URBAN LEBEN  PROJEK TE . ENT WICKLUNGEN . INNOVATIONEN
URBAN LEBEN  PROJEK TE . ENT WICKLUNGEN . INNOVATIONEN    Herausgegeben von  Tilo Hellinger  INVENTIO Projectpartner GmbH    Mit Fotografien von  Harf Zimmermann  Gespräche mit  László Ambrus  Ulrike Brand  Peter Cachola Schmal  Oliver Collignon  Tilo Hellinger  Sebastian Höft  Stefan Höglmaier  Jens C. Laub  Ulf D. Laub  Kai-Uwe Ludwig  Jürgen Mayer H.  Elisabeth Merk  Matthias Ottmann  Ingo Pott  Renate Preßlein-Lehle  Bert Rürup  Redaktion  Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen
11	VORWORT    17	MEHR MUT ZU QUALITÄT UND INNOVATION  		 Tilo Hellinger    		 IMMOBILIENZ YKLEN    23	 10 JAHRE IMMOBILIENBOOM – UND NUN?  		 Ein Gespräch über die Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt seit der  		 Finanzkrise mit Prof. Dr. Bert Rürup, Handelsblatt Research Institute    		 QUARTIERSENT WICKLUNG    26	 PROJEKT: NYMPHENBURGER HÖFE, MÜNCHEN  3	 5	 DAS MÜNCHNER DILEMMA  		 Ein Gespräch über Qualität in der Bauträger-Architektur und  		 die Herausforderungen bei der Entwicklung neuer Quartiere  		 mit Dr. Ulf D. Laub und Dr. Jens C. Laub, Optima-Aegidius-Firmengruppe    		 ARCHITEK TONISCHE QUALITÄT    40	 PROJEKT: JOHANNIS 3, BERLIN  47	 „WENN ES BEIGE IST, FUNKTIONIERT ES MEISTENS GUT.“  		 Ein Gespräch über Wohnungsbau im Spannungsfeld von Architekt,  		 Bauträger und Immobilienmarketing mit Peter Cachola Schmal  		 (Deutsches Architekturmuseum), Jürgen Mayer H. (Architekt, Berlin)  		 und Stefan Höglmaier (Euroboden)  52	 PROJEKT: OE, BERLIN
URBANE DÖRFER    	 59	  NEUE ENSEMBLES  		     Ein Gespräch über Nachverdichtung in der Vorstadt und die Vorteile  		     der Mischnutzung mit Prof. Dr. Matthias Ottmann, TU München    	 62	 PROJEKT: INBAL ANCE, MÜNCHEN    	 66	 PROJEK T: WILL N° 16, MÜNCHEN    		 W O H N T Ü R M E    	 79	  MÜNCHEN BLEIBT MODERAT  		     Ein Gespräch über die Wohnungsmisere in der bayerischen  		     Landeshauptstadt und die Zukunft des Hochhauses mit  		     Prof. Dr. Elisabeth Merk, Stadtbaurätin von München    	 83	  „ES LOHNT SICH, DEM PROJEKTENTWICKLER AUCH  		     EINMAL ZU VERTRAUEN.“  		     Ein Gespräch über den IN-Tower und die Zukunft  		     des Wohnturms mit Kai-Uwe Ludwig, 6B47 Germany    	 86	 PROJEKT: IN-TOWER, INGOLSTADT    	 93	  „DAS IST DER MASSSTAB, DER IN UNSERE STADT PASST.“  		     Ein Gespräch über die Renaissance der Wohntürme mit  		     Stadtbaurätin Renate Preßlein-Lehle und Ulrike Brand,  		     Referat für Stadtentwicklung Ingolstadt    		 WOHNEN AM WASSER    	 96	 PROJEKT: HUMBOLDT-INSEL , BERLIN  	105	 WATERWORLD  		 Tilo Hellinger    	108	 PROJEK T: STADTL ANDFLUSS, BERLIN
VON DER FABRIK ZUM WOHNLOF T    	115	 LICHT INS DUNKEL DER FABRIKETAGE  		 Ein Gespräch mit dem Architekten Oliver Collignon  		 über Transformation und die Frage, was schöne  		 Räume auszeichnet    	118	 PROJEK T: SPREELOF TS, BERLIN    1	 27	 „DAS NEUE MACHT MÖGLICH,  		 DASS DAS ALTE AM LEBEN BLEIBT.“  		 Ein Gespräch über den Mythos Berlin und den  		 Wandel der Stadt am Beispiel der Opernlofts  		 mit dem Architekten Ingo Pott    	130 	 PROJEK T: OPERNLOF TS, BERLIN    		 INTERIOR DESIGN    1	 42 	  DREI KUBEN IN EINEM LOFT  		       Der Architekt László Ambrus über sein Konzept  		       für das Inventio-Loft    		 ZUKUNF T DES WOHNENS    	151 	 SMART HOME – ZUKUNF TSTECHNOLOGIE ODER RISIKO?  		 Tilo Hellinger    		 WANDEL DER BR ANCHE    	157 	 IMMOBILIENMARKETING NACH DEM DIGITAL TURN  		 Ein Gespräch mit Tilo Hellinger (Inventio) und  		 Sebastian Höft (Property Company)    	162 	 PROJEKTÜBERSICHT
VORWORT    Wie wollen bzw. wie werden die Menschen in Zukunft wohnen? Welche Anforderungen  an die Entwicklung von Wohnimmobilien ergeben sich daraus? Wird sich der Druck auf die  Metropolen weiter verstärken? Sind Hochhäuser oder gar das Wohnen auf dem Wasser Lö-  sungsansätze für die Wohnungsmisere? Muss steigende Nachfrage mit sinkender architek-  tonischer Qualität einhergehen? Wie verändert die Idee vom Smart Home die Bau- und die  Immobilienbranche? Und welche Einflüsse haben all diese Themen auf die Arbeitsweise und  das Berufsbild von Immobilienvertrieben und Projektentwicklern in der heutigen Zeit? Mit  diesen Fragen bin ich als Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Inventio Tag  für Tag konfrontiert. Wenn man wie wir Wohnungsbauprojekte bis zur Vermarktungsreife  mitentwickelt und verkauft, sammelt man viele Eindrücke, stellt sich Fragen, entwickelt  Ideen und beobachtet Missstände. So ist die Idee entstanden, einige mir besonders virulent  erscheinende Themen aus dem Bereich des Wohnungsbaus genauer unter die Lupe zu neh-  men und mit ausgewiesenen Fachleuten zu diskutieren. Äquivalent zu diesen Gesprächsthe-  men werden 10 Projekte gezeigt, an denen wir als Immobiliendienstleister seit Gründung  der Inventio vor 10 Jahren mitgewirkt haben.  Für ein solches Unterfangen haben wir uns im Redaktionsteam nicht nur intensiv Gedanken  über die Schwerpunktsetzung der Themen und die Auswahl der Projekte gemacht, sondern  auch über dafür prädestinierte Gesprächspartner. Es freut mich sehr, dass es gelungen ist, so  namhafte Persönlichkeiten für das Buch zu gewinnen. Dabei war es mir besonders wichtig,  Vertreter verschiedener Professionen – aus der Bauträger- und Projektentwickler-Branche,  der Architektenschaft, den kommunalen Bauverwaltungen und nicht zuletzt der Wissen-  schaft – zu versammeln. Sie alle blicken aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema  Wohnungsbau und führen in Form dieses Buches einen gemeinsamen, kritischen Diskurs, an  dem es in der Wohnungsbau- und Immobilienbranche noch allzu oft fehlt.    Im Lauf der Zeit haben sich meine Wege mit vielen Menschen gekreuzt, einige davon haben  bleibenden Einfluss auf meine Entwicklung gehabt. Anfang der 1990er-Jahre besuchte ich  als Student die Vorlesungen von Professor Dr. Bert Rürup, der damals Gastprofessor an der  Technischen Hochschule Leipzig war, sozusagen als „Aufbau-Ost“-Maßnahme im Rahmen  einer Partnerschaft mit der Technischen Universität Darmstadt. Diese Vorlesungen waren  Erweckungserlebnisse. Es waren nicht die üblichen theoretischen, oft recht uninspirier-  ten Vorträge von Dozenten, die bereits vor 1990 gelehrt und die Hochschulwelt noch nie  verlassen hatten. Als Student hörte ich hier lebendige Beispiele aus der realen Wirtschaft,  erläutert von einem Mann, der zu den fünf Wirtschaftsweisen gehörte. Insofern schließt  sich der Kreis rund 25 Jahre später, da es uns gelungen ist, Bert Rürup, heute Präsident des  Handelsblatt Research Institute, für ein Gespräch zum spannenden Thema der Zyklen im Im-  mobilienmarkt zu gewinnen.                                                                                                                                                                  11
Alle Gesprächspartner in diesem Buch haben mich auf dem beruflichen Weg der letzten Jah-  re begleitet und durch konstruktiven Austausch inspiriert. Ohne sie hätte dieses Buch nicht  entstehen können, daher möchte ich mich an dieser Stelle – in der Reihenfolge der Inter-  views bzw. Beiträge – bei ihnen allen sehr herzlich bedanken:    Prof. Dr. Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institute  Dr. Jens C. Laub und Dr. Ulf D. Laub, Vorstände der Optima-Aegidius Firmengruppe  Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums  Stefan Höglmaier, Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der Euroboden GmbH  Jürgen Mayer H., Architekt  Prof. Dr. Matthias Ottmann, Honorarprofessor an der TU München  Prof. Dr. Elisabeth Merk, Stadtbaurätin von München  Kai-Uwe Ludwig, Vorsitzender der Geschäftsführung der 6B47 Germany GmbH  Renate Preßlein-Lehle, Stadtbaurätin von Ingolstadt, und Ulrike Brand,  Referat für Stadtentwicklung der Stadt Ingolstadt  Oliver Collignon, Architekt  Ingo Pott, Architekt  László Ambrus, Architekt  Raphael Tkacz, Connected Comfort  Sebastian Höft, Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter  der Property Company GmbH    Die Gespräche führten Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen, denen ich an dieser  Stelle für ihre journalistische Unterstützung und Geduld ganz besonders danken möchte.  Begleitet wird das Buch visuell im Wesentlichen mit Aufnahmen von Harf Zimmermann, der  als einer der letzten Fotografen auf ganz traditionelle, schon fast altmodisch analoge, dafür  aber umso brillantere Art und Weise mit seiner Großbildkamera die ausgewählten Projekte  festgehalten und dokumentiert hat. Dafür danke ich ihm sehr herzlich.  Das Layout wurde von Marc Naroska und seinem Team aus dem Amerika Haus in Berlin über-  nommen. Marc hat nicht nur sein hervorragendes Gespür für Gestaltung und Material ein-  gebracht, sondern war auch immer das pragmatische und verbindende Element im Kreis der  Künstler und Kreativen. Ihm möchte ich für das Layout und die Unterstützung bei der Reali-  sierung meiner Idee ganz herzlich danken.    Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen, Betrachten und Diskutieren und freue mich über  jede Form von Feedback oder Anregungen.    Tilo Hellinger, Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter  der Inventio Projectpartner GmbH    12 VORWORT
Erdarbeiten für das neue Projekt  „Livingstone“. Bis Ende 2020  entstehen 41 Wohneinheiten in  der Kopenhagener Straße,  Berlin-Prenzlauer Berg.    14
MEHR MUT ZU QUALITÄT UND INNOVATION  Tilo Hellinger    Wir leben in Zeiten, in denen das Thema Wohnen in der Stadt große politische Brisanz be-  sitzt. Kaum ein anderes Thema hat heute in Deutschland mehr sozialen Sprengstoff. Es ist  mir deshalb ein Anliegen, nicht nur zu feiern, was die Inventio als Service Developer und  Vermarkter bei hochwertigen Wohnungsbauprojekten geleistet hat. Ich möchte mit diesem  Buch einen Beitrag zum Diskurs leisten, wie die Lage substantiell verbessert werden könnte  und wo die Ursachen für die derzeitige Situation zu suchen sind, in der ein beispielloser Im-  mobilienboom und eine massive Immobilienkrise Hand in Hand zu gehen scheinen.  Die Immobilienbranche ist, wie alle Bereiche unseres Lebens, den demographischen Ent-  wicklungen, der Digitalisierung und der zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitswelt un-  terworfen. Zu diesen Entwicklungen gehört auch das enorme Wachstum der Einwohner-  zahlen in den sogenannten A- und B-Städten, ein Ergebnis von Wanderungsbewegungen  in die Metropolregionen. Daraus resultiert der zunehmende Mangel an Wohnraum, insbe-  sondere an bezahlbarem Wohnraum. Die Muster gleichen sich dabei an vielen Standorten,  persönlich beurteilen kann ich sie jedoch besonders gut in München und Berlin, weil wir als  Inventio in diesen Märkten seit vielen Jahren tätig sind.  Wenn die Verantwortlichen in der Bundes- aber auch in der Landespolitik sowohl in Mün-  chen als auch in Berlin heute einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum beklagen, wird oft  die Privatwirtschaft für diese Situation verantwortlich gemacht. Dabei fällt unter den Tisch,  dass Politik und öffentliche Verwaltung durch Fehleinschätzungen künftiger Entwicklun-  gen dazu beigetragen haben, dass es zu diesem Engpass kommen konnte. Gerade in Berlin  wurden unter dem Druck knapper Kassen die Grundstücke und Immobilienbestände, die sich  in städtischem und staatlichem Besitz befanden, lange Zeit meistbietend versteigert. Dabei  ging es ausschließlich um die Maximierung der Kaufpreise für die Öffentliche Hand und ihre  Institutionen, wie z. B. den Liegenschaftsfonds.  Jetzt stellt man überrascht fest, dass auf den teuer verkauften Grundstücken im Wesentli-  chen hochpreisige Eigentums- und keine günstigen Mietwohnungen entstanden sind.  Während die Stadt München zumindest durch das sogenannte „München Modell“ bereits  seit Jahrzehnten dafür gesorgt hat, dass bei der Baurechtsschaffung über das Instrument  der Sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN) eine Sozialquote von bis zu 40 % und damit die  „Münchner Mischung“ realisiert wird, haben die Verantwortlichen in Berlin die entsprechen-  de Notwendigkeit viel zu spät erkannt und erst 2014 mit dem Berliner Modell der koope-  rativen Baulandentwicklung in Angriff genommen. Dafür wird in Berlin nun versucht, der  Privatwirtschaft die Lösung des Wohnungsnotstandes zu übertragen. Während die Projekt-  entwickler hier bis vor kurzem den Launen und Bedürfnissen einzelner Bezirksbürgermeister  ausgeliefert waren, die oft erst nach Grundstückskauf und weitestgehend ohne verbindli-  che Rechtsgrundlage verschiedene Auflagen an die Erteilung des Baurechts knüpften, trägt  das Vorgehen der Behörden in der Hauptstadt inzwischen Züge von sozialistischen Enteig-  nungsverfahren. Vorkaufsrechte werden nicht mehr nur ausgeübt, um städtische Behörden  unterzubringen oder bezahlbaren Wohnraum zu errichten, sondern auch um das Kapital  einer verschuldeten Stadt gewinnbringend zu investieren. In einer Zeit, in der Schulen, Kin-  dergärten, bezahlbarer Wohnraum und Lehrer fehlen, um nur einige Beispiele zu nennen,  ist dies der falsche Ansatz. Zudem agieren die einzelnen Bezirke höchst unterschiedlich –  je nach politischer Mehrheit. Immer mehr Firmen und Investoren wenden sich vor diesem  Hintergrund wieder von Berlin ab, weil die Rahmenbedingungen schwer zu kalkulieren und  teilweise regelrecht investorenfeindlich sind.                                                                                                                                                                  17
Neben der Ausübung von Vorkaufsrechten, langen Bearbeitungszeiten auf den Bauämtern  oder der Willkür von Gestaltungskolloquien wird die Mietpreisbremse auf der Grundlage  künstlich niedrig gehaltener Vergleichsmieten ständig weiter verschärft.  Allein mit Regulierung und Eingriffen in die freie Wirtschaft wird man das Wohnungspro-  blem bzw. das zu geringe Angebot an bezahlbaren Wohnungen jedoch nicht lösen.  Dies kann nur über eine Erhöhung des Angebotes erfolgen. Die Städte müssen vermehrt  Wohnbauland ausweisen. Und die städtischen Wohnungsbaugesellschaften müssen auf  den noch vorhandenen städtischen Grundstücken selbst wieder Wohnungen bauen – nur  damit können sie Stückzahl und Angebotspreise der realisierten Wohnungen beeinflussen.  Die Privatwirtschaft wird das Wohnungsproblem allein nicht lösen können, auch wenn Fir-  men wie Zalando inzwischen wieder anfangen, eigene Werkswohnungen zu planen, weil sie  ohne bezahlbaren Wohnraum Probleme haben, qualifizierte Fachkräfte zu finden.  Bei den aktuellen Baukosten liegen die Gestehungskosten einer Wohnung bei etwa 8 bis  10 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, selbst wenn man das Grundstück umsonst b ekäme.  Da dies bekanntlich in der Regel nicht der Fall ist, steigen die Selbstkostenpreise schnell auf  12  Euro pro Quadratmeter und mehr. Günstigere Mietwohnungen sind also nur mit Hilfe  subventionierter Grundstückspreise oder Baukosten zu realisieren.  Ein weiteres gravierendes und immer noch unterschätztes Problem ist der Fachkräfteman-  gel. Er wird weiter zunehmen, weil durch neue staatliche Wohnungsbauförderprogramme  weitere Baukapazitäten absorbiert werden. Hinzu kommt, dass Berufsbild und gesellschaft-  liche Stellung der Bauhandwerksberufe für viele nicht mehr attraktiv sind. Berufe wie Mau-  rer, Dachdecker, Klempner oder Elektriker sind mit harter Arbeit verbunden, oft bei Wind und  Wetter und dafür zu schlecht entlohnt. Zudem werden Sie durch die zunehmende Digita-  lisierung des Wohnumfeldes mit Smart-Home-Konzepten technisch immer anspruchsvol-  ler. Um wieder mehr Jugendliche für die Lehrberufe des Handwerks zu gewinnen, müssten  sowohl die Reputation als auch die Bezahlung verbessert werden. Dies sind Aufgaben, die  staatliche Institutionen, Innungen, die Handwerkskammer und die Bauwirtschaft gemein-  sam angehen müssten. Es wird Zeit benötigen, hier einen Wandel herbeizuführen.  Die Baupreise werden auf absehbare Zeit weiter steigen, weil die Kapazitäten der Bauindus  trie ausgeschöpft sind und die Normen ständig weiter zunehmen. Die fortlaufende Ver-  schärfung z. B. der Energieeinsparverordnung (EnEV) mit dem Ziel, am Ende jede Bauge-  nehmigung für neu zu errichtende Wohngebäude in die Nähe des Passivhaus-Standards zu  rücken, ist gut gemeint, aber auf Dauer wirtschaftlich nicht durchzuhalten. Es ist gut, dass  Deutschland hier eine Vorreiterrolle einnimmt. Aber wir werden das Weltklima nicht allein  retten können. Den Preis zahlen am Ende die Wohnungskäufer und -mieter, weil steigende  Gestehungskosten in aller Regel auf Mieten und Kaufpreise umgelegt werden. Neben den  ökologisch zumindest sinnvollen Ansätzen, die der EnEV zugrunde liegen, werden Normen  und Baukosten allerdings oft auch durch die Lobbyarbeit der Industrie bzw. einzelner Her-  steller, z. B. von Dämmstoffen, getrieben.  Neben einer Anpassung der ständig zunehmenden Baunormen an das Mach- und Finanzier-  bare gibt es weitere vielversprechende Wege, um auf die permanenten Baukostensteige-  rungen und veränderten Wohnbedürfnisse zu reagieren:    BIM – Building Information Modeling  Mit Hilfe des BIM, zu Deutsch Bauwerksdatenmodellierung, wird eine Methode der opti-  mierten und softwarebasierten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden  und Bauwerken implementiert. Dabei werden alle relevanten Daten eines Baus digital mo-  delliert, kombiniert und erfasst. Das Bauwerk wird somit als virtuelles Modell auch geome-  trisch visualisiert. Dadurch ist es möglich, eine bislang ungekannte Budgetgenauigkeit und  Planungssicherheit zu erreichen, welche die zusätzlichen Kosten dieses Verfahrens mehr als  kompensiert.    18 EINLEITUNG
Vorfertigung  Eine industriell vorgefertigte Bauweise kann speziell bei einem hohen Standardisierungs-  grad der Bauvorhaben eine weitere Antwort auf Baukostensteigerungen und lange Bauzei-  ten sein. Damit besitzen Bauträger und Wohnungsbaugesellschaften u. a. die Möglichkeit,  fertige Module direkt an die Baustelle zu liefern und vor Ort aufzubauen. Oft begegnet man  solchen Modellen mit Misstrauen, aber die neuesten Systeme haben mit den industriell ge-  fertigten Plattenbauten der 1970er-Jahre nichts mehr gemein. Sie verfügen über geringste  Maßtoleranzen und reduzieren die Anfälligkeiten und Kosten einer herkömmlichen Baustelle  beispielsweise durch die reduzierte Abhängigkeit von der Witterung.    Stellplatzschlüssel  Am teuersten ist das Bauen in der Tiefe. Daher stellt jeder Tiefgaragen-Stellplatz, der nicht  gebaut werden muss, eine erhebliche Entlastung des Budgets dar. München ist einer der  wenigen Standorte, an dem für jede geschaffene Wohnung nach wie vor ein Stellplatz, in  der Regel in einer Tiefgarage, zur Verfügung gestellt werden muss. Das ist enorm aufwen-  dig und nicht mehr zeitgemäß. In Berlin gibt es diese Verpflichtung beispielsweise nicht. Wir  begleiten viele Projekte außerhalb Münchens, bei denen wir nur noch für jede zweite Woh-  nung einen Stellplatz vorsehen. Der Zeitgeist hat sich verändert: Die Menschen nutzen den  öffentlichen Nahverkehr, Carsharing-Angebote, das Fahrrad oder andere Fortbewegungs-  möglichkeiten – auch, weil das Auto nicht mehr als Statussymbol gilt und ein wachsender  Teil der Bevölkerung bereit ist, seinen Beitrag zur Schonung unserer Umwelt zu leisten.    Nachhaltigkeit  Wir müssen mit Ressourcen bewusster und nachhaltiger umgehen. Man kann es sich kaum  vorstellen, aber Sand als Grundstoff von Beton wird knapp. Die Bauindustrie steht also vor  der Herausforderung, Alternativen zu entwickeln – wie es beispielsweise mit den Experimen-  ten im Holzbau derzeit geschieht. Im Zusammenhang der Nachhaltigkeitsdebatte muss auch  über den Dämmwahnsinn nachgedacht werden, der u. a. auf die Lobbyarbeit der Baustoffin-  dustrie zurückzuführen ist. Es kann auf Dauer keine Lösung sein, Gebäude mit Dämmstoffen  wie Mineralwolle oder Polystyrolschaum zu verkleiden und dabei die enormen Probleme der  späteren Entsorgung dieser Dämmstoffe unberücksichtigt zu lassen. Als Alternativen kön-  nen hier neben Blähton Materialien wie Holzfaser, Zellulose oder Lehm eingesetzt werden,  die ökologisch abbaubar, aber gegenwärtig noch nicht massentauglich und in einem wirt-  schaftlich vertretbaren Rahmen einsetzbar sind. Laut dem Institut Bauen und Umwelt (IBU)  sind Bauen und Wohnen für etwa 50 Prozent der weltweiten Ressourceneinsätze sowie ei-  nen Großteil des Energiebedarfs und der CO2-Emissionen verantwortlich. Vor diesem Hin-  tergrund haben international anerkannte Zertifizierungssysteme für nachhaltiges Bauen  bereits Ende der 1990er-Jahre Einzug gehalten und sich im Bereich der gewerblichen und öf-  fentlichen Bauten inzwischen auch etabliert bzw. durchgesetzt. Neben den amerikanischen  LEED-Zertifizierungen (LEED = Leadership in Energy and Environmental Design) hat die Deut-  sche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) gemeinsam mit dem Bundesbauministeri-  um 2009 eine Zertifizierung nach deutschen Normen und Standards entwickelt und etabliert.  Die Vorteile der Gebäudezertifizierung liegen auf der Hand: Alle Bewertungssysteme bieten  Bauherren vor dem Hintergrund steigender Anforderungen seitens Politik, Nutzern und In-  vestoren den Vorteil, die Nachhaltigkeit ihres Gebäudes vergleichbar nach außen darstellen  zu können und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Die Zertifizierungssysteme  werden fortwährend weiterentwickelt und an neue Anforderungen angepasst. Ein Beispiel  ist die Version 2015 der DGNB: Die neu im DGNB-System eingeführte Kategorie „Mobilität“  berücksichtigt zum Beispiel, ob ein Gebäude über Ladestationen für Elektroautos oder -räder  verfügt und ob sich in der Nachbarschaft Car- oder Bike-Sharing-Stationen befinden. Die-  se im gewerblichen und öffentlichen Bausektor bereits bewährten Zertifizierungssysteme  könnte man im Wohnungsbausektor stärker in den Fokus rücken und adaptieren und somit  neue Standards definieren, die Anreize zum nachhaltigen Bauen schaffen.                                                                                                                                                                 19
Digitalisierung  Das Leben wird mobiler und vernetzter, die Art und Nutzung von Räumen verändert sich da-  durch. Neue Lösungen müssen gefunden werden, die neue Herausforderungen mit sich brin-  gen. Smart Living wird immer wichtiger. Während die Gebäudeautomation (Überwachungs-,  Steuer-, Regel- und Optimierungseinrichtungen von Gebäuden) im Bürobereich bereits seit  einiger Zeit Einzug gehalten hat, weil Be- und Entlüftung, Klimatisierung, Verschattung mit-  tels Sonnen- und Windwächtern etc. Merkmale attraktiver Arbeitsplätze wiederspiegeln,  befindet sich der Wohnungsbau in diesen Bereichen noch in den Kinderschuhen.  Smart-Home-Systeme sind im Wohnungsbau oft noch individuellen, kleineren Architek-  tenprojekten vorbehalten und kommen im Geschosswohnungsbau eher selten zum Ein-  satz. Das Ziel muss darin bestehen, dass die Gebäudeautomation im Wohnungsbau nicht  nur als Kostentreiber betrachtet wird. Sie sollte vielmehr als Chance gesehen werden, auch  im standardisierten Wohnungsbau Systeme zu integrieren, die z.B. eine Überwachung und  Wartung der haustechnischen Anlagen vereinfachen und eines Tages dezentralisieren, weil  die Systeme über Server- oder Cloudlösungen aus der Ferne gepflegt werden können. Noch  sind die Smart-Home-Systeme allerdings oft fehleranfällig und nicht intuitiv genug.    Wohntürme  In vielen Metropolen wird bereits seit geraumer Zeit in die Höhe gebaut, um der steigenden  Nachfrage nach urbanem Wohnraum bei immer weiter steigender Verdichtung zu begeg-  nen. Wo kein Platz mehr für das Wachstum der Stadt in die Fläche zur Verfügung steht, kann  der Bau von Wohntürmen kein Tabu mehr sein. Im innerstädtischen Kontext haben sie den  Vorteil, dass sie zur Belebung eines Viertels beitragen.    Architektonische Qualität  In vielen Großstädten zeichnen sich Neubauten durch architektonische Beliebigkeit und  Fantasielosigkeit aus. Gerade in München stellt dies ein großes Problem dar. Zwar macht die  Stadt München durchaus gestalterische Vorgaben, doch wird deren Umsetzung nicht aus-  reichend kontrolliert oder gar sanktioniert. Ein Beispiel dafür sind die Nymphenburger Höfe  in München, deren vom Initiator des Gesamtareals, der Optima-Aegidius-Firmengruppe, er-  richtete Wohngebäude wir koordiniert und vermarktet haben. In diesem westlichen Teil des  Ensembles wurden die kommunalen Gestaltungsvorgaben eingehalten und umgesetzt. Die  andere Hälfte wurde von einem anderen Bauträger realisiert. Dieser verzichtete entgegen  der Vorgaben darauf, die hochwertige Fassadenmaterialität und Gestaltung zu gewährleis-  ten. Ein solch verantwortungsloses Handeln darf, anders als hier geschehen, nicht ohne  Konsequenzen bleiben.    Wenn Städte wie München Einfluss auf Qualität und Gestaltung nehmen wollen, sollten sie  sich die Vergabepraktiken von Grundstücken in Hamburg zum Vorbild nehmen. Dort erfolg-  ten diese in der Hafencity nicht an den Meistbietenden, sondern über sogenannte Anhandga-  be-Verfahren auf der Grundlage klar definierter Grundstückspreise an den Bieter, der sich mit  dem besten Gestaltungs- und Nutzungskonzept bewarb. Nach Zuschlag bekam der Gewinner  10 bis 12 Monate Zeit, um das Baurecht und die Finanzierung zu klären und die Realisierung  seines Wettbewerbskonzeptes sicherzustellen. Doch kann der Mangel an architektonischer  Qualität nicht allein den Kommunen angelastet werden. Auch die Bauträger tragen natür-  lich Verantwortung für den modernen Städtebau. In München beispielsweise sehen einige  Bauträger aufgrund der hohen Nachfrage nach Wohnraum offenbar keine Notwendigkeit,  mit innovativen Konzepten zu punkten. Die These, dass ästhetischer Anspruch ein Vorhaben  teurer mache, ist oft eine bloße Schutzbehauptung. Dies zeigen erfolgreich wirtschaften-  de Vorreiter eines avancierten Bauens wie die Optima-Aegidius-Firmengruppe, Euroboden,  6B47 Germany oder brixx projektentwicklung, mit denen wir regelmäßig zusammenarbeiten.  Viele Bauträger betonen immer wieder, es gehe darum, möglichst schnell den Bedarf nach  Wohnraum zu erfüllen, und deswegen bleibe keine Zeit und kein Budget für die Entstehung    20 EINLEITUNG
des Besonderen. Auch wenn diese Argumente für sich nachvollziehbar sein mögen, prägen  Wohnungsbauvorhaben doch erheblich das Stadtbild. Ich würde mir deshalb oft mehr Ver-  antwortungsbewusstsein wünschen – schließlich werden die Bauten von heute vermutlich  die nächsten 100 Jahre weitestgehend unverändert existieren.  Die dramatisch gescheiterten Projekte der Werkbundsiedlungen in München 2008 und Berlin  2018 zeigen zudem, dass architektonische Megaprojekte, die für die jeweiligen Städte ein ech-  tes Statement im Wohnungs- und Städtebau bedeuten, nur mit einem klaren Commitment  der Politik und Stadtplanung möglich sind. Der 100. Geburtstag des Werkbundes im Jahr 2007  sollte mit der Planung einer Werkbundsiedlung in München gefeiert werden, die dann am Veto  des Stadtrats scheiterte. Als verantwortlicher Geschäftsführer eines am Verfahren beteilig-  ten Bauträgers musste ich zu jener Zeit erfahren, dass es auf Ebene der politischen Entschei-  dungsträger und besonders des damaligen Oberbürgermeisters Christian Ude (SPD) an einer  Vision für die architektonische bzw. städtebauliche Entwicklung der Stadt fehlte. Dies ist umso  dramatischer, als die Werkbundsiedlung auf einem städtischen Grundstück hätte entstehen  können und die Unterstützung der Stadtbaurätin Elisabeth Merk hatte. In Berlin wiederum ha-  ben sich jüngst ganz offensichtlich alle Beteiligten miteinander überworfen. Anlass für das  Engagement des Werkbunds für eine Berliner Werkbundsiedlung war laut dem Architekten  Paul Kahlfeldt, „für Qualität zu sorgen, bevor wieder alles nur mit stupiden Wärmedämmkis-  ten vollgewürfelt wird, weil Wohnungen gebraucht werden“. Diese einerseits nachvollziehba-  re, anderseits durchaus abgehobene Sicht eines renommierten Architekten zeigt in einem Satz  das ganze Dilemma, in dem die Branche steckt. Der Spagat zwischen Gestaltungsanspruch,  Schaffung bezahlbarer Wohnungen und wirtschaftlichen Interessen bzw. Notwendigkeiten  ist kaum zu lösen. Der Architekt Arno Brandlhuber gab zum Ende des Projekts zu Protokoll:  „Sofern der Werkbund immer noch für modellhafte Vorhaben steht, hat er das hier eigentlich  vorbildlich gemacht: Das Scheitern der Sache zeigt immerhin genau, wo die Kräfte liegen.“ Die  Eigentumsrechte an Grund und Boden seien stärker als alle sozialen und baukünstlerischen  Ziele. Das Scheitern hat am Ende, ähnlich wie im Münchner Beispiel viel mit bürokratischen  Hindernissen zu tun. Kahlfeldt sieht hier die Legislative generell mehr in der Pflicht, auf eine  Verschlankung der Bürokratie hinzuwirken, die das Bauen in Deutschland lähmt.  Ein Schritt in die richtige Richtung ist vor diesem Hintergrund die Initiative „Berlin 2070“  des Architekten- und Ingenieur-Vereins Berlin (AIV). Hier wird unter Einbeziehung aller am  Raumordnungsverfahren Beteiligten aus Politik und Planung eine Vision für das Berlin der  Zukunft entwickelt. Aus Anlass der Hundertjahrfeier der Schaffung von Groß-Berlin durch  zahlreiche Eingemeindungen im Jahr 1920 hat der traditionsreiche AIV, der bereits damals  an der Planung Groß-Berlins beteiligt war, beschlossen, in Abstimmung mit dem Berliner  Senat für Stadtentwicklung und dem Brandenburger Ministerium für Infrastruktur und Lan-  desplanung einen Wettbewerb auszuloben, in dem die Fragestellungen der Entwicklung der  nächsten 50 Jahre behandelt werden.  So soll beispielsweise geklärt werden, wie das zunehmende Verkehrsaufkommen zu bewäl-  tigen ist, wo Gewerbeansiedlungen stattfinden können, wo (Wohn-)Hochhäuser gebaut  werden können, welche Bereiche Grün- und Erholungsflächen vorbehalten sein sollen und  wie die Themen Wohnen und Arbeiten in der Stadt zukunftsfähig miteinander vereinbar sind.    So kann visionäre Planung und aktive Stadtgestaltung aussehen.    Städtebau und architektonische Qualität müssen viel stärker ins Bewusstsein aller Beteilig-  ten rücken. Ich würde mir wünschen, dass mehr Marktteilnehmer einen Sinn für die Ästhetik  des Gebauten entwickeln. Am Ende des Tages tragen die Projekte zum urbanen Gesamtbild  der Städte bei und dokumentieren damit die Haltung unserer Generation. Inventio möchte  als Dienstleister bei exklusiven und individuellen Wohnungsbauprojekten in den Großräu-  men von Berlin und München einen Beitrag zu einer besseren Architektur, zu mehr Mut und  Innovationsfreude im Wohnungsbau leisten – mit Projekten, die sich in ihrer Umgebung um-  weltbewusst und nachhaltig integrieren, mit einer Architektur, die für sich selbst spricht.                                                                                                                                                                 21
IMMOBILIENZYKLEN                                       10 JAHRE IMMOBILIENBOOM – UND NUN?                                     Ein Gespräch über die Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt seit der Finanzkrise mit                                     Prof. Dr. Bert Rürup, Handelsblatt Research Institute    „Bauherren in spe scheinen in     H von G: Herr Professor Rürup, blicken wir    H von G: Aber wurden nicht in erster Linie   der Tat die klaren Verlierer des  zunächst einmal zurück. Vor 10 Jahren,        die Verkäufer von Immobilien begünstigt?   Immobilienbooms zu sein.“         2008, erschütterte ein gewaltiges Beben       Für den potentiellen Käufer von Eigenhei-                                     die Weltwirtschaft: die Finanzkrise, be-      men begann doch in jener Zeit eine fatale                                     kanntlich ausgelöst durch die US-ameri-       Preisentwicklung.                                     kanische Immobilienblase. Nur ein Jahr        BR: Bauherren, vor allem solche, die es wer-                                     später, 2009, setzte sich ein Boom auf dem    den wollen, scheinen in der Tat die klaren                                     deutschen Immobilienmarkt in Gang, der bis    Verlierer des Immobilienbooms zu sein, zu-                                     heute anhält. Wie bewerten Sie die damali-    mindest auf den ersten Blick. Sie müssen für                                     gen Ereignisse aus heutiger Sicht?            ihre Wunschimmobilie heute deutlich höhe-                                     Bert Rürup: Die Megakrise wurde in ihrem      re Preise zahlen als noch vor einigen Jahren.                                     Ausmaß nicht erwartet, zunächst hat man       Das gilt sowohl für Bestandsimmobilien als                                     sie auch unterschätzt. Als Reaktion wur-      auch für Neubauten. Laut Bundesbank leg-                                     den finanzpolitische Maßnahmen ergriffen,     ten seit dem Jahr 2010 die Preise für Woh-                                     einschließlich der – im Ernstfall kaum zu     nimmobilien in Deutschland im Schnitt um                                     erfüllenden – Garantie für die Spareinlagen   45,8 Prozent zu.                                     seitens der deutschen Bundesregierung.                                     Das hat die deutsche Ökonomie ohne jeden      H von G: Ist es nicht eigenartig, dass die Anle-                                     Zweifel stabilisiert. Trotz des Rückgangs     ger in Deutschland ihr Geld in genau jene As-                                     der gesamtwirtschaftlichen Produktion im      setklasse steckten, nämlich Immobilien, die                                     Winterhalbjahr 2008/09 kam es, auch dank      in Amerika die Finanzkrise verursacht hatte?                                     einer klugen Arbeitsmarktpolitik, kaum zu     BR: Die Finanzierung von Immobilienkäu-                                     Entlassungen.                                 fen in Deutschland ist nur begrenzt mit                                                                                   den Finanzierungsbedingungen und dem                                     H von G: Welche Rolle spielte die Geldpoli-   Finanzierungsverhalten in den USA zu ver-                                     tik der Europäischen Zentralbank am Beginn    gleichen. Während jenseits des Atlantiks                                     des laufenden Jahrzehnts für den dann fol-    eher kurzfristig finanziert wird und ge-                                     genden Immobilienboom?                        stiegene Preise der erworbenen Immobilie                                     BR: Die Maßnahmen der Bundesregierung         nicht selten zu Konsumzwecken verwendet                                     wurden durch die Geldpolitik unterstützt.     werden, ist in Deutschland die Finanzierung                                     Die EZB stellte letztlich unbegrenzt Liqui-   langfristig angelegt.                                     dität zur Verfügung – zu so niedrigen Zinsen                                     wie man sie bis dahin nicht gekannt und für   H von G: Kommen wir zur Gegenwart: Ist                                     möglich gehalten hatte.                       der aktuelle Boom nur eine Aufholreaktion                                                                                   zu den internationalen bzw. europäischen                                     H von G: Wer waren die Nutznießer dieser      Märkten, also etwa zu Großbritannien,                                     nationalen und übernationalen Politik?        Frankreich oder Spanien? Oder handelt es                                     BR: Nicht nur der Immobilienmarkt hat er-     sich tatsächlich um eine Übertreibung –                                     heblich profitiert – sondern auch andere      oder gar um eine Blase?                                     Anlageklassen wie zum Beispiel Aktien. Klu-   BR: Vor Beginn der aktuellen Preissteigerun-                                     ge Geldanlageentscheidungen setzen nun        gen auf dem deutschen Immobilienmarkt                                     einmal ein Denken in Alternativen in Bezug    war die Preisentwicklung viele Jahre lang                                     auf Rendite und Risiko voraus.                ausgesprochen flach – im Gegensatz zur                                                                                   Entwicklung in vielen anderen Ländern. Auch                                                                                   heute sind Wohnimmobilien in Deutschland                                                                                                                             23
im internationalen Vergleich noch keines-       jüngeren Vergangenheit einige Instrumente       „Überhitzungstendenzen  wegs überteuert. Die Deutsche Bundesbank        verabschiedet, um einer solchen Gefahr ent-      sehe ich nur vereinzelt.  warnt zwar vor Überhitzungstendenzen            gegenzuwirken – sofern sie zu einem gesamt-      Ich rechne nicht damit,  und sieht Überbewertungen von bis zu 35         wirtschaftlichen Problem werden sollte.          dass die Preise einbrechen.“  Prozent. Das dürfte aber nur für einige Seg-  mente in den besonders gefragten sieben         H von G: Der letztjährige Handelsblatt-Jah-  Top-Städten gelten, also in München, Stutt-     reskongress trug den Titel „Wende 2019“.  gart, Frankfurt am Main, Köln, Düsseldorf,      Dort stellten Sie Ihre Studie des Handels-  Berlin und Hamburg. Ob sich dort eine Bla-      blatt Research Institutes zum Immobilien-  se bildet, weiß aber selbst die Bundesbank      boom der letzten Jahre vor. Rechnen Sie  nicht, beziehungsweise erst dann, wenn          tatsächlich mit einer Wende, d.h. mit einem  diese Blase platzen würde und die Preise ein-   Ende des aktuellen Immobilienbooms?  brechen. Damit rechne ich aber nicht.           BR: Die Beantwortung dieser Frage gleicht                                                  einem Blick in die vielzitierte Glaskugel. Mo-  H von G: Noch einmal grundsätzlicher ge-        mentan gibt es zwar vereinzelte Anzeichen,  fragt: Es wird immer wieder diskutiert, von     dass die bisherige Preisdynamik nachlässt.  welchen Faktoren Immobilienzyklen an sich       Solange die ökonomischen Rahmenbedin-  getrieben werden. Was ist wichtiger: Be-        gungen sich nicht wesentlich verschlech-  völkerungswachstum, urbane Anziehungs-          tern und die Finanzierungskonditionen wei-  kraft der Großstädte und Zuwanderung?           terhin so günstig bleiben, ist nicht mit einem  Oder fehlende Investitionsalternativen am       Ende des Zyklus´ zu rechnen. Und selbst  Kapitalmarkt?                                   dann wird es vermutlich „nur“ zu einer Sta-  BR: Zumeist ist es ein Zusammenwirken all       bilisierung auf hohem Niveau kommen, mit  dieser Gründe. Der Urbanisierungstrend,         – regional unterschiedlichen – moderaten  die Zuwanderung und die vergleichswei-          Preisrückgängen.  se günstigen Finanzierungsbedingungen  führen zu einem Anstieg der Nachfrage.          H von G: Welche Probleme sehen Sie der-  Die mangelnden Investitionsalternativen         zeit für die Immobilienbranche, nach 10  lassen die Renditechancen am Immobilien-        Jahren Boom, dem, wie Sie sagten, „längs-  markt ebenfalls attraktiv erscheinen.           ten Aufschwung seit dem deutschen Wie-                                                  deraufbau“?  H von G: Lassen Sie uns auch über die Rolle     BR: Die Baubranche arbeitet am Limit ih-  der Banken sprechen: Haben die Geldinsti-       rer Möglichkeiten. Die Kapazitäten wurden  tute wirklich etwas aus der Lehman-Pleite       sehr stark ausgeweitet. Da aber die Fach-  gelernt?                                        kräfte fehlen, konnte dieser Sektor nicht  BR: Die Mehrzahl der deutschen Institute        mehr so schnell wachsen wie zum Beispiel  musste dies zum Glück nicht im selben Maß       in den 1990er-Jahren. Die gegenwärtigen  wie die amerikanischen. Die Kreditvergabe       Folgen sind Preissteigerungen und deut-  im Immobiliensektor ist in unserem Land         lich längere Fristen bei der Realisierung ge-  – zumindest bis heute – kein Problem. Die       planter Projekte.  diesbezüglichen Standards, insbesondere in  Bezug auf Eigenkapitalanforderungen, ha-        H von G: Zur Zukunft: Werden die Preise für  ben sich in den letzten Jahren nicht wesent-    Wohnimmobilien weiter steigen? Oder sol-  lich geändert. Die Zinsbindungsdauer – und      len Kaufinteressenten hoffen und abwar-  damit die Planbarkeit – hat sich sogar erhöht.  ten, dass der Boom endet, weil dann die                                                  Preise sinken?  H von G: Inwieweit können Banken die Immo-      BR: Diese Frage kann niemand seriös beant-  bilienzyklen über die Kreditvergabe steuern?    worten. Ich persönlich erwarte – aus den  BR: Ich sehe das nicht als Aufgabe der Ban-     eben genannten Gründen – aber keine sig-  ken an. Problematisch würde es erst, wenn       nifikanten und schon gar keine flächende-  die Kreditvergabestandards signifikant sin-     ckenden Preisrückgänge.  ken und das Volumen dieser Kredite stärker  ansteigen würde. Die Politik hat aber in der    24 IMMOBILIENZ YKLEN
H von G: Die sogenannten Megacities sind        BR: Gutgemeinte, aber falsche Förderin-                                   weltweit Anziehungspunkte für die jünge-        strumente wie das neue Baukindergeld                                   ren Generationen. Was meinen Sie – geht         helfen wenig. Eher sollte die Politik versu-                                   damit der Trend, aufs Land oder an den Rand     chen, den Anstieg der Baukosten zu dämp-                                   der Städte zu ziehen, seinem Ende entge-        fen, indem zum Beispiel die Bauordnungen                                   gen? Gibt es eine Bewegung zurück in die        vereinheitlicht werden oder bei den ener-                                   großen Metropolen?                              getischen Vorschriften mit Zielvorgaben                                   BR: Diese Einschätzung teile ich nicht ganz.    gearbeitet wird, statt die konkret zu ver-                                   Studien belegen, dass vor allem die 18 bis      bauenden Materialien vorzuschreiben. Die                                   30-jährigen in die Städte ziehen, für die über  größte Herausforderung mit der aller-                                   30-jährigen geht es, häufig nach der Fami-      dings auch nachhaltigsten Wirkung ist die                                   liengründung, wieder zurück aufs Land oder      Ausweisung von neuem Bauland, welches                                   in die Peripherie von Großstädten.              bislang von den Kommunen sehr oft noch                                                                                   meistbietend versteigert wird. Das sollten                                   H von G: Jüngere Menschen sind zunehmend        die Gemeinden anders lösen. Denn steigen-                                   nicht mehr in der Lage – auch aufgrund der      de Grundstückspreise waren und sind der                                   besprochenen Regulierungsmaßnahmen              größte Preistreiber.                                   – mit ihrem Gehalt den Kauf einer Immo-                                   bilie zu finanzieren. Allein mit dem eigenen    H von G: Vielen Dank für das Gespräch.                                   Verdienst können sie nicht mehr genug an-  „Steigende G rundstückspreise  sparen, um die von den Banken geforderte   waren und sind der größte       Eigenkapitalquote aufzubringen. Werden in   Preistreiber.“                  Zukunft also nur noch reiche Erben Woh-                                   nungen und Häuser erwerben können?                                   BR: Bei der aktuellen Preisentwicklung muss                                   man dies, wenn auch etwas überspitzt, leider                                   mit „Ja“ beantworten. Die jüngeren Jahr-                                   gänge dürften in Bezug auf Immobilienbesitz                                   zu einer verlorenen Generation werden.                                     H von G: Wie kann die Politik hier gegen-                                   steuern? Was kann getan werden, damit                                   jüngere Kaufinteressenten ohne ererbtes                                   Vermögen nicht zunehmend an der hohen                                   Eigenkapitalquote scheitern?                                                                                     25
Büroturm an der Nymphenburger Straße                                                                         Vorherige Doppelseite:                                                                       Piazza der Nymphenburger Höfe    QUARTIERSENTWICKLUNG    NYMPHENBURGER HÖFE MÜNCHEN    Innerstädtischer Wohnungs- und Bürobau im großen Maßstab ist         Adresse Nymphenburger Straße 10–12 / Sandstraße 6 | München-Maxvorstadt  in München nur möglich, wenn Unternehmen ihre Produktions           Bauherr Nymphenburger Höfe Grundstücksgesellschaft mbH & Co. KG  standorte in der Stadt aufgeben und ihre Flächen frei werden. Wo     Initiator Optima-Aegidius-Firmengruppe  einst Bier gebraut wurde, konnten so um 2010 die Nymphenburger       Architekten Steidle Architekten (Masterplan), Maier Neuberger Architekten,  Höfe als neues innerstädtisches Quartier entwickelt werden. Mit      Henchion Reuter Architekten  einer Bruttogeschossfläche von 70.000 m² untergliedern sie sich      Grundstück 6.330 m²  in Büros, Ladenflächen und Wohnungen. Um in der verkehrsreichen      Wohnfläche 8.640 m²  Umgebung eine Oase der Ruhe zu schaffen, wurde dem Ensemb-           Einheiten 110  le mit dem als „Piazza“ und Ort der Begegnung konzipierten, lang-    Fertigstellung 2012  gestreckten Innenhof mit Brunnen und Gingkobäumen ein inneres        Leistungsspektrum INVENTIO Projektkoordination inkl. Vermarktung  Zentrum gegeben. Die Optima-Aegidius-Firmengruppe als Bauherr        (Marktanalyse, Produktdefinition, Marketing, Vertrieb, Sonderwunsch  der besonders hochwertig ausgeführten westlichen Hofseite be-        management, Bemusterung)  auftragte die damals neu gegründete Inventio, für deren Konfigu-  ration den Markt zu analysieren. Auf dieser Basis übernahm Inventio  die Projektkoordination und vermarktete 110 Wohneinheiten auf  der damals größten Baustelle Münchens.    28 QUARTIER SENT WICKLUNG
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Fassadenabwicklung der Wohnhäuser  auf der Westseite des Innenhofes,  entworfen von den Büros Steidle  A rchitekten, Maier Neuberger  Architekten und Henchion + Reuter  Folgende Doppelseite:  Luftbild der Nymphenburger Höfe,  im dreieckigen Block in der  Bildmitte gelegen    30 QUARTIER SENT WICKLUNG
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QUARTIERSENTWICKLUNG                               DAS MÜNCHNER DILEMMA                             Ein Gespräch über Qualität in der Bauträger-Architektur und die Herausforderungen                             bei der Entwicklung neuer Quartiere mit Dr. Ulf D. Laub und Dr. Jens C. Laub,                             Optima-Aegidius-Firmengruppe    „W ir hatten als einzige  H von G: Wir treffen uns hier in den            Rede. Kinder spielen hier wohl eher selten,  den Mut, das gesamte       Nymphenburger Höfen – einem gemischten          und das Wasserbecken ist abgelassen. Wo  Gelände zu übernehmen.“    Ensemble mit Wohnungen, Büros, Arztpra-         sehen Sie die Gründe, dass das, was sich auf                             xen und Läden, das die Optima-Aegidius-Fir-     dem Papier so schön anhört, in der Praxis                             mengruppe vor rund 10 Jahren gebaut hat.        kaum funktioniert?                             Die Nymphenburger Höfe sind ein Beispiel        JL: Da sehe ich die Verantwortung stark bei                             für eine der größten innerstädtische Quar-      der Grünplanung. Hätten wir es selbst ent-                             tiersentwicklungen Münchens. Wie wurde          scheiden können, wären wir mit dem Hof                             aus einem sehr großen, dreiecksförmigen         ganz anders umgegangen. Realgrün hat sich                             Grundstück in der Maxvorstadt, auf dem Lö-      wahnsinnig versteift auf eine aus unserer                             wenbräu früher Bier in Flaschen und Fässer      Sicht sehr brachiale, steinerne Hofsituation.                             gefüllt hat, das heutige gemischte Wohn-        Man hätte es freundlicher gestalten kön-                             und Büroquartier?                               nen, humaner.                             JL: Die damaligen Eigentümer hatten in den                             1990er-Jahren beschlossen, das Areal zur        H von G: Wie sind Sie dann nach Abschluss                             Neubebauung freizugeben, nachdem die            des Masterplans zu dem noch unbebauten                             Produktion aus der Stadt heraus verlagert       Grundstück gekommen? Da war der Master-                             worden war. Doch vergingen erst einmal 15       plan ja bereits beschlossene Sache.                             Jahre, um hier einen Masterplan für die Be-     UL: Die Eigentümer hatten sich entschie-                             bauung festzuschreiben.                         den, nicht selbst als Bauherr tätig werden                             UL: Ein für innerstädtische Projekte dieser     und verkaufen zu wollen. Unser Vorteil ge-                             Größe durchaus üblicher Zeitraum.               genüber den Mitbewerbern war, dass wir                                                                             als einzige den Mut hatten, das gesamte                             H von G: Für die Entwicklung dieses Master-     Gelände zu übernehmen. Andere Bauträger                             plans wurde ein Wettbewerb ausgeschrie-         wollten das Areal gemeinsam kaufen und                             ben, den das Münchner Büro Steidle Archi-       aufteilen. Das erwies sich als sehr kompli-                             tekten 2003 gewonnen hat – das war Jahre,       ziert, und so haben sich die Eigentümer für                             bevor Sie das Areal gekauft haben. Wie se-      uns entschieden.                             hen Sie rückblickend diesen Masterplan, der                             das Dreieck durch eine mittlere Achse struk-    H von G: Sie haben dann beim Bau mit dem                             turiert?                                        Bürotrakt an der Nymphenburger Straße                             UL: Die Grundidee ist, dass man von der         begonnen, der schon fertig war, als für die                             Nymphenburger Straße aus eine ins Innere        Wohnungen gerade einmal die Baugruben                             gelegte, italienisch anmutende „Piazza“ be-     ausgehoben wurden. Warum?                             tritt. Die Architekten orientierten sich dabei  JL: Weil wir die Bürogebäude schon an die                             an den Uffizien von Florenz mit ihrem lang-     Generali-Versicherungen verkauft hatten.                             gestreckten Innenhof.                           Dadurch hatten wir überhaupt erst das Ka-                                                                             pital für den Wohnungsbau.                             H von G: Den Wettbewerb für den Master-                             plan haben Steidle Architekten gemeinsam        H von G: Die Wohnbauten wurden von un-                             mit den Landschaftsarchitekten Realgrün         terschiedlichen Architekten geplant …                             gewonnen, die dann auch für die Gestal-         JL: Richtig, das war eine vernünftige Vorga-                             tung des Innenhofs verantwortlich waren.        be der Stadt. So haben wir Maier Neuberger                             Auf deren Webseite ist von „Kinderspiel“        und Henchion + Reuter aus Berlin mit ins                             und „angenehmem, südlichen Flair“ die           Boot geholt.                                                                                                                  35
H von G: Dennoch fällt auf, dass der west-       sie beispielsweise in Berlin existiert. Berlin  „In München wird zu viel  liche Riegel sehr viel mehr Qualität hat         hat einen ganz anderen architektonischen         langweilige Schuhschachtel  als der östliche. Die Bauwelt schrieb dazu       Anspruch, und man verdient dort trotzdem         architektur errichtet.“  2012: „Eine Seite der neuen Bebauung ist         Geld, obwohl die Kaufpreise um 20–30%  sorgfältig detailliert, die andere ist, vor al-  niedriger sind.  lem in Anbetracht der Preise, die hier für die  Eigentumswohnungen verlangt werden,              H von G: Wenn Sie nun trotzdem auf der  sorglos hingerotzt.” Wie kommt es zu die-        Westseite der Nymphenburger Höfe schöne  ser Diskrepanz?                                  Details wie bronzene Türen verbaut haben,  UL: Wir haben noch vor Baubeginn den             ist das dann bloße Liebhaberei?  östlichen Teil des Areals an einen anderen       JL: Ja, andere lachen uns vermutlich aus,  Münchner Bauträger verkauft. 400 Woh-            weil wir einen hohen Trading-Up-Prozess  nungen alleine zu bauen, war uns ein zu          vollzogen haben in der Qualitätsgestaltung,  hohes Risiko – immerhin war es damals die        ohne damit höhere Preise zu erzielen. Man  größte innerstädtische Baumaßnahme in            konnte ja seine minderwertige Architektur  München. Wir hätten zu viel Eigenkapital         auf der anderen Seite des Hofes zum selben  gebraucht. Da kommt man zwangsläufig             Preis verkaufen. Also ja, wenn sie so wollen,  auf den Gedanken, die Risiken zu verteilen.      ist es Liebhaberei. Wir haben aber auch eine  JL: Aber in der Folge hat sich dieser Bauträ-    städtebauliche und kulturelle Verpflichtung  ger über alle Vorgaben der Stadt hinwegge-       in einer der schönsten Städte der Welt. Wir  setzt. Es ist aus unserer Sicht sehr ärgerlich,  sind auch so sehr erfolgreich und arbeiten  dass man hier jede städtebauliche Qualität       sehr profitabel.  zugunsten des Profits über Bord geworfen  hat. Die Preise waren dieselben wie bei uns,     H von G: Wer wohnt heute in den Eigentums-  aber im architektonischen Anspruch völlig        wohnungen der Nymphenburger Höfe?  banal, auch bewusst banal. Man hat die Ar-       UL: Unternehmensberater oder Leute aus  chitekten an die Leine gelegt und den eige-      dem High-Tech-Bereich, die hier im erwei-  nen Bauträgerstiefel durchgezogen – Woh-         terten Umfeld arbeiten.  nungsmassenproduktion eben.  UL: Das zeigt sich auch an vielen Details.       H von G: Wie sieht es mit der Lebensrealität  Deshalb ist dem Artikel aus der Bauwelt          in diesem neuen Ensemble aus? Sind Woh-  nichts hinzuzufügen. Von den Fassaden            nen und Arbeiten, wie es heute oft gefor-  über die Jalousien in die Eingangsbereiche       dert wird, hier näher zusammengerückt?  und Treppenhäuser bis zu den Wohnungen           JL: In der Theorie ist eine räumliche Nähe  selbst sehen wir hier eine Aldisierung des       zwischen Arbeit und Wohnen sicherlich opti-  Wohnens zu Feinkost-Käfer-Preisen. Ein Bei-      mal. Wer aber heute in den Nymphenburger  spiel: An den Balkonen gab es nur die Kabel      Höfen arbeitet, kann sich im Regelfall das  für die Beleuchtung. Jeder Käufer hat sich       Wohnen hier nicht leisten. Die vermieteten  im Baumarkt dann seine eigene Lampe be-          Eigentumswohnungen, die wir für die Käufer  sorgt – dementsprechend sieht es jetzt aus.      verwalten, liegen preislich zwischen 17 und                                                   25 Euro netto kalt den Quadratmeter. Bei  H von G: Hat der geringe architektonische        solchen Preisen wohnen die hier in den Büros  Anspruch nicht auch etwas mit der Marktsi-       Beschäftigten in der Regel in der Peripherie.  tuation zu tun?                                  UL: Das sehen wir auch in unserem eige-  UL: Sicher, da man so schwer eine Wohnung        nen Büro hier in den Nymphenburger Hö-  findet, können sich bestimmte Bauträger          fen. Unsere Mitarbeiter wohnen teilweise  auch ihre beliebige Architektur leisten.         in Augsburg oder in Markt Schwaben, wo  JL: Ja, das sehe ich als ein zentrales Prob-     die Mieten bei 14 Euro liegen. Dementspre-  lem: In München wird zu viel standardisierte     chend lang sind sie täglich unterwegs. Die  und wahnsinnig langweilige Schuhschach-          Idee, dass Menschen am selben Ort wohnen  telarchitektur errichtet. Das ist ein großes     und arbeiten, ist aus meiner Sicht eine Illu-  Dilemma. Wir haben hier nicht die archi-         sion, übrigens auch in Berlin, wo wir eben-  tektonische Vielfalt im Wohnungsbau, wie         falls viel entwickeln.    36 QUARTIER SENT WICKLUNG
H von G: Ist das die Zukunft: Gutverdiener       gebaut werden, dann gäbe es auch wieder  wohnen in den Innenstädten, und alle an-         billigere Wohnungen. Der Markt regelt alles.  deren pendeln täglich dorthin, und somit         UL: Wobei man sagen muss, dass sich, dank  findet das gesellschaftliche Leben an weni-      der Münchner Regularien, die sozialen Mili-  gen großstädtischen Standorten statt, und        eus hier in der Stadt durchaus noch vermi-  zwar auf engstem Raum?                           schen. Dieses funktionierende Modell wird  JL: Die Attraktivität innerstädtischer Ar-       seit dem Stadtratsbeschluss von 1994 als  beitsplätze ist einfach sehr hoch, nicht         „Münchner Mischung“ bezeichnet. Damals  zuletzt wegen des Images. Firmen, die            haben sich Stadt und Bauträger darauf geei-  dezentral angesiedelt sind, haben Rec-           nigt, dass bei jedem Neubau eine „sozialge-  ruiting-Probleme. „Ich arbeite in der            rechte Bodennutzung“ einzuhalten ist.  Nymphenburger Straße“ klingt einfach             JL: Wenn Sie, wie hier in den Nymphenbur-  besser als „Ich arbeite in Aschheim“. Beim       ger Höfen, 400 Wohnungen bauen dürfen,  Wohnen ist es nicht anders: Das günsti-          müssen Sie rund 100 subventionierte Woh-  gere Wohnen ist nur deswegen dezentral           nungen bauen. Und so leben hier neben  angesiedelt, weil in den Innenstadtberei-        Käufern, die für ihr Penthouse 13.000 Euro  chen das Wohnraumangebot komplett vom            den Quadratmeter gezahlt haben, direkt  Markt absorbiert wird. Sicher gibt es auch       hinter uns städtische Beamte, Pflegekräfte  viele Menschen, die gar nicht in der Stadt       und Migranten mit einer Miete von 10 Euro  wohnen möchten, aber der Druck ist den-          den Quadratmeter, in demselben Quartier.  noch gewaltig.                                   Mit diesem Ansatz ist München schon im-  UL: Das System funktioniert ja auf seine         mer Vorreiter gewesen. Das ist die Basis  Weise trotzdem: In München lässt sich alles      für die gemischt genutzten Wohnquartie-  vermieten, auch wenn die Miete an die Drei-      re, wie sie in München entstehen. Wohl-  ßig-Euro-Grenze heranrückt.                      standsghettos werden so auf eine intelli-                                                   gente Art vermieden.  H von G: Wenn der innerstädtische Arbeits  platz so gefragt ist, warum gibt es dann in den  H von G: Dennoch hat München ein großes  Innenstädten überhaupt noch Wohnungen?          Problem mit dem Wachstum, das ange-  JL: Weil sie sonst tote Städte haben wie in      sichts des stetigen Zuzugs nötig wäre. Wie  Amerika, das will ja zu Recht keiner. Eine       oft passiert es eigentlich in einer Stadt wie  Bürostadt wie Houston ist ab sechs Uhr           München noch, dass wie hier eine große In-  abends verwaist. Da sind alle in den Sub-        dustriefläche für Wohnbebauung frei wird?  urbs in ihren Villen oder Häusern. Genau         UL: Schon relativ oft. Vergleichbare Fälle  das macht ja München aus, dass es leben-         waren das Rodenstock-, das Arri- und das  dig ist. Auch in den USA gibt es dazu ja nicht   Pfanni-Gelände – alles alteingesessene,  umsonst eine aktive Gegenentwicklung.            weiterhin existierende mittelständische  Das sehen wir in Detroit, wo wir ebenfalls       Unternehmen, die ihren Standort aus der  aktiv sind. Hier steppt mittlerweile auch im     Stadt herausverlagert haben. Wir haben  alten Downtowndistrict der Bär, weil die         gerade das Gelände der HAWE-Hydraulik  jungen Leute nicht mehr in den Retorten-         gekauft und in die New Eastside Factory  städten der Suburbs leben wollen. Solche         Lofts umgewandelt. Eine solche Nachver-  Entwicklungen müssen Stadtplaner heute           dichtung ist ja auch die einzige Chance für  im Auge haben.                                   München, das sonst keine Möglichkeiten                                                   hat, sich zu entwickeln.  H von G: Aber wenn es sich kein normal ver-      JL: Dennoch stehen wir hier vor dem Di-  dienender Mensch mehr leisten kann, in ei-       lemma, dass es bald keine verfügbaren  ner Innenstadt zu wohnen, ist sie auch nicht     Flächen mehr geben wird. Die Umlandge-  mehr lebendig.                                   meinden lassen keinerlei Zuwachs zu. Mün-  JL: Nun ja, was heißt nicht lebendig? Bewoh-     chen muss also dringend Orte innerhalb der  ner sind ja da, es gibt ja genug Menschen, die   Stadt finden, an denen es höher und dichter  es sich leisten können. Wenn es zu teuer         werden kann.  wäre und dann leer stünde, würde es nicht                                                     37
H von G: Wartet man also darauf, dass auch     der Politik entstanden, nicht wegen der Po-     „Darum geht es immer  noch die letzten in der Stadt produzieren-     litik. Wenn ich höre, dass die Leute in Berlin   in München: auf einer  den Unternehmen hinausziehen?                  klagen, dass der Prenzlauer Berg so eine         sehr begrenzten Fläche  JL: Nein, das ist keine Lösung. Ein Betrieb,   hohe Anziehungskraft hat und die Mieten          miteinander klarzukommen.“  der München verlässt, geht auch als Gewer-     steigen, oder dass es vor ihrer Haustür zu  besteuerzahler verloren. Die Stadt muss        laut ist, habe ich immerhin noch die Option,  also permanent den Spagat schaffen zwi-        mir woanders in der Stadt eine Wohnung  schen dem Halten von Gewerbesteuerzah-         für 10 Euro den Quadratmeter zu suchen. In  lern und dem Bau neuen Wohnraums.              München können Sie nicht umziehen. Berlin  UL: Eine Stadt kann nicht alles für das Woh-   ist die Stadt mit der höchsten theoretischen  nen vorhalten. Sie muss darauf achten, dass    Wachstumsdynamik. Wenn die Politik das  sie die Mischung hält, von der sie lebt. Da-   erst einmal umsetzt, kann sich München  rum geht es immer in München: auf einer        warm anziehen. Hier ist zwar das Wachs-  sehr begrenzten Fläche miteinander klarzu-     tum da, aber wir können es baulich nur noch  kommen und alle Themen korrespondierend        schwer umsetzen. Berlin hat nur „Schein-  zu bedienen.                                   wachstum“, aber könnte vieles absorbieren,                                                 was München nicht mehr stemmt.  H von G: Wie sehen Sie demgegenüber die  Situation in Berlin?                           H von G: Vielen Dank für das Gespräch.  JL: Vollkommen anders – dort gibt es schier  unendliche Flächenressourcen. Aber Berlin  steht sich politisch ständig selbst im Weg.  Der Erfolg Berlins ist aus meiner Sicht trotz    38 QUARTIER SENT WICKLUNG
ARCHITEKTONISCHE QUALITÄT    JOHANNIS 3 BERLIN    In einer architektonisch und städtebaulich unterentwickelten Ge-     Adresse Johannisstrasse 3 | Berlin-Mitte  gend direkt vis á vis vom traditionsreichen Tacheles-Areal sticht    Bauherr Euroboden GmbH  das Projekt in seiner Qualität heraus. Jürgen Mayer H.`s originelle  Architekten Jürgen Mayer H. und Partner  Neuinterpretation des Berliner Stadthauses ging aus einem Wett-      Grundstück 1.025 m²  bewerb hervor, an dem u.a. auch Kuehn Malvezzi und Max Dudler be-    Wohn-/ Gewerbefläche 3.200 m²  teiligt waren. Wie ein Kleid hat Jürgen Mayer H. eine geschwungene   Einheiten 26  Form aus vertikalen Aluminiumlamellen über das Haus geworfen         Fertigstellung 2012  und es damit in eine Skulptur verwandelt. Die Lamellen aus com-      Leistungsspektrum INVENTIO Vermarktung  putergenerierten Formen sorgen gleichzeitig für einen angeneh-  men Filter: Sie schützen vor Einblicken und direkter Mittagssonne,  lassen aber ein Maximum an Tageslicht ins Innere. Die Wohnungen  orientieren sich in Süd-West-Ausrichtung zum begrünten Hof, groß-  zügige Übergänge zu den Balkonen und Terrassen schaffen intensi-  ve Verbindungen zwischen innen und außen. Der Entwurf spielt auf  mehreren Ebenen mit dem Thema „Landschaft“: Dies betrifft die  Gestaltung der Fassade, den terrassierten Garten und das Spiel mit  differenzierten Ebenen in den Wohnungen, das spannende Raum-  folgen und innere Wohnlandschaften erzeugt.                                                                         Fassade mit Metalllamellen nach                                                                       Entwurf von Jürgen Mayer H. an                                                                       der Johannisstraße, Berlin-Mitte    40 ARCHITEK TONISCHE QUALITÄT
Wohnraum und Bad in der Johannis-  straße mit Blick auf das Baustellen  gelände am Tacheles  nächste Seiten: Johannisstraße,  Patio zwischen Vorderhaus und  Seitenflügel und Fassadendetail    42 ARCHITEK TONISCHE QUALITÄT
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ARCHITEKTONISCHE QUALITÄT                                  „WENN ES BEIGE IST, FUNKTIONIERT ES MEISTENS GUT.“                                Ein Gespräch über Wohnungsbau im Spannungsfeld von Architekt, Bauträger und                                Immobilienmarketing mit Peter Cachola Schmal (Deutsches Architekturmuseum),                                Jürgen Mayer H. (Architekt, Berlin) und Stefan Höglmaier (Euroboden)    „Ein guter Wohnungsbau       H von G: Kann man definieren, was guten          PCS: Mit den flexiblen Wandsystemen ist es   steht auch nach 10, 20, 30   Wohnungsbau ausmacht? Welche Kriterien           in der Tat so eine Sache. Es gibt diese schö-   oder 40 Jahren noch da       gibt es da?                                      ne Geschichte von Mies van der Rohe, der   und leistet seine Arbeit,   Stefan Höglmaier: Ich fange mal an: Wie          für seine Wohnhochhäuser in Chicago ein   er ist weder runtergewohnt  wirkt ein Gebäude im Stadtraum? Wie bin-         wahnsinnig flexibles Wandsystem erfun-   noch materiell ermüdet.“     det es sich in die Umgebung ein? Oder, wenn      den hat. Nun ist dieses aber kein einziges Mal                                es das nicht tut, steht da eine bewusste Ent-    verändert worden.                                scheidung dahinter? Gibt es überhaupt eine       Ich möchte noch ein weiteres Qualitätskri-                                übergeordnete Idee, warum die Architek-          terium ergänzen, und zwar die bauliche und                                tur an dieser Stelle so steht wie sie dann da    handwerkliche Güte: Ein guter Wohnungs-                                steht? Und dann natürlich: Wie funktioniert      bau steht auch nach 10, 20, 30 oder 40 Jahren                                ein Gebäude im Alltag? Wie durchdacht sind       noch da und leistet seine Arbeit, er ist weder                                die Grundrisse, wie sind die Blickbeziehun-      runtergewohnt noch materiell ermüdet.                                gen? Wie intelligent sind die Fenster ange-      Jürgen Mayer H.: Ich würde gute Wohn-                                ordnet, wie gut die Räume belichtet, wie an-     architektur mit folgenden Kategorien be-                                genehm die Raumhöhen? Sicher spielt auch         schreiben wollen: Zuerst der Kontext. Wie                                eine hochwertige Ausstattung eine Rolle,         verhält sich ein Neubau zum öffentlichen                                aber meiner Meinung nach wird das Thema          Raum? Belebt er den Straßenraum und die                                im Immobiliengeschäft überstrapaziert.           Nachbarschaft? Ein guter Wohnungsbau                                Peter Cachola Schmal: Ich würde noch ein         muss für mich etwas Neues an einen Ort                                ganz wesentliches Kriterium ergänzen wol-        bringen, also einen Impuls für die Leben-                                len: Guter Wohnungsbau muss flexibel sein.       digkeit der Umgebung bedeuten. Und dann                                Nehmen wir mal die Räume, in denen wir hier      die Flexibilität, in Bezug auf zukünftige                                gerade sitzen: Eine Altbauwohnung in der         Veränderungen. Flexibilität muss nicht un-                                Nähe vom Savignyplatz in Berlin. Nun dient       bedingt heißen, dass man überhaupt bau-                                sie heute aber nicht mehr als Wohnung,           lich eingreift: Wir realisieren gerade einen                                sondern als Büro von Jürgen Mayer H. Die-        Wohnungsbau in der Pappelallee in Ber-                                se Räume waren eine gute Wohnung, heute          lin-Prenzlauer Berg. Dort gibt es ein vielfäl-                                geben sie aber auch ein gutes Büro ab. Und in    tiges Angebot von der Mikro- bis zur Fünf-                                der Zukunft kann hier wieder etwas anderes       zimmerwohnung in einem Hausabschnitt                                sein – die Struktur ist tauglich für alles Mög-  oder sogar auf einer Etage. Das heißt, wenn                                liche, sicher auch für Zwecke, von denen wir     sich die Lebensrealitäten zweier Parteien                                heute noch gar nichts wissen. Ich finde es       verändern, werden sie im selben Haus um-                                wichtig, dass eine Wohnung nicht zu präzise      ziehen und tauschen können – ohne großen                                auf eine ganz bestimmte Klientel ausgerich-      baulichen Aufwand.                                tet ist. Nichtflexibilität ist ein wesentlicher                                Grund, wenn Leute ausziehen müssen.              H von G: Nun ist es ja so, dass in den Städ-                                SH: Das kann ich nur unterstreichen. Trotz-      ten ein großer Teil der neuen Wohnungen                                dem möchte ich mit einem Missverständnis         von Bauträgern und Projektentwicklern                                aufräumen: Flexibilität wird oft so inter-       geschaffen wird. Wie prägt das den Woh-                                pretiert, dass die Struktur eines Gebäudes       nungsbau?                                beliebig veränderbar sein soll. Grundrisse       SH: Das Bauträgermodell bringt schon be-                                müssen aber nicht beliebig veränderbar sein,     stimmte Charakteristika mit sich. Es wird für                                sondern vielmehr so durchdacht und damit         einen Nutzer geplant und entschieden, den                                belastbar, dass sie nutzungsflexibel sind.       man noch nicht kennt. Das geht schon beim                                                                                                                47
Beauftragen der Architekten los, also dem      te in Berlin beispielsweise sind von ambiti-   „Ich wundere mich immer wieder,  kreativen Part, und zieht sich dann durch die  onierten Architekten gebaut worden? Ein         wie anspruchslos die Mieter und  ganze Planungsphase durch. Leider führt        Projekt wie der „Sapphire“ von Daniel Libes-    Käufer in Deutschland sind.“  das oft zu sehr standardisierten Ergebnis-     kind an der Chausseestraße bleibt doch die  sen. Das ist etwas ganz anderes, wenn wir      Ausnahme. Mit der Masse des Gebauten hat  den Bauherrn eines Einfamilienhauses neh-      das wenig zu tun, oder?  men, der sehr bewusst mit seinem Architek-     SH: Ich erschrecke eher, wie häufig nam-  ten Entscheidungen für jedes Detail getrof-    hafte Architekten an schlechten Projekten  fen hat. Da kommt er in der Summe zu einem     beteiligt sind. Mit deren Namen dann auch  ganz anderen Ergebnis und zu einer höheren     geworben wird. Da hat sich eine bestimmte  Identifikation.                                Vorgehensweise etabliert: Bauherren wis-  PCS: Naja, ich würde mal kess behaupten,       sen, dass es aufwendig ist, anspruchsvolle  dass die erfolgreichsten Wohnungen, die        Architektur zu produzieren, es macht die  wir in der westlichen Welt kennen, alle-       ganze Geschichte definitiv teurer, teurer,  samt von Bauträgern errichtet wurden: Das      teurer. Namhafte Architekten werden also  sind die Altbauwohnungen aus der Zeit um       nur mit dem Entwurf beauftragt, nicht mit  1900. Die Architekten hatten damals kaum       den folgenden Leistungsphasen. Das führt  Mitspracherecht – eigentlich das totale In-    dann dazu, dass gute Architektennamen mit  vestorenmodell. Ein Bauträger, der in der      Projekten verbunden sind, die bei Weitem  Gründerzeit an den neuen Stadtvierteln         nicht das Niveau besitzen, das man mit ih-  mitbaute, hatte z.B. ein Grundstück, auf das   nen verbindet. Aber Sie haben schon recht,  15 Achsen passten. Dann hat er zum Archi-      vieles wird auch einfach von Dienstleistern  tekten gesagt: „Hier kommen drei Achsen        gebaut, die alles machen, was der Bauträger  hin, das Treppenhaus rechts, das nächste       möchte, und es irgendwie so hinbiegen, dass  Haus kriegt fünf Achsen, das Treppenhaus       Bauzeit, Kosten und Gestaltung im Rahmen  kommt nach hinten“ und so weiter. Und die      bleiben. Und das funktioniert, weil die Käu-  ganze Innenausstattung kam von der Stan-       fer zu unkritisch sind und auf die falschen  ge. Dass sich so etwas als die erfolgreichste  Kriterien achten.  Verwirklichung von Wohnungsbau etabliert       JMH: Ich denke, dass bei vielen Investoren  hat, ist schon kurios.                         und auch Käufern Sicherheit eine zentrale                                                 Rolle spielt – ich kaufe etwas, was ich schon  H von G: Wie viel Einfluss hat denn der Ar-    kenne, weil ich es schon irgendwo anders  chitekt heute auf Bauträgerarchitektur?        gesehen habe. Wenn es beige ist, funktio-  JMH: Das meiste, was in diesem Bereich ge-     niert es meistens gut. Noch mal etwas zu  baut wird, würde ich, auch wenn vielleicht     den hohen Kosten, von denen Stefan Högl-  Architektennamen dahinterstehen, nicht         maier gerade gesprochen hat: Die Bauindus-  unbedingt als Architektur bezeichnen. Für      trie ist unglaublich erfolgreich darin, durch  mich ist das Bauen, mit wenig kreativem En-    Lobbyarbeit überzogene Standards durch-  gagement. Ich wundere mich immer wieder,       zusetzen, die der Gestaltung kaum noch  wie anspruchslos die Mieter und Käufer in      Freiraum lassen. Das treibt die Baukosten  Deutschland offenbar sind. Blickt man nach     enorm in die Höhe.  Frankreich, Dänemark oder Holland, reibt       SH: Trotzdem kostet das Bauen und Planen  man sich die Augen, wie viel höher das Ni-     einfach eine ganze Ecke weniger, wenn ich  veau und wie viel größer die Neugier auf in-   mir den guten Architekten spare. Nicht nur  dividuelle zeitgenössische Architektur dort    von der Planungsseite, sondern auch von  ist. Ich habe noch nicht richtig herausbe-     den Baukosten. Es ist natürlich eine andere  kommen, warum wir in Deutschland so eine       Nummer, wenn der Generalunternehmer  geringe Gestaltungserwartung haben und         nicht an eine Detailplanung gebunden ist,  damit unsere Städte kaputtmachen.              sondern ein Geländer nach eigenem Gusto                                                 so gestalten kann, dass es den Vorschrif-  H von G: Liegt das auch daran, dass Bauträ-    ten entspricht und es wurscht ist, wie es  ger zu selten gute Architekten beauftragen?    aussieht. Das ist so eklatant viel günstiger,  Wie viele der großen Wohnungsbauprojek-        dass es sich natürlich im Quadratmeterpreis    48 ARCHITEK TONISCHE QUALITÄT
bemerkbar macht. Und der Bauträger muss         wir auch kein Problem mit Gentrifizierung.  den Käufern diese höheren Kosten ja ver-        Das ist ja eine sehr zynische Haltung der Be-  mitteln. Aber die schauen immer nur auf die     hörden.  Lage und die Ausstattung. Den Unterschied       SH: So wird aber tatsächlich argumentiert:  zwischen dem Nichtarchitektenhaus und           Setzt man Leuchtturm-Architekturen in  dem Architektenhaus sehen sie nicht. Sie        ein Stadtviertel, bestünde die Gefahr, dass  vergleichen nur Renderings, die alle ähnlich    auf Kommune und Investor mit dem Finger  aussehen, und die Ausstattung – bodentie-       gezeigt wird. Die Behörden haben Angst  fe Fenster, Parkett, Designfliesen – und die    vor öffentlicher Erregung. Nullachtfünf-  ist auch gleich. Und dann kostet das eine       zehn-Häuser sind hingegen schnell verges-  wegen einem Architektennamen, den man           sen. So wurde mir das schon auf höchster  vielleicht irgendwann mal gehört hat oder       kommunaler Ebene vermittelt.  auch nicht, 10 Prozent mehr. Das ist erst       JMH: Das ist interessant, wenngleich ich in  einmal eine Riesenhürde, weil der durch-        verschiedenen Städten andere Erfahrun-  schnittliche Käufer schwer einschätzen          gen gemacht habe: Nach meinem Wissen  kann, ob das Haus oder die Wohnung auch         ist der Auftrag einer Behörde weniger die  10 Prozent oder vielleicht sogar 20 Prozent     Gestaltung, sondern die Einhaltung der  mehr wert ist. Im Zweifel geht er doch lie-     Regeln. Trotzdem führen wir interessierte  ber auf Nummer sicher und kauft das etwas       und spannende Gespräche bei unseren vor-  günstigere Produkt.                             geschlagenen Projekten. Das Interesse am  JMH: Aber Stefan, was machst Du jetzt an-       Entwurf und an der Konzeption der Gestal-  ders als die anderen? Du hast mit Euroboden     tung ist groß, auch wenn es nicht unbedingt  ja ein erfolgreiches Modell entwickelt. War-    ausschlaggebend für die Genehmigungsfä-  um wird es dann nicht von anderen kopiert       higkeit des Projektes ist. Die Ausnahme sind  und alle bauen so interessante und gestal-      natürlich städtebaulich wichtige Bauvorha-  terisch anspruchsvolle Häuser wie Ihr?          ben oder Gebiete mit Gestaltungssatzung,  SH: Wir verdienen unser Geld nicht über die     wo dann manchmal auch ein Wettbewerb  schönen Häuser, sondern über die Projekt-       von Seiten der Stadt gefordert wird.  entwicklung, über die Baurechtschaffung.        PCS: Die Aufgabe der Behörden liegt ja  Mit der Umsetzung verdienen wir kein Geld.      auch woanders. Sie müssen darauf achten,  PCS: Moment mal, Sie verdienen Ihr Geld mit     dass die soziale Mischung in einem Quar-  der Schaffung des Baurechts? Nützen Ihnen       tier erhalten bleibt. Das heißt, dass sie zum  die guten Entwürfe nicht bei Verhandlun-        Beispiel die Bauträger zwingen müssen, ei-  gen mit den Kommunen? Die müssten doch          nen bestimmten Prozentsatz an sozialen  an einem Bau von Jürgen Mayer H. mehr In-       Wohnungen und Mittelstandsförderung zu  teresse haben als an einer Standardlösung.      schaffen. In München gibt es das sogenann-  SH: Ja, so stellt man sich das vor. Manch-      te „München Modell“, in Frankfurt haben  mal ist es auch so. Aber oft sagen mir Leute    wir jetzt etwas Ähnliches, bei jeder neuen  vom Baudezernat: „Ehrlich gesagt hätten         Wohnanlage sind 20 Prozent sozialer Woh-  wir es lieber, wenn Sie so eine Nullachtfünf-   nungsbau und 20 Prozent Mittelstandsför-  zehn-Bude planen würden wie die Konkur-         derung Pflicht. So können Kommunen eine  renz. Die können wir schnell durchwinken,       Gegend doch viel besser beeinflussen.  und da haben wir nicht so viel Angriffsflä-  che, was da wieder für ein tolles – und da-     H von G: Welche Rolle spielt innovative,  mit teures – Haus entsteht.“ Da ist Euro-       spannende Architektur, die sich, wie wir  boden dann in der Öffentlichkeit der ganz       gesehen haben, ja schon im hochpreisigen  böse Gentrifizierer. Man scheint zu denken:     Segment schwertut, im Bereich der Wohn-  Je schlechter wir die Stadt machen, umso        architektur für die breite Masse oder gar  weniger attraktiv ist sie und umso geringer     im sozialen Wohnungsbau? Die Wohnungs-  wird die Nachfrage.                             baugesellschaft Berlin-Mitte GmbH (WBM)  PCS: Das heißt also, bauen Sie bitte etwas      plant derzeit mit dem bekannten Architek-  Mittelmäßiges, dann wird die Gegend nicht       turbüro Barkow Leibinger ein Ultraleicht-  so toll. Und wenn sie nicht so toll ist, haben  beton-Hochhaus in Berlin-Friedrichshain.                                                    49
Wie oft kommt es zu einer solchen Zusam-       H von G: Wir haben jetzt davon gesprochen,      „Günstige Wohnungen gehen  menarbeit mit dem Ziel, bezahlbaren und        welchen Einfluss auf den Wohnungsbau und         nur über günstige Grundstücke.  zugleich architektonisch anspruchsvollen       die architektonische Qualität Bauträger und      Die Baukosten spielen eine  Wohnraum zu schaffen?                          Kommunen haben. Welche Rolle spielen in          u ntergeordnete Rolle.“  PCS: Die WBM bemüht sich generell um ar-       diesem Kontext die Makler – oder das Immo-  chitektonische Qualität … das ist ja auch      bilienmarketing?  ein guter Ansatz. Oft werden auch die Bau-     PCS: Wir haben gerade in Frankfurt einen  gruppen gepriesen. Aber sie tragen in sich     interessanten Fall: der Grand Tower, ein  immer noch das Risiko der Spekulation: In      Wohnturm im Europaviertel, der 2019 fertig-  Berlin etwa haben sie vom Senat vor Jahren     gestellt wird. Die Wohnungen sind zu 40 bis  günstiges Bauland bekommen und konnten         50 Prozent an ausländische Investoren ver-  Wohnungen für 2.000 Euro pro Quadrat-          kauft worden. Jetzt besteht die Angst, dass  meter realisieren. Jetzt verkauft mancher      das Haus eine riesige leerstehende Immobilie  Schlaumeier sie für 6.000 Euro. Am besten      sein wird, welche die Stadt Frankfurt und ihre  sind Genossenschaften, der Grund und Bo-       Stadtplanung, aber auch den Ruf der Hoch-  den bleibt in Erbpacht. Die Mitglieder kom-    häuser und das Image des Europaviertels  men und gehen, aber die Genossenschaft         schwer schädigt. Wie ich hörte, war es der  bleibt. Spekulation ist ausgeschlossen. In     Makler, der dem Bauherrn gesagt hat: „Pass  einem solchen Kontext kann man sich auf        auf, wir gehen direkt in den chinesischen  Wohnen für alle konzentrieren – mit guten      Markt, wir haben die Verbindungen, und da  Architekten. Es könnte ein neues und inte-     brauchen wir diese und jene Art von Woh-  ressantes Experiment sein, wenn Bauträger      nungsgröße, so kannst Du viel höhere Qua-  mit Genossenschaften etwas planen. Das         dratmeterpreise herausholen.“ Jetzt reden  fände ich einen Weg, um bezahlbaren Woh-       wir von 15 oder 20.000 Euro pro Quadratme-  nungsbau in die Stadt zu kriegen, der nicht    ter. Sicher hat der Bauherr sich da nicht groß  spekulativ ist.                                gewehrt, am Ende haben beide mehr daran  SH: Ich glaube, dass die Wohnungsfrage         verdient, das war ja der Sinn der Sache …  eine politische Frage ist. Alle sind darauf    SH: Das kann man aber auch anders sehen.  angewiesen, dass sie günstige Grundstücke      Der Vertrieb sollte schon ein gehöriges  bekommen. Der Erwerb von Grund und Bo-         Wort mitzureden haben. Ich rede von Ver-  den macht heutzutage den Löwenanteil der       trieb, weil der Makler mit bestehenden, der  Gesamtkosten aus. Günstige Wohnungen           Vertrieb mit projektierten Immobilien ar-  gehen nur über günstige Grundstücke. Die       beitet. Wenn jemand 50 oder 100 Millionen  Baukosten spielen eine untergeordnete Rol-     in ein Projekt investiert, dann sollte er sich  le. Das ist die Aufgabe der Politik: Wie kann  die Meinung des Vertriebs anhören, was  man günstige Grundstücke in der Stadt zur      das beste Produkt am Markt wäre und wel-  Verfügung stellen?                             che Preise für die Wohnungen aufgerufen  PCS: Die Städte müssen die zulässige Dich-     werden können. Natürlich hofft jeder Bau-  te neu definieren. Selbst dann, wenn eine      träger, dass der Vertrieb einen hohen Preis  Stadt wie Berlin alle ihre Grundstücke ver-    nennt, damit am Ende Geld verdient wird.  kauft hat, kann sie trotzdem über das Pla-     Nicht mehr Geld, sondern überhaupt Geld.  nungsrecht massiv Einfluss nehmen. Sie         Es ist ja nicht so, dass mit allen Projekten  kann mehr Dichte und mehr Höhe zulas-          Geld verdient wird.  sen, sie kann Grundstückseignern verbie-  ten, diese liegenzulassen, sie kann die Ge-    H von G: Ist der Vertrieb für diese Rückmel-  nehmigungsverfahren verkürzen. Das ist         dung, was der Markt überhaupt verlangt,  alles möglich. Städte, wie Barcelona oder      nicht für alle anderen Beteiligten an einem  Amsterdam packen das heute entschlossen        Bau sehr wichtig? Architekten müssen doch  an. Dort fängt man wieder an zu steuern        beim Entwurf berücksichtigen, was die Käu-  und ist sich bewusst, wieviel Macht man        fer gerade suchen. Oder woher weiß man  besitzt. In Berlin hingegen tut sich der Se-   das als Architekt?  nat sehr schwer. Die Stadt München agiert      JMH: Nehmen wir einmal das Wohnhaus Jo-  da wesentlich besser.                          hannisstraße 3 in Berlin-Mitte, das wir 2008    50 ARCHITEK TONISCHE QUALITÄT
                                
                                
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