, unbewegt. Plötzlich riss er die Angel blitzschnell aus dem Wasser und am Angelhaken zappelte ein großer Fisch. Auf diese Weise ergatterte er fünf Fische. Bei mir biss keiner an, ich war wohl zu unruhig und ungeduldig. „Fischst du öfters zuhause?“, fragte ich ihn. An den Kaiserpalast angrenzend war ja der große ‚Nördliche See’. Er schüttelte den Kopf: „Nein. Das ist das erste Mal“, erwiderte er knapp. Abends brieten wir die Fische auf dem Feuer, sie schmeckten hervorragend. Wir blieben zwei Tage in Jehol, Songgotu ging auf die Jagd und erbeutete etliche Hasen und Fasane, gutes Fleisch für unterwegs. Für mich tat sich eine neue Welt auf. Ich kannte nur das Stadtleben in unserem Quartier, hin und wieder unternahm unsere Familie einen Ausflug jenseits der Großen Mauer, mehr kannte ich von der Welt nicht. Es tat mir fast leid, als wir Jehol wieder verließen. Gleichzeitig freute ich mich aufs Jagdhaus. Wir überquerten einen kleinen, rauen Pass, nachts wurde es dort sehr kühl. Wieder im Tal, folgten wir dem Daling-Fluss. Er würde uns begleiten, bis wir unser Ziel erreicht hätten. Das Reiten wurde noch anstrengender, wir legten am Tag sicher an die sechzig li zurück! Songgotu schien vergessen zu haben, dass er zwei Kinder dabei hatte. Abends war ich jeweils todmüde, meine Glieder schmerzten, aber ich war glücklich. Yinzhen sah ich nicht an, ob ihn etwas anstrengte oder nicht. Er blieb immer gleich. Vielleicht mussten Prinzen sich darin üben, keine Regung zu zeigen? Songgotu war ebenfalls ziemlich 13

wortkarg und in sich gekehrt. Später sollte ich erfahren, dass er vom Kaiser wegen des unflätigen Benehmens zweier seiner Brüder gerügt worden war. Die Brüder wie er verloren Amt und Titel; Songgotu durfte nur noch seinen Posten als Hauptmann der Wachen behalten. Deshalb wohl verzog er sich für eine Weile in sein Jagdhaus. Immerhin durfte ein Sohn des Kaisers ihn begleiten; sicher ein Zeichen, dass Songgotu nicht ganz aus der Gunst des Kaisers gefallen war. Der Kaiser schien trotz allem Mitleid mit seinem Ratgeber zu haben, der ihn von Jugend an begleitet hatte und hoffte, das alte Vertrauen zwischen den beiden würde sich wieder einstellen. Er gab ihm Yinzhen sozusagen als ein ‚Pfand des Vertrauens‘ mit. - Von Jehol bis zum Jagdhaus dauerte die Reise etwa gleich lang wie von Beijing nach Jehol. Wir überquerten die unsichtbare Grenze zur Mandschurei. Ah! Endlich war ich nun im Land meiner Ahnen. Wälder, Täler, Flüsse, sanfte Hügel, in der Ferne höhere Berge. So schön! Nach zehn Tagen erreichten wir endlich Songgotus Jagdhaus. Es war ein großes Holzgebäude mitten im Wald, vorne erstreckte sich eine runde Lichtung, weiter unten hörte man den Daling-Fluss. Das Haus hieß ‚Borgin i boo‘, Graufuchshaus. Es gefiel mir sofort. Es strahlte eine behäbige Behaglichkeit aus. Balai erwartete uns schon. Sie stand auf der hölzernen Terrasse, als wir angeritten kamen. Sie war eine stolze Frau, die eine natürliche Autorität ausstrahlte. Ihr rundes Gesicht war ebenmäßig und klar, ihre dichten Haare hatte sie, wie alle höher gestellten Mandschu-Frauen, kunstvoll aufgesteckt. Sie trug ein dunkelbraunes, langes Kleid mit roten Stickereien darauf. Sie verbeugte sich vor ihrem Mann und lächelte dann uns Kinder an: „Willkommen im Borgin i boo! Wie war die Reise? Hoffentlich nicht zu anstrengend? Ihr seid ja schnell geritten, dass ihr schon hier seid!“ Sie schickte ihrem Mann einen vorwurfsvollen Blick zu. Songgotu ergriff die beiden Hände seiner Frau und schaute ihr schweigend in die Augen. Ich wusste von all meinen Besuchen, wie sehr er sie schätzte und hochachtete. Er, der sonst alle herumbefahl, würde das bei seiner Frau nie tun. Balai schloss mich in die Arme, ich roch Herdfeuer und Wald. Dann umfasste sie sachte Yinzhens Gesicht und sagte: 14

„Ich hoffe, der junge Prinz wird sich bei uns wohlfühlen! Wir führen ein einfaches Leben hier! Ist es Euch recht, Euer Zimmer mit Yarhūdai zu teilen? Oder mögt Ihr lieber Euren Diener bei Euch haben?“ „Gerne möchte ich mit Yarhūdai zusammen sein“, erwiderte Yinzhen fest. Ich atmete auf. Das hieß, er schien mich zu mögen. Sein Diener musste nun mit den Dienern Songgotus zusammen einen Raum teilen. Wohl war er vergebens mitgekommen, schien mir. Yinzhen hatte sich während der ganzen Reise nie von ihm bedienen lassen, der arme Mann war stets ziemlich nutzlos ein wenig abseits gestanden. – Das Innere des Jagdhauses bestand aus einem riesigen Raum mit einer verzierten Holzdecke, dahinter war die geräumige Küche, neben dem Hauptraum war eine fein bestückte Bibliothek, auf der andern Seite ein gleich großes Zimmer, das Songgotu als Studio diente. Ein Innenhof tat sich hinter der Küche auf, in dem sich ein Brunnen mit Quellwasser befand; ein paar steinerne, verzierte Hocker gruppierten sich um einen runden Steintisch, es gab sogar einen kleinen Teich mit Fischen darin, umpflanzt mit verschiedenen Farnen und Blumen. Um den Innenhof herum waren die paar Schlafräume verteilt. Diejenigen der Diener grenzten an die Küche. Das Jagdhaus schien mir größer als mein ganzes Zuhause zu sein! Im Hauptraum war auf der Nordseite ein riesiger, steinerner, offener Kamin eingelassen; ich hatte noch nie so etwas gesehen, die mandschurischen Häuser hatten Kamine außerhalb des Hauses, von denen die Wärme nach innen geleitet wurde. Vor dem Kamin stand ein langer Holztisch, darum herum verzierte hochlehnige Stühle aus Rosenholz. Da würden wir essen. Der Raum wirkte, trotz der chinesischen Stühle, fremdländisch auf mich. Der Kamin vor allem. Das gab es bei uns nicht. Ein Bild des fernen Russlands erschien vor meinem inneren Auge, ich weiß auch nicht warum. Vielleicht wohnten die Russen so? Unser Kaiser hatte schon Gesandte aus diesem Land empfangen, wusste ich, und es waren Verhandlungen über einen Grenzvertrag im Gange. Die Russen hatten einen sehr jungen Kaiser, der deshalb noch mit seinem Bruder zusammen regierte, hatte mir mein Vater erzählt. Also ganz ähnlich, wie unser verehrter Kaiser am Anfang von Songgotu und anderen beim Regieren begleitet worden war. – An den Wänden des riesigen Raumes hingen Felle von Bären 15


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