junge Mann fuhr herum; dieser Angriff konnte nicht von derBastion herkommen, gegen die hier die Brustwehr schützte.Da fielen ihm die beiden Soldaten, die zurückgeblieben waren,und die zwei Wegelagerer vom Vortage wieder ein. Diesmalaber wollte er wissen, woran er war, und so ließ er sich wie totüber die Leiche seines Kameraden fallen. Gleich darauf sah er etwa dreißig Schritt entfernt über einerverlassenen Schanze zwei Köpfe auftauchen: es waren die bei-den verschwundenen Soldaten. Unser Gascogner hatte sichnicht getäuscht; die beiden Männer hatten sich zu der Erkun-dung nur gemeldet, um ihn gefahrlos umbringen und seinenTod dem Feinde zuschreiben zu können. Da sie aber damitrechnen mußten, daß er nur verwundet war und ihr Verbre-chen noch aufdecken konnte, eilten sie herbei, um ihm denGaraus zu machen. Zum Glück fühlten sie sich durch d’Ar-tagnans List so sicher, daß sie es versäumten, ihre Gewehreneu zu laden. Als sie bis auf zehn Schritt herangekommenwaren, sprang d’Artagnan, der auch im Fallen seinen Degennicht losgelassen hatte, plötzlich hoch und war mit einemSatz bei ihnen. Die Mörder wußten, daß sie verloren waren, wenn sie zumLager zurückflohen, ohne ihn getötet zu haben; ihr ersterGedanke war daher, zum Feind überzulaufen. Der einepackte sein Gewehr am Lauf und schwang es wie eine Keulemit voller Wucht gegen d’Artagnan; der konnte dem Schlagzwar ausweichen, aber der Bandit hatte dadurch freie Bahnund rannte sofort in Richtung Bastion davon. Da man dortjedoch nicht ahnte, in welcher Absicht der Mann auf sie zu-gelaufen kam, empfing man ihn mit einer heißen Salve, under stürzte mit zerschmetterter Schulter nieder. Inzwischen war d’Artagnan mit dem blanken Degen aufden anderen Banditen eingedrungen, und da dieser zu seinerVerteidigung nur seine abgefeuerte Flinte hatte, dauerte derKampf nicht lange. Zwar glitt die Klinge an dem Gewehrlaufab, doch drang sie dem Kerl so tief in den Oberschenkel, daßer mit einem Schrei zusammenbrach. Sofort war der Gasco-gner über ihm und setzte ihm die Degenspitze an die Kehle. »Tötet mich nicht!« jammerte der Bandit. »Gnade, Gnade,Herr Offizier! Ich sage Euch auch alles!«450
»Ist dein Geheimnis so viel wert, daß ich dir das Lebenschenke?« »Ja, sofern das Leben etwas bedeuten kann, wenn manzweiundzwanzig Jahre alt ist wie Ihr und so schön und tap-fer wie Ihr, daß man es noch weit bringen kann!« »Sprich, Elender, aber schnell! Wer hat dir den Auftrag ge-geben, mich zu töten?« »Eine Frau, die ich nicht kenne, die aber Mylady genanntwird.« »Woher willst du das wissen, wenn du sie doch gar nichtkennst?« «Mein Kamerad kennt sie, und er nannte sie so. Mit ihm hatsie ja auch verhandelt, nicht mit mir. Er hat von ihr sogar einenBrief in der Tasche, der nach allem, was er darüber gesagt hat,von großer Wichtigkeit für Euch sein muß.« »Und weshalb hast du dich an dieser Schurkerei beteiligt?« »Er hat mir vorgeschlagen, die Sache zu zweit zu machen,und ich habe ja gesagt.« »Und wieviel hat Euch die Frau für dieses saubere Unter-nehmen gegeben?« »Hundert Dukaten.« »Donnerwetter!« sagte der junge Mann lachend. »Offenbarbin ich ihr doch einiges wert. Hundert Dukaten! Das ist eineganz hübsche Summe für solch traurige Wichte, wie ihr esseid; da kann ich verstehen, daß du ja gesagt hast. Ich will dirauch vergeben, aber unter einer Bedingung!« »Ja?« fragte der Bandit unsicher, da er merkte, daß die Sa-che noch nicht zu Ende war. »Du mußt mir erst den Brief holen, den dein Spießgesellein der Tasche hat.« »Aber das ist ja nur eine andere Art, mich umzubringen!«jammerte der Bandit. »Wie kann ich Euch denn den Brief un-ter dem Feuer der Bastion zurückholen?« »Du wirst dich trotzdem dazu entschließen müssen, oderdu stirbst hier von meiner Hand, das schwöre ich dir!« »Gnade, o Herr! Erbarmt Euch meiner im Namen derschönen jungen Frau, die Ihr liebt und die Ihr vielleicht totglaubt, obwohl sie es nicht ist!« rief der Bandit und richtetesich in den Knien auf, wobei er sich mit den Händen stützte, 451
denn durch den Blutverlust begannen ihm die Kräfte zuschwinden. »Und woher weißt du, daß es eine junge Frau gibt, die ichliebe, und daß ich sie für tot gehalten habe?« »Durch den Brief, den mein Freund bei sich hat.« »Du siehst also selbst, daß ich diesen Brief unter allen Um-ständen haben muß. Darum besinne dich nicht länger, oder,bei meiner Ehre, ich töte dich, so widerlich es mir auch ist,meinen Degen ein zweites Mal mit dem Blut eines Schuftes zubesudeln!« Und d’Artagnan begleitete diese Worte mit einerso drohenden Gebärde, daß sich der Verwundete aufraffte. »Haltet ein!« rief er, vor lauter Angst wieder mutig ge-worden. »Ich geh ja schon, ich geh ja …« D’Artagnan hob das Gewehr auf und drängte den Bandi-ten vor sich her, wobei er ihn von Zeit zu Zeit mit der De-genspitze zur Eile antrieb. Es war jammervoll, mit anzuse-hen, wie der Kerl, der eine breite Blutspur hinterließ, sich un-gesehen zu seinem Spießgesellen zu schleppen versuchte.Kalter Schweiß bedeckte sein kreideweißes Gesicht, das dieAngst grauenhaft verzerrte. Schließlich wurde es dem Gas-cogner zuviel, und er sagte voller Verachtung: »Hör schonauf! Ich werde dir den Unterschied zwischen einem beherz-ten Mann und einer Memme zeigen. Bleib, ich gehe selber!« Und während er unablässig die Bastion im Auge behielt,gelangte er unter geschickter Ausnutzung des Terrains mitwenigen Sprüngen zu dem anderen Banditen. Nun hatte erdie Möglichkeit, diesen an Ort und Stelle zu durchsuchenoder ihn wie einen Schild auf den Rücken zu nehmen underst in den Graben zurückzubringen. D’Artagnan entschiedsich für den zweiten Weg, und gerade, als er sich den Bandi-ten auf die Schultern lud, krachte von der Bastion eine Salveherüber. Ein leichter Stoß, der dumpfe Aufprall von drei Ku-geln, ein Zucken und ein letztes Röcheln sagten d’Artagnan,daß der Mann, der ihn umbringen wollte, ihm soeben das Le-ben gerettet hatte. D’Artagnan erreichte den Laufgraben, lud den Toten ne-ben dem Verwundeten ab, der nicht minder bleich war, undbegann sofort mit der Durchsuchung: eine lederne Briefta-sche, eine Börse, in der sich augenscheinlich noch ein Teil der452
Summe befand, die der Bandit für seinen Auftrag erhaltenhatte, sowie ein Becher mit den dazugehörenden Würfeln bil-deten die ganze Hinterlassenschaft des Toten. Er ließ den Be-cher und die Würfel, wo sie hingefallen waren, warf die Börsedem Verwundeten zu und öffnete hastig die Brieftasche. Un-ter verschiedenen wertlosen Papieren fand er endlich denBrief, für den er sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte; er lau-tete wie folgt:»Da Ihr die Spur der Frau verloren habt, die nun in jenem Klo-ster, wohin Ihr sie niemals gelangen lassen durftet, in Sicherheitist, so seht zu, daß Euch auf keinen Fall der Mann entgeht! Ihrwißt, daß mein Arm weit reicht, und Ihr könntet die hundertDukaten, die Ihr von mir habt, sonst teuer bezahlen!« Keine Unterschrift. Trotzdem gab es keinen Zweifel, daßdieser Brief von Mylady stammte. Nachdem d’Artagnan ihnals Beweisstück zu sich gesteckt hatte, begann er im Schutzder Brustwehr, den Verwundeten auszufragen. Der gestand,daß er und sein Spießgeselle auch noch den Auftrag hatten,eine junge Frau zu entführen, die Paris durch das Tor von LaVillette verlassen sollte; sie waren jedoch in einer Schenkeeingekehrt und hatten überm Trinken die Kutsche um zehnMinuten verfehlt. »Aber was hättet ihr denn mit dieser Frau angefangen?«fragte d’Artagnan entsetzt. »Wir sollten sie in ein Haus am Place Royale bringen.« »Ja, ja«, murmelte der junge Mann, »auch noch zu ihr insHaus!« Erst jetzt erfaßte er schaudernd, welch furchtbare Rach-sucht diese Frau beherrschte, daß sie ihn und alle, die ihn lieb-ten, um jeden Preis zu verderben trachtete, und wie gut sie sichin den Verhältnissen am Hof auskannte, daß sie das alles er-fahren hatte. Offenbar verdankte sie diese Kenntnisse demKardinal. Gleichzeitig sagte er sich mit einem Gefühl ehrlicherFreude, daß die Königin zu guter Letzt doch noch das Ge-fängnis, in dem die arme Frau Bonacieux für ihre Ergebenheitbüßte, aufgespürt und die Unglückliche daraus befreit hatte.Nun fanden auch ihr Brief und ihr flüchtiges Erscheinen aufder Straße nach Chaillot eine Erklärung. Darüber hinaus zeigte 453
sich, wie Athos vorausgesagt hatte, eine Möglichkeit, seineGeliebte wiederzufinden, denn ein Kloster war schließlichnicht uneinnehmbar. Dieser Gedanke stimmte ihn vollendsmilde. Er wandte sich wieder zu dem Verwundeten, der angst-voll sein wechselndes Mienenspiel verfolgt hatte, und reichteihm den Arm. »Komm«, sagte er, »ich will dich hier nicht so liegenlassen.Stütz dich auf mich, und kehren wir ins Lager zurück!« »Ja«, erwiderte der Bandit, der kaum an so viel Großmutglauben konnte, »aber werdet Ihr mich auch nicht hängenlassen?« »Du hast mein Wort, ich schenke dir das Leben!« Der Verwundete sank in die Knie und küßte seinem Retterdie Füße; aber d’Artagnan, der wirklich keinen Grund hatte,noch länger in der Nähe des Feindes zu bleiben, machte die-sen Dankesbeteuerungen rasch ein Ende. Der Gardist, der auf die erste Salve der Belagerer hin insLager zurückgeeilt war, hatte den Tod seiner vier Gefährtengemeldet. Man war daher höchst verwundert und erfreut, denjungen Mann doch noch wohlbehalten wiederzusehen. D’Ar-tagnan erfand, um den Degenstich seines Kameraden zu er-klären, einfach einen Ausfall des Feindes; dann schilderte erden Tod des anderen Soldaten und die Gefahren, unter denenman sich zurückgezogen habe. Dieser Bericht wurde zu ei-nem wahren Triumph für ihn. Die ganze Armee sprach einenTag lang nur von der tollkühnen Erkundung, und Seine Kö-nigliche Hoheit, der Herzog von Orléans, ließ ihm seine Be-lobigung aussprechen. Endlich hatte die mannhafte Tat, die wie jede ihren Lohnin sich selbst trug, zur Folge, daß d’Artagnan seine verloreneRuhe wiederfand. Da nämlich von den beiden Banditen dereine tot und der andere ihm ergeben war, glaubte unser jun-ger Freund allen Ernstes, er könne nunmehr unbesorgt in dieZukunft sehen. Eine so einfältige Annahme bewies jedoch nur, daß d’Ar-tagnan Mylady noch nicht kannte.454
Ein überraschendes GeschenkNach den ersten, fast hoffnungslos klingenden Nachrichtenüber das Befinden des Königs verbreitete sich im Lager all-mählich die Kunde von seiner Genesung; auch hieß es, daßer große Eile habe, selber vor La Rochelle zu erscheinen, unddaß er daher, sobald er sich nur wieder auf ein Pferd schwin-gen könne, den unterbrochenen Marsch fortsetzen werde. Inzwischen blieb der Bruder des Königs ziemlich untätig, daer ja wußte, daß er jeden Tag durch den Herzog von Angou-lême, durch Bassompierre oder Schomberg, die sich alle denOberbefehl streitig machten, abgelöst werden konnte; so ver-lor er seine Zeit mit kleinen Scharmützeln, statt daß er zu einemgroßen Schlag ausholte, um die Engländer von der Insel Ré zuvertreiben, wo sie noch immer die Zitadelle Saint-Martin unddas Fort La Prée belagerten, während die Franzosen ihrerseitsLa Rochelle belagerten. D’Artagnan war bekanntlich wieder ruhig geworden, wiees einem meist nach einer überstandenen Gefahr geht, zumalwenn man die Gefahr damit völlig beseitigt glaubt. Sein ein-ziger Kummer war, daß er keine Nachricht von seinen Freun-den hatte. Doch Ende November erhielt er eines Morgenseinen Brief aus Villeroy, der ihm alles erklärte:»Sehr geehrter Herr d’Artagnan!Die Herren Athos, Porthos und Aramis haben bei mir getafelt unddabei ihre gute Laune auf so lärmende Weise bekundet, daß dergestrenge Herr Schloßprofos ihnen für einige Tage Hausarrest zu-diktieren mußte. Sie haben mich jedoch beauftragt, Euch zwölfFlaschen meines Anjouweines zu übersenden, den sie sehr zu rüh-men wußten. Die Herren bitten Euch, ihren Lieblingswein aufihre Gesundheit zu trinken. Indem ich diesem Auftrag nachkomme, bin ich, hochedlerHerr, mit allem schuldigen Respekt Euer ergebenster und gehorsamster Diener Godeau, Gastwirt der Herren Musketiere.« »Donnerwetter, das lass’ ich mir gefallen!« rief d’Artagnan.»Die Guten denken an mich, wenn sie feiern, so wie ich an 455
sie gedacht habe, als ich Kummer hatte. Und ob ich auf ihreGesundheit trinken will! Mit dem größten Vergnügen, meineFreunde, und wie es sich gehört, in wackrer Gesellschaft!« D’Artagnan lief sogleich zu zwei Gardisten, mit denen erauf freundschaftlicherem Fuß stand als mit den anderen, undlud sie ein, mit ihm die guten Flaschen zu leeren, die ihm da vonVilleroy zugeschickt worden waren. Aber der eine der beidenhatte schon für denselben Tag, der andere für den folgendeneine Einladung; so wurde das Gelage auf den übernächsten Tagfestgesetzt. Die zwölf Flaschen schickte d’Artagnan inzwi-schen in die Schenke der Garden, mit dem Befehl, sie sorgsamaufzubewahren. Am festgesetzten Tag mußte sich Planchet schon um neunUhr morgens in die Schenke begeben, um für den auf ein Uhranberaumten Festschmaus alle Vorkehrungen zu treffen. VollerStolz, zu dem Rang eines Haushofmeisters aufgestiegen zusein, gedachte Planchet besonders umsichtig zu verfahren; ausdiesem Grunde nahm er sich noch den Diener eines der Gä-ste, einen gewissen Fourreau, zu Hilfe und Brisemont, jenenfalschen Soldaten, der d’Artagnan nach dem Leben getrachtethatte und der seitdem in seine oder vielmehr in PlanchetsDienste getreten war. Um ein Uhr erschienen die beiden Gardisten, man setztesich, und die Speisen wurden aufgetragen. Planchet wartetemit einer Serviette unter dem Arm auf, Fourreau entkorkte dieFlaschen, und Brisemont füllte den Wein, der durch das Schüt-teln unterwegs gelitten zu haben schien, in gläserne Karaffenum. Dabei wies die erste Flasche einen ziemlich trüben Satzauf, den Brisemont in ein Glas abgoß, und da der arme Teufelimmer noch nicht bei Kräften war, erlaubte ihm d’Artagnan,diesen Rest zu trinken. Nachdem man die Suppe gegessen hatte, wollte man ebenden ersten Schluck Wein kosten, als plötzlich vom Fort Louisund vom Fort Neuf Kanonenschläge herüberdröhnten. In demGlauben, es handele sich um einen unvorhergesehenen Angriffder Belagerten oder der Engländer, sprangen die drei Gardistenauf, griffen zu ihren Degen und stürzten hinaus, um sich aufihre Posten zu begeben. Kaum hatten sie jedoch die Schenkeverlassen, als sie auch schon die Ursache des Lärms erfuhren.456
Von allen Seiten erscholl der Ruf: »Es lebe der König! Es lebeder Kardinal!«, begleitet von lebhaftem Trommelwirbel. Tatsächlich hatte der König in seiner Ungeduld für denMarsch einen Tag weniger gebraucht als vorgesehen und trafnun mit seinem ganzen Hofstaat und zehntausend Mann Ver-stärkung vor La Rochelle ein. Seine Musketiere marschiertenunmittelbar vor und hinter ihm; d’Artagnan, der mit seinerKompanie Spalier bildete, grüßte seine Freunde und Herrn deTreville mit sichtlicher Freude. Nachdem die Empfangsfeierlichkeiten vorüber waren, lagensich die vier Freunde bald in den Armen. »Weiß der Himmel«, rief d’Artagnan, »ihr konntet euchwirklich keine bessere Zeit für euer Kommen aussuchen! DerBraten ist bestimmt noch warm! Hab ich nicht recht, meineHerren?« setzte er, zu den beiden Gardisten gewandt, hinzuund machte sie mit seinen Freunden bekannt. »Oho«, sagte Porthos, »das sieht ja ganz nach einem Ban-kett aus!« »Ich hoffe«, bemerkte Aramis, »daß zu Eurer Tafel keineDamen geladen sind.« »Gibt es auch einen trinkbaren Wein in diesem Loch?« er-kundigte sich Athos. »Was für eine Frage, mein Lieber! Wir trinken natürlicheuern Wein«, antwortete d’Artagnan. »Unsern Wein?« fragte Athos verwundert. »Ja, den ihr mir geschickt habt.« »Wir haben Euch Wein geschickt?« »Oh, Ihr wißt schon, diesen leckeren Tropfen von denRebhügeln Anjous!« »Ja, ich weiß durchaus, welchen Wein Ihr meint.« »Den Ihr am liebsten trinkt.« »Gewiß, wenn ich weder Champagner noch Burgunderhabe.« »Nun, in Ermangelung von Champagner und Burgunderwerdet Ihr wohl damit vorliebnehmen.« »So, so, da habt Ihr Euch also Anjouwein kommen lassen,Ihr Leckermaul!« sagte Porthos. »Aber nein, man hat mir doch den Wein in euerm Auftraggeschickt!« 457
»In unserem Auftrag?« wiederholten die drei Musketiere. »Sagt, Aramis«, fragte Athos, »habt Ihr etwa den Wein ge-schickt?« »Nein, und Ihr Porthos?« »Nein, und Ihr Athos?« »Nein.« »Nun, wenn es keiner von euch dreien gewesen sein will«,sagte d’Artagnan, »dann war es doch ganz ohne Zweifel euerWirt!« »Unser Wirt?« »Aber ja, euer Wirt, ein gewisser Godeau, der sich Gastwirtder Musketiere nennt!« »Herrgott noch mal«, rief Porthos, »mir ist wirklich gleich,wo er herkommt, wenn er nur gut ist, und das können wir jasofort feststellen!« »Nein«, sagte Athos, »wir wollen lieber keinen Wein un-bekannter Herkunft trinken!« »Ihr habt recht, Athos«, versetzte der Gascogner. »Es hatalso keiner von euch den Godeau beauftragt, mir Wein zuschicken?« »Nein, und doch hat er Euch welchen in unserm Namengeschickt?« »Hier ist sein Brief!« sagte d’Artagnan und zeigte denFreunden das Begleitschreiben. »Das ist nicht seine Schrift«, sagte Athos. »Die kenne ichnämlich, denn vor dem Weitermarsch habe ich für uns allemit dem Wirt abgerechnet.« »Der Brief ist gefälscht«, erklärte auch Porthos, »wir habendoch keinen Arrest gehabt!« »Aber guter Freund«, sagte Aramis vorwurfsvoll, »wiekonntet Ihr nur glauben, wir hätten gelärmt?« D’Artagnan erbleichte, und ein krampfhaftes Zittern befielseinen ganzen Körper. »Was ist mit dir? Du erschreckst mich!« rief Athos, der ihnnur selten duzte. »Rasch, rasch. Freunde!« schrie d’Artagnan. »Ich habe einenentsetzlichen Verdacht. Sollte es abermals ein Racheakt dieserFrau sein?« Nun erblaßte auch Athos. D’Artagnan rannte los, die drei458
Musketiere und die beiden Gardisten folgten. Als sie dieSchenke erreicht hatten und in den Raum stürmten, wo ihrFestschmaus gerichtet war, sahen sie Brisemont am Bodenliegen und sich in gräßlichen Krämpfen winden. Planchet undFourreau, beide kreidebleich, bemühten sich um ihn, aber eswar offensichtlich, daß hier keiner mehr helfen konnte: dieverzerrten Züge verrieten den Todeskampf. »Oh, wie schändlich von Euch!« rief der Sterbende beimAnblick d’Artagnans. »Erst tut Ihr so, als wolltet Ihr mir dasLeben schenken, und dann vergiftet Ihr mich!« »Ich dich vergiften, du Unglücksmensch? Was redest duda?« »Ja, Ihr habt mir diesen Wein gegeben, und Ihr habt ge-sagt, ich soll ihn trinken! Oh, wie schändlich, Euch so an mirzu rächen!« »Glaub das doch nicht, Brisemont, es ist ja nicht wahr! BeiGott, ich schwöre dir …« »O ja, Gott ist hier! Er sieht alles, und er wird Euch be-strafen. Mein Gott, laß ihn eines Tages so leiden wie mich!« »Bei allen Heiligen«, rief d’Artagnan und kniete neben demSterbenden nieder, »ich schwöre dir, ich hatte keine Ahnung,daß dieser Wein vergiftet ist, ich wollte ihn ja selber trinken!« »Ich glaube Euch nicht«, antwortete Brisemont. Und erstarb unter furchtbaren Qualen. »Scheußlich! Scheußlich!« murmelte Athos, während Por-thos die Flaschen zerschlug und Aramis etwas verspätet nacheinem Beichtvater schickte. »Meine Freunde«, rief d’Artagnan, »ihr habt mir noch ein-mal das Leben gerettet, und nicht nur mir, sondern auch die-sen Herren! Und ich bitte euch, meine Herren«, fuhr er, zuden Gardisten gewandt, fort, »über diesen Vorfall zu schwei-gen, denn es könnte sein, daß hohe Persönlichkeiten mit die-ser Geschichte etwas zu tun haben, und dann wären wir hierauf jeden Fall die Dummen!« »Ach, gnädiger Herr!« stammelte Planchet, mehr tot alslebendig. »Ach, gnädiger Herr, da bin ich ja noch einmal da-vongekommen!« »Wieso?« fragte d’Artagnan. »Wolltest du etwa meinenWein trinken?« 459
»Auf die Gesundheit des Königs, gnädiger Herr, wollte icheben ein winziges Gläschen leeren, als Fourreau mir sagte,man hätte mich gerufen.« »Ach ja«, stotterte Fourreau, der vor Schreck noch immermit den Zähnen klapperte, »ich wollte ihn doch nur weghaben,um selber ein bißchen zu kosten!« »Meine Herren«, wandte sich d’Artagnan abermals an diebeiden Gardisten, »ihr werdet gewiß begreifen, daß der be-absichtigte Festschmaus nach dem, was geschehen ist, nursehr traurig ausfallen könnte; ich bitte euch daher in allerForm um Entschuldigung und hoffe sehr, daß ihr mir Gele-genheit gebt, dieses Vergnügen zu einer günstigeren Stundenachzuholen!« Die beiden Gardisten waren einsichtsvoll genug, d’Arta-gnans Entschuldigung anzunehmen, und da sie merkten, daßdie vier Freunde allein sein wollten, empfahlen sie sich bald. Nun man ohne Zeugen war, schienen die Blicke, mit denenman einander ansah, sagen zu wollen, daß man sich des Ern-stes der Lage sehr wohl bewußt war. »Zunächst wollen wir dieses Zimmer verlassen«, sagteAthos. »Die Gesellschaft eines Toten ist nicht gerade er-munternd, und schon gar nicht die eines Ermordeten.« »Planchet!« rief d’Artagnan. »Kümmere dich um die Leichedieses armen Teufels! Man soll ihn in geweihter Erde begraben.Er hat zwar ein Verbrechen begangen, aber er hat es bereut.« Damit gingen die vier Freunde hinaus und überließen esPlanchet und Fourreau, Brisemont die letzte Ehre zu erwei-sen. Der Wirt stellte ihnen ein anderes Zimmer zur Verfügung,und mit wenigen Worten erklärte man Porthos und Aramis dieLage. »Ihr seht selbst, lieber Freund«, sagte d’Artagnan zu Athos,»es ist ein Kampf auf Leben und Tod!« Athos schüttelte den Kopf. »Ja, ja, das sehe ich; aber glaubt Ihr wirklich, daß sie es ist?« »Ganz sicher!« »Offen gestanden, ich bezweifle es noch immer.« »Aber die Lilie auf der Schulter?« »Sie wird eine Engländerin sein, die in Frankreich irgendeinVerbrechen begangen hat und dafür gebrandmarkt worden ist.«460
»Und ich kann Euch nur sagen, es ist Eure Frau, Athos«,erwiderte d’Artagnan leise. »Erinnert Euch doch nur, wie ge-nau Eure und meine Beschreibung übereinstimmten!« »Ich hätte darauf geschworen, daß sie tot ist; ich hatte sieso gut gehenkt!« Jetzt schüttelte d’Artagnan den Kopf. »Und was nun?« fragte er. »Es ist klar, daß man nicht ewig mit einem Damoklesschwertüber seinem Haupt leben kann«, sagte Athos. »Also muß mandem ein Ende machen.« »Aber wie?« »Hört, Ihr müßtet versuchen, irgendwo mit ihr zusam-menzukommen und Euch mit ihr auszusprechen! Sagt ihr:Krieg oder Frieden! Mein Wort als Edelmann, daß ich nie-mals etwas über Euch sage, nie etwas gegen Euch unterneh-men werde; von Euch dafür der feierliche Schwur, daß IhrEuch mir gegenüber neutral verhaltet. Wollt Ihr das nicht, sogehe ich zum Kanzler, zum König, gehe zum Henker, denganzen Hof hetze ich gegen Euch auf und gebe Euer Ge-heimnis preis, damit man Euch den Prozeß macht, und wennman Euch dennoch freispricht, nun wohl, dann bringe ichEuch an irgendeiner Straßenecke um wie einen tollen Hund!« »Der Weg erscheint mir gangbar«, sagte d’Artagnan, »aberwie komme ich mit ihr zusammen?« »Die Zeit wird schon für eine Gelegenheit sorgen, meinLieber, und die Gelegenheit bestimmt das Glück des Men-schen; je höher der Einsatz, desto höher der Gewinn, sofernman nur zu warten versteht.« »Ja, aber warten, wenn man von Mördern und Giftmischernumgeben ist?« »Ach was!« sagte Athos. »Gott hat uns bisher beschützt,er wird uns auch weiter beschirmen.« »Uns, ja … Zudem sind wir Männer, und schließlich ge-hört es sozusagen zu unserem Beruf, unser Leben aufs Spielzu setzen … Aber«, fügte er leise hinzu, »aber sie!« »Wer sie?« fragte Athos. »Constance.« »Ah, richtig, Frau Bonacieux!« sagte Athos. »Ich vergaß,daß Ihr verliebt seid.« 461
»Aber was denn«, warf Aramis ein, »stand nicht in dem Brief,den Ihr bei jenem toten Banditen fandet, daß sie in einem Klo-ster ist? In einem Kloster ist man sehr gut aufgehoben, undwas mich betrifft, so erkläre ich, daß ich sofort, wenn die Be-lagerung hier beendet ist …« »Schon gut, schon gut, lieber Aramis«, unterbrach ihnAthos, »wir kennen Eure frommen Absichten.« »Ich bin nur vorübergehend Musketier«, versetzte Aramisbescheiden. »Er hat wohl lange keine Nachricht mehr von seiner Lieb-sten bekommen«, sagte Athos leise zu d’Artagnan. »Aberachtet nicht weiter darauf, wir kennen das ja!« »Mir scheint, es gibt da ein ganz einfaches Mittel«, ließ sichPorthos vernehmen. »So? Und das wäre?« fragte d’Artagnan. »Sie ist in einem Kloster, sagt Ihr?« »Ja.« »Nun gut, sobald die Belagerung vorüber ist, entführenwir sie eben aus diesem Kloster!« »Dazu müßte man erst einmal wissen, in welches Klosterman sie gebracht hat!« »Das ist allerdings wahr«, gab Porthos zu. »Da fällt mir übrigens ein, mein lieber d’Artagnan«, sagteAthos, »sagtet Ihr nicht, daß die Königin selbst dieses Klo-ster ausgesucht hat?« »Ich nehme es zumindest an.« »Nun, dann kann Porthos uns doch helfen!« »Ich?« fragte der. »Wieso denn das, ich bitte Euch?« »Durch Eure Marquise, Eure Herzogin oder Prinzessin,was weiß ich! Sie ist doch bestimmt sehr einflußreich.« »Pst!« machte Porthos und legte den Finger an die Lippen.»Ich glaube, sie ist Kardinalistin, sie darf von alledem keinWort erfahren!« »Gut«, sagte Aramis, »dann werde ich mich um eine Aus-kunft bemühen.« »Ihr, Aramis?« riefen die drei Freunde wie aus einemMunde. »Ja, wie denn, ausgerechnet Ihr?« »Über den Almosenpfleger der Königin, mit dem ich be-freundet bin«, sagte Aramis errötend.462
Nach dieser beruhigenden Zusage verabredeten unsere vierFreunde noch ein Treffen für denselben Abend, dann trenntensie sich. D’Artagnan kehrte in sein Quartier im Paulanerklosterzurück, und die drei Musketiere gingen ins Lager des Königs,denn sie mußten sich noch um ihre Unterkünfte kümmern. Das Wirtshaus »Zum roten Taubenschlag«Kaum im Lager angelangt, wollte der König, der es nicht er-warten konnte, dem Feind gegenüberzustehen, und der denHerzog von Buckingham mit einem zweifellos begründete-ren Haß verfolgte als der Kardinal, sogleich alle Vorkehrun-gen treffen, zunächst die Engländer von der Insel Ré zu ver-jagen und dann die Belagerung von La Rochelle mit größe-rem Nachdruck zu betreiben. In dieser Absicht sah er sichjedoch unfreiwilligermaßen durch einen Streit aufgehalten,der zwischen Bassompierre und Schomberg einerseits unddem Herzog von Angoulême andererseits ausgebrochen war. Bassompierre und Schomberg waren Marschälle von Frank-reich und bestanden auf ihrem Recht, die Armee unter demBefehl des Königs zu führen. Der Kardinal fürchtete indessen,der insgeheim hugenottisch gesinnte Bassompierre werde denEngländern und den Rochellern, seinen Glaubensbrüdern,nicht hart genug zusetzen, und darum unterstützte er denHerzog von Angoulême, den der König auf seinen Rat zumGeneralleutnant ernannt hatte. Auf diese Weise sah man sichgenötigt, sofern man nicht auf die Mitarbeit der Herren Bas-sompierre und Schomberg gänzlich verzichten wollte, jedemder drei Heerführer ein eigenes Kommando zu übertragen:Bassompierre richtete sich im Norden der Stadt von La Leu bisDompierre ein, der Herzog von Angoulême im Osten vonDompierre bis Périgny und Schomberg im Süden von Pérignybis Angoutin. Seine Königliche Hoheit, der Herzog von Orléans, hattesein Quartier in Dompierre; das des Königs befand sich baldin Etré, bald in La Jarrie; das des Kardinals endlich war auf denDünen von Pont de La Pierre in einem einfachen Haus ohne 463
jede Verschanzung untergebracht. So überwachte der Bruderdes Königs Bassompierre, der König selbst den Herzog vonAngoulême und der Kardinal den Marschall Schomberg. Nachdem diese Anordnung getroffen war, konnte manernsthaft daran denken, die Engländer von der Insel zu ver-treiben. Die Voraussetzungen waren günstig; denn die Englän-der, die nur dann gute Soldaten sind, wenn sie gut verpflegtwerden, lebten schon seit einiger Zeit nur von Pökelfleischund schlechtem Zwieback und hatten daher viele Kranke imLager. Zudem war das Meer um diese Jahreszeit an allen Kü-sten besonders stürmisch, und so bedeckte sich der ganzeStrand von der Südspitze bis zu den Befestigungsanlagen nachjeder Flut mit Wracks und Schiffstrümmern. Unter diesenUmständen war es klar, daß Buckingham, der lediglich ausHalsstarrigkeit an dem Besitz der Insel festhielt, die Belage-rung der Zitadelle und des Forts früher oder später doch auf-geben mußte, auch ohne daß ihn die Truppen des Königs dazuzwangen. Da aber der Graf von Toirac melden ließ, der Englän-der bereite einen neuen Angriff gegen die Zitadelle vor, ent-schloß sich der König zu einem entscheidenden Schlag underteilte die dazu erforderlichen Befehle. Wir beabsichtigen nicht, ein Tagebuch der Belagerung vonLa Rochelle zu schreiben, vielmehr wollen wir nur von den Er-eignissen berichten, die etwas mit unserer Geschichte zu tunhaben; darum begnügen wir uns damit, kurz zu sagen, daß die-ser entscheidende Schlag zum großen Erstaunen des Königsund zum noch größeren Ruhm des Kardinals im Frühjahr 1628glückte. Schritt um Schritt zurückgedrängt, bei jedem Treffengeschlagen und beim Übersetzen auf die Insel Loix der Ver-nichtung nahe, mußten sich die Engländer wieder einschiffen,wobei sie mehr als zweitausend Mann, darunter eine großeZahl von Obristen und Hauptleuten, auf der Walstatt zurück-ließen. Vier Kanonen und sechzig Fahnen wurden im Triumphnach Paris gebracht und hier feierlich im Notre Dame ausge-stellt. Im Lager aber ertönten Tedeums, in die alsbald ganzFrankreich einstimmte. Der Kardinal konnte nun die Belagerung fortsetzen, ohnedaß er, zumindest für den Augenblick, etwas von den Englän-dern zu befürchten hatte. Allerdings hatte man einen Abge-464
sandten Buckinghams, einen gewissen Montaigu, abgefangenund durch ihn Gewißheit darüber erlangt, daß zwischen demReich, Spanien, England und Lothringen eine Liga bestand.Diese Liga richtete sich eindeutig gegen Frankreich. Außer-dem hatte man in Buckinghams Quartier auf der Insel, das erHals über Kopf verlassen mußte, Papiere gefunden, die dasBündnis dieser vier Mächte bestätigten und die darüber hin-aus, wenn man den Memoiren des Kardinals glauben darf, Ma-dame de Chevreuse und somit die Königin schwer belasteten. Richelieu trug die ganze Verantwortung, denn man ist nuneinmal nicht unumschränkter Minister ohne diese Bürde; da-her war sein Geist Tag und Nacht damit beschäftigt, von allemWichtigen, was sich irgendwo in Europa tat, Kunde zu erhalten.Der Kardinal kannte Buckinghams Rührigkeit und besondersseinen Haß. Siegte die Liga, die Frankreich bedrohte, so warsein ganzer Einfluß hin; dann kamen die Vertreter der spani-schen und österreichischen Politik im Kabinett zur Geltung,und er, Richelieu, der Verfechter einer französischen, einer be-tont nationalen Politik, hatte als Minister ausgespielt. Der Kö-nig aber, der ihm jetzt noch wie ein Kind gehorchte, wenn erihn auch haßte, wie nur ein Kind seinen Lehrer hassen kann, derKönig würde ihn ohne weiteres der persönlichen Rache seinesBruders, des Herzogs von Orléans, und seiner Frau, der Annavon Österreich, ausliefern; alsdann war er verloren und Frank-reich vielleicht mit ihm. Es galt also, dies alles zu verhindern. Immer zahlreicher wurden die Boten, die in dem kleinenHaus bei Pont de La Pierre, in dem der Kardinal sein Stand-quartier hatte, Tag und Nacht vorsprachen. Es waren Mönche,die ihre Kutte so schlecht trugen, daß man sie auf den erstenBlick als Angehörige einer sehr streitbaren Kirche erkannte;Frauen, denen ihr Pagenkostüm offensichtlich zu eng war unddie trotz der weiten Pluderhose ihre wohlgerundeten Formennicht verbergen konnten; oder Bauern, die trotz der geschwärz-ten Hände auf eine Meile den Edelmann verrieten. Mitunter kamen auch weniger angenehme Besucher, dennverschiedentlich hieß es, der Kardinal sei mit knapper Noteinem Anschlag entgangen. Seine Feinde behaupteten aller-dings, er selber streue von Zeit zu Zeit solche Gerüchte vonmißglückten Mordversuchen aus, um gegebenenfalls das 465
Recht der Vergeltung für sich beanspruchen zu können. Aberman tut wohl am besten, wenn man weder Minister noch ihreFeinde beim Wort nimmt. Der Kardinal, dessen persönlicher Mut übrigens auch vonseinen ärgsten Verleumdern nie bestritten wurde, ließ sich we-gen solcher angeblichen oder tatsächlichen Anschläge jeden-falls nicht von seinen häufigen nächtlichen Ritten abbringen,bei denen er bald dem Herzog von Angoulême wichtige Be-fehle übermittelte, bald den König zu einer Unterredung auf-suchte oder mit irgendeinem Boten zusammentraf, den ernicht gern in seinem Quartier empfangen wollte. Was nun die Musketiere anging, so gab es für sie bei derBelagerung nur wenig zu tun, und da sie nicht sehr streng ge-halten wurden, führten sie ein recht lustiges Leben. Dies trafinsbesondere auf unsere drei Freunde zu, die bei ihremHauptmann so gut angeschrieben waren, daß sie von ihmohne weiteres die Erlaubnis erhielten, abends auch noch nachSchließung des Lagers fortzubleiben. Eines Abends, als d’Artagnan Dienst hatte und daher nichtmit von der Partie sein konnte, kehrten Athos, Porthos undAramis auf ihren schmucken Pferden von einer Schenke zu-rück, die Athos erst vor zwei Tagen an der Straße nach La Jar-rie ausfindig gemacht hatte und die sich »Zum roten Tauben-schlag« nannte. Während sie, ständig auf einen Hinterhaltgefaßt, vorsichtig lagerwärts ritten, glaubten sie plötzlich, etwaeine Viertelmeile von dem Dorf Boinar entfernt, Pferdegetrap-pel zu vernehmen, das auf sie zukam. Sie hielten sofort an undwarteten, dicht aneinandergedrängt, mitten auf dem Weg.Kurz darauf sahen sie im Schein des Mondes, der flüchtig zwi-schen den Wolken hervorblickte, an einer Wegbiegung zweiReiter vor sich auftauchen, die bei ihrem Anblick gleichfallshaltmachten und sich zu beraten schienen, ob sie ihren Wegfortsetzen oder umkehren sollten. Dieses Zaudern kam unse-ren drei Freunden verdächtig vor, und so ritt Athos ein Stückin ihre Richtung und rief mit fester Stimme: »Wer da?« »Wer da selbst?« schallte es zurück. »Das ist keine Antwort!« sagte Athos. »Antwortet richtig,oder wir schießen!«466
»Das laßt besser bleiben, meine Herren!« ließ sich nun eineklangvolle und offenbar befehlsgewohnte Stimme vernehmen. »Es ist anscheinend ein höherer Offizier, der die Nacht-runde macht«, sagte Athos zu seinen Gefährten. »Was wol-len wir tun. Freunde?« »Wer seid ihr?« rief dieselbe Stimme im selben gebieterischenTon. »Antwortet! Euer Ungehorsam könnte euch schlecht be-kommen!« »Musketiere des Königs«, entgegnete Athos, mehr undmehr überzeugt, daß der andere ein Recht hatte, so zu fragen. »Welche Kompanie?« »Kompanie Treville.« »Reitet näher und erklärt mir, was ihr zu dieser Stunde hierzu schaffen habt!« Unseren drei Freunden war etwas beklommen zumute, alssie diesem Befehl nachkamen, denn keiner von ihnen zweifeltemehr daran, daß sie es mit jemand zu tun hatten, der ihnenüberlegen war; doch wie immer in ernster Lage, überließenPorthos und Aramis ihrem sonst so schweigsamen Freund dieSorge, Rede und Antwort zu stehen. Einer der beiden Reiter verhielt etwa zehn Schritte vor sei-nem Begleiter. Athos gab seinen Freunden ein Zeichen, eben-falls etwas zurückzubleiben, und ritt allein auf den Unbekann-ten zu. »Um Vergebung, Herr Offizier«, sagte er, »aber wir wußtennicht, mit wem wir es zu tun hatten. Immerhin habt Ihr ge-sehen, daß wir auf der Hut sind!« »Euer Name?« fragte der Offizier, der sein Gesicht halbhinter dem Mantelkragen versteckte, denn trotz der lauenSommernacht trug er einen weiten Umhang. »Und Ihr selbst?« versetzte Athos, den die Art dieses Ver-hörs allmählich empörte. »Bitte, beweist mir erst, daß Ihr über-haupt ein Recht habt, mich so zu fragen!« »Euer Name?« wiederholte der Reiter und ließ den Mantelso weit fallen, daß sein Gesicht zu erkennen war. »Der Herr Kardinal!« rief der Musketier verblüfft. »Euer Name?« fragte Richelieu zum drittenmal. »Athos.« Der Kardinal winkte seinen Begleiter zu sich heran. 467
»Diese drei Musketiere werden mit uns reiten«, flüsterte erihm zu. »Ich will nicht, daß man im Lager von diesem nächt-lichen Ausflug erfährt, und wenn sie jetzt mitkommen, sindwir sicher, daß sie es niemandem sagen.« »Wir sind Edelleute, Monseigneur«, sagte Athos. »Nehmtuns unser Ehrenwort ab und seid unbesorgt! Gott sei Dankkönnen wir noch ein Geheimnis bewahren!« Der Kardinal heftete seinen durchdringenden Blick aufden kühnen Sprecher. »Ihr habt gute Ohren, Herr Athos! Aber nun hört auchdies: Ich bitte euch nicht aus Mißtrauen, sondern um meinerSicherheit willen, mir zu folgen. Eure beiden Begleiter sindgewiß die Herren Porthos und Aramis?« »Ja, Eure Eminenz«, antwortete Athos, während nun auchseine beiden Freunde, den Hut in der Hand, herangerittenkamen. »Ich kenne euch, meine Herren«, sagte Richelieu, »o ja, ichkenne euch! Ich weiß, daß ihr nicht gerade meine Freundeseid, und das tut mir leid; ich weiß aber auch, daß ihr tapfereund ehrenwerte Edelleute seid und daß man sich auf euchverlassen kann. Erweist mir also die Ehre, Herr Athos, michmit Euern beiden Freunden zu begleiten! Dann werde icheine Eskorte haben, um die mich Seine Majestät nur benei-den kann, sofern sie uns denn begegnen sollte.« Die drei Musketiere verneigten sich so tief, daß sie fast dieHälse ihrer Pferde berührten. »Nun, bei meiner Ehre«, entgegnete Athos, »Eure Emi-nenz tun gut daran, uns mitzunehmen! Uns ist nämlich al-lerlei übles Gelichter über den Weg gelaufen, und mit viersolcher Halunken hatten wir sogar einen Streit im ›RotenTaubenschlag‹.« »Einen Streit? Und warum, meine Herren? Es ist euchdoch bekannt, daß ich keinen Streit mag!« »Eben deshalb erlaube ich mir, Eurer Eminenz schon jetztden Vorfall zu vermelden; er könnte Euch sonst von andererSeite und möglicherweise so entstellt berichtet werden, daßIhr in uns die Schuldigen sehen müßtet.« »Und wie ist dieser Streit ausgegangen?« fragte der Kardi-nal stirnrunzelnd.468
»Hier, mein Freund Aramis hat einen kleinen Degenstichin den Arm bekommen, was ihn aber nicht hindern wird,schon morgen gegen die Festung zu stürmen, wenn EureEminenz es befehlen!« »Aber ihr seid mir nicht die Männer, die sich ohne weite-res Degenstiche versetzen lassen«, sagte der Kardinal. »Alsoheraus mit der Sprache, ihr habt doch gewiß auch einige aus-geteilt, meine Herren? Beichtet nur, ihr wißt, ich habe dasRecht, Absolution zu erteilen!« »Was mich betrifft, Monseigneur«, erwiderte Athos, »sohabe ich meinen Degen überhaupt nicht in die Hand ge-nommen; allerdings habe ich einen der Kerle am Kragen ge-packt und zum Fenster hinausgeworfen … Wie es scheint«,fuhr er ein wenig zögernd fort, »hat er sich dabei ein Bein ge-brochen.« »So, so!« meinte Richelieu. »Und Ihr, Herr Porthos?« »Ich, Monseigneur, ich weiß, daß Duelle verboten sind,und darum habe ich eine Bank hochgehoben und sie gegeneinen dieser Strolche geschleudert; offenbar habe ich ihm da-bei die eine Schulter zerschmettert.« »So, hm!« war die Antwort des Kardinals. »Und Ihr, HerrAramis?« »Monseigneur, da ich sehr sanft geartet bin und überdies,was Eurer Eminenz vielleicht nicht bekannt ist, im Begriffstehe, in den geistlichen Stand einzutreten, wollte ich meineFreunde zurückhalten; aber einer dieser Schurken stieß mirheimtückischerweise seinen Degen in den linken Arm. Daverlor ich die Geduld, zog gleichfalls meinen Degen, und wieer wieder gegen mich ausfiel, war mir so, als hätte er sichmeine Klinge durch den Leib gerannt; genau weiß ich abernur, daß er hinfiel. Und wenn ich mich nicht irre, hat manihn und seine beiden Spießgesellen fortgeschafft.« »Zum Teufel, meine Herren«, rief der Kardinal, »wegen einesWirtshausstreites drei Mann außer Gefecht zu setzen! Ihr hautja ganz schön zu, das muß ich schon sagen! Apropos, wie kames überhaupt zu dem Streit?« »Die Kerle waren betrunken«, erklärte Athos, »und da siewußten, daß in der Schenke kurz zuvor eine Frau angekom-men war, wollten sie die Tür aufbrechen.« 469
»Die Tür aufbrechen?« fragte der Kardinal. »Wozu denndas?« »Sie wollten ihr offenbar Gewalt antun. Ich erlaubte mirbereits, Eure Eminenz darauf hinzuweisen, daß die Kerle be-trunken waren.« »War diese Frau denn jung und hübsch?« fragte der Kardinalmit einiger Unruhe. »Wir haben sie nicht gesehen, Monseigneur.« »Ach, ihr habt sie gar nicht gesehen?« versetzte der Kar-dinal lebhaft. »Ah, sehr gut, sehr richtig von euch, die Ehreeiner Frau zu verteidigen! Übrigens führt mich mein Wegselber zum ›Roten Taubenschlag‹, und da werde ich ja hören,ob ihr die Wahrheit gesagt habt.« »Wir sind Edelleute, Monseigneur«, sagte Athos stolz, »undwir lügen nie, selbst wenn es um unsern Kopf geht!« »Ich zweifle ja auch nicht an dem, was Ihr sagt, Herr Athos,wirklich, ich zweifle nicht im geringsten; aber sagt«, fügte errasch hinzu, um von etwas anderem zu sprechen, »war dieseDame denn allein?« »Nein, sie hatte einen Kavalier bei sich«, antwortete Athos,»aber da dieser Herr sich trotz des Lärms nicht sehen ließ,muß er ein großer Feigling sein.« »Richtet nicht voreilig, sagt die Schrift«, bemerkte der Kar-dinal. Athos verneigte sich. »Und nun, ihr Herren, ist es gut«, fuhr Seine Eminenz fort.»Ich weiß, was ich wissen wollte, folgt mir also!« Die drei Musketiere ließen den Kardinal vorbei, der denMantel wieder vors Gesicht schlug, und folgten mit seinemBedienten in einigem Abstand. Bald gelangte man zu der stil-len, einsamen Herberge. Dem Wirt war offenbar ein hoherBesuch angekündigt worden, denn er hatte alle ungebetenenGäste weggeschickt. Etwa zehn Schritt vor der Tür bedeuteteRichelieu seinem Bedienten und den drei Musketieren, halt-zumachen; an einem der Fensterläden war ein fertig gesat-teltes Pferd angebunden. Der Kardinal machte sich durch einbesonderes Klopfzeichen bemerkbar. Sofort trat ein ebenfalls in einen Mantel gehüllter Mannaus dem Haus, wechselte ein paar eilige Worte mit dem Kar-470
dinal, schwang sich dann auf das Pferd und jagte in RichtungSurgères davon; Surgères aber lag auf dem Wege nach Paris. »Kommt näher, meine Herren!« rief der Kardinal, und alsdies geschehen war, fügte er, zu den drei Musketieren ge-wandt, hinzu: »Ihr habt mir die Wahrheit gesagt, und an mirsoll es nicht liegen, wenn unser heutiges Zusammentreffeneuch nicht zum Vorteil gereicht. Doch nun folgt mir!« Richelieu stieg ab, die drei Musketiere taten es ihm gleich.Während Seine Eminenz dem Bedienten die Zügel zuwarf,banden unsere drei Freunde ihre Pferde an die Fensterläden. Der Wirt stand unter der Tür; für ihn war der Kardinal nurein Offizier, der eine Dame besuchen wollte. »Habt Ihr irgendein Zimmer im Erdgeschoß, wo dieseHerren auf mich warten können?« fragte der Kardinal. Der Wirt öffnete die Tür zu einer großen Stube, die offen-bar gerade renoviert worden war, denn neben einem neuenprächtigen Kamin sah man noch das Ofenrohr seines abge-brochenen Vorgängers. »Sehr schön«, sagte der Kardinal. »Tretet hier ein, meineHerren, und wartet bitte auf mich! Ich bin in spätestens einerhalben Stunde wieder zurück.« Und während die drei Muske-tiere seiner Aufforderung nachkamen, stieg Richelieu, ohneerst zu fragen, die Treppe hinauf, als ein Mann, der es nichtnötig hat, daß man ihm den Weg weist. Vom Nutzen eines OfenrohrsUnsere drei Freunde hatten, ahnungslos und einzig ihrer Rit-terlichkeit und Abenteuerlust folgend, offenbar jemand, derunter dem besonderen Schutz des Kardinals stand, einenDienst erwiesen. Wer war aber nun dieser Jemand? DieseFrage stellten sich auch die drei Musketiere. Als sie jedoch sa-hen, daß sie trotz aller scharfsinnigen Überlegungen keinebefriedigende Antwort darauf fanden, rief Porthos den Wirtund verlangte Würfel. Porthos und Aramis setzten sich an einen Tisch und began-nen zu spielen; Athos schritt nachdenklich auf und ab. Dabei 471
kam er wiederholt an dem alten Ofenrohr vorüber, das man imunteren Teil weggebrochen hatte und dessen oberes Ende indas darübergelegene Zimmer mündete. Jedesmal nun, wennAthos in die Nähe des Rohres kam, vernahm er ein Gemurmel,so daß er schließlich aufmerksam wurde und ganz dicht an dasRohr herantrat. Die wenigen Worte, die er jetzt deutlich ver-stand, waren anscheinend von größtem Interesse, denn ermachte seinen Freunden ein Zeichen, sich still zu verhalten,während er selbst sich ein wenig bückte und das Ohr an die un-tere Öffnung des Ofenrohrs legte. »Hört, Mylady«, ertönte die Stimme des Kardinals, »dieSache ist äußerst wichtig! Setzt Euch darum, und laßt uns inRuhe darüber sprechen!« »Mylady!« flüsterte Athos. »Ich bin ganz Ohr, Eure Eminenz«, antwortete eine Stimme,die den Musketier zusammenfahren ließ. »Ein kleines Schiff mit englischer Bemannung, dessen Ka-pitän mir ergeben ist, erwartet Euch an der Mündung der Cha-rente, bei dem Fort La Pointe; es geht morgen früh in See.« »Dann muß ich also noch heute nacht dorthin?« »Ja, sobald Ihr meine Instruktionen erhalten habt. Vor demHaus werdet Ihr zwei sichere Leute finden, die Euch das Ge-leit geben. Ihr brecht allerdings erst eine halbe Stunde nachmir auf.« »Gut, Monseigneur. Doch nun zu der Mission, mit der Ihrmich gütigst betrauen wollt. Da mir viel daran liegt, das Ver-trauen Eurer Eminenz auch weiter zu verdienen, bitte ichEuch, mir genau zu sagen, was ich zu tun habe, damit ich kei-nen Irrtum begehe.« Einen Augenblick herrschte tiefe Stille. Offenbar wog derKardinal sehr sorgsam die Worte ab, mit denen er ihr denAuftrag auseinanderzusetzen gedachte, und Mylady sam-melte sich, um alle Einzelheiten richtig zu erfassen und ihremGedächtnis einzuprägen. Athos benutzte die Pause, um seinen Freunden zu sagen, siemöchten die Tür von innen verriegeln und zu ihm kommen,um mitzuhören. Die beiden Musketiere, denen die Bequem-lichkeit über alles ging, folgten zwar der Aufforderung, brach-ten jedoch gleich für sich und Athos Stühle mit. Geräuschlos472
nahmen die drei vor dem Ofenrohr Platz, hielten die Köpfedicht vor die Öffnung und lauschten angestrengt. »Ihr begebt Euch also nach London«, fuhr der Kardinalfort, »und sucht dort sogleich Buckingham auf.« »Ich gebe Eurer Eminenz zu bedenken«, sagte Mylady,»daß der Herzog seit der Geschichte mit den Diamantna-deln, derentwegen er mich noch immer im Verdacht hat, mirnicht mehr traut.« »Es handelt sich diesmal auch nicht darum, sein Vertrauenzu gewinnen, sondern Ihr tretet ganz offen als Unterhänd-lerin auf.« »Ganz offen?« fragte Mylady mit einer unbeschreiblichdoppelsinnigen Betonung. »Ja, ganz offen«, wiederholte der Kardinal im gleichenTonfall. »Ich will, daß diese Verhandlungen in aller Offen-heit geführt werden.« »Ich werde die Instruktionen Eurer Eminenz genauestensbefolgen.« »Ihr sucht Buckingham in meinem Namen auf und sagtihm, daß ich über alle seine Vorbereitungen wohl unterrich-tet bin, daß ich mir darum jedoch keine Gedanken mache, daich nämlich, sofern er es wagen sollte, seine Pläne zu ver-wirklichen, die Königin ins Verderben stürzen werde.« »Wird er glauben, daß Eure Eminenz imstande sind, dieseDrohung wahrzumachen?« »Ja, denn ich habe Beweise dafür.« »Diese Beweise muß ich ihm aber gegebenenfalls auch nen-nen können.« »Zweifellos, und in diesem Fall sagt Ihr ihm, daß ich denBericht Bois-Roberts und des Marquis von Beautru über dieZusammenkunft des Herzogs mit der Königin auf dem Mas-kenball der Frau Konnetabel veröffentlichen werde; und damiter es auch glaubt, könnt Ihr ihm sagen, daß er auf dem Ball indem Kostüm eines Großmoguls erschienen ist, das eigentlichder Herzog von Guise tragen sollte, dem er es jedoch in letz-ter Stunde für dreitausend Dukaten abgekauft hat.« »Gut, Monseigneur.« »Des weiteren kenne ich alle Einzelheiten jener Nacht, inder er sich, als italienischer Wahrsager verkleidet, in den Louvre 473
eingeschlichen hat; damit er an der Glaubwürdigkeit meinerInformationen nicht zweifelt, könnt Ihr ihm sagen, daß er un-ter dem Mantel ein langes weißes Gewand getragen hat, dasmit schwarzen Tränen, Totenköpfen und gekreuzten Knochenbemalt war; in dieser Vermummung wollte er sich notfalls alsGespenst der weißen Dame davonstehlen, das ja bekanntlichimmer dann im Louvre herumgeistert, wenn ein bedeutendesEreignis bevorsteht.« »Ist das alles, Monseigneur?« »Sagt ihm auch, daß mir sein Abenteuer von Amiens in al-len Einzelheiten bekannt ist und daß ich es zu einem hübschen,unterhaltsamen Roman zu verarbeiten gedenke, versehen miteiner Skizze des Gartens und den Porträts der wichtigsten Mit-wirkenden jener nächtlichen Szene.« »Ich will es ihm sagen.« »Erwähnt auch, daß Montaigu in meiner Hand ist und sichzur Zeit in der Bastille befindet; man hat zwar nichts Schrift-liches bei ihm gefunden, aber die Folter wird ihn schon dazubringen, daß er sagt, was er weiß, und vielleicht auch … waser nicht weiß.« »Vortrefflich!« »Endlich könnt Ihr den Herzog noch darauf aufmerksammachen, daß er beim überstürzten Verlassen der Insel Ré inseinem Quartier einen Brief der Madame de Chevreuse zu-rückgelassen hat, der die Königin überaus kompromittiert, daer beweist, daß Ihre Majestät nicht nur imstande ist, einenFeind des Königs zu lieben, sondern sogar mit den FeindenFrankreichs zusammenarbeitet. Ihr habt doch alles behalten,was ich gesagt habe?« »Eure Eminenz mögen selbst urteilen: der Ball bei der FrauKonnetabel, die Nacht im Louvre, der Abend in Amiens, dieVerhaftung Montaigus und der Brief der Madame de Che-vreuse.« »Ganz recht, Mylady, ganz recht; Ihr habt ein ausgezeich-netes Gedächtnis.« »Wenn nun aber der Herzog sich von alledem nicht be-eindrucken läßt und fortfährt, Frankreich zu bedrohen?« »Der Herzog ist verliebt wie ein Wahnsinniger oder, rich-tiger, wie ein dummer Junge«, versetzte der Kardinal mit474
merklicher Verbitterung. »Wie die alten fahrenden Ritter hater diesen Krieg nur unternommen, um dafür einen Blick sei-ner Schönen einzutauschen. Wenn er nun erfährt, daß dieserKrieg der Dame seines Herzens, wie er sie nennt, die Ehreund vielleicht sogar das Leben kosten kann, wird er sich dieSache doch noch einmal überlegen, verlaßt Euch drauf!« »Und wenn er trotzdem fest bleibt?« fragte Mylady miteiner Beharrlichkeit, die verriet, daß sie in dieser Sache volleKlarheit haben wollte. »Wenn er trotzdem fest bleibt …?« wiederholte der Kar-dinal. »Das ist nicht wahrscheinlich.« »Aber möglich«, sagte Mylady. »Nun … dann …« Der Kardinal zögerte, ehe er fortfuhr.»Dann hoffe ich auf eines jener Ereignisse, die das Leben einesStaates von Grund auf verändern können.« »Wenn Eure Eminenz mir einige Beispiele aus der Geschichtenennen könnten, würde ich vielleicht ebenso vertrauensvoll indie Zukunft sehen.« »Nun, denkt doch nur an das Jahr 1610, als König HeinrichIV. ruhmreichen Angedenkens gleichzeitig in Flandern undItalien einfiel, um Österreich von zwei Seiten her zu bedro-hen, übrigens aus ganz ähnlichen Gründen, wie sie heute denHerzog von Buckingham bewegen! Ist damals nicht ein Er-eignis eingetreten, durch das Österreich gerettet wurde? Undwarum sollte das Glück nicht auch einmal dem König vonFrankreich so hold sein wie seinerzeit dem Habsburgerkaiser?« »Eure Eminenz meinen jenen Dolchstich in der Rue de laFerronnerie?« »Eben!« »Fürchten Eure Eminenz nicht, daß Ravaillacs Hinrichtungjeden erschrecken wird, der auch nur einen Augenblick darandenkt, sein Beispiel nachzuahmen?« »Es wird zu allen Zeiten und in allen Ländern, besonders aberin solchen religiöser Zerrissenheit, Fanatiker geben, die nichtssehnlicher wünschen, als Märtyrer zu werden. Da fällt mir übri-gens gerade ein, die Puritaner sollen gegen den Herzog vonBuckingham sehr aufgebracht sein und ihn in ihren Predigtenals den Antichrist bezeichnen.« »Und weiter?« fragte Mylady. 475
»Nun«, fuhr der Kardinal betont gleichgültig fort, »es kämezunächst einmal nur darauf an, eine Frau zu finden, eineschöne junge Frau, die sich selbst an dem Herzog zu rächenhätte. Eine solche Frau läßt sich finden; der Herzog ist einFrauenheld, und wenn er durch seine Versprechungen ewigerTreue viel Liebe gefunden hat, so muß ihm seine ewige Un-treue doch auch viel Haß eingetragen haben.« »Gewiß«, erwiderte Mylady kalt, »eine solche Frau läßtsich finden.« »Nun, eine solche Frau, die das Messer Ravaillacs oderJacques Clements, des Mörders von Heinrich III., einem Fa-natiker in die Hände drückt, könnte Frankreich retten.« »Ja, aber sie würde die Mitschuld an einem Mord auf sichladen.« »Hat man jemals etwas von den Mitschuldigen Ravaillacsoder Jacques Clements gehört?« »Nein, denn man hätte sie vielleicht in Kreisen suchenmüssen, die man besser nicht mit einem Verdacht behelligt;und man kann auch nicht für jeden einen ganzen Justizpa-last in Brand stecken, Monseigneur.« »Ihr glaubt also, daß der Brand des Justizpalastes einer an-deren Ursache zuzuschreiben ist als dem Zufall?« fragte Riche-lieu in einem Ton, als spreche er von etwas ganz Belanglosem. »Ich glaube gar nichts, Monseigneur, ich führe lediglich eineTatsache an. Ich will nur sagen, daß ich mich als Fräulein vonMontpensieur oder als Königin Maria von Medici nicht so vor-sehen würde, wie ich das als einfache Lady Winter tun muß.« »Das ist wahr«, versetzte Richelieu, »und was möchtet Ihralso haben?« »Ich möchte eine Vollmacht, die im voraus alles billigt, wasich zum Wohle Frankreichs zu tun für nötig erachte.« »Aber erst müßte die Frau gefunden werden, von der icheben sprach.« »Sie ist gefunden.« »Dann fehlt noch der arme Fanatiker, der als Werkzeuggöttlicher Gerechtigkeit zu dienen hat.« »Man wird ihn finden.« »Gut, wenn es soweit ist, habt Ihr immer noch Zeit, diegewünschte Vollmacht von mir zu fordern.«476
»Eure Eminenz haben recht«, sagte Mylady, »und ich hatteunrecht, in der Mission, mit der Ihr mich beehrt, etwas ande-res zu sehen, als sie tatsächlich ist. Ich habe also dem Herzoglediglich von Eurer Eminenz zu vermelden, daß Ihr sehr wohldie Verkleidung kennt, in der er sich auf dem Ball der FrauKonnetabel der Königin genähert hat; daß Ihr Beweise für denEmpfang besitzt, den die Königin einem gewissen italienischenAstrologen, der niemand anders war als der Herzog vonBuckingham, im Louvre gewährt hat; daß Ihr ferner einen hüb-schen unterhaltsamen Roman über das Abenteuer in Amiensmitsamt einer Ansicht des Schauplatzes sowie den Bildern derHauptpersonen in Auftrag gegeben habt; daß Montaigu in derBastille sitzt und daß die Folter ihn zu Aussagen über Dingeermuntern kann, die er weiß, wie auch über andere, die er viel-leicht vergessen hat; daß Ihr endlich einen Brief der Madamede Chevreuse besitzt, den man im herzoglichen Quartier aufder Insel Ré gefunden hat und der nicht nur die Schreiberin,sondern auch ihre Auftraggeberin kompromittiert. Bleibt derHerzog trotz allem fest, so kann ich, da meine Mission hierendet, nur Gott bitten, er möge Frankreich durch ein Wunderretten. Das ist wohl alles, Monseigneur, oder war noch etwas?« »Nein, das ist alles«, versetzte Richelieu trocken. »Und nun«, fuhr Mylady fort, scheinbar ohne den ver-änderten Ton des Kardinals zu bemerken, »nachdem ich dieInstruktionen Eurer Eminenz hinsichtlich Eurer Feinde er-halten habe, werdet Ihr mir gewiß erlauben, ein paar Worteüber die meinen zu verlieren.« »Habt Ihr denn Feinde?« »Allerdings, Monseigneur, und Ihr seid mir gegen dieseFeinde Eure Unterstützung schuldig, denn ich habe sie mirin Euerm Dienst zugezogen.« »Um wen handelt es sich?« »Zunächst um eine kleine Intrigantin namens Bonacieux.« »Die sitzt in Mantes, gut zehn Meilen von Paris, in siche-rem Gewahrsam.« »Das heißt, sie saß dort«, erwiderte Mylady, »aber die Kö-nigin hat vom König einen Befehl erwirkt, auf Grund dessendiese Frau in ein Kloster gebracht wurde.« »In ein Kloster?« fragte Richelieu überrascht. 477
»Ja, in ein Kloster.« »Und in welches?« »Ich weiß es nicht, das konnte ich nicht erfahren.« »Aber ich werde es erfahren!« »Und Eure Eminenz werden mir dann sagen, in welchemKloster sich diese Frau aufhält?« »Warum nicht?« »Gut, nun habe ich noch einen Feind, den ich allerdingsweit mehr fürchten muß als diese Frau Bonacieux.« »Und wer ist das?« »Ihr Geliebter.« »Wie heißt er?« »Oh, Eure Eminenz kennen ihn gut«, rief Mylady in zor-niger Aufwallung, »es ist unser beider böser Geist! Es ist der-selbe, der bei einem Zusammenstoß mit einigen GardistenEurer Eminenz den Musketieren des Königs zum Sieg ver-holfen hat, derselbe, der Euerm Sendboten, dem Grafen vonWardes, drei Degenstiche versetzt und dadurch den Plan mitden Diamantnadeln vereitelt hat, derselbe schließlich, der mirden Tod geschworen hat, seit er weiß, daß ich seine Frau Bo-nacieux entführt habe!« »Gut, gut, ich weiß schon, wen Ihr meint«, sagte der Kar-dinal. »Ich meine diesen abscheulichen d’Artagnan.« »Ein verwegener Bursche!« »Eben, weil er ein verwegener Bursche ist, muß ich ihn umso mehr fürchten.« »Man müßte einen Beweis seines Einvernehmens mitBuckingham haben.« »Einen?« rief Mylady. »Ich bringe Euch zehn Beweise!« »Nun, dann ist es ja die einfachste Sache von der Welt; Ihrliefert mir diese Beweise, und ich stecke ihn in die Bastille!« »Gut, Monseigneur, und was weiter?« »Wenn man einmal in der Bastille ist, gibt es kein ›weiter‹mehr«, entgegnete Richelieu mit dumpfer Stimme. »MeinGott«, fuhr er nach kurzer Pause fort, »wenn ich mir meinenFeind ebenso leicht vom Hals schaffen könnte, wie ich Euchvon Euern Feinden befreien kann, und wenn Ihr nur gegensolche Leute von mir Straffreiheit verlangt …«478
»Monseigneur«, erwiderte Mylady, »Tausch um Tausch,Leben um Leben, Mann um Mann. Laßt mir diesen, so liefereich Euch den anderen!« »Ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt, und ich will esauch gar nicht wissen; aber ich möchte Euch gern gefällig seinund sehe nichts Schlimmes darin, wenn ich Euerm Wunschhinsichtlich eines so unbedeutenden Burschen nachkomme,zumal dieser d’Artagnan, wie Ihr sagt, ein Schürzenjäger, Rauf-bruder und Verräter ist.« »Ein Kerl ohne Ehre, Monseigneur, ohne Ehre!« »Dann gebt mir Tinte, Feder und Papier!« sagte der Kar-dinal. »Hier, Monseigneur!« Es wurde ganz still; offenbar war der Kardinal damit be-schäftigt, den Text der Vollmacht zu durchdenken oder garschon niederzuschreiben. Athos, der kein Wort der Unter-redung verloren hatte, nahm seine Freunde bei der Hand undführte sie in eine andere Ecke des Zimmers. »Aber was soll denn das?« fragte Porthos. »Warum laßt Ihruns die Unterhaltung nicht bis zu Ende hören?« »Still!« sagte Athos leise. »Wir haben alles gehört, was füruns wichtig war; im übrigen könnt ihr von mir aus auch wei-ter zuhören, doch ich muß gehen.« »Ihr müßt gehen?« versetzte Porthos. »Und wenn der Kar-dinal nach Euch fragt, was sollen wir da antworten?« »Ihr wartet eben nicht erst ab, bis er fragt, sondern sagt ihmgleich, daß ich als Kundschafter vorausgeritten bin, da mirnach gewissen Äußerungen des Wirts der Weg nicht sicherschien. Übrigens werde ich dem Diener des Kardinals das-selbe sagen. Alles weitere geht nur mich an, macht euch dakeine Gedanken!« »Seht Euch vor, Athos!« sagte Aramis. »Keine Sorge«, gab Athos zurück, »ihr wißt ja, daß michnichts aus der Ruhe bringt!« Porthos und Aramis kehrten mit ihren Stühlen wieder anden Tisch zurück und setzten ihr unterbrochenes Würfelspielfort. Unterdes verließ Athos, ohne ein Geheimnis daraus zumachen, das Wirtshaus, band sein Pferd vom Fensterladenlos und schwang sich in den Sattel; dann unterrichtete er mit 479
wenigen Worten den Diener des Kardinals über die Notwen-digkeit, sich von der Sicherheit des Rückwegs zu überzeugen,prüfte sorgfältig das Zündblatt seiner Pistole, lockerte den De-gen und entfernte sich wie ein verlorener Posten auf dem Wegezum Lager. Eheliche SzeneWie Athos vorausgesehen hatte, kam der Kardinal gleich dar-auf herunter. Er öffnete die Tür zu der großen Stube, in derer die Musketiere zurückgelassen hatte, und fand Porthosund Aramis in einer erbitterten Würfelschlacht begriffen.Mit einem Blick überschaute er die Lage und stellte fest, daßeiner seiner Leute fehlte. »Wo ist denn Herr Athos?« fragte er. »Monseigneur«, antwortete Porthos, »er ist als Kundschaftervorausgeritten; einige Bemerkungen des Wirts ließen vermu-ten, daß der Weg nicht ganz sicher ist.« »Und was habt Ihr inzwischen gemacht, Herr Porthos?« »Ich habe Aramis um fünf Dukaten erleichtert.« »So, dann könnt ihr jetzt mit mir zurückreiten!« »Zu Befehl, Eure Eminenz!« »Also vorwärts, meine Herren, und aufgesessen! Es ist spätgenug.« Der Diener wartete vor der Tür und hielt das Pferd des Kar-dinals am Zügel. Etwas abseits sah man im Dunkeln eineGruppe von zwei Männern und drei Pferden; es waren offen-bar die Leute, die Mylady nach dem Fort La Pointe bringenund bis zur Einschiffung ihren Schutz übernehmen sollten. Der Diener bestätigte dem Kardinal, was ihm die beidenMusketiere bereits von Athos’ Vorausritt gesagt hatten. Riche-lieu nickte zustimmend und schlug den Rückweg ein, wobei erdie gleiche Vorsicht walten ließ wie eine halbe Stunde zuvor. Lassen wir ihn mit seinem Bedienten und den beiden Mus-ketieren eine Weile allein und kehren wir zu Athos zurück! Der war zunächst etwa hundert Schritt geradeaus geritten;sobald er jedoch außer Sichtweite war, schwenkte er rechts abund näherte sich nach einem großen Bogen wieder bis auf480
zwanzig Schritt dem Weg, um im Schutze des Gehölzes zu war-ten, bis der kleine Trupp vorüberkam. Nachdem er die bunt-betreßten Hüte seiner Kameraden und die Goldfransen amMantel des Kardinals erkannt hatte, wartete er nur noch, bis dieReiter hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden waren,und kehrte dann im Galopp zu der Herberge zurück, wo manihm anstandslos öffnete. Der Wirt erkannte ihn gleich wieder. »Mein Offizier hat leider vergessen«, sagte Athos, »derDame im ersten Stock etwas Wichtiges aufzutragen, und dar-um schickt er mich, um das Versäumte nachzuholen.« »Geht nur hinauf«, entgegnete der Wirt, »sie ist nochoben!« Athos besann sich nicht lange, sondern eilte, so leise erkonnte, die Treppe hinauf, gelangte auf den Flur und er-blickte durch die halb geöffnete Tür Mylady, die eben ihrenHut aufsetzte. Er trat ins Zimmer, machte die Tür hinter sich zu undschob den Riegel vor. Bei diesem Geräusch wandte sich My-lady um. Mit verschränkten Armen, den Hut tief ins Gesichtgezogen, stand Athos an der Tür. Der Anblick dieser stummen Gestalt, die da regungsloswie eine Statue verharrte, machte Mylady angst. »Wer seid Ihr und was wollt Ihr?« rief sie. »Wahrhaftig, sie ist es!« murmelte Athos. Und während erden Kopf hob und den Hut aus der Stirn schob, schritt erlangsam auf die Frau zu. »Erkennt Ihr mich jetzt, Madame?«fragte er. Mylady wollte ihm entgegengehen, fuhr jedoch zurück, alshabe sie eine Schlange erblickt. »Sehr schön«, sagte Athos, »ich sehe, daß Ihr mich erkannthabt.« »Der Graf von La Fère!« murmelte Mylady erbleichendund wich bis zur Wand zurück. »Ja, Mylady, der Graf von La Fère höchstpersönlich und ei-gens aus dem Jenseits zurückgereist, um das Vergnügen zuhaben, Euch zu sehen. Setzen wir uns also und sprechen wiruns in Ruhe aus, wie der Herr Kardinal zu sagen beliebt.« Von namenlosem Schrecken beherrscht, setzte sich Mylady,unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen. 481
»Ihr seid offenbar ein auf die Erde geschickter Dämon!«fuhr Athos fort. »Eure Macht ist groß, ich weiß es, aber Ihrwerdet auch wissen, daß die Menschen mit Gottes Hilfeschon oft die furchtbarsten Dämonen besiegt haben. Ihr habtbereits einmal meinen Weg gekreuzt, und ich glaubte, Euchvernichtet zu haben; aber entweder habe ich mich geirrt, oderdie Hölle hat Euch zu neuem Leben erweckt.« Bei diesen Worten, die grausige Erinnerungen in ihr wach-riefen, stöhnte Mylady dumpf auf und ließ den Kopf sinken. »Ja, die Hölle hat Euch zu neuem Leben erweckt, reich ge-macht hat Euch die Hölle, und einen anderen Namen hat sieEuch gegeben, sogar Euer Gesicht hat sie verändert; aber dieHölle hat weder den Schmutz von Eurer Seele noch dasBrandmal von Euerm Körper abwaschen können!« Mylady sprang auf, ihre Augen schossen Blitze; Athos bliebsitzen. »Ihr hieltet mich für tot, nicht wahr, so wie ich Euch fürtot hielt? Der Name Athos hat den Grafen von La Fère so gutverschwinden lassen wie der Name Lady Clarick eine gewisseAnne de Bueil! So nanntet Ihr Euch doch, als Euer ehren-werter Bruder uns getraut hat, nicht wahr? Unsere Lage istwirklich sehr eigenartig«, fuhr er auflachend fort, »wir habenbis jetzt nur gelebt, weil einer den anderen für tot hielt undweil eine Erinnerung, so peinigend sie auch mitunter seinkann, weniger stört als etwas Lebendiges!« »Und was führt Euch jetzt zu mir?« fragte Mylady endlichmit tonloser Stimme. »Was wollt Ihr von mir?« »Ich möchte Euch zunächst sagen, daß ich Euch in dieserganzen Zeit nie aus den Augen verloren habe, wenn ich auchunsichtbar für Euch blieb.« »Ihr wißt, was ich getan habe?« »Ich kann Euch Eure Handlungen Tag für Tag aufzählen,angefangen mit Euerm Eintritt in die Dienste des Kardinalsbis zu dem heutigen Abend.« Ein ungläubiges Lächeln glitt über Myladys blasse Lippen. »Nun, so hört: Ihr habt die beiden Diamantnadeln von derSchulter des Herzogs von Buckingham abgetrennt. Ihr habtFrau Bonacieux entführen lassen, Ihr habt in dem Glauben,eine Nacht mit Euerm geliebten Wardes zu verbringen, den482
jungen d’Artagnan bei Euch eingelassen; Ihr habt ferner in derirrigen Annahme, verschmäht worden zu sein, den Grafendurch seinen Nebenbuhler umbringen lassen wollen; und alsdieser Nebenbuhler Euer ruchloses Geheimnis entdeckte, habtIhr zwei Mörder auf seine Fährte gehetzt; dann habt Ihr ihm,als dieser Mordanschlag mißglückte, vergifteten Wein undeinen gefälschten Brief geschickt, aus dem er entnehmenmußte, daß der Wein ein Geschenk seiner Freunde war; end-lich aber habt Ihr Euch vor wenigen Minuten, hier in diesemZimmer, dem Kardinal gegenüber verpflichtet, den Herzog vonBuckingham ermorden zu lassen, und dafür das Versprecheneingehandelt, Euch ungestraft d’Artagnans zu entledigen.« Mylady wurde kreideweiß. »Aber seid Ihr denn der Teufel selbst?« fragte sie bebend. »Vielleicht, auf jeden Fall merkt Euch dies: Tötet den Her-zog von Buckingham oder laßt ihn ermorden, mir ist esgleich, ich kenne ihn nicht, und überdies ist er ein Engländer,ein Feind! Aber laßt Euch nicht einfallen, meinem Freunded’Artagnan auch nur ein Haar zu krümmen, oder, das schwöreich Euch beim Haupt meines Vaters, das würde Euer letztesVerbrechen sein!« »Herr d’Artagnan hat mich furchtbar beleidigt«, sagte My-lady dumpf, »er muß sterben.« »Ach nein, kann man Euch in der Tat beleidigen?« ver-setzte Athos lachend. »Er hat Euch beleidigt, folglich muß ersterben!« »Er muß sterben«, wiederholte Mylady, »erst sie und danner!« Athos wurde wie von einem Schwindel ergriffen. Der An-blick dieser Kreatur, die nichts mehr von einer Frau an sichhatte, rief peinigende Erinnerungen in ihm wach; er mußtewieder an jenen anderen Tag denken, an dem er in einer weitweniger gefährlichen Situation als heute dieses Weib seinerEhre hatte opfern wollen. Die alte Mordgier überfiel ihn aufsneue und erfüllte ihn wie ein brennender Fieberschauer. Erstand ebenfalls auf, fuhr mit der Hand nach dem Gürtel, zogseine Pistole heraus und spannte den Hahn. Mylady wollte schreien, aber ihre Zunge war wie gelähmt,und nur ein heiserer Laut, dem Röcheln eines wilden Tieres 483
ähnlich, kam über ihre Lippen. Schreckensbleich und mit auf-gelöstem Haar lehnte sie an der dunklen Tapete, ein Bildgrauenhafter Todesangst. Athos hob langsam die Pistole, streckte den Arm aus, daßdie Mündung fast Myladys Stirn berührte, und sagte dannmit einer Stimme, die um so furchtbarer klang, als sie dieRuhe eines unerschütterlichen Entschlusses verriet: »Madame, Ihr werdet mir auf der Stelle das Papier aus-händigen, das Euch der Kardinal ausgestellt hat, oder, aufEhre, ich jage Euch eine Kugel durch den Kopf!« Bei einem anderen Mann hätte Mylady vielleicht noch ge-zweifelt, aber sie kannte Athos; trotzdem rührte sie sichnicht. »Ihr habt drei Sekunden, um Euch zu entscheiden!« Mylady sah an seinem zusammengekrampften Gesicht,daß der Schuß im nächsten Augenblick losgehen mußte; dagriff sie rasch in ihren Brustausschnitt, brachte ein Papierzum Vorschein und streckte es Athos hin. »Da habt Ihr’s«, stieß sie hervor, »Fluch über Euch!« Athos nahm es entgegen, steckte die Pistole wieder in denGürtel, trat zur Lampe, um sich zu vergewissern, daß es auchdas richtige Papier war, und las:»Der Besitzer dieses Schreibens hat auf meinen Befehl und zumWohl des Staates gehandelt.Den 1. August 1628 Richelieu« »Und nun«, sagte Athos indem er den Hut wieder auf-setzte, »wo ich dir die Giftzähne ausgebrochen habe, beiße,Schlange, wenn du kannst!« Und er ging aus dem Zimmer,ohne sich auch nur noch einmal umzublicken. Vor dem Haus fand er die beiden Reiter mit dem ledigenPferd. »Meine Herren«, sagte er, »es bleibt bei dem BefehlMonseigneurs, diese Frau unverzüglich nach dem Fort LaPointe zu bringen und sie nicht eher zu verlassen, als bis siean Bord gegangen ist!« Nach diesen Worten, die durchausmit dem übereinstimmten, was ihnen aufgetragen war, ver-neigten sich die beiden, während Athos sich behend in denSattel schwang und davonpreschte. Er folgte allerdings nicht der Straße, sondern galoppierte484
mit verhängten Zügeln querfeldein. Von Zeit zu Zeit hielt eran, lauschte kurz und gab seinem Pferd von neuem die Sporen.Endlich vernahm er von der Straße her den Hufschlag mehre-rer Pferde und wußte, daß er auf gleicher Höhe mit dem Kar-dinal und seiner Eskorte war. Mit einem letzten Gewaltrittüberholte er sie in einem großen Bogen, erreichte etwa zwei-hundert Schritt vom Lager die Straße und erwartete, nachdemer sein Pferd mit Laub und Heidekraut trockengerieben hatte,seelenruhig die anderen. »Wer da?« rief er von weitem, als er den Reitertrupp heran-kommen sah. »Ah, mir scheint, das ist unser tapferer Musketier«, sagteder Kardinal. »Ja, Monseigneur, derselbe!« antwortete Athos. »Herr Athos, empfangt meinen Dank für die gute Vorhut,die Ihr übernommen habt! Und nun, meine Herren, sind wiram Ziel. Reitet durch das linke Tor, die Losung ist: Königund Kardinal!« Nach diesen Worten nickte Richelieu den dreiMusketieren zu und ritt mit seinem Bedienten dem rechtenTor zu; denn in dieser Nacht schlief auch er im Lager. »Und was war nun eigentlich los?« fragte Porthos aufge-regt, sowie der Kardinal außer Hörweite war. »Einiges«, erwiderte Athos trocken, »aber das hat Zeit bismorgen!« Und schweigend ritten unsere Freunde durch das Lager zuihrem Quartier. Hier schickten sie sofort Mousqueton zuPlanchet mit der Nachricht, d’Artagnan möge gleich nachseiner Rückkehr von der Grabenwache ins Quartier der Mus-ketiere kommen. Wie Athos erwartet hatte, machte Mylady, als sie vor demWirtshaus die Leute mit den Pferden traf, keine Schwierigkei-ten, ihnen zu folgen. Wohl hatte sie sich einen Augenblick ver-sucht gefühlt, den Kardinal aufzusuchen und ihm alles zu er-zählen, doch auf eine Enthüllung ihrerseits würde Athos miteiner anderen Enthüllung antworten: wenn sie sagte, daß er siegehenkt habe, würde er von ihrem Brandmal sprechen. So hieltsie es für das klügste, zu schweigen und erst einmal mit der ihreigenen Geschicklichkeit den heiklen Auftrag zu erfüllen, densie übernommen hatte; gelang es ihr, alles zur Zufriedenheit 485
des Kardinals zu erledigen, so konnte sie mit um so größeremNachdruck ihre eigene Rache bei ihm durchsetzen. Nach langem Nachtritt erreichten die drei Reiter um sie-ben Uhr in der Früh das Fort La Pointe, um acht Uhr warMylady bereits an Bord, und nach einer weiteren Stunde ließder Kapitän, versehen mit einem Sonderpaß des Kardinals,die Anker lichten, und das Schiff nahm Kurs auf England. Die Bastion Saint-GervaisAls d’Artagnan im Quartier der Musketiere eintraf, fand erseine drei Freunde in einer Stube versammelt: Athos brüteteschweigend vor sich hin. Porthos zwirbelte seinen Schnurr-bart, und Aramis war in ein kleines, entzückend in blauenSamt gebundenes Stundenbuch vertieft. »Zum Teufel, meine Herren«, begrüßte sie unser Gascogner,»ihr habt mir hoffentlich etwas Wichtiges zu sagen, denn sonstkönnte ich euch schwerlich verzeihen, daß ihr mich herruft,statt mich ordentlich ausschlafen zu lassen, nachdem ich mirdie Nacht damit um die Ohren geschlagen habe, eine gegne-rische Bastion zu stürmen und zu zerstören! Menschenskinder,daß ihr nicht dabeisein konntet – es ging verdammt heiß her!« »Wo wir waren, war es auch nicht gerade kalt«, erwidertePorthos, ohne die Schönheitspflege an seinem Schnurrbartzu unterbrechen. »Pst!«, machte Athos. »Oho«, sagte d’Artagnan, der das leichte Stirnrunzeln sei-nes Freundes sofort richtig verstand, »es gibt anscheinendNeuigkeiten!« »Aramis«, fragte Athos, »habt Ihr nicht vorgestern in derHerberge ›Zum Spitzkopf‹ gefrühstückt?« »Allerdings.« »Und wie ist es dort?« »Ich fand das Essen sehr schlecht, denn obwohl vorgesternFasttag war, gab es nur Fleisch.« »Was denn«, rief Athos, »hier am Meer haben sie keinenFisch?«486
»Sie sagen«, versetzte Aramis und griff schon wieder nachseinem Gebetbuch, »daß der Damm, den Seine Eminenz er-richten läßt, die Fische vergrault.« »Aber danach wollte ich Euch eigentlich gar nicht fragen,Aramis«, fuhr Athos fort. »Ich wollte nur wissen, ob mandort einigermaßen ungestört ist?« »Doch ja, für das, was Ihr zu sagen gedenkt, werden wirbeim ›Spitzkopf‹ ganz gut dran sein.« »Also auf zum ›Spitzkopf‹«, sagte Athos, »denn hier sinddie Wände dünn wie Papier!« D’Artagnan, der die Art seines Freundes nun schon kannteund an einem Wort, einem Blick, einer Gebärde merkte, obes sich um etwas Ernstes handelte, faßte Athos am Arm undging wortlos mit ihm hinaus. Die beiden anderen folgten,wobei Porthos unbeirrt auf den frommen Gedanken hinge-gebenen Aramis einredete. Unterwegs begegnete man Gri-maud. Athos bedeutete ihm durch einen Wink, mitzukom-men, und der Diener gehorchte schweigsam wie immer; derarme Kerl hatte das Sprechen schon nahezu verlernt. Es war ein diesiger Augustmorgen. Als man die Schenke er-reichte, war es sieben Uhr. Unsere Freunde bestellten ein Früh-stück und nahmen in der Gaststube Platz, wo sie nach denWorten des Wirts niemand stören würde. Leider aber war dieStunde für eine vertrauliche Aussprache schlecht gewählt. Manhatte eben zum Wecken getrommelt, jeder rieb sich den Schlafaus den Augen und eilte in die Schenke, um sich mit einemkräftigen Schluck Alkohol gegen die feuchtneblige Morgen-luft zu wappnen. Dragoner, Schweizer, Gardisten, Musketiereund Panzerreiter gaben sich pausenlos die Klinke in die Hand,was zwar den Beifall des Wirts, nicht jedoch den unserer vierFreunde finden konnte. Daher antworteten sie auch nur sehrmürrisch auf die Grüße, Zurufe und Späße ihrer Kameraden. »Hört mal«, sagte Athos, »wenn wir so weitermachen, be-kommen wir bestimmt noch Streit, und den können wir unsim Augenblick wirklich nicht leisten! Und nun erzählt uns,was Ihr heute nacht erlebt habt, d’Artagnan; danach erzählenwir unsere Erlebnisse!« »Richtig«, rief ein Panzerreiter, der sich selbstbewußt in denHüften wiegte und dabei genießerisch ein Glas Branntwein 487
leerte, das er in der Hand hielt, »der Herr Gardist hatte dochheute nacht Grabenwache, und wie man hört, soll es einenganz hübschen Strauß mit unseren Freunden, den Spitzköp-fen, gegeben haben.« D’Artagnan sah Athos an, wie um zu fragen, ob er demvorlauten Kerl, der sich da in ihre Unterhaltung mischte,überhaupt antworten sollte. »Nun«, sagte der Musketier, »habt Ihr nicht gehört, auchHerr de Busigny interessiert sich für Eure Geschichte, d’Ar-tagnan; erzählt sie nur, wir alle sind schon neugierig!« »Habt Ihr nicht eine Bastion genommen?« fragte ein Schwei-zer, der Rum aus einem Bierglas trank. »Ganz recht«, antwortete d’Artagnan mit einer leichten Ver-neigung zu den beiden Herren, »und wie ihr vielleicht schongehört habt, gelang es uns auch, an einer Ecke ein Pulverfaßanzubringen, das beim Explodieren ein ganz schönes Loch ge-rissen hat; und da die Bastion nicht gerade die neueste ist, hates auch den übrigen Bau mächtig durcheinandergeschüttelt.« »Welche Bastion war es denn?« fragte ein Dragoner, dereine Gans auf seinen Säbel gespießt hatte, um sie sich in derSchenke braten zu lassen. »Die Bastion Saint-Gervais«, entgegnete d’Artagnan, »vonder aus die Rocheller unsere Schanzarbeiten störten.« »Da ging es sicher heiß her?« »Das kann man wohl sagen; wir haben fünf Mann verloren,der Gegner bestimmt das Doppelte.« »Balsamplöh!« rief der Schweizer, der so stolz auf seinschlechtes Französisch war, daß er ungeachtet des großarti-gen Reichtums an Flüchen, den die deutsche Sprache besitzt,sogar französisch zu fluchen versuchte. »Aber vermutlich«, warf der Panzerreiter ein, »werden sieschon heute morgen ihre Schanzarbeiter schicken und dieBastion wieder instand setzen.« »Ja, vermutlich.« »Meine Herren«, sagte Athos, »eine Wette!« »O ja, eine Wette!« rief der Schweizer. »Und um was wollt Ihr wetten?« fragte der Panzerreiter. »Wartet«, sagte der Dragoner und legte seinen Säbel wieeinen Bratspieß auf die beiden eisernen Feuerböcke im Kamin,488
»da bin ich mit von der Partie! Heda, Unglückswirt, rasch einePfanne her, damit mir kein Tropfen Fett von diesem kostba-ren Vogel verlorengeht!« »Er hat recht«, pflichtete der Schweizer bei, »Gänsefett istnicht zu verachten!« »So«, rief der Dragoner, »und nun zu Eurer Wette, HerrAthos!« »Ja, laßt hören!« rief auch der Panzerreiter. »Also gut, Herr de Busigny«, antwortete Athos, »ich wettemit Euch, daß meine drei Kameraden, die Herren Porthos,Aramis und d’Artagnan, mit mir auf der Bastion Saint-Ger-vais frühstücken werden und daß wir uns dort eine ganzeStunde halten werden, was der Feind auch unternimmt, umuns von da zu vertreiben!« Porthos und Aramis sahen sich an; sie fingen an zu be-greifen. »Aber das ist doch unser sicherer Tod!« raunte d’Artagnanseinem Freund zu. »Wenn wir nicht hingehen, ist unser Tod noch sicherer«,gab Athos ebenso leise zurück. »Kotzbombenelement, ihrHerren«, rief Porthos, indem er sich behaglich zurücklehnteund seinen Schnurrbart hochzwirbelte, »das nenn’ ich einevernünftige Wette!« »Ich nehme sie auch an«, sagte Herr de Busigny, »ich mußnur erst den Einsatz wissen.« »Nun«, erwiderte Athos, »da ihr zu viert seid wie wir, sa-gen wir, einen Festschmaus für acht Personen! Paßt euchdas?« »Ausgezeichnet!« versetzte der Panzerreiter. »Großartig!« stimmte der Dragoner zu. »Einverstanden«, sagte auch der Schweizer. Der Vierte im Bunde, der während dieser ganzen Unter-haltung nicht einmal den Mund aufgetan hatte, begnügte sichauch jetzt mit einem kurzen Nicken zum Zeichen seines Ein-verständnisses. »Das Frühstück der Herren ist bereit«, meldete der Wirt. »Gut«, sagte Athos, »dann bringt es her!« Der Wirt gehorchte. Athos rief Grimaud, zeigte auf einengroßen Korb, der in der Ecke stand, und bedeutete ihm durch 489
einen Wink, was er zu tun hatte. Grimaud erfaßte sofort, daßes sich um ein Frühstück im Freien handelte, wickelte dasaufgetragene Fleisch in die Servietten und packte es zusam-men mit den Weinflaschen in den Korb, den er sich an denArm hängte. »Wo wollt ihr denn mit dem Frühstück hin?« fragte derWirt aufgeregt. »Was geht Euch das an, solange wir es Euch nicht schuldigbleiben«, entgegnete Athos und warf lässig zwei Dukaten aufden Tisch. »Muß ich herausgeben, Herr Offizier?« »Nein, aber tut noch zwei Flaschen Champagner dazu, derRest ist für die Servietten!« Der Wirt machte zwar kein so gutes Geschäft, wie er zu-erst angenommen hatte, aber er entschädigte sich dadurch,daß er statt des Champagners zwei Flaschen Anjouwein inden Korb schmuggelte. »Herr de Busigny«, sagte Athos, »wollt Ihr Eure Uhr nachmeiner oder darf ich meine nach Eurer stellen?« »Aber gern, mein Herr!« antwortete der Panzerreiter undzog eine wunderschöne diamantenbesetzte Uhr aus der Tasche.»Ich habe jetzt sieben Uhr dreißig.« »Und ich sieben Uhr fünfunddreißig; wir können uns alsomerken, daß meine Uhr fünf Minuten vorgeht.« Und mit einem höflichen Gruß an die verblüffte Rundeverließen unsere vier Freunde die Schenke und schlugen denWeg nach der Bastion Saint-Gervais ein; als letzter folgte, denKorb am Arm, Grimaud, der keine Ahnung hatte, wohin esging, der aber in dem blinden Gehorsam, zu dem ihn Athoserzogen hatte, auch gar nicht auf den Gedanken kam, danachzu fragen. Solange unsere Freunde noch innerhalb des Lagers waren,sprachen sie kein Wort miteinander; übrigens folgten ihnenviele Neugierige, die von der Wette erfahren hatten und wissenwollten, wie sie sich aus der Klemme ziehen würden. Als sieaber über den Wall hinaus und aufs freie Feld gelangt waren,hielt es d’Artagnan, der noch immer nicht wußte, was dasGanze sollte, für angebracht, sich nach dem Zweck des Un-ternehmens zu erkundigen.490
»Und nun, mein lieber Athos«, sagte er, »seid so freund-lich und erklärt mir, wohin wir gehen!« »Zur Bastion, wohin sonst?« »Aber was wollen wir denn da?« »Frühstücken, was sonst?« »Und warum haben wir nicht im ›Spitzkopf‹ gefrühstückt?« »Weil wir sehr wichtige Dinge zu besprechen haben, wasim ›Spitzkopf‹ leider nicht möglich war, da wir dort dauerndvon irgendwelchen Leuten gestört wurden. Auf der Bastionaber kann uns das nicht passieren.« »Immerhin scheint mir«, erwiderte d’Artagnan mit jenerBesonnenheit, die sich bei ihm so trefflich mit äußerster Ver-wegenheit paarte, »daß wir da auch ein stilles Plätzchen inden Dünen am Meer hätten finden können.« »Und jeder würde uns vier zusammenhocken sehen, sodaß schon nach einer Viertelstunde der Kardinal durch seineSpione über unsern Kriegsrat Bescheid wüßte.« »Athos hat recht«, sagte Aramis. »Animadvertuntur in de-sertis.« »Eine Wüste wäre gar nicht so übel«, bemerkte Porthos,»wenn man hier nur eine finden könnte!« »Und selbst in der ödesten Wüste waren wir nicht sichervor den Spionen des Kardinals! Also ist es schon besser, wirführen diese Unternehmung zu Ende, zumal wir ohnehinnicht mehr davon zurücktreten können, ohne als feige Prah-ler dazustehen. Wir sind eine Wette, die völlig improvisiert er-scheinen muß, eingegangen, und ich bin sicher, daß niemanddie wahren Beweggründe errät. Es geht darum, eine Stundeauf der Bastion zu bleiben. Vielleicht werden wir angegrif-fen, vielleicht auch nicht. Wenn nicht, können wir uns in al-ler Ruhe beim Frühstück unterhalten, ohne daß uns einerzuhört; greift man uns aber an, so werden wir uns trotzdemunterhalten und dabei noch mit der Abwehr des FeindesRuhm ernten. Ihr seht, so oder so ist die Sache für uns nurvon Vorteil.« »Möglich«, sagte d’Artagnan, »aber ganz zweifellos werdenwir uns da auch etliche Kugeln einhandeln!« »Nun, was die Kugeln angeht, so gibt es, wie Ihr wohl wißt,gefährlichere als die des Feindes.« 491
»Immerhin hätten wir wenigstens unsere Musketen mit-nehmen sollen!« warf Porthos ein. »Ihr seid ja nicht gescheit, Freund Porthos; wozu uns mitdem überflüssigen Zeug abschleppen?« »Na, erlaubt mal, in solcher Lage finde ich eine gute Mus-kete, eine Handvoll Bleikugeln und ein Pulverhorn gar nichtso überflüssig!« »Ja, habt Ihr denn nicht gehört, was d’Artagnan vorhin er-zählt hat?« »Doch, aber was hat das mit uns zu tun?« fragte Porthos. »D’Artagnan hat erzählt, daß es bei der Aktion heute nachteine ganze Reihe Tote auf beiden Seiten gegeben hat.« »Und?« »Man hat sie gewiß noch nicht fortgeschafft, da man heutenacht Wichtigeres zu tun hatte, nicht wahr?« »Ja, und weiter?« »Nun, wenn die Toten noch da sind, finden wir auch ihreWaffen; wir werden also statt unserer vier Musketen einganzes Dutzend zur Verfügung haben, und auch an Muni-tion wird es uns nicht fehlen.« »Athos«, rief Aramis aus, »du bist wirklich ein Genie!« Porthos nickte lebhaft. Nur d’Artagnan schien nicht ganzüberzeugt. Offenbar teilte Grimaud die Bedenken des jungen Gasco-gners, denn als er merkte, daß der Ausflug nicht einem lau-schigen Plätzchen, sondern der schrecklichen Bastion galt,zog er seinen Herrn verstohlen am Rockschoß. Wohin? be-deutete diese Geste. Athos zeigte auf die Bastion. Grimaudstellte den Korb auf die Erde und setzte sich kopfschüttelnddaneben. Athos zog die Pistole aus dem Gürtel, schaute nach,ob sie geladen war, spannte den Hahn und hielt die Mündungan Grimauds Ohr. Wie von der Tarantel gestochen, war Gri-maud wieder auf den Beinen. Auf ein Zeichen seines Herrnnahm er den Korb auf und eilte vorwärts. Alles, was er beidieser kurzen Pantomime gewonnen hatte, war die Peinlich-keit, nun statt der Nachhut die Vorhut zu bilden. Als unsere Freunde endlich die Bastion erreichten, blick-ten sie sich um. Mehr als dreihundert Soldaten aller Waffen-gattungen standen am Lagertor, und in einer Gruppe für sich492
konnte man den Panzerreiter de Busigny, den Dragoner, denSchweizer und den vierten, den stummen Partner der Wette,erkennen. Athos nahm seinen Hut ab, steckte ihn auf den Degen undschwenkte ihn über dem Kopf hin und her. Alle Zuschauererwiderten diesen Gruß und brachen dabei in ein donnern-des Hurra aus, das bis zur Bastion herüberklang. Hierauf ver-schwanden unsere vier Freunde in dem zertrümmerten Boll-werk, wohin ihnen Grimaud bereits vorausgegangen war. Die Musketiere halten RatWie Athos vorausgesehen hatte, war die Bastion nur von einemDutzend Toter aus beiden Lagern besetzt. »So, Freunde«, sagte der Musketier, der bei diesem Unter-nehmen die Führung hatte, »während Grimaud die Tafel rich-tet, wollen wir zunächst einmal die Gewehre und die Kugelneinsammeln; übrigens können wir dabei schon mit unsererBeratung beginnen, denn diese Herren hier«, und damit deu-tete er auf die Toten, »hören nicht zu!« »Wir könnten sie immerhin in den Graben werfen«, schlugPorthos vor, »natürlich nach vorheriger Durchsuchung.« »Richtig, aber das ist dann Grimauds Sache«, entschiedAthos. »Also gut«, sagte d’Artagnan, »soll Grimaud sie durchsu-chen und über die Mauer werfen.« »Halt, nein«, rief Athos, »wir können sie noch brauchen!« »Die Toten?« fragte Porthos. »Lieber Freund, entschuldigt,aber Ihr seid verrückt!« »Urteilt nicht vorschnell, wie die Bibel und Seine Eminenzsagen«, entgegnete Athos. »Wie viele Musketen haben wir?« »Zwölf«, antwortete Aramis. »Und wie viele Kugeln?« »Ungefähr hundert.« »Das reicht allemal; und nun die Gewehre geladen!« Die vier Musketiere machten sich an die Arbeit. Als sieeben mit dem letzten Gewehr fertig waren, bedeutete ihnen 493
Grimaud, daß alles zum Frühstück gerichtet sei. Ebenso wort-los gab ihm Athos zu verstehen, daß es so gut sei und daß ersich in eine Art Nische zu begeben habe, um die Wache zuübernehmen. Damit es ihm dabei nicht zu langweilig werde,erlaubte ihm sein Herr, ein Brot, zwei Koteletts und eine Fla-sche Wein mitzunehmen. »Und nun zu Tisch, ihr Herren!« rief Athos. Die vier setzten sich mit gekreuzten Beinen wie die Tür-ken oder Schneider an die Erde. »Ich hoffe«, sagte d’Artagnan, »Ihr werdet jetzt, wo keineLauscher mehr zu befürchten sind, endlich mit Euerm Ge-heimnis herausrücken!« »Und ich hoffe«, erwiderte Athos, »etwas für Euer Vergnü-gen wie für Euern Ruhm zu tun. Wir haben soeben einen rei-zenden Spaziergang gemacht, jetzt sitzen wir hier bei einemausgiebigen Frühstück, und da drüben stehen, wie ihr durchdie Schießscharten sehen könnt, an die fünfhundert Men-schen, die uns für Verrückte oder Helden halten, zwei Sortenvon Dummköpfen, die sich ziemlich gleichen.« »Aber das Geheimnis!« drängte d’Artagnan. »Das Geheimnis«, fuhr Athos fort, »besteht darin, daß ichgestern abend mit Mylady gesprochen habe.« D’Artagnan hob eben sein Glas an die Lippen, aber beidem Namen Mylady zitterte seine Hand so sehr, daß er eswieder absetzen mußte, um den Wein nicht zu verschütten. »Ihr habt mit Eurer …« »Schon gut, mein Lieber«, unterbrach ihn Athos, »Ihr ver-geßt, daß diese Herren nicht wie Ihr in meine häuslichen An-gelegenheiten eingeweiht sind! Ich habe also mit Mylady ge-sprochen.« »Aber wo denn?« »Ungefähr zwei Meilen von hier, im Wirtshaus ›Zum rotenTaubenschlag‹.« »Dann bin ich verloren«, sagte d’Artagnan. »Noch nicht ganz«, versetzte Athos trocken, »denn zu die-ser Stunde hat sie Frankreich wohl schon verlassen.« D’Artagnan atmete auf. »Aber wer ist denn nun eigentlich diese Mylady?« fragtePorthos.494
»Eine reizende Frau …«, antwortete Athos, während er denChampagner kostete. »Dieser gottverfluchte Wirt!« unter-brach er sich plötzlich. »Statt Schaumwein hat er uns fadenAnjou gegeben und bildet sich ein, wir merken es nicht! – Ja«,fuhr er wieder gelassen fort, »eine reizende Frau, die unsermFreund d’Artagnan sehr zugetan war; er hat ihr aber einenStreich gespielt, so daß sie sich unbedingt an ihm rächen will.Erst hat sie ihn durch Musketenkugeln, dann durch vergifte-ten Wein umzubringen versucht, und da sie damit kein Glückhatte, hat sie nun gestern abend seinen Kopf vom Kardinalgefordert.« »Was?« schrie der Gascogner entsetzt auf. »Meinen Kopfvom Kardinal?« »Doch, das stimmt«, bemerkte Porthos, »ich habe es miteigenen Ohren gehört.« »Ich auch«, fügte Aramis hinzu. »Dann kann ich ja einpacken«, sagte d’Artagnan mutlos.»Am besten schieße ich mir gleich eine Kugel in den Kopf.« »Etwas Dümmeres läßt sich schwerlich tun«, erwiderteAthos, »denn es ist so ziemlich das einzige, das man nichtwiedergutmachen kann.« »Aber gegen solche Feinde komme ich doch niemals an!Da ist zunächst der Unbekannte aus Meung; dann der Grafvon Wardes, den ich übel zugerichtet habe; dann Mylady, dieweiß, daß ich ihr Geheimnis kenne; und endlich der Kardi-nal, dessen schönen Racheplan ich vereitelt habe.« »Na und?« versetzte Athos. »Das sind insgesamt vier Figu-ren, so viele wie wir, also eine ganz ausgeglichene Partie. Weißder Kuckuck, wenn ich Grimauds Zeichen richtig verstehe,werden wir es gleich mit weit mehr Gegnern zu tun haben!Nun, Grimaud, was gibt’s? In Anbetracht der besonderen Lageerlaube ich dir zu sprechen, aber faß dich kurz! Was siehst du?« »Eine Kolonne.« »Wie stark?« »Zwanzig Mann.« »Was für Leute?« »Sechzehn Schanzarbeiter, vier Soldaten.« »Wie weit?« »Fünfhundert Schritt.« 495
»Gut, dann haben wir noch Zeit, das Huhn aufzuessen undein Glas Wein zu trinken. Auf Euer Wohl, d’Artagnan!« »Zum Wohle!« schlossen sich Porthos und Aramis an. »Danke, wenn ich mir von Euern Wünschen auch nichtviel für die Zukunft verspreche!« »Pah«, sagte Athos, »Gott ist groß, wie die Anhänger Mo-hammeds sagen, und die Zukunft liegt in seinen Händen!« Da-mit leerte er sein Glas auf einen Zug, erhob sich gelassen, griffnach der erstbesten Muskete und trat an eine Schießscharte. Porthos, Aramis und d’Artagnan folgten seinem Beispiel.Grimaud erhielt Befehl, sich hinter den vier Freunden bereitzu halten, um die Gewehre neu zu laden. Bald sahen sie die Kolonne; sie bewegte sich durch einenschmalen Laufgraben heran, der die Bastion mit der Stadtverband. »Herrjeh«, rief Athos, »wegen dieser Handvoll Strolche,die doch nur mit Schaufeln, Hacken und Spaten bewaffnetsind, lassen wir uns bei unserem Frühstück stören! Grimaudhätte nur abzuwinken brauchen, und ich bin überzeugt, siehätten uns in Ruhe gelassen.« »Was ich bezweifeln möchte«, erwiderte d’Artagnan, »dennsie rücken recht entschlossen heran. Übrigens sind die vierSoldaten mit Musketen bewaffnet, und außerdem ist noch einBrigadier mit einer Hellebarde dabei.« »Sie haben uns eben noch nicht gesehen«, sagte Athos. »Offen gestanden, widerstrebt es mir«, bekannte Aramis,»auf diese armen unbewaffneten Kerle zu schießen.« »Ein schlechter Priester, der mit Ketzern Mitleid hat«,meinte Porthos. »Doch, Aramis hat recht«, sagte Athos, »ich werde sie erstwarnen.« »Teufel, was soll denn das?« rief d’Artagnan. »Ihr wolltwohl unbedingt erschossen werden, mein Lieber?« Aber Athos kümmerte sich nicht um die Meinung des jun-gen Mannes, sondern kletterte auf die Bresche, wo er, dasGewehr in der einen, den Hut in der anderen Hand, sich miteinem höflichen Gruß an die Soldaten und Schanzarbeiterwandte, die, verdutzt über die unvermutete Erscheinung,etwa fünfzig Schritt vor der Bastion haltmachten.496
»Gott zum Gruß, ihr Herren! Ich bin gerade dabei, mit einpaar Freunden hier oben zu frühstücken; nun ist es aber be-kanntlich sehr verdrießlieh, bei einem Frühstück gestört zuwerden, und darum bitten wir euch, sofern ihr hier unbedingtzu tun habt, doch zu warten, bis wir fertig sind; ihr könntauch gehen und später noch einmal vorbeikommen, wenn ihrnicht gar den heilsamen Wunsch verspürt, das Lager der Re-bellion zu verlassen und mit uns auf das Wohl des Königs vonFrankreich zu trinken!« »Vorsicht, Athos!« schrie d’Artagnan. »Seht Ihr nicht, daßsie auf Euch anlegen?« »Ja, ja, aber diese Leute zielen viel zu schlecht, als daß sietreffen könnten!« In diesem Augenblick krachten vier Schüsse, und von denKugeln traf tatsächlich keine den Musketier. Dagegen warendie vier Schüsse, die ihnen fast unmittelbar folgten, weit bes-ser gezielt, denn drei Soldaten fielen sogleich tot um, und einerder Schanzarbeiter wurde verwundet. »Grimaud, eine andere Muskete!« befahl Athos, der nochimmer auf der Bresche stand. Während Grimaud gehorchte, wechselten die drei Freundeselber ihre Flinten, und schon prasselte eine zweite Salve aufdie Kolonne hernieder; diesmal blieben der Brigadier undzwei Schanzarbeiter auf der Strecke, der Rest der Leute er-griff die Flucht. »Auf, ihr Herren, ein Ausfall!« rief Athos. Die vier stürmten aus dem Bollwerk hervor, erreichten dasSchlachtfeld, sammelten die Hellebarde des Brigadiers unddie vier Musketen ein und zogen sich, überzeugt, daß dieFliehenden erst in der Stadt anhalten würden, mit ihren Tro-phäen in die Bastion zurück. »Grimaud, lade die Gewehre wieder«, sagte Athos, »und wir,meine Freunde, wollen zu unserem Frühstück zurückkehrenund unsere Unterhaltung fortsetzen! Wovon sprachen wirdoch gleich?« »Von Mylady«, sagte Porthos. »Ja, richtig, wo ist sie denn hin?« fragte d’Artagnan, dersich darüber schon die ganze Zeit den Kopf zerbrochen hatte. »Nach England«, antwortete Athos. 497
»Und weshalb?« »Um Buckingham zu ermorden oder ihn ermorden zu las-sen.« »Das ist ja schändlich!« rief d’Artagnan, überrascht undentsetzt zugleich. »Oh, was das betrifft«, sagte Athos, »so dürft Ihr mir glau-ben, daß es mich ziemlich kalt läßt! – Grimaud«, rief er sei-nem Diener zu, der mit dem Laden der Gewehre fertig war,»nimm jetzt die Hellebarde des Brigadiers, spieße eine Ser-viette daran und pflanze sie an der höchsten Stelle unserer Ba-stion auf, damit diese rebellischen Spitzköpfe von La Rochellesehen, daß sie es mit ordentlichen Soldaten des Königs zu tunhaben!« Grimaud gehorchte wortlos. Einen Augenblick später flat-terte zu ihren Häupten eine weiße Fahne, begrüßt von don-nerndem Applaus: das halbe Lager schaute von den Wällen zu. »Was denn«, versetzte d’Artagnan, »es läßt dich kalt, daßsie Buckingham ermorden will? Der Herzog ist doch unserFreund!« »Der Herzog ist in erster Linie Engländer, und als solcherkämpft er gegen uns. Mag sie also mit ihm tun, was sie will;mich interessiert’s sowenig wie eine leere Flasche!« Und beidiesen Worten schleuderte er die Flasche, die er gerade bisauf den letzten Tropfen in sein Glas geleert hatte, in hohemBogen über die Mauer. »Entschuldigt schon«, erwiderte d’Artagnan, »aber so leichtgebe ich den Herzog nicht preis! Er hat uns sehr schöne Pferdegeschenkt.« »Und sehr schöne Sättel«, sagte Porthos, der sich seine gol-dene Sattelborte an den Rock, den er auch in diesem Augen-blick trug, hatte nähen lassen. »Zudem will Gott die Bekehrung und nicht den Tod desSünders«, bemerkte Aramis. »Amen«, sagte Athos, »wenn ihr wollt, können wir ja spä-ter noch darauf zurückkommen. Für mich jedenfalls ging eszunächst einmal darum, dieser Frau eine Art Freibrief abzu-nehmen, den sie dem Kardinal abgepreßt hatte und der sie indie Lage versetzte, sich ungestraft Eurer und vielleicht auchunser aller zu entledigen.«498
»Dieses Weib ist ja ein richtiger Satan!« rief Porthos undhielt Aramis, der gerade ein Huhn zerlegte, seinen Teller hin. »Und besitzt sie diesen Freibrief noch immer?« fragted’Artagnan. »Nein, er ist in meinen Besitz übergegangen; ich will nichtsagen, ganz ohne Mühe, denn dann müßte ich lügen.« »Lieber Athos«, erklärte der Gascogner, »ich kann schonnicht mehr zählen, wie oft ich Euch das Leben verdanke!« »Dann habt Ihr uns also gestern nur verlassen, um zu ihrzu gehen?« erkundigte sich Aramis. »So ist es.« »Und Ihr habt den Brief des Kardinals bei Euch?« fragted’Artagnan. »Ja«, antwortete Athos und zog das kostbare Schreiben ausseiner Brusttasche, »bitte schön!« D’Artagnan versuchte gar nicht, das Zittern seiner Händezu verbergen, während er das Papier auseinanderfaltete undlas:»Der Besitzer dieses Schreibens hat auf meinen Befehl und zumWohl des Staates gehandelt.Den 1. August 1628 Richelieu« »Das ist allerdings eine regelrechte Absolution«, bemerkteAramis. »Man muß dieses Papier vernichten«, sagte d’Artagnan,der sein Todesurteil zu lesen glaubte. »Ganz im Gegenteil«, erwiderte Athos, »man muß es sorg-fältig aufbewahren; ich würde es nicht einmal für einen Sackvoll Geld hergeben!« »Und was wird sie jetzt tun?« fragte der junge Mann. »Nun«, sagte Athos leichthin, »vermutlich wird sie demKardinal schreiben, daß ihr ein verdammter Musketier na-mens Athos die hübsche Vollmacht mit Gewalt entwendethat; gleichzeitig wird sie ihm empfehlen, sich dieses Muske-tiers wie auch seiner beiden Freunde Porthos und Aramis zuentledigen. Der Kardinal wird sich erinnern, daß es sich umdieselben Kerle handelt, die alle Augenblicke seinen Wegkreuzen; also wird er eines schönen Tages d’Artagnan ver-haften lassen, und damit sich unser Freund nicht zu sehr 499
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