AUSGABE NR. 139 al- fadsCHr - die MorGeNdÄMMerUNG aUsGaBe Nr. 139 BILD: DIE PROPHETENMOSCHEE (AL-MASGID AN-NABAwI) IN MEDINA JG. 28 · JULI - SEPTEMBER 2011 ŠA‘BAN - ŠAwwAL 1432 DEUTSCHLAND EUR 5,- www.AL-FADSCHR.DE titeltHeMa der ProPHet MUHaMMad (s.a.s) - GÖTTLICHE OFFENBARUNG UND MENSCHLICHE VERNUNFT (TEIL 2) - ANNÄHERUNGEN AN DIE ISLAMISCHE PHILOSOPHIE - zUR ETHIK UND VERHALTENSwEISE DES HL. PROPHETEN (S.A.S.) - DER PROPHET DES ISLAM IM SPIEGEL EUROPÄISCHER GEDANKENwELTEN - LIEBE UND FREUNDSCHAFT IM ISLAM seite 1
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editorialVerehrte Leser,die aufklärende Religion des Islams, Islams, Muhammad (s.a.s), zu be- In dem Zeitraum, der seit dem trau- AL - FADSCHRwelche eine der wichtigsten und ein- leidigen. Würden jedoch die Lehren rigen Ableben der Chefredakteurinflussreichsten monotheistischen des heiligen Qur’ans, die Botschaf- der Zeitschrift, unsere liebe Schwes-Religionen ist, beruht auf festen ten und die Lebensart des Propheten ter Frau Zeynab Khamehi (MögeSäulen der Rationalität und der (s.a.s.) von Experten studiert und Allah ihrer Seele gnädig sein), undOffenbarung sowie ethischen und untersucht werden, so würde es dem Erscheinen der letzten Ausga-spirituellen Lehren und Grundsät- allen einleuchten, dass der Islam be verstrichen ist, waren wir darumzen. Aus diesem Grund besitzt sie eine Religion des Wissens, der Ver- bemüht, ihre über 20-jährige Arbeiteine große Anziehungskraft auf all nunft, der Spiritualität, der Freiheit, und ihre Bemühungen so bald wiejene, die auf der Suche nach der Sicherheit und Gerechtigkeit ist möglich wieder aufzunehmen undGerechtigkeit und Wahrheit sind. und dass keiner der Behauptungen, danken Gott, dass er uns dieDie Religion des Islams setzt sich die die Gegner des Islams aufbrin- Verwirklichung dieses Vorhabensaus der Anerkennung der göttlichen gen, auf wissenschaftlichen Fakten ermöglicht hat.Offenbarung und der Befolgung beruht. Weiterhin ist es relevant zuQur’anischer Gebote zusammen und erwähnen, dass der Islam stets den Al-Fadschr drückt ebenso allenbeeinflusst alle Lebensphasen des Dialog und das Gespräch mit den werten Personen und MitarbeiternMenschen, alles was er tut, was er Anhängern anderer Religionen, vor ihren Dank aus, die uns bei derdenkt und fühlt. Und darüber hinaus allem monotheistischer Religionen, Abfassung, der Beurteilung undgibt er der Menschheit die Antwort willkommen heißt, weil dies auch in Übersetzung der Artikel sowie beiauf die Fragen „Woher kommen wir den islamischen Lehren betont wird der Neugestaltung der Zeitschrift- Wohin gehen wir – und dies die Vorgehensweise unserer geholfen und unterstützt haben, undWas ist der Sinn des Lebens?“. großen, religiösen Persönlichkeiten uns darüber hinaus mit ihren Vor-Die Lehre des Islams zeigt dem und unserer Anführer war und ist. schlägen und ihrem weisen und en-Menschen die richtige Lebensart auf Die Edelmütigen waren nämlich gagierten Ratschlag zur Seiteder Basis von Liebe, Freundschaft stets bemüht, durch wissenschaftli- gestanden haben.und Güte auf und weist ihm darüber che, vernünftige, ethische Methodenhinaus den Weg zur Glückseligkeit und durch konstruktive Gespräche Mögen unsere Gebete in diesemim Diesseits und im Jenseits. Beziehungen aufrechtzuerhalten, die heiligen Monat Ramadan, der auch den Dialog gewährleisten. als Monat Gottes oder Monat derNach den Lehren des heiligen Barmherzigkeit bezeichnet wird, inQur’ans, sind alle Propheten von Vor Ihnen liegt nun die 139. Ausga- dem die Nacht der Bestimmung liegtGott für die Rechtleitung der be der wissenschaftlich-kulturellen und der Qur’an herab gesandtMenschheit gesandt worden, daher Zeitschrift Al-Fadschr, welche mit wurde, erhört und akzeptiert werdensind sie alle zu ehren und zu dem Ziel, eine wissenschaftliche, und möge uns die umfassenderespektieren und die Beleidigung rationale und spirituelle Darlegung Gnade und Barmherzigkeit Gottesoder Schmähung jener Propheten ist des Islams zu unterbreiten, seit 1983 zuteile werden.aus Sicht des Islams nicht erlaubt. vom Islamischen Zentrum HamburgNichtsdestotrotz nehmen es sich herausgegeben wird. Redaktion Al-Fadschreinige heraus, das heilige Buch derMoslime, den heiligen Qur’an, undden heiligen Propheten desseite 4
6 BittGeBet 8 15 Teile des Bittgebetes der Schabania 23 GöttliCHe offeNBarUNG UNd MeNsCHliCHe VerNUNft (teil 2) Text von Ayatollah Abdullah Jawadi Amuli 29 aNNÄHrUNG aN die islaMisCHe PHilosoPHie Text von Dr. Muhammad Legenhausen eiN BliCK aUf’s Meer Zur Ethik und Verhaltensweise des hl. Propheten (s.a.s.) Text von Seyed Mohsen AleBatool MoNotHeistisCHe BasisKUltUr deUtsCHlaNds UNd eUroPasAUSGABE NR. 139 34 Text von Dip.-Ing. Muhammad Krüger 42 48 MUHaMMads WeG NaCH eUroPa 57 63 Der Prophet des Islam im Spiegel europäischer Gedankenwelten 68 Text von Dr. Masume Brezansky-Günes freitaGsaNsPraCHe Liebe und Freundschaft im Islam (Teil 1) Text von Ayatollah Dr. Reza Ramezani QUr’aN deUtUNG Übersetzung & Erläuterung (Ash-Shu‘ara, 1-6) das VorBild MUHaMMads UNd die iMaMe HeUte Text von Dr. Martin Bauschke VorstellUNG islaMisCHer PersöNliCHKeiteN Salman Farsi - Ein Kind des Islams Text von Seyed Mohsen AleBatool NaCHrUf aUf sCHWester zeiNaB KHaMeHi Text von Dip.-Ing. Muhammad Krüger 71 aUsserGeWöHNliCHe fraUeN iM islaM Text von S. Sadeghi 76 MUsliMisCHe NaCHriCHteN aUs eUroPa seite 5
AL - FADSCHR AUSGABE NR. 139 AL - FADSCHRBITTGEBETDas Bittgebet ist der Schlüssel der Verbindung des Menschen mit seinem Schöpfer. Das Gebet ist das Bedürfnis derSeele und Nahrung für den Geist des Menschen. Das Gebet ist das Gespräch mit einem Schöpfer, der die innerstenGeheimnisse, Bedürfnisse und Wünsche des Menschen kennt, sowie um den Ausgang seiner Taten weiß.Im Moment der Verbindung eben dieses Menschen mit seinem Schöpfer entsteht die tiefste und schönste Beziehung.Einer der bekanntesten und schönsten Bittgebete der reinen Imame (Friede sei mit ihnen) sind die Bittgebete derSchabania. In diesen sieht sich der Mensch gegenüber einem Schöpfer, welcher barmherzig und gnädig, großzügigund gebend, Sünden deckend und vergebend ist. Ein Schöpfer, dessen Anbetungswürdigkeit allgegenwärtig undungebrochen scheint und dessen Fähigkeit zu verzeihen, unablässlich Hoffnung schenkt.seite 6
AL - FADSCHR AUSGABE NR. 139 Teile des Bittgebetes der Schabania Oh mein Herr, ich sehe mich selbst – Mein Schöpfer, mein Herr, wie AUSGABE NR. 139 das bin ich, der vor Deiner Tür steht wohltätig, gönnerhaft und gnädig Gott, wenn ich Dich anrufe, dann und auf Deine unermessliche Gnade warst Du mir gegenüber, dass Du höre mich an, erhöre meine Gebete. hofft. meine Sünden vor den reinen und Wenn ich flüsternd und einfühlsam Das bin ich, Herr, derjenige, mit dem tugendhaften Menschen verborgen mit Dir spreche, wende Dich mir zu, Du über all Deine Güte und Barm- hast. So sei mir gegenüber auch am denn ich habe mich von allem herzigkeit, über all Deine positiven Tag der Strafe gnädig und entehre, abgewendet und bin zu Dir geflüch- und schönen Eigenschaften gespro- entwürdige und bestrafe mich nicht. tet. Hilflos und in meinem bekla- chen hast und dem Du ein Kleid der Mein Herr, Deine Gnade, Barmher- genswerten Zustand habe ich all Vergebung angezogen hast. zigkeit und Deine Liebe haben mir meine Hoffnung in Deinen liebevol- Mut gegeben, meine mannigfaltige len Blick gesetzt und hoffe, mit all Mein Herr, es ist nicht verwunder- Truhe voller Wünsche vor Dir zu Deiner Güte und all Deinem Segen, lich, dass Du mir verzeihst, denn öffnen. Deine Vergebung, Deine über den nur Du verfügst, beschenkt niemand außer Dir ist so anmutig, Versöhnlichkeit und Barmherzig- und belohnt zu werden. Du weißt, dies zu tun. keit sind größer als all meine Taten. wie es mir geht, mein Herr. Du weißt, So lasse mich an dem Tag, an dem was ich von Dir will. Mein Ausgang Ich gestehe meine Sünden und sehe Du über all Deine Geschöpfe rich- ist Dir bekannt und nicht verborgen. sie ein, in der Hoffnung mich Dir nä- ten wirst, zu denen gehören, die mit Nur Du kennst das, was in mir ver- hern zu können. Deinem Anblick glücklich und zu- borgen ist und nur Du kennst meine frieden sind. unausgesprochenen Wünsche und Mein Herr, nicht, dass mir Deine das, wonach ich suche, wonach ich unendliche Gnade und Barmher- Oh Du mein Schöpfer, der Du nahe mich sehne. zigkeit nach dem Tod nicht zuteile bist, oh Du, der von den Ahnungs- Herr, wenn Du mich benachtei- wird?!! Warst Du es denn nicht, der losen und von den Sündigern nicht ligst, wenn Du mir Deinen Segen mir mein ganzes Leben lang ständig weit entfernt bist, oh Du barmherzi- entziehst oder verwehrst, wer wird mit Liebe und Fürsorge zur Seite ger, gnädiger und verzeihender Gott, mich dann versorgen? Und wenn stand und mich begleitet hat? Warum der gegenüber denen, die Hoffnung Du mich erniedrigst und fallen lässt, soll ich dann nicht hoffen, dass Du in Dich setzen, nicht kleinlich bist, wer wird mir zur Hilfe eilen und mir Dich mir nach dem Tod auch liebe- schenke mir ein Herz, das sich Dir aufhelfen? voll, gnadenvoll und mit Zuneigung aus Liebe und Zuneigung nähert und Mein Schöpfer, ich bin Deiner Gna- zuwendest und mich betrachtest? gebe mir eine Zunge, deren de nicht würdig, aber gnädig und Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zu barmherzig zu sein, das ist Dir zu Dir emporsteigt. Und schenke mir eigen. eine Sichtweise, dessen Wahrheit der Grundstein dafür ist, dass ich mich Dir nähern kann. seite 7
TEXT VON:AyATOLLAH A. JAwADI AMULIAyATOLLAH ABDULLAH JAwADI AMOLI IST EINER DER HERAUSRAGENDEN zEITGENÖSSISCHEN PHILOSOPHEN, QUR’ANINTERPRETENUND THEOLOGEN. IN SEINEM QUR’ANKOMMENTAR „TAFSIR-I TASNIM“ VEREINT ER DREI EXEGETISCHE METHODEN,NÄMLICH DAS VERSTÄNDNIS VOM QUR’AN DURCH DEN QUR’AN SELBST, DIE üBERLIEFERUNG UND DEN VERSTAND.GöttliCHe offeNBarUNG UNdMeNsCHliCHe VerNUNft (teil 2) oder Verwirrungen aufzufinden sind. AL - FADSCHR Denn jeder Zweifel an sich birgt Unklarheit, Dunkelheit und Verwir- rung und kann nicht mit der Wahr- heit, die echtes Licht ausstrahlt, in Einklang gebracht werden. Deshalb betont die himmlische Offenbarung, dass der Mensch erst einmal ein Forscher und ein Suchender nach der Wahrheit sein muss, der dann mit Gewissheit handeln kann. Er soll nichts akzeptieren oder ablehnen, ohne darüber nachgeforscht zu ha- ben.Nun werden einige Fälle für die Harmonie von Vernunft und Offen- barung angeführt:Genauso wie die absolute Vernunft und der Wahrheit oder aus den 1. Vom 6. Imam der Schiiten, Imamdie Notwendigkeit der Offenbarung hohen Lehren der Offenbarung, die Sadiq (a.s.) ist überliefert worden1:und des Prophetentums erfordert, ist in Form von logischen Argumen- „Zwei Verse im Qur’an haben dendie Offenbarung für die Glaubwür- ten den Leugnern gegenübergestellt Menschen befohlen, nicht über Din-digkeit des vernünftigen Beweises werden oder daraus, dass die Ungül- ge, von denen sie nichts wissen, zuzuständig und bekräftigt und bestä- tigkeit der unsicheren Argumente urteilen und sie weder zu bestätigentigt diesen. Aus diesem Grunde der Götzenanbeter und Materialisten noch abzulehnen. Einer von diesenbesteht der ganze Inhalt des heiligen bewiesen wird. Genau aus diesem zwei Versen besagt: „Und auf sieQur’ans entweder aus Einladungen Grund wird der heilige Qur’an als folgen Generationen, welche zwarder Menschen zum Nachdenken, „Licht“ bezeichnet, weil in diesem die Schrift erbten, doch nur nachzum Erwerb von sicherem Wissen Buch keine Zweifel, Unklarheiten den Gütern dieser Welt greifen und dabei sprechen: Gewiss wird uns verziehen. Ist ihnen denn nicht die Verpflichtung der Schrift abgenom-seite 8
AUSGABE NR. 139 men worden, dass sie gegen Gott Maßstab für Akzeptanz und Ablehnung.“ Allein, dass er nichts aussagen, außer die Wahrheit? in Anwesenheit des Imam diese Worte gesagt hat und Und sie haben über den Inhalt der der Imam ruhig geblieben ist, ist selbst ein Beweis dafür, Schrift geforscht. Doch die Behau- dass Vernunft und Logik absolut vertrauenswürdig sind. sung des Jenseits ist besser für die Gottesfürchrigen. Haben sie denn 4. Der heilige Qur’an spricht zu den Götzenanbetern von keine Einsicht?“ (Al-A’raf, 169). Hijaz und zu allen Nichtmonotheisten der Geschichte Der zweite Vers sagt: „Aber was ihr Folgendes: „Und sie sagen: Hätte der Erbarmer es Wissen nicht umfaßte und was ih- gewollt, hätten wir sie nicht verehrt. Sie haben aber hier- nen doch nicht erläutert worden war, von kein Wissen, sondern vermuten nur. Oder gaben wir nannten sie Lüge. ihnen etwa eine Offenbarung vor diesem Buch, an das So leugneten auch schon jene, die sie sich halten könnten? Nein! Sie sagen: Wir fanden vor ihnen lebten. Und schau, wie das unsere Väter auf einem Glaubensweg und folgten ihren Ende der Ungerechten war.“ (Yunus, Spuren.“ (Az-Zukhruf, 20-22). Die Götzenanbeter ak- 39). zeptieren Gott als Schöpfer der Welten, aber ernennen für jeden Teil der Schöpfung z.B für Himmel, Meer, Wüste, 2. Der 7. Imam der Schiiten, Imam usw., einen bestimmten Gott, der in seinem Kompetenz- Musa ben Jafar al Kazem (a.s.) hat bereich frei und unabhängig ist. Er bestimmt den Nutzen gesagt, dass Gott den Wissenden und und Schaden seiner Diener direkt. Alle diese Götter un- diejenigen, die mit Vernunft han- terstehen jedoch einem großen Gott, der Gott der Götter deln, mit freudigen Nachrichten ge- heißt. Da diese Gruppe von Leuten in der Einheit Got- segnet hat. Dann hat er diesen Vers tes polytheistisch war, waren sie auch in der Anbetung vorgelesen: „In Wahrheit hat Gott polytheistisch. Deshalb verneinten sie grundsätzlich die zwei Beweise für die Menschen. Ei- Offenbarung und das Prophetentum und abgesehen da- nen offensichtlichen und einen ver- von meinten sie, dass der Mensch dieser hohen Stelle borgenen Beweis. Der offensichtli- und dieser Funktion nicht würdig ist. Sie meinten weiter, che Beweis sind die Propheten und dass Gott keinen direkten und unmittelbaren Überblick die unfehlbaren Imame und der ver- über alle Dimensionen der Schöpfung habe, um ihnen borgene Beweis ist die Vernunft.“ 2 Richtlinien zu setzen oder ihnen etwas vorzuschreiben. Ihre Gelehrten und Forscher begründen diese Behaup- 3. Der 8. Imam der Schiiten, Imam tung, indem sie sagen, wenn Gott nicht gewollt hätte, Reza (a.s), anwortete auf die Frage dass wir die Götzen anbeten, hätten wir sie nicht ange- von Ibn Al Sakkit, was der Beweis betet. So hat also Gott nicht gewollt, dass wir die Götzen (für die Rechtleitung) heutzutage für nicht anbeten, sonst wäre sein Wille geschehen. Aus die- die Menschen sei, wie folgt: sem Grunde ist es nicht erforderlich, Gott anzubeten. Es „Mit der Vernunft kann man den reicht, wenn man die Götzen anbetet. Auch in der Sure wahren Gesandten Gottes erkennen Al-An’am Vers 148 und 149 steht über diese falsche und ihn akzeptieren. Man kann ge- Argumentation Folgendes: „Gewiss diejenigen, welche nauso einen Lügner erkennen und (Allah) Gefährten geben, werden sagen: Wenn Allah es ihn ablehnen. Die Vernunft ist der gewollt hätte, hätten wir ihm keine anderen Götter gege- beste Maßstab zur Akzeptanz der ben, wie auch unsere Väter nicht; wir hätten auch nichts Wahrheit und zur Ablehnung des (Erlaubtes) verboten. Falschen.“ Nach dieser weisen Ant- So leugneten auch die, welche vor ihnen lebten, bis sie wort sagte Ibn Al-Sakkit abermals: unsere Strenge zu fühlen bekamen. Sprich: Wisst ihr et- „Ich schwöre bei Gott, dass diese die was darüber, dann bringt es uns zum Vorschein. Ihr folgt einzige Antwort ist, die ausreicht. nur einem Wahn und ihr lügt nur. Sprich: Bei Allah ist Denn die Vernunft ist der wahre der umfassende Beweis, und wenn er seite 9
gewollt hätte, hätte er euch insge- Menschen, dass jedes Individuum AL - FADSCHR samt rechtgeleitet.“ Ebenfalls steht verpflichtet ist, entweder selbst For- in einem anderen Vers: „Und die, scher zu sein oder den Gelehrten und welche Allah Teilhaber geben, spre- Wissenden zu folgen. Aus diesem chen: Wenn Allah gewollt hätte, hät- Grund akzeptiert der Qur’an nur das, ten wir außer ihm nichts angebetet, was sich um die Achse des Denkens, weder wir noch unsere Väter, und der Logik und der Wissenschaft hätten nichts ohne ihn verboten. So dreht oder seinen Ursprung in der sprachen auch die, welche vor ihnen Offenbarung findet. Was weder der lebten. absoluten Logik entspricht, noch Aber obliegt den Gesandten etwas mit der Offenbarung zu vereinbaren anderes als öffentliche Predigt?“ ist, ist überflüssig und verdient kein (An-Nahl, 35). Zusammenfassend Vertrauen und keine Achtung. „Und begründen sie ihre Behauptung, dass sie sagen: Hätte der Erbarmer es ge- es Götter gibt und warum sie nicht wollt, hätten wir ihnen nie gedient. Monotheisten sind so: Sie haben aber hiervon kein Wis- Wenn es der Wille Gottes gewesen sen, sondern vermuten nur.“ (Az- wäre, uns sozusagen auf den rech- Zukhruf, 20). So wie: „Oder gaben ten Weg zu führen, wenn er himm- wir ihnen etwa eine Offenbarung vor liche Gesetze auferlegt hätte, um diesem Buch, an das sie sich halten unsere sozialen und individuellen könnten?“ (Az-Zukhruf, 21). Die Angelegenheiten zu regeln, wären Einschränkung der Argumente hin- wir niemals Polytheisten geworden, sichtlich des absoluten Verstandes hätten die Götzen nicht angebetet und der absoluten Offenbarung ist und hätten kein Gesetz und Gebot an verschiedenen Stellen des Qur’an boykottiert. Es ist daher klar, dass erwähnt worden: der Wille Gottes nicht auf die Ver- “Sprich: Habt ihr denn gut überlegt, neinung des einzig wahren Gottes was ihr da anstelle von Allah anruft? und nicht auf die Ablehnung des Po- Zeigt mir, was sie von der Erde er- lytheismus hindeutet. Auch war sein schufen. Oder haben sie etwa einen Wille nicht, Propheten zu beauftra- Anteil an den Himmeln? Bringt mir gen, seine Worte zu offenbaren und ein älteres (göttliches) Buch oder ein Buch zu senden. So gesehen ist sonst eine Spur von Wissen, falls der Polytheismus eine gerechte Sa- ihr wahrhaft seid.“ (Al-Ahqaf, 4) che und es gibt keine Offenbarung Aus allem oben Angeführten ist zu und kein Prophetentum. Das war, entnehmen, dass der heilige Qur’an was die Götzenanbeter zu die falschen und abweichenden argumentieren vermochten. Ihre Anschauungen ablehnt und Un- Nachahmer pflegten zu sagen, dass wissenheit als ihre wahre Ursache ihre Vorgänger und Väter ihre Ach- identifiziert und er bezeichnet ihre tung und ihre Würde in der Anbe- Anhänger als oberflächliche und tung der Götzen fanden und sie dies egoistische Kreaturen. zu ihrem Vorbild machen und sich „Wahrlich, Namen sind es bloß, danach richten würden. Da aber der die ihr ersonnen habt, ihr und eure heilige Qur’an zu Recht ist, lädt er Väter. Allah sandte keine Ermächti- die Menschen zum Nachdenken und gung dazu hinab, sie folgen nur einer zum Forschen ein. Er befiehlt den Wahnvorstellung und ihren Wün-seite 10
AUSGABE NR. 139 schen, obwohl die Rechtleitung ihres Herrn zu ihnen ge- wird als etwas bezeichnet, was mit Verstand und Logik kommen ist.“ (An-Najm, 23 u. 28). Sowie „Gehört Allah nicht zu rechtfertigen ist. nicht alles, was in den Himmeln und was auf Erden ist? „Und wir geboten dem Menschen Güte gegen seine El- Wem folgen denn jene, welche neben Allah andere Gott- tern. Doch wenn sie dich dazu bringen wollen, Mir an heiten anrufen? Fürwahr, sie folgen nur Mutmaßungen die Seite zu setzen, wovon du kein Wissen hast, dann und stellen nur Vermutungen an.“ (Yunus, 66) und letzt- gehorche ihnen nicht. Zu mir ist eure Heimkehr; dann lich: „Sie aber sagen: Es gibt nur unser irdisches Leben. werde Ich euch vorhalten, was ihr (alles) getan habt.“ Wir sterben und wir leben und nur der Zeitablauf macht (Al-Ankabut, 8). Sowie uns zunichte. Sie haben davon aber kein Wissen. Sie ver- „Doch wenn sie dich dazu bringen wollen, dass du mir muten nur.“(Jathiya, 24). Das, was nicht völlig klar ist, an die Seite setzt, wovon du kein Wissen hast, so gehor- und worüber der Mensch nichts weiß, ist vom Qur’an che ihnen nicht. Verkehre mit ihnen in weltlichen Din- strengstens abgelehnt worden. gen gleichwohl, wie es gerecht und billig ist. Doch folge „Und befasse dich nicht mit etwas, wovon du kein Wis- dem Weg derer, die sich zu mir bekehren. Dann ist eure sen hast. Seht, die Ohren, das Gesicht und das Herz, al- Rückkehr zu mir, und dann werde ich euch euer Tun vor- les wird dafür zur Rechenschaft gezogen.“ (Al-Isra, 36) halten.“ (Luqman, 15). Der Grund, warum Polytheismus Hinsichtlich der Behauptung und Argumentation der und Ähnliches gleichzeitig Unwissenheit sind und nicht Polytheisten, die in den Suren Az-Zukhruf, An-Nahl und mit Wissenschaft zu vereinbaren und zu rechtfertigen Al-An‘am erwähnt wurden, muss man sagen, dass sind, ist der, dass sie nicht existierend sind. Was nicht zwischen der Argumentation und Beweiserbringung, die existiert, ist nicht identisch mit der Wahrheit und Wirk- auf Basis des schöpferischen und nicht widerlegbaren lichkeit. Sie widersprechen dem Verstand und sind nie Willen Gottes erbracht wurden und dem, was aus der transparent. In der Sure Jonas wurde dieser Fall folgen- Religion und dem Willen Gottes zu entnehmen ist, kein dermaßen dargestellt: „Und sie verehren neben Allah, Unterschied gemacht wurde. Dies würde die Menschen was ihnen weder Schaden noch nützen kann und sagen: in eine Zwangssituation und Not versetzen. Der Wille, Dies sind unsere Fürsprecher bei Allah: Sprich: Wollt ihr nach dem das Gewünschte erzielt wird, ist nichts An- Allah über etwas belehren, was ihm weder in den Him- deres als der schöpferische Wille Gottes. Der mit der meln noch auf Erden bekannt ist? Preis sei mit ihm. menschlichen Tat des Menschen verbundene Wille ba- Erhaben ist Er über alles, was ihr Ihm beigesellt.“ siert auf seiner individuellen Freiheit und seiner freien Yunus, 18). Das heisst mit anderen Worten, etwas, von Wahl. Das ist der auf die Scharia bezogene Wille Gottes. dem Gott nichts weiß, existiert gar nicht und es ist etwas Gott leitet die Welt mit seinem schöpferischen Willen, nicht Existierendes. gleichgültig ob jemand demgegenüber polytheistisch oder monotheistisch eingestellt ist, denn andere Ide- 5. Der Heilige Qur’an kennt für Nachahmung, For- en und diverse Schulen haben keinen Zugang in diese schung, Gefolgschaft und geistige Führung keinen Sphäre der Schöpfung und sie schaden weder der Sache, Maßstab außer den absoluten Verstand, der Logik und noch nützen sie ihr. Aber der auf die Scharia bezogene absoluter Offenbarung. Er akzeptiert nur das, was ent- Wille Gottes geht davon aus, dass der Mensch geborener weder mit logischem Argument oder mit Offenbarung Monotheist ist und jede Art des Polytheismus ablehnt. aufgeklärt werden kann und geklärt worden ist. Der Dieser Wille ist sowohl mit dem Gehorsam des Men- heilige Qur’an betrachtet die Nachahmung, die weder schen als auch mit dem Polytheismus und dem Unge- logisch ist, noch auf Anweisung der Offenbarung be- horsam vereinbar. ruht, sowie die Forschung und die Führung, die weder Deshalb kann man nicht behaupten, dass, wenn sich der mit logischen Gründen, noch mit Hilfe der Offenbarung Wille Gottes auf Monotheismus und die Einheit Gottes zu vereinbaren sind, gerechtigkeitsfeindlich. Das Resul- bezieht und die Offenbarung und das Prophetentum be- tat wird nichts Anderes sein, als dem Satan zu folgen, stätigt, die Götzendiener nicht mehr Götzendienst trei- was wiederum zum Irrweg und zur Verwirrung führen ben würden und die Gesetze nicht missachten würden. wird. Denn, wie oben erwähnt wurde, ist der Mensch Aus diesem Grund ist der Polytheismus aus der Sicht für seine Forschungen und Taten verantwortlich. Der des Islam gleichbedeutend mit der Unwissenheit und Mensch muss ein wahrer Forscher sein. Wenn ihm aber seite 11
dies nicht gelingt, ist in diesem Fall „Und doch gibt es Menschen, die habt hätte, hätte der heilige Qur’an AL - FADSCHRdie Nachahmung und Gefolgschaft ohne jedes Wissen über Allah strei- niemals andere Wege gezeigt undselbst eine Art der Forschung. Wenn ten und jedem rebellischen Satan sie nicht parallel neben einanderder Mensch dem Forscher nicht ge- folgen.“ (Al-Hajj, 3). Im zweiten erwähnt und hätte niemals gegen-horcht, wenn er eigensinnig handelt Teil wird gesagt, wenn die geistliche über dem erleuchtenden Buch vonoder Menschen folgt, die nicht nach- Führung der Menschen nicht auf Ge- der Führung und Wissenschaft ge-forschen, dann ist seine Nachah- wissheit und vernünftigem Beweis sprochen. Mit ein wenig Aufmerk-mung bedeutungslos und belanglos basieren sollte, oder wenn es nicht samkeit in den Versen der Sure Hajund basiert nicht auf festen Säu- aus reiner Liebe zu Gott geschieht, und Logman wird klar, dass die Er-len und seine Aussagen sind billig oder wenn sie ihre Quelle nicht in forderlichkeit der Offenbarung undund belanglos. Wenn jemand aber der Offenbarung findet, dann ist eine deren Priorität zu Nichtoffenbarung,die Führerrolle beansprucht und derartige Forschung ein totaler Irr- die Monopolisierung des Realismusdie anderen Menschen führen will, weg, der den Menschen blamieren in der Offenbarung allein mit Hilfemuss seine Führerschaft auf wis- soll und das Feuer und den ewigen und durch den absoluten Verstandsenschaftlicher Forschung und auf Schmerz der Hölle mit sich bringt. machbar ist und nicht allein mit derlogischer Argumentation basieren In diesem Zusammenhang sagt das Offenbarung. Dies zeigt, wie ver-oder der Offenbarung entsprechen. heilige Buch: „Doch unter den Men- trauenswürdig der Verstand und derDies ist der Beweis für Harmonie schen gibt es manch einen, der über vernünftige Beweis aus der Sichtzwischen Verstand, Logik und der Allah ohne jedes Wissen streitet, des Qur’an sind. Das zeigt ebenfalls,Offenbarung. Im Zusammenhang ohne Rechtleitung und ohne erleuch- dass eine absolute Harmonie zwi-mit Forschung, Nachahmung und tendes Buch.“ (Al-Hajj, 8). Mit dem schen ihnen und göttlicher Offenba-Gefolgschaft sagt der Qur’an: „Und Wort Wissen meint anscheinend der rung besteht.doch gibt es Menschen, die ohne Qur’an den erwähnten vernünftigenjedes Wissen über Allah streiten und sicheren Beweis. Und mit dem 6. Der heilige Qur’an hat die lo-und jedem rebellischen Satan fol- Wort Rechtleitung meint er mys- gische Argumentation und das ab-gen.“ (Al-Hajj, 3). Im zweiten Teil, tische Mittel der reinen Seele des solute Wissen als Beweis für dienämlich hinsichtlich der Forschung Menschen, die sich durch kontinu- Richtigkeit der göttlichen Offen-und Führung sagt das heilige Buch: ierliche Bemühung und mit der Füh- barung bezeichnet. Das Urteil des„Doch unter den Menschen gibt es rung Gottes entwickelt. „Und dieje- Wissenden ist ein Beweis für diemanch einen, der über Allah ohne nigen, welche sich für Uns kräftig Richtigkeit der Offenbarung undjedes Wissen streitet, ohne Rechtlei- einsetzen, werden Wir auf Unseren ein unwiderlegbarer Beweis dafür.tung und ohne erleuchtendes Buch. Weg leiten.“ (Al-Anakbut, 69). „Doch die, denen das Wissen gege-(Hochmütig) wendet er sich zur Sei- Das erleuchtende Buch ist nichts an- ben wurde, sehen, dass das, was zute, um von Allahs Weg abwendig zu deres als Offenbarung, das Prophe- dir von deinem Herrn herabgesandtmachen. Schande sei sein Los im tentum und die Mission des großen wurde, die Wahrheit ist und auf denDiesseits. Und am Tag der Auferste- Propheten. Wenn die geistige Füh- Weg des Mächtigen und des Lobens-hung werden wir ihn die Strafe des rung nicht mit vernünftigem Beweis werten leitet.“ (Saba, 6). Diese Ver-Verbrennens schmecken lassen.“ und richtiger Gnosis und dem hei- se besagt, dass die Verneinung der(Al-Hajj, 8 u. 9). Im ersten Para- ligen Qur’an zu vereinbaren wäre, Offenbarung auf Mangel an Wissengraph bezeichnet der Qur’an die wäre der Mensch auf den Irrweg ge- beruht und nichts Anderes als Un-blinde und unwissende Nachahmung führt worden. Da sieht man, wie der wissenheit ist, die die Akzeptanzals Befolgung des Satans, absolute Verstand und die himm- des Qur’ans verhindert. Bei der Be-denn diese blinde Nachahmung hat lische Offenbarung miteinander stimmung der Werte und der wissen-eine feste Basis. In diesem Fall wird verflochten sind. Wenn der einzige schaflichen Weisheit ist die logischeder Nachahmer blind und wird ver- Weg zum umfassenden Wissen nur Wissenschaft ein Mittel, mit der manschiedenen Satanen folgen, Aus die- die Offenbarung gewesen wäre und die wahren Werte erkennt.sem Grund sagt das heilige Buch: der Mensch keinen anderen Weg ge- Nur die Unwissenheit übersieht dieseite 12
AUSGABE NR. 139 wahren Werte und rechtfertigt das die Offenbarung bestimmt und ver- können die Vergangenheit und die aufgrund von falschen Schlussfolge- anschaulicht. Die Offenbarung ver- Vorgeschichte eines materiellen rungen. „So ging er in seinem vollen wandelt jene Kenntnisse, die für den Phänomens klären und die gegen- Schmuck zu seinem Volke hinaus. Verstand potentiell erreichbar sind, wärtigen Wandlungen der Materie Jene nun, die auf das irdische Leben in aktuelles Wissen und die Wahr- und seine zukünftigen eventuellen begierig sind, sprachen: Oh, dass wir heiten, die dem Menschen grau und Evolutionen im Zuge der Zeit und doch besäßen, was Korah gegeben verschwommen scheinen, macht sie Bewegung beschreiben. Das ist eben wurde; er hat wirklich gewaltiges klar und deutlich. Mit einem Wort eine kurze Beschreibung und ein ra- Glück.“ (Al-Qasas, 79 u. 80). So ge- beseitigt die Offenbarung die bei den scher Überblick über ein materielles sehen wird der wahre Wert mit dem Menschen vorhandenen Mängel. Wesen. Mit anderen Worten wird Maßstab des Verstandes und des ab- Imam Ali (a.s.) sagt: „Die Offen- hier nur über die innere Ordnung soluten Wissens bemessen. Ebenso barung bringt den versteckten Ver- diskutiert, wie z.B.: in der Biologie, ist die Beschreibung und Klärung stand, welcher unter dem Staub des Mineralogie, Medizin,dem Ingeni- der wahren Wissenschaften nur mit Irrweges unsichtbar geworden ist, eurwesen und der Astronomie oder vernünftigen Beweisen machbar. zur Erscheinung und fordert ihn zu in anderen Bereichen der Experi- Eine Wissenschaft, die sich nicht mit funktionieren auf, damit er die Zei- mentalwissenschaften und in einem göttlichen Wissenschaften befasst chen seiner Stärke zeigt.“ 3 Deshalb Teil der Humanwissenschaften wird und die wahre Werteordnung ver- wird die Rolle des Verstandes dank nur von gegenwärtigen, vergange- nachlässigt, ist eine schwache und der göttlichen Offenbarung zu Tage nen und zukünftigen Veränderungen unglaubwürdige Wissenschaft und treten und mit der Anwendung der gesprochen und nur ihr inneres Sys- verdient kein Vertrauen. Der Qur’an himmlischen Gebote wachsen. Denn tem zur Diskussion gestellt. misst ihr wenig Wert bei. „Darum die göttliche Offenbarung ist das Aber die Ordnung durch den Schöp- wende dich von dem ab, der sich von Wort Gottes, das die ganze Schöp- fer und über die zweckbestimmte Unserer Ermahnung abkehrt und nur fung umfasst. Wenn Gott über einen Ordnung wird niemals diskutiert das irdische Leben begehrt. Das ist Teil der Schöpfung spricht, spricht und analysiert. Wie ein Bergbau der Stand des Wissens, den sie er- er es so aus, dass die Verbundenheit zustande gekommen ist und wie er reicht haben. Dein Herr weiß wohl, Gottes mit der Welt der Möglichkei- im Herzen eines Berges eingebettet wer von Seinem Wege abirrt, und ten (der Materie) eindeutig klar wird. ist und welche Jahre und Perioden er weiß sehr wohl, wer rechtgeleitet Das zeigt gleichzeitig, wie eng die er hinter sich hat, welche Verände- ist.“ (An-Najm 29 u. 30). Verbindung zwischen Schöpfung, rungen er jetzt erfährt und welche dem Universum und dem Schöpfer Veränderungen er in der Zukunft er- Einfluss der Offenbarung auf das ist, sodass die Ebene der Verbindung fahren wird, ist nach Natur-und Hu- Erblühen der Humanwissenschaften dieser Schöpfung mit der ersten Ur- manwissenschaften klar. Aber wer Verstand und Offenbarung sind mit- sache der Entstehung vollkommen hat ihn erschaffen und erzeugt? Das einander vereinbar und stehen nicht bewiesen ist. Gottes Wort begnügt wird nicht durch die Wissenschaft im Widerspruch zueinander. Obwohl sich niemals mit der Definition und beantwortet und geklärt. Wenn die- der Verstand für das Erkennen der Beschreibung der Schöpfung alleine ser Schöpfer selbst materieller Natur Wissenschaften an und für sich aus- oder beschreibt nicht nur den Stoff ist, dann muss ein anderer Schöpfer reichend ist, ist die göttliche Offen- und die Form oder die Art und ihre ihn erschaffen haben, usw. […] . barung bei der Vorstellung und dem spezifische Differenz der Dinge und So kommen wir zur Erkenntnis, Aufzeigen der Wissenschaft einen beschränkt sich auch nicht auf die dass die Urquelle der Schöpfung der Schritt dem Verstand voraus und ist Beschreibung ihrer vergangenen, wahre Schöpfer ist, dessen Existenz vollkommener als Verstand und gegenwärtigen und zukünftigen Ma- mit seinem Wesen identisch ist, er Logik. Was der Verstand begreift, terie oder auf die Information über ist reich genug und kann die Not und wird auch von der Offenbarung horizontale Prozesse und materielle Bedürfnisse eines jeden Hilfsbedürf- bestätigt. Was vom Verstand nicht Veränderungen. Einige der Human- tigen beseitigen. Aber die Ordnung begriffen werden kann, wird durch und Experimentalwissenschaften durch den Schöpfer wird nicht dis- seite 13
kutiert und analysiert. Auch über das AL - FADSCHRZiel dieses Phänomens und darüber,dass das Endziel der wahre Schöpfer 1 Usule Kafi, Bd. 1, S. 43.selbst ist, dessen Vollkommenheit 2 Usule Kafi,1.Bd., S. 16.unbegrenzt ist, was seinem Wesen 3 Nahdschu l-Balaqa, Khotbe 1.entspricht und er es nicht nötig hat,fern von seinem Wesen zu existie-ren, wird nicht besprochen. Mit ei-nem Wort wird kein Wort über dasendgültige Wort gesprochen.Die Fächer der Experimentalwis-senschaft und einige der Human-wissenschaften klären nur die innereOrdnung der Dinge und sagen nichtsüber die Ordnung durch den Schöp-fer und die zweckbestimmte Ord-nung der Dinge aus. Sie überlassendiese Fragen der Weltanschauungder Menschen und sind so getrenntund fern vom Schöpfer und der Auf-erstehung und blicken nur auf dieweltliche und materielle Dimensionder Dinge und beschränken ihre For-schungen auf sie. Selbstverständlichklärt eine solche Forschung nur dieinnere Ordnung der Schöpfung auf,ist jedoch getrennt und fern von ei-ner Klärung der Ordnung durch denSchöpfer und der zweckbestimmtenOrdnung.seite 14
AUSGABE NR. 139 TEXT VON DR. MUHAMMAD LEGENHAUSEN ANNÄHERUNGEN AN DIE ISLAMISCHE PHILOSOPHIE Um sich dem Studium der islamischen Philosophie anzunähern, gibt es eine Reihe unterschiedlicher Zugänge. Eine mögliche Vorgehensweise stellt die thematische Annäherung dar. Dabei werden einige Schlüsselthemen ausgewählt und die Sichtweisen verschiedener bekannter muslimischer Philosophen zu diesen Themen be- leuchtet. Diese Methode kann auch vergleichend angewandt werden, indem man beispielsweise verschiedene Themen aus der westlichen Philosophie heranzieht und, auf Basis der Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Art und Weise wie westliche und muslimische Philosophen diese Probleme behandelt haben, analysiert. Weniger häufig ist dabei der umgekehrte Ansatz, bei dem Themen der islamischen Philosophie ausgewählt und diese mit relevanten Sichtweisen der europäischen Tradition verglichen werden. seite 15
Zumeist jedoch wird die islamische verfolgt. 2 Persönlich finde ich die- Argumentation“ der Texte ausdrück- AL - FADSCHRPhilosophie von einer historischen sen letzteren Ansatz am interessan- lich erwähnt, da die Texte oftmalsPerspektive her untersucht. 1 testen und aufschlussreichsten, doch von einer Reihe von KommentarenDabei wird für gewöhnlich wird mit ist dies nicht die Methode, durch die begleitet werden oder Verweise aufal- Kindi begonnen um dann die da- die meisten Muslime sich dem Stu- vorangegangene Texte beinhalten.rauf folgenden Jahrhunderte chrono- dium der islamischen Philosophie Der Autor schreibt beispielsweiselogisch abzuhandeln. Die Geschich- annähern. gerne „Wenn also folgendermaßente der islamischen Philosophie wird argumentiert wird…“ „dann solltenin diesem Fall meist in drei Ab- Die traditionelle Herangehenswei- wir auf diese Weiseschnitte unterteilt: Erstens, die Über- se, durch die islamische Philoso- antworten…“ Dabei beziehen sichsetzungen der griechischen Texte ins phie an den meisten theologischen die hypothetischen Argumente, dieArabische (wobei oft die assyrische Hochschulen vermittelt wird, ist die der Autor vorbringt manchmal aufSprache als Mittler diente) während Analyse von Originaltexten. Diese reale und manchmal auf imaginä-der Zeit der abbassidischen Herr- Methode wird in den theologischen re Autoren. Doch in beiden Fällenschaft, mit den Werken von Avicen- Ausbildungsstätten prinzipiell für kann die Argumentationslinie oft-na (Ibn Sīnā) (980-1037) als Höhe- alle „islamischen Wissenschaften“ mals ziemlich komplex und verwor-punkt; zweitens, von Ibn Sīnā über angewendet. Allerdings sind die ren wirken, da auf hypothetischedie wichtigsten Persönlichkeiten Originaltexte schwierig zu verste- Antworten folgend, hypothetischeder klassischen islamischen Philo- hen, da sie sich einer speziellen Ter- Retourkutschen erdacht werden aufsophie, Ghazali, Sohrawardi, Ibn minologie bedienen. Um sich also welche dann wiederumRuschd, und der mystischen Philo- solch einen Text aneignen zu kön- Antworten gefunden werden usw.sophie des Ibn ´Arabī und seiner An- nen, ist es notwendig zunächst des-hänger bis hin zu Mullā Sadrā sen spezifische Sprache zu erlernen Zusammenfassend können wir nun(1571/2-1640); und drittens, die Pe- und die Art und Weise der Argumen- also drei wesentliche Zugänge zumriode von Mullā Sadrā bis in die Ge- tation des Autors nachvollziehen zu Studium der islamischen Philoso-genwart. können. phie erkennen: eine themenorien- tierte, eine historische und eineFür gewöhnlich beleuchtet diese Dabei genügt es nicht nur den Text textorientierte Herangehensweise.Zugangsweise also die wichtigsten alleine zum Studium heranzuziehen. Diese Methoden können wiederumPersönlichkeiten und Denker der Das Studium muss immer auch von separat oder in Kombination ange-islamischen Philosophie in histori- einem Lehrer begleitet werden, der wandt werden und sowohl kompa-scher Reihenfolge. Es ist allerdings den Studenten den Text (oder ausge- rativ erfolgen, als auch konzentriertäußerst selten eine historische Ab- wählte Abschnitte dessen) Zeile für auf die wichtigsten Persönlichkei-handlung der islamischen Philoso- Zeile vorträgt und dabei die genaue ten durchgeführt werden. Währendphie zu finden, die sich im Detail mit Terminologie erklärt und die Stu- westliche Studien sich meist stärkerdem Letzen dieser drei Abschnitte denten durch die Dialektik der Argu- am historischen Ansatz orientieren,befasst. mentation hindurchführt. findet in den traditionellen theologi- Für gewöhnlich sind diese Origi- schen Schulen öfters eine Konzent-Eine weitere Möglichkeit der histo- naltexte in arabischer Sprache ver- ration auf die Analyse der zentralenrischen Annäherung wird von jenen fasst, auch wenn im Iran manchmal Texte statt. Des Weiteren widmenvertreten, die sich darum bemühen persische Texte verwendet werden. sich die westlichen Studien wenigereine Ideengeschichte zu erstellen. Deswegen ist eine gründliche Be- spezifischen Argumenten, sondernDabei werden die philosophischen herrschung des klassischen Hocha- betrachten eher die generellenHauptthemen aus dem vorislami- rabisch eine notwendige Vorrausset- Hauptthemen im Überblick. Dieschen Denken in ihrer Weiterent- zung für ein ernsthaftes Studium der Rangfolge der Wichtigkeit dieserwicklung in den Werken muslimi- islamischen Philosophie. Ich habe Themen wird dabei meist vom In-scher Philosophen nach die Führung durch die „Dialektik der teresse des jeweiligen Historikersseite 16
Gegenstand aus seinem eigenen Kontext heraus betrach- tet wurde. Deswegen werde ich mich im Folgenden ei- ner Besprechung des textorientierten Ansatzes widmen, durch den sich Muslime traditionellerweise dem Studi- um der Philosophie -- und insbesondere der islamischen Philosophie -- angenähert haben. Bidāyat al-Hikmah 4AUSGABE NR. 139 bestimmt und nicht vom Grad des Einflusses eines be- Auf den Titel dieses Werkes zu schließen, könnte man stimmten Themas auf andere Autoren oder von dessen meinen, dieser Text würde eine Art Einführung für die genereller Wirkungsbreite. nicht- Initiierten in die islamische Philosophie beinhal- ten, denn das arabische Wort „bidāyah“ bedeutet eigent- Wir wären aber nachlässig hierbei nicht auch die Dif- lich „der Beginn“ oder „der Anfang“, und der Begriff ferenzen und Konflikte zwischen verschiedenen His- Hikmah, obwohl dieser wörtlich mit „Weisheit“ zu torikern des islamischen Denkens zu erwähnen, wie übersetzen ist, verweist in diesem Kontext speziell auf beispielsweise Henry Corbin, Toshihiko Izutsu, und „Philosophie“ in der islamischen Tradition. Allerdings Seyyid Hossein Nasr, die die mystischen Aspekte der handelt es sich bei diesem Werk viel eher um einen zu- islamischen Philosophie hervorgehoben haben, während sammenfassenden Überblick, als um eine Einführung. andere, wie Oliver Leaman, Parviz Morewedge, und Für ein westliches Publikum wird dieser Text demnach Hossein Ziai, diesen Ansatz dafür kritisiert haben, auch eher als eine Art Überflug über den Gegenstand die logischen und naturwissenschaftlichen Aspekte der und nicht als ein klassischer Einführungstext bewertet Philosophie, die ebenfalls als Teil der Geschichte der is- werden. Wenn jemand jedoch über einen Lehrer, der in lamischen Philosophie zu betrachten sind, zu ignorieren, der islamisch philosophischen Tradition ausgebildet ist, oder zu versuchen, die islamische Philosophie in das verfügt, dann kann dieses Werk als eine Art Leitfaden vorgefertigte ideologische Rahmenwerk des „Traditio- dienen, anhand dessen verschiedene Themen mit dem nalismus“ 3 zu pressen. Lehrer diskutiert werden können. Nach solch einer Art Training kann dann ein detaillierteres Studium dieser Um ein gutes Verständnis der islamischen Philosophie Themen erfolgen, basierend auf dem längeren Werk des- zu erlangen, auch ohne orientalische Sprachen erlernen selben Autors mit dem Titel „Nihāyah al-Hikmah” oder zu müssen, stehen eine Reihe von Texten zur Verfügung, “Das Ende der Philosophie”. Diese beiden Bücher sind die sich der themenbezogenen oder der historischen Me- aus zweierlei Gründen sehr bedeutend: Erstens, weil sie thode bedienen. Keines dieser Werke vermittelt einem eine neue Art der Herangehensweise an die Vermittlung jedoch ein annäherndes Gefühl dafür, wie der jeweilige der Philosophie in den traditionellen islamischen Aus- bildungsstätten signalisieren, und zweitens aufgrund der enormen Bedeutung und Wichtigkeit der Position ihres Verfassers. Der Autor dieser Werke, ‘Allāmah Tabātabā’ī (1904-1981), 5 ist wohl am bekanntesten durch seine Er- läuterung des Qur‘an, „Al-Mīzān“ („Die Waage“), ein monumentales Werk, das 20 Bände umfasst, im Origi- nal auf Arabisch verfasst, und bemerkenswerte Ausei- nandersetzungen mit philosophischen, sozialen, histori- schen und ethischen Themen beinhaltet. Der Autor von Al-Mīzān wird zu dem auch als bedeutender Philosoph, tiefgründiger Mystiker, und als außergewöhnlich bescheidener und tugendhafter Mensch verehrt. seite 17
Er wurde in Tabriz, in der nordwestlichen iranischen dem er gemeinsam das Werk „Usūl-e-Falsafah va Ra- AL - FADSCHRProvinz Azerbaijan geboren. Seine Mutter starb, als er wesch-e Reālīsm“ ( „Die Prinzipien der Philosophie undfünf Jahre alt war und sein Vater, selbst ein religiöser die Methode des Realismus“) verfasste -- ein Werk, dasGelehrter, schied dahin, als er neun war. Der verwaiste dazu dienen sollte die islamische Philosophie als über-Junge widmete sich dem Studium der islamischen Wis- legene ideologische Alternative zum Marxismus zu prä-senschaften in Tabriz bis er im Alter von 33 Jahren nach sentierten. Viele der wichtigsten Lehrer der PhilosophieNajaf, Irak, reiste um dort seine Studien unter Lehrern im Iran waren Studenten von ‘Allāmah Tabātabā’ī, dar-wie Ayatullah Muhammad Husayn Isfahānī und Ayatul- unter Ayatullah Mizbāh Yazdī, Ayatullah Jawādī Āmulīlah Nā’īnī weiter zu vertiefen. und Ayatullah Hasan Zādeh Āmulī an den theologischenEr nahm dort auch das Studium der islamischen Philoso- Hochschulen Qums, Sayyid Āschtiyānī in Maschhadphie unter Sayyid Husayn Badkubī auf, welcher unter an- und Dr. Dīnānī an der Universität Teheran. Von jenenderem die Werke von Sabzavārī, Mulla Sadrā, Ibn Sīnā, wichtigen Vordenkern der islamischen Revolution imdie ethischen Abhandlungen von Ibn Maskuyah und die Iran, die den Märtyrertod fanden, zählten neben demmystischen Theorien von Ibn Turkā unterrichtete. In die- bereits erwähnten Schahīd Mutahharī, auch Schahīdser Zeit widmete er sich außerdem dem tiefergehenden Beheschtī und Mustafa Khomeini zu den Schülern vonStudium der Mathematik. Nach zehnjährigem Studium ‘Allāmah Tabātabā’ī. Weitere bekannte Studenten sindin Najaf sah er sich aufgrund finanzieller Schwierigkei- der wahrscheinlich ebenfalls zu den Märtyrern zählendeten gezwungen nach Tabriz zurückzukehren, wo er zum libanesische Gelehrte Mūsā Sadr, sowie der ehemaligeZweck seines Lebensunterhaltes landwirtschaftliche Präsident des Iran Mahdavī Kanī. Aber auch GelehrteTätigkeiten aufnahm. außerhalb des Irans, wie Dr. Seyyed Hossein Nasr, Hen-Es sollte ihm erst rund 11 Jahre später möglich sein, sei- ry Corbin und William Chittick konnten in hohem Maßene Aktivitäten als Gelehrter erneut aufzunehmen, als er vom Unterricht oder der Zusammenarbeit mit ‘Allāmahnach Qum eingeladen wurde, um dort zu unterrichten. Tabātabā’ī profitieren.Zusätzlich zur Philosophie zeigteDiese Zeit, kurz nach dem zweiten Weltkrieg, fiel in jene ‘Allāmah Tabātabā’ī auch reges Interesse an Mystik, so-Periode, in der Ayatullah Burujirdī Direktor der theologi- wohl auf theoretischem Gebiet, als auch in der prakti-schen Hochschulen in Qum geworden war (nach 1961). schen Anwendung. Sein wohl berühmtester Student aufWährend den 1940er Jahren bestanden diese theologi- diesem Gebiet war der überaus produktive und weithinschen Ausbildungsstätten aus einem Konglomerat von geschätzte Ayatullah Husaynī Tehranī (gestorben 1996).sieben wichtigen islamischen Schulen („Madrasas“), die Die eigene spirituelle und moralische Ausbildung (seyr-von weniger als 1000 Studenten besucht wurden. Doch o-sulūk) hatte ‘Allāmah Tabātabā’ī von Hajj Mīrzā ‘Alīnach dem Ableben von Ayatullah Burujirdī war die Zahl Qādī 6 erhalten. Während der Zeit, in der ‘Allāmahder Studenten bereits auf über 10.000 angestiegen. In Tabātabā’ī in Qum unterrichtete, herrschte an den theo-Qum begann ‘Allāmah Tabātabā’ī damit, öffentliche logischen Hochschulen große Unruhe.Vorlesungen über Philosophie zu halten -- ein Fach, wel- Viele der besten Gelehrten jener Zeit, unter anderemches zuvor nur privat unterrichtet worden waren. Aya- Imam Khomeinī und Schahīd Muahharī riefen zu Refor-tullah Burujirdī stand diesem Vorhaben zunächst äußerst men auf. Angesichts der neuen Herausforderungen, mitskeptisch gegenüber, ließ seinen Widerstand jedoch bald denen sich die Geistlichen konfrontiert sahen, schienenfallen, als ‘Allāmah damit argumentierte, dass bereits die alten Unterrichtsmethoden einfach nicht mehr aus-die Niedrigsemestrigen an den theologischen Schu- zureichen und wurden in Folge massiv in Frage gestellt.len mit den Grundlagen der islamischen Philosophie Ein erster wesentlicher Schritt in Richtung Reform warvertraut gemacht werden müssten, um gegenüber den die Gründung der Madrasah Muntadhiriyah, die späterHerausforderungen der marxistischen Philosophie ent- als Madrasah Haqqānī bekannt wurde und die bis heutesprechend gerüstet zu sein, welche besonders unter den unter dem Namen Madrasah Schahīdayn („die Schulejungen Leuten dieser Zeit enorm an Popularität zuge- der beiden Märtyrer“) -- benannt nach den beiden Mär-nommen hatte.In diesem Kampf gegen die marxistische tyrern Schahīd Qudūssī (dem Schwiegersohn ‘AllāmahPhilosophie, wurde ‘Allāmah Tabātabā’ī von einem sei- Tabātabā’īs) und Schahīd Beheschtīner besten Schüler Murtadhā Mutahharī unterstützt, mit ( der ebenfalls an dieser Schule unterrichtete)seite 18
AUSGABE NR. 139 --in Betrieb ist. Die Verwaltung dieser theologischen verteidigen, während in anderen Fällen manche Studen- Schule hatte erstmals beschlossen Philosophie und ei- ten zu der Meinung gelangen, dass die früheren Ansich- nige weitere neue Unterrichtsgegenstände, zusätzlich ten nicht hart genug kritisiert worden sind und sie wer- zu dem damaligen Standard der Lehre der arabischen den sich darum bemühen neue Positionen aufzuzeigen. Hochsprache, der islamischen Jurisprudenz und der Wenn ein bestimmter Text auf diese Art und Weise erst Glaubensgrundlagen, in den Lehrplan aufzunehmen. Um einmal vollständig erarbeitet und beherrscht wurde, dieses Vorhaben in der Praxis umsetzen zu können, wur- dann kann der Student selbst damit beginnen, diesen de ‘Allāmah Tabātabā’ī gebeten, zwei philosophische Text anderen Studenten zu lehren. Traditionellerweise Einführungswerke zu verfassen nach denen die Studien- wurde die Erlaubnis zu unterrichten vom eigenen Lehrer anfänger und die Fortgeschrittenen unterrichtet werden eingeholt, doch ist solch eine Erlaubnis nicht unbedingt sollten. Die Erfüllung dieser Bitte wurde in Form der notwendig. Wenn andere Studenten den Eindruck haben, beiden Werke „Bidāyah al-Hikmah“ und „Nihīyah al- dass jemand ein gutes Verständnis von einem Text er- Hikmah“ realisiert. Als ‘Allāmah Tabātabā’ī den ersten langt hat und diesen mit Klarheit und Deutlichkeit ver- Entwurf seines Bidāyah al-Hikmah fertig gestellt hatte, mitteln kann, dann werden diese meist ganz von selbst soll er Ayatullah Jawādī Āmulī gebeten haben, nach die- mit einer gewissen Zudringlichkeit um Lektionen bitten. sem Buch zu unterrichten und etwaige Verbesserungs- vorschläge und Korrekturen, die dieser für nötig erach- Das Bidāyah ist auf Arabisch verfasst und in 12 Kapitel ten würde, vorzubringen. Ayatullah Jawādī kam dieser unterteilt: Bitte nach und unterhielt während der Dauer seines Kurses eine ausführliche Korrespondenz mit ‘Allāmah 1. Allgemeine Prinzipien der Existenz Tabātabā’ī, in der verschiedene Fragen und Verbesse- 2. Externe und mentale Existenz rungsvorschläge diskutiert wurden. Erst nach diesem 3. Verbundene und unabhängige Existenz Prozess der Revision und einer endgültigen Überarbei- 4. Notwendigkeit, Möglichkeit und Unmöglichkeit tung durch den Autor wurde der fertige Text schließlich 5. Wesenheit (Quiddität) im Monat Rajab des Jahres 1390 n.H. (1970 n.Chr.) offi- 6. Kategorien ziell veröffentlicht. Die Publikation des zweiten Werkes 7. Ursache und Wirkung „Nihīyah al- Hikmah“ folgte fünf Jahre später. ‘Allāmah 8. Einheit und Vielfalt Tabātabā’īs Werk ist so aufgebaut, dass sich darin zu- 9. Vorrangigkeit und Ursprung mindest Referenzen zu allen wesentlichen Themen 10. Aktualität und Potentialität befinden, die von muslimischen Philosophen aus der ( Wirklichkeit und Möglichkeit ) Schule von Mullā Sadrā behandelt wurden. Allerdings 11. Erkenntnis akzeptierte der Autor selbst nicht alles, was Mullā Sad- 12. Die notwendige Existenz ra gelehrt hatte vorbehaltlos. ‘Allāmah Tabātabā’ī führt seine Studenten so nicht nur in die wichtigsten Themen- Scharh al-Manzumah 7 gebiete der islamischen Philosophie ein, sondern bringt auch seine eigenen kritischen Anmerkungen und Über- Vor der Veröffentlichung von ‘Allāmah Tabātabā’īs legungen mit ein. Obwohl er Mullā Sadrā nicht explizit „Bidāyat“ begannen die meisten Studenten an den theo- kritisierte, so werden die feinen Unterschiede zwischen logischen Schulen ihr Studium der islamischen Philo- seinen eigenen Ansichten und denen von Mullā Sadrā sophie zunächst mit dem Werk „Scharh al-Manzumah“. und Sabzavarī doch für jene deutlich, die mit den Details Der Titel bedeutet in etwa soviel wie „Erläuterung des der Lehren jener Philosophen vertraut sind. Der Lehrer, Manzumah“ -- womit eine bestimmte Gattung eines di- der nach diesem Werk unterrichtet oder auch fortge- daktischen Gedichtes in Versform bezeichnet wird. Die schrittenere Studenten, werden die Studienanfänger auf Erläuterungen wurden vom Autor des Gedichts -- Mulla einige dieser Unterschiede hinweisen können. Diese In- Hādī Sabzavārī (1797-1873) -- selbst verfasst, über den formationen wiederum werden in den Anfängern eine John Cooper in der Routledge Enzyklopädie der Philo- Neugierde wecken, die früheren Originaltexte selbst zu sophie folgendes bemerkt hat: analysieren. In manchen Fällen wird dies den einen Stu- denten dazu führen, die alten Meinungen aufs Neue zu seite 19
„Al-Sabzawaris Ruhm beruht in erster Linie auf seinem AL-KINDI AL - FADSCHRWerk Ghurar al-fara’id („ Das Funkeln der Perlen“), * um 800 in Kufa; † 873 in Bagdadein Gedicht in dem er eine systematische und vollstän-dige Präsentation der Philosophie der Schule von Mulla Perle 7:Sadra wiedergibt, zusammen mit seinem „Scharh al- Ursache und Wirkung manzuma“ -- seine eigenen Erläuterungen zu jenem B7Gedicht, welche er in Verzweiflung angesichts der philo-sophischen Ignoranz seiner Zeitgenossen verfasst hatte.Der Verdienst seines Werkes liegt dabei nicht so sehr inder Begründung radikal neuer Theorien, sondern in des-sen Planung, Struktur und Organisation, aufgrund des-sen es bis heute als ein Standard Text für Studenten derPhilosophie an schiitischen Madrasas verwendet wird.Wenn sich diese Situation heutzutage auch ändert undzunehmend neue Lehrtexte herausgegeben werden, sostehen die meisten dieser Texte doch immer noch sowohlstrukturell als auch inhaltlich wesentlich unter dem Ein-fluss des Scharh al-manzuma.“ 8Im Folgenden befindet sich ein Überblick über den In-halt des Scharh al-manzūmah zusammen mit einer Auf-listung der Kapitel, unter denen sich diese Themen imBidāyah finden lassen.Teil Eins: Allgemeine PrinzipienPerle 1: Teil Zwei: Substanz und AkzidenzExistenz und Nicht- Existenz B1, B2, B3, B12 Perle 1: Substanz Perle 2: B6 Notwendigkeit und Möglichkeit B4, B12 Perle 2: Akzidenz Perle 3: B6Ewigkeit und Ursprung B9 Perle 3: Kategorien der Akzidenz Perle 5: B6 Wesenheit B5Perle 6: Das einzige Thema im Bidāyah, das nicht im Scharh al-Einheit und Vielfalt Manzūmah vorhanden ist, ist das Kapitel über „Erkennt-B8 nis“, während alle wesentlichen Themen, die im Scharh al-Manzūmah behandelt werden, zumindest ansatzwei- se im Bidāyah diskutiert werden.seite 20
Je weiter wir nun im 20. Jahrhun- Bāb 1 Bāb 10 dert der islamischen Philosophie Existenz und Nicht-Existenz Erschaffung, die Realitäten der voranschreiten, desto deutlicher tritt B1, B2, B3, B12 Existenzen, ihr geistiges Wesen und die Rolle der Epistemologie hervor. ihre Erscheinungsformen In Ayatullah Misbahs „Philosophi- Bāb 2 schen Unterweisungen“ etwa ist ein Über Erkenntnis und Ignoranz Schlussfolgerung eigener Teil, gleich nach den einfüh- B 11 Das Diesseits und das Jenseits renden historischen Kapiteln, alleine epistemologischen Fragen gewid- Bāb 3 Diese Übersicht lässt uns erkennen, met. Erkenntnis/Wissenschaft dass bestimmte religiöse Themen, der Namen die in der Philosophie von Fayd Usūl al-Mu‘ārif B 11 enthalten sind, weder in den Einfüh- rungstexten von Sabzavārī noch von Obwohl dieses Werk nicht als ein- Bāb 4 Tabātabā’ī behandelt werden. führender Lehrtext für die islami- Wesenheit und ihre Bestimmung sche Philosophie an den theolo- B5 gischen Hochschulen verwendet wurde, so steht es doch stellvertre- Bāb 5 Al-Ischārāt wa Tanbīhāt tend für die „Schule von Isfahan“ Ursache und Wirkung und insbesondere für jene Art der B7 Philosophie, die mit Mullā SadrāAUSGABE NR. 139 (gestorben 1640 n.Chr.) assoziiert Bāb 6 Einer der frühesten Texte, der an den wird. Verfasst wurde der Text von theologischen Hochschulen immer Mulla Musin Fay Kashānī (gestor- Natur, Erneuerung, Geisterwesen, noch gelehrt wird, ist Avicenna´s ben 1680 n.Chr.), dem Schwieger- „Buch der Ratschläge und Erinne- sohn von Mullā Sadrā. Er war au- Ursprung der Welt rungen“. ßerdem auch der Autor eines Divan Dieses Werk wurde in vier Bänden von Gedichten, einer Sammlung B 6, B 9 herausgegeben. von islamischen Überlieferungen (adīth), eines Kommentars (Tafsīr) Bāb 7 Band 1: Logik des Qur‘an, eines Buches über Mys- Bewegung, Zeit, Örtlichkeit, Band 2: Körper tik, eines vierbändigen Werkes, das Ewigkeit Band 3: Theologie als eine Art schiitische Erwiderung B 9, B 10 Band 4: Mystik auf Ghazalis „Widerbelebung der religiösen Wissenschaften“ zu lesen Bāb 8 Diese Unterteilung geht allerdings ist, sowie einer Reihe von Aufsätzen Die Himmel und die Erde, Seelen, lediglich auf den Herausgeber des über islamische Jurisprudenz, die Intellekte, Fakultäten, Engel, Jinn Werkes zurück. Ibn Sīnā selbst hat Systematisierung der Wissenschaf- und Teufel sein Werk aufgeteilt in Logik und ten und die mystische Reise. Der B2 das, was darauf folgt, welches er Text ist auf Arabisch verfasst und ist wiederum in zehn Methoden (Na- in Kapitel unterteilt, die als „Tore“ Bāb 9 mat) unterteilt hat. („bāb“) bezeichnet werden. Gut und Böse, Genuss und Schmerz, Im Folgenden werden diese Kapitel Belohnung und Bestrafung, angeführt -- wiederum versehen mit Himmel und Hölle Referenzen auf die entsprechenden Kapitel im Bidāyah. seite 21
Namat 1: die den mystischeren Zugang bevorzugen und andere,Substantielle/ materielle Körper die sich darum bemühen in Bezug auf Schlüsselthemen die Haltung der „Philosophen der Erleuchtung“ wiederNamat 2: zu beleben.Zusätzlich sieht sich die islamische Philoso-Anweisungen, Primäre und phie heute mehr denn je mit den Agonien des Wettbe-Sekundäre Körper werbs mit der modernen und zeitgenössischen westli- chen Philosophie konfrontiert.Namat 3:Irdische und Himmlische SeelenNamat 4: Existenz und UrsacheNamat 5:Werk und EntstehungNamat 6:Ziele, Ursprünge, OrdnungNamat 7: I 1 Für Beispiele siehe Henry Corbin, History of Islamic AL - FADSCHRmmaterialität Philosophy (London: Kegan Paul, 1993). 2 Die wahrscheinlich beste verfügbare EinführungNamat 8: in die Islamische Philosophie ist die Sammlung derGlückseligkeit Artikel, die von Seyyid Hossein Nasr and Oliver Leaman als „History of Islamic Philosophy“ (2 vols.),Namat 9: (London: Routledge, 1996) editiert wurden. DiesesEinführung in die Mystik Werk beinhaltet Artikel über Hintergrundinforma- tionen in Bezug auch Hauptthemen und Einflüsse,Namat 10: Artikel über wesentliche Persönlichkeiten, einenDas Geheimnis der Zeichen speziellen Abschnitt über Jüdische Philosophen in der islamischen Welt, einen Artikel über die Untertei-Verfolgen wir die islamische Philosophie von Ibn Sīnā lungsmöglichkeiten der Philosophie, Artikel überausgehend weiter, dann wird deutlich, dass die Natur- islamische Philosophie in verschiedenen Ländern undphilosophie immer weniger bedeutend wird und dass eine Sektion über die Rezeption und Interpretation derdafür die Metaphysik immer stärker in den Vordergrund islamischen Philosophie im Westen.rückt. Philosophische Psychologie findet dabei wenigerBeachtung, während die Epistemologie immer deutli- 3 Für weiterführende Informationen über “Traditi-cher hervortritt. onalismus” oder die “Schule der Traditionalisten” siehe Mark Sedgwick, Against the Modern World:Das Werk von Ayatullah Misbah wird meist als peripa- Traditionalism and the Secret Intellectual History oftetisch eingestuft, da es danach strebt einige der Thesen the Twentieth Century, (Oxford, 2004).von Ibn Sīnā in Opposition zu den mystischeren Aspek- 4 Sayyid Muhammad Husayn Tabātabā’ī, The Ele-ten der Schule Mullā Sadrās zu bestätigen. Dennoch fin- ments of Islamic Metaphysics, übers. von Sayyid ‘Alīden sich im Iran auch viele zeitgenössische Philosophen, Qulī Qarā’ī (London: ICAS Press, 2003). 5 Für eine exzellente biographische Abhandlung dieses Autors siehe: Hamid Algar, “Allama Sayyid Muhammad Husayn Tabataba’i: Philosopher, Exegete, and Gnostic,” Journal of Islamic Studies, 17:3, (2006), 326–351. 6 Siehe ‘Āllāmah Sayyid Muhammad Husayn Husaynī Tehrānī, Mehr-e Tābān (Mashhad: Intishārāt ‘Allāmah Tabātabā’ī, 1417/1996). 7 Mehdi Mohaghegh und Toshihico Izutsu, übers., The Metaphysics of Sabzavari (Tehran: Iran University Press, 1983). 8 Routledge Encyclopedia of Philosophy, Version 1.0, London: Routledge.seite 22
AUSGABE NR. 139 TEXT VON SEyED MOHSEN ALEBATOOL eiN BliCK aUfs Meer: zUr etHiK UNd VerHalteNsWeise des Hl. ProPHeteN (s.a.s.) seite 23
Der einmalige Charakter des großen Propheten, das Verschiedene Dimensionen der Barmherzigkeit des AL - FADSCHRSymbol und die Erscheinung des Wissens und der Weis- Propheten (s.a.s.)heit, die Quelle der Vernunft und Vollkommenheit, dasMusterbeispiel für Heldenmut und Enthaltsamkeit, und 1. Über das Mitgefühl anderen gegenüber– mit einem Wort – der Charakters eines vollkomme-nen Menschen, der alle höchsten und edlen Werte der Der erhabene Prophet des Islam (s.a.s.) zeigte seinenMenschheit vereint, ist ohne seinesgleichen. Glaubensgeschwistern gegenüber immerzu Mitgefühl.In seinem Verhalten ist keine Spur von Schwäche und Sein fortdauernder, nie endender Wille galt der Recht-Hochmut vorzufinden. Sein Verhalten weist keineswegs leitung der Menschheit auf den richtigen Weg. Er liebteZerstörung und Widerstand auf. Er ist ein sündenloser den Menschen ohne eine materielle Gegenleistung zuMensch, begeht keine Fehler, macht nichts Unrechtes erwarten in der Art, dass er ihre Schmerzen und Sorgenund ist bis in alle Ewigkeit der weiseste Mensch der als seine zu empfinden vermochte. Gott spricht überSchöpfung. Aus diesem Grunde hat der allmächtige diese edle Eigenschaft des Propheten (s.a.s.) folgendes:Gott Muhammad (s.a.s.) für immer zum fortwährenden „Wahrlich, ein Gesandter aus eurer Mitte ist zu euchBeispiel für die Menschheit gemacht und den Gehorsam gekommen; es schmerzt ihn sehr, wenn ihr unter etwasihm gegenüber, selbst in den unbedeutendsten Angele- leidet; er setzt sich eifrig für euer Wohl ein; gegen diegenheiten, ausdrücklich vorgeschrieben. Gott sagt: „In Gläubigen ist er mitleidig und barmherzig.“dem Gesandten Allahs habt ihr wirklich ein schönes Bei- (At-Tawba, 128). In diesen Versen wurde die Liebe desspiel für jeden, der auf Allah und den Jüngsten Tag hofft Propheten zu den Menschen mit folgenden Begriffenund oft Allahs gedenkt.“ (Al-Ahzab, 21). ausgedrückt:Der weise und allmächtige Gott hat den Menschen be-fohlen, das Verhalten und die Taten des Propheten zum a) „ein Gesandter aus eurer Mitte“: Dieser AusdruckVorbild zu nehmen und sich danach zu orientieren. Dem deutet darauf hin, wie eng die Verbindung des ProphetenRang nach ein vollkommener Mensch und zugleich an (s.a.s.) zu seinen Mitmenschen gewesen ist, so als ob einder höchsten Stufe der Menschheit soll Muhammad Teil eines menschlichen Körpers am Körper des Prophe-(s.a.s.) nicht nur Muslimen, sondern allen Menschen ein ten (s.a.s.) selbst hinge.rechtschaffenes Vorbild sein.In diesem kurzen Aufsatz versuchen wir einiges über die b) „es schmerzt ihn sehr, wenn ihr unter etwas leidet“:Ethik und Verhaltensweise des großen Propheten in den Der Prophet (s.a.s.) ist nicht nur nicht gleichgültig, son-verschiedenen Bereichen seines individuellen, privaten dern fühlt Schmerzen wegen der Schmerzen und Sorgenwie auch sozialen Lebens in Erfahrung zu bringen und seiner Mitmenschen. Wenn er auf ihre Führung besteht,diverse Dimensionen seines Charakters näher zu be- dann nur deshalb, weil er sie vor Ungerechtigkeit, Miss-trachten. gunst, Sünde und Unglück bewahren und retten will.Muhammad (s.a.s.), Botschafter der Liebe und Barm- c) „gegen die Gläubigen ist er mitleidig und barmher-herzigkeit zig“: Das bedeutet, dass er freundlich mit den Gläubigen und Gottesfürchtigen, und gnädig und barmherzig mitDer allmächtige Gott bezeichnet den Propheten des Is- den Sündern ist. Aus diesem Vers geht hervor, dass Gottlam als Seine Gnade für die Menschheit, für alle Men- seine zwei Eigenschaften, nämlich Güte und Barmher-schen, Muslime und Nicht-Muslime, und sagt: „Und wir zigkeit, auch mit dem Propheten (s.a.s.) geteilt hat. „Undentsandten ihn fürwahr als eine Barmherzigkeit für alle wäre nicht Allahs Huld und Seine Barmherzigkeit überWelt.“ (Al-Anbiya, 107). euch, und wäre Allah nicht gütig, erbarmend, (wäret ihr zugrunde gegangen).“ (An-Nur, 20). Imam Ali (a.s.) weist Gründe und Beweise vor, die auf absolute Weisheit und Vollkommenheit des Propheten hindeuten: „Wahrlich, der Prophet Gottes ist der mit-seite 24
AUSGABE NR. 139 fühlendste und gutmütigste Mensch. Deshalb hat Gott zusammen. Er duftete so gut wie kein anderer. Immer offenbart, dass ein Prophet aus eurer Mitte gekommen wenn jemand sich mit dem Propheten traf, erhob er sich ist, der freundlich und mitfühlend mit euch ist.“ 1 Der vom Boden, als der Gast ihn verlassen wollte. Er reichte Prophet Gottes hat sich immer für die Sorgen seiner Ge- seine Hand und zog sie nie zurück, solange der ande- folgsleute (Umma) so eingesetzt, dass manchmal sein re seine Hand nicht zurückzog. Er wollte bei so etwas eigenes Leben mit Gefahr konfrontiert war. niemals der erste sein. Er behandelte die Leute so, dass jeder, der bei ihm war, glaubte, er sei der nächste zum „Willst du dich ihretwegen zu Tode grämen, weil sie an Propheten.“ 3 diese Botschaft nicht glauben?“ (Al-Kahf, 6). „Grämen“ bedeutet wörtlich, dass jemand „sich vor 3. Das Hindernis vor der Bestrafung Gottes lauter Kummer und Traurigkeit umbringt“. Dieser Vers weist eindeutig darauf hin, wie entschlossen und bereit- Einer der Privilegien des Propheten war, dass Ungläubi- willig der Prophet (s.a.s.) seine Mitmenschen auf den ge und Polytheisten in seiner Anwesenheit nicht bestraft rechten Weg führen wollte und sein Leben für diese wurden: „Allah aber wollte sie nicht strafen, während Sache einsetzte. Bedeutet dies vielleicht, dass der Pro- du unter ihnen warst. Auch wollte er sie nicht strafen, phet (s.a.s) das Schicksal der Nichtgläubigen ignorierte? solange sie Ihn um Verzeihung zu bitten pflegten.“ (Al- Nein, keineswegs. Der Prophet (s.a.s.) sorgte sich auch Anfal, 33.). Deshalb war der Prophet des Islam eine um die Ungläubigen so, als ob seine engsten Verwandten Gnade und ein Geschenk Gottes für die Schöpfung und sich von ihm entfernten würden. Doch durfte er ihnen für alle Menschen. Dies ist eine Tatsache, die seinem nur traurig und schwermütig nachblicken. wahren Charakter entspricht. Menschen erhalten bei Allah immerzu Lohn dafür, wofür sie die erforderliche 2. Der freundliche Umgang mit den Menschen Begabung haben. Der freundliche Umgang mit Menschen erzeugt Wärme, Muhammad (s.a.s.) und seine Sittlichkeit Liebe und Nähe zu ihnen. Es geschieht sehr oft, dass man mit einem einfachen Wie-geht-es-Ihnen? engeren Der heilige Qur‘an lobt den Propheten wegen seiner Kontakt mit den Menschen knüpft und damit bestehende großen Sittlichkeit und sagt: „Und du verfügst wahrlich negative Meinungen und gewisse Vorurteile einer Ge- über großartige Tugendeigenschaften.“ (Al-Qalam, 4). sellschaft jemand anders gegenüber beseitigen kann. Sittlichkeit bedeutet freundschaftliches Verhalten. Die- Eine der bemerkenswertesten Eigenschaften des Prophe- se Eigenschaft ist angeboren und kann nicht mehr vom ten (s.a.s.) war sein freundschaftlicher Umgang mit sei- Menschen getrennt werden. „Erhaben“ ist ein Adjek- nen Mitmenschen. Freundschaftlicher Umgang bedeutet tiv, welches für keinen anderen Propheten verwendet gemäßigte Verhaltensweise, Verzeihenkönnen, Beschei- worden ist. Diese Wörter sind unwiderlegbare Beweise denheit, doch gleichzeitig Geselligkeit. Der Prophet dafür, dass diese Eigenschaften beim Propheten angebo- (s.a.s.) verkörperte all diese Eigenschaften tatsächlich. ren, in sein Wesen integriert und nichts Provisorisches „Und dank der Barmherzigkeit Allahs warst du gütig zu oder Zeitweiliges waren. ihnen. Wärest du aber grob und hartherzig gewesen, so Als Beispiel für seine große Sittlichkeit und über- wären sie von dir davongelaufen. Darum vergib ihnen menschliche Freundlichkeit könnte seine Geduld gegen- und bete für sie um Verzeihung.“ (Al-Imran, 159). über den Anschuldigungen seiner Feinde angeführt wer- Imam Ali (a.s.) erzählt, immer wenn der Prophet mit den. Wenn wir in manchen Überlieferungen über diese jemandem sprach, zog niemals er als erster seine dar- Eigenschaft des Propheten und seine große Sittlichkeit gereichte Hand zurück, sondern wartete, bis sein Ge- gehört haben, beschränkt sich dies nicht auf Einzelfäl- sprächspartner die Hand zurückzog. Wenn sich jemand le, sondern ist eine abermalige Bestätigung für seine mit ihm über seine Probleme unterhielt, unterbrach er Güte, Freundlichkeit und für seine übermäßige Barm- ihn nicht, bis er mit seiner Rede fertig war und sich von herzigkeit. Der Prophet des Islam (s.a.s.) war wahrlich dem erhabenen Propheten entfernte.“ 2 Ins Ibn-Malek ein vollkommenes Symbol der Ethik, nämlich unab- sagte: „Ich war zehn Jahre mit dem Propheten Gottes seite 25
hängig davon, dass Gott ihn in besonderer Weise begna- ist, bis er sich erkundigte. Wir baten den Propheten einen AL - FADSCHRdigt hat. Seine Freundlichkeit war das Geheimnis seiner Sonderplatz einzunehmen, damit die Fremden ihn beimBeliebtheit bei den anderen Menschen, in deren Herzen Eintritt rasch erkennen. Danach bauten wir eine Rampedie Liebe des Propheten (s.a.s.) gedrungen war. In einer und der Prophet setzte sich immer dort darauf und wirÜberlieferung von Imam Husayn (a.s.) ist folgendes zu saßen rund um ihn.“ 9lesen: „Ich fragte meinen Vater, Imam Ali, nach Eigen- Der Prophet grüßte immer als erster die anderen. Ibnschaften und der Ethik des Propheten. Er antwortete: Schahraschub schreibt: „Immer wenn der Prophet je-‚Er war immer fröhlich, ruhig und gut gelaunt. Niemals mandem begegnete, grüßte er ihn als erster.“ 10zeigte er Härte, er war nicht überheblich, er redete nicht Er speiste mit den anderen und nahm ihre Einladun-schlecht über andere Menschen, er hatte keine zynische gen gerne an, sogar die der Armen. Er verrichtete seineund bissige Zunge, er suchte niemals das Negative bei persönlichen Arbeiten zu Hause selbst. Er fütterte seinden Menschen und war nie ein Schleimer. Keinen, der Kamel, räumte auf und kehrte, melkte die Schafe, re-ihn aufsuchte, schickte er hoffnungslos zurück, er mach- parierte seine Schuhe und flickte seine Kleider. 11 Mante den Menschen Mut, jeder, der seine Tür anklopfte, sollte hinzufügen, dass die Demut und Ergebenheit desging niemals mit leeren Händen und ohne Hoffnung Propheten aufrichtiger Natur war und seinem Großmutzurück.‘“ 4 Er hatte sich von drei Dingen für immer ge- entsprang.trennt: Unnötiges Wortgeplänkel, Geschwätz und das Der Prophet Gottes (s.a.s.) sagte: „Glücklich sei derjeni-Sicheinmischen in die Angelegenheiten von anderen. Er ge, der Demut und Ergebenheit nicht aus seiner Not undhat drei Dinge im Zusammenhang mit den Leuten von seinem Elend heraus verspürt.“ 12 Er sagte außerdem:sich abgewendet: Er sprach nie etwas Schlechtes über „Wenn ihr die Demütigen und Ergebenen meiner Ge-sie, er tadelte sie nicht und suchte niemals das Schlechte folgsleute seht, seid auch ihr demütig ihnen gegenüber.in ihnen. 5 Wenn ihr aber arroganten Leuten begegnet, seid ihnen gegenüber genau so arrogant und hochmutig, denn euerDie Demut und Ergebenheit des Propheten (s.a.s.) derartiges Verhalten macht die Arroganten klein und nie- der.“ 13Demut und Ergebenheit waren zweifellos zwei der vie- Die Beratung mit den Menschenlen großartigen Eigenschaften des Propheten. Zweifels-ohne waren diese Eigenschaften der Hauptgrund, warum Eine andere Eigenschaft des Propheten, die für seinener bei den Menschen dermaßen beliebt war. Obwohl er edlen Charakter spricht und ihn auszeichnet, war seinedas beste und vollkommenste Geschöpf Gottes war, war Bereitwilligkeit zur Beratung mit anderen. Er zog immernicht überheblich und räumte sich keine Privilegien ein. die anderen zur Beratung heran. Er gab ihnen dadurchEr verhielt sich den Gläubigen gegenüber immer demü- nicht nur Selbstvertrauen, achtete nicht nur ihren Cha-tig und ergeben. Seine Großzügigkeit und Demut waren rakter, sondern hörte durch die Beratung mit Menschenderart, dass er, sobald er irgendwo eintrat, sich gleich auf aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten unter-den nächsten Platz setzte. 6 Der Prophet Gottes (s.a.s) schiedliche Meinungen und großen Nutzen daraus zie-mochte nicht, dass jemand seinetwegen aufsteht und ste- hen. Die muslimischen Gerlehrten und Qur‘anauslegerhenbleibt, wenn er einen Ort betrat. Aber die Gläubigen sahen die Vielfalt der Beratung als besondere Eigen-erhoben sich und begleiteten ihn nach Hause. 7 schaft des Propheten, als Grundstein und Eckpfeiler sei-In Wahrheit ist Demut das Geheimnis seiner Beliebt- ner Führung und seines Managements und berichten:heit. Der Prophet Gottes (s.a.s) sagte einmal: „Demut „Der Prophet war geneigt, mit seinen Gefolgsleuten oftund Ergebenheit zeichnen einen Menschen unter vielen und lang zu beraten.“ 14 Wenn man andere zur Beratungaus. Deshalb seid gutmutig und ergeben, damit Gott hinzuzieht, bedient man sich ihres Könnens und ihreseure Stelle noch höher setzt. 8 Abuzar Ghefari (r.a.) sagte Denkens zugleich. Imam Ali (a.s.) sagte: „Wenn jemandeinmal: „Der Prophet setzte sich immer unter seine Ge- diktatorisch und eigenwillig handelt, tötet er sich selbst,folgsleute. Wenn immer ein Fremder gekommen war, aber wenn jemand die anderen zur Beratung heranzieht,wusste er nicht, wer von den Anwesenden der Prophetseite 26
AUSGABE NR. 139 nimmt er an ihrer Vernunft und ihren Die Achtung vor den Kindern und Die Achtung vor den Frauen und Gedanken teil.“ 15 der Umgang mit ihnen das Wahrnehmen ihrer Rechte Interessant hierbei ist die Tatsache, dass der Prophet an der Quelle der Heutzutage wird in den Erziehungs- Im Laufe der Geschichte wurden Offenbarung saß und mit Gott direkt wissenschaften viel Wert auf den Frauen immer wieder unterdrückt, in Verbindung stand, und insofern Charakter des Kindes und den Res- da falsche Bräuche und Sitten der eigentlich keiner Beratung bedurfte. pekt gegenüber ihrem Wesen gelegt. Gesellschaft und die Unwissenheit Trotzdem zog er andere Menschen Die Achtung dieses Prinzips erhöht der Menschen danach verlangten. zur Beratung heran. Dabei verfolg- das Selbstbewusstsein der Kinder, Aber nach dem Erscheinen des Islam te er zwei Motive: Erstens wollte er gibt ihnen Selbstvertrauen und führt und da der Islam großen Wert auf die damit seinem Gegenüber das Gefühl zum Aufblühen ihres Charakters. Rechte der Menschen, Frauen wie vermitteln, dessen Charakter auf- Dadurch kann gewährleistet wer- Männer, legte, kam es zur „Wieder- richtig zu schätzen; zweitens wollte den, dass starke und selbstbewusste geburt“ der Frau und ihr wurde end- er den Menschen damit lehren, dass Menschen von Morgen werden. Der lich der Wert zugeschrieben, der ihr man die Meinung anderer respek- Prophet Gottes (s.a.s.) erkannte die- auch gebührt. tieren und achten soll. Ein solches se wichtige Tatsache und sagte: Der Prophet Gottes (s.a.s.) führte Verhalten ist derart wichtig, dass „Habt Respekt vor euren Kindern.“16 den Frauen ihre gerechte Stellung so Gott seinem Propheten befohlen hat, Trotz seiner Stellung und seines wie sie im Qur‘an beschrieben steht sich mit anderen Menschen zu berat- edelmütigen Charakters begrüßte zu und hob ihr Ansehen in der Ge- schlagen: „Ziehe sie zu Rate, aber er immer als erstes die Kinder und sellschaft. Er rettete die Frauen vor wenn du einmal entschlossen bist, respektierte ihre Anwesenheit und falschen, billigen und belanglosen dann vertraue auf Allah.“ (Al-Imran, sagte immer: „Fünf Dinge werde ich Vergnügungen, vor der Identitätslo- 159). bis zum Augenblick meines Todes sigkeit, Demütigung, Beleidigung, nicht vergessen und mich niemals Einschränkung und Skalverei. Damit Das Vermeiden von übertriebener von ihnen entfernen; eines von die- wurden die Frauen auf gleiche Au- und falscher Höflichkeit sen fünf ist die Begrüßung der Kin- genhöhe mit den Männern gehoben der, damit dies nach meinem Tod und unter Wahrung ihres wertvollen Ibn Abbas sagte einmal: „Der Pro- zu Brauch und Sitte wird. Die Men- Wesens auf allen gesellschaftlichen phet Gottes war so unkompliziert, schen sollen dies als islamischen Ebenen und im familiären Kreis ge- dass er sich sofort setzte, wann im- Brauch akzeptieren und als solchen stärkt. Der Islam betrachtet Frauen mer er einen Raum betrat und wollte auch praktizieren.“ 17 nämlich gleichberechtigt zu Män- unter allen Umständen vermeiden, Der Prophet war stets mit Kindern nern bezüglich des Lernens und der dass sich jemand seinetwegen vom freundlich und vertrat die Meinung, Teilnahme an Kunst und Kultur. Sie Boden erhebt.“ Imam Ali (a.s.) sagte: wer mit Kindern zu tun hat, soll sollen ihren gesellschaftlichen Bei- „Eines Tages ging der Prophet zu ei- sich ihnen gegenüber wie ein Kind trag leisten können und zugleich nigen seiner engsten Gefolgsleuten. verhalten. Aus diesem Grund nahm volle Immunität genießen. Denn das Sie begrüßten ihn als ihr Herr und er immer seine Enkelsöhne, Imam Können von Frauen und Männern Gebieter. Der Prophet wurde sofort Hassan und Imam Husayn (a.s.) auf soll sich in ihrem Tun und Handeln zornig und forderte sie auf, ihn nicht seine Schultern und sagte zu ihnen: gleichermaßen widerspiegeln. mit solchen Titeln zu begrüßen, d.h. Ihr habt ein gutes Pferd und seid Der Prophet (s.a.s.) bezeichnete die ihn nicht mit ‚Herr‘ und ‚Gebieter‘ gute Reiter.“ 18 schlechte Behandlung der Frauen anzusprechen. Er sagte zu ihnen: ‚Ihr als Ursache für die Zerstörung des sollt mich euren ‚Prophet‘ und ‚Ge- Familienlebens und die Vernichtung sandten Gottes‘ nennen, denn es ist des Glücks innerhalb der Familie. die Wahrheit. Wenn ihr übertreibt, Gutes Benehmen, sagt er, macht dann werdet ihr in die Irre gehen. ‘“ Gott zufrieden und bringt Gottes Hil- fe mit sich. Er sagt: „Wenn jemand seite 27
seine Familie und seine Kinder vernachlässigt und sie AL - FADSCHRschlecht behandelt, wird ihm die Gnade Gottes versagt.“Der erhabene Prophet (s.a.s.) sagte bei seiner Rückkehrvon der letzten Pilgerfahrt nach Mekka, was später alssein Testament verstanden wurde, über die Ehefrauen:„Oh, ihr Menschen! Eure Frauen haben Recht auf euchet vise versa. Ich empfehle euch und sage euch als meinletzter Wille – seid gut und großzügig zu euren Frauen,denn sie sind wertvolle Geschenke Gottes in euren Hän-den. Gottes Gesetze haben sie für euch halal gemacht.“19ConclusioZweifelsohne kann man in diesem kurzen Beitrag nichtalle Dimensionen des Charakters des Propheten (s.a.s.)beschreiben. Das wäre so, als ob man ein Meer in einenKrug pressen wollte. Aber wir hoffen, dass diese kur-ze Zusammenfassung diejenigen, die nach der Wahrheitstreben, zufrieden stellen und die Süße der Wahrheit sieglücklich stimmen wird. Wir hoffen, dass die Menschendie Ethik und Lebensweise des Propheten (s.a.s.), desedelsten und erhabensten Menschen der Schöpfung,zum Vorbild nehmen und sich daran bereichern werden. 1 Deylami, Irschadu l-Gulub, Bd. 2, S. 407. 2 Baharu l-Anwar, Bd. 16, S. 236. 3 Baharu l-Anwar, Bd. 16, S. 237. 4 Shaykh Saduq, Maniyu l-Akhbar, S. 83. 5 Shaykh Saduq, Maniyu l-Akhbar, S. 83. 6 Makarimu l-Akhlaq, Bd. 1, S. 25. 7 Mustadraku l-Wasa‘il, Bd. 2, S. 12. 8 Baharu l-Anwar, Bd. 72, S. 119. 9 Makarimu l-Akhlaq, Bd. 1, S. 15. 10 Managibu Abi Talib, Bd. 1, S. 147. 11 Miratu l-Uqul, Bd. 8, S. 209. 12 Dschami’u l-Sa’ada,Bd. 1, S. 363. 13 Dschami’u l-Sa’ada,Bd. 1, S. 363. 14 Tafsiru l-Dschalilayn, S. 94. 15 Nahdschu l-Balaqa, Hikmat, S. 162. 16 Wasa’il Al-Shia, Bd. 15, S. 195. 17 Shaykh Saduq, Khesal, Bd. 1, S. 246. 18 Wasa’il Al-Shia, Bd. 15., S. 121 19 Ibn Husham; Sire, Bd. 4, S. 251.seite 28
AUSGABE NR. 139 TEXT VON DIP.-ING. Muhammad Krüger Der Autor ist studierter Ingenieur und Islamwissenschaftler. Er wurde 1963 in einem urwüchsigen deutschen Elternhaus geboren und konvertierte 1987 zum Islam. Monotheistische Basiskultur Deutschlands und Europas seite 29
Sokrates und Aristoteles stellten vor stärker als je zuvor in der Geschichte. Indien, Ägypten, Syrien, Iran usw. AL - FADSCHRüber 2000 Jahren fest, dass sich die Doch stellt man in Bezug auf Werte mit nach Hause brachten und still-ältere Generation einer Gesellschaft eher eine Degeneration fest als eine schweigend absorbierten und inte-stets nach den „guten alten Zeiten“ Zunahme. Nicht nur bekannte Wis- grierten, fehlt diese Kompetenz insehnt, dass damals alles besser war, senschaftler sondern auch Publizis- Deutschland.dass die Jugend respektvoller war ten fordern mehr Wertebewusstsein. In dieser Phase der Veränderungund dass die Moral insgesamt in den Und in den Zeiten der Veränderung, und der Neuformung von Identi-letzten Jahren doch sehr nachgelas- die Deutschland gerade durchmacht, tät prägte Bassam Tibi den Begriffsen habe. suchen Menschen zunehmend nach „Leitkultur“. 2 Tibi leistete Pionier-Seit Sokrates bis heute haben viele Konstanten, nach Werten und Be- arbeit auf diesem Gebiet, was umsoMenschen diese Feststellung ge- zugspunkten, die ihnen abhanden bemerkenswerter ist, weil er als ausmacht, viele Menschen älterer wie gekommen zu sein scheinen. Syrien stammender deutscher Sozi-jüngerer Generation, nicht nur eu- Ein spezielles Merkmal des heuti- alwissenschaftler die Diskussion umropäische, auch außereuropäische gen Deutschlands ist, dass diese Ge- Leitkultur, Identität und Pluralismusund auch indianische Kulturen oder sellschaft, wie auch die der meisten aufwarf. Als arabisch-stämmiger„Urwaldkulturen“. Es scheint sich anderen europäischen Staaten, stär- Migrant traf der Gelehrte den Nervalso um ein allgemein menschliches ker als je zuvor in ihrer Geschichte der Deutschen mit seinen ThesenPhänomen zu handeln.1 von Migration geprägt ist. Politiker und Postulaten. Die DiskussionSoziologen in aller Welt sind sich sprechen heute ganz klar vom „Ein- darüber hat Deutschland entschei-darin einig, dass sich Gesellschaf- wanderungsland Deutschland“. Eine dende Impulse gegeben und weiter-ten kontinuierlich entwickeln und solche Aussage wäre vor 30 Jahren gebracht. Sie ist heute noch längstdass eine wirkliche Stagnation einer politisch unvertretbar gewesen. nicht abgeschlossen.Gesellschaft sehr selten zu beobach- Deutschland befindet sich heute in Tibis ursprüngliche Forderung war,ten ist. Aus dem Erwartungs- und einer Zeit starken Wandels in ge- dass die von ihm eingeführte „Leit-Anspruchsdenken eines Sokrates sellschaftlicher, in kultureller wie in kultur” der kulturellen Moderne ent-und Aristoteles kann man schließen, geistiger Hinsicht. Alte Werte und springen müsse, insbesondere dendass sich eine Gesellschaft, die sich Verhaltensnormen werden oft nicht Werten: Demokratie, Laizismus,in Richtung einer höheren Ebene weitergepflegt, neue kommen auf, Aufklärung, Menschenrechte undbewegen will, nicht gehen lassen dasselbe gilt insbesondere im Wer- Zivilgesellschaft. ³,4darf, sondern von Werten bewegt tebereich der Moral. Dominant sind In der öffentlichen Bewertung beiAnstrengung und Selbsterziehung hier der stark meinungsbildende der Wahl zum “Wort des Jahres”durchlaufen muss. Einfluss der Medien und kulturelle landete das Schlagwort Tibis „Leit-Auch unsere deutsche Kultur heute Einflüsse aus den USA. In geringe- kultur” im Jahr 2000 auf Platz acht.ist keineswegs statisch sondern in rem Maße kommen neue Eindrücke Seither ist dieser Begriff von ver-ständiger Bewegung. Allein in jün- und Einflüsse von Migranten aus schiedenen Seiten aufgegriffen wor-gerer Vergangenheit, also seit dem aller Welt nach Deutschland. In ein den, von Wissenschaftlern, von Po-zweiten Weltkrieg bis heute haben Deutschland, dem es schwerfällt, litikern, aber auch von Publizisten.sich eine ganze Reihe von kulturel- Neues dieser Art zu integrieren, weil Aus diesen Gruppen haben einigelen Gegebenheiten stark verändert, es eine ausgeprägte Kolonialzeit wie dem Begriff „Leitkultur” Adjekti-man kann fast sagen exponentiell England oder Frankreich nicht er- ve vorangestellt. So war bisher zuverändert. lebt hat. Das „Einwanderungsland hören von einer „Deutschen LK“,Es drängt sich der Vergleich, eine Deutschland” steht vor einem Orien- einer „Europäischen LK“, aber auchAnalogie mit dem wissenschaftli- tierungs- und Identitätsproblem. von einer „Christlichen LK”, gleichchen Fortschritt auf der Welt, oder Während Frankreich und England gefolgt von einer „Jüdisch-Christli-dem einhergehenden Klimawandel tatsächlich ein beträchtliches Maß chen LK”. Der Begriff „Deutscheauf: Die Veränderungen in den letz- an Werten und Verhaltensweisen Leitkultur” landete bei der Wahl desten Jahren und Jahrzehnten waren aus hoch entwickelten Kolonien wie Unwortesseite 30
AUSGABE NR. 139 des Jahres 2000 auf Platz 1. 5 Die anderen Formen Ist also der Begriff Leitkultur, der so leicht von Politi- haben sich bis heute zum festen Bestandteil von Reden kern und Publizisten vereinnahmt und instrumentalisiert deutscher Politiker und zum wesentlichen Inhalt von werden kann, in einer demokratischen, pluralistischen Zeitungsartikeln entwickelt. Gesellschaft überhaupt gerechtfertigt? Insbesondere Die Reaktionen im Volk auf die Einführung und Verwen- sobald er mit einem Leitanspruch, d.h. mit einem Füh- dung des Wortes „Leitkultur” waren recht interessant, rungsanspruch verknüpft ist? Wer darf leiten? Wer darf und bieten an sich schon ein breites Forschungsfeld für gleitet werden in unserer bundesdeutschen Demokratie? Soziologen. Allgemein gesagt können die Reaktionen Tibis ursprüngliche Suche nach einem verbindenden der deutschen Bevölkerung in zwei Bereiche eingeteilt Nenner für eine Gesellschaft geht von einer Leitkultur werden: Auf der einen Seite die eher Kritisierenden und aus, die laizistisch ist, d.h. in der Religion und Staat ri- Ablehnenden und auf der anderen Seite die eher Befür- goros entkoppelt sind. Doch die prompte Einführung der wortenden, die den Begriff angenommen und verwendet „christlichen Leitkultur” oder der „jüdisch-christlichen haben. Leitkultur” warfen Tibis Konzept über den Haufen, ins- Befürworter sind unterschiedlich motiviert. Entweder besondere da sie von deutschen Politikern und Publizis- teilen sie die Ansicht, dass kulturell ein Leitbild gerecht- ten stammten. Sie widersprachen damit Tibis Konzept, fertigt oder sogar notwendig sei, oder sie fühlen sich von hinsichtlich seiner Laizismus-Forderung. Die anderen einer speziellen Form vertreten, z.B. der christlichen von Tibi stammenden Forderungen nach Demokratie, Leitkultur. Toleranz, Zivilgesellschaft ließen sie implizit bestehen. Es lässt sich beobachten und leicht nachweisen, dass, so- Die Resonanz im deutschen Volk war überwiegend po- bald der Begriff Leitkultur mit einem Adjektiv versehen sitiv und gerade auch diese Akzeptanz im Volk wider- wurde, dass dies seitens der „Leitenden” geschah oder spricht Tibis religionsfreier Leitkultur. Denn die „Christ- von Personen, die einen Anspruch auf Leitung hegen. liche Leitkultur” füllte für viele Deutsche endlich das Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, denn wer einen Vakuum nach spiritueller Orientierung, nach religiös- Leitanspruch hat, der macht sich in der Regel bemerk- kulturellen Wurzeln und nach christlichem Selbstbe- bar, der definiert, kommuniziert und propagiert seinen wusstsein, die unter rigoroser Anwendung von Säkula- Anspruch. rismus bis hin zum Kruzifix-Urteil sehr gelitten hatten. Die Frage, ob diese „Leitenden”, die den Begriff defi- Die fundamentale Frage aber, ob eine moderne Demo- nierten und propagierten, auch eine Rechtfertigung auf kratie säkular wie Deutschland zu sein hat oder ob sie Leitung haben, soll an dieser Stelle nicht weiter betrach- laizistisch wie Frankreich zu sein hat oder ob etwa in ihr tet werden. eine Queen gleichzeitig das Oberhaupt der Staatskirche Kritisiert wurde der Begriff „Leitkultur“ im Wesent- ist oder, ob sie wie in den USA von einem christlichen lichen aus drei Richtungen: Einerseits aus einem anti- „in god we trust” ausgeht und sich im christlich-jüdi- autoritären Umfeld, in dem man das Wort „Leitung” schen Leitbild eines „gods own country” definiert, diese prinzipiell schwer akzeptiert und andererseits aus der Frage nach dem Wie ist im Westen völlig uneinheitlich Sicht von Prinzipien heraus (z.B. dass man Kultur und beantwortet. Und es darf daher unterstellt werden, dass Lebensweise nicht vorschreiben kann, weil es eine fun- keine der so unterschiedlichen Demokratien des Wes- damentale Freiheit ist, die auch im Grundgesetz gewährt tens die bestmögliche, allgemeingültige Antwort auf wird) oder aus der Sicht der Geleiteten heraus, d.h. der- die Frage nach Platzierung und Integration der Religion jenigen, die sich verunsichert und nicht wirklich vertre- darstellt. ten fühlen wie Minoritäten, die sich ausgeschlossen, be- Kann man daraus nicht vielmehr ableiten, dass eine ver- vormundet und genötigt bzw. unfrei vorkommen. bindende Kultur, eine Leitkultur oder eine Basiskultur Der Begriff Leitkultur und seine Verwendung in der Öf- notwendiger Weise religiöser Natur sein muss? fentlichkeit haben nicht wenig Verwirrung gestiftet, un- Sollte man nicht besser von einer „Basiskultur” spre- ter anderem weil er nicht richtig definiert und nicht ein- chen, als von einer Leitkultur? Der Begriff „Basiskul- heitlich verwendet wurde und vielleicht auch deshalb, tur” vermeidet den forschen Anspruch auf Führung, der weil er als politisches oder mediales Konzept falsch ein- gegen Missbrauch nicht gefeit ist, und der demokratisch gesetzt bzw. instrumentalisiert wurde. nicht abgesichert ist. seite 31
Eine „Basiskultur” ist ein Fundament, auf dem man auf- Beide Länder haben sehr viele Lehren, Werte und Ver-bauen kann. Basiskultur ist eine Grundlage für eine be- haltensweisen vom Islam übernommen. Manchmal ohnewusste, gemeinsame Gestaltung einer Gesellschaft und sich dessen bewusst zu sein, bzw. ohne dies explizit zuihrer Kultur. bestätigen, manchmal unter direktem Hinweis und An- erkennung. So ist etwa der Finanzplatz London derDie Synthese dieser Kritiken und Ansätze mündet in der Treiber und Vorreiter beim Islamic Banking in Europa.These: Deutschland erblüht in einer Basiskultur, die Und kein geringerer als der Erzbischof von Canterburyauf folgenden Bausteinen aufgebaut ist: schlug nachdrücklich vor, den Muslimen in England zu gestatten, ihre Angelegenheiten durch Scharia-Gerichte• Menschenwürde und Menschenrechten, so wie im zu regeln, und nicht durch britische Gerichte. 6,7,8Grundgesetz beschrieben Spanien trägt durch seine fast 500 Jahre währende is-• Kulturelle und moralische (historischen und aktuel lamische Geschichte das reichhaltigste kulturelle Erbelen) Prägungen von Judentum, Christentum und des Islam in Europa. Und auf dem Balkan ist der IslamIslam in Deutschland so selbstverständlich wie das Christentum in Hamburg.• Konsens zu gemeinsamen religiösen Werten und Wur Die Monotheistische Basiskultur Deutschlands stellt einzeln von Judentum, Christentum und Islam Modell für Deutschland wie für Europa dar, das zu Ein-• Toleranz im Sinne der praktizierten „goldenen Regel”, heit im Inneren führen kann, und bei dem die Frage nachkeine Dominanz Deutsche Sprachkultur als Basis der kultureller wie religiöser Identität und Integrität ausge-Kommunikation wogen berücksichtigt wird. Vielleicht ist es sogar die• Demokratie für ein freies Volk mit einem freien, un- gesuchte Klammer für Europa, das sich in geistiger Di-manipulierten Willen, geäußert in freien Wahlen mension noch immer nicht geeinigt hat, sondern in der• Verbindliche Rechtstaatlichkeit Vergangenheit fußt, das sich lediglich auf die gemeinsa- AL - FADSCHR men Wurzeln des antiken Griechenland und seiner Den-Die Reihenfolge der Bausteine wurde hier nicht num- ker beruft, aber sich nicht zu seinem monotheistischenmeriert oder nach Wichtigkeit bzw. Wertigkeit geordnet. Wesen bekennt. 9Die Abfolge richtet sich vielmehr vom Einzelnen zum Der Ansatz einer Monotheistischen BasiskulturGesamten, vom Individuum zur Gesellschaft. Allein an Deutschlands und Europas ist global gesehen ein lokalesder Spitze steht der Mensch, weil der Mensch und seine Konzept, das lokale Gegebenheiten berücksichtigt.10 Esfreie Entwicklung nach jüdischer, christlicher und isla- bedeutet definitiv nicht, dass andere Religionen ausge-mischer Überzeugung im Zentrum allen irdischen Le- schlossen bleiben sollten! So würde ein vergleichbarerbens steht. Ansatz für Indien den dortigen lokalen GegebenheitenEs ist unverzichtbar, dieser „Basiskultur” eine religiöse entsprechend eine Klammer zwischen Hinduismus undGrundhaltung zugrunde zu legen. Und aus historischer Islam, Sikhismus und Christentum erfordern.Sicht, wie aus kultureller und aktueller demographischer Weil eine Monotheistische Basiskultur Deutschlands einSicht sind Christentum, Judentum und Islam die maß- lokaler Ansatz ist, steht er nicht im Widerspruch zumgeblichen Religionen in Deutschland, die nur zusammen Projekt Weltethos11. Denn er verwendet sehr ähnlicheden monotheistischen Kanon bilden. Prinzipien. Der Unterschied zum Weltethos ist, dass derDiese „Monotheistische Basiskultur Deutschlands” Wirkungskreis nicht auf die ethisch-spirituelle Dimensi-kann im Wesentlichen auch in anderen Staaten Westeu- on begrenzt bleibt. Der Hauptunterschied ist, dass hier-ropas wiedergefunden werden. In dieser Geisteshaltung mit in Weiterführung der politischen Leitkultur-Diskus-ist Österreich in Europa am weitesten fortgeschritten, sion eine bewusst religiös-geprägte Grundlage für diedenn es erkennt die drei monotheistischen Weltreligio- reale Gestaltung von Kultur, Politik und Gesellschaftnen Islam, Christentum und Judentum gleichberechtigt, bereitgestellt werden soll, aufbauend auf dem Konsensselbstverständlich und souverän an. der Bevölkerung.Frankreich und England haben durch 300 Jahre Kolo- Die oben erwähnten sieben Bausteine der „Monotheis-nialgeschichte eine beträchtliche Anzahl von Muslimen tischen Basiskultur Deutschlands” sollen in einem derim Land, unabhängig davon in welcher sozialen Schicht. folgenden Beiträge weiter ausgeführt werden.seite 32
AUSGABE NR. 139 1 „Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe.“ (Keilschrifttext aus Ur, Chaldäa, um 2000 vor Christus) „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widerspre- chen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ (Sokrates, 470-399 v.Chr.) „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist uner- träglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“ (Aristoteles, 384-322 v. Chr.) 2 http://www.bpb.de/publikationen/40QIUX,2,0,Leitk ultur_als_Wertekonsens.html#art2 3 Helmut Schmidt: “Religion in der Verantwortung” Propyläen 4 http://de.wikipedia.org/wiki/Leitkultur 5 Bassam Tibi: Europa ohne Identität? Die Krise der multikulturellen Gesellschaft 6 http://www.welt.de/politik/article1644292/Erzbi- schof_von_Canterbury_will_Scharia_zulassen.html 7 http://www.islamic-bank.com/ 8 http://www.islamic-banking.com/ 9 “Juden, Christen und Muslime könne getrost aufeinander zugehen. Sie haben nicht nur die gleichen moralischen Werte, sondern sie teilen auch wichtige Elemente ihres Glaubens und ihrer Religions- und Glaubensgeschichte. Wir müssen diese Gemein- samkeiten nur erst entdecken. Sie sind verdeckt. Wenn wir sie aufgedeckt haben, sollten wir sie propagieren.”Aus: Helmut Schmidt “Religion in der Verantwortung”, Propyläen Verlag, S. 139. 10 “...will Respekt bezeugen gegen andere Religionen und andere Bekenntnisse. Sie will zeigen: Unsere unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen hindern uns nicht, zum Besten aller zusammenzuar- beiten. Denn unsere moralischen Grundwerte liegen viel enger beieinander als ... uns glauben machen wollen. Der Friede zwischen uns ist möglich! Und wir müssen ihn immer wieder neu stiften...” Aus: Helmut Schmidt “Religion in der Verantwortung”, Propyläen Verlag, S. 138 11 „Diese eine Welt braucht ein Ethos; diese eine Weltgesellschaft braucht keine Einheitsreligion und Einheitsideologie, wohl aber einige verbindende und verbindliche Normen, Werte, Ideale und Ziele.“ seite 33
TEXT von AL - FADSCHRDR. Masume Brezansky-GünesStudium der Kultur- und Sozialanthropologie an der UniversitÄt Wien.Schwerpunkt Islam, Europa und schiitischer Islam.Muhammads Weg nach Europaseite 34
AUSGABE NR. 139 Der Prophet des Doktorurkunde (1755) mit dem von ihm handgefertigten Islam im Spiegel arabischen Schriftzug „Im Namen Allahs, des Allerbarmers des Barmherzigen“ überschrieben hat europäischer und dass vom englischen Dichter und Denker Geor- Gedankenwelten ge Bernard Shaw folgendes Zitat überliefert ist: „Wir müssen den Propheten des Islam Retter der Mensch- Versucht man das Bild Muhammads im Spiegel der eu- heit nennen. Ich bin davon überzeugt: Würde man dem ropäischen Gedankenwelt zu erfassen, so trifft man un- Propheten Muhammad die Diktatur über die moderne weigerlich auf ein Paradoxon. Welt gewähren, er wäre erfolgreich in der Lösung der Es gibt wohl kaum eine historisch, politisch oder religiös Probleme. Und zwar in einer Art, die zugleich und da- bedeutsame Persönlichkeit, die im Abendland dermaßen durch Glück und Frieden bringen würde (…).Ich halte verzerrt dargestellt wurde und mit solch inbrünstiger den Propheten Arabiens in großen Ehren und bewundere Leidenschaft verachtet und diffamiert wurde wie Mu- die eindringliche und zündende Diktion des Qur‘ans.“ 2 hammad -- jener Prophet, durch den der Menschheit die Lehren des Islams offenbart worden sind. Ein Blick zurück zu den Wurzeln der europäischen Ge- schichte der Neuzeit mag diese Frage zumindest ansatz- Doch trotz der äußerlichen Verachtung, die im Laufe der weise klären können. Denn bereits im 12.-14. Jahrhun- Geschichte kontinuierlich gegenüber den „Muselma- dert waren den Eliten der abendländischen Gelehrten die nen“ zur Schau getragen wurde, waren es gerade eben aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzten Schrif- jene geistigen Größen, die die europäische Kultur des ten bedeutender islamischer Denker und Wissenschaft- Abendlandes wohl am nachhaltigsten geprägt haben, die ler wie Avicenna (Ibn Sina), Averroes (Ibn Ruschd), eine ihrer stärksten Inspirationsquellen in der Geistes- Al Gazel (Al Gazzali), Rases usw. weitgehend bekannt welt des Islams gefunden hatten und in Muhammad eine und erweckten in ihnen jenseits der populären anti- Person sahen, der größte Verehrung entgegengebracht islamischen Polemiken eine tiefe Faszination, welche werden sollte. ihren Geist für ein völlig neues Denken öffnen sollte. Sie fanden in diesen Schriften einen Weg, der sie aus Während sich eine europäische Leitkultur also einerseits dem Gebäude des Aberglaubens zu befreien vermochte, nach außen hin wesentlich über eine Abgrenzung und der ihnen die Basis systematischer und experimenteller Verachtung gegenüber dem Islam definierte und islamo- Wissenschaften darlegen würde und der sie in das Erbe phobe Massen hervorbrachte, so wurde die europäische der griechischen Philosophen im Spiegel jahrhunderter Geisteswelt gleichzeitig doch maßgeblich von Men- langer Diskussionen islamischer Denker lehren würde. schen beeinflusst, die eine bemerkenswert islamophile Kurzum, sie fanden in diesen übersetzten Schriften den Einstellung an den Tag gelegt hatten, auch wenn sie die- Grundstein ihrer eigenen Aufklärung. se meist nicht offen nach außen hin zeigen konnten. Doch auf welch unbekannten Wegen konnte sich die Eine wichtige politische Figur, die den Import islami- Kenntnis über den wahren Kern der islamischen Lehren schen Gedankenguts in das Abendland aktiv gefördert und dessen Propheten in das allgemein islamskeptische hatte und selbst von diesem zutiefst fasziniert gewesen Bewusstsein des Abendlandes einschleichen und jenen war, stellt Friedrich II, der berühmte Stauferkönig dar, einflussreichen europäischen Denkern und Politikern als der im 12-13. Jahrhundert die Titel „König von Deutsch- Inspiration dienen? land und Sizilien“, „Kaiser des heiligen römischen Rei- ches“ und „König von Jerusalem“ trug. Wie beispielsweise gelangte der wohl größte deutsche Von Historikern wird ihm heute ein bedeutender Platz Dichter und Universalgelehrte Johann Wolfgang Goe- in einer Entwicklung zugewiesen, die über Renaissance the Anfang des 19. Jahrhunderts dazu folgende Zeilen und Rationalismus zu einer europäischen Moderne füh- zu dichten: „Wenn Islam Gott ergeben heißt, im Islam ren sollte, so dass er unter anderem als der „erste moder- leben und sterben wir alle.“1 Wie kommt es, dass der ne Mensch auf dem Thron“ bezeichnet wurde. einflussreiche deutsche Philosoph Immanuel Kant seine seite 35
Seine Zeitgenossen gaben ihm den gehegt hatte war seine Kindheit in Magnus und sein Schüler Thomas AL - FADSCHRSpitznamen „stupor mundi“ Sizilien, während der er mit Mus- von Aquin ihre Lehren. Thomas von(„Das Staunen der Welt“), worin limen aufgewachsen und teilweise Aquin, der ebenfalls in Sizilien auf-insbesondere die Verblüffung der von muslimischen Lehrern unter- gewachsen war, war bestens vertrautBeobachter über Friedrichs bemer- richtet worden war, deren Einstel- mit den islamischen Lehren, er be-kenswerte Persönlichkeit, sein tem- lung zu wissenschaftlicher Neugier- herrschte Arabisch fließen, kannteperamentvoller Eigensinn und seine de, rationaler Argumentation und den Qur‘an zu Teilen auswendig und-- aus christlicher Sicht unorthodoxe religiöser Toleranz ihn schon früh studierte die Werke von Al-Ghazali-- schier nicht zu bremsende Wiss- fasziniert und geprägt hatte. Fried- und Ibn Arabi. Um 1300 in Parisbegierde und Liebe zur Vernunft rich als Förderer und Liebhaber der begann auch Meister Eckhardt sichzum Ausdruck kam. Er beherrschte Wissenschaft und Kunst soll über in die mystischen Lehren dieser bei-mehrere Sprachen, darunter auch eine große Privatsammlung an Bü- den großen islamischen Meister zufließend arabisch, scharrte Gelehrte, chern, Manuskripten und Erfindun- vertiefen und stieg durch deren Ge-Wissenschaftler und Künstler and gen aus der islamischen Welt verfügt danken inspiriert selbst zu einem derseinem Hofe mit denen er über Lo- haben, die nach seinem Tod in den größten Mystiker desgik, Philosophie, Mathematik und Besitz der Kirche übergegangen Abendlandes auf.Medizin diskutierte und vertrat eine war und von dieser zunächst unterdermaßen offen zur Schau getrage- hermetischem Verschluss gehalten Auch Franz von Assissis mystischene religiöse Toleranz, dass er bald wurde. Reformierung christlicher Lehrendie Feindschaft des Papstes und der Doch wahrscheinlich waren es Wie- dürfte stark von den maurischenkirchlichen Würdenträger auf sich derentdeckungen jener Manuskripte Sufi-Orden inspiriert gewesen seinzog, die ihn in einem Propaganda- und Schriften die spätere Renais- mit denen er während seiner jugend-feldzug gar als „Anti- Christ“ diffa- sance- Genies in Italien wie Leonar- lichen Reisen in Marokko und Spa-mierten. do Da Vinci, Galileo Galilee oder nien in Berührung gekommen war, Dante Aligheri inspiriert und und worauf sowohl das Armutsge-Friedrich, der gegenüber dem Papst beflügelt hatten, so dass Gottfried löbnis seiner Bruderschaft, die ein-zu Kreuzzügen verpflichtet war, ver- Herder, der große deutsche Uni- fache Wollkleidung, als auch die tie-schob diese mehrere Male und nahm versalgelehrte des 18. Jahrhunderts fe mystische Beziehung zur Natur inschließlich, anstatt zu kämpfen, dip- sicherlich nicht zu Unrecht die den Lehren Assissis Hinweise gibt. 6lomatische Kontakte mit dem Sultan „Araber als die Lehrer Europas“ 4von Kairo auf, was zu einem schnel- bezeichnet hatte. Und auch Bertrand Im Bereich der Ursprünge abendlän-len Friedensvertrag führte, der ihn Russell schrieb im 20. Jahrhundert discher Literatur und Dichtung istohne Blutvergießen den Titel des über das Verhältnis der europäischen besonders auf den arabischen Ein-Königs von Jerusalem einbrachte. mittelalterlichen Geisteswelt gegen- fluß auf das Werk des italienischenWie berichtet wird, soll bei seiner über der islamischen jener Zeit: „Un- Dichters Dante Aligheri hinzuwei-Ankunft in Jerusalem der Muez- ser Gebrauch des Wortes Mittelalter sen. Auch er dürfte bestens mit Ibnzin des Sultans angewiesen worden markiert unsere unangemessene Arabis Werken vertraut gewesensein, aus Respekt vor dem christli- Aufmerksamkeit gegenüber Westeu- sein, dem er sogar einen Ehren-chen König den morgendliche Ge- ropa. Von Indien bis Spanien florier- platz in seinem eigenen literarischenbetsruf auszusetzen, woraufhin sich te die strahlendste Kultur des Islam. Werk zugewiesen hatte. Bei DantesFriedrich mit den Worten „Ich habe Was der Christenheit heute verloren „Göttlicher Komödie“ aus dem 14.in Jerusalem übernachtet, um dem geht, ist unserer Kultur nur dank dem Jahrhundert, das bis heute als einesGebetsruf der Muslime und ihrem Islam nicht verlorengegangen.“ 5 der Hauptwerke der WeltliteraturLob Gottes zu lauschen.“ 3 angesehen wird, handelt es sich umbeschwert haben soll. Hintergrund Im Klima der Herrschaft Friedrich II eine direkte strukturelle und inhalt-dieser emotionalen Nähe, die Fried- entwickelten auch die bedeutendsten liche Übernahme des „Kitab al- Mi-rich offenbar gegenüber dem Islam christlichen Mystiker wie Albertus aradsch“, das zu dieser Zeit bereitsseite 36
AUSGABE NR. 139 in altfranzösisch und lateinischer Sprache vorlag und Betracht ziehen zu müssen. Ein Beispiel für eine solche einen detaillierten Bericht der mystischen Himmelsreise Darstellung Muhammads als Dichter und allzumensch- des Propheten Muhammad und dessen Schau der Hölle liche Kreatur, der es an „echten“ Wundern mangelte, ist und des Paradieses umfasste. 7 beispielsweise in Voltaires Drama „Mahomet der Pro- Dass Dante dem Propheten Muhammad, der im Original phet“ aus dem 18. Jahrhundert zu finden. die höchsten Sphären der göttlichen Nähe erreicht hat- te in der „Göttlichen Komödie“ einen Platz im vierten Doch andere Dichter wie Goethe oder Rainer Maria Ril- Kreis der Hölle zuweist, spiegelt nicht nur die Haltung ke gingen hier noch einen wesentlichen Schritt weiter. der europäischen Massen gegenüber dem Propheten des Sie ließen sich nicht nur von Form und Exotismen in- Islam wieder, sondern weist auch darauf hin das Dantes spirieren, sondern witterten tiefere Wahrheiten in den Werk wohl eher als eine Art christliche Persiflage auf die Lehren des Qur‘an und die Möglichkeit eines mystisch- Miʻradsch des Propheten zu werten ist, denn als origi- individuellen Zuganges zum ewigen und einzigen Gott, nelles literarisches Werk. der ihnen durch die christlichen Lehren verwehrt geblie- ben war. Mit der Publikation einer Übersetzung von „1001 Nacht“ im Abendland des 18. Jahrhunderts wurde ein weiterer So schrieb beispielsweise Rilke in einem seiner Briefe wesentlicher literarischer Impuls gesetzt, die Imaginati- aus dem maurischen Spanien: on der Europäer bezüglich der „Welt der Muselmanen“ zu beflügeln. War die mittelalterliche Vorstellung noch „Ich bin seit Cordoba von einer beinahe rabiaten Anti- überwiegend vom Morgenland als „Heimstätte des Anti- christlichkeit, ich lese den Qur‘an, er nimmt mir, stel- Christen“ geprägt gewesen, so eröffnete sich für die Eu- lenweise, eine Stimme an, in der ich so mit aller Kraft ropäer der Oberschicht nun eine exotische Märchenwelt, drinnen bin, wie der Wind in der Orgel. (…) Muhammad die Maler und Dichter gleichermaßen in ihren Bann zog. war auf alle Fälle der Nächste, wie ein Fluss durch ein Urgebirge, bricht er sich durch zu dem einen Gott, mit Der durchschnittliche europäische Geist, dem die Türen dem sich so großartig reden läßt jeden Morgen, ohne das zur Welt mystischer Erkenntnis aufgrund seiner tiefen Telephon Christus, in das fortwährend hineingerufen Ignoranz verschlossen geblieben waren, erkannten darin wird: Holla, wer dort? und niemand antwortet. (…) das freilich ebenso wenig wie Dante bei seiner Lektüre der Christentum, dachte man unwillkürlich, schneidet Gott prophetischen Himmelsreise den allegorischen Gehalt ständig an wie eine schöne Torte, Allah aber ist ganz, dieser „Märchen“, die in Wahrheit nicht weniger als eine Allah ist heil.“ 8 Einführung in die mystischen Weisheiten der Derwische und Sufis waren, sowie 1000 und 1 auf die symbolische Und auch Goethe war in den letzten Jahren seines Lebens Anzahl der Novizentage und- Nächte der Initiierten in derartig fasziniert von den Lehren Muhammads und des die Lehren der Derwische verwies. Qur‘an, dass er in einer handschriftlichen Einleitung zu seinem West-östlichen Diwan schrieb: „der Autor wisse Ebenso wenig begriffen viele, der durch solche Werke selbst nicht, ob er eine Muselman sei, oder nicht.“ inspirierten abendländischen Dichter, dass es sich bei Goethe hatte die Werke großer islamischer Dichter wie den Worten des Qur‘an, die von vielen ihrer poetischen Hafis, Rumi, Saadi oder Dschami durch die Übersetzun- Struktur wegen bewundert wurden, nicht um das dichte- gen des österreichischen Orientalisten Josef Hammer- rische Wort Muhammads handelte, sondern um authen- Purgstall kennengelernt und sich daraufhin auch ein- tische Wortoffenbarungen Gottes. So wurde Muhammad gehend mit dem Qur‘an selbst beschäftigt, über den er bei aller Verehrung, doch zumeist als Dichter, als Inspi- schrieb: rierter, oder als Genie dargestellt und nicht als Prophet Gottes. Diese Einstellung wiederum erlaubte eine frei- zügige Befassung mit dem Leben und Werk des Prophe- ten, ohne der Gefahr zu laufen, diese als authentische Offenbarung in Konkurrenz zur christlichen Lehre in seite 37
„Ob der Qur‘an von Ewigkeit sei? „Und einmal habe ich den Qur‘an zu lesen versucht, ich AL - FADSCHRDarnach frag‘ ich nicht! bin nicht weit gekommen, aber so viel verstand ich, daDaß er das Buch der Bücher sei ist wieder so ein mächtiger Zeigefinger, und Gott stehtGlaub‘ ich aus Mosleminen-Pflicht.“ 9 am Ende seiner Richtung, in seinem ewigen Aufgang begriffen, in einem Osten, der nie alle wird. Christus hatSowohl Rilke, als auch Goethe sahen im Islam keine sicher dasselbe gewollt. Zeigen.“ 12Häresie, sondern lediglich eine Art Erweiterungoder Vervollständigung der christlichen Lehren und Vor allem über die Auseinandersetzung mit Goethesbetrachteten Muhammad demnach auch nicht als West-Östlichem Diwan entdeckten auch weitere deut-Dichter, sondern als einen Prophet der Einheit Gottes. sche Dichter wie Heinrich Heine oder Hugo von Hof-So dichtete Goethe über Muhammad: mannsthal die islamische Mystik und die großen persi- schen Dichter, die diese hervorgebracht hatte.„Jesus fühlte rein und dachteNur den Einen Gott im Stillen; Doch das Schicksal dieser Dichter und Gelehrten war,Wer ihn selbst zum Gotte machte dass, obwohl sie in diesen Lehren tiefe Geheimnisse undkränkte seinen heil‘gen Willen. Wahrheiten verortet sahen, ihnen der Zugang zum ech-Und so muß das Rechte scheinen ten Erleben dieses „Stirb und Werde“ der islamischenWas auch Mahomet gelungen; Mystiker-Kollegen verwehrt blieb. Die Form der WorteNur durch den Begriff des Einen und die hingebungsvolle Liebe an den Einen mochte sieHat er alle Welt bezwungen.“ 10 fasziniert und inspiriert haben und eine tiefere Sehnsucht in ihnen geweckt haben, doch die Erfüllung konnten sieRilke schien sich Anfang des 20. Jahrhunderts nicht finden, denn die Lehrmeister und die Wege, denennoch weitaus mehr als Goethe mit dem intensiven die islamischen Mystiker gefolgt waren, waren in Euro-Studium islamischer Quellen auseinandergesetzt zu pa unbekannt geblieben.haben, was sich in seiner dichterischen Darstellungüber die erste Offenbarung Muhammads widerspiegelt: So schrieb im 20. Jahrhundert, der unter anderem auch in Deutschland ausgebildete geistige Gründervater Paki-„Da aber als in sein Versteck der Hohe, stans Sir Muhammad Iqbal in seinem Javid Nameh, dassofort Erkennbare: der Engel, trat, er als Antwort auf Goethes West-Östlichen Diwan ver-aufrecht, der lautere und lichterlohe: fasst hatte, betreffend des Schicksals des großen deut-da tat er allen Anspruch ab und bat schen Philosophen Friedrich Nietzsche:bleiben zu dürfen der von seinen Reisen „Schlimm ist es bestellt um den nach Ekstase Ringendeninnen verwirrte Kaufmann, der er war; geboren in Europa! Er war Hallaj, der ein Fremder warer hatte nie gelesen - und nun gar in seiner eigenen Stadt; Es gab niemanden in Europa,ein solches Wort, zu viel für einen Weisen. der den Weg kannte Niemanden, der dem Reisenden, die Straße zeigen konnte. „Kein“ und „Außer“ sind die Sta-Der Engel aber, herrisch, wies und wies tionen des Selbst. Er verblieb verharrend im „Kein“ undihm, was geschrieben stand auf seinem Blatte, konnte doch das „Außer“ nicht erreichen. Denn er warund gab nicht nach und wollte wieder: Lies. ein Unbekannter gegenüber der Station „Seiner Diener- schaft“ Ach, hätte er doch in Ahmads Zeit gelebt.Da las er: so, dass sich der Engel bog. So dass er ewige Glückseligkeit gefunden hätte!“ 13Und war schon einer, der gelesen hatteund konnte und gehorchte und vollzog.“ 11 Solcherlei Kommentare lassen die Frage offen, ob nicht die Religion Muhammads, wäre sie im Abendland nicht durch und durch verzerrt und höchst exotisiert darge- legt worden vielen der großen und tragischen Dichter und Denker des Abendlandes zur Erfüllung einer tiefenseite 38
AUSGABE NR. 139 Sehnsucht verholfen hätte. cken. Diese Möglichkeit der Projektion des Eigenen Der berühmte auto-destruktive Dichter Arthur Rimbaud durch die Blicke des Anderen ermöglicht ihm Gedanken beispielsweise, der bekannt war für seine Alkoholex- auszudrücken, die er wohl auf direktem Wege nicht hät- zesse und der bereits mit 19 Jahren sein dichterisches te vermitteln können. So beschreibt Montesquieu bei- Werk vollendet hatte, ging nach Abessinien ins Exil wo spielsweise seine Bewunderung für die Erkenntniswege er schrieb: der morgenländischen Mystiker und Derwische und gibt „Sie ist wiedergefunden. zu, dass die abendländischen Philosophen „ nicht den Was? Die Ewigkeit. Gipfel der morgenländischen Weisheit erreicht haben“. Es ist das Meer Über das Schicksal der abendländischen von der mys- Mit der Sonne verbunden tischen Schau und prophetischen Weisheit abgeschnit- in eins.“ 14 tenen Denker schreibt er: „Sie haben sich nicht bis zum Es heißt, dass sich Rimbaud kurz vor seinem Lebensen- Throne des Lichts emporgeschwungen; sie haben weder de in Jemen öffentlich zum Islam bekannte und mit den die unaussprechlichen Worte gehört, welche in den Chö- Worten „Allah karim“(„Gott ist großmütig“) friedlich ren der Engel widerhallen, noch das furchtbare Nahen verstarb. einer gottestrunkenen Begeisterung verspürt -- aber, In seinen „persischen Briefen“ läßt Montesquieu der be- sich selbst überlassen, der heiligen Wunder beraubt, fol- rühmte Geschichtsphilosoph der Aufklärung zwei Perser gen sie schweigend den Spuren der menschlichen Ver- das Abendland besuchen und in Briefform ihre erstaun- nunft.“15 lichen Beobachtungen über das fremde Europa ausdrü- Die Vernunft dient also aus dieser Sichtweise heraus Immanuel Kants Doktorratsurkunde 1755 als verzweifeltes letztes Ressort, welches allein dem mit der handgeschriebenen Basmala Menschen bleibt, der von göttlicher Offenbarung und (im namen gottes, des gnädigen, des barmherzigen) unmittelbar erfahrener Weisheit abgeschnitten wurde. Doch dass die Vernunft alleine nicht ausreicht um „sich zum Throne des Lichts emporzuschwingen“, haben die meisten abendländischen Philosophen und Denker wohl instinktiv gespürt und sich sehnsuchtsvoll an die Meister der Illumination des Orients gewandt. Durch die Sprache der Fremden erlaubt sich Montesqui- eu weiters seine Bewunderung für die heilige Schrift der Muslime, den Qur‘an auszudrücken, dem er den Vorzug über den gesamten Kanon der abendländischen Philo- sophie einräumt. So schreibt er: „Hätte ein Mann Got- tes die Werke dieser Philosophen mit hohen, erhabenen Worten geschmückt und mit kühnen Bildern, geheimnis- reichen Allegorien untermischt, so hätte er vielleicht ein schönes Werk geschaffen, das keinem nachsteht, außer dem Qur‘an.“ 16 Charakteristisch für jene von Sehnsucht nach Wahrheit zerrissenen Dichter und Denker, die sich vor allem zu den mystischen Lehren des Islams hingezogen gefühlt hatten, war eine auffallend anti-christliche Haltung, die oft leichtfertig oder voreilig als eine Art Atheismus, Ni- hilismus oder gar Pantheismus interpretiert wurde. Doch interessanterweise entwickelte sich oft gerade aus solch einer Geisteshaltung eine islamophile Neugierde, die den Reiz des exotischen Fremden streckenweise auch zu seite 39
überwinden vermochte und in den Lehren Muhammads weisen und gebildeten Männer aller Länder unter einem AL - FADSCHRetwas tief Vertrautes erkannte, welches Leben und Er- einheitlichen Regime unter den Prinzipien des Qur‘ans,kenntnis bejaht und den Forschergeist anregt, anstatt der allein die Menschheit ihrem Glücke zuzuführen ver-Grenzen zu setzen und zu beschränken. mag, zu vereinen.“ 19So bemerkte beispielsweise Friedrich Hegel, der sichunter anderem mit der Dichtung Jalal-ed-Din Rumis Auch der deutsche Reichskanzler Fürst Otto von Bis-auseinandergesetzt hatten in seiner „Vorlesungen zur marck war mit den islamischen Lehren bestens vertraut.Ästhetik“: In einem Brief, der in den Schriften des türkischen Said Nursi zitiert wurde, schrieb Bismarck: „Ich habe alle„Indem sich nämlich der Dichter im Muhammedanis- himmlischen Bücher, die in den verschiedensten Zeit-mus das Göttliche in Allem zu erblicken sehnt und es abschnitten, wie man behauptet, von Gott der Mensch-wirklicht erblickt, gibt er nun auch sein eigenes Selbst heit zur Leitung herabgeschickt worden sind, sorgfältigdagegen auf. Dadurch erwächst ihm jene heitre Innig- untersucht. Durch die Verfälschungen konnte ich diekeit, jenes freies Glück dessen, der sich bei der Los- Weisheit, die ich suchte, nirgendwo finden. Diese Ge-sagung von der eigenen Partikularität durchweg in das setze sind zu weit entfernt, das Glück der Menschheit zuEwige und Absolute versenkt, und in Allem das Bild und sichern. Aber der Qur‘an der Muhammadaner ist frei vondie Gegenwart des Göttlichen erkennt.“ 17 diesen erschwerenden Geboten. Ich habe den Qur‘anSelbst der Aufklärungsdichter Gotthold Ephraim Les- von jeder Seite auf jeden Punkt hin sorgfältig untersucht.sing, der Verfasser von „Nathan der Weise“ und seiner In jedem seiner Worte habe ich eine große Weisheit ge-berühmten Ringparabel, soll den islamischen Propheten funden. Daß man behauptet, dieses Buch sei von Mu-„Mahomet“ als einen „ungleich größeren und würdige- hammad geschrieben und das Erscheinen eines solchenren Mann als Christus“ bezeichnet haben. Wunders könne von einem vollkommenen Gehirn ge-Und Albert Camus, der französischen Dichter, Philo- kommen sein, bedeutet, die Augen vor der Wahrheit zusoph und Nobelpreisträger des 20. Jahrhunderts, der für verschließen. (…)Ich bedauere es sehr, oh Muhammad,seine nihilistisch- existentialistischen Lehren bekannt daß ich nicht mit Dir in gleicher Zeit leben konnte! Diewar, dichtete: Menschheit hat ein besonders mächtiges Genie wie Dich einmal erlebt und wird es nie wieder erleben können.„Djemila, Gleichnis und sichtbare Lehre, dass Darum beuge ich mich in Deiner würdevollen Gegen-überall nur Geduld und Liebe uns bis ans wart in vollkommener Ehrfurcht.»“ 20klopfende Herz der Welt gelangen läßt.“ 18 Was die europäischen Denker faszinierte und sie zu denDoch nicht nur der mystische Zugang und der tiefe Mo- Lehren Muhammads hinzog war scheinbar sowohl dienotheismus faszinierten die Abendländer an den Lehren rationale Basis, die Wissbegierde und Forschergeist ak-Muhammads. Für die Staatsmänner und Politiker des tiv unterstützt, sich aber nicht in dieser erschöpfte, wieAbendlandes waren es vor allem die klaren Gesetze des die abendländische Aufklärung, sondern eben nur alsQur‘an, die soziale Ordnung, Gerechtigkeit und Frieden Fundament dazu dienen sollte, um den Menschen aufversprachen, die mit Bewunderung betrachtet wurden. die mystische Reise abheben zu lassen, die ihn schließ-Napoleon Bonaparte beispielsweise sah in den islami- lich im Innersten bewegt und die tiefsten Sehnsüchte desschen Lehren und ihren deutlichen Gesetzen das Poten- menschlichen Geistes und seiner Seele anzusprechential für eine ideale Herrschaft. So bezeichnete Napoleon vermag.den islamischen Propheten als „den höchsten Streiterdes Herzens“ und „den größten Kämpfer der Religio- So haben viele dieser großen europäischen Gelehrten innen“, der die Enthüllung der Existenz Gottes nicht nur ihrem Streben nach Wahrheit und Erleuchtung vielleicht„zugunsten einer Nation, wie Moses oder zugunsten der sehnsuchtsvoll auf eine Persönlichkeit wie Muhammadrömischen Welt, wie Jesus, sondern für den ganzen alten gewartet, der ihnen womöglich den Weg der Vereinba-Kontinent dargelegt hatte“. So schrieb er: „Ich hoffe, die rung zwischen deutlichen Gesetzen und individuellerZeit ist nicht mehr weit, wo ich fähig sein werde, alle Freiheit und zwischen rationaler Vernunft und mysti-seite 40
AUSGABE NR. 139 schem Entflammen weisen hätte Buchtipp zu diesem Thema: können. Stefan Makowski: Allahs Diener in Europa: Denker So schrieb der schottische Essayist, und Dichter im Dialog mit dem Islam. Philosoph und Historiker Thomas 1997, Benzinger Verlag: Zürich, Düsseldorf Carlyle Mitte des 19. Jahrhunderts: „Dieser Mann Muhammed und die- 1 J. W. Goethe: West- Östlicher Diwan, 1819- 1827 ses Jahrhundert -- ist es nicht, als ob 2 Sir George Bernard Shaw in “The Genuine Islam”, ein Funke gefallen wäre, ein Funke Vol. 1, No. 8, 1936. 3 Heinisch, Klaus J. (Hrsg.) Kaiser auf die Welt, die aus schwarzem Friedrich II. in Briefen und Berichten seiner Zeit. Sand zu bestehen schien; aber oh, Hrsg. und übersetzt von Klaus J. Heinisch. Darmstadt, der Sand birgt explosives Pulver, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1972. S.192 ff. das himmelhoch von Delhi bis Gra- 4 Johann Gottfried von Herder: „Ideen zur Geschichte nada lodert. Ich sagte, dass ein gro- der Menschheit“ 1828, Teil IV Kap. „Kultur der ßer Mann immer wie ein Blitz aus Vernunft in Europa“. heiterem Himmel kam; der Rest der 5 Bertrand Russel in ‘History of Western Philosophy,’ Menschheit erwartet ihn wie Brenn- London, 1948, p. 419. stoff -- auf dass er sie entzünde und 6 Siehe dazu Stefan Makowski „ Allahs Diener in entflamme…Die Lügen, die wir in Europa: Denker und Dichter im Diaolog mit dem wohlgemeintem religiösen Eifer Islam“ 1997, Benzinger Verlag, Zürich, s 97 ff. rund um diesen Mann (Muhammad) 7 siehe dazu auch die Studien „Islam and the Divine angehäuft haben, beleidigen nur uns Comedy“ von Miguel Asin Palacios 1968 und „Him- selbst.“ 21 mel- und Höllenfahrt der Seele“ von Navid Kermani 2007. Der Weg Muhammads nach Euro- 8 Rainer Maria Rilke: Brief an Fürstin Marie von pa war von Anfang an von künst- Thurn und Taxis, Ronda, 17.12.1912. lich geschürten Vorurteilen geprägt. 9 Johann Wolfgang Goethe: „West- Östlicher Diwan“, Dennoch fanden viele der größten 18919-1827. Denker der europäischen Geistesge- 10 J.W.Goethe: „West-Östlicher Diwan“ 1819-1827. schichte ihren Weg zu ihm. Welchen 11 R.M. Rilke: „Muhammads Berufung“ 1907. Weg die europäischen Gelehrten 12 aus R.M.Rilke: „Brief des jungen Arbeiters“. der Gegenwart einschlagen werden, 13 Sir Muhammad Iqbal: “Javid Nameh”, 1932. wird nicht nur an der Qualität ihrer 14 aus Arthur Rimbaud „Die Ewigkeit“, 1872. Geister liegen, sondern vor allem 15 Montesquieu: „Persische Briefe“, 1721. auch an jener ihrer Herzen. 16 Montesquieu: „Persische Briefe“, 1721. 17 Friedrich Hegel: „Vorlesungen zur Ästehtik“ seite 41 Kap.: „Muhammedanische Poesie“ 1835-1838. 18 aus Albert Camus: „Hochzeit des Lichts. Impressionen am Rande der Wüste“ Noces, 1938. 19 Napolean Bonaparte zitiert in Christian Cherfils, ‘Bonaparte et Islam,’ Pedone Ed., Paris, France, 1914, pp. 105, 125. Original Referenz: „Correspondance de Napoléon Ier Tome V pièce no 4287 du 17/07/1799“. 20 vgl. Makowski „Allahs Diener in Europa“ 1997, Benzinger Verlag, Zürich, s. 117. 21 Thomas Carlyle: “Heroes and Hero Worship and the Heroic in History”, 1840.
FREITAGSANSPRACHE VON AL - FADSCHR AyATOLLAH DR. REzA RAMEzANI zUM AUTOR: AyATOLLAH DR. REzA RAMEzANI IST ISLAMISCHER THEOLOGE UND RECHTSGELEHRTER UND LEITET SEIT MAI 2009 DAS ISLAMISCHE zENTRUM HAMBURG.lieBe UNd freUNdsCHaftiM islaM ( teil 1)seite 42
Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist der, dass bei einigen Denkweisen dem Erlernen der Liebe und dem Erwerb von Kenntnissen über sie kein großer Wert beigemessen wird. Ein Versäumnis in diesem Be- Lobpreis sei Gott, dem Gepriesenen und Erhabenen, dem reich scheint dabei zu kurzlebigen Pseudofreundschaf- Herrn der Welten, und Sein Frieden und Segen seien mit ten zu führen, die nach einiger Zeit Missbehagen und unserem Propheten Muhammad (s.a.s.), seinen reinen Frust hervorrufen und die menschlichen Gesellschaften Nachkommen (a.s.) und rechtschaffenen Gefährten. mit emotionellen und geistigen Aufwand belasten. Nun, nach Darlegung der Notwendigkeit der Diskussion Eines der essentiellen Bedürfnisse des Menschen, das über das Thema „Liebe und Freundschaft“ sollten wir in seinem seelischen und psychischen Leben in Erschei- uns der Definition von Liebe und Freundschaft und ihren nung tritt, ist das Bedürfnis, zu lieben und geliebt zu Arten zuwenden. werden. Der Mensch ist ein Lebewesen, das neben sei- Liebe ist eine Zuneigung oder Leidenschaft zu etwas, nen materiellen Bedürfnissen wie Wasser, Luft, Essen bei dessen Wahrnehmung ein Genuss entsteht, während und Bekleidung auch seelische und psychische Dinge der Zorn Abscheu und Ablehnung gegenüber etwas be- wie Ruhe, Genuss, Selbstbehauptung, Sympathie, Zuge- deutet, dessen Wahrnehmung Leid und Ungemach in hörigkeit und Liebe braucht. Wichtig ist, dass die seeli- sich birgt. schen und psychischen Bedürfnisse des Menschen wieAUSGABE NR. 139 seine materiellen erkannt und analysiert werden. Man muss wissen, dass zwischen Liebe und Wissen eine Die Psychologen sind der Meinung, dass eines der wich- sehr enge Beziehung besteht. Aus diesem Grunde hat tigsten psychologischen Bedürfnisse des Menschen sein Imam Sadiq (a.s.) laut Überlieferungen gesagt, dass die Verlangen nach Liebe und Freundschaft ist. Wenn dieses Liebe und Freundschaft ein Zweig des Wissens und der Bedürfnis nicht erfüllt wird, wird der Mensch in Un- Erkenntnis sind. 1 Die Liebe ist einer der besonderen Ei- sicherheit, Unruhe und Verwirrung geraten. Vielleicht genschaften eines gesunden und vernünftigen Lebewe- könnte man sagen, dass die Wahl eines Freundes, Grün- sens. Nichtlebewesen besitzen keine Liebe und keinen dung einer Familie, Anfreundung mit anderen Men- Abscheu, denn sie sind nicht fähig etwas zu kennen und schen und Mitarbeitern usw. gerade aus dem Bedürfnis haben kein Wissen. des Menschen nach Liebe und Freundschaft resultiert. Ein Teil dieses Bedürfnisses wird von den Eltern und anderen Mitgliedern der Familie erfüllt und der Rest von Arten der Liebe Freunden und Gleichaltrigen. Dieses Bedürfnis ist ein Ast der Eigenschaft “Selbstliebe“ und liegt auf natürli- Man kann die Liebe in drei Arten unterteilen: che Weise im Wesen eines jeden Menschen. Man beob- achtet dieses Bedürfnis jedoch bei Jugendlichen deutli- 1. durch die Sinne erfahrene oder natürliche cher, weil sie mehr als ältere Menschen sich selber und 2. eingebildete ihr Können und ihre Begabungen zeigen wollen. 3. verstandesmäßige und logische Liebe und Lieben ist eine Kunst, mit deren Feinheiten, Natürliche Liebe: Sie wird durch die Harmonie eines Grundzügen und Richtlinien man sich vertraut machen externen Faktors mit einem der Sinneskräfte (z. B. Hör- muss, da anderenfalls ernsthafte Probleme im Vervoll- sinn, Sehsinn, Geschmackssinn) im Menschen hervor- kommnungsprozess des Menschen hervorrufen werden. gerufen. Dieses Gefühl überkommt ihn zum Beispiel, Aus diesem Grund hat der Allmächtige Gott die Religi- wenn er einen angenehmen Duft wahrnimmt oder eine onen zur Sicherstellung der wahren Liebe der Menschen schöne Stimme hört. bestimmt. Gott hat die religiösen Gebote auf der wahren Liebe aufgebaut. Beispiele dafür sind die Liebe zu Gott, Eingebildete Liebe: Sie ist ein Zustand, bei dem der zu den Propheten Gottes, zu den Unfehlbaren Imamen, Mensch Teilformen (wie Autoritätsliebe und Wollust) den Eltern, zu Frau und Kindern usw. seite 43
in Erfahrung bringt. Diese Art der Liebe ist wesentlich Dieses Verlangen ist auf gewisse Weise mit dem Wunsch AL - FADSCHRstärker als die natürliche, so dass manche Leute auf vie- des Menschen nach Weiterexistenz verbunden. Denn dasle Sinnesgenüsse verzichten, nur um zu der eingebilde- Bemühen zur Vollkommenheit ist ohne das Weiterexis-ten Liebe zu gelangen. tieren nicht denkbar und vorstellbar (d.h. der Mensch will vollkommen werden, dann muss er also zuerst exis-Logische Liebe: Bei dieser Liebe, die dem Verstand des tieren d. Übers.).Menschen entspringt, hat der Mensch zu seiner wahrenStellung gefunden und begonnen, aufgrund der wahren 2. Wohltaten: Anderen Gutes zu tun, erzeugt ZuneigungMaßstäbe eine Person oder eine Sache zu lieben, wie und Liebe. Wenn sich eine solche Wohltätigkeit im Rah-z.B. bei der Liebe zu seinem Lehrer und Wegweiser. men materieller Dinge bewegt (z.B. finanzielle Spen-Diese Art der Liebe beruht nicht auf äußerlichen und den, Beschenken usw.) ist die Liebe und Freundschaftvorübergehenden, sondern auf spirituellen und dauer- entsprechend deren Ausmaße wirksam und langlebig.haften Wenn man aber seine innere Schönheit und seine inne-Dingen. ren Vorzüglichkeiten mit anderen teilt, wird die daraus hervorgehende Zuneigung und Liebe natürlich wesent-Wenn es dem Menschen gelingt, seine Sinnes- und lich tiefer und fester sein.Einbildungskräfte unter Kontrolle der Geisteskräfte zubringen, wird in allen Dingen sein Verhalten anders aus- 3. Schönheit und Pracht: Die Schönheit des Menschensehen und werden sich seine Liebe und sein Zorn quan- wirkt ebenso bei der Hervorrufung von Liebe mit. Dochtitativ und qualitativ anders gestalten. ist darauf zu achten, dass man diese Schönheit nicht nur auf das Äußere einschränken soll, denn eine gute Gesin-Außerdem ist die Liebe bei den einzelnen Menschen nung und das Wissen von Menschen kann nicht von denund zu den verschiedenen Objekten unterschiedlichen äußeren Sinnen erfasst werden. Man kann diese Eigen-Grades. Unsere Liebe zu einer bestimmten Person oder schaften nur mit der inneren Einsicht und im Lichte deseiner Sache kann umso mehr wachsen, je besser wir sie Verstandes erkennen. Aus diesem Grunde lieben zahlrei-(diese Person oder Sache) kennen. che Menschen die Propheten Gottes und die Unfehlba- ren Imame (a.s.), die sehr hohe spirituelle Vollkommen-Die Ursachen der Liebe heiten besitzen, von ganzem Herzen, obwohl sie sie nie gesehen haben. Diese Liebe ist wegen deren spirituellenDie Ethikgelehrten haben verschiedene Ursachen und Qualitäten und Vollkommenheiten zustande gekommen.Gründe für die Liebe angeführt. Zu diesen gehört Selbst- Als weiterer Grund der Liebe ist äußere Wohlgestalt undliebe, Wohltaten sowie Schönheit und Pracht. Im Fol- die Vertrautheit zu nennen.genden befassen wir uns kurz mit diesen Phänomenen. Zu den wichtigen Arten der Liebe und Freundschaft ge-1. Selbstliebe: Es ist logisch und klar, dass jeder ver- hört auch die Liebe der „Folge“ zur Ursache oder dienünftige Mensch sich und seine eigene Person liebt. Liebe von zwei „Folgen“ aufgrund ein- und derselbenDeshalb nehmen die verschiedenen Formen der Selbst- Ursache, worauf wir noch an geeigneter Stelle zurück-liebe wie Liebe zum Leben, Ewigem Sein und Ver- kommen werden.langen nach Vollkommenheit in ihm Gestalt an. Derwissende Mensch wird sich mit tiefer Erkenntnis vom Da die Ursachen der Liebe nämlich Vollkommenheit,eigenen Sein und weil er die Wahrheit der Seele, welche Schönheit und Güte umfassend und unbegrenzt im We-eine ewige Erscheinung ist, akzeptiert hat, nicht mehr in sen des Allmächtigem Gottes vereint sind und alle diesedieser irdischen Welt eingekerkert sehen und sich folg- Eigenschaften in sich existieren, lässt sich daher sagen,lich auf das ewige Leben vorbereiten. Ebenfalls hat der dass hier auch die Liebe zu einem anderen oder etwasMensch ein großes Verlangen nach Vollkommenheit. anderen enden muss. Selbst die Liebe des Menschen zu sich selbst, geht, weil er von Gott erschaffen wurde, in gewissem Sinne auf die Liebe zu Gott zurück. Je mehrseite 44
AUSGABE NR. 139 der Mensch über die Vollkommenheit Gottes erfährt, Wahrheit gibt als Gott, den Höchsterhabenen, ist des- desto mehr wächst seine Liebe zu Gott. Da die Güte und halb jene Wissenschaft, die uns der Erkenntnis Gottes, Großmütigkeit Gottes nicht aus Not oder Vorteilssuche des Gepriesenen, einen Schritt näher bringen kann, die geschieht, sollte die wahre Liebe des Menschen sich auf beste. Dies kann mit Hilfe der Philosophie und Gnosis Gott richten. Hinsichtlich der Schönheit Gottes und die erreicht werden. Die Wissenschaft der Gnosis befasst Schönheit seiner vielen Namen lässt sich entsprechend sich mit dem Erkennen des Wesens, der verschiedenen das gleiche sagen. Namen und Eigenschaften Gottes und ist deshalb eine der höchsten Wissenschaften. Man muss erwähnen dass Die absolute Pracht Gottes ist nach Beschreibung von Gnostiker - im Gegenteil zu den Philosophen, die auf Sadr-ol-Mote‘allehin (Mulla Sadra) einer Art, dass „die- Logik und Argument beharren - auf dem Wege des Her- jenigen, die Gott lieben, sich ihrem Geliebten (Gott) je- zens, der angeborenen Liebe, Illumination und Reini- den Tag mehr und mehr nähern, wobei ihre Leidenschaft gung des Herzens durch Zufriedenheit mit den Geboten und Liebe wächst. Aber die Liebe derjenigen, die nicht bestehen. Sie streben auf diese Weise nach Läuterung Gott lieben, gleicht einer Fata Morgana, die der Dursti- des Herzens und Erreichung der Wahrheiten der Welt. ge für Wasser hält: Er eilt zu ihr hin, aber findet nichts, Aber zugleich ist zu beachten, dass von den verschiede- wenn er sie erreicht hat. Aus diesem Grund ist die Lie- nen Wegen der Weg des Argumentes und Beweises den- be, die nicht im Zusammenhang mit der Liebe zu Gott noch der beste und festeste Weg ist, auch wenn er wegen steht, nichts anderes als eine Fata Morgana.“ 3 Im Hei- der einleitenden Schritte mit Schwierigkeiten verbunden ligen Qur’an steht “Sprich: Wenn eure Väter und eure sein mag. Denn er kann als ein geordnetes Wissen ge- Söhne und eure Brüder und eure Frauen und eure Sippe lehrt und erlernt werden und die komplizierten Fragen und das von euch erworbene Vermögen und die Ware, der Vernunft über den Nachweis des Schöpfers, den Ge- deren Unverkäuflichkeit ihr befürchtet und die Wohnun- genbeweis zu der Theorie von einer geschlossenen Ur- gen, die euch gefallen, euch lieber sind als Allah und sache-Wirkungs-Kette usw. beantworten. Eine Antwort Sein Gesandter und das Bemühen auf Seinem Weg, dann auf diese und ähnliche Fragen mit Sinnen, Erfahrung, wartet, bis Allah mit Seinem Befehl kommt. Und Allah Herz und Veranlagung ist nicht möglich und denkbar. gibt den Lasterhaften keine Rechtleitung.“ (At-Tawba, 24). Im Qur’an wurde große Zuneigung zu Gott, was Die Merkmale der Liebe des Menschen zu Gott gleichbedeutend mit der Liebe ist, erlaubt: „Die Gläubi- gen lieben Gott mehr.“ (Al-Baqara, 165). Nach der Leh- Die Liebe und Freundschaft zu Gott hat, wie die an- re des Qur’an soll der Maßstab der gläubigen Menschen deren Erscheinungen, ihre eigenen Merkmale. In bezüglich der Liebe und Freundschaft die Art und Weise Qur‘anversen und in einigen Überlieferungen wurden der Liebe zu Gott sein. einige dieser Merkmale erwähnt und gezeigt. Darunter kann auf folgende Merkmale hingewiesen werden: Die Wege zum Erwerb der Gottesliebe 1. Nichtsündigen: Der Gott liebende Mensch entfernt Gemäß den islamischen Quellen und Ansichten der is- sich von jeder Sünde, weil die Sünde ihn von seinem lamischen Wissenschaftler und religiösen Philosophen Geliebten (Gott) fernhält. Imam Sādiq (a.s.) sagt in ei- erscheint die Liebe zu Gott in zwei Formen: einer theo- nem ihm zugeschriebenen Gedicht: „Du gehorchst dei- retischen und einer praktischen. nem Gott nicht, während du behauptest, Ihn zu lieben. Theoretisch legt der Islam nicht nur besonders viel Das ist etwas Unmögliches und Unvereinbares. Wenn du Wert auf Wissen und Erkenntnis, sondern sieht in der Ihn wahrhaft lieben würdest, würdest du Ihm gehorchen Erkenntnis Gottes die höchste Stufe des Wissens. Imam und Seinen Geboten folgen, denn der Liebende gehorcht Ali (a.s.) sagt in diesem Zusammenhang „Das höchste seinem Geliebten (Gott). 4 Wissen und die oberste Weisheit ist das Erkennen Got- tes.“ 3 Denn der Wert jeder Wissenschaft wird an ihrem Inhalt und ihrer Wahrheit gemessen. Da es keine höhere seite 45
2. Gott gehorchen und sich Ihm un- und seiner Familie. In einer Über- auf den Herrn zu, und so wirst ihm AL - FADSCHRterordnen: Die wahrhafte Liebe ver- lieferung vom Propheten heißt begegnen.“ (Al-Inshiqaq, 6). In ei-anlasst den Menschen, Verantwor- es: „Die Liebe zu mir und meiner nigen Gebeten, wie in Monadschāttung in Bezug auf die Wünsche und Familie kann in sieben Furcht er- Schaabāniya, aber auch in einigenden Willen des Geliebten (Gott) zu regenden Fällen für euch nützlich Versen der Sure An-Najm gibt esverspüren. Sowohl innerlich als auch sein: beim Sterben, im Grabe, bei andere Auslegungen und Bedeu-äußerlich bemüht er sich daher, die- der Auferstehung aus den Grä- tungen für die Begegnung mit demsen Wünschen Folge zu leisten. bern, beim Buch eurer Taten, bei Gott. Das sind: Begegnung im Tod, der Bewertung eurer Taten in die- Begegnung mit der Güte und Gna-3. Liebe zu den Führungsbeauftrag- ser Welt, bei der Überquerung der de Gottes, Begegnung mit den Füh-ten Gottes und Seinen Freunden: Sarat-Brücke und am Auferste- rungsbeauftragten und FreundenWie bereits vorher erwähnt wurde, hungstag.“ 5 Man sieht insgesamt, Gottes usw..bewegt sich die Liebe zu den Füh- dass der Lohn der Liebe zu derrungsbeauftragten Gottes und Seinen Prophetenfamilie (a.s.), der Ver- 5. Oftmaliges Gott-Eingedenk-Sein: Propheten usw. auf dem Weg der Lie- vollkommnung und Gesundung Der Gott liebende Mensch ist wiebe zu Gott. Im heiligen Qur’an be- der Menschen gilt, deren Segen der Liebende, der ständig an seinekräftigt Gott im Zusammenhang mit allen Menschen zugutekommt. In Geliebte denkt. In einer Überlie-der Liebe zum Propheten und seiner der Sure Al-Furqan, wird im Vers ferung vom Propheten des Islamsgeehrten Familie: „(Du Prophet!) 57: „Sprich, ich verlange dafür steht: „Wer Gott liebt, ist oft SeinerSag: Wenn ihr Gott liebt, dann habt keinen anderen Lohn von euch, als eingedenk.“ Das Gott-Eingedenk-ihr mir zu folgen, damit Gott auch dass, wer immer will, den Weg zu Sein (z.B. durch Wiederholen Seinereuch liebt.“ (Al-Imran, 31). In einem seinem Herrn einschlägt“ implizit Namen – d. Übers.) bringt das Herzweiteren Vers steht unter anderem, gesagt, dass die Liebe zur Prophe- auf Glanz und macht es zum Ge-dass der Prophet zu der Umma sagen tenfamilie das Mittel ist, den richti- mach des Geliebten (Gott).soll: „ Ich verlange nicht von Euch gen Weg zu Gott zu finden und sichden Lohn des Prophetentums, son- auf diesem Weg zu vervollkomm- 6. Vertraulichkeit mit dem Geliebten:dern ich erwarte lediglich, dass ihr nen. Die Liebe zu dem Erhabenen Bei oftmaligem Gott-Eingedenk-meine Familie liebt.“ (Asch-Schura, Propheten (s.a.s.) und seiner Fami- Sein findet der Mensch an der Sei-23). Zur Begründung, warum man lie schafft die Grundlagen für die te seines Geliebten (Gott) zu Ruheden Propheten und seine Familie Selbstveredlung des Menschen auf und Geborgenheit. Wenn er sichlieben soll, lässt sich vielleicht das den verschiedenen Ebenen und sei- dem Willen Gottes ergibt, kann erzuvor Gesagte heranziehen, denn die ne Annäherung an Gott. Sie stellt dadurch Gott zufrieden stellen. EinGründe für Liebe wie Wohltätigkeit in gewissem Sinne die Mittel zur solcher Mensch akzeptiert die Gebo-und Schönheit sind um ein Vielfa- Übertragung der Eigenschaften des te Gottes freiwillig und mit offenenches mehr und vollständiger in ihnen Geliebten auf den Liebenden bereit Armen und macht die Worte Gottesvereint (als bei anderen Menschen). und ermuntert den Menschen, in zum Heiltrunk gegen die dunklenSie erwarten keinen Vorteil und Ge- Richtung der Einheit Gottes (Tau- Flecke in seinem Herzen. Er wirdwinn für ihre Gutmütigkeit und für hid) zu gehen. – wie in den islamischen Überliefe-ihre Wohltaten. Überdies sind sie das rungen steht - ganz vertraut mit demMusterbeispiel für die Reinheit und 4. Sehnen nach Begegnung mit Wort Gottes und Seinem HeiligenErgebenheit gegenüber Gott. Des- Gott: Eines der Merkmale eines Qur’an. In einigen Überlieferungenhalb ist ihre innere Schönheit, weil aufrichtig Liebenden ist, dass er wurde empfohlen, dass man täg-sie aus dem Wissen und der Fähig- sich nach dem Treffen mit Gott, lich das Ahde Ilahi (den göttlichenkeit zur Selbstveredlung hervorgeht, dem Höchsterhabenen sehnt. Der Bündnisbrief), nämlich den Qur’anhöchsten Grades. Aus diesem Grund heilige Qur’an sagt in diesem betrachten und mindestens 50 Versesteht in den Überlieferungen vieles Zusammenhang: „O Mensch, du lesen soll.über die Liebe zu dem Propheten strebst mit all deinen Bemühungen 7. Abgeschiedenheit und Anf lehung:seite 46
Der Liebende sehnt sich danach, Zorn Gottes gegenüber den Dienern seinen Geliebten (Gott) in Abge- das Erscheinen Seiner Strafe und schiedenheit und in Gebeten und Vergeltung und Seine Liebe ist Seine Anflehung zu treffen. In Überliefe- Barmherzigkeit und Güte (Nur Gott rungen ist zu lesen, dass Gott dem ist der Allwissende). 8 Propheten Moses sagte: „Derjenige, der behauptet mich zu lieben, aber in Jedenfalls müssen wir wissen, dass der Nacht im Bett liegt ohne an mich das Feld unseres Fassungsvermö- zu denken, der lügt. Wollen die Lie- gens sehr beschränkt ist, während benden nicht mit ihren Geliebten in die göttliche Liebe keine Grenzen Abgeschiedenheit allein sein? 6 kennt. Deshalb sind wir unfähig, die Tiefe der Wahrheit der Liebe Gottes Die Liebe Gottes zu Seinen Ge- zu Seinen Geschöpfen zu begreifen. schöpfenAUSGABE NR. 139 Zweifellos liebt der Gott Seine Ge- schöpfe. Er beginnt sogar als erster zu lieben. Der Heilige Qur’an sagt: “Er liebt sie und sie lieben ihn.“ (Al-Ma’ida, 54). Diese Art der Lie- be Gottes entspringt Seinem Wesen, weil er seine Geschöpfe liebt und die Menschen Erzeugnis seines Wirkens sind. Allameh Tabatabai bestätigt den Gedanken, dass Gott die Men- schen liebt, weil sie Seine Güte und Seine Rechtleitung akzeptiert haben und Gott Seine Geschöpfe auch aus Seiner Liebe zu Sich selbst liebt (wie jeder andere Schöpfer, der sein Werk liebt - d. Übers.) Es gibt jedoch auch eine andere Art des Liebens, und die- se tritt nach der Gehorsamkeit ein, so wie der Heilige Qur’an spricht:“ Sag, wenn ihr Gott liebt, leistet mir Folge, damit auch Gott euch liebt.“ 7 Insgesamt ist zu beachten, dass ge- 1 Mesbah Al-Shariah, S. 119. mäß der Argumentation der Theoso- 2 Mulla Sadra; Asfār al-Arba’a, Bd. 7, S. 186. phen und Ansichten großer Persön- 3 Ghorar Al-Hekam, S. 81; Mizan Al-Hikmah, Bd. lichkeiten wie Imam Khomeini (r.a.) 6, Überlieferung 11935. immer wenn die Begriffe „Liebe“ 4 Bihār-ul Anwar, Bd. 7, S. 15. und „Zorn“ auf Gott den Erhabe- 5 Mizan Al-Hikmah, Bd. 2, S.237, Überlieferung nen angewandt werden, sie auf einer 3203. solchen Stufe und nicht im üblichen 6 Mizan Al-Hikmah, Bd. 2, S. 225, Überlieferung Sinne zu sehen sind. Daher ist der 3152. 7 Tafsir Al-Mizan, Bd. 1, S. 411. 8 Khomeini, Ruhollah; Arb`ain, S. 390. seite 47
Qur’anverständnis Übersetzung & Erläuterung ﴾ ﴿Ash-Shu‘ara (Verse 1-6) ِ ِ ِ ْ ِ ا ـ ِ ا ْ َـٰ ِ ا ﴾3﴿ َ ِ ِ ْ ُ ا ُ ُ َ ٌ َْ َا ََِ َ َ ﴾2﴿ ِ ِ ُ ْ آ َ ُت ا ْ ِ َ ِب ا َ ِْ ﴾1 ِذ ْ ٍ َ ا ِ ْٔ َ َ ﴾ َو4﴿ َ ِِ َ َ َ ْ ُ ُ َ ْ ا َ ِء ٓا َ ً َ َ ْ ا َ َُ ِ ْ َ َ َ ْٔ ُ َ ْل ِ َٰ ـ ْ ﴾6﴿ ْ َ ْ ِ ُ َن َ ِِ ُاِ َ َ ْ ا َ ُء ِ ِ ْٔ َ َ َ ﴾ َ َ ْ َ ُ ا5﴿ َ ِ ِ ْ ُ ُ ْ َ ا إِن AL - FADSCHR ُِ ْ َ ٍث ٕا Übersetzung (1) Taa Sien Mim (2) Dies sind die Zeichen (Verse) des deutlichen Buches. (3) Du magst dich noch selbst umbringen, weil sie nicht gläubig sind. (4) Wenn Wir wollten, könnten Wir vom Himmel ein Zeichen auf sie hinabsenden, so dass sich ihre Nacken davor unterwerfen würden. (5) Keine neue Ermahnung kommt vom Erbarmer zu ihnen, ohne dass sie sich davon abwenden. (6) Sie haben (sie) ja für Lüge erklärt. So wird zu ihnen die Kunde kommen von dem, wor- über sie immer wieder gespottet haben Umschrift Bismi Allāhi Ar-Raĥmāni Ar-Raĥīmi (1) Ţā-Sīn-Mīm (2) Tilka ‚Āyātu Al-Kitābi Al-Mubīni (3) La`allaka Bākhi`un Nafsaka ‚Allā Yakūnū Mu‘uminīna (4) ‚In Nasha‘ Nunazzil `Alayhim Mina As-Samā‘i ‚Āyatan Fažallat ‚A`nāquhum Lahā Khāđi`īna (5) Wa Mā Ya‘tīhim Min Dhikrin Mina Ar-Raĥmāni Muĥdathin ‚Illā Kānū `Anhu Mu`riđīna (6) Faqad Kadhdhabū Fasaya‘tīhim ‚Anbā‘u Mā Kānū Bihi Yastahzi‘ūnseite 48
AUSGABE NR. 139 Erläuterung (Verse) des deutlichen Buches.“ Das Wort „tilka“ ist ein Demonst- Die Sure „Ash-shu´ara“ ist die 26. rativpronomen, das sich auf etwas Sure des heiligen Qur’an und zählt Entferntes bezieht und bedeutet zu den mekkanischen Suren, also zu wörtlich jenes oder jene. Andrerseits jenen, die in Mekka zu Beginn der wird diese Art des Demonstrativpro- Berufung des Propheten herabge- nomens in der arabischen Sprache sandt wurden. auch als Ausdruck für die Größe und Ganz allgemein ist zu sagen, dass Wichtigkeit einer Sache verwendet. die Sure „Ash-Shu´ara“ dem Pro- Somit will der Vers sagen, dass die pheten Trost und Zuspruch spendet. Inhalte und Weisheiten des Qur’an Dieser wurde nämlich von seinem eine sehr hohe Stufe innehaben. eigenen Volk als Dichter, Zauberer Außerdem wird der Qur’an als „mo- und Verrückter verunglimpft und bin“ (deutlich) beschrieben. Dieses sein heiliges Buch für Lüge erklärt. Adjektiv ist vom Wort „bayan“ ab- Er war den größten Schwierigkeiten geleitet und weist darauf hin, dass ausgesetzt, so dass er selbst sagte: die Größe und das Wunder des „Kein Prophet wurde so gequält wie Qur’an offensichtlich ist, so dass der ich.“ Mensch je mehr er sich mit dessen Inhalt auseinandersetzt, überzeugter 1.) Taa Sien Mim wird, dass es sich bei diesem Buch Über die Bedeutung der Buchsta- um ein Wunder handelt. benfolgen (Hurufol-moghata´a) am Darüber hinaus erklärt und zeigt Anfang einiger Suren (insgesamt in der Qur’an deutlich den Weg zum 29 Suren) gibt es verschiedene The- Glück, zum Sieg und zur Rettung orien, wovon wohl die Beste jene ist, vor Irrwegen und wird auch deswe- die besagt, dass Gott durch die Ver- gen als „mobin“ bezeichnet. wendung dieser Buchstaben zeigen Es ist zu beachten, dass derselbe möchte, dass der Qur’an, das ewige Vers ohne irgendeine Veränderung Wunder des Propheten, aus diesen am Anfang der Sure „Yusuf“ und einfachen Buchstaben besteht. Wenn „Al-Qasas“ vorkommt, und zwar ihr könnt, so verfasst mit denselben wiederum in Verbindung mit einer arabischen Buchstaben ein Buch wie Buchstabenfolge, was zeigt, dass den Qur’an. zwischen den Buchstabenfolgen und der Größe und Besonderheit des 2.) Im nächsten Vers wird folgen- Qur’an eine Verbindung besteht. dermaßen auf die Größe und Be- sonderheit des Qur’an aufmerksam gemacht: „Dies sind die Zeichen seite 49
3.) Im dritten Vers spendet Gott stehen und dennoch vor Durst AL - FADSCHR dem Propheten Trost und sagt: „Du schreien. magst dich noch selbst umbringen, Er war traurig darüber, wie es mög- weil sie nicht gläubig sind.“ lich ist, dass ein vernunftbegabter Diese Aussage spiegelt die unglaub- Mensch in die Irre geht, sich selbst liche Besorgnis des Propheten wie- in den Abgrund stürzt und vernich- der. Es ist, als ob der Prophet mit tet, obwohl er von hellem Licht um- einem Menschen verglichen wird, geben ist. dessen engste Angehörige sich von An dieser Stelle scheint es ange- ihm trennen und er ihnen mit großer bracht einige Beispiele für die Be- Wehmut von hinten nachblickt. mühungen, Schwierigkeiten und die Einige Qur’aninterpreten sind der Geduld des Propheten, welche er für Meinung, dass der Offenbarungsan- die Rechtleitung der Menschen auf- lass dieses Verses darauf zurückgeht, wandte, aufzuzählen. dass der Prophet die Leute aus Mek- Der heilige Prophet des Islam ka immer wieder zum Glauben an (s.a.s.), der seinen Vater schon in den einen Gott aufrief, diese sich je- jungen Jahren verloren hatte und im doch nicht bekehren wollten. Dieser Leben mit vielen Schwierigkeiten Umstand betrübte den Propheten so konfrontiert war, bemühte sich sehr sehr, dass man ihm seinen Kummer auf dem geraden Weg standhaft zu sogar am Gesicht ansehen konnte, bleiben. Sein Verhalten war in An- woraufhin dieser Vers herabgesandt betracht der damaligen Zeit so be- wurde, um den Propheten zu trösten. sonders, dass seine Freundlichkeit Der Begriff „bakhe´“ beschreibt ei- und Gutmütigkeit in aller Munde nen Zustand, wo der Mensch vor lau- war und er aufgrund seiner Ehrlich- ter Trauer und Kummer sich selbst keit und Vertrauenswürdigkeit als aufgibt. Die Bedeutung des Verses „Muhammad Amin“ (Muhammad, lautet daher: Dein Zustand lässt er- der Vertrauenswürdige) Bekanntheit kennen, dass du aus Gram darüber, erlangte. Im Alter von vierzig Jahren warum sie nicht an die Verse glau- wurde er in Mekka zum Propheten ben, die auf dich herabgesandt wur- ernannt und zwar zu einer Zeit, in den, am liebsten vergehen möchtest. der die Menschen der gesamten ara- Das zeigt, wie sehr der Prophet um bischen Halbinsel in Unwissenheit die Menschen besorgt und in der gefangen waren. Ausführung seiner Gesandtschaft Umso lauter der Ruf des Propheten konsequent und standhaft war. Es mit der Zeit wurde, desto mehr wur- erfüllte ihn mit großem Schmerz mit de er von seinen Gegnern bekämpft. anzusehen, wie die durstigen Seelen Trotz dessen scheute der Prophet neben der reinen Quelle des Qur’an keine Mühen, wenn es um die Ver-seite 50
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